[12] Das erste Buch.

Die (1) Einteilung.


Israel war nunmehr ohne Heupt. Fürst Abdon /der Eilfte / der Friedfärtige / war hin. Er hatte sich zu seinen Vätern versamlet. Sein Richtstuhl stund öde. Das Volk Gottes lebete zaumloß. Ein ieder täht / was ihn lüstete. Die Boßheit nahm oberhand. Die Uberträhtungen heuffeten sich / und mit ihnen die Strafen.

(2) Bisher hatte der Himmel das Land besäliget. Alles stund in vollem Frieden. Iederman saß in Ruhe. Es war überal Stille. Aber aus diesem Frieden keumete die Wohllust auf. Diese Ruhe machte das Volk wohltägisch / und lüstern zur Uppigkeit. Diese Stille war ihm ein Lokaß zum Bösen / eine Körnung zum Laster. So schläget auch das Guhte selbst / durch Misbrauch / oftmahls zum übelsten aus.

(3) Zu gar zu guhten und friedlichen Tagen gehören starke Schultern. Wan diese schwach seind / vermögen sie jene nicht zu tragen. Auch machet alzuviel Ruhe faul und träge zur Tugend: die unter solchen Faulbetten anfaulet / wo sie nicht gar erstikket. Ja die Stätigkeit der Stille bringet Feulnis des Geblühtes /und diese die Schlafsucht des Gemühtes.

(4) Ich wil sagen: Müßiggang würkt aller Tugenden Untergang. Daher ist er auch aller Untugenden Anfang. Durch ihn werden die Muhtigsten Muht- / die Mächtigsten Macht-loß. Durch ihn erschlappen die Schultern / erschwachen die Kräfte. Durch ihn gerahten die stärksten Stahtswesen zum Falle. Dagegen stehet ein Staht / dessen Volk in stäter Arbeit bleibet /üm so viel fester.

[13] (5) Darüm warden auch wider den Müßiggang von den weisen Alten so scharfe Stahtssatzungen gestiftet. Solon erkennete die Müßiggänger zum höchsten strafbahr. Drako sprach ihnen den Kopf ab. Die Sardischen Gesetze befahlen sie schweerlich zu strafen / und forderten von allen Einwohnern /ihrer Arbeit / Nahrung / und ihres gantzen Lebens gar genaue Rechnung. Die Atehner verurteilten den Müßiggang / als ein großes Verbrächen. Die Nabateer belegten die Faulentzer / und die ihr Väterliches Erbguht verminderten / mit harter Strafe.

(6) Der Lukaner Satzung wider das Faulentzen ging auch so weit / daß sie dieselben / die den Müßiggängern und Bauchdienern etwas geliehen / des Geliehenen verlustig machten. Die Massilier jagten die Faulen Hummeln / die dem Stahte / durch Faulheit und Bätteln / überlästig fielen / aus dem Lande. Keiser Wentzel / und Romahn der Jüngere warden / ihres faulen und wohllüstigen Lebens wegen / von den Röhmischen Reichsständen beide des Keisertuhms beraubet. Was viel andere mehr / dieses so schädliche Laster abzuschaffen / löblich gestiftet / ist aus den alten Geschicht-schriften bekant.

(7) Wie nun dem Müßiggange die Sünde folget; so folget der Sünde Gottes Zorn / und diesem die Strafe. Kaum iemahls / ja wohl gar nie ist eines ohne das andere. Eine solche dreigliedrige unzertrenliche Kette befesselte das Volk an Händen und Beinen. Ein solcher dreifältig verknüpfter Zweifelsknohte hing überIsraels Heupte. Ein solches dreifache schädliche Kleeblat wuchs in seinem Garten. Dieses war der rechte dreiköpfichte Höllenhund / der aus dem Abgrunde selbst hervor zu springen schien / das sichere Volk zu verschlingen.

(8) Nichts in der Welt ist leichter / als Sündigen: nichts auch schweerer / als From-sein. Wie schweerlich ahrtet der Mensch zum Guhten! Wie leichtlich neugt er sich zum Bösen! Wir alle wallen im Argen. Kaum einer / wo nicht gar keiner / tüget zur Tugend. Wir seind alzumahl Untüchtig; allezeit lüstern zu Lastern. Es ist keiner / der Guhtes tuht / auch nicht einer.

(9) Durch vielerlei Sünden sonderten sich Israels Kinder von ihrem Schöpfer: der sich doch mit ihnen verlobet / verbunden / [14] vertrauet in Ewigkeit. Sie erzürneten Gott / ihr höchstes Guht / durch so viel Böses: doch allermeist durch Abgötterei. An ihres Gottes stat ehreten sie fremde Götzen. Mit denen buhleten sie / an stat / daß sie Gott lieben solten. Und hierdurch vertieften sie sich in der abscheulichen Huhrerischen / ja selbst Ehbrächerischen Todsünde.

(10) Darüm übergab Er sie auch in die Hände der Unbeschnittenen. Darüm lies Er sie / unter dem eisernen Joche der Filister / in schmählicher Dienstbarkeit der Heiden / wohl genug zappelen Und dieser Zorn währete wohl vierzig Jahr. Das war eine lange Zeit / eine bange Last / ein garzulangwieriges Unwetter / nach einer so kurtzen gühtigen Stille.

(11) Gleichwohl ie grösser die Noht / ie näher war Gott. Er entzog ihnen seine Gnade nie. Er verbarg sie nur ein wenig hinter der Zornruhte. Hinter diesem abscheulichen Strobelsterne flinkerte der erfreuliche Stern seiner Gühte noch immerzu. Seine Liebe war zu brünstig / zu mächtig. Ihre Flammen stritten mit den Flammen seines Zornes / und trugen den Sieg darvon. So schlug die Liebe den Zorn aus dem Felde / daß er weichen / ja fast gar verschwinden muste.

(12) Kaum hatte Gott angefangen zu strafen / da empfand Er schon Reue. Da brach das Mitleiden sein Vaterhertz. Da gab Er ihnen schon einen Heiland /einen Erlöser. Diesen hatte Er längst zuvor / eh er im Mutterleibe empfangen ward / ihnen zum Fürsten erkohren / zum Retter ihres Heiles bestimmet: dessen Gebuhrt auch eben itzund / in der Fülle der Zeit / ein Engel verkündigen muste. Ja dieser war es / von dem / als ihrem Herzoge / als ihrem Richter / als ihrem Kriegs- und Sieges-Helden / ja als der Sonne selbst ihres Heiles / die aus Dans Nachkommen hervorbrächen solte / dieser ihr nunmehr sterbender Vater schon lange vorher / in seinem letzten Segen / seinen Kindern geweissaget.

(13) Auch blühete fürwahr / mitten in der grössesten Angst / die Zeit ihres Heiles / ihrer Erlösung. Ja sie stund schon in voller Blühte / und begunte nunmehr zu zeitigen / als Simson Danssohn /vom Geiste des HERREN getrieben / Lust bekahm der Filister Land und Landesweise zu besichtigen.

[15] (14) Tugend kennet keinen Haustrümmel. In der Fremde sich ümsehen schärfet die Sinne / leutert den Verstand / bringet Erfahrung. Tapfere Geister können nicht lange hinter dem Ofen tauren. Fort und fort bei der Mutter zu faulentzen ist ihr grössester Verdrus. Stähts zu Hause zu liegen / ist schändlich / wo nicht schädlich. Sie laßen sich nicht einsperren. Sie trachten immer nach frischer Luft. Das Ausheimische Leben ist ihr Wohlleben. Da samlen sie / gleich den Bienen /das Beste / das Edleste zu ihrer Speise. Hierdurch werden ihre Sinne mit Klugheit / ihr Gemüht mit Weisheit gesättiget. Hierdurch nehmen sie zu an Tugend. Hierdurch wächset ihr Muht; sofern die Einsamlung behuhtsam geschiehet.

(15) Dieses alles wuste Simson sehr wohl. Darüm verlangte er nach solcher Reise. Darüm gedachte er auch in die Welt hinaus. Darüm wolte er sich auch in der Fremde versuchen. Sein Vaterland ward ihm zu änge. Sein Zarea allein konte ihn nicht vergnügen. Der Verzährtelung seiner Mutter / der Verhähtschelung seiner Eltern war er entwachsen; ja selbst auch ihrem Zwange.

(16) Bisher hatte er seiner Jugend / ja selbst auch seiner Tugend erste Versuchstüklein im Dannischen Läger blikken laßen. Aber nunmehr war zwischen Zarea und Estaol nicht raumes genug seine Tapferkeit / die mänlich zu werden begunte / zu üben. Sein Sin stund ihm viel weiter hinaus. In so genauen Schranken wuste sich sein Muht nicht länger zu halten.

(17) Also urteilen wir von Simsons Beginnen. Mit solchen Gedanken denken wir an seine beschlossene Reise: wiewohl das Göttliche Verhängnis hierinnen ein gantz anderes Ziel gehabt zu haben scheinet. Ja ich darf wohl sagen / daß ihn Gott selbsten fortgezogen / durch ihn auszuführen / was Er / in seinem Rahte / den Israelern zum Heile / beschlossen.

(18) Gott handelt nie ohne Mittel. Simson solte derselbe sein / durch den Er sein Volk zu erlösen bestimmet. Danssohn solte die Schmaach des gantzen Israelischen Volks an den Filistern rächen. Und hierzu zeigete die Hand Gottes ihm selbsten den Weg. Ja sie führete ihn dahin / da er [16] Anlaß bekommen solte die Filister zu befeden. Ich wil mehr sagen: sie selbsten solten ihm Uhrsache geben zu solcher Rache; damit alles richtig zuginge: damit ihn niemand einer unrechtfärtigen Gewalttaht beschuldigen möchte.

(19) Der Himmel begunte kaum zu grauen: kaum hatte die Morgendömmerung das Scheidezeichen zwischen Nacht und Tag gemachet / als Simson sich schon auf die Wanderschaft begab. So begierig war er dasselbe Land zu sehen / dessen Volk seinem Volke die Herschaft gewalttähtig abgezwungen. Ja er eilte dermaßen / daß ihn die Zareer schon aus dem Gesichte verlohren / als sie das erste Morgenroht hinter ihm herschimmern sahen.

(20) Zu Timnat war eben ein Kreustag. Da versamleten sich die fünf Kreuse des Filisterlandes. Alda berahtschlagten sich ihre fünf Kreus-Fürsten über den Staht. Hierher gedachte Simson. Hiernachzu gieng seine Reise. Kaum war er in dieser Stadt angelanget / als ihn schon nicht weis ich was für ein Blitz bestrahlete. Indem er die Augen bald hier-bald dorthin drehete / die Ahrt und Tracht der Bürger / zusamt dem Baue der Heuser / zu beschauen / sties ihnen / unter dem Filistischen Frauenzimmer / eine hertzentzükkende Schönheit auf.

(21) Timnat heisset ein Bild. Warüm nicht lieber eine Stadt des Bildes / oder noch lieber eine Stadt der Bilder? Dis war auch der volle Nahme; dessen Grundteil / das die flüchtige Zunge verschwieg / unter dem Nebenteile solte verstanden werden. Vielleicht daher: weil darinnen viel Götzenbilder auf Heidnische weise verehret warden. Und also bedeutete Timnat eigendlicheine Götzenstadt. Aber es scheinet / ausSimsons Begäbnis / daß sie vielmehr von der Mänge der schönen Bilder / oder Frauenbilder / damit sie vor andern Städten gepranget und geprahlet / diesen Nahmen bekommen.

(22) Ein solches Frauenbild war es / das Simson unter dem Timnattischen Frauenzimmer erblikte. Straks auf den ersten Anblik dieser Schönheit / folgeten so viel tieffe Hertzwunden / als sie Strahlen / oder vielmehr Pfeile aus ihren allerschönsten [17] [19]Augen auf ihn zuschos. Mit diesen blikkenden oder vielmehr blitzenden Strahlen vereinbahrten sich seiner Augen Blikke dermaßen / daß sie / mit einer heftigen Entzündung / in ihre Höhlen zurükpralleten: welche von stunden an das schädliche Feuer / das sie empfangen /den innersten Schlaufwinkeln der Seele mitteileten.

(23) Eben ein solches Feuer der Liebe zündete die Schönheit der Hebe / der Omfale / der Jole / in des großen Heldens Herkules / die Liebligkeit der Briseis in des Achilles / die Anmuhtigkeit der Andromede in des Perseus großmühtigen Seelen an. Warüm wolte man sich dan über unsern Simson / den Israelischen Herkules / verwundern / daß er seinen Augen verhänget sich an einer Filistischen Schönheit dergestalt zu vergaffen / daß er sich / straks im ersten Anblikke / seiner gantzen Sinligkeit verlustig befunden?

(24) Sobald dem Gesichte der Zügel gelaßen wird /verlieret ihn die Vernunft über unsern Gemühtstrieb. Dieser leuft dan / wie ein Schif ohne Steuerman / ungesteuert und zaumloß fort. Ja er reisset / als ein durchgebrochner Strohm / ungezeumt und ungeziemt über alle Schranken der Mäßigkeit hin. Als Simson seinen Augen verhing die bezauberenden Blikke gemeldter Schönheit einzusaugen; da verlohr er seinen Geleitsman. Die Vernunft verlies ihn. Seine Hertztriften spieleten meister. Sein Gemühtstrieb stund nicht zu bändigen. Er ris ihn / wie ein Zaum-und Gebis-loser Hängst seinen Reiter / über Stok und Pflok fort. Und hiermit war es üm seine Freiheit getahn.

(25) Mit einem Worte: Simson ward verliebt. Sein Hertz brante für Liebe. Und diese Liebesbrunst erwekte den Durst / den Hunger / die Begierde / ja das ungestühme Verlangen des Lieblichen / des Schönen unverzüglich zu geniessen. Es mochte nun sein / was es wolte / das seine so heftige Liebesbrunst gebahr; so war doch dieses gewis / daß er dadurch unaussprächliche Schmertzen empfand. Der Anblik des Schönen /der Wiederblik oder die Wiederstrahlung desselben /und das Verlangen darnach / seind drei Kettenglieder / daraus dieselbe Liebeskette sich schmiedet / die unsere Freiheit befesselt / die [19] Tühre der Vernunft verkettelt / und uns selbst an den Stok der unaufhörlichen Leibeigenschaft anschlüßet.

(26) Simson in diese dreifache Fessel geschlagen / mit diesem dreifachen Liebesstrükke verstrükket / war gantz unleidlich über der Ungestühmigkeit seiner Gemühtsregung. Die Schmertzen / die sie ihm erregte / waren ihm unerträglich. Der kleineste Verzug fiel ihm zu groß / zu lang / zu schweer. Gleichwohl war es der Billigkeit gemäß wieder nach Hause zu kehren. Gleichwohl erforderte die Kindespflicht seinen Eltern sein Vorhaben / eh er weiter fortführe / zuvörderst vorzutragen.

(27) Diese Wiederkehr wolte zwar ihn viel zu lang deuchten. Dieser Vortrag schien ihm die Beförderung seines Glüks auf die Harrebank zu schüben. Aber was sein muste / das muste sein. Der Nohtzwang trieb ihn nach Hause. Und also begab er sich auf die Rükreise: wiewohl mit langsamen und zauderhaftigen Schritten; indem das stähtige Andenken seiner Liebsten seinen Gang kräbsgängig zu machen schien.

(28) Kaum war er in seine Väterliche Behausung eingeträhten: kaum hatte er auszuruhen sich niedergelaßen; da fing er schon an Vater und Mutter seinen Willen zu eröfnen / mehr ihre Wilfahrung / als Beirähtigkeit / einzuhohlen. Und solches täht er /durch folgende Rede.

(29) »Das Leben ohne Lieben ist kein Leben. Des Lebens Laabnis / ja selbst Erhaltnis ist die Liebe. Wan diese aufhöret / höret auch das Leben auf: eben wie sie nicht ist / wo kein Leben ist. So nahe seind Leben / und Lieben einander verwant / daß keines ohne das andere so schweerlich sein kan.

(30) Darüm lebet auch warlich kein Mensch / der nicht liebet. Ja / was mehr ist / die Liebe herschet überal. Unter ihrer Bohtmässigkeit stehet der Himmel so wohl / als die Erde / mit allem / was sie begreiffen. Sie erweiset ihre Kraft / was die Erde betrift / nicht nur in den Beseelten Vernünftigen / und Unvernünftigen / sondern auch selbst in den eigendlich Unbeseelten bloß allein wachsenden Weltgeschöpfen.

(31) Der Weinstok ümarmet ja / aus Liebe / den Ulmbaum. Der Magneht oder Liebesstein ziehet / aus Liebe / das Eisen an [20] sich. Aus Liebe gatten sich alle Tiere / die den Erdbodem beträhten / oder bekriechen. Aus Liebe paaren sich die Vogel der Luft / und alle Fische / die in den Wassern schwimmen. Ja selbst der Salmander / der im Feuer lebet / kennet die Liebe: ohne die sein Geschlächt aussterben würde.

(32) Im Himmel ist zuvörderst alles der Liebe vol. Alda befindet sich unter den Engeln ein lauteres ewiges Liebeleben. Alda seind alle Heiligen Gottes erfüllet mit Liebe. Ja alle Himmelsgeschöpfe bestehen aus Liebe / und gehen mit Liebe den Irdischen vor. Vom ungeschaffenen dreieinigem Gotte / der aller Dinge Schöpfer / ja die Liebe selbst ist / wil ich nicht einmahl sagen.

(33) Was für ein Wunder ist es dan / daß Ich liebe? weil alle lebendige Geschöpfe / sobald sie zu leben /auch zu lieben beginnen. Meiner Großmühtigkeit /damit der Himmel mich begabet / ist es keines weges verkleinerlich: auch gereicht es meiner übermenschlichen Stärke zu keiner Verschwächerung / daß ich die Bande der Liebe trage. Die tapfersten Helden / die stärkesten Riesen seind so wenig / als die allerverzagtesten Menschen / und allerschwächesten Zwärglein /von so süßen Empfindligkeiten der Liebe befreiet.

(34) Der Anblik einer gantz sonderbahren Schönheit unter den Timnattischen Töchtern hat mich / in der Liebeschuhle das erste Schuhlrecht abzustatten /gereitzet / ich wil nicht sagen verleitet. Die Augen /als Fenster zum Hertzen / konten sich nicht entziehen ihre so helfunklende Strahlen / mein Hertz zu entzünden / einzulaßen. Diese Brunst nahm dermaßen oberhand / daß ich / imfal sie mir / mit dem Hertzen / auch die Behertztheit meines Gemühtes entzogen / so lange nicht warten können üm die Besitzung derselben / die mich verliebt machte / zu wärben.

(35) Eine Kriegsmacht von viel tausend Filistern und eben so viel tausend Enakskindern darzu were nicht mächtig genug gewesen mich zu verhindern / sie / durch die Stärke dieser Faust / ihnen angesichts zu entwältigen. Ich versichere Euch / sie solte in diesen meinen Armen schon liegen. Aber ich hatte / wiewohl ich sonst selbst überwunden [21] war /dannoch alhier nicht vergessen den Treiber meiner Sinne zu überwinden. Und diesen Treiber / wie ungestühm er war / trieb ich gleichwohl so lange zurük /bis Ihr Euch / zur Belohnung dieses Sieges / üm die Besitzung der schönen Timnatterin mir zum besten bemühet.

(36) Hierzu / hoffe ich / werdet Ihr nicht ungeneugt sein. Ja ich versichere mich schon erlangt zu haben /was ich verlange. Ich hoffe / ja ich gleube / Ihr werdet dieses Verlangen / durch Vereinbahrung eures Willens mit meinem Willen / zu billigen kein Bedenken tragen. Mich dünkt / ich vernehme schon die Glükswünsche / die Ihr mir zurufen werdet / in meinen Ohren. Mich deuchtet / ich höre schon das Frohlokken meiner Mutter über ihre kurtzkünftige Tochter.«

(37) Auf ein so kühnes Ansuchen / oder vielmehr Anmuhten / dessen sich niemand vermuhtet hatte /wuste der halbbestürtzte Vater sich eine guhte Zeit zu keiner Antwort zu entschlüßen. Er stund / als entzükt. Bald schlug er die Augen nieder. Bald erhub er sie wieder. Er schüttelte das hängende Heupt. Zuweilen täht er den Mund auf / als wan er reden wolte. Doch vernahm man von ihm anders keine / als die stumme Rede seiner Gebährden; damit er die Traurigkeit seines Hertzens vernähmlich genug andeutete. Endlich aber lies er seinen Bescheid / indessen die Mutter /mit lauten Trähnen / ihr Misfallen über des Sohnes Vorsatz bezeugete / folgender gestalt aus.

(38) »Deine Liebe / mein Sohn« / sagte der Alte /»tadeln wir gantz nicht. Auch trachten wir keines weges von der Liebe dich abzuhalten. Vielmehr ist es uns lieb / daß du liebest. Du bist unser einiges Kind /unser einiger Sohn / unser einiger Erbe. Solten wir dan darüm nicht lieber wünschen / daß du liebetest /daß du dich beweibetest / als daß du lieb- und eh-loß dahin lebetest? Ach ja! mein Sohn / wir wünschen nichts lieber / als deine Liebe: vermittelst derer wir dich in den Ehstand versetzet / und mit Kindern gesegnet sehen möchten: damit unser Geschlächt vermehret / und für seinem Untergange bewahret würde.

(39) Aber wir wünschen auch hierbei / daß deine Liebe so [22] geziemt / als ungezeumt sie aus der Spuhr schreitet / sein möchte. Ich wil sagen / daß sie so wohl die Vernunft / als deinen verkehrten Willen / zur Führerin hette. Wer die Vernunft höret / wird nie betöhret. Diese mus auch in Menschlichen Dingen /wie in Göttlichen der Glaube / den Ausschlag haben. Beide müssen / jene dort / dieser hier / das meiste gelten. Mit diesen zwo Leuchten wandelt der Mensch /auch mitten in der Nacht / ohne stulpern / über alles hulprige hin. Wan er aber seines Gemühtes unbesonnenem Triebe folget; dan stößet er / selbst auf ebenen Wegen / und im klähresten Mittage / überal an / ja fället wohl gar zu bodem.

(40) Fehlet es dan deinem Geschlächte an Jungfrauen? Mangelt es unter allen Stämmen Israels an Weibsbildern? und gebricht es diesen an Geschikligkeit? Ist dan keine Schönheit unter allen Töchtern dieses gantzen Volks / die dir gefalle? Ist dan das Volk Gottes so unglüklich / daß unter allen desselben Eingebohrnen nicht eine zu finden / die so liebsälig / so holdreich were / als eben diese Heidin / die du zum Ziele deiner Liebe erkohren? Mustdu dir dan eben unter den Unbeschnittenen eine Braut suchen; unter den Filistern / unsern Todfeinden / ein Ehgemahl wehlen?

(41) Ich versichere dich / daß alhier bei uns eben so fürtrefliche Schönheiten vorhanden / als dort. Ja ich darf wohl wetten / daß unser Frauenzimmer an Hold-und Leut-säligkeit das Timnattische weit übertrift: zumahl wan man die innerliche Gemühtsschönheit betrachtet; welche bei dem Heidnischen sehr selten / oder kaum / ja wohl gar nicht zu finden.

(42) Ich und deine Mutter / mit allen deinen Freunden / ja mit deinem gantzen Volke / ziehen es uns für einen Schimpf an / daß du unsern Töchtern eine Fremde / ja selbst eine Feindin unsers Volks / und unsers Gottesdienstes vorziehest. Deine zaumlose Leidenschaft können wir mit nichten guht heissen. Dein ungeziemtes Verlangen / die Besitzung einer Filisterin zu erlangen / können wir keines weges billigen / und noch viel weniger darein willigen.

(43) Wan wir zuliessen / daß unser Sohn eine Götzendienerin heurrahtete; were es nicht eben so viel /als wolten wir ihm [23] verhängen zugleich ein Götzendiener zu werden? Dieses sei ferne von uns! Da bewahre uns Gott für! Unser Gesetz rahtet / ja ziehet uns von solcher so gar schädlichen Einwilligung ab.

(44) Zudem wan es ie geschehen solte / welches wir doch nimmermehr hoffen wollen / daß du diese Filisterin ehligtest / und / durch dieses Mittel /dich mit den Filistern / derer Joch uns drükket /befreundetest; so würden wir das feste Vertrauen / das wir haben / von diesem Joche / durch Dich / erlöset zu werden / verlieren. Ja Gott selbst würde Dich / den Er sonst uns zu unsrem Erlöser erkohren / alsdan verwerfen / und dieses Heilwerk durch, einen solchen / der sich einer Heidin / einer Gottesverächterin Liebe so schändlich betöhren laßen / nicht ausführen wollen. Darüm / mein Sohn / lenke dich zu besseren Gedanken. Begehe diese Tohrheit nicht. Siehe wohl zu / was du tuhst.«

(45) Manoah / so hies Simsons Vater /wolte weiter reden: aber der Sohn fing ihm das Wort auf / und fuhr / halberzürnet / folgender gestalt fort. »Freilich seh' ich wohl zu / was ich tuhe. Ich habe mir / mitten unter den Feinden / eine Braut erkohren. Ich habe sie aus den Götzendienern erlesen / oder vielmehr zu erlösen im Sinne. Was schadet nun diese Wahl? Was hindert dieser Vorsatz? Ich sage vielmehr / daß es uns frommen kan. Ja es wird uns frommen: das solt ihr bald erfahren.

(46) War es dem Egiptischen Schaltkönige Josef / dem Sohne Jakobs oder Israels / unsers algemeinen Stamvaters / zuläslich / daß er eine Egipterin / eine Heidin / und gar eine geweihete Götzendienerin / ja selbst eines Obersten der Egiptischen Götzenpfaffen Tochter heurrahten mochte; warüm solte mir es verarget werden eine Filisterin / die zwar auch eine Heidin / und Götzendienerin / aber keine Geweihete / noch eines Götzenpfaffen Tochter ist / zu meiner Braut zu wehlen? Wan derselbe / den man nachmahls selbst unter die absonderlichen Stamväter der Kinder Israels / des Volkes Gottes / gerechnet / solches tuhn dürfen; warüm solte dan mir / der ich nur ein Absprösling solcher absonderlichen Stämme bin / dergleichen zu tuhn verbohten sein; zumahl da der Sache [24] Beschaffenheit auf der Braut Seite / weil sie weniger ärgerlich scheinet / mir mehr Freiheit erleubet?

(47) Ich wil mehr sagen: Scheuete sich Moses /des Volks Israels Gesetzgeber selbst nicht / sich mit der Zipore / einer Araberin / einerMohrin / ja Heidin / und eines Heidnischen Priesters in Midian / des Raguels Jetro Tochter / in Ehgelübnis einzulaßen; so darf auch ich keine scheu tragen mich mit einer Filisterin zu vermählen. Und wan dieser Man Gottes hieran so übel getahn / wie ihr wähnet / daß ich an dieser meiner beschlossenen Heurraht tuhe / so würde Gott seine Schwester Mirjam / weil sie / samt ihrem Bruder dem Aaron / deswegen gemurret / gewislich nicht mit der allerabscheulichsten Seuche des Aussatzes gestrafet / ja ihn selbst nimmermehr zum Führer und Fürsten seines Volkes bestellet haben.

(48) Eine so ausbündige Schönheit / wie diese / die meinen Augen gefället / behält überal den Preis. Der Ruhm bleibet ihr überal. An allen Orten gebühret ihr Ehre. Ja were sie schon mitten in der Hölle; würde doch der Ort ihre Verdienste nicht mindern: indem sie ihre Liebligkeit und Liebenswürdigkeit von ihr selbst / und nicht vom Orte / der sonsten so häslich / so unwährt ist / bekommen.

(49) Mit Vorbedacht tuh' ich / was ich tuhe. Dan so lange dieser so währte / so liebe Schatz in den Händen unserer Feinde bleibet / können sie anders nicht /als währt und lieb gehalten werden. Wie kan auch ich zum Heilande / zum Erlöser des gantzen Israels gebohren zu sein / ja zum Verderben eines solchen Volks / das uns drükket / erkohren zu sein gesagt werden / so lange sich unter demselben eine so anbähtenswürdige Schönheit befindet? Ja wie solte ich eine Stadt / darinnen sie sich aufhält / oder einen Feind / der die Ehre hat sie zu besitzen / indem ich ihrentwegen aufhören müste sein Feind zu sein / beleidigen können? Ich würde gewislich mir einbilden /imfal ich solches tähte / das Laster eines beleidigten Heiligtuhms / das einer Gottheit geheiliget / begangen zu haben.

(50) Hingegen würden die Filister / sobald sie ihrer Gegenwart [25] solten beraubet sein / in der Taht erfahren / daß ich ihr Feind worden. Und darüm verziehet nicht länger / durch eure Bewilligung / unsern Feinden ihre Verheerung über den Hals zu ziehen: damit wir an unsern Hälsen ihr eisenhartes Joch /durch ihr Bluht / ie eher / ie lieber durchweichet / ja gar zerschmoltzen sehen mögen.«

(51) Der alte Manoah hatte / unter seines Sohnes Wiederantwort / zwar unterschiedliche Gegenwürfe mehr ersonnen / in Hofhung / ihn endlich einmahl zur Beobachtung seiner Pflicht zu bewegen. Aber er begunte kaum zu reden: ja er hatte hierzu den Mund kaum eröfnet / als Simson seine Rede schon unterbrach. Und solches täht er mit folgenden Worten.

(52) »Mein Schlus« / sprach er / »ist unveränderlich. Unbeweglich bleibet mein Sin. Mein Wille stehet fest. Meine Worte dringen auf meines Verlangens Volziehung. Ich wil / ja ich mus vergnüget sein. Ich wil rundaus dieselbe besitzen / die sich meinen Augen so angenehm / so wohlgefällig gemacht.«

(53) Mit hiesigen Worten trafen die Gebährden zu; und mit den Gebährden die Stimme. Aus deren hart-erhobenem Klange konte man die Hartnäkkigkeit seiner Entschlüßung unschweer errahten. Eben dasselbe gab er auch / mit seinen starren Augen / und übersich geruntzelter Stirne / zu verstehen. Zu diesem kahm die Veränderung der Farbe / des Ganges / des Standes / ja der gantzen Leibesgestalt / die mehr einen trotzigen und tolkühnen Muht / als ein verliebtes Hertz andeutete.

(54) Aus solchen so unfehlbahren Zeichen eines gewalttähtigen Willens / war die Rechnung leichtlich zu machen / daß des Vaters Beredungen nichts verfangen würden. Manoah märkete nun sehr wol /daß seines Sohnes Wahl bloß eine Würkung der Sinligkeit sei; die das Wohlgefallen zur Richtschnuhr erkohren. Er sahe / daß allhier alles nach Beliebung der Augen sich richtete. Wo nun diese allein herschet / da gehet der Verstand auf Steltzen: da fället die Einrede /wie vernünftig sie ist / auf ein steinichtes Land. Da ist es unmüglich / daß sie sich bewurtzele / ja noch unmüglicher / daß sie fruchte.

[26] (55) Hierbei befahrten sich auch Vater und Mutter /wan sie / ihm zu widerstreben / fortführen / eines unglüklichen Ausschlages. Sie fürchteten / es möchte seine Steifsinnigkeit zur Tolsinnigkeit ausbrächen. Sie besorgeten sich / er möchte seiner Faust / die sich auf den gewaltigen Nachdruk seiner Stärke verlies /ungeziemter Weise zu wühten verhängen: oder aber sonst eine unrühmliche Taht verüben.

(56) Einen Starken / in seiner Erboßtheit / durch vieles zörgen / noch erboßter zu machen ist gefährlich. Dan sein Zorn / ie höher er steiget / ie mehr Kraft giebt er seiner Stärke; und schläget endlich wohl gar in eine grimmige Wuht aus: die alsdan /durch die Stärke seines Armes / das Verderben überal säet. Ein solcher lest sich durch nichts aufhalten. Er bricht / ie mehr man ihm zu wehren trachtet / ie gewaltiger durch alles durch. Seine blinde Gemühtstrift lest sich zuweilen / durch einen andern / bei der Richtschnuhr des Urteils / wohl leiten / aber von ihrem Wege nie ableiten.

(57) Bei Erwägung dieser Beschaffenheit / entschloß sich endlich der Vater in seines Sohnes Willen zu willigen: weil er doch wohl sahe / daß die Kraft seiner Bewägnisse wider die Macht der Sinregungen seines Sohnes nichts / ja gar nichts auszurichten vermochte. Und also erhielt Simsons Wille den vollen Sieg über den Willen seiner Eltern: die es sehr schmertzete / daß sie ihrem Sohne / zu seinem verkehrten Willensiege / behülfliche Hand zu leisten sich keines Weges entbrächen können.

(58) Aber es war beiden Eltern noch zur Zeit verhohlen / daß Simsons Wille / durch einen höheren Willen getrieben / gleichsam gezwungen ward sich dem ihrigen zu widersetzen. Sie wusten noch nicht /daß die Götliche Hand selbsten / und nicht Simsons unbändige Gemühtsneugung / wie sie itzund wähneten / die Treiberin war in dieser Sache. Sie erkanten nicht / daß Gott / der in seinen wüchtigen Schlüssen / dergleichen einen Er alhier auszuführen vorhatte / auf eine gantz sonderliche / wunderliche / ja der Vernunft / und den Göttlichen Befehlen selbst oft / dem Ansehen nach / widrige Weise gemeiniglich würket / hierinnen mit unterspielete. Sie gedachten[27] nicht / daß Simson / auf Gottes Verhängnis / seine Brautwahl begonnen: daß er hierdurch der Filister Hochmuht und Gewaltzwang zu dämpfen Uhrsache suchen / und das Heilwerk der zuvor geweissagten Erlösung seines Volkes gleichsam anträhten und befördern solte.

(59) Von der Zeit an / da den Fal des ersten Mansbildes / und zugleich aller nach ihm / ja selbst aller Menschen beiderlei Geschlächts das allererste Weibesbild veruhrsachte / scheinen die folgenden Weibsbilder / als des ersten Töchter / ein gar gewöhnliches Mittel zum Falle der Mansbilder / ja selbst zur Verwüstung gantzer Völker / durch Gottes Verhengnus /geworden zu sein. Die Wahrheit dessen bezeugen uns / in so gar überheufter Mänge / die Beispiele bei den Geschichtschreibern.

(60) Von so vielen tausenden wollen wir nur etliche nennen. Ein kleiner Auszug ihrer so langen schwartzen Rolle wird hier genug sein. Die bekantesten / die alda eingerollet stehen / seind Jesabel /Atalie / beide Königinnen von Israel / Helene / die Trojische / Hippodamie / des Oenomaus Tochter / Hippodamie /des Piritous Gemahlin / Aspasie / des Perikles Spielmägdlein / Lavinie / des Lateinischen Königs Tochter / Arsinoe / des Agatokles Stiefmutter / Anaxarete / Deiani re / Berenize / Eurifile / des Amfiaraus verrähterisches Ehweib / Nikostrate / Fedre / des Hippolitus Stiefmutter / Hermione / Zille / des Königes Nisus verrähterische Tochter / Kleopatre / die Egiptische Königin / Tullia / des Servius Tullius verrähterisches Ehweib / Fridegunde /König Hilfreichs verrähterische Gemahlin /Isabelle / Graf Luchins Gemahlin.

(61) Nach diesem so gewöhnlichen Glüksfalle /solte dan auch alhier den Filistern ein Weibesbild / das Simson / aus ihren Töchtern selbst / zu seiner Braut erlesen / zum Falstrükke dienen. Es solte die Falbrükke sein / dadurch die Almacht Gottes diesem Helden den Zugang / sie feindlich anzufallen / eröfnen wolte. Es solte gleichsam der Angelhake sein /sie zu fangen / und den Tod unter ihnen überal auszusäen. Ja es solte Dieselbe / die ihn verliebt machen müssen / [28] ihn auch erboßen / und aufreitzen eine Verwüstung / unter ihrem Volke / weit und breit anzurichten.

(62) Und also hat Simsons Liebste / die doch keines weges gewillet war / ihren Landsleuten einiges Unheil über den Hals zu ziehen / zu der Filister Niederlage / wider ihren Willen / ja selbst unwissend die fürnähmste Bewäguhrsache sein müssen: indem die Götliche Rache / wie es scheinet / sich / zum Verderben der Filister / nirgend anders anspinnen wollen / als an diesem Wokken / darvon der Fadem des menschlichen Verderbens sich zum allerersten entsponnen / und noch itzund am meisten fortgesponnen wird. Ja ich darf wohl sagen / daß ein Weibesbild gemeiniglich der Feuerstein sei / daraus die Funken zu einem solchen Feuer / das den Untergang so manchen Völkern veruhrsachet / so heuffig entspringen.

(63) Diese Funken nun geben sie von sich fürnähmlich auf dreierlei Weise. Erstlich / zuweilen unwissendlich / und wider ihren Willen; wie Simsons Liebste: darnach / oftmahls wissendlich / doch mit gezwungenem Willen; wie die entführte Frauender Sabiner: und dan / zum öftern wissendlich /und willens; wie die weltberufene unflätige Tais getahn / die dem Großen Alexander so künstlich zu liebkosen wuste / daß er / ihr zu liebe / und ihm zum schändlichen Nachruhme / über die unschuldige mächtige Stadt Persepolis das Feuer seiner Grausamkeit zum allererschröklichsten ausstürtzete.

(64) Weil dan die Almacht Gottes / in diesem Liebespiele / solchergestalt mitwürkete / mochte Simson das Augenmärk / seine Liebe zu vergnügen / unschweer erreichen. Wo Gottes Wille mitwaltet / da erlangt man alles / was man verlangt. Wohin der Himmel wil / dahin mus die Erde folgen. Wo Gottes Rahtschlus unsern Willen begünstiget / da gedeiet unser Anschlag zum glüklichen Ausschlage. Da müssen alle Hindernisse weichen. Schlösser und Rügel springen auf. Die Tühren öfnen sich selbst. Alles mus unsrem Willen gehorchen.

(65) Manoah hatte zwar Simsons Heurraht bewilliget: gleichwol verzog er mit derselben Volziebung. Die Väterliche Zuneugung konte nicht gestatten / daß sein Sohn so bald wieder verreisete. Hierzu stimmete die Mütterliche Liebe. Die Bluhtsfreunde[29] selbst wolten ihn so geschwinde nicht missen. Ja das gantze Dannische Volk vermochte diesen so schleunigen Abschied kaum zu leiden. Aber dem jungen Liebeschüler war der kürtzeste Verzug zu lang. Der geringste Verschub war ihm verdrüßlich. Eine Stunde fiel ihm alhier länger / als sonst ein gantzes Jahr. So sehnete er sich nach seiner Liebsten.

(66) Es stritte dan alhier so vielerlei Liebe: doch keine so heftig / als des verliebten Simsons. Diese zwang alle die andern zur Ubergabe. Vater und Mutter musten sich selbst / auf sein so ungestühmes Anhalten / mit ihm auf die Reise begeben / dem Verlöbnisse beizuwohnen. Die Verwanten warden gezwungen / ohne ihn / der Heimat zu hühten. Das gantze Volk vermochte seinen Abschied nicht zu hintertreiben.

(67) Die Reise nach Timnat ging fort. Vater und Mutter begleiteten ihren Sohn: der so langsam nicht schleichen konte / als die alten Eltern. Auch durfte er nicht / als ein Jüngling: viel weniger / als ein Verliebter. Er hielt es für Schande. Darüm war er froh / daß die Liebe seine Füße flügelte: daß die Begierde / die jenige zu sehen / derer Schönheit ihn so kräftig an sich zog / seinen Gang fortjagte: daß das Verlangen dieselbe zu besitzen / die sein Hertz besaß / sein Treiber war worden: daß der Liebestein zu Timnat selbsten ihn fortzog. Also lief Simson / oder sprang vielmehr / als ein flüchtiges Reh / das der Schütze der Liebe jagte / vor seinen Gefährten hin. Ja er eilete ie mehr und mehr / ie näher er an Timnat zu gelangen begunte.

(68) Ein muhtiges Ros märkt es zur Stunde / wann es der Krüppe sich nähert. Dan begint es / aus Liebe zum Futter / mit weiteren Schritten / ja völleren Sprüngen / zu rennen. Dan reisset es / gleich als geflügelt / seinen Reiter dermaßen fort / daß er weder der Spisruhte / noch der Spohren bedarf. Gleichergestalt täht alhier Simson. Als er dem Orte sich näherte / da ihn das Futter der Liebe füttern solte / fing er auch an viel stärker zu eilen / als zuvor iemals. Ja die Hofnung / seine Liebste bald in seinen Armen zu sehen / vermehrte seine Kräfte dermaßen / daß er selbst schier nicht wuste / wie so hastig er fortkahm.

[30] (69) Sobald er nun nahe vor der Stadt die lustige Gegend der Weinberge liegen sahe / schlug er seit wärts aus. Er nahm seinen Weg hinter denselben hin. Er verlies die gebahnte Heerstraße / und begab sich auf einen wenig gebahnten Fußsteig. Und solches täht er ohne Zweifel aus Furcht / es möchten die Weintrauben / die nunmehr zu ihrem völligen Reiftuhme gelanget / ihn lüstern machen die Süßigkeit ihres Saftes zu kosten / und sich zugleich an seinem Schöpfer zu versündigen.

(70) Simson war schon ein Verlobter Gottes /eh er gebohren worden. Und daher durfte er keinen Wein trinken / noch Weintrauben essen. Beides war ihm verbohten. Dieses Verboht nun nicht zu überträhten / verlies er die gewöhnliche Landstraße /die mitten durch die Weinberge hinlief; und begab sich / hinter denselben / auf einen Schlaufweg. Und also wolte er die Gelegenheit zu sündigen meiden: welche der Ort den durchreisenden / durch die große Mänge seiner so mancherlei Weintrauben / mildiglich anboht.

(71) Wer hette diese so lieblichen Brüste / welche die Vorübergänger / mit tausend lustreitzenden Augen / anzulächlen schienen / bloß allein anschauen können / daß nicht auch zugleich der Mund lüstern were worden / ihren zukkersüßen Milchsaft einzusaugen? Ich gleube schier / daß es leichter gewesen were den anreitzenden Liebestrahlen einer Jungfreulichen Schönheit zu entgehen / als die Anlokkungen dieser so an genehmen / so saft- und kraft-reichen Rebenfrüchte zu verschmähen.

(72) Darüm gedachte Simson: weit darvon ist guht für den Schus. Wer sich in Gefahr giebt / verdürbt darinnen. Der Gefahr zu sündigen sich nähern /ist schon halb gesündiget. Gelegenheit macht Diebe. Wir seind von uns selbst nur alzulüstern zu Lastern. Man darf nicht erst hingehen / wo der Anlaß darzu die Augen beitzet / die Sinne reitzet. Nichts so sehr ist uns angebohren / als die Neugung zu Uberträhten. Mit der ersten Muttermilch wird sie uns eingeflößet. Man darf darzu keines andern Einflusses. Man darf sie / durch Ergreiffung der Gelegenheit / nicht mehren / und triftig machen.

(73) Aber indem Simson der einen Gefahr zu entgehen [31] gedachte / geriet er unverhuhts in eine andere. Er hatte sich kaum in die abwegigen Streucher begeben / da kahm albereit ein junger hungriger Leue brüllend auf ihn zu. Dessen grimmiger Anblik schien ihm gleichwohl lange so gefährlich nicht / als das Anschauen der Trauben: die ihn zur Uberträhtung des Götlichen Gebohts anzureitzen vermochten.

(74) Ein Leue / wan er erzürnet wird / brühet einer vorgeworfenen Henne / mit seinem südendheissem Ahtem / oftmahls die Federn weg. So heftig hitzet und brennet sein Zorn. Gleichwohl scheuete sich Simson für diesem nicht / der mit aufgesperretem Rachen auf ihn ansprung. Er wich keinen Fuß breit /weder hintersich / noch seitwärts: wiewohl er gantz wehrloß war. Er hielt stand / mit unerschrokkenem Muhte: indem der Geist Gottes seinen Muht bemuhtigte / sein Hertz behertzte / und seine Faust / die das einige Werkzeug sein solte dieses Tier zu fällen /kräftiglich stärkte.

(75) Ein tapferes Gemüht weis von keiner Flucht. Es ist unbewäglich. Kein Trutz kan es schrökken. Seine Tapferkeit verhöhnet die Grimmigkeit / dämpfet den Hochmuht / vereitelt das Dreuen. Des Leuen Wesen war grimmig / sein Gang hochmühtig / sein Rachen vol Dreuungen. Er schüttelte die Mähne /knirschete mit den Zähnen / scharrete mit den Pfohten / blitzete mit den Augen. Doch fürchtete sich dieses Hertz / dem nichts / was menschlich ist / bewust war /für so leeren Aufzügen gantz nicht.

(76) Als nun der Leue so nahe war / daß er den Simson mit den Pfohten schier erreichen konte; da schwung er sich / mit einem gewaltigen Sprunge /nach ihm zu / den ersten Angrif zu tuhn. Simson aber vereitelte diesen Ansprung / durch einen behänden Zurüktrit: und fiel darauf das Tier dermaßen an /daß er es von stunden an auf den Bodem warf / und wie ein Böklein zerrisse. Also erlegte Simson den Leuen: und nachdem er ihn / neben dem Schlaufwege / in die Streucher verstekt hatte / begab er sich wieder auf den Fußweg seine Reise fortzusetzen.

(77) Von einer so kühnen Taht schwieg dieser Leuenkämpfer gleichwohl gantz stille. Er berührte sie nicht mit einem Worte. [32] Er täht nicht / wie mancher Großsprächer; der mehr prahlet / als er ausgerichtet. Er wolte kein Windbrächer / kein Aufschneider sein: der im Wahrreden eben so karg ist / als er / mit milder Zunge / hinter der Wahrheit hin lustwandeln gehet; damit er von den Leuten üm so viel mehr gerühmet /geehret / und angesehen werde. Ein solcher Ehr- und Ruhm-Geitz fand bei unserem jungen Freuer keine stat. Er entdekte diese Begäbnis weder Vater / noch Mutter / ja selbst der Liebsten nicht. Und also schien er sie / in seinem Hertzen / unter dem Kohlfeuer der Liebe verscharret zu haben.

(78) Es war auch in Wahrheit gantz scheinbarlich /daß zuvörderst die Liebe dieses so gar geheime Stilschweigen veruhrsachet: Weil die Eingezogenheit und Niedrigkeit / als erstgebohrne Töchter der Liebe /derer Bohtmäßigkeit den Satzungen des Hochmuhts und Ehrgeitzes schnuhrstraks zuwider / Simsons Hertz beherscheten. Zudem mochte sich Simson in seinen Liebesgedanken vielleicht so sehr vertieffet haben / daß er alles dessen / was ihm mit dem Leuen begegnet / vergessen; oder sich so viel von denselben / solches zu erzehlen / nicht abmüßigen wollen.

(79) Zu diesen Würkungen der Liebe kahm auch vermuhtlich die Furcht: indem er sich befahren konte /wan seine so kühne Taht Vater und Mutter erführen /sie möchten darüber erschrökken / und sich derselben Macht / die Eltern über Kinder zukömt / allezeit gebrauchen. Ja er konte die Rechnung leicht machen /daß sie ihn alsdan / aus alzuübermäßiger Beisorge /seine so große Kühnheit und Stärke möchten ihn irgend zu Schaden bringen / nicht weit auslaßen würden.

(80) Die Jugend ist gemeiniglich verwägen: zumahl wan sie sich verlesset auf Stärke; derer Gebuhrt die Verwägenheit so wohl / als die Kühnheit ist / wo nicht auch die Frechheit. Wo nun die Verwägenheit einziehet / da ziehet die Vorsichtigkeit aus. Keine leidet die andere. Beide vertragen sich nimmer zusammen. So bahnet dan die Verwägenheit den Weg zum Untergange. Sie würket das Verderben. Zum wenigsten ist sie vol Gefahr: welche die Vorsichtigkeit meidet. Und darüm ist es guht / daß ein verwägener Jüngling unter dem Zaume der [33] [35]Eltern stehe. Wer dem entleuft / der rennet mitten ins Unglük.

(81) Mitler Zeit war Manoah / samt seinem Weibe / zu Timnat angelanget. Kurtz darnach kahm Simson auch an der dan seinen Vater alsobald antrieb das Brautgewärbe zu verrichten. Straks ward der Jungfrauen Eltern angedienet / daß Manoah von Zarea sie zu sprächen begehrte. Die Vergünstigung kahm / mit dem Bohten / geschwinde zurük. Geschwinde muste Manoah / mit noch zween Bluhtsfreunden / sich aufmachen. Simson lies ihm keine Ruhe: wiewohl er selbst so gern der Ruhe genossen. Ohne Verzug solte das Jawort gefordert / und gegeben werden.

(82) Simsons Stärke war schon überal erschollen. Seine Tapferkeit kenneten die Filister. Sein bloßer Nahme war ihnen ein Schrik. Und darüm durften sie seinen Freuwärbern nichts abschlagen. Das Gewärbe ward angenommen. Die Einwilligung folgete. Dem Freuer ward vergönnet die Jungfrau zu besuchen. Alles ging ihm nach Willen und Wunsche.

(83) Manoah kahm mit dieser fröhlichen Bohtschaft geschwinde zurük. Simson begab sich straks in das Brauthaus. Straks ward er in das Jungfrauenzimmer geführet. Geschwinde ging alles zu. Ihn und seine Liebste lies man allein. Sie hatten auch keines Zuschauers nöhtig. Ein fremdes Ohr und Auge war ihnen verdrüßlich.

(84) Die Liebe paaret nur. Sie kan kein drittes leiden. Ihre Geselschaft beruhet bloß auf zweien. Durch zwo Zungen / unter zwei paar Ohren / und zwei paar Augen / wird ihr Band befestiget. Auch fügt sich das Wort / das dieses Band bindet / nur aus zwee Buchstaben zusammen. Einer ahrtet dem Selbstande deß Mannes nach / der andre dem Weibsbilde. Jener stimmet für sich / dieser mit zu. Jener führet die Haupt-dieser die Unter-Stimme.

(85) Wer war froher / als Simson? Wer war vergnügter / als er? der nunmehr die ersten Vergnügungen seiner Liebe gantz überflüssig einärnten konte. Bei dem ersten Eintritte / bildete er ihm schon ein im Reiche der Liebe König zu sein. Ja er befand sich / in seinen Gedanken / schon auf der Liebe [35] Reichstuhl erhoben / als er seine Liebste zum ersten erblikte; als ihn dünkte / ihre Gegenblikke so lieblich / so freundlich auf ihn gerichtet zu sehen / daß er für Liebe zerflüßen / ja gar in lauter Liebe verändern müste. Nunmehr schienen sich seine Augen mit ihren süßen Liebesblikken / seine Ohren mit ihren so anmuhtigen Zukkerworten / sein Mund mit dem Honigtau ihrer zahrten Lippen schon zu sättigen.

(86) Seine Ansprache war kurtz. Den Flus der überflüßigen Schmukreden kennete sie nicht. Ihre Worte flossen gantz rein und lauter aus dem Brunnen seiner Liebe. Diese mahlte seine Zunge gantz nakkend ab. Er überfärbete sie mit keiner Schmünke. Er überstrich sie mit keiner Zierfarbe. Er verstellete / noch verschönerte sie mit keiner fremden Maske. Er schmukfärbete / noch prunkredete keines Weges; wie sonst in dergleichen Begäbnissen geschiehet. Ja er drükte seine Gemühtsneugungen folgender Gestalt aus.

(87) »Meine Hertzallerliebste« / sagte er / »nun ist der Tag meiner Zufriedenheit gebohren. Nun ist die Stunde meiner Vergnügung erschienen. Dieser Augenblik lest mich alle meine Glüksäligkeit erblikken. Itzund wird mir / sie zu sprächen / erleubet. Itzund wird mir ihre Besitzung versprochen. Itzund wird mir zugefüget Dieselbe / derer Schönheit helleuchtende Strahlen mit Liebe mein Hertz entzündet.

(88) Ich brenne für Liebe. Ich komme / durch Liebe getrieben / zu meiner Liebsten. Aus feuriger Liebe spräch' ich sie an. Ich rede von Liebe. Ihr zu Liebe lebet mein Leib. Mein Hertz dürstet nach ihrer Liebe. Auf ihre Liebe hoffet mein Geist. In ihrer Liebe mein Leben zu laben verlanget meine Seele. Mit ihrer Liebe begehr' ich gesättiget zu werden. Wan ich dieses erlange / wird die Erde mein Himmel / und ihre Besitzung meine Säligkeit sein.

(89) Hingegen verspräch' ich ihr wieder alle Liebedienste. Diese Hände / denen die Almacht Gottes den Auszug menschlicher Stärke zugeteilet / sollen allezeit ausgebreitet sein sie zu tragen. Diese Arme sollen nie aufhören ihren lieben Leib zu ümarmen. Dieser Schoß sol nimmermehr überdrüßig werden sein Sässel zu sein. Diese Füsse sollen fort und fort bereit[36] stehen ihr aufzuwarten. Ja der gantze Simson sol unaufhörlich trachten ihren Befehlen zu gehorchen.

(90) Es kan auch in Wahrheit ihrer Hochachtbarkeit zu keiner Verkleinerung gedeien / wan Simson ihr Unterthaner wird: dessen bloßer Nahme dieselben / die nur wissen / was Simson ist / erschrökket. Vielmehr wird es ihr ein unvergleichlich- großer Ruhm sein / daß ein solcher sie dermaßen übermenschlich ehret / daß er eher den Preis seiner Tapferkeit missen wolte / als aufhören ihr Leibeigner zu sein.

(91) Darüm bedenke sie sich nicht lange. Darüm verziehe sie nicht mich zu vergnügen. Verliebten ist nichts unerträglicher / als der Verzug. Nichts ist bitterer / als ihr Verlangen erlängern: nichts auch dagegen süßer / als das unverzügliche Vergnügen. Straks gegeben ist zweifältig gegeben / und macht auch zweifach verpflichtet.

(92) Die Glüksäligkeit ihrer zu geniessen ist mir versprochen. Ihr Ehgatte zu sein bin ich bestimt. Es ist ihrer Obern Wille / ihrer Eltern Verlangen. Ja ich wil mehr sagen / der Himmel selbst giebet sein Jawort darzu. Ei! so verziehe sie dan nicht Dieselbe zu sein /darzu sie der Himmel versehen / die Eltern benennet /und ich selbsten erkohren.

(93) Lesset vielleicht ihre Jungfreuliche Schaamhaftigkeit die Worte nicht zu? Darf sie etwan / aus angebohrner Blödigkeit / nicht reden? Eil so geruhe sie zum wenigsten ihre Bewilligung / durch ein Bliklein ihrer lieblichen Augen / zu erklähren. Ein einiger Wink sol mir genug sein. Das Nikken ihrer schneeweissen Stirne / das Eröfnen ihrer lieblichroten Lippen / die Bewägung eines anmuhtigen durch dieselben hinschlüpfenden Hertzlüftleins sol mir an stat des Jawortes dienen.

(94) Wan ich dieses erlange / werd' ich einen Schatz besitzen / der mir lieber sein wird / als alle Schätze der Welt: den ich höher schätzen werde / als alle Reichthühmer / als alle Königreiche / die der Himmel mir iemals schenken könte. Hiermit endigen sich meine Reden; doch meine Seufzer nicht: die erst aufhören werden / wann sie aufhören wird meinen Ruhetag aufzuschüben.«

(95) Unter währender dieser Rede stund die Jungfrau stokstille. [37] Nur ihre Augen schlug sie zuweilen ein wenig auf: iedoch mit solchen Blikken / welche andeuteten / daß des Freuers Worte zwar das Ohr /aber nicht das Hertz berühreten. Ja sie schien gantz achtloß / kaltsinnig und ohne Liebe: von derer Kraft und Würkung sie auch gewislich nichts wuste. Zum wenigsten hatten ihre Füße die Liebesschuhle noch nie betreten: wo sie nicht gar / der Angebohrenheit nach / einer volkommenen Liebe nachzuhängen Abscheu trug. Gleichwohl antwortete sie / nach einer kleinen Verweilung / mit folgenden wiewohl zimlich fremden Worten.

(96) »Es scheinet« / sagte sie / »als sei ich meinen Eltern eine Tochter zu viel: weil sie mich einem Fremden zu geben versprochen. Vielleicht wil man meiner gerne loß sein / daß man mich also zu verstoßen bestimmet. Imfal ihr Versprächen nicht zu ändern / und sie meiner loß zu sein noch itzund gewillet: so wird sich mein Wille nach dem ihrigen nohtdrünglich richten müssen. In diesem Kreuse mus ich bleiben. Hierinnen mus ich gestatten / daß sich der gantze Handel ümdrehe.«

(97) Simson stund in seinen Liebesgedanken so vertieffet / daß er nicht acht schlug auf ihre Reden: die mit lauter stachlichten anzüglichen Worten erfüllet /und fast auf lauter Schrauben gestellet waren. Der Kuß / welcher zur Bestähtigung des Ehverlöbnisses zu geben üblich / lag ihm fort und fort im Sinne. Darüm betrachtete er auch ohn unterlaß bald den Mund / bald die Wangen / bald die Augen / bald die Hände seiner Liebsten. Dan diese waren die vier Kusglieder / darunter er eines / den Siegel des Kusses darauf abzudrükken / erwehlen solte. Und also war alle Kraft seinen Ohren entwichen / sich in seinen Augen zu versamlen.

(98) Als nun der Handschlag dieser zwei Liebsten /zur Befestigung ihres Verlöbnisses / vorging; da bekahm er auch zugleich Erleubnis solchen so lange verlangten Kus anzubringen. Hier war Simson zweifelschlüssig / wohin und auf welchen unter den vier bestimten Kuswürdigsten Oertern dieser einige Kus solte gegeben werden. Er hette ihn gern dahin gesetzt / da er ihm die meiste Wohllust gebähren konte.

[38] (99) Erstlich boht sich gleichsam hierzu der Liebsten Mund an / als der gewöhnlichste und zu küssen anmuhtigste Ort; durch welchen auch nur allein der Kus pflegte gegeben zu werden. Ja er bedung / als der einigste lebendige Redner unter den vier Kusgliedern / mit ausdrüklichen Worten / den Vorzug.

(100) Darnach schienen die Bakken ihn zu fordern; in derer erhobenen zwee Lustgärten so wohl / als auf den zweifachen Koralwällen der Lippen / die Purpurrosen zu blühen pflegen: wiewohl sie für kein Werkzeug der Sinligkeit / wie andere Kusglieder / im Rahte der Sinnen / wolten erkant werden.

(101) Hierauf winkten ihm die Augen / als wolten sie den Vorzug vor andern Kusgliedern bedingen. Sie schienen zu sagen: daß ihnen / durch ihre Gleichähnligkeit mit dem Kusse / oder vielmehr durch die Gleichähnligkeit ihrer Kraft mit der Kraft des Kusses / der Kus zuvörderst zukähme. Dan gleichwie der Kus ein Liebespfeil sei / der das Hertz verwundete; so weren die Augenstralen auch Pfeile der Liebe / die eben dasselbe würkten. Zudem leuchteten die Augen /als zwo Sonnen / die das Angesicht aufklähreten. Ja sie weren gleichsam zwei Hertzensfenster / oder Hertzensbohten / durch welche man wahrhaftig und ohne Betrug alles erführe / was in der geheimen Rahtstube des Hertzens beschlossen.

(102) Endlich wenkten ihm die Schloßweissen behänden Hände: denen dieser Verlöbniskus von rechtswegen gebühren wolte; weil durch sie der Zusage Bekräftigung geschehen / und also auf sie derselben Versiegelung / durch den Kus / auch geschehen müste.

(103) Simson schalt die alzukarge / wo nicht alzumisgünstige Gewohnheit / die nicht mehr / als nur einen einigen Kus bei dergleichen Begäbnis zulies. Er hette lieber alle vier kuswürdig erkante Gliedmaßen geküsset: ja noch darzu die Stirne / die Schauburg /das Rahthaus / oder vielmehr den Reichsstuhl der Liebe; zusamt dem Busen / dem zweifachen Königreiche der Liebe / dem zweihüglichten Weinberge vol aller Ergetzligkeiten. Dan diese zween herliche Sitze der Schönheit schienen ihm nicht weniger kuswürdig /als jene.

[39] (104) Verliebte können sich auch in Wahrheit mit einem einigen Kusse nicht wohl sättigen. Ein einiges Lustbislein stilt keinen Hunger. Ein einiges Lustgüslein vermag das Feuer der Liebe nicht zu blüschen. Ein einiges Kühltröpflein ist nicht genug den Brand der Begierden abzukühlen. Es kan den Durst des Verlangens nicht leschen. Vielmehr dienet es die Heftigkeit der Lust aufzureitzen. Vielmehr bringt es die Begierden vollend in den Harnisch. Vielmehr erlängert es den Durst des Verlangens. Es ist nur Oehl ins Feuer.

(105) Gleichwohl muste dismahl dem genauen Befehle der Gewohnheit gehorchet sein. Und weilSimson sahe / daß durch eine so zauderhaftige / so langsame Kuswahl die Zeit verlohren / seine Lust verzügert / und sein Hertz / durch eigenen Selbmord /schier ertöntet ward; so entschlos er sich endlich solchen Kus auf das gemeineste Kusglied / welches den Kus so wohl nimt / als giebet / abzustatten.

(106) Der Mund war auch gewislich dasselbe Glied / dadurch das Hertz seiner Liebsten ihm den Ausspruch des Jawortes oder Ehgelübtes getahn. Und daher muste freilich dieser Kus / der als ein Siegel des Ehgelübtes sein solte / nirgend anders hin / als auf eben denselben Mund / durch Simsons Mund / gedrükt werden.

(107) So ümhälsete dan Simson seine Liebste. So fügte er Mund auf Mund. So drükte er das Siegel des Kusses auf das rohtweiche Koral der zweifachen Tühre des Hertzens / mit so viel Seufzern / als Wunden seinem Hertzen ihrer Schönheit Strahlen gegeben. Und dieses täht er üm so viel erpichter / als heftig er verlangte / durch den kühlen / oder vielmehr feuchten Lippentau / seine Liebesbrunst / wonicht zu leschen /dannoch zu lindern.

(108) Die Gedanken / welche Simson bei dieser Kuswahl hatte / verfassete er auch nachmahls / bei müßiger Weile / in folgendes zweifache Kus- und Schlus-lied.



[40][42]

Simsons Kuslied.

1.
O Stärke / die entstärket schier!
o Kraft / an Kräften leer und öde!
o Tapferkeit / enttapfert hier!
o Kühnheit / die entkühnt und blöde!
Wie hat ein Strahl der Schönheit euch
so gar entstrahlt / entseelt zugleich?
2.
O Arme / die entarmet seind!
o Hertz / das sich enthertzet fühlet!
o Mund / der gantz entmuntert scheint!
der mit entlipten Lippen zielet /
doch ungewis / wohin der schus
sol setzen meinen ersten Kus.
3.
Es sint nicht mein entsinter Sin /
noch mein entwitzter Witz kan wissen /
wo dieser Mund sol wehlen hin /
die Liebst' am lieblichsten zu küssen.
Ach! daß Vernunft vernehm' an Ihr /
und mein Verstand verstünd' alhier!
4.
Vier Glieder fordern einen Kus /
der Mund / die Wangen / Händ' / und Augen:
darunter eins ich wehlen mus.
Ach! daß die Wahl doch möchte taugen
zur süßesten Ergetzligkeit /
zur sichersten Zufriedenheit!
5.
Der Mund beut sich am ersten an /
als der auch selbst gewohnt zu küssen:
[42]
der Küsse giebt / und nehmen kan;
die seinen Durst entdürsten müssen /
durch angenehmes Lippennas.
nichts kan so süße sein / als das
6.
Dem Munde folgt der Wangen zwei;
die jenen vor den Richtstuhl tagen /
und daß ihr Roht viel klährer sei /
als dort der Purpur / dürfen sagen.
Hier hägt die Lieb' ihr Bluhmenfeld /
dort scheint ersteint die Lust der Welt.
7.
Hierwider handelt dan die Hand /
als die den Vorgrif hart bedinget:
weil ihr das Fühlen zuerkant /
das auch / durch sie / zum Hertzen dringet;
ja weil sie / was der Mund verspricht /
erst kräftig macht / durch ihre Pflicht.
8.
Zuletzt erscheint der Augen paar /
der Hertzensfenster / Hertzensuhren;
dadurch man schauet hel und klahr
des fünstern Hertzens tiefste Spuhren.
Dis wil vor andern hier allein /
durch einen Kus / versiegelt seyn.
9.
Mich wundert / daß der hälle Hals
nicht auch zugleich mit unterhallet;
daß nicht die Zunge gleichesfals /
noch auch die Brust darzwischenlallet;
ja daß die Stirne / die doch zeigt
der Liebe Himmel / itzund schweigt.

[43]

[44]
[45]

Schluslied.

1.
Nur auf / mein Mund! mehr hat man / als genug /
das leere Stroh / an Kornes stat / gedroschen.
Es schadet dir der lange Lustverzug.
Mein Urteil ist noch nicht so gar verloschen.
Es fält zuletzt auf meiner Liebsten Mund /
der meinem Ohr' ihr edles Hertz macht kund.
2.
Auf! spitze dich! Itzt schlag' ich üm den Hals
hier diesen Arm / der manchen Arm geschlagen.
Nun koste doch dis süße Lippenschmaltz /
daran auch selbst dis Weltrund schöpft behagen.
So wird mein Hertz in ihr Hertz eingedrükt /
und meine Seel' in ihrer Seel' erkwikt.
3.
O nun behertzt- und eingehertztes Hertz!
wie wohl ist dir / wie wohl auch deiner Höhle!
Wie ist verschmertzt / ja selbst entschmertzt dein Schmertz /
o nun beseelt- und eingeseelte Seele!
Nur ein Kus schart alhier ein solches Heil /
daß tausenden sonst nährlich fält zu teil.

(109) Unter wehrendem Liebeshandel des Simsons mit seiner Liebsten / die hinfort mit dem lieblichen Brautnahmen zu beehren sein wird / war zwischen beiderseits Eltern die Ehstiftung auch volzogen. Alles ging alhier gantz einmühtig / und ohne einiges Widersprächen zu. Was der eine Teil vortrug / oder begehrete / das bewilligte der andere straks. Was jenem beliebte / das beliebte zugleich auch diesem. Keiner war dem andern zuwider. Alle stimmeten vertraulich zusammen. Alle Vorschläge gedihen zu einem glüklichen Ausschlage.

[46] (110) Hierauf ward das Verlöbnismahl gehalten.Simson / und seine Braut hatten an der Tafel die Oberstelle. Bei jenem saß der alte Manoah / bei dieser Simsons Mutter. Darnach folgeten die Freuwärber / und andere Freunde. Den Ring beschlos endlich der Braut Vater / zusamt ihrer Mutter / und jüngeren Schwester. Unter wenigen geschahe dis Freudenmahl. Sie hatten auch keiner Zeugen mehr nöhtig. Diese wenige waren genug. Was man durch Wenige volenden kan / darf man durch Viele nicht beginnen. Ie weniger / ie vertraulicher. Große Geselschaft / kleine Vertrauligkeit. Viel Schauens / wenig Vertrauens. Was unter der Rosen bleiben sol / mus durch Wenige geschehen. Der Mänge wird alles zu änge.

(111) Nach volendetem Mahle / nahm Simson /samt seinen Reisegefährten / Abschied / wieder nach hause zu reisen. Der alte Manoah lies der Braut seinen Segen zurük. So täht auch Simsons Mutter. Der Braut Vater aber segnete dagegen den Simson; wie auch die Mutter. Ja alle gaben einander wechselsweise den Segen. Mit diesem Segen schieden sie voneinander. Simson reisete fort / zugleich traurig / und fröhlich: traurig / weil er seine Braut verlaßen muste; und fröhlich / weil es bloß auf eine kleine Zeit geschahe. In kurtzen verhofte er seine Freude zu erneuren. Uber wenig Tage solten sich seine betrübten Augen an seiner Sonne wieder aufklähren.

(112) Kaum war er in seiner Väterlichen Behausung angelanget / da begunte er / zu seiner instehenden Hochzeit / schon Anstalt zu machen. Erstlich trug er Sorge für seine Hochzeitkleider: welche die Pracht und Kostbarkeit unserer Zeit / noch den Französischen Zuschnit nicht kenneten. Darnach schafte er auch an die hand alles dasselbe / was er seiner Braut zum Mahlschatze zu geben verpflichtet. Endlich war er bedacht auf die übrigen Nohtwendigkeiten. Und hierzu durften ihn seine Eltern nicht antreiben. Sein Verlangen nach einer solchen so angenehmen Zeit war ihm Antreibers genug.

(113) Simson hatte neulich den Anfang seiner verlangten Vergnügung gekostet. Aber dieses Kosten war ihm nur eine bloße Beitze / die ihn anreitzete die volle Vergnügung zu suchen. Es war anders nichts /als eine Körnung / die sein [47] Verlangen üm so viel heftiger machte. Ja es war gleichsam der Lokvogel / der seine Begierden zu einer weit höheren Ergötzligkeit anlokkete.

(114) Ein kleines Zukkerstüklein lokaset nur / und macht den Mund lüstern / sich mit dem gantzen Zukker zu sättigen. Ein einiges Wohllustschlüklein ist bloß als ein Zunder des Liebedurstes; der nicht eher aufhöret / als nach einer vollen Tränke. Kurtz /Simson verlangte nach demselben Tage / da die neulich geschehene Zusage volzogen / ihm die gäntzliche Besitzung seiner Braut gewähret / und er aus einem Breutigam / die süßen Früchte der Ehlichen Liebe / mit geheuften Scheffeln / einzusamlen / ein völliger Ehman werden solte.

(115) War nun dieser neue Breutigam / durch das Verlangen angespörnet / zu Zarea geschäftig; so war es seine Braut / samt ihren Eltern / zu Timnat nicht weniger. Weil die Filister dazumahl noch über Israel herscheten / so wolten sie diesem Volke nichts zuvor geben. Der Brautschmuk solte üm soviel kostbarer sein: weil die Braut einem Zareer /aus Israel bürtig / solte vermählet werden. Hierdurch gedachten sie ihr Ansehen vor ihren Lehnsleuten zu behaupten / und dem Simson selbst / dessen Tapferkeit und Stärke sie sonsten sehr fürchteten /die Augen zu verblenden.

(116) Wiewohl der Hochmuht und die Hofahrt zu der Zeit lange so hoch nicht gestiegen war / als in der Folgewelt; so solte doch alhier so viel Pracht / als ihnen bekant / und müglich / geführet werden. Konte die Braut schon nicht mit kostbaren Perlen und teuren Demanten prangen; so warden doch hierzu Halsketten / Arm- und Ohren-spangen / auch anderes gewöhnliche Geschmeide von Silber und Golde bestellet. Konten ihre Brautkleider gleich nicht aus köstlichen seidenen Zeugen gemacht / und mit güldenen Bohrten verböhrtelt / oder mit güldenen Spitzen bespitzt werden; so musten sie doch so kostbar und zierlich sein /als ihre damahlige Mittel sie zu geben vermochten. Ja man stellete zu Timnat alles so an / als man nöhtig erachtete den Hochzeitgästen von Zarea eine blaue Dunst vor die Augen zu mahlen.

[48] (117) Nachdem Simson zu Hause gegen sein Hochzeitfeier alles bestellet hatte / da begab er sich straks wieder auf die Reise nach Timnat / sein Beilager zu volziehen. Wan itziger Zeit ein solcher Held /als Simson war / den auch Gott selbst zum Fürsten und Heerführer seines Volkes bestimmet / auf sein Beilager ziehen solte; so würde gewislich sein Aufzug / mit vielem Gefolge von Reitern / Reisigen Dienern /und Rüstwagen / auf das herlichste / ja prächtigste geschehen.

(118) Aber unser Zareische Breutigam wuste gantz von keiner Pracht / von keinem solchen Schwalke /von keinen Hand- und andern Reisigen Rossen / ja selbst von keinen Mauleseln: auf denen doch dazumahl die Richter in Israel / und andere seines gleichen ansehnliche Helden zu reiten pflegten. Er ging /ohne einigen Diener / gar zu fuße. Er hatte nicht einmahl einen Stab in der Hand / sich darauf zu lehnen /oder der Reissenden Tiere zu erwehren.

(119) So gantz ungewafnet / ungerüstet / und unbegleitet zog er zu seiner Braut / als der nur allein vom Geiste des HErrn begleitet / und mit Kraft und Stärke von oben gewafnet und ausgerüstet sein wolte; wie er auch in der Taht war. Ja gantz niemand folgete ihm /als Vater und Mutter / mit etlichen wenigen gleichmäßig ungewafneten Freunden: die er auch / zu seinem Einzuge zu Timnat / nicht einmahl bei sich behalten; indem er sich unweit von der Stadt von ihnen gesondert.

(120) Diese des Simsons Absonderung von seinen Reisegefährten geschahe wiederüm vor den Timnattischen Weinbergen / und aus eben derselben Uhrsachen / wie vor diesem. Alhier war es / da er sich auf den alten Schlaufweg / durch das Gebüsche begab: da er vor etlichen Tagen den Leuen zerrissen /und hinter die Streucher / in einen dikken Knak / geworfen. Alda lag auch noch itzund sein Aas. Noch itzund waren die Kenzeichen des vergossenen Bluhtes zu sehen: welche die Spuhr nach dem Aase zu eigendlich genug anwiesen.

(121) Simson war begierig die zerrissenen Glieder dieses Untiers / als seiner Tapferkeit und Stärke noch übriggebliebene [49] Siegeszeichen / zu besichtigen. Und zu dem ende folgete er der Spuhr nach / bis zum Aase. Aber er ward nicht wenig verwundert / als er sahe / daß die Bienen desselben Rachen / der vorhin ein Nest der bitteren Grausamkeit gewesen / zum süßen Hohnigstokke gemacht.

(122) Vielleicht hatte der Bienenkönig im Rachen dieses Leuen / weil er ein König aller vierfüßigen Tiere gewesen / seinen Reichsstuhl befestigen wollen: damit er nicht etwan von den Würmern entweihet /und zu einem Wurmsitze gemacht würde. Mit einer solchen Ehrerbietigkeit schien alhier ein König dem andern begegnet zu haben. Oder es mochten auch wohl die Bienen vorgehabt haben dasselbige grimmige Maul / das mit seinem so grausamen Gebrülle den Erdkreus zu erschrökken pflegte / mit ihrem Schwarme zu überrumpeln / und mit Wachs und Honige gleichsam zu verpichen: damit sich hinfort niemand mehr vor einer so ungeheuren Stimme zu fürchten hette.

(123) Aus hiesigem Bienenstokke nahm Simson etliche Honigscheiben / und aß darvon. Auf sauren Schweis folgt süßer Preis. Hier kostete der Uberwinder des Leuen die Anmuhtigkeit des Ruhmes / die Süßigkeit der Ehre / den Honig der Herligkeit: die alle drei aus der bitteren Arbeit seiner Tapferkeit entsprossen.

(124) Diese drei seind auch in Wahrheit der Tapferkeit Kost / der Großmühtigkeit Speise; durch tapfere Tahten / durch großmühtige Verrichtungen erworben. Von dieser Kost nähren sich alle tapfere Gemühter. Mit dieser Speise gelangen großmühtige Helden / die das Feld mit Leichen der Erschlagenen besäen / zu ihrem völligen Wachstuhme: da sie ihre Siegespracht in den Himmel der Herligkeit erhöbet.

(125) Von dieser süßen Ausbeute / von diesen Honigscheiben / von diesen Früchten seiner Tapferkeit teilete Simson seinen Eltern auch etwas mit. Er vergaß auch nicht seiner Liebsten. Die Braut muste /neben den überreichten Geschenken / auch ihr Teil darvon haben / ihren süßen Mund zu versüßern. Aber aus was für einem Stokke sie herrühreten / erfuhr niemand; auch die Eltern selbst nicht. Simson hielt es gantz [50] heimlich. Er schwieg darvon gantz stille / nicht anders / als wan er selbst alles vergessen.

(126) So eingezogen war Simson / nach einer solchen Taht / darinnen er sich mehr / als leuenmühtig / erwiesen. So meisterlich wüste er seine Ruhmbegierde zu zwingen; indem er sich seines Sieges nicht mit einem Worte verlauten lies. Und dieses täht er ohne Zweifel darüm / damit er keinen Argwahn beiden Filistern erwekte. Vielleicht suchte er sie hierdurch sicher zu machen: damit sie üm so viel weniger acht schlügen auf seine Anschläge: damit er sie dermahleins unverhuhts überrumpeln / und ihren Hochmuht mit leichterer Mühe stürtzen möchte.

(127) Eben hierauf zielete vermuhtlich sein gantzer Vorsatz. Und darüm handelte Simson sehr klüglich / daß er / im Anfange seines so wüchtigen Anschlages / unter den Filistern einherschlich / als hette er niemahls einiges Wasser gelühmet; als hette er niemals einige tapfere Taht verübet. Dieses war auch eine Heldenlist / die ihm mehr Ruhmes bringen konte / als das unvorsichtige noch unzeitige Geprahle von so einer Heldentaht / die er im Verborgnen verrichtet. Ja es war eine solche / vermittelst deren er mit der Zeit auf den Stuhl der Ehre selbst / und zur Herligkeit der Siegespracht über die Filister erhoben zu werden verhofte.

(128) Aber ehe wir in Erzehlung hiesiger Geschieht fortschreiten / wollen wir sie zuvor was näher betrachten. Wir wollen beschauen / wie Gott alhier /gleich als durch Spielbilder / die Geschieht seines Sohnes gespielet: wie er diese / durch jene / gleich als durch ein Vorspiel / auf den Schauplatz der Weltge führet: ja wie der Held Simson / mit solcher seiner Geschieht / des HERRN JESUS Vorbild gewesen. Diese Betrachtung wird uns wol so viel währt sein /daß wir / ihr zu gefallen / ein wenig stil stehen / und ihr auf einen Augenblik das Auge gönnen.

(129) Simson heisset ein Sonneman. Er ward auch Israels Landsonne. JEsus ist die Sonne selbst / die unsre Hertzen erleuchtet. Er ist die große Sonne der Gerechtigkeit. Er hat durch seinen Sonnengang unsern Sündengang guht [51] gemacht. Am Morgen seiner Gebuhrt ging Er auf / im Kriplein zu Betlehem. Er offenbahrte sich nachmahls / als ein Licht der Welt / bis an den heissen Mittag des Zornes Gottes. Da ging Er / auf den Abend seines Lebens / am Kreutze /bluhtroht unter; indem die Sonne des Himmels / seinen Tod zu betrauren / erschwartzte. Da stieg Er in die untersten Oerter der Erde. Da stürmete Er die Hölle: und ging wieder auf am Ostermorgen / bis Er endlich / in seiner Himmelfahrt / gar wieder hinaufstieg zur Rechten Hand GOttes.

(130) Simson solte Israels Richter sein. Dieser Ehrennahme war ihm auch von seinem Stamvater Dan / welches ein Richter heisset / gleich als angebohren. Er solte seines Volkes Heiland und Erlöser sein / oder vielmehr dasselbe zu erlösen anfangen: wie der Engel von ihm mit Vorbedacht sagte.JEsus ist zum Richter aller Menschen / der Tohten so wohl / als Lebendigen / bestimmet. Ja Er ist der Heiland und Erlöser der gantzen Welt. Er ist es / der nach Simsons bei den Kindern Israels angefangenen zeitlichen Erlösung / uns allen eine gantz volkommene ewige zu wege gebracht.

(131) Simson solte dem HErrn heilig sein von Mutterleibe. Er solte von Jugend auf / wie die Verlobten Gottes / ein strenges Leben führen. Er wuchs: und der HERR segnete ihn. Er lies straks in der Jugend /vom Heiligen Geiste getrieben / seinen Heldenmuht blikken. Er ward ein Wunderheld. Er überwand /indem er ausging ihm eine Braut zu suchen / einen grimmigen Leuen. Er aß von den Honigscheiben / die er / zum Siegeslohne / in dieses Leuens Aase gefunden. Er teilete von dieser durch seine Tapferkeit erworbenen Beute zugleich auch seinen Befreundten mit: wiewohl er ganz nicht damit prahlete / noch sich märken lies / wie und wo er sie bekommen.

(132) Eben also ward auch unser Säligmacher dasheilige Kind GOttes genennet. So nennete Ihn straks der Engel Gabriel selbsten / als er seine künftige Mutter anredete / mit diesen Worten: »das Heilige / das von dir gebohren wird / sol GOttes Sohn genennet werden.« Ja Er selbsten heiligte sich für uns; damit wir / durch Ihn / vor GOtt heilig würden. Auch hat Er ein so gar strenges und heiliges Leben geführet / [52] daß Er frei fragen mochte: wer unter euch kan mich einer Sünde bezüchtigen? Er lebete schnuhrrecht nach seines Vaters Willen; damit Er für unsern Ungehohrsam büßete / und ihn vertilgete. Er wuchs an Weisheit / Alter / und Gnade bei GOtt und Menschen. Er war die gesegnete Frucht des Leibes seiner Mutter. Er war noch nicht zwölf Jahr alt: gleichwohl lehrete Er schon die alten Lehrer / im Hause GOttes.

(133) Er ward vom Heiligen Geiste selbst in die Wüste getrieben / mit dem Teufel zu streiten; den Er auch überwand. Den Nahmen eines Helden und Weltwunders eigneten ihm lange vor seiner Gebuhrt die alten Weissagungen zu. Als Er vom Vater in die Welt ausgegangen war ihm eine Braut zu suchen; da bekahm Er mit dem höllischen Leuen zu kämpfen. Diesen schlug Er / mit keinem andern Gewehr / als nur mit den Worten: Es stehet geschrieben. Ja Er überwand ihn vollend / in seinem Leiden / und führete ihn / als der sieghafte Leue vom Jüdischen Stamme /gefangen. Wie Er / in seiner Jugend / nach der alten Weissagung / Honig und Butter gegessen / indem Er sich / durch seine Eltern / zu allem. Guhten williglich ziehen laßen: so teilete Er auch von seinem Honige /den Er durch seinen bittern Todeskampf erwarb / seinen Muhts- und Bluts-Freunden mit: nähmlich Vergebung der Sünden / und ewiges säliges Leben.

(134) Sobald nun Simson zu Timnat in das Frauenzimmer traht / lief ihm seine Liebste straks entgegen / ihren Breutigam zu empfangen. Auch lies sie aus ihren Augen eine ungemeine Freude spühren. Doch dieses geschahe mehr aus Begierde zu vernehmen / was er ihr mitgebracht / als aus einer recht volkommenen Liebe. Und darüm sahe sie ihm fort und fort nach den Händen: von denen sie die gewöhnlichen Brautgaben erwartete. Ja sie lauerte darauf mit unverwanten Blikken; nicht anders / als ein Raubvogel auf eine fette Henne: nicht anders / als ein Habicht / oder eine Weihe nach dem Raube.

(135) Die Begierde sich zu bereichern scheinet den Weibsbildern / die schläfrig in der Liebe seind / gemeiniglich angebohren. Ihre Hand ist immer geschlossen zu geben / und immer geöfnet zu nehmen. Wo die Liebe schlummert / da [53] wachet der Geitz. Wo der Geitz nistet / von dannen wandert die Liebe. Beide stallen sich nie. Allezeit streiten sie wider einander. Sie seind gantz ungleicher Ahrt / gantz widerwärtiger Würkung: eben wie Tugend und Untugend. Zu jener wird auch die Liebe / zu dieser der Geitz gezehlet. Ja der Geitz ist selbst ein Hauptlaster / wie die Liebe das Haupt aller Tugenden.

(136) Wan man den Geitz nennet / so nennet man zugleich mit die Kargheit / Vervorteilung / Falschheit / Untreue / Betrügerei / Arg- und Hinter-listigkeit /Lügen / Mis- und Ab-gunst / Ungeduld / Grobheit /Zanksucht / Unbarmhertzigkeit / Hochmühtigkeit / ja den Zorn selbst / und fast alle die andern Untugenden / derer Großvater der Geitz ist.

(137) Dagegen verstehen wir unter der Liebe die Mildheit / Aufrichtigkeit / Unverfälschtheit / Treue /Unbetrügligkeit / Guhthertzigkeit / Wahrheit / Gunstgewogenheit / Guhttähtigkeit / Verträgligkeit / Leutsäligkeit / Bescheidenheit / Friedligkeit / Barmherzigkeit / Mitleidenheit / Demuht / Sanftmuht / ja alle die andern Tugenden / die aus der Liebe / dem Springbrunnen / ja der Mutter alles Guhten / so reichlich entspringen.

(138) Des andern Tages nach des Breutigams und seiner bei sich habenden Hochzeitgäste glüklicher Ankunft / warden auch dreissig der muhtigsten Timnattischen Jünglinge zur Brautmahlzeit eingeladen. Und solches geschahe vermuhtlich unter dem Scheine / als solten sie der Brautdiener Stelle verwesen: als solten sie den Breutigam und der Braut aufwarten /und acht geben / daß bei dem Brautmahle alles richtig zuginge.

(139) Diese Mänge war zur Aufwartung der Breute / sonderlich dazumahl / da man von dergleichen Weitleuftigkeiten und Geprängen auf Hochzeiten noch nichts wuste / viel zu groß. Und darüm konte man hieraus freilich anders nichts urteilen / als daß die Filister / denen Simsons berufene Tapfermühtigkeit verdächtig / und ein Dorn in den Augen war / diese dreissig Jungferknechte eigendlich darzu bestellet / daß sie auf Simsons Beginnen ein wachendes Auge haben / und ihm / sofern er [54] etwan einige Feindsäligkeit auszuüben sich unterfinge / mit gesamter Macht widerstehen solten.

(140) Ein böses Gewissen ist niemals ohne Furcht. Es schläft wohl eine Zeit lang: doch erwacht es endlich / und macht dem Hertzen Angst und bange. Die Filister hatten das Volk GOttes nunmehr eine geraume Zeit nacheinander mehr als zuviel geängstiget. Ihr Joch hatten sie ihm so schweer gemacht / daß es darunter schier verschmachtet. Sie waren zwar GOttes Strafruhte. Aber diese Ruhte begunte nun zu verdorren: ich wil sagen / zeitig zu werden zum Zornfeuer der Göttlichen Gegenstrafe.

(141) Dieses märkte das heillose Volk. Dieses ahnete die Bösewichter. Dieses schwahnete dem Abgöttischen Gebrühtsel. Und darüm ängstigte die Furcht /als der Strafe Vorgängerin / ihr Hertz. Darüm fürchteten sie / Simson möchte vielleicht derselbe sein /den der GOtt Israels erwehlet sein Volk zu rächen. Und zu dieser Furcht bewegte sie seine so übermenschliche Stärke; die nirgend anders herrühren konte / als von der Almacht des GOttes Israels. Diese Furcht gebahr in ihnen seine mehr als heldenmäßige Tapferkeit; darvon der Ruf die Ohren des gantzen Filisterlandes albereit kützelte.

(142) Hierzu kahm auch der abscheuliche Strobelstern / welcher in eben der Nacht / da Simson des Tages zuvor sein Ehverlöbnis zu Timnat gehalten /über dieser Stadt zum ersten erschienen / und daselbst in den folgenden fünf Nächten war stehen geblieben. Ja man hatte ihn auch straks darnach über Asklon /über Lehi / und endlich über Gaza / da er / überDagons Götzenhause / zweimahl erschröklicher /als über den vorigen Oertern / gefeuert / und wieder verschwunden / mit großer Bestürtzung erblikket. Er stund oder hing vielmehr in der Luft / mit einem solchen feurigen Schwantze / den er nach dem Filisterlande zu ausbreitete / daß er allen / die ihn sahen / ein überausgroßes Schrökken einjagte.

(143) Weil nun diese Abergleubische Heiden gemeldten Strobelstern für ihren Unglüksstern / und für ein Vorzeichen ihrer Niederlage / ja selbst für einen Glüksstern des Simsons / von dem sie ihnen nichts guhtes einbildeten / zu halten schienen; [55] so war das Mistrauen zwischen ihnen / und dem Simson üm so viel grösser: zuvoraus weil dieser ihr Unglüks-und Simsons Glüks-stern eben in der Zeit / da er sich mit einer aus ihren Töchtern verlobet / über ihrem Lande zu erscheinen begonnen.

(144) Es ist auch gewislich nicht ohne Grund der Wahrheit / daß bisweilen dergleichen geschwäntzte Sterne zugleich Glüks- und Unglüks-sterne wollen genennet werden: weil sie dem einen Volke das Aufnehmen / dem andern den Untergang / jenem den Sieg /diesem die Niederlage vielmahls zugleich / allemahl aber große Veränderungen entweder zum Bösen /oder zum Guhten / nach ihrem unterschiedlichen Stande / zu verkündigen scheinen.

(145) Aus diesen Uhrsachen tähte man ihnen in Wahrheit ch unrecht / wan man sie / mit dem gemeinen Völklein / allezeit und allein für Unglükssterne auszuschreien kein Bedenken trüge. Diese Wahrheit könte mit tausend Lehrbildern / und Beispielen aus den Geschichten gar leichtlich behauptet werden /wan die Zeit und diese Schrift es zulaßen wolten sich in dergleichen Abschweiffungen was weitleuftiger zu vertieffen.

(146) Aber wie argwähnisch die Filister auch immermehr sein mochten / so durften sie sich doch dessen keines weges verlauten laßen. Ja wie verdächtig ihnen Simson war / so wenig durften sie sich unterfangen seine Heurraht zu verhindern. Von dieser Verhinderung verhinderte sie nichts anders / als die bloße Furcht für seiner so mächtigen Stärke. Und darüm stelleten sie sich auch / als wan es ihnen von Hertzen lieb were / daß Simson mit ihnen sich befreundete. Ja sie begegneten ihm anders nicht / als freundlich; und wünschten ihm / wiewohl nur mit dem Munde / das allererfreulichst-gedeilichste Glük zu seiner instehenden Hochzeit.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Zesen, Philipp von. Romane. Simson. Das 1. Buch. Das 1. Buch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B05A-9