Das Neunde Lied
Ein Gespräche zweyer verliebten Personen.
Er.
Seyd willkommen/ seyd willkommen
Meiner Sinnen Meisterin/
Nun ist mir das Leyd benommen/
Nun ist wieder frey mein Sinn/
Weil ich nun kan wieder schauen
Der beblühmten Glieder Auen.
Sie.
Großen Danck und seyd gegrüßet
Höchster Schatz/ mein güldnes Licht/
Mein Gemüth wird auch durchsüßet/
Weil ich nun sein Angesicht/
Dem die Rosen weichen müssen/
Kann in gutem Friede küssen.
[117] Er.
Schönste/ wil sie mit spatzieren
In den Garten vor das Haus/
Ich wil bey den Händen führen
Sie hinein und wider raus/
Da sich die Natur bemühet
und die schöne Rose blühet.
Sie.
Ich wil folgen/ wo Er gehet/
Wo der weissen Liljen Schnee
Auff den bunten Beeten stehet/
Wil mich setzen in den Klee
und in seinen zarten Armen/
Liebster Schatz/ mit Lust erwarmen.
Er.
Schönste seht! wie schön nur blincken
Die Violen gelb und blau/
Wie die bunten Nelcken wincken
Durch den weissen Silber-Tau/
Allhier reiffen die Melonen
Pommerantzen und Citronen.
Sie.
Meine Hand ist schon bemühet
Ihm zu winden einen Krantz/
Weil die schöne Rose blühet/
Weil noch völlig ist der Glantz/
Weil die Tulpen und Narcissen
Noch zu Kräntzen dienen müssen.
[118] Er.
Hier kann ich mich zwar ergötzen
Mit der schönen Garten-Lust/
Besser aber kann mich letzen
Ihre Liljen-weisse Brust/
Ihre Lippen/ Ihre Wangen/
Die mit schönern Sachen prangen.
Sie.
Ach! was solten meine Wangen
und ich arme Creatur/
mit noch schönern Sachen prangen!
Es beliebt dem Liebsten nur
So zu reden/ so zu schertzen/
Geht es Ihm doch nicht von Hertzen.
Er.
Ach! was mag sie/ Liebste/ sprechen/
Es ist Ihre Höffligkeit/
Die sich kann herausser brechen
und die Hand der Schöne beut/
Wie sol ich mit bloßem Schertzen
brechen aus dem treuen Hertzen?
Sie.
Ach! ich möchte gerne wissen/
Was nur schönes an mir sey?
Was auff Höffligkeit geflissen
und der Tugend falle bey?
Das Ihm hat gelüst zu loben
und mich also sehr erhoben.
[119] Er.
Es beschämen Ihre Wangen
Das beblühmte Garten-Beet/
Da die Tausendschönen prangen
und die weisse Rose steht;
Ich kan sagen/ daß Narcissen
Ihrer Stirne weichen müssen.
Sie.
Seht! der Abend kömmt geschlichen/
unsre Freude wird zertrennt
und die Sonn' ist fast entwichen/
Die mit vollem Zügel rennt/
Die sich nach dem Meere lencket
und die müden Pferde träncket.
Er.
Soll und muß ich von Ihr scheiden/
Schöne/ meine Lust und Zier/
Ey so lebe Sie in Freuden
und verbleibe günstig mier/
Weil die schöne Rose blühet
und die Sonne Wasser zihet.