95. Auf eben denselben. Uebersetzung eines Schreibens der Neun und Zwanzigsten Frau Gräfin zu Ebersdorf

1730.


Ich bin ungemein erfreut, daß es unser Herr gefüget,
Daß ich gegenwärtig bin, da dich dieser Tag vergnüget.
Allertheurste Herzens-Schwester! dreißig Jahre sind zurük;
Und es strahlt noch diesen Abend Christi erster Gnaden-Blik.
Billig ruft dein froher Mund: Solt ich meinem Gott nicht singen?
Denn ich sehe, wie Ers meynt, Er ist treu in allen Dingen:
Meiner Seelen Wohlergehen hat Er seliglich bedacht.
Will dem Leibe Noth zustehen, nimt Ers gleichfalls gut in Acht.
Wenn ich nichts mehr machen kan, aus gewissen Unvermögen,
Kommt mein Gott und hebt mir an Sein Vermögen beyzulegen:
Dieses hast du jüngst erfahren. O wohlan! erwekke dich,
Lobe diesen mächtgen König, diesen Guten, inniglich.
Ruhe! denn es wäre ja nicht erlaubet mehr zu sorgen,
Und der Zwek der Prüfungen ist dir selber unverborgen:
Die in unsre treue Liebe sinkende Gelassenheit
Ist die Absicht unsers Königs und des Raths der Ewigkeit.
Schwester! wirf dann hinter dich, zum Beschluß der dreißig Jahre,
Alles, was dahinten ist, und zum Ziel der Freyheit fahre,
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Und der König, dem wir dienen, rufe dir nach Seiner Treu
Und nach meinem Wunsch entgegen: Sieh! ich mache alles neu.
Dieses neue Lebens-Jahr stelle dich mit neuen Kräften
Deinem ganzen Hause dar zu den stärksten Lichts-Geschäften,
Daß du unsers Herrn Gewerbe treibest in und ausser dir,
Und dem grossen Chor der Schwestern, als ein Stern-Licht, leuchtest für.
Welch ein unvergleichlich Lob wird durch alle Reigen dringen,
Wenn sie ihres Meisters Ruhm über deinem Preis besingen!
Und wie groß wird deine Freude bey der Ueberlegung seyn,
Einer also hochbegnadigt-Apostolischen Gemein!
Wachs in tausend tausendmal, denn du bist ja unsre Schwester,
Siege deinen Feinden ob, wie die dran gewagte Esther:
Weil die Schwester-Liebe brennet, o! so brich hervor in Kraft,
Weil dir Thor und Thüren offen, zeuge, was das Beugen schafft.
Ich gesteh es öffentlich, daß ich in der Creutz-Gemeine
Gerne als die Niedrigste vor des Leibes Haupt erscheine,
Daß mir Leut und Land beherrschen lange nicht so nöthig thut,
Als der Gnaden-Zucht gehorchen in dem Kirchlein Herrenhut.
Darum will ich Muth und Sinn, Volk des Herrn! mit dir verbinden,
Meine Wollust ewiglich in der Liebes-Art zu finden,
Die sich selbst voran verleugnet, ihre Schätze, ihr Gerücht,
Ihr Gemächlichseyn und alles: aber nur die Brüder nicht.
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Schwester, wann uns vor dem Thron, nach vollbrachten Thränen-Saaten,
Alle Welt gestehen muß, daß uns unsre Saat gerathen;
O! wie will ich dich umhalsen, und die Schwestern und den Herrn.
Itzo laßt uns Schmach und Lasten tragen; und von Herzen gern.

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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Teutsche Gedichte. 95. Auf eben denselben. Uebersetzung eines Schreibens. 95. Auf eben denselben. Uebersetzung eines Schreibens. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-BA9E-3