[245] Betrachtung des Zeitlichen gegen dem Ewigen

Was Freude werden wir in Zion einst besitzen?
Daselbst wird keine Noth auf unsre Scheitel blitzen,
Der Kummer-Faden wird so dann gerissen seyn,
Der Auserwehlten Schaar weiß nichts von Schmertz und Pein.
Bedenckt es, Sterblichen, was ist das Rund der Erden?
Ein grosses Hospital, ein Zeughauß der Beschwerden,
Ein Paradieß, das zwar schön in die Augen fällt,
Das aber auch zugleich viel Schlangen in sich hält.
Dort aber wohnet man in sichern Friedens-Häusern,
Statt Dörnern tragen wir uns nur mit Palmen-Reisern,
Kein Joch beschwert den Halß, die Steine fallen ab,
Aus diesen haut man uns im Sterben unser Grab.
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Da kan der morsche Leib still und geruhig schlafen,
Und unsre Seele kommt in den gewünschten Hafen,
Die auf dem wilden Meer der Erden, mit Verdruß,
Bey Stürmen hin und her beständig kreutzen muß.
Wer wolte wohl daher der Welt den Vorzug gönnen.
Da wir in stoltzer Ruh dereinst dort leben können.
Flieht, blinde Menschen, doch den Tand der Eitelkeit,
Die Freude dauret nur auf eine kurtze Zeit.
Wer sich im Zauber-Glaß der Welt so sehr bespiegelt,
Dem wird in Salem einst so Thür als Thor verriegelt.
Vergafft euch nicht so sehr im Scharlach dieser Welt,
Weil selbiger doch nicht beständig Farbe hält.
Wen heut das Glücke küst, dem wirfft es morgen nieder,
Der ihm im Schoose saß, singt jetzo Klage-Lieder;
Wer früh sich starck befind, der liegt offt Abends kranck,
Ihr hofft auf Fried und Ruh, und findet Streit und Zanck.
Der heute Freundschafft macht, will morgen wieder brechen,
Und sich durch Spott und Hohn an uns gewaltig rächen.
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Die Heucheley der Welt und Falschheit ist zu groß,
Auch in der Freundlichkeit fühlt man offt Joabs Stoß.
Wohl euch! die ihr der Welt den Scheide-Brief bald gebet,
Und nicht den Schnecken gleich an Kedars Hütten klebet,
Der Tausch gereut euch nicht, den ihr beglückt gethan,
Ihr trefft in Sion dort was unvergänglichs an.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Versuch in gebundener Schreib-Art. Andächtige Gedichte. Betrachtung des Zeitlichen gegen dem Ewigen. Betrachtung des Zeitlichen gegen dem Ewigen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B105-3