[329] Schertz-Gedichte
An einen guten Freund / worinnen ihm gewisser Personen Avanturen berichtet wurden

Ich werffe vor Verdruß die Feder aus den Händen,
Der Hippocrenen Naß fließt nicht in meinen Kiel;
Mein Phoebus will mir nicht sein Flügel-Pferd mehr senden,
Und Clio flieht vor mir, da ich was dichten will.
Tret ich zum Helicon, so will man mich nicht kennen,
Der Pierinnen Schaar schielt mich recht flämisch an.
Drum möcht ich mir den Kopff an Thür und Wände rennen,
Dieweil ich meinen Zweck gar nicht erreichen kan.
Doch dieser Unfall soll mich nicht im Vorsatz stöhren,
Ich schreibe, Werther, dir was dir zu schreiben ist.
Kanst du gleich hier kein Lied, das nette klinget, hören,
So wisse, daß du doch nicht hier vergeßen bist.
[330]
Das arme N-- kan dich würcklich nicht vergessen,
Dein Abschied fiel ihr hart und mehr als allzu schwer.
Du bist in ihrer Gunst noch völlig angesessen,
Und steigst von Tag zu Tag noch immer mehr und mehr.
Von der N-- und ihren lieben ---
Sagt man, daß beyderseits gar lose Schälcke seynd.
Die Lamperts-Nüße sind nicht rar und auch nicht theuer,
Du bist von selbigen, ich weiß, ein guter Freund;
Doch desto rarer sind die schönen Apricosen,
Und Pfirschen find man fast in keinen Garten nicht.
Wiewohl, was nutzen dir dergleichen tolle Chosen?
Hör an, was ietzger Zeit pour passer le tems geschicht.
Man schoß den Vogel ab auf der bekanten Wiese,
Der Anmuth Sammel-Platz, wo man sich lustig macht,
Und als man nach der Lust zum Abzug wieder bließe,
So war der Königs-Schuß Herr N-- zugedacht.
Kennst du ihn von Person, ist mirs um desto lieber,
Ist er dir unbekant, so gräm ich mich nicht todt;
Deswegen wird vielleicht das Firmament nicht trüber,
Es speiset doch darum kein Croesus eitel Brodt.
[331]
Was sich zuletzt begab, vor ungefähr 6. Tagen,
Das fällt mit ohnverhofft bey meinen Schreiben ein,
Es ließ Orontes mir gantz im Vertrauen sagen,
Den Montag würde wohl noch das Gebuhrts-Fest seyn;
Drum solt ich mich fein schön auf Reim und Wünsche schicken.
So gleich nahm ich darauf die Leyer in die Hand,
Die Reime musten mir nach Hertzens-Wunsch gelücken,
Nach einer Stunde Zeit war alles in den Stand.
Die Verse hätt ich dir wohl wollen übersenden;
Allein ich wag es nicht, erführ es N-- Hauß,
Und kämen selbige dir ungefähr von Händen,
So löschte Huld und Gunst, wie Marthens Lämpgen, aus.
Doch wann du schwören wilst, so will ichs endlich wagen,
Es weiß es B-- und auch das S-- nicht,
Und würden sie mich auch um diesen Spaß befragen,
So wär ich in der Noth zum leugnen abgericht.
Indeß wirst du den Mund, wie sichs gehört, versiegeln,
Damit demselbigen kein Wort entfahren kan.
[332]
Man muß par Politic die Lippen offt verriegeln,
Es kömmt in diesen Punct auf dein Versprechen an.
Die N-- läst sich heut zum Hochzeit-Feste läuten,
Herr N-- zieht mit ihr recht triumphirend ein.
Er hat mehr als zu viel bishero müssen streiten,
Weil in dem Seculo so viel Rivale seyn.
Potz Stern! Ich hätte bald das nöthigste vergessen:
Man sagt, daß --- der eine Zeit daher
Mit seinem Noten-Volck in -- hat gesessen,
Der Musicorum Haupt allhier geworden wär.
Die Ursach, daß ich dir so lange nicht geschrieben,
Ist diese, weil ich nächst mit meinen Finger bin
An einen scharffen Schloß erbärmlich hangen blieben,
Drum fiel mir aller Muth und Krafft zum Dichten hin.
Nun aber ist der Schmertz und alle Pein vergangen,
Und meine Muse singt aus ihren vorgen Thon.
Dein angenehmer Brief hat mir das Hertz gefangen;
O! schreib in Versen stets, geschickter Musen-Sohn!
Indessen werdet ihr die liebsten Eltern grüssen,
Die Mutter meinerseits macht auch ihr Compliment.
Ich muß vor diesesmal so Sylb als Reime schliessen,
Ein Schelm, ders anders meynt, als man ihn jetzo kennt.

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TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Versuch in gebundener Schreib-Art. Schertz- und Satyrische Gedichte. Schertz-Gedichte an einen guten Freund [1]. Schertz-Gedichte an einen guten Freund [1]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B2AC-7