[367] [369]Das neunde Buch.

Die (1) Einteilung.


Nunmehr war man bei Hofe der Ankunft des Fürstlichen Freuleins gewärtig. Nunmehr vermuhtete man Ihrer schon in der nähe. Es war eben ein schöner Tag. Die Sonne machte die gantze Luft heiter. Die Wolken stunden / als ein klahrer Kristalspiegel / dadurch eine mit Liechtweis untermängte schier bleichblaue Farbe schien. Das angenehme liebliche Wetter lokte die Menschen aus den Heusern / die Stadt auf das Land. Die trukkenen Felder reitzten die Füße sie zu bewandeln. Die grühnenden Gründe / die lustigen Berge /die anmuhtige Flächen machten das Auge lüstern sie zu beschauen.

(2) Bei so anmuhtiger Witterung des Himmels /bekahm der Fünffürst selbst Lust eine Lustfahrt zu tuhn: zuvoraus weil seine Fürstliche Tochter eben itzund im Ankommen begriffen. Dieser zugleich entgegen zu ziehen / und also seine Lust zu verweifältigen war sein Vorsatz. Zu dem Ende befahl er auch seinen herlichsten Prachtwagen anzuspannen. Er gehoht allen seinen Hofbedienten sich auf das zierlichste zu schmükken. Die Fürstin selbst erschien in ihrer köstlichsten Pracht. Ihre Stahtsjungfrauen kahmen / mit der Hofmeisterin zugleich / Ihr nachgeträhten / in der allerschönsten Zierde; welche die damahlige Welt ein Weibsbild zu verschönern iemahls erfunden.

(3) In solcher herlichen Pracht gewan die Lustfahrt ihren Fortgang. Man begab sich aus dem Schlosse durch die Stadt hin; da alle Gassen vol Mansbilder /und alle Fenster vol Weibsbilder stunden. Jene machten in den Gassen neue Gassen. Diese setzten den Fenstern neue Fenster ein; indem sie dieselben mit ihren helflinkernden Augen / den zweifachen Fenstern zum Hertzen / erfülleten. Sobald man vor das Stadttohr gelanget / wehlete man dieselbe Straße / da man des Freuleins Ankunft vermuhtete.

[369] (4) Alhier kahm man / durch zwo lange Reihen Palmbeume / die längst den Weinbergen hin stunden /in ein schönes Feld. Dieses stund vol Getreides / das schon geschosset: welches der gantzen Gegend ein lustiges Aussehen gab. Zu Ende des Feldes befand sich eine große Wiese / die etwas niedrig lag. Aur hiesiger Wiese war es / da der Fünffürst den Vortrab seiner Freulein Tochter von fernen erblikte. Sie selbsten folgete straks nach / mit der übrigen gantzen Reiterei. Hierauf fing man zu beiden Teilen an tapfer fortzujagen. Und also kahmen beide Fürstliche Stahtswagen schier in einem Augenblikke zusammen.

(5) Der Fünffürst war der erste / der von seinem Stahtswagen sprang. Er eilete straks nach seiner Fürstlichen Tochter zu: welche sich auch schon /durch Hülfe des Oberjägermeisters / auf die Erde begeben. Die Freude zu beiden Teilen war schier unaussprächlich groß. Der Fünffürst empfing und ümfing Sie mit beiden Armen. Er drükte Sie / ja gleichsam ihr Hertz an sein Hertz. »Nun hab' ich Sie« sprach er /nach etlichen Grusreden / schertzweise. »Nun hab' ich die liebe Göttin Onke! Und nun kanstdu auch« /rief er dem Oberjägermeister zu / bei dem er seine Liebste stehen sahe / »in der Wahrheit sagen: Sie ist mein! Sie ist mein!« Hierauf neugte sich der Oberjägermeister / samt seiner Liebsten / schier zur Erde nieder.

(6) Endlich kahm des Fünffürsten Gemahlin / mit ihrem gantzen Frauenzimmer / auch darzu. Dieser eilete die Fürstliche Tochter / mit tiefster Ehrerbietigkeit / entgegen. Da ging es an ein Neugen und Beugen. Ja die Stahtsjungfrauen neugeten sich / bei der ersten Begegnung dieser Fürstinnen / so tief / daß sie mit den Kniehen die Erde schier berühreten. Auch schien es / als wolten sie auf dem Boden gar liegen bleiben. So langsam richteten sie sich wieder in die Höhe! Nach unterschiedlichen Freudenbezeugungen /und Grusreden / die unter beiden Fürstinnen vorfielen / empfing die Hofmeisterin ihre Tochter ebenmäßig mit sonderlichen Freuden / ja gar mit heuffigen Freudenträhnen: welche der Tochter gleichesfals in die Augen stiegen. Dieses freudige Wilkommenheissen verrichteten hiernach auch alle Stahtsjungfrauen: welche miteinander / [370] in Euserung der Freuden / und Ehrerbietigkeit gegen das Fürstliche Freulein / gar zu wettestreiten schienen.

(7) Inzwischen empfing auch der Fünffürst den Oberjägermeister / und seine Liebste / mit sonderlichen Gnadenbezeigungen. Beide sprach er überaus gühtig an. Alle seine Reden waren mit Schertze vermischet. Gegen beide war er so freundlich / so redesälig / als weren sie seines gleichen gewesen. Ja er erwiese sich so gar leutsälig / daß er endlich des Oberjägermeisters Liebste selbst bei der Hand nahm / und sie zur Fürstin führete. »Hier haben wir auch« /sprach er seine Gemahlin an / »unserer Tochter Hofmeisterin; die ich darzu erwehlet / eh ich sie gesehen. Aber meine Wahl gereuet mich eben so wenig / als wenig es unsern Oberjägermeister gereuet / daß er sie zu seiner Liebsten erwehlet. Morgen wil ich / daß ihr Verlöbnis / in unserer Gegenwart / bei unserer Tochter Freudenmahle / geschehe. Und bald darnach wollen wir auch allesamt ihre Hochzeitgäste sein.«

(8) Der Oberjägermeister stund mit darbei / als der Fünfefürst dieses sagte. Er bedankte sich untertähnig für die hohe Gnade / die man ihnen zu erweisen gesonnen. Eben dasselbe täht auch seine Liebste / nachdem die Fürstin sie wilkommen geheissen. Endlich nahm der Fünffürst / welcher Lust bekahm einen Lustwandel zu Fuße bis an das Kornfeld / auf dieser Wiese / zu tuhn / seine Gemahlin bei der Hand / und gieng also mit ihr von dannen. Auch folgeten ihm alle die andern zu paaren. Nur das Fürstliche Freulein allein fügte sich ihrer Fürstlichen Frau Mutter zur Seite. Beide Hofmeisterinnen hatten die Ehre / daß sie den Fürstinnen nachtrahten. Der Oberjägermeister aber begab sich inzwischen wieder auf des Freuleins Stahtswagen. Dieser folgete / mit seinem gantzen Schwalke / langsam nach. Eben dasselbe täht auch der Stahtswagen des Fünffürsten / nachdem man ihn ümgelenket / mit allen andern / die ihm nachfuhren.

(9) Sobald man vor das Kornfeld gelanget / begab sich der Fünffürst / mit seiner Gemahlin / und Freulein Tochter auf seinen Stahtswagen. Beide Hofmeisterinnen blieben bei dem [371] Oberjägermeister / auf des Freuleins Stahtswagen. Die Hofjungfrauen aber nahmen ihre vorige Stellen ein. Und also machte man sich algemach nach der Stadt zu. Alda war alles wieder rege. Das Volk kahm von allen Enden her in die Schlosgasse gelauffen / diesen prächtigen Einzug zu sehen. Kein Dienstbohte blieb zu Hause / kein Knecht bei seiner Arbeit / keine Magd bei ihrem Wokken. Selbst die Kinder liessen sich nicht zwingen aus dem Drange zu bleiben. So begierig war iederman an diesem Gepränge die Augen zu weiden!

(10) Den Vortrab hiesiges Einzugs machten die Hofbedienten. Diese kahmen zum allerersten zum Tohre hinein. Straks darauf erschien des Fünffürsten Stahtswagen. Dem folgete der Stahtswagen des Fürstlichen Freuleins. Darnach kahmen zween andere Wagen des Fürstlichen Frauenzimmers; denen die Fürnehmsten der Jägerei nachritten. Auf diese sahe man zween Rüst- oder Küchen-wagen des Freuleins; und endlich die gantze Reiterei / welche das Fürstliche Freulein begleitet. Diese machte den Nachtrab /und beschlos den gantzen Einzug.

(11) Als des Fünffürsten Stahtswagen / darauf das Fürstliche Freulein mitsaß / durch das Tohr in die Stadt fuhr; da begunte das Volk alsobald überlaut zu rufen: »Wilkommen! wilkommen! Glükzu! Glükzu!« Dieses Rufen währete so lange / bis der Stahtswagen zum Schlostohre hinein war. Auch warfen die Jungfrauen dem Freulein Kräntze von Bluhmen zu. Die Mansbilder streueten Palmenzweige vor ihrem Stahtswagen her / auf den Weg. Ja einieder frohlokkete. Einieder bezeugete / mit den Händen so wohl / als mit dem Munde / seine hertzliche Freude.

(12) Dieses Lustgepränge / dieses Frohlokken /dieses Zujauchzen verzog sich bis in den spähten Abend. Es war nunmehr hohe Zeit das Abendessen zu halten. Man ging zur Tafel. Man aß. Man trunk. Man war fröhlich. Man machte sich lustig. Man schertzte. Man lachte. Niemand brach das Spiel. Nicht einem misfiel / was allen gefiel. Der Ernst war ausgebannet. Die Traurigkeit stund verwiesen. Der Kummer war ins Elend verjagt. Dahin befand sich auch der Schweermuht vertrieben. [372] [374]Kurtz / alles war vol Freude / vol Lust / vol Ergetzlichkeit.

(13) Nachdem man lange genug gesässen / und gekurtzweilet / stund der Fünffürst jählingen auf. Er hatte bisher / für übermäßigen Freuden / nicht beobachtet / daß seine Fürstliche Tochter vom Reisen ermüdet / und unlustig sei. Er hatte noch nicht gemärket / daß sie mehr Lust hette zu schlafen / als wakker und lustig zu sein. Aber itzund ward er gewahr / daß Ihr die Augen zufielen; daß sie mit dem Heupte zu nikken anfinge. Darüm war sein Wille Schicht zu machen. Alle Freude solte man nicht auf einmahl ausschütten. Man solte für den morgenden Tag / da man das Freudenmahl zu halten willens / auch etwas spaaren. Ja er wolte / man solte sich zu Bette begeben. Man solte der Nacht ihr Recht / und den Leibesgliedern ihre Ruhe gönnen.

(14) Einem weisen Fürsten stehet in alwege zu /das Wohlleben zu mäßigen. Sonst wird aus dem Wohlleben ein Ubelleben. Maße halten dient Jungen und Alten. Weit in die Nacht hinein bei dem Trunke zu sitzen / schwächet die Sinnen / verwürret den Verstand / machet den Leib krunken / ja den gantzen Menschen untüchtig zu allen Dingen. Lust zur Unzeit bringt Unlust. Zuvieles Ergetzen pflegt in Trauren zu setzen. Ubertaht hat Unraht zum stähtigen Gefährten.

(15) So begab sich dan iederman zu Bette. Einieder ging schlafen. Alle legten sich auf ihr rechtes Ohr. Also lagen sie sanfter. Also schlieffen sie geruhiger. Also warden sie durch keine schweermühtige Treume verunruhiget. Ja sie schlieffen also bis an den liechten Morgen. Sie erwachten nicht eher / als da die Sonne den Schatten der Nacht überal / auch in den tiefsten Tählern / zertrieben. Das Freulein selbst ward eher nicht wakker / als da es / durch das Knarren der Kammertühre / wakker zu werden begunte.

(16) Die Oberhofmeisterin kahm eben in das Zimmer geträhten / als des Freuleins Augen sich öfneten. Die Mutter ging eben nach ihrem Bette zu / als Sie das Gesicht nach der Tühre zu kehrete. Sie war noch schlafirre. Sie war noch halbblind. Darüm erkante Sie so straks nicht / wer sich zu Ihr nahete. [374] Darüm rief Sie auch ihrer Hofmeisterin / die im Nebenzimmer lag. Doch diese schlief noch so fest / daß sie nichts hörete.

(17) Aber sobald Sie ihrer Mutter Stimme vernahm / da richtete sie sich straks auf. Sobald sie sichTochter nennen hörete / da sprang Sie / für Freuden / in die Höhe. »Ach! meine Mutter! meine Mutter!« rief Sie überlaut / und ümhälsete sie. »Seid ihr es? Seid ihr es / die mich wakker macht? Ach! wie hab' ich nach euch verlanget! Ach! wie hab' ich nach euch gekärmet! Ich gedachte vor vierzehen Tagen im geringsten nicht / daß ich euch wiedersehen würde. Dazumahl war ich schon so weit von euch entfernet /daß ich wieder zu euch zu gelangen keine Hofnung hatte. Dazumahl war ich schon so tief in die Klauen der Reuber gerahten / daß ich / ihnen zu entkommen /keine Gelegenheit sahe.«

(18) Hierauf erzehlete sie alles / was sich bei ihrer Entführung begeben. Und als die Mutter unter andern vernahm / daß der Fürnehmste der Reuber Pammenes geheissen; da fiel ihr straks ein / daß er derselbeTimnatter gewesen / der ehmahls zu Timnat so viel Boßheiten verübet / daß er deswegen inEgipten flühen müssen. Auch wolte sie eben anfangen seinen wunderlichen Lebenslauf zu beschreiben / als der Fünffürst / mit seiner Gemahlin / in das Zimmer geträhten kahm.

(19) Zu guhtem Glükke hatte sich das Freulein eben aus dem Bette begeben. Und ihre Hofmeisterin war auch schon bei der Hand / Sie ankleiden zu helfen. Der Fünffürst / und seine Gemahlin grüßeten sie allerseits sehr freundlich. Jener fragte von stunden an: wie sie geschlafen? ob sie auch sanfte gelegen? und was sie getreumet? Auch war er begierig zu wissen /wo / und wie seine Freulein Tochter dem Leuen / der Ihr des Nachtes sowohl / als des Tages so gar getreulich aufwartete / bekommen?

(20) Nachdem sie nun alles berichtet / wie dieser Leue sich / in ihrer Einsamkeit / als ein Verwundeter /zu ihr gefunden / und Sie üm Hülfe gleichsam angeflöhet / Sie auch seine Wundärtztin gewesen / ja wie er / nach glüklicher Genäsung / Sie niemahls verlaßen / und Ihr / aus sonderlicher Dankbarkeit für [375] ihre Hülfe / gleichals ein Gefährte / gleich als ein Hühter /gleichals ein Wächter / gleichals ein Beschirmer / ja gleichals ein Küchen- oder Speise-meister getreulich aufgewartet; da ward der Fünffürst über alle maße verwundert. Ja er konte sich nicht genug verwundern /daß ein solches wildes und grimmiges Tier seine Angebohrenheit so gar verändert; daß es so gar zahm /so gar sanftmühtig / und so gar aufwärtig geworden.

(21) Man müste dieses / sagte er / für eine sonderliche Schikkung des Himmels halten: welcher seiner Freulein Tochter / da sie von allen Menschen verlaßen gewesen / dieses Tier / Ihr in ihrem Elende mit Hülfe beizuspringen / zusenden wollen. Ja der Himmel hette für Sie eine so ungemeine gantz wunderliche Sorge getragen / daß man / ohne Verletzung der Wahrheit /wohl sagen könte: der Welt were / so lange sie gestanden / dergleichen Wunderbegäbnis nie zu Gesichte gekommen. Nie sei es erhöhret / daß ein Leue so getreu und dienstfärtig gegen einigen Menschen / als dieser getahn / sich erwiesen.

(22) Es war auch gewislich dazumahl dergleichen Beispiel in der Welt noch gantz neu / noch gantz fremde. Man hatte dazumahl noch niemahls ein so wildes und grausames Tier gezähmet gesehen. Viel weniger hatte man erfahren / daß ein Leue / wider sein angebohrnes wildes Wesen / einigem Menschen mit so gar getreuen Diensten begegnet. Erst nach der Zeit hat Hanno / ein Fönizier / dergleichen Tier zum allerersten gezähmet. Zum allerersten hat nachmahls Markus Antohn die Leuen vor seinen Siegeswagen gespannet. Was vom Mentor / einem Sirakuser / der einen Splitter aus eines Leuen Pfohte gezogen / ja was vom Elpis / einem Samier / welcher einen Knochen dergleichen Tiere zwischen den Zähnen heraus nahm / die Geschichte melden / hat sich ebenmäßig erst nach der Zeit begeben.

(23) Weil der Fünffürst noch einige Stahtsgeschäfte / die keinen Verzug litten / zu verrichten hatte / so schied er / nach einigen andern Gesprächen / wieder von ihnen. Auch folgete seine Gemahlin / die gegen das instehende Freudenmahl ihren besten Schmuk anzulegen gesonnen / ihm straks nach. [376] Als sich nun das Freulein / mit ihrer Mutter / und ihrer Hofmeisterin / allein sahe; da begehrte Sie von jener des Reubers Pammenes Lebensverhaltnis zu wissen. Die Mutter hette zwar itzund / ihrer Amtspflicht zur folge / der Fürstin / neben den Stahtsjungfrauen / aufwarten sollen. Weil aber die Fürstin selbst / im Hinausgehen / ihr befohlen / noch ein wenig bei ihrer Tochter zu verharren; so gehorchte sie diesem Befehle. Auch wilfahrte sie dem Begehren des Freuleins; indem sie kurtzbündig zu erzehlen anfing / und zwar folgender Gestalt /


Die Lebensgeschicht des

Reubers Pammenes.


(34) »Der Apfel fält nicht weit vom Stamme. Der Rabe verlesset die Raubahrt seines Geschlächtes nicht. Die Katze wird mit Mausen empfangen / im Mausen gejunget / und durch die Mauserei groß gemacht. Was für ein Wunder ist es dan / daß ihr die Mauserei als erblich anhänget. Des Pammenes Vater war ein Reuber. Seine Mutter stahl gern. Seine Pflegemutter / oder vielmehr Seugamme hatte das Kind / da es kaum gebohren / seiner Gebährerin entwendet. Was für ein Wunder war es dan / daß derselbe / dem die Reuberei von seinen Eltern angebohren /und der Diebstal von seiner Amme vollend eingeseuget worden / so ein berufener Dieb / so ein großer Reuber ward.

(35) Seine Pflegemutter märkte die Raubahrt an ihm schon in seinen ersten Kindesjahren. Darüm trachtete sie ihn / durch Ubung in den freien Künsten /darvon abzuziehen. Erst lies sie ihn zu Timnat in die Stadtschuhle gehen. Darnach schikte sie ihn nachDebir / auf die Hohe Schuhle. Alda / weil er sehr witzig und verschlagen war / nahm er in kurtzer Zeit überaus zu. Er übertraf in der Gottesgelehrtheit / darinnen er sich / als in seinem vorgegebenen Hauptzwekke / sonderlich üben muste / schier alle seine gleichjährige Mitlehrlinge.

(36) Gleichwohl hing ihm die Raubahrt noch immer an. Er [377] konte keines Weges darvon ablaßen. Er entführte seinem Mitgesellen so manches Buch: auch wohl seinen Lehrern selbst. Doch diese Dieberei wuste er so listig zu vertuschen / daß er in keinen Verdacht kahm. Endlich bestahl er gar die öftendliche Bücherei. Dieses sahe der Bücherverwahrer selbst /der hinter den Büchern von ferne stund. Die sämtlichen Glieder der Hohen Schuhle / sobald es ihnen angesagt ward / nahmen es so übel auf / daß er darüber in Verhaftung geriet. Aber seines unermüdeten Fleisses / und seiner ungemeinen Geschikligkeit wegen /kahm er bald wieder loß! Doch ward er von der Hohen Schuhle verstoßen.

(37) Seine Pflegemutter hatte vor / ihn in Egipten zu schikken: damit er sich auch in der Egiptischen Priester Weisheit üben möchte. Alda hatte sich seine Mütterliche Bluhtsfreundin / die berühmte Jung frau Sidon / vor diesem gleichmäßig aufgehalten. Diese sang eine sehr liebliche klahre Stimme. Ja sie war dieselbe / welche / wo sie nicht die Weltberühmte Handelsstadt Sidon / wie etliche meinen / gestiftet /doch die Erfinderin war einer sonderlichen Ahrt Gesänge / die man nach ihrem Nahmen noch itzund Sidda oder Siddot zu nennen pfleget.

(38) Aber er hatte keine Ohren darzu. Der zuDebir empfangene Schimpf stak ihm noch im Kropfe. Die Schande / die man ihm alda angetahn /wolte die Kunstgeflissenheit ihm schier verleiden. Er legte sich / an stat seines vorigen Fleisses zu gebrauchen / auf die faule Haut. Er ward ein Bährenheuter /ein Faulenzer / ein Lediggänger / ja endlich gar ein Straßenreuber. Er klopfte tapfer auf den Busch. Selbst zu Hause / selbst in der Stadt Timnat blieb ihm an den Händen kleben / was so einem andern zukahm. Endlich stahl er auf den Gassen die Kinder weg / und verkauffte sie in der Fremde. Ja er entführete mit Gewalt eine Jungfrau. Hierüber ward er ertapt. Aber mit einer sonderlichen Arglist kahm er darvon / und flohe nach Egipten zu.

(39) Alda begab er sich zu den Memfischen Priestern. Alda hielt er sich so from: er stellete sich so andächtig / so heilig an / daß es schien / er hette niemahls einiges Wasser betrübet. Er [378] verfügte sich des Tages wohl zwei oder dreimahl in das Heiligtuhm. Alda schien er / aus sonderlicher Gottesfurcht / selbst die Füße der sämtlichen Götter abzubeissen. Endlich ward er lüstern sich auf die Ahrtforschung zu legen. Er wolte die Kraft Eigenschaft des Ertzes / des Edelgesteines / und aller Berggewächse durchgründen. Er wolte das Geheimnis der Verwandelung des einen Ertzes in das andere / durch die Scheidekunst / ausforschen. Und hierzu ward er veranlaßet durch die Ebräerin Marie.

(40) Diese weise Frau war es / die so schöne Bücher vom Golde / vom Silber / und von den Edlen Steinen sol geschrieben haben / daß sie dadurch einen großen Nahmen weit und breit verdienet. Zu dieser gesellete sich der flüchtige Pammenes. Mit dieser ging er täglich üm / nur darüm / damit er ihr einige Kunststüklein ablernete. Nach der Zeit ist mir von ihm nichts mehr zu Ohren kommen: als allein dieses /das ich heute von Dir vernommen: daß er nähmlich wieder ein Reuber / und endlich eine Zielscheibe des über seine Boßheit ergrimten Himmels geworden. So hat er dan seinen verdienten Lohn empfangen! So ist sein Leib / und seine gotlose Seele / mit Schrökken hinunter in den Abgrund gefahren!«

(41) Nach dieser Erzehlung legte das Fürstliche Freulein seinen zum Freudenmahle bestimten köstlichen Schmuk vollend an. Die Mutter aber begab sich unterdessen in der Fürstin Zimmer; da sie das gantze Fürstliche Frauenzimmer / auf das prächtigste geschmükket / schon versamlet fand. Ein wenig darnach erschien auch das Freulein selbst / dem die Hofmeisterin folgete. Weil nun das Freudenmahl noch sobald nicht angehen solte / so sahe die Fürstin für guht an einen Lustwandel in den Schlosgarten zu tuhn. Zu dem Ende nahm sie dan das Freulein bei der Hand. Und also ging sie / in Begleitung beider Hofmeisterinnen / und aller Stahtsjungfrauen / darnach zu. Die Kammermägdlein und Zofen bewahreten indessen ihr Zimmer.

(42) Dieser Lustgarten lag längst der Morgenseite des Schlosses hin / in einem recht vierekkichten weitem Umfange. Auf seinen drei freien Seiten / nähmlich auf der Mitternachts Morgen- [379] und Mittags-seite / war er mit lauter Palmenbeumen / die in zwo nach der Schnur eingerichteten Reihen stunden / und rund herüm einen anmuhtigen schattichten Lustgang macheten / ümschlossen. Mitten durchhin / von Mitternacht nach dem Mittage zu / kahm ein klahres Bächlein gerieselt: welches zu beiden Seiten eine niedrige Mauer hatte / darauf man zugleich sitzen konte / und recht in der Mitte des Gartens einen runten Teich stähts mit frischem Wasser erfüllette. Dieses Bächlein sowohl / als der Teich / dienete nicht allein die Bluhmen und Gartenfrüchte zu begiessen / sondern auch zu Vermehrung der Lust.

(43) Auf der einen Seite des Bächleins nach dem Schlosse zu / gegen Abend / befand sich der Bluhmengarten / mit vielerhand fremden und einheimischen Bluhmengewächsen bepflantzet. Dieser war in acht gleichgroße Felder / die rund ümher teils mit Rosenstreuchern / teils mit mancherlei niedrigen Beumlein ümpflanzet stunden / eingeteilet / also daß üm iedes Feld her ein zimlich breiter Gang ging. Alle Felder waren wieder in unterschiedliche zierlich gebildete Betten unterschieden. Alhier blüheten eben dazumahl / wo nicht fast alle / doch die meisten Bluhmen: welches überaus lustig und lieblich war anzusehen.

(44) Auf der andern Seite des Bächleins / die gegen Morgen lag / war der Kohl- Kreuter- und Küchen-garten eben wie der erste / mit sonderlichen Feldern / und Betten unterschieden Dieser grühnete durch und durch / eben wie der vorige durch und durch bunt war. In diesem ward das Auge / das in jenem sich schier blind gesehen / wieder gestärket; indem die Augenstrahlen an der Grühnen Farbe sich gleichsam wieder schärften. Von einem Garten zum andern ging man über unterschiedliche steinerne Brüklein / die über das Bächlein geleget stunden.

(45) Bei einem dieser Brüklein / neben dem Teiche / ward die Fürstin des Fünffürsten gewahr. Alda saß er mit dem Oberjägermeister / unter dem Schatten eines Feigenbaumes / auf einem begraseten Bänklein. Beide hatten sich in ihrem Gespräche so sehr vertieffet / daß sie das ankommende Frauenzimmer nicht eher erblikten / als da sie den behände schlurfenden[380] Trit /und das Rauschen der Kleider höreten. Erstlich achteten sie dieses Getöses und Gereusches nicht. Aber als sie vernahmen / daß es immer näher und näher kähme / daß es immer lauter und lauter würde; da sahen sie sich üm / und sahen also den gantzen Hauffen zunächst hinter ihnen stehen.

(46) Der Fünffürst sprang so plötzlich auf / daß er dem Oberjägermeister schier zuvorkahm. Beide hatten sich eines so unversehenen Uberfalles nicht vermuhtet. Doch war es ihnen lieb / daß ihre Geselschaft so märklich sich mehrete. Diesen Tag hatte man ja zur Lust und Freude bestimmet. Darüm war es ihnen nicht zuwider / daß man sie in ihren wüchtigen Gesprächen / die auf eine andere Zeit könten verspaaret werden/ so unverhuhts gestöhret. So verfügte sich dan der Fünffürst / einen Lustwandel zu tuhn / zu seiner Gemahlin / und Freulein Tochter. Und der Oberjägermeister wehlete die Seite seiner Liebsten / die neben der Oberhofmeisterin herging.

(47) In dieser so anmuhtigen Geselschaft begaben sie sich in den Bluhmengarten: da die weissen Bluhmen für allen diesen ausbündigen Schönheiten sich gleichsam zu erröhten / und die Rohten schier zu erblassen schienen. Der Fünffürst war der erste / der seine Hand an diese so lieblichblühende Gartengewächse schlug. Er brach etliche weisse mit eben so vielen rohten Rosen ab. Von diesen gab er seiner Gemahlin / seiner Freulein Tochter / und ihrer Hofmeisterin / wie auch der Oberhofmeisterin / einer ieden ein Paar. Das letzte Paar behielt er für sich selbst. Bei überreichung des einen Paares an die Hofmeisterin /fing er seiner Gewohnheit nach / zu schertzen an. »Ich märke / daß ihr Liebster / aus Blödigkeit / ihr keine Rosen abpflükken darf. Darüm wird er nicht schähl sehen / wan ich es tuhe. Doch er spaaret vielleicht seine Hand eine lieblichere Rose bei Ihr selbst abzubrechen.«

(48) Zwischen dessen waren alle Stahtsjungfrauen /auf ihres Fürsten Wink / auch Rosen abzubrächen geschäftig. Weil nun die Fürstin gewahr ward / daß der Oberjägermeister noch keine hette / so befahl sie ihrer Kammerjungfrau ihm ein Paar einzuhändigen. Diesem Befehle ward straks gehorchet. Die Kammerjungfrau verfügte sich Angesichts zu ihm zu. Sie überreichte[381] das paar Rosen. Und darbei sagte sie: weil ihre Hand so glüklich sei die Ehre zu haben / auf der Fürstin Befehl einem Breutigam ein Blühmlein zu verehren; so verhofte sie seine Braut damit nicht zu erzürnen.

(49) »Wie seind dan heute« / fing der Fünffürst an / »die Breute so gar blöde / daß weder Breutigam /noch Braut die Kühnheitnehmen dürfen einander ein Rösichen abzupflükken? Doch weil sich dessen der Breutigam zuerst geschähmet, wer wolte die Braut /welcher die Schaam / als eigen / zukömt / verdenken /daß sie sich nicht weniger schaamhaftig erweisen wollen? Nun ist die Schählsichtigkeit bei beiden aufgehoben: weil beiden begegnet / was sie schählzusehen veruhrsachen können / im fal nur einem allein solche Begegnis zugestanden.«

(50) Hierauf begaben sie sich / der Sonnenhitze /die was heftig zu stechen begunte / zu entgehen /unter den Schatten der Palmenbeume. Alda setzten sie sich / auf unterschiedlichen Bänken / nieder. Der Fünffurst fing wieder an zu schertzen. Er fragte die künftige Braut: wie ihr der Brautnahme / den man ihr schon gegeben / gefiele; und ob sie nicht Verlangen trüge / ihn in der taht zu haben? Weil sie nun / aus Schaam / auf diese zwo so kitzlende Fragen nicht antworten durfte; so fuhr er fort / sie zu trösten. »Seid nur guhtes Muhtes« / sprach er / »die Stunde / darinnen euch dieser Nahme wird zugeeignet werden / ist bald vorhanden. Itzund wird die Vorbereitung zu unsrem Freuden- und eurem Verlöbnis-mahle schon gemacht. Itzund werden wir an den Ort gehen / da euer Jawort mit demselben eures Liebsten sich vereinbahren sol. Hieraus wird der Brautnahme gebohren werden.«

(51) Nach einigen andern Gesprächen und Schertz reden mehr / stund der Fünffurst auf / sich / mit der gantzen Geselschaft / wieder auf das Schlos zu begeben. Alda war alles geschäftig. Alles war rege. Man lief ab und zu / hin und her / ein und aus. Man klapperte mit den Schlüsseln. Man trug sich mit den Tellern. Man spühlete die Krüge. Man schwänkte die Kannen aus. Man scheuerte die Bächer. Einieder wartete seines Amtes. Einieder täht / was ihm zukahm. Einieder verrichtete / was ihm befohlen.

[382] (52) Selbst der Mahrschalk war schon bei der Hand. Er machte schon Anstalt zum Freudenmahle. Er befand sich schon bald auf dem Tafelsaale / bald in der Küche. Alhier und knarreten und kirreten die Brahtspisse. Alhier zischeten und plupperten die Töpfe. Alhier knasterten die Tiegel. Alhier roch es nach gebrahtenen / nach gebakkenen / nach gesottenen / nach gewürtzten Speisen. Ja die gantze Küche war vol des angenehmsten Geruchs von vielerhand Früchten / von vielerhand Gewürtzen.

(53) Der Küchen- und Speise-meister übersähe seine Küchenrolle. Er machte schon Anstalt / wie man die Speisen auftragen solte. Der Kellerlau lies auch schon die Krüge / die Kannen / die Schleiffen und andere Tafelgefäße vol Weines zapfen. Er lies die besten Weine für die Fürstliche Tafel besonders / die schlechteren für die Beitafeln auch besonders in Ordnung setzen. Alles ward färtig gemacht zum auftragen. Hierzu stunden die Tafeldiener schon da.

(54) Inzwischen begunten sich im Tafelsaale / da die Tafeln gedekt stunden / die Eingeladene schon zu versamlen. Alle Gäste hatten sich alhier schon eingefunden / als der Fünffürst / mit allen./ die ihm folgeten / hineintraht. Straks darauf kahm die erste Tracht der Speisen an; welche die Edelknaben trugen. Der Mahrschalk ging vor ihnen her / und zeigete / mit seinem Mahrschalksstabe / die Stellen an / wo iede Speise stehen solte. Nachdem nun alles / in richtiger Ordnung / aufgesetzt stund / gab der Mahrschalk ein Zeichen / daß man sich niederlaßen solte.

(55) Der Fünffurst / mit seiner Gemahlin / und Fürstlichen Tochter waren die ersten / die sich niederliessen. Darnach warden auch allen den andern /durch den Mahrschalk / ihre Stellen angewiesen. Weil das Verlöbnis des Oberjägermeisters bei diesem Freudenmahle geschehen solte / so ward ihm / und seiner Liebsten / der Hofmeisterin des Freuleins / die Ehre gegeben / daß sie beide beieinander straks neben der Fürstin zu sitzen kahmen. Die Oberhofmeisterin aber hatte / mit dem Fürstlichen Frauenzimmer / ihre besondere Tafel.

(56) Sobald sich alle Gäste gesetzet / warden die Speisen / [383] eine nach der andern / vorgedienet. Dieses geschahe in eben der Ordnung / wie man sie aufgesetzt. Der Fünffürst selbst rief ohn unterlaß: man solte essen! man solte trinken! man solte sich lustig und fröhlich erzeigen! Dieses sei das Freudenfest / das er seiner wiedergefundenen Tochter zu liebe feierte. Dieser Tag sei der Freudentag / den er alle Jahr ihr zu Ehren feierlich zu begehen beschlossen. Darüm solte man an diesem Feiertage keiner Freude spaaren. Man solte / bei diesem Wohlleben / in aller Lust und Freude zu leben nicht vergessen. Und hiermit würde man seinen Willen erfüllen / sein Begehren vergnügen /und seinen einigen Wunsch volbringen.

(57) Man war auch in Wahrheit überaus fröhlich. Der Fünffürst selbst erzeigete sich als ausgelaßen in Freuden. Er gab allen / durch sich selbst / ein freudiges Beispiel. Er ginq; allen mit Freuden vor. Und also ward alle Traurigkeit verbannet / und der Fröhligkeit Stat und Raum gegeben. Also muste der Ernst weichen / und der Schertz zog überal ein. Also zeumete man die Unlust / und lies der Lust den vollen Zügel Also vertrieb man den Kummer / die Sorgen / ja alles dieses Unwesen / und führete die Freude / die Wonne / die Ergetzlichkeit / ja alles liebliche Wesen überal ein.

(58) Unter währendem Freudenmahle stund der Leue fort und fort hinter dem Freulein. Diese Stelle durfte niemand anders beträhten. Er allein wolte seiner Gebieterin aufwarten. Es dorfte kein Diener ihm zu nahe kommen. Täht es ie einer / so gab er ihm straks einen so leunischen Blik / daß er angesichts weichen muste. Doch denen / die Ihr etwan einen Bächer vol Weines / oder sonst etwas zu überreichen hatten / täht er nichts. Er sahe sie freundlich an / ja wich ihnen solange selbst aus dem Wege / bis sie ihr Amt verrichtet. Darnach traht er wieder an seinen vorigen Ort. Wan auch das Freulein nach einem Aufwärter / ihn zu rufen / sich ümkehrete; so täht er eben dasselbe. Er kehrete sich gleicher gestalt üm / und sahe den Aufwärter an / als wolte er ihn seiner Pflicht erinnern.

(59) Solange das Freulein aß / enthielt er sich des Essens so gar / daß er auch von niemand einige Speisen / die man ihm zureichte / ja von dem Freulein selbst nicht / annehmen wolte. [384] Sobald er aber märkte /daß sich seine Gebieterin gesättiget; da nahm er alles an / was man ihm vorhielt: doch von niemand anders /als vom Freulein / und von beiden Fürstlichen Eltern. So bescheiden und vernünftig wuste sich dieses sonst unvernünftig genente Tier anzustellen.

(60) Der Fünffurst / welcher / mitten im Wohlleben / auf alles Tuhn und Laßen des Leuen Achtung gegeben / war hierüber zum höchsten verwundert. Auch ward er dadurch veranlaßet / eine dreifache Frage deswegen aufzugeben. Er fragte die Anwesenden: ›was sie von einem solchen wilden Tiere / das sich so vernünftig verhielte / wohl urteileten? ob es auch / nach dem gemeinen Wahne / mit Recht unvernünftig zu nennen sei? und ob es vernünftig genennet zu werden nicht eben sowohl verdienete / als der sonst ins gemein und unter allen Tieren allein also genente vernünftige Mensch?‹

(61) Allen und ieden lag ob diese dreifache Frage zu beantworten. Sie musten alle nach der Reihe herum ihr Urteil aussprächen. Dieses nun fiel / nach den unterschiedlichen Meinungen / auch unterschiedlich. Etliche urteileten:›der Mensch sei allein vernünftig zu nennen. Keinem andern Tiere kähme dieser Nähme zu. Wiewohl etliche derselben auch vernünftig schienen; so sei es doch nur ein bloßer Schein. In der Taht und Wahrheit selbst weren sie doch unvernünftig. Die rechte würkliche Vernunft besäße nur allein der Mensch / als ein Herr und König der Tiere; wiewohl er sonst auch ein Tier genennet würde. Alle die andern Tiere / die teils auf dem Erdboden gingen oder kröchen / teils in der Luft schwebeten oder flögen /teils auch im Wasser zu schwimmen pflegten / doch eines mehr / als das andere / weren darvon ausgeschlossen.‹

(62) Andere dargegen widerstritten diese Meinung. Sie hielten darfür: ›der Mensch sei nicht allein ein vernünftiges / aber wohl allein ein redendes Tier zu nennen. Dieser Unterscheid zwischen ihm / und allen den andern Tieren / derer keines reden könte / sei genug. Ja er sei wahrhaftiger und rechtmäßiger / als daß man jenen allein vernünftig / und diese / sie von ihm zu unterscheiden / allein Unvernünftige zu nennen pflegte: weil alle Geschlächte solcher [385] nicht-redenden Tiere gleichsowohl / als der Mensch / der Vernunft fähig; und manche Menschen nicht weniger / ja zuweilen wohl mehr / als etliche der so genenten unvernünftigen Tiere / der Unvernunft ergeben weren.‹

(63) Und dieses ihr Urteil zu bewähren / erzehleten sie etliche Beispiele von den Elefanten /Wasserpferden / Affen / Meerkatzen / Füchsen / Schlangen / Ameissen /Bienen/Pelikanen oder Leffelgänsen/Meerfrauen /Wal- und Braun-fischen / Seehunden / und vielen andern dergleichen Tieren / darinnen sich die Vernunft oft mehr euserte / als in manchen tummen Menschen / an denen vielmahls nichts menschliches zu spühren / als nur allein die Sprache. Von gegenwärtigem Leuen / dessen gantzes Geschlächt / in vielen Stükken / mit keiner Unvernunft zu bezüchtigen / wolten sie nicht einmahl melden.

(64) Noch andere brachten wider die eine sowohl /als die andere Meinung ein. ›Der neuere Unterscheid‹ / sagten sie / ›vermittelst dessen die Menschen redende Tiere / die andern Tiere dagegen Nicht-redende oder Sprachlose solten genennet werden / sei zwar ungleich besser / eigendlicher / und wahrhaftiger. Doch gleichwohl müste der alte gewöhnliche Unterscheid / wan man den Menschen / der Fürtrefligkeit seiner Vernunft wegen /ein vernünftiges Tier / und alle die andern Tiere / weil sie weniger Vernunft hetten / Unvernünftige nennete / nicht so gar verworfen werden: indem er sich keines weges so weit erstrekte / noch erstrekken könte / daß darüm der Mensch allein vernünftig / und alle die andern Tiere dargegen allein unvernünftig / und in etlichen Stükken nicht auch vernünftig zu sein müsten verstanden werden.

(65) Daß etliche Menschen‹ / fuhren sie fort / ›so gar tum / und so gar tutzig / ja oftmahls auch so gar aberwitzig weren / daß manches Tier / ja manches Vieh vernünftiger und witziger / als sie / sei; solches entzöge dem alten gewöhnlichen Unterscheide seinen Währt nicht: weil ein solcher der ohnmächtigen Zielmutter wider ihren Willen begangener Fehler nur bei wenigen / dagegen bei den meisten Menschen die Vernunft [386] auf das höchste fürtreflich / eben wie sie bei den meisten Tieren auf das euserste tutzig und auf das gröbeste grob / gefunden würde.‹

(66) Diejenigen / welche der Ersten Meinung widerleget / und der Menschen und Tiere Unterscheid in vernünftige und unvernünftige Geschöpfe gar über einen Hauffen zu stoßen sich bemühet / wolten ihre Gedanken hierüber noch weiter erklären. Aber der Fünffürst fiel ihnen in die Rede. Er befahl ihnen Maße zu halten. Diese Dinge / sagte er / gehöhrten auf Hohe Schuhlen. Sie völlig zu erörtern sei dieses Ortes nicht. Bei dem Wohlleben müste die Vernunft nicht zu hoch steigen. Ein weniges Vernunftgrübeln ginge wohl hin. Man hette den dreifachen Knohten seiner aufgegebenen Frage nach Genügen entknöhtelt. Nun sei es Zeit den Gelehrten ihre Lust zu lassen /und eine andere / die sich hieher besser schikte / zu suchen.

(67) Hierauf bekahm der Ernst ein Loch. Der Schertz schlüpfte durchhin. Er traht wieder auf den Schauplatz hervor. Er spielete seine Mummerei. Das Kurtzweilen ging an. Man schob den Vorhang auf die Seite. Die Lust lies sich schauen und höhren. Die Ergetzung erschien. Die Freude zog auf. Die Freudenstimmen halleten. Die Lustlieder schalleten. Die Meistersänger sungen. Die Seitenspiele klungen. Alles war fröhlich. Alles war lustig. Alles befand sich in vollen Freuden.

(68) Inzwischen war gleichwohl der Oberjägermeister so stille / gleichals ginge diese sonst algemeine Lust ihn nicht an. Seine Liebste saß / als entzükt / in tieffen Gedanken. Sie verlangte nach der Volziehung ihres Verlöbnisses. Die Zeit / da ihr der angenehme Braut-nahme solte gegeben werden / verzog viel zu lange. Eher / als bis sie ihn hörete / konte / noch vermochte sie nicht recht fröhlich zu sein. Der Fünffürst märkte dieses ihr Anliegen. Er gab acht auf alle ihre Gebährden. Die verrieten ihm ihre Gedanken. Darüm befahl er / sobald die Mahlzeit geschehen war / man solte stille sein. Die Kunstsänger und Seitenspieler solten zu singen und zu spielen was aufhören; damit das Verlöbnis dieser Liebsten möchte vollzogen werden.

(69) Hierauf sprach er ihnen Beiden mit den allerfreundlichsten [387] Worten selbst zu. Er begehrte selbst /sie solten einander / in seiner und aller Anwesenden Gegenwart / die Hände zureichen sich in treuer Liebe zu verbinden. Sie wolten alle Zeugen sein solches ihres Verbindnisses. Sobald nun der Handschlag geschehen / und das Verlöbnis mit gewöhnlichen Worten / üblichem Gebrauche nach / volzogen war, da war er der erste / der den Verlobten Glük wünschete. Eben dasselbe täht auch straks darauf seine Gemahlin / und Freulein Tochter. Dieser folgeten endlich auch alle die andern / mit einhälligen Stimmen.

(70) Nachdem nun alles / was bei Verlöbnissen vorzugehen pflegte / volendet war / da gab der Fünffürst den Kunstsängern und Seitenspielern einen Wink sich wieder hören zu laßen. Diese fingen auch alsobald an. Alsobald sungen und spieleten sie ein Lied / welches bei Verlöbnissen gemeiniglich pflegte gesungen zu werden. Hierinnen warden die Glükswünsche wiederhohlet. Und also sang und spielete man gleichsam das Glük / das die Zuseher und Zeugen des Verlöbnisses gewünschet / den Verliebten und Verlobten zugleich zu.

(71) Dieses Lied oder vielmehr Liedlein hatte die berühmte Fönizische Dichterin und KunstsängerinZidon auf das Verlöbnis einer von ihren Blutsfreundinnen ehmals gedichtet. Um seiner Kurtzbündigkeit sowohl / als der glükwünschenden Worte willen / die es begreift / ward es nach der Zeit schier bei allen Verlöbnissen gesungen. Sein Inhalt lautet verhochdeutschet ohngefähr also:


Der Himmel gliedre diese Kette!
Der Himmel flechte dieses Band /
Er flecht` es fest üm Hertz und Hand!
So trag` Er Euch vereint zu Bette!
So laß` Er Euch in süßer Ruh /
und geb` Euch Glük und Heil darzu!

(72) Unterdessen hatte man sich von der Tafel erhoben. Alle waren aufgestanden. Auch hatte der Mahrschalk alles schon aufnehmen und aus dem Wege reumen laßen / als der Fünffurst den Seitenspielern befahl ein Tantzliedlein zu spielen. Weil [388] dieses Freudenfest seiner Freulein Tochter zu liebe war angestellet / so muste sie die erste sein / welche die Ehre haben solte den Vortantz zu tuhn. So nahm er sie dan selbst bei der Hand / und befahl dem Oberjägermeister / mit seiner Braut / ihm zu folgen.

(73) Hierauf forderte der Fünffürst auch seine Gemahlin auf / zum zweiten Tantze. Hierinnen muste der Oberjägermeister / mit seiner Braut / wiederüm folgen. Aber den dritten Tantz täht der Fünffürst / mit der Braut / gantz allein. Darnach war allen Eingeladenen / nach eigenem Belieben / zu tantzen erleubet. Da warden die Reihentäntze begonnen. Diese täht bald das Frauenzimmer allein / bald das Mansvolk allein. Bald tantzten die Frauen- und Manns-bilder zugleich und miteinander.

(74) Mitlerweile saß der Fünffürst / mit seiner Gemahlin / und dem Freulein / gantz stil. Dieses täht auch eine Zeitlang der Oberjägermeister / mit seiner Braut: welche der Fürstin Kammerjungfrau endlich aufforderte mit ihr zu tantzen. Nicht lange darnach stund auch der Oberjägermeister auf / die Kammerjungfrau zum Tantze zu führen. Und dieses täht er aus einer zweifachen Dankbarkeit: weil diese Jungfrau ihm / im Lustgarten / ein paar Rosen / auf der Fürstin Befehl / überreichet / und dan seiner Braut die Ehre getahn / sie zum Reihentantze zu nöhtigen.

(75) Alle tantzten / als allein die Oberhofmeisterin nicht: derer Witwenstand es auch nicht zulies; zuvoraus weil sie ihren Ehman / durch ein sonderliches Unglük / so jämmerlich verlohren / daß sie deswegen die Zeit ihres gantzen Lebens wohl trauren mögen. Darüm verlohr sie sich auch bald aus dem Tafelsaale /da das Tantzen kaum seinen Anfang gewonnen. Sie konte dieser Lust länger nicht zusehen. Sie war ihr so zuwider / daß sie darvor ekelte.

(76) Man hatte nunmehr schon ziemlich tief in die Nacht hinein getantzet / als der Fünnffürst aufstund. Er sahe seine Freulein Tochter von der gestrigen Reise noch ermüdet. Er märkte/ daß sie schläferig sei / und lieber zu ruhen / als bei der Lust zu bleiben /verlangte. Darüm befahl er den Kunstspielern [389] zum Abschiede zu spielen. Und hiermit begab er sich /samt der Fürstin / und seiner Freulein Tochter / aus dem Saale. Alle Stahtsjungfrauen folgeten ihnen auf dem Fuße nach. Eben dasselbe tähten auch alle die andern. Und also hatte dieses Freudenmahl ein Ende.

(77) Eben üm diese Zeit erfuhr der Egiptische Königliche Fürst Psamnes den Schifbruch und Untergang des Reubers Pammenes; den er ausgeschikt hatte zu Sidon einige Wahren einzukauffen. Ein Knabe von Memfis / der mit bei dem Schifbruche gewesen / aber das Glük gehabt / daß ihn ein anderes Egiptisches Schif / als er einen gantzen Tag auf einem Schifsbrehte herümgeschwommen / von ohngefähr aufgefangen / ländete glüklich in Egipten an. Dieser brachte die Zeitung nach Memfis / daß das Königliche Schif / mit allen Menschen / sei untergangen: daß keiner sein Leben gerettet/ als er allein.

(78) Sobald Psamnes von diesem Knaben hörete / lies er ihn / den gantzen Verlauf der Seereise zu erfahren / nach Hofe hohlen. Aber er ward zum höchsten bestürtzt / als ihn der Knabe berichtete: daßPammenes des ältesten Fünffürstens der Filister Tochter bei der Nacht entführet / mit Vorgeben / sie seinem Königlichen Fürsten / der ihm solches befohlen / mitzubringen. Ja es täht ihm überaus weh /als er ferner vernahm: daß dieses Fürstliche Freulein /welches noch sehr jung / und über die maße schön gewesen / in diesem Schifbruche selbsten jämmerlicher Weise das Leben einbüßen müssen.

(79) Es ist nicht zu beschreiben / wie erbärmlich er sich anstellete. Es ist nicht auszusprächen / wie es ihn schmertzte / daß eine so fürtreflich schöne Fürstliche Bluhme/selbst in ihrer ersten Jugendblühte / die ungestühmen Seewällen zu Grabe tragen müssen. Er verfluchte den Pammenes bis in den Abgrund der Hölle / daß durch seine Verwahrlosung eine so schöne Sonne des Filisterlandes in der wilden See untergehen müssen. Ja es verdros ihn überaus heftig /daß der gottlose Kerl ihn noch darzu bezüchtigen dürfen / als sei es sein Befehl / daß er das Freulein entführet: da er doch niemahls von einem so schönen Freulein gehört.

[390] (80) Aus großer Ungeduld waren seine Sinnen so verworren / daß er nicht wuste / was er täht. Er war zornig / und traurig zugleich. Zornig war er über den Frevel eines solchen Galgenschwängels / und traurig über den erbärmlichen Tod einer so schönen jungen Fürstin / den des Pammenes fürwitzige Frevelthat allein veruhrsachet. Er schwuhr wohl tausendmahl /van Pammenes noch lebete; wan der Himmel ihn nicht schon in den Abgrund der See gestürtzet: so wolte er ihn an den höchsten Baum aufhänken laßen; weil er so gar freventlich wider seinen Befehl gehandelt.

(81) Endlich thät er diesen gantzen Handel seinem Herrn Vater / dem Könige / kund. Der erschrak hierüber so sehr / daß er schier zitterte. Er befahrete sich /die Filister möchten sich rächen. Sie möchten ihm den Frieden aufkündigen. Sie möchten / wo sie selbst nicht könten / andere mächtigere Völker in den Harnisch bringen / sein Königreich zu bekriegen. Zum wenigsten würden sie / als längsthin an der See gelegene / seiner Untertahnen Schiffe wegrauben /und ihnen die Seefahrt nach Sidon / Tirus / und anderen Handelsstädten benehmen.

(82) Bei so gestalten Sachen war das rahtsamste Mittel einen Gesanten abzusenden: der den ältesten Fünffürsten der Filister berichtete / wie der gantze Handel sich verhielte: der des Königlichen Fürstens Unschuld / und des Bösewichts Pammenes aus eigenem Triebe begangenen Frevel anzeigete; damit der Fünffürst seinen vielleicht schon gefasseten Zorn gegen Egipten wieder fallen liesse. Und hierzu ward auch von stunden an der Königliche Stathalter zu Heliopel benennet. Den schikte man eilend fort. Man befahl ihm die Reise zu beschleunigen: damit er ja eher im Filisterlande sein möchte / als sich die Filister rüsteten auf den Egiptischen Grentzen einen Einbruch zu tuhn.

(83) Dieser Gesante kahm eben am Hofe des Fünffürsten an / als er sich / in Geselschaft seiner Gemahlin und Freulein Tochter / auf einem Lusthause vor der Stadt befand. Dieses erfuhr er straks im Tohr. Darüm begab er sich eilend darnach zu. Das Freulein stund eben auf dem Saale des Lusthauses / als er angezogen kahm. An der Kleidertracht erkante Sie zur Stunde / [391] daß es Egipter waren. Auch gab ihr die Pracht des Aufzuges zu verstehen / daß es keine Kaufleute / sondern eine Königliche Gesantschaft sein müste. Hieraus muhtmaßete Sie / der Egiptische Königliche Fürst würde sie vielleicht ihrenthalben abgesant haben. Und darüm erschrak sie dermaßen / daß ihr Anfangs nicht müglich war in den Lustgarten / da der Herr Vater sich befand / hinunter zu gehen.

(84) Gleichwohl schöpfte sie endlich noch so viel Kräfte / daß sie hinab stieg / und dem Fünffürsten ihre Muhtmaßung ansagte. Sie hatte dieses kaum ausgeredet / als schon ein Diener gelauffen kahm / mit vermelden: es sei ein Egiptischer Gesante vor dem Tohre / der den Fünffürsten / seines Königs wegen /zu sprächen begehrte. Der Fünffürst begab sich hierauf von stunden an nach dem Tohre zu / den Gesanten zu empfangen. Nach einer und der andern höflichen Grusrede / gingen sie beide miteinander auf den Saal.

(85) Alhier war es / da der Fünffürst aus der Rede des Gesanten straks im Anfang verstund: daß der Egiptische Königliche Fürst den Pammenes keines weges ausgeschikt seine Fürstliche Tochter zu entführen: aber wohl etliche Wahren zu Sidon einzukauffen: daß Ihn das Unglük / welches sie gehabt in der See ihr Leben einzubüßen / über alle maße zu Hertzen ginge: ja daß Er so wohl an ihrer Entführung / als an ihrem erbärmlichen Tode / gantz unschuldig sei.

(86) Wie erfreuet der Fünnffürst war / hieraus des Egiptischen Königlichen Fürstens Unschuld zu vernehmen / ist nicht / zu beschreiben. Eben so wenig ist die Freude des Gesanten zu beschreiben / die er bekahm / als er aus dem Munde des Fünffürsten selbst verstund / daß seine Freulein Tochter noch lebete Und also freueten sich diese beide Fürsten gleichals üm die Wette. Ja der Gesante sagte hierauf: daß seines Königes und Königlichen Fürstens Freude gantz übermäßig sein würde / sobald sie vernehmen solten / daß das toht gesagte / ja so hoch bejammerte Fürstliche Freulein noch im Leben / und bei ihren Fürstlichen Eltern in guhter Gesundheit sei.

(87) Weil nun der Gesante dem Fünffürsten etliche Königliche Geschenke mitgebracht hatte / so baht ihn der Fünffürst [392] dieselben wieder zu sich zu nehmen /und seiner Freulein. Tochter / mit einem Grusse des Königlichen Fürstens / als kähmen sie von ihm / zu überreichen. Dieses täht er seine Kurtzweile zu haben / und seine Freulein Tochter in ihrer Muhtmaßung zu stärken. Zu dem Ende gab er Ihr auch / ehe Sie den Gesanten selbst gesprochen / heimlich zu verstehen: der Egiptische Königliche Fürst hette bei ihm üm Sie schon werben laßen / und der Gesante sei auch nur darüm angelanget.

(88) Inzwischen kahm die Zeit herbei / daß man Tafel halten solte: darzu der Königliche Gesante / den der Fünffürst / sich anders anzukleiden / allein gelaßen / schon eingeladen war. Die Speisen warden färtig gemacht. Die Tafeln stunden gedekt. Der Mahrschalk war schon bei der Hand die Anstalt zum Auftragen zu machen / als sich der Fünffürst wieder zum Gesanten begab / ihn selbsten in den Tafelsaal zu begleiten.

(89) Alhier war die Fürstin / mit ihrer Fürstlichen Tochter / und dem gantzen Frauenzimmer / eben angelanget / als der Egiptische Gesante / durch den Fünffürsten begleitet / hinein geträhten kahm. Diesen empfing die Fürstin / die sein rechtes Anbringen aus dem Munde des Fünffürsten schon wüste / mit sonderlich höflicher Freundligkeit. Aber das Fürstliche Freulein hielt sich gegen ihn was fremde: sonderlich als er Ihr vom Egiptischen Königlichen Fürsten / von dem Sie sich auf das höchste beleidigt zu sein befand / einen Grus brachte / ja zugleich einige Geschenke /die ein Diener ihm nachtrug / einreichte.

(90) Sie muste zwar / auf Zuwinken ihres Herrn Vaters / diese Geschenke / gleichals weren sie Ihr lieb / annehmen. Doch gleichwohl gab Sie / durch ihre Worte / viel ein anders zu verstehen. Sie sagte: Sie were solcher Königlichen Geschenke nicht währt. Der Königliche Fürst hette besser getahn / wan er sie einer andern / welcher er höflicher / als Ihr / zu begegnen gesonnen / einhändigen laßen.

(91) Hieraus märkte der Gesante zur Stunde / was die Glokke geschlagen. Gleichwohl verbarg er seine Gedanken. Auf diese so anzügliche / ja stachlichte Worte schwieg er gantz [393] [395]stil. Es schien ihm rahtsamer zu sein die Antwort darauf gegen eine gelegnere Zeit zu spaaren: da er Ihr die Unschuld seines Königlichen Fürstens mit mehrerm Fuge zu verstehen geben könte. Und dieses täht er auch bald darnach bei der Tafel /als er neben Ihr zu sitzen die Ehre hatte.

(92) Alhier war es / da er Ihr die bösen aus bösem und falschem Berichte des gottlosen Pammenes entstandene Gedanken von seinem Königlichen Fürsten benahm. Er entdekte den gantzen Handel. Er versicherte Sie / daß der Egiptische Königliche Fürst niemahls die Gedanken gehabt Sie entführen zu laßen. Er hette den Pammenes keines weges befohlen diese: Freveltaht zu verüben. Er hette nur darüm ihn ausgeschikt / daß er etliche Wahren zur Kleidung in der Stadt Sidon kauften solte. Ja er schwuhr Ihr zu / daß er von einer so fürtreflichen Schönheit / als Sie hette / noch von Ihr selbsten niemahls gehöret. Was er nun wüste / das wüste er aus der Erzehlung eines Egiptischen Knabens / der aus dem Schifbruche wunderlich entronnen / und ihm das gantze Geheimnis ihrer Entführung geoffenbahret. Eben daher sei er auch bewogen worden / zu Rettung seiner Unschuld gegenwärtige Gesantschaft abgehen zu laßen.

(93) Durch diese Reden vergnügte der Gesante das Freulein dermaßen / daß Sie nunmehr den Egiptischen Königlichen Fürsten mit andern Augen ansahe. Der Verdacht / den Sie bisher auf Ihn geworfen / war gantz verschwunden. Sie hielt Ihn nun nicht mehr für denjenigen / der Sie beleidiget. An stat / daß Sie Ihn bisher der Unhöflichkeit / ja wühterischen Gewalttähtigkeit beschuldiget / priese Sie nunmehr seine Bescheidenheit / seine Fürsichtigkeit / seine Gewissenhaftigkeit; indem er seine Unschuld zu retten so sorgfältig / so eifrig sich erwiesen. Ja Sie baht den Gesanten selbst Sie bei seinem Königlichen Fürsten /ihres aus Unwissenheit an Ihm begangenen Verbrächens wegen / bester maßen zu entschuldigen.

(94) Und also kahm es überal aus / daß der Egiptische Königliche Fürst an der Entführung des Fürstlichen Freuleins eben so wenig Schuld hette / als der algemeine Stahtsrichter des Volkes Gottes / Simson; dem man / aus eitelem Argwahne / solches[395] Greuelstükke zum allerersten aufbürden wollen. Darüm warden auch itzund die Kriegsvölker /die man / sich an einem / oder dem andern zu rächen / bisnochzu beieinander gehabt /sämtlich abgedanket. Einieder ging wieder nach Hause Einieder begab sich wieder zu den Seinigen.

(95) Eben in dem Augenblikke / da der Egiptische Gesante seinen Abschied nahm / ward dem Fünffürsten angesagt: man hette bei der See einige tohte Menschen / welche die Wasserwogen auf den Strand getrieben / gefunden. Weil er nun straks muhtmaßete /sie würden in eben dem Schifbruche / den seine Freulein Tochter gelitten / ertrunken sein; so befahl er etliche Reiter / sie zu besichtigen / darnachzu zu senden. Unterdessen verzog der Gesante zu erfahren / ob etwan der Reuber Pammenes mit darunter sein möchte.

(96) Aus dem Berichte dieser Reiter verstund man so viel / als daß es lauter Egipter weren; welches man aus der Kleidung gar eigendlich abnehmen können: und daß der eine / der einen dunkelblauen seidenen Rok angehabt / kein gemeiner Man müste gewesen sein. Eben einen solchen Rok hatte Pammenes / wie das Freulein bezeugte / getragen. Darüm fiel die Vermuhtung straks auf ihn. Darüm urteilte man zur Stunde / daß es dieser Reuber gewislich sein würde. Der Fünffürst befahl auch alsobald ihn zu hohlen: damit der Gesante / der ihn lange gekant / die Gewisheit / daß er es sei / aus der Bildung des Angesichts abnehmen möchte.

(97) Aber der gantze Leib dieses Tohten war / mit dem Angesichte zugleich / vom Seewasser so aufgeschwollen / und sahe so dunsen und schon so schwartz aus / daß man daraus wenig Nachrichtung einziehen konte. Gleichwohl war der Rok da / desgleichen Pammenes getragen. Gleichwohl fand man im Rokke noch ein Buch von Verwandelung der Ertzwerke stekken. Zudem kahm noch dieses / daß man an dem einen Finger dieses Leichnams des Pammenes Ring / den der Gesante sehr wohl kennete /zu sehen bekahm. Dieser Ring allein war Zeichens genug seinen Herrn zu verrahten.

(98) Weil man nun hieraus gewis wuste / daß die ser tohte Leichnam des Pammenes sei; so baht der Gesante den Fünffürsten [396] / ihn an den höchsten Baum aufhänken zu laßen. »Eine solche Strafe« / fuhr er fort / »hat der Königliche Fürst dem Pammenes selbst zuerkennet: nachdem er Ihn eines so schändlichen Schelmstükkes /das er / aus eigenem boßhaftigem Triebe / an seiner Fürstlichen Tochter begangen / mitteilhaftig /zu machen gantz verwägener Weise sich unterstanden.«

(99) Der Fünffürst seumete hierauf nicht lange. Er befahl zur Stunde dem Ansuchen des Gesanten genug zu tuhn. Er wolte straks haben / daß des Pammenes Leichnam aufgehänkt würde. Der Hänker ward gehohlet / der Leichnam auf einer Schünderkarre hinaus geschleppet / und an einen Baum / der an der Heerstraße stund / aufgeknüpft. Alhier empfing nun der Reuber die Strafe / die er vorhin im Wasser empfangen / auch in der Luft. Alhier hing er allen solchen Schelmen zum Spiegel / ja allen Vorübergängern zur Abscheu.

(100) An den Baum / daran dieser Ertzbösewicht hing / ward auch eine Tafel fest gemacht. Darauf lase man folgende Schrift: »An diesem Baume hänget der Ertzreuber Pammenes / von Timnat: dessen Vater ein Reuber / seine Mutter dem Diebstal ergeben / und seine Pflegemutter oder Seugerin ihn selbsten gestohlen. Und also war ihm die Reuberei angebohren / und der Diebstal eingeseuget. Alhier hänget er / und leidet seine verdiente Strafe: weil er des ältesten Fünffürstens der Filister Freulein Tochter verwägener Weise zu entführen / und solches Schelmenstükkes den Egiptischen Königlichen Fürsten Psamnes mitteilhaftig zu machen getrachtet.«

(101) Als das Gerüchte dieses Gerichtes vor den Stahtsrichter Israels / Simson kahm / da war es ihm überaus lieb / daß der Tähter einer solchen Freveltaht / damit man ihn beschuldigen wollen / endlich ausgekundschaffet / und zu verdienter Halsstrafe gezogen worden. Er verwunderte sich / daß Pammenes/ ein Filister / ja ein Untertahner der Filistischen Fürsten selbst / der zu Timnat unter den dreissig Brautdienern mit auf seiner Hochzeit gewesen / so verwegen sein dürfen eines Fünffürsten der Filister Tochter zu entführen. Ja er verwunderte sich noch mehr / daß er vorgeben dürfen / er hette sich [397] dessen auf Befehl des Egiptischen Königlichen Fürstens unternommen; der doch darvon nicht das geringste gewust.

(102) Was seine / des Simsons / Beschuldigung betraf/ darvon urteileten die Filister zu Timnat selbst / daß sie nicht wüsten / wo sie herrührete. Simson / sagten sie / hette ja ohnedas diese schöne Timnatterin längst zuvor / ehe sie ihr ältester Fünffürst zu seiner Tochter angenommen / wohl haben können. Ihr eigener Vater hette sie ihm ja selbst angebohten / als er über ihn gezürnet /daß er ihre ältere Schwester / die Simsons Ehweib gewesen / einen andern ehlichen laßen. Darüm sei es gantz ungereimt ihn beschuldigen wollen / daß er sie entführet / oder nur vorgehabt sie zu entführen.

(103) So bezeugeten die Filister zu Timnat des Simsons Unschuld selbsten! So waren sie selbst / ihn zu entschuldigen / bemühet! Aber sie hatten es nun nicht mehr nöhtig seine Vorsprächer und Entschuldiger zu sein. Der Rechtschuldige war nun bekant genug. Der Tähter / der Entführer / der Reuber hing schon an einem Baume / vor iedermans Augen. Der Fünffürst hatte ihn selbst aufknüpfen laßen. Alda hing er allen Menschen zur schaue / bei öffendlicher Landstraße.

(104) Unterdessen war der Egiptische Gesante wieder in sein Vaterland gelanget. Er war am Königlichen Hofe wieder angekommen. Alda fand er den König / und Königlichen Fürsten eben bei der Tafel. Seine glükliche Verrichtung gab ihm so viel Muhtes /daß er unangemeldet in den Tafelsaal traht. Der König fragte straks: ›Wie seine Gesantschaft abgelauffen?‹ Hierauf gab er zur Antwort: »Gantz glüklich / ja glüklicher / als wir alle gemeinet.« »Wie so?« fragte der Königliche Fürst. »Das tohtgegleubte Fürstliche Freulein« / gab der Gesante wieder zur Antwort / »lebet noch. Es ist aus dem Schifbruche / ja dem Tode zugleich entronnen. Hingegen hat Pammenes sein Leben einbüßen müssen. Seinen Leichnam hat man an den Seestrand angetrieben gefunden /und an einen Baum aufgehängt. Dieses ist in meiner Gegenwart / und auf mein Ansuchen geschehen.«

(105) Auf diese Worte ward iederman froh. Für großen Freuden vergaß man weiter zu fragen. Man hörete nichts mehr / [398] als »lebet das Freulein noch? Lebet das Freulein noch?« fragte man rund üm die Tafel herüm. Und hierzu fügeten alle: »Das ist guht! das ist guht! Es lebe lange! Es lebe lange!« Ja der Königliche Fürst erhub sich / mitten in diesem Freudenausrufe / und trunk dem Gesanten des Freuleins Gesundheit zu. Unterdessen rief iederman fort: »Das Freulein lebe! Das Freulein lebe! Lange lebe das Freulein! Lange lebe das Freulein!«

(106) Als nun diese Gesundheit / unter dem stähtigen Freudenrufe / rund herüm getrunken war / da erzehlete der Gesante den gantzen Verlauf seiner Reise. Ja er berichtete alles / was sich mit dem Freulein begeben / gantz ümständlich. Unter andern erhub er zugleich desselben Höfligkeit / Geschikligkeit / Lieb und Leut-säligkeit / und andere Tugenden / dadurch Sie alles Frauenvolk weit überträfe. Ihre Schönheit /sagte er / sei so überaus fürtreflich / daß sie mehr ein Engel / als ein Mensch / mehr ein himlisches / als irdisches Geschöpfe zu sein schiene. Auch führete er mit an alles / was sie mit ihm gesprochen / und wie er Ihr den Verdacht / den sie auf den Königlichen Fürsten / ihrer Entführung wegen / geworfen / benommen.

(107) Endlich kahm er auch auf den gotlosenPammenes. Dessen Gebuhrt / Auferziehung /Leben und Tod erzehlete er / teils aus des Freuleins /teils aus des Fünffürsten Munde. Ja er konte nicht gnug sagen / wie heftig ihn alle Menschen verfluchten: was für einen bösen / ja abscheulichen Nachklang er hintersich gelaßen; und was für ein Frohlokken unter dem gemeinen Völklein entstanden / als ihm der Hänker den Strük üm den Hals geschlagen / seinen in der See erstikten Leichnam an einen Baum zu hängen.

(108) »Daß dieser Pammenes« / fing der Königliche Fürst hierauf an / »ein überaus Gott- ruch- und ehrloser Mensch oder vielmehr Unmensch war / ist gar gewis. Dieses zeigete seine gantze Leibesgestalt oder vielmehr Leibesungestalt eigendlich genug an. In einem häslichen Hause wohnet gemeiniglich ein häslicher Würt: doch in einem häslichen Leibe noch vielmehr / ja gantz unfehlbar eine häsliche Seele. Die euserliche böse Kenzeichen verrieten die Boßheit seines Hertzens alzusehr [399] Diese war so übermäßig / daß es ihm schier unmüglich war From zu sein.

(109) Sein verdrehetes Angesicht / mit den schief stehenden / und zuweilen übersich als verkehrten Augen / verhies mir nichts guhtes. Es war eine gewisse Anzeigung eines verdrehreten und verkehreten Sinnes. Das oft unaufhöhrliche rasche Winken / oder vielmehr überaus geschwinde zu- und auf-schlagen /füppern und wippern seiner Augenlieder gab seine Falschheit und Untreue genugsam zu erkennen. Die Augen selbst / welche den starren Boksaugen fast glichen / deuteten sein unverschähmtes / Ehrloses / ja zugleich tükisches und unbändiges Gemüht an.

(110) Er legte seine Hände niemahls gantz plat /und mit ausgestrekten geraden / sondern allezeit /gleich den Raubklauen / einwärts gekrümten Fingern /auf etwas nieder. Diese stähts gekrümte Finger / die als Raubklauen / auch stähts bereit stunden / was nicht sein war / zu sich zu raffen / waren ein gewisses Zeichen seiner Gedanken / die fort und fort auf den Raub auswaren. Eben dasselbe Zeichen erblikte man auch an der Bewägung seiner Füsse; wan er mit den Zeen des einen Fußes / indem der andere fest stund /vor ihm auf dem Boden scharrete / gleich als wolte er etwas zu sich scharren oder kratzen.

(111) Was für ein Wunder ist es dan / daß ein solcher so übermäßig ungeahrteter Mensch / der daher mehr ein Unmensch zu nennen / durch Entführung eines Fürstlichen Freuleins / ein so schändliches Schelmenstük begangen? Ja man darf sich nun nicht wundern / daß er so verwegen sein dürfen / mir die Anstiftung dessen selbst auf den Hals zu schüben. Aber wundern möchte sich wohl einieder / daß niemand errahten kan / warüm er solches getahn / und was er damit vorgehabt.«

(112) Hierauf begunte der König den Königlichen Fürsten zu fragen: ›wann er aus des Pammenes euserlicher Gestalt und Gebährden solche Boßheit so gewis urteilen können / warüm er ihm dan seine Geschäfte / sie zu verrichten / anvertrauet? Er pflegte ja sonst so vorsichtig zu sein / daß er aller solcher Leute / die er ein boßhaftiges Gemüht zu haben wüste /[400] müßig ginge / warüm er dan eben diesen Bösewicht bei ihm so viel gelten laßen?‹

(113) Der Königliche Fürst schwieg zuerst eine guhte Weile stil. Doch endlich fing er an also zu antworten. ›Die Weisheit‹ / sagte er / ›pflegte ja den Weg zur Tugend zu bahnen. Und diese lehrete das Laster meiden. Weil nun Pammenes so lange der Weisheit nachgestrebet / so were zu vermuhten gewesen / er hette die Tugend / die ihn lehren können sein angebohrnes boßhaftiges Wesen zu zwingen / nunmehr ergriffen. Darüm sei es nicht fremde / daß Er zu ihm / als einem solchen / der sein unahrtiges Wesen /vermittelst der Tugend / wonicht gar abgelegt / doch zum wenigsten verbessert / und zu bändigen gewohnet / so ein guhtes Vertrauen gehabt.‹

(114) »Ich habe den Pammenes« / fuhr er fort / »seiner sonderlichen Wissenschaft wegen / begünstiget. Ich habe / seiner Geschikligkeit wegen / zu vielerhand Geschäften / viel von ihm gehalten. Ich habe seine Fähigkeit von vielen Dingen \ verständig zu urteilen so währt geschätzet / daß ich ihm wohl vielmehr / als eine so geringe Sache zu Sidon zu verrichten / anvertrauet. Daß er aber / in dieser Verrichtung / die Grentzen meines Befehls überschritten /und mehr tuhn wollen / als ich ihm befohlen / das kan ich eben so wenig billigen / als wenig ich errahten kan / was ihn darzu veranlaßet.«

(115) ›Auf alzuguhtes Vertrauen sei nicht guht Schlösser zu bauen‹ / waren hierauf des Königes Worte. ›Man solte zwar trauen / aber wohl zuschauen / wem man trauete. Hette der Fürst seinem ersten Augenurteile von der Gestalt des Pammenes gefolget / so würde seine Verstellung ihn nicht betrogen haben. Die Ubermaße der angebohrnen Unahrt hette gemeiniglich so tieffe Wurtzeln / daß sie ausgerottet zu werden viel zu fest säße. Ob sie schon zuweilen ein Färblein der Tugend bekähme / so behielte sie es doch nicht lange. Ob sie schon eine Zeitlang in eine Guhtartigkeit verwandelt zu sein schiene / so euserte sich doch ihre Boßahrtigkeit nachmahls immer wieder.‹

(116) »Die Tükke der übermäßigen Unahrt« / fuhr der König fort / »werden durch keine Strükke der Tugend gebunden. Sie lauschen und lauren wohl / nach ihrer gewöhnlichen [401] Weise / zu Zeiten hinter dem Berge der Tugend: doch brächen sie endlich / gleich als ein gewaltiger Strohm / unversehens hervor. Unverhuhts reissen sie durch alle Tämme / durch alle Bande / durch alle Strükke / gleichals wühtend hin. Ja sie reissen der Tugend den Zügel selbst aus der Hand / und lenken und schwenken ihn nach eignem Belieben. Kurtz / eine solche so übermäßige Unahrt ist eben als ein wilder hartmeulichter Hängst / den kein Maulband bändigen / kein Gebis zähmen / kein Zaum zeumen / kein Halfter halten / kein Zügel / die gerade Straße zu gehen / ziehen kan.«

(117) Aber wir halten uns bei diesen Ahrtforschungen zu lange / zu viel auf. Wir haben diesen Vernunftgrübelungen lange genug zugehöret. Der Königliche Fürst hatte hierbei gantz andere Gedanken: die zu betrachten wird vielleicht lustiger /wird kurtzweiliger sein. Er redete zwar von der Unahrt des Pammenes. Aber die vom Gesanten so guhtahrtig / so tugendhaft / und so überaus schön beschriebene Filistische Fürstin lag ihm immer im Sinne. Er gedachte stähts an Sie. Ihre Tugend und Schönheit schwebeten ihm stähts vor Augen. Er hatte Sie zwar niemahls Selbsten gesehen. Doch lies er sich bedünken / er hette sie gesehen / und genösse noch itzund ihres lieblichen Anblikkes: indem ihm seine Gedanken ihr Bildnis / wie es der Gesante kurtz zuvor entworfen / lebendig vorstelleten.

(118) Letzlich saß Er gleich als entzükt. Er saß als entgeistert. Er redete nichts. Er schwieg stokstil. Er verlangte von der Tafel aufzustehen. Sein einiges Verlangen war mit dem Gesanten allein zu sein. Sein einiger Wunsch war / von ihm noch einen näheren Abris des schönen Freuleins zu sehen. Und hierüm baht Er ihn auch / sobald sie sich beide miteinander in sein Schlafzimmer begeben. Alhier war es / da er zu wissen begehrte: wie groß / wie lang / wie zahrt / wie lieblich Sie sei? Alhier war es / da er fragte: was für Haare / was für Augen / was für eine Leibesgestalt Sie hette? Ob sie auch weis von Haut / roht vom Munde / schlank vom Leibe / behände vom Gange / ja von Gebährden ahrtig / und von Reden anmuhtig sei?

(119) Nachdem Ihm auf dieses alles der Gesante genug geantworte [402] / da war Er begierig auch alles /was Sie mit ihm / und sonsten geredet / zu erfahren. Alle Reden / alle Worte musten zwei- drei- ja mehr-mahl wiederhohlet werden. Darauf gab Er fleissig achtung / als ein junger Sangvogel / dem der Vogelwärter ein Liedlein vorpfeiffet. Er überwog alles / was Sie gesprochen / ihr Urteil und ihren Verstand daraus zu erkennen. Ja Er fand unter allen ihren Worten kein Wort / das Er einer weisen Göttersprache / nicht würdig zu sein schätzte. So gar verständig und weislich gesprochen kahm Ihm alles vor. So gar behuhtsam und vorsichtig geredet schienen ihm alle diese Reden!

(120) »Pammenes« / sagte er / »hat fürwar kein unweises Urteil gefället / obschon die Taht darbei nicht weise war; indem er ein solches Fürstliches Freulein /als dieses ist / des Egiptischen Reichstuhls würdig geurteilet: indem er vorgehabt / wie es scheinet / die Egiptische Krohne mit einer solchen helleuchtenden Tugendperle zu zieren. Sie ist es auch in Wahrheit währt / neben mir / den Egiptischen Reichsstabe zu erben. Ja Sie verdienet in alwege die Ehre / dem Egiptischen Königlichen Fürsten vermählet zu werden. Wan Josef/ dieses mächtigen Reichs weisester Stahtsman und ehmahliger Schaltkönig selbst / noch itzund lebete / so würde sein Urteil mit meinem / unddes Pammenes gantz übereinstimmen.

(121) Was meinet ihr wohl« / redete Er den Gesanten selbst an / »das ich hierinnen tuhn sol? Ihr habet diese Schöne / diese weise junge Fürstin selbst gesehen / und gehöret. Ihr habet selbst ihrer angenehmen Gegenwart genossen. Ihr habet mit Ihr gegessen und getrunken. Ihr habet mit Ihr geredet und gesprochen. Und daher könnet ihr am besten / ja besser / als ich selbst / urteilen / ob es mir rahtsam / und dem Egiptischen Reichsstuhle dienlich sei üm Sie werben zu laßen. Ich für mein Teil wünschte nichts lieber / als einer solchen Fürstin / die ihr mir so überaus gerühmet / vermählet zu werden. Doch mus ich auch hören / was ihr darzu saget. Was ihr für guht ansehet / das wil ich tuhn.«

(122) Dieser Vortrag kahm dem Gesanten was fremde vor. Et hatte sich dessen nicht versehen. Er stund im Zweifel / und [403] wuste nicht / was er antworten solte. Er hette lieber gewünscht / daß er solcher jungen Fürstin Geschikligkeit und Schönheit nicht also gepriesen / und dadurch dem Königlichen Fürsten den Mund nicht also wässericht gemacht. Aber was geschehen war / das war geschehen. Geschehene Dinge ungeschehen zu machen / stund keines Weges in seiner Macht. Er muste nunmehr auf Mittel bedacht sein / den Königlichen Fürsten auf andere Gedanken zu bringen. Und dieses täht er durch folgende Reden.

(123) »Ich märke wohl« / sagte er / »daß ich dem Königlichen Fürsten / durch das übermäßige Lob dieser jungen Fürstin / das Hertz gerühret. Ich spühre wohl / daß ich ein Feuer der Liebe darinnen angezündet: wiewohl ein solches zu tuhn mein Vorsatz nicht war. Hierzu habe ich nicht die geringste Gedanken gehabt. Vielmehr war meine Meinung: Er würde dieses Lob nur obenhin anhören. Ich gedachte mit nichten /daß es sich so tief in sein Gemüht einsenken / und alda so feste Wurtzeln bekommen würde.

(124) Ich mus zwar bekennen / daß diese junge Fürstin / was ihren eignen Selbstand betrift / von iedermanne geliebet zu

werden in alwege währt sei. Aber was das übrige betrift / dasselbe verhindert Sie märklich der Liebe des Egiptischen Königlichen Fürstens gewürdigt zu werden: zuvoraus wan sich diese Liebe so weit erstrekken solte / daß sie auf eine Vermählung auszuschlagen das Ansehen hette.«

(125) »Aber was ist das für ein Ubriges / das sie meiner Liebe unwürdig macht?« fragte der Königliche Fürst / mit gantz bestürtzten Gebährden. »Ihr leiblicher Vater / und ihre leibliche Schwester« / antwortete der Gesante / »seind öffendlich und gerichtlicher Weise verbrant worden. Und dieses geschahe darüm; weil der Vater seiner Tochter verhing / an dem weltberühmten Helden Simson / der ihr vermählet war / treu- und eh-brüchig zu werden / und einen andern zu ehligen. Um Simsons willen / den das gantzeFilisterland fürchtete / ward solches Verbrächen so hoch aufgenommen / daß Vater und Tochter /zusamt ihrem neuen Ehgatten / von allen Fünffürstender Filister / auf öffendlichem Landtage / des Simsons [404] Zornfeuer zu dämpfen / zum Straffeuer verdammet worden.

(126) Wiewohl die jüngere Schwester dieser Verbrächerin / ihrer fürtreflichen Schönheit und Geschikligkeit wegen / zusamt ihrer Mutter / vom ältesten Fünffürsten so gnädig angesehen ward / daß Er sie beide / als Mitbeschuldigte / nicht allein frei sprach /sondern auch zugleich an seinen Hof /ja die Tochter selbst / gar an Kindes stat / zur Erbin aufnahm / und also in den Fürstenstand erhub; so klebet doch der gefürstlichten Tochter so wohl / als der Mutter / solcher Schandflek noch dannoch an.

(127) Hieraus kan nun der Königliche Fürst selbst urteilen/ ob es seiner Königlichen Hoheit nicht zur eusersten Verkleinerung gereichen würde / wan Er /sich an eine solche gleichals gebrantmärkte zu vermählen / belieben trüge. Der Königliche Herr Vater selbst / weis ich sehr wohl / wird es nimmermehr bewilligen. Darüm hat Er sich wohl zu bedenken. Darüm hat Er wohl zuzusehen / was Er tuht. Ich /nach meinem wenigen Urteile / sehe so viel / daß eine solche Vermählung keinem Könige / noch Königlichen Fürsten zu rahten. Ein so hoher Königlicher Stand erfordert höhere Gedanken / erheischet eine höhere liebe / siehet nach einer höheren Vermählung.«

(128) Uber diesen Reden ward der Königliche Fürst so überaus bestürtzt / daß er als erstarret stehen blieb. Er antwortete kein Wort. Er schwieg / als ein Fisch. Ja er bewegte sich kaum. Unterdessen bewegten sich gleichwohl seine Gedanken üm so vielmehr. Sein Gemüht war üm so viel unruhiger. Seine Gemühtstriften stürmeten durcheinander. Alles inwendige war in ruhr. Alles schikte sich als zu einem innerlichen Kriege.

(129) Nachdem Er also eine guhte weile gestanden / und den Gesanten mit starren Augen angesehen; da fing er jämmerlich an zu kärmen. »Mus ich dan nun« /sprach er / »so unglüklich sein / daß ich dieselbe / die ich liebe / nicht lieben darf; daß ich dieselbe / die ich zu meiner Gemahlin erkohren / mir nicht vermählen darf? Hat mich das Glük darüm in der Könige Stand erhoben / damit ich nicht ehlichen könte / die ich wolte; [405] damit ich ehlichen müste / die ich nicht wolte? Ein Bätler ist glüklicher / als ich. Ein Bauer / ist in diesem falle / mächtiger / als ich: weil er die Macht hat eine solche zu heurrahten / die mir zu heurrahten mein Stand verbietet.

(130) Aber der König / mein Vater« / fuhr er fort /»weis noch nicht / daß der Vater und die Schwester derselben / die ich so hertzlich liebe / durch das Feuer öffendlich hingerichtet worden. Er weis noch nicht /daß Sie aus einem solchen Geschlächte gebohren / das auf dem Rükken das Brandmahl des Hänkers führet. Darüm wird er mir / in dieser Vermählung / vielleicht nicht zuwider sein. Und ich habe das guhte Vertrauen zu Euch« / sprach er zum Gesanten / »daß ihr reinen Mund halten werdet. Schweiget hiervon nur stil. Saget Ihm nur nichts So wird alles guht werden.«

(131) »Ob ich schon dem Herrn Vater« / warf der Gesante hierauf ein / »dieses nicht entdekte / so wird er es doch von andern erfahren. Es ist alzuweltkündig. Das gantze Filisterland weis es. So weit Simson / der weltberühmte Held bekant ist / so weit ist auch bekant / daß desselben ungetreue Frau die Strafe des Feuers ausgestanden. Zudeme gesetzt / daß der Herr Vater solches nimmermehr erführe / so wird et doch keines weges zulaßen / daß Demselben / der sein Nachsas sein sol / eine gebohrne Filisterin vermählet werde; derer Ankunft höher nicht / als Fürstlich sein kan.

(132) Der itzige Zustand des Egiptischen Königreichs gestattet mit nichten / daß eine geringere Gemahlin / als eine gebohrne Königin oder Königliche Tochter / seinem Königlichen Fürsten vermählet werde. Und diese findet man unter den Filistern nicht. Zudem seind die Egipter: den Filistern gantz nicht geneugt. Ja es befindet sich unter beiden Völkerschaften eine schier unversühnliche Toht- und Erbfeindschaft. Und wan sie zuweilen schon einige Freundschaft miteinander halten /so geschiehet es doch nur aus einem höflichen Schein.«

(133) »So seh ich dan wohl« / fing der Königliche Fürst hierauf wieder an zu klagen / »daß ich ewig unglüklich bleiben mus. So ist dan für mich nichts offen / daher ich eine glükliche [406] Auskunft meiner Liebe sehen könte. Ach! ich Unglüksäliger! mus ich dan nun gantz verzweifeln? Ach! ich Trostloser! mus dan meine Liebe / weil mich aller Trost / alle Hülfe verlesset / mir gar zur Wühterin werden? Sol sie mich dan gar verzehren? Sol dan dieselbe / die sonst das Leben labet / und selbst giebet / mir das Leben zum Unleben machen / ja gar nehmen?

(134) Ie mehr Hindernisse / meine Liebe zu vergnügen / mir aufstoßen / ie heftiger brennet / flammet / flakkert und wühtet ihr Feuer. Ja es brennet schon so heftig / daß ich keinen Raht sehe die Gluht zu dämpfen / als den ich aus dem Schoße derselben / die es angezündet / erwarten könte. Aber dieser Schoß wird mir durch mein Verhängnis entzogen. Diesen Schoß schlüßet mein widriges Glük vor mir zu. Und also bin ich als ein Ausgeschlossener / ja als einer / der nicht einmahl anklopfen darf.«

(135) Hierauf schwieg er wieder eine Zeit lang stil. Er stund gleichals aus sich selbst. Die Unruhe seines Hertzens war so groß / daß er nirgend bleiben konte. Bald ging er an das Fenster / bald an die Tafel. Bald schob er den Rügel vor die Tühre. Bald schob er ihn wieder darvor weg. Bald nahm er einen Stuhl / und setzte sich. Bald stund er wieder auf / und lähnte sich an eine Seule. Bald warf er die Augen nach dem Spiegel zu. Bald nahm er einen Bogen in die Hand. Bald zog er ihn auf. Bald lies er ihn wieder loß. Dieses trieb er über eine guhte Stunde Letzlich lief er / als halbtol / zur Kammer hinaus.

(136) Der Gesante / welcher zum höchsten verwundert war / daß Er sich die Liebe eines solchen Freuleins / das Er nie gesehen / und nicht anders / als vom höhrensagen / kennete / so plötzlich und so gar sehr übermeistern laßen / folgete straks nach. Er wolte den Königlichen Fürsten / in solcher Verirr- und Verwürrung seiner Sinnen / nicht allein laßen: wiewohl er selbsten allein zu sein begehrte. Er befahrete sich / Er möchte / durch Verzweifelung angetrieben / etwas beginnen / das seinem Stande nicht ziemlich. Er befürchtete sich / es möchte diese so übermäßige Liebe zuletzt gar in eine Wuht ausschlagen.

[407] (137) Ein starker Flus / ie mehr man ihn zu tämmen suchet / ie stärkerer wird er. Ie stärkerer die Tämme seind / die man ihm entgegen setzet / ie gewaltiger ströhmet und stoßet er auf sie zu. Darüm mus man den Strohm zerteilen. Man mus seinen Anstoß / damit er nicht etwan dem Sturtzfalle zueile / zu mäßigen suchen. Eben also kan der Strohm einer heftigen Liebe keinen Tam leiden. Ie mehr Hindernisse man ihm entgegen setzet / ie heftiger reisset er fort /und suchet / gleich als wühtende / durchzubrächen. Darüm mus man ihn zerteilen. Man mus seine Wuht /durch vernünftige Rahtschläge / zu mäßigen trachten: wo man nicht wil / daß eine solche Liebe den Verliebten in das endliche Verderben stürtze.

(138) Der Gesante ging dem Königlichen Fürsten nach. Er bemühete sich denselben / der bloß allein einer blinden Gemühtstrift folgete / mit dem Lichte des Urteils zu leiten. Er trachtete die Ubermäßigkeit seiner Liebe / durch vernünftige Reden / zu mäßigen. Er suchte seine Liebesgedanken / wo er sie Ihm nicht aus den Sinnen zu bringen vermochte / doch zum wenigsten / durch den Zügel weiser Rahtschläge / so viel als ihm müglich / anderswohin zu lenken. Und zu dem Ende schlug er Ihm unterschiedliche Königliche Fürstinnen vor; die Ihm aus der Nachbarschaft / mit weit grösseren Ehren / und ohne Verlust seines Ansehens / könten vermählet werden.

(139) Zu diesen Vorschlägen täht er die gewisse Versicherung der Väterlichen Gnade / der Liebe des Volkes / und der Wohlfahrt seiner selbst; sofern Er belieben trüge sie anzunehmen. Im widrigen Falle /wan ßr auf seiner itzigen Liebe verharrete / würde nichts anders / als der Unwille des Herrn Vaters / die Widerspänstigkeit der Untertahnen / und eine schmähliche Verachtung aller Völker gegen ihn gewislich folgen. Ja Er würde sich alsdan der Egiptischen Krohne wohl gar beraubet sehen. Und eben darüm were sein Raht / der Königliche Fürst solte sich wohl bedenken / was Ihm zu tuhn sei.

(140) »Ich genüße der Ehre« / fuhr der Gesante fort / »ein Königlicher Stathalter / ja selbst der oberste Reichsraht des gantzen Egiptens zu sein. Darüm bin ich verpflichtet dem Königlichen Fürsten mit Raht und Taht an die Hand zu gehen. [408] Meine Schuldigkeit ist es / Ihm allein dasselbe / das dem gantzen Reiche zur Wohlfahrt strekket / anzurahten / und abzurahten / was solches verhindert. Mein Gewissen verbindet mich dahin. Anders weis und vermag ich nicht zu tuhn: es sei dan / daß ich eine schändliche Treuloßheit so wohl an Ihm / als an dem Reiche / begehen wolte.

(141) Ich habe dem Königlichen Fürsten stähts alles Guhtes gegönnet. Und dieses ist noch itzund mein Wille. Ich habe ja alles guht und treulich mit Ihm gemeinet. Und in dieser Meinung zu sterben bin ich gesonnen. Niemand wird mich eines andern beschuldigen können / das weis so wohl Er / als ich selbsten. Wie solte dan nun mein Hertz zu solcher Untreue verfallen / daß es Ihm / in gegenwärtiger höchstwüchtigen Sache / nicht treulich rahten solte? Ich wil es mit meinem Gewissen bezeugen / daß dieser Raht / den ich ihm itzund gegeben / der allerbeste sei / ja ein solcher selbst / daß ihn die Treue selbst besser und treuer nicht ausdenken könte.«

(142) »Seine Treue« / fing der Königliche Fürst hierauf an / »ist mir sehr wohl bewust. Ich trage daran gantz keinen Zweifel. Sie ist mir / aus der Erfahrung /genug bekant. Auch weis ich gewis / daß dieser sein Raht / den er mir itzund giebet / gantz guht und treulich gemeinet. Ja ich mus / selbst wider meinen Willen / gestehen / daß er der allerbeste sei / den der getreueste Rahts- und Stahts-man mir iemahls geben könte. Aber wo sol ich mit meiner Liebe hin / die mich so heftig ängstiget; die mir das Leben so sauer /und die Gedanken so verworren macht?«

(143) »Nirgend anders hin« / fing Ihm der Gesante das Wort auf / »als dahin / dahin ich sie zu lenken schon gerahten. Er lenke sie vom Filistischen Freulein ab / auf ein anderes / und auf ein solches / das währter und würdiger ist vom Egiptischen Königlichen Fürsten geliebet zu werden. Und wil oder kan Er sie nicht auf eines allein / oder auf ein gewisses lenken; so ist mein Raht / daß Er sie scheide / daß Er sie zerteile; daß Er ein Teil auf diese / das andere auf eine andere Königliche Fürstin fallen laße. Also wird die geschiedene / die zerteilte / bald auf diese / bald auf jene geworfene Liebe so gar heftig / so gar gewaltig [409] nicht mehr sein. So wird Er sie gemäßiget / und nach Wunsche besänftiget sehen. So kan er sie dan füglich dahin lenken / dahin sein Urteil sie zu lenken befielet: nähmlich auf eine solche / die würdig ist den Egiptischen Reichskrantz zu tragen.«

(144) Mit diesen und dergleichen Bewägreden mehr brachte der Gesante den Königlichen Fürsten endlich so weit / daß Er seine Gedanken von dem Filistischen Freulein abzulenken begunte. Ja Er vergaß einer solchen Liebe / die Ihm nur nachteilig sein wolte / fast gar / als Er / auf Anstalt des Gesanten / sich des folgenden Tages in Geselschaft einer großen Mänge des schönsten Egiptischen Frauenzimmers befand.

(145) Dieses hatte der König selbst / auf anrahten des Gesanten / zum Tantze nöhtigen laßen / welcher auf dem großen Saale des Königlichen Schlosses solte gehalten werden. Alda versamleten sich alle Fürstliche Freulein / und die schönsten Adelichen Jungfrauen / die man hierzu sonderlich ausgelesen / ja selbst die vornehmsten und schönsten Bürgertöchter des gantzen Egiptenlandes. Diese hatten sich auf das schönste geschmükt. Sie erschienen allesamt in köstlicher Kleidung. Sie waren alle mit Perlen und Golde gezieret: doch eine mehr und prächtiger / als die andere / nachdem es ihr Stand erforderte.

(146) In diese schöne Geselschaft führete der Gesante den Königlichen Fürsten unverhuhts; als einen /der nicht das geringste darvon wuste. Wie verwundert / wie bestürtz / wie entzükt er sich / im ersten Anblikke so vieler ausbündigen Schönheiten / befand / wil ich wohl unbeschrieben laßen. Er wuste zuerst nicht /ob er fort- oder wieder zurük-trähten solte. So sehr erschrak Er anfänglich über diesem unvermuhtlichen Schauspiele! Er gedachte nicht anders / als daß er eines Himmels vol Engel ansichtig würde. Er bildet sich ein / als hetten sich alle Schönheiten der gantzen Welt alhier versamlet.

(147) Sobald die Entzükkung vorbei war / trat er algemach fort. Des Gesanten älteste Freulein Tochter war die erste / die seinen Augen kenbar vorkahm. Auf diese ging Er zu / und sie Ihm entgegen. Diese empfing Er / mit sonderlicher Freundligkeit; [410] [412]darnach auch alle die andern. Alle die Schönheiten / alle die Lieb-und Leutsäligkeiten / alle die Anmuhtigkeiten / alle die Freundligkeiten / alle die Höfligkeiten / alle die Geschikligkeiten / die Er alhier / in solcher Mänge /beieinander sahe / verdunkelten / ja vereitelten das Gedächtnis der schönen Timnatterin in seiner Seele dermaßen / daß er ihrer gantz vergaß.

(148) Er gedachte nun nicht mehr / wie lieblich Sie sei. Die Einbildung von ihrer unvergleichlichen Schönheit / die Er aus des Gesanten Erzehlung ehmahls empfangen / war nunmehr aus seinem Gemühte gantz vertilget. Der Entwurf ihrer helleuchtenden Tugendstrahlen / der sich vom hörensagen in seinem Hertzen entsponnen / war nunmehr daraus gantz verschwunden. Der Abris ihrer Hold- und Freundsäligkeiten / der in seinen Sinnen aus eitelen Worten eines andern / in ihrem Abwesen / entstanden / war nunmehr gantz verblichen. So viel Kraft hatten die Liebligkeiten / die Schönheiten / die Tugenden / die Hold-und Freundsäligkeiten dieser Anwesenden / die Er selbst mit seinen eigenen Augen erblikte!

(149) Es war auch kein Wunder / daß so viel gegenwärtige Schönheiten / die Er selbst sahe / die Würkung der einigen Abwesenden / ja noch nie gesehenen dermaßen vereitelten / daß diese von jenen aus dem Hertzen des Königlichen Fürsten gar verbannet ward. Die gegenwärtige Sonne hat ungleich grössere Kraft / als die abwesende; die niemand liebet Wie solte dan eine gegenwärtige Schönheit nicht mehr /als die Abwesende / zuvoraus die noch nie gesehene /geliebet werden? Vom Anschauen der Schönheit rühret die Liebe her. Die Worte / welche die Schönheit uns vorbilden / machen wohl den Anfang darzu: aber das Auge würket sie vollend aus.

(150) Hette der Königliche Fürst die Schönheitder schönen Timnatterin selbst gesehen /so würde seine vom bloßen Höhrensagen entstandene Liebe vielleicht so tief sich eingewurtzelt haben / daß es dem Gesanten unmüglich gewesen / weder durch diesen listigen Fund / noch durch alle seine Bewägreden / sie aus seinem Hertzen zu verbannen. So veruhrsachte dan dieses allein / daß seine Mittel / die er solches [412] zu tuhn anwendete / so glüklich ablieffen; daß er dem Königlichen Fürsten die Liebe zur schönen Timnatterin / wie bald er sie ihm eingeschwatzet / eben so bald wieder ausschwatzete.

(151) Aber wir verweilen uns bei diesem Verliebten oder verliebtgewesenem Fürsten vielzulange. Wir haben / was sich mit Ihm / und seiner Liebe begeben /genugsam betrachtet. Nun wird es Zeit sein Egipten zu verlaßen / und unsern Weg wieder zurük indas Filisterland zu nehmen: da Simson eben itzund von einem Orte zum andern friedlich herüm wandert / sich nach einer neuen Schönheit /nach einer frischen Liebsten ümzutuhn.

(152) Durch Angewohnheit wird uns die Liebe so eigen / daß sie uns gar gleichals zur Speise dienet. Sie wurtzelt sich so tief bei uns ein / daß sie uns lüstern macht selbst von einem Sturtzfalle zum andern zu hüpfen. Sobald dieser Weg / durch langen Gebrauch /schlüpfericht geworden / lauffen wir über alle Tämme / welche die Wuht unserer Begierden gleichsam gebauet / spohrenstreichs hin. Wir achten keiner Gefahr / wie groß / wie nahe sie ist. Wir scheuen uns für keinem Schifbruche / der uns im Meere geiler Lust aufzustoßen pfleget.

(153) Ach! wie ungern lesset der Mensch die Liebe! Wie schweerlich widerstehet er dieser Lehrsatzlosem Gemühtsbewägung! Wie gern folget er ihrem Triebe! Wie leichtlich gehorchet er ihrem Gewaltzwange! Wie willig volziehet er ihre Befehle! Wie glat bahnet er ihm selbsten den Weg zu den Lastern / daß er darinnen fortrennet / wie ein muhtiger Hängst / der sich nicht zähmen / noch zeumen lesset!

(154) Die berufene Kamille lief oder flog vielmehr so geschwinde nicht über die Spitzen der aufgerichteten Kornahren hin / als er über die Spitzen und Stacheln der geulen Lust hinleuffet / selbst sein Verderben zu suchen. Wie der Kramtsvogel ihm selbsten / durch seinen eigenen Mist / den Leim zurichtet / darinnen er kleben bleibet / gewürget zu werden: also richtet er ihm selbst / durch seine eigene geule Liebe /die Falstrükke / die Schleuffen / die Dohnen / die Netze / die [413] Angeln zu / darinnen er sich / gefoltert /gepeiniget / getöhtet zu werden / gefangen siehet.

(155) Der armsälige Simson hatte die Folterungen / die Peinigungen / die ihm den endlichen Untergang dreueten / bei seiner ersten / und zweiten Liebe kaum überstanden / als er sich / durch die Dritte /schon wieder berükken lies. Er hatte sich aus dieser beider Strükken und Fesseln kaum herausgewükkelt /als ihn die geule Lust schon wieder lüstern machte /zum dritten mahle verliebt und verstrükket zu werden.

(156) Die ersten zwee gefährlichen Lustgänge konten ihn nicht zurükhalten den Dritten zu tuhn. Er war der Straße darzu schon so gewohnet / daß weder Vernunft / noch Urteil fähig und mächtig genug waren ihn darvon abzuhalten. Er hatte den Weg albereit so glat geträhten / daß seine zaumlose Sinregung ihn antrieb noch einen Gang zu tuhn. Die Glätte des Steiges / die Gewohnheit ihn zu bewandeln brachten ihn so weit /daß er gleichals blindlings darnachzu lief.

(157) Aber bei allen diesen Lustgängen des Simsons hatte man sich über nichts so sehr zu verwundern / als daß er allemahl trachtete sich von einerFilisterin verstrükken zu laßen. Es war in Wahrheit fremde / daß er zum Ziele seiner Liebe keine andere / dan eine Heydin / ja eine Götzendienerin / und diese mitten unter seinen Tohtfeinden allezeit suchte. Es war gewislich seltsam / daß er ihm hierzu niemahls ein Frauenbild aus seinem eigenem Volke wehlete. Ja seltsam war es / daß kein Ebreisches Weibesbild / wie schön und ahrtig es immermehr war / ihn so weit zu bewegen vermochte / daß er sie mit liebsäligen Augen nur angeschauet / ich schweige / sich gar in sie verliebet hette.

(158) Wan etwan unter dem Heidnischen Volke /den Filistern / allein so ausbündige Schönheiten ihn zu entzükken vorhanden gewesen / so hette man sich nicht zu verwundern. Ja es were kein Wunder / wan irgend unter dem Volke GOttes keine dergleichen Schönheit / die ihm gefallen können / sich befunden. Es were nicht seltsam / noch fremde / wan alle Frauen und Jungfrauen alhier so häslich / so ungestaltet / und [414] so unfreundlich gewesen / daß ihm gantz keine zu einiger Liebe bewegen mögen.

(159) Aber die Erfahrung bezeugte gantz das Widerspiel. Unter dem Israelischen Frauenzimmer befanden sich in Wahrheit so fürtrefliche Schönheiten / daß sie alle Schönheiten der Filister trotzeten / ja alle weit übertrafen. Die so genente schöne Naftalerin allein hatte mehr Schönheiten / als alle Frauen und Jungfrauen des gantzen Filisterlandes. Gegen diese war die schöne Timnatterin / wie anmuhtig und lieblich sie immermehr sein mochte / nicht anders / als ein Schatten gegen das helleuchtende Licht der Sonne. Von andern / die ihrer Schönheit wegen berufen waren / wil ich nicht einmahl melden.

(160) Ja die schöne Naftalerin war so überaus schön / daß sie alle /die sie nur einmahl sahen / ohne den Simson allein / zur Liebe bewegte. Sie war viel schöner / als irgend ein Bild sein möchte; darinnen ein Apelles alle Schönheiten /die iemahls in der gantzen Welt gewesen / mit lebendigen Farben auf das künstlichste zusammen entworfen. Sie übertraf an Schönheit / an Zierlichkeit alle Geschöpfe / ja alles / was den Nahmen schön und lieblich zu sein in der Wahrheit verdienete.

(161) So schöne Strahlen hat niemahls die Sonne /wan sie am schönsten leuchtet / als ihre zwo Augensonnen zu strahlen pflegten. So helle funkelt kein Deamant / kein Karfunkel / wan er das reineste / das klähreste Licht hat / als die helflinkernde schimmernde Feuerfunken / die aus der düsteren Kluft ihrer zween Augenäpfel / als aus einer Berggruft vol edeler Steine / gleichsam herausschossen / zu funkeln schienen. So ahrtige Bluhtädrichen hat kein weisser Marmel / wan er auf das schönste weis / und auf das lieblichste durchädert ist / als der Umzug des schwartzen Lichtgewölbes ihrer Euglein am Augenapfel zu haben pflegte.

(162) So schönen und lieblichrohten Glantz häget kein Rubien / wan er am liechtesten ist / als die Rubienenschacht ihres Mundes hägete. So schönen purpurrohten Schein giebet keine Rose / wan sie am frischesten blühet / als das zweifache Gartenbetchen ihrer lieblichen Lippen zu geben pflegte. So anmuhtig [415] weich ist kein Bette / wan es schon mit lauter Pflaumfedern erfüllet ist / als dieses zweifache Lippenbetchen / darauf ein ieder Mund zu ruhen lüstern war / zu sein pflegte. So süßen Geschmak hat kein Honig /kein Zukker / wan er am lieblichsten schmäkket / als die allersüßeste Feuchtigkeit / die auf ihren Lippen lag.

(163) So schön und glat / so klahr und weisblinkende findet man keine Perl / wan sie am klähresten leuchtet / als ihre schneeweisse Zähne waren; die in ihrem Munde / gleichals in einer Perlenmuschel die Perlen / dicht aneinander gereiet und auf das schönste geglättet stunden. So schön und schloßweis ist kein Elefantenbein / wan es am weissesten ist / als das Bein ihrer blinkenden Zähne war. So schöne Glätte hat kein Marmel / kein Albaster / kein Kristal / wan sie auf das beste geglättet seynd / als diese Mühlensteinlein / welche die Speisen zu schrohten die Mühle des Mundes häget / zu haben pflegten.

(164) So schön / so zierlichroht / und lieblichweis blühet keine Bluhme / wan sie am schönsten blühet /als das Fild ihrer Wangen blühete. So zährtlichroht ist keine Zukkerrose / kein Näglichen / keine Tulpe /keine Tausendschöne / noch einiges anderes Blühmlein / wan es am schönsten blühet / als das zweifache Mittelfeldichen ihrer ahrtiggestalteten Bakken zu sein pflegte. So milchweis ist keine Zibehtrose / keine Lilje / kein Näglichen / noch einige weisse Bluhme / wan sie am schönsten milchet / als die übrige weisse Haut rund üm das rohte Mittelfeldichen ihrer Wangen herüm war.

(165) So zahrt- und unbeflekt-weis ist kein Schnee /wan er erst gefallen / und noch unbeträhten ist / als der Himmel ihrer Stirne / die Burg ihres Verstandes /war. So zierlich geflamt / so anmuhtig gekrült / so ahrtig geringelt / so hübsch gescheitelt / so schön gefärbt fand man kein Haar an irgend einem Frauenbilde / wan es am schönsten geschmükt und gekünstelt war / als diese schöne Naftalerin hatte: wiewohl es ihr gantz ungekünstelt üm die Stirne so wohl / als zu beiden Seiten der Wangen zu hängen pflegte.

(166) So blank und glat ist kein Marmel / kein Albaster / so weis keine Kreide / kein Hagel / keine Milch / wan sie am [416] weissesten seind / als ihr schlanker gerader Hals / und ihre zierlicherhobene Brust war: So angenehm und so lieblich kan keine Luft sein / wan sie / mitten im heissen Sommer / am klähresten / am reinesten ist / als die Ahtemluft war; welche durch die Brust und den Hals hinauf gestiegen / ja durch den Mund ausgehauchet kahm. So anmuhtig ist kein Klang / kein Laut / kein Hal / wan er am reinesten / am hällesten klinget / als derselbe / welcher /wan sie sang / oder redete / durch ihren Mund / aus dem Halse hallete.

(167) So schön und klahr konte keine weisse Schmünke / kein blanker Anstrich sein / wan er schon am künstlichsten zugerichtet ist / als ihre zahrtschlanke nietliche Hände waren; die aus dem reinesten Kraftmähle / mit dem weissesten Zukker vermischet / auf das künstlichste gebildet und gebakken zu sein schienen. Von der Bildung ihres gantzen Heuptes / ja gantzen Liebes / und aller Glieder desselben / die übertreflich künstlich war / wie auch von den Gebährden desselben / die verwunderlich schön ihr anstunden / wil ich nicht einmahl melden.

(168) Bisher hat meine Feder zwar den Schatten ihrer Schönheit / nähmlich die euserliche Leibesschönheit / die gantz gebrächlich / gantz vergänglich /ja gantz nichts ist / beschrieben. Aber das rechte Licht ihrer Schönheit / nähmlich die inerliche Seelenschönheit / die gantz unvergänglich / ja ewig / und schier ungebrächlich war / zu beschreiben / wird eine schärfere Feder / eine geschiktere / ja wohl gar unsterbliche Zunge erfordert. Meine Zunge / welche die Sterbligkeit noch nicht abgeleget / kan hiervon nur lallen. Meine Feder / die eine sterbliche Hand führet / fället zu stumpf / zu unbehände / ja wird nicht klüglich genug gefasset / die eigendliche Beschreibung zu verfassen.

(169) Gleichwohl wil ich einen Versuch tuhn von dieser ihrer innerlichen Schönheit einen kleinen Schattenris zu machen. Ich wil die Schönheit ihrer Seele / die ewig tauret / und in ihres Taugenden bestehet / durch eine nichtige flüchtige Feder / auf ein nichtiges Blat entwerfen. Ja ich wil ihre Tugenden / als dan schönste / das beste Teil ihres Selbstandes / beschreiben. Ich wil beschreiben / wie die gantze Reihe der Tugenden ihren [417] Sitz in der schönen Naftalerin schönen Seele / gleichals in ihrem eigenen Sitze / genommen.

(170) Unter allen diesen Tugenden hatte die Liebe gleichsam den Vorsitz. Diese Haupttugend /als die erste der Tugenden / leuchtete zum allerersten und meisten aus ihr hervor. Diese machte sie tähtig zu allem Guhten. Und also liebele sie GOTT über alles. Sie liebete ihren Nächsten / als sich selbst. Ja sie liebete selbst ihre Feinde. Ach! wie schön und lieblich machte sie diese Liebe! Wie schön und lieblich ward ihre Jugend / durch diese Tugend! Wie schön und lieblich ward sie selbst in Gottes / und aller Menschen Augen! Sie schön und lieblich priesen sie selbst die Engel! So wohl gefiel ihnen ihr schönes und liebliches Wesen!

(171) Dieser ersten Haupttugend folgete die zweite; der sie sich gantz ergab. Der Glaube war ihr einiger Trost / ihr einiger Schild / ihr einiges Werk. Hierinnen stund sie so fest / daß sie nichts darvon abwendig machen konte. Hierdurch vereitelte sie die Lagen aller / die ihrer Seelen / sie zu verderben /nachstunden. Ja hierdurch nahete sie zu GOtt. Hierinnen schauete sie GOtt. Hierdurch erlangte sie die Säligkeit.

(172) Zu ihrem so festen / so starkem Glauben gesellete sich die Hofnung / die dritte Haupttugend. Diese richtete sie so beständig auf GOtt / daß sie sich weder auf sich selbst / noch einigen andern Menschen verlies. Durch diese war sie nach dem ewigen Guht so hertzverlangend / daß sie auf kein Zeitliches hoffete. In dieser stund sie so gewis / daß sie nicht zweifeln / noch straucheln konte. Auf diese bauete sie so fest / daß sie sich zu schanden zu werden nimmermehr befahren durfte.

(173) Neben diesen drei Haupttugenden wohneten in ihr auch alle die andern so wohl himlische / als irdische / so wohl geistliche / als weltliche Tugenden.Die Gottesfurcht / die Wurtzel aller Weisheit / schien ihr gleichsam verschwistert zu sein. Der wahren Gelaßenheit war sie dermaßen ergeben / daß sie ihren Willen dem Willen GOttes gantz übergab. Und also wuste sie von keiner Eigenwilligkeit / viel weniger von der Halsstarrigkeit. Diese lies ihreGehohrsamkeit nicht zu. Die [418] Frömmigkeit / die Guht- und Barmhertzigkeit ziereten ihren gantzen Wandel.

(174) War iemand demühtig / war iemandniedrig / so achtete sie die Demuht / die Niedrigkeit so hoch / daß sie ihr höchster Ehrenschmuk sein musten. War iemand sanftmühtig / so herschete die Sanftmuht in allen ihren Sinnen. War iemand Guht- und Barm-hertzig / so lies sie die Guhthertzigkeit / die Barmhertzigkeit nimmermehr aus ihrem Gemühte. War iemand langmühtig / war iemandgedultig / war iemand verträglich / so erwiese sie die Langmuht gegen alle / die ihr übels tähten / die Geduld in allen Widerwärtigkeiten / die Verträgligkeit in iedermans ümgange.

(175) In den grösten Unglüksfällen war die Großmühtigkeit ihre Stütze / die Hertzhaftigkeit ihre Grundfeste / die Unverzagtheit ihr Aufenthalt. Wider alle Verleitungen setzte sie sich mit einer unüberwindlichen Beständigkeit. Sie wakkelte / noch wankte nie. Sie blieb gantz unbeweglich. Sie war gleich als ein Fels / der keinem Sturme weichet. Sie wolte kein Rohr sein /das der geringste Wind hin und her wehet. Und also war / in diesem Stükke / nichts Weibisches an ihr.

(176) Wiewohl nun diese schöne Naftalerin beides der Seelen und dem Leibe nach so unvergleichlich schön war / so konte sie doch den Simson zu keiner Liebe bewägen. Ja ob er schon mit ihr / durch den Rechtshandel / den ihre Mutter ihrentwegen mit der diebischen Filisterin gehabt /in nahe Bekantschaft gerahten; so konte doch diese Bekantschaft ihn keines Weges vermögen ihre so ausbündige Schönheit in Betrachtung zu ziehen. Er sahe sich gleichwohl nach einer andern und gantz fremden üm. Seine Begierden trieben ihn gleichwohl abermahl nach dem Filisterlande zu / ihm alda eine neue Buhlschaft zu suchen.

(177) Man möchte zwar / dem euserlichen Scheine nach / wohl sagen / er hette solches vielleicht nur darüm getahn; weil er in Bedenken gezogen ein Frauenbild aus dem Volke Gottes / durch solche seine Liebe / die mehr geul / als keusch / mehr unzüchtig als züchtig / zu sein schien / gleichsam zu beschmützen [419] / oder vielmehr zu verunehren. Aber mich deuchtet unter diesem gantzen Handel ein sonderliches Geheimnis verborgen zu sehen. Ich laße mich bedünken /er habe so wohl hierinnen / als anderwärts / ein Vorbild unsers Heilandes sein sollen: welcher eben alsSimson / wiewohl auf eine gantz keusche / ja Götliche Weise / die Menschenkinder / da sie noch Fremdlinge waren / da sie noch im Schlamme der Sünden lagen / und so häslich aussahen / daß nichts schönes noch liebliches an ihnen zu finden / geliebet /ja gar zu seiner Braut erkohren; wie wir schon droben ausführlich gemeldet.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Zesen, Philipp von. Romane. Simson. Das 9. Buch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AE30-7