[3] Zweiter Band

Anna. Eine Geschichte in Briefen aus der Reformations-Zeit

1

Seit du von uns giengest, meine Bertha, ist's mir, als wäre die Freude auch von uns geschieden. Was ist auch am Leben, ohn' ein Herz, in dem wir es doppelt fühlen! Die Rosen im Burggarten blühen matter, die Vögel singen mir traurig, nur wenn die Abendsonne ihre letzten Strahlen in das grüne Thal, über den hohen Wald herein wirft, und der Fluß ihren Purpur auf seinen Wellen spiegelt, – dann möchte ich mit den Lichtstrahlen fortziehen – [3] Dir nach, denn Dein liebes Bild scheint mir aus der blauen Ferne zu wirken. Ja, an Deiner treuen Brust wohnt der Trost meines Lebens! Der Trost; die Freude, schwebt längst als ein goldnes Wolkenbild über mir, das sich immer mehr entfernt, zu dem mich nur oft ein mildes Wehen der Hoffnung hinführt.

Die Mutter ist mild und gütig, giebt mir im Hause zu thun und zu ordnen, um mich zu zerstreuen. Der gute Caplan kommt Abends zeitiger als gewöhnlich, mit mir in den Welschen Büchern zu lesen, die auch Dir so gefielen. Bei jeder schönen Geschichte denk' ich an Dich.

Diese hohen stolzen Ritterfrauen hatten es besser als wir. Auf dem muthigen Roß konnten sie dem, was sie liebten, frei durch Wälder und ferne Länder nachschweifen, Gefahr und Tod mit ihm zu theilen. Der gute Mann denkt gern seiner Jugendzeit, seiner Wanderungen in den schönen Gärten von Europa, wird nicht [4] müde zu erzählen, von den Eisbergen, die dahin führen, von der Pracht der Schlösser, von den Strömen, an deren Ufern die reichen, schönen Städte liegen, und von der Herrlichkeit Roms. Ein inniges Sehnen ergreift ihn, und in der Sehnsucht begegnen wir uns. Ist es doch, als könnte der Mensch ohne Sehnsucht nicht leben, da selbst das greise Alter, in ihr, die Vergangenheit umfaßt, da keine heiße Liebe seine Gegenwart füllt, und keine Hoffnung seine Zukunft übergoldet! Der Vater ist für einige Tage verreist. Mit ihm wird mir ein heiteres Leben zurückkehren. Er erzählt mir aus der Griechen- und Römer-Zeit, aus der, Carls des Großen, von den Kaisern aus dem Hohenstaufischen Hause, ihren Thaten und Kriegszügen nach dem gelobten Lande. Wenn ich ihn zu Pferd begleite, wird's mir freier ums Herz. Von den Gipfeln der hohen Gebirge werde ich hinab schauen nach der Gegend, wo Du bist, meine Liebe.

Es wird stürmische Zeiten geben, fürchtet der Vater. Des Luthers Anhänger wachsen täglich. [5] Du weißt es, ich kann nicht umhin, Theil an dem Manne zu nehmen, der in der Kraft seines Herzens Allein, gegen eine Welt steht.

Gott möge seinen Glauben richten, seinen Irrthum verzeihen! Ja, ein Mensch, der um der Wahrheit Willen, so scheint es ihm, Gut und Leben opfert, ist immer groß und herrlich zu nennen, und wird es bleiben durch alle Zeiten hindurch, lebte er in Kerker und Ketten, und stürbe er auf dem Scheiterhaufen, wohin ihn Menschenhärte und Trug verdammen. Wer kann in das Innre schauen, als der Vater des Lichts? Erbarmen und Liebe, sind sie nicht die ersten Gebote der ewigen Liebe? Der Vater hat mir die Geschichten des Huß und Hieronimus von Prag gelesen, die vor hundert Jahren sich zutrugen; unter tausend Thränen habe ich sie angehört. Rührend und ehrwürdig ist mir dieses Festhalten an ihrem Glauben, dieses freie Erwählen des Todes, das die Edlen aller Völker für sie bewegte. Dieser Streit, dünkt mir, ward von unsrer Seite mehr um Menschliches [6] und Irrdisches geführt, als um Himmlisches und Ewiges. Gott läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute, über Gerechte und Ungerechte. Diesen schönen Spruch, den mich der gute Vater gelehrt, kommt mir nicht aus dem Sinn. Sollten wir schwache, in Dunkelheit wandelnde Menschen, eingreifen in die Hand des Allmächtigen, strafen wo er verschont?

Wenn die Morgensonne sich in den Thautropfen der Rosen unter meinem Fenster spiegelt, da umfaßt mich das allbelebende Gefühl der Allmacht und Liebe, die Himmel und Erde durchstrebt, und ich bete: Ewiger Vater! laß mich nie kränken eines Deiner Geschöpfe, dem Du das Leben verliehen hast, solche Schönheit zu schauen! Ich nehme mirs vor, alle Thränen zu trocknen, wie es in meinem Vermögen steht.

Gott verhüte, daß je welche durch mich fließen sollten!

Lebe wohl, meine Bertha, in all' seinem [7] Leben, in Kummer und Ernst und feundlicher Hoffnung, ist Dir mein Herz nah!

Anna.

2

Der Vater ist zurückgekommen, liebe Bertha. Es ist gleich ein andres Leben, es giebt zu schaffen, zu sorgen. Wie gern thue ich das für den, den ich ehre! Als ich ihn den Berg heran reiten sah, wallte ihm mein Herz entgegen. Nach kurzer Entfernung ist's uns, als träte das ganze Wesen derer die wir lieben, klarer und höher vor unsre Seele. Edel und stattlich saß er auf seinem stolzen Rappen, und sein aufschauendes, glänzendes Auge, suchte unsre Liebe an den Burgfenstern. Ich wollte ihm entgegen fliegen, als ich bemerkte, daß ein fremder Ritter hinter ihm herritt, und ich erwartete ihn mit der Mutter an den Burgpforten. Herzlich schloß uns der Vater in seine [8] Arme, und hieß uns den Begleiter, den Ritter von Plankenfels, gastlich zu empfangen. Es ist ein feiner, eben nicht häßlicher Mann, der Manches zu erzählen weiß von den welschen Kriegen, von den Ritterthaten unsres Kaisers Maximilian: aber seine Worte sind nicht wie die des Vaters, gerade zum Herzen dringend, und eine neue Welt lebendiger Bilder vor die Seele führend, so daß einem wird, als wäre man selbst dabei gewesen, im Gewühl der Schlacht, bei der Feier des Sieges.

Er warf neugierige Blicke auf mich, das mißfiel mir gleich am ersten Abend. Ach, ich kenne ja andere – sie stehen mir immer vor dem innern Seelenauge! –

Der Ritter sprach auch zuviel von seinen Burgen am Rhein; möge er bald wieder dorthin ziehen!

Auch sprach er mit Härte, beschränkter, gefühlloser Strenge von dem Wesen Luthers, von Erregen und den Ansprüchen des Landvolks. [9] Wie ganz anders spricht der Vater! Ernst mißbilligend, aber die Gerechtigkeit und helle Einsicht wohnt auf seiner offnen Stirn, und der Muth, den diese geben, in der befreiten Brust. Kleinliche Furcht macht hart und grausam. Wer allen Gestalten des Lebens zu begegnen weiß, beherrscht sie. Nie hat mein Vater fremdes Recht gekränkt, und wird fest auf dem seinen beharren, aber sein edles Herz ist fremder Noth empfänglich, und sein offnes Auge schaut wolkenlos wie ein blauer Frühlingshimmel in das Treiben der Eigensucht und menschlicher Eitelkeit hernieder. Gar nicht gefiel es mir an diesem Ritter, daß er lang und breit vom Hoflager des Kaisers sprach, von seiner Gunst – über die er im Hinterhalt seines Lächelns mehr zu verbergen schien, als er sagte. Wie warm hängt mein Vater an dem edlen ritterlichen Max! er würde Gut und Leben für ihn opfern – für ihn – nicht für seine Gunst, als Ritter, nicht als Höfling. Ja, mein Vater ist ein Mann, Franz von Sickingen und noch Einer.[10] – Thörigtes Mädchen, wirst Du sprechen, das haben Dich wenige Stunden gelehrt!

3

Ich habe mich nicht getäuscht, der fremde Ritter hat Absichten. Gestern Abend, als ich des Vaters Lieblingslieder singen, und auf der Laute spielen mußte, lagen seine Blicke feurig auf mir, so daß ich meine Augen nicht aufzuschlagen wagte. Ach, wie ist das sanfte Feuer in einem Männerauge so wohlthätig, das uns sagt: hier ist Trost und Hülfe für dich und ewige Treue und Liebe, in dieser festen Brust, wo zarte Sitte wohnt, ein Obdach in allen Stürmen des Lebens. – Dieses Feuer, das uns so sanft umlodert, und die Blüthen des innigsten Vertrauens erschließt – dieses war es nicht. Auch beklemmte nicht jene zarte Scheu, mit der wir uns allem Großen und Herrlichen nahen, meine Brust. Nein, es glühte innerer Unwille [11] in mir, und eine grause Furcht, wie vor einem dunkel herannahenden Unglück, hielt mich gebunden. Heut Morgen mußte ich den Vater auf die Jagd begleiten; der Gute hat seine Freude daran, daß ich kühner und sicherer als andere Frauen mein Pferd führen und ihm überall folgen kann. Als ich still zwischen dem Vater und dem Ritter ritt, und jene sich eben mit Befehlen an die Jäger zurückwendeten, näherte er sich meinem Ohr und sprach: O schönstes Fräulein! haben Sie denn keinen Blick für ein durch Ihre Reitze tief verwundetes Herz? Es war mir recht widrig; ich that, als hörte ich ihn gar nicht, und wendete mich mit einer Frage zum Vater, der zum Glück ausgeredet hatte.

4

Gestern Abend hieß mich der Vater ihm in den kleinen Garten unter meinem Fenster folgen, wo kein Fremder hingeführt wird. Er [12] lobte meine Blumen, begehrte einen Strauß, ich merkte bald, daß er mir etwas zu sagen hatte, was ihm schwer vom Herzen gieng. Anna, begann er, und zog mich neben sich auf die Moosbank, ich habe Dir etwas zu sagen: Der Ritter von Plankenfels begehrt Dich zur Hausfrau, so eben hat er mirs entdeckt. Was sagst Du dazu?

Nein, mein Vater! rief ich, Nein! O diesem geben Sie mich nicht!

Er faßte meine Hand zärtlich, nicht diesem, noch irgend einem Andern will ich Dich geben, Du sollst Dich selbst nur geben, mein liebes Kind, doch muß ich Dich aufmerksam machen. Es ist der dritte Freier, den Du von Dir weisest, wirst Du es auch nie bereuen? Plankenfels, wie seine Vorgänger, ist ein stattlicher, ehrenhafter Mann, mir von wackern Männern wohl empfohlen, wie mirs scheint auch liebenswerth, um eines Mädchens Augen zu gefallen. Jugend und Schönheit sind Blumen, deren jeder begehrt, aber bald entblättert sie die Zeit, und [13] dann naht sich ihnen kein zärtliches Verlangen mehr; sie stehen allein, und die Stürme des Herbstes brausen über sie hin. Ich bin jedes Tags eines Rufs zum schwäbischen Bundesheer gewärtig; ein alter Kriegsmann muß enden, wie er begonnen, bereit zu jeder Stunde vor dem Feinde zu stehen. Du und die Mutter stehen allein, wenn ich falle, auch die Mutter wird vor Dir hingehen, so lehrt es der Lauf der Natur. Meine edlen Freunde leben Dir zu entfernt, Dich schützen zu können; eine unruhvolle Zeit droht zu beginnen, – was soll aus Dir werden?

Laß uns nicht ängstlich sorgen, bester Vater! rief ich. Glücklich und schön begann mein Leben unter den Augen geliebter Eltern. Es scheint das Glück ist mir hold. Lieber wollt' ich im heiligen Frauenkloster meine Tage beschliessen, als in freudelosem Ehebund, dem mein Herz widerstrebt.

Nun so gebe ich dem Ritter in Gottes Namen den Abschiedsgruß, sagte der gute Vater [14] mit Freundlichkeit, und empfehle Dich dem ewigen Auge über uns. Sein Blick war gen Himmel gerichtet, eine Thräne glänzte darin, und mein befreites Herz schlug hoch an dem seinen.

5

Der Vater ist heiter, aber er bereitet sich zum Heereszug zu stoßen. Ich suche mein geängstetes Herz zu verbergen, denn er kann keine traurigen Gesichter leiden, und will mich heiter sehn, wie die reine Luft um unsre Höhen. Kinder, verkümmert Euch die Tage der Jugend nicht durch unzeitige Schwermuth, sagte er mir oft, wenn ein Kreis besuchender Mädchen mich umgab, sie eilen hinab, schnell wie der Felsenquell ins Thal, wo er ohnedem langsam fließen muß, fern dem erfrischenden Ursprung. Sollt' ich denn nicht glücklich seyn? Bin ich nicht frei, ich darf es sagen, geliebt, weil ich gut und wohlthätig bin?

[15] Keine nahe Gefahr droht dem Vater, und oft schon sah' ich ihn ausziehen, gerüstet mit Muth und Stärke, und siegreich heimkehren. – Ach, Bertha! nicht alle still geweinte Thränen fließen der Trennung vom Vater – auch Einem Andern fließen sie! – Geduld, Liebe, Du sollst Alles wissen. Ein lang in sich getragenes Geheimniß reißt sich nur mit Schmerz los aus der wunden Brust.

6

Er ist todt, der geliebte Kaiser. Mein Vater betrauert ihn mit Würde und Ergebung. Die männliche Thräne, die einer festen Brust entquillt, über der Leiche eines Entschlafenen, ist sie nicht das vollgültigste Zeugniß vom Werth seines Lebens? Große Entwürfe werden mit ihm begraben, sagt der Vater. Ja, er wollte Großes und Gutes, aber dem bewegten Ritterleben, das die Gefahr von früher Jugend an aufsuchte, [16] um die Fülle des Muths an ihr zu erproben, fehlte es an Haltung gegen das Ganze, an der sichern Klugheit, Andre zu seinem Zwecke zu leiten, an der berechnenden Wirthlichkeit, die einem Römischen Kaiser unentbehrlicher ist, als jedem andern König. Deshalb sind unsre Kaiser meist nur im Wollen und Streben groß. Aber ist im Wollen und Streben nicht der eigentliche Mensch? selten gehört ihm die That an. Was er für Kirche und Reich herrliches gedacht, wie er offnen, freien Blicks das Rechte erspäht, wie er muthvoll und liebenswerth in That und Sitte sich die Herzen des Volkes gewann, das wird ihm bleiben, im Angedenken der Menschen.

Daß sein klares Auge auf mir auch geruht, in der freundlichen Stadt, die er mit ahnender Trauer verließ – die Bilder jener Tage –, das seine – stehen immer in meiner Seele.

Eine große, wohlthätige Spur seines Lebens wird bleiben im Laufe der Zeiten. Das Gericht von Fürsten, Edlen und Weisen, das er einsetzte, [17] um die Streitigkeiten zu schlichten durch die Macht der Vernunft und der Ehre, die sonst blutige Fehde entschieden. Gegen den Reichsfeind, den Feind des Christenglaubens, werden die Streitkräfte sich wenden, die die blühenden Auen des Vaterlandes verwüsteten, seine Kinder zerfleischten. Wir armen Frauen werden nicht zitternd und zagend mehr hinter unsern Burgmauern leben, daß die Morgensonne die Geliebten unsres Herzens zum blutigen Kampf aufrufe, daß der Feind eindringe, und die Flamme unsre Habe verzehre, die Armuth aus den zerstörten Hütten der Unsern, uns mit all ihrem unendlichen hülflosen Jammer überfalle.

Kurz vor seinem Tode ernannte der Kaiser meinen Vater zum Beisitzer dieses edlen Gerichts unter den Grafen von Zollern. Ich sehe den Vater mit neuwachsender Ehrfurcht an, wenn ich mir ihn als Beschützer der Tugend und Ordnung denke, als Richter des Rechts, das die ewige Grundsäule der Menschheit ist, wie das Licht die Nacht der Erde umgiebt, [18] und Wachsthum und Gedeihen verleiht, dem Glücke, der Liebe, der Tugend, in seinen reinen Strahlen.

In edlen Männerherzen wohnt nur das Recht. Schönes Feld des Muthes, das sich hier eröffnet! Nur der Starke und Feste bewahrt Wahrheit und Ehre treu, da sie die Angeln seines eignen Wesens sind. O stünde auch der Eine, um den all mein Sinnen und Denken sich dreht, bei dem das Licht meines Lebens wohnt, auf dieser edlen Reihe neben dem Vater! Oft ahne ich eine ewige Trennung – zu denken vermag ich sie nicht.

7

Der Vater ist zu dem Churfürsten Friedrich von Sachsen gereist, mit einigen Freunden; sie wollen ihn fürs Heil des Vaterlandes bewegen, die Kaiserkrone anzunehmen. Möge es ihnen gelingen! Kein edleres Haupt kann sie schmücken, [19] denn es schlägt unter ihm ein reines menschliches Herz. Dir meine Bertha, soll die Einsamkeit dieser Tage geweiht seyn.

Du begehrst zu wissen, wie es denn eigentlich mit mir stehe? Woher diese Abneigung gegen die passendsten ehrsamsten Eheanträge? Wohl fühltest Du, daß mein Herz in die Ferne schweife. Du fürchtest, das Lesen der welschen Geschichten habe meinen Sinn nach einer Traumwelt gekehrt, der keine Gestalt dieser Erde gleichen kann. Ich werde den Himmel nicht herabziehen, sagst Du, und mich einst vergebens nach den frischen Blüthen, die die Wahrheit des Lebens uns bietet, und die ich jetzt verschmähe, zurücksehnen.

Wenn es so werden sollte, so werden könnte, meine Liebe, so muß ichs ertragen. Jetzt lebt der Himmel in meinem Herzen, in einem hohen, edlen Männerbilde, – ihm muß ich mich weihen, sollte es auch einst als ein Schatten vor mir zerrinnen, es ewig anbeten, denn einmal erhellte sein Glanz meine Seele.

[20]

Du hast Dir keine dringende Frage erlaubt, mit zartem Sinn vermieden, das Heiligthum meines Herzens zu berühren, mein Sehnen in die Ferne, mein Stummseyn oft ertragen. Nur, da Deine Furcht um mein verfehltes Geschick Dich zur Rede gereitzt, überwinde ich alles, was mich zurückhielt, was ich nicht zu nennen vermochte. Thue einen klaren Blick in die Seele Deiner Anna, die sich, obgleich nach langem Zögern, doch gern vor Dir enthüllt.

Du weißt, wie die Jugendfreundschaft meiner Mutter, mit der Herzogin von Bayern, der Schwester unsres verstorbenen Kaisers, mir die Ehre zuzog, im Gefolge ihrer Tochter, der Prinzessin Susanna, zu seyn, als sie zur Hochzeitfeier mit dem Markgrafen von Brandenburg, nach Augsburg zog. Ich erfreute mich der Heiterkeit unsres Zuges, durch die schönen Auen Bayerns und Schwabens. Alle Fröhlichkeit kam aus dem Herzen, denn das Herz der Braut schlug dem Geliebten warm entgegen. Mehr als alles Andere erfreute mich das Anschauen [21] unsres Kaisers. Seine Ritterthaten, seine Liebe mit der zu früh verlornen Maria von Burgund, sein Heldensinn, mit edler Milde gepaart, von dem mir der Vater von Jugend an erzählte, machte ihn mir zum Gegenstand der lebendigsten Verehrung. Mehr als alle andre Geschichten und Mährchen, ergötzten mich die Thaten eines edlen Mannes unsrer Zeit, und ich träumte mir manchen stillen Abend auf unsrer Burg, die Freude, ihn zu sehen.

Mein Herz wallte ihm entgegen, als einer längst bekannten Erscheinung, als er im köstlichen Schmucke einhergeritten kam, umgeben von dem Bräutigam und vielen Fürsten und Herren, um die Prinzessin an der Brücke vor Augsburg zu empfangen. Eine ältere Rittersfrau, die mit uns auf dem Wagen saß, nannte uns die Namen der Begleiter. Die heitern Lüfte ertönten vom Schall der Trompeten, die Sonne umleuchtete mit hellen Strahlen den festlich geschmückten Reiterhaufen, die Glocken ertönten vom hohen Dom. Es war ein feierlicher Augenblick, [22] und die Brust schwoll in einer Fülle des neuen Lebens. Als an der St. Ulrichs-Kirche der Kaiser vom Pferd stieg, die Prinzessin von ihrem Wagen hob, um sie und den Bräutigam an seinem Arm zur Trauung zu geleiten, versammelten sich die Ritter des Gefolgs auch um unsern Wagen, uns diesen Dienst zu leisten. Die schönste Männergestalt, die ich je gesehen, stand seitwärts etwas zurück, mit einer gewissen holden Schüchternheit, die mich sogleich unglaublich anzog. Ich fürchtete, ein andrer Ritter möchte mir den Arm bieten, und drängte mich kindisch zurück. Glücklicherweise ergriffen sie nur meine entgegenkommenden Gespielen, und der Erwünschte nahte sich mir. Mein Gewand hatte sich in eines der Räder verwickelt, sittig und fein erwartete er, bis ich es daraus befreit hatte; aber als die Pferde ungeduldig fortdrängend, während meines Aussteigens, den Wagen vorwärts zogen, faßte er mich rasch in seinem Arm auf. Die Puffen seines Ermels streiften an meiner Wange hin, und als ich [23] meinen Blick dankend gegen ihn aufschlug, lächelte es mir wie Himmelsglanz aus seinen freundlichen lichtbraunen Augen entgegen. Er bot mir den Arm, mich zur Kirche zu führen, und sein zartes Bemühen, mich im Gedräng zu beschützen, indem wir dem Zuge nacheilten, schien mir so liebenswürdig. Wir hatten keine Worte gewechselt, aber während der Trauungs-Ceremonie stand er mir gegenüber. Selten wagte ich meine Augen auf ihn zu richten, aber immer fand ich die Seinen. Die ernsten Worte der ewigen Verbindung zweier Herzen und Leben, hatten mich nie tiefer gerührt; ich suchte mich im Gebet für das Glück der guten Fürstin Susanna zu sammeln, hielt meine Augen hinter dem Gebetbüchlein verborgen, aber sein Blick stand vor mir, und alle Lettern schienen mir übergoldet von seinem Strahl. Einmal, als ich nach ihm aufzuschauen wagte, fiel ein Sonnenstrahl gerade auf sein schön gelocktes Haupt, die braunen Locken glühten wie Gold, es war mir, als wenn ein Heiligen-Schein sich [24] um ihn herzöge. Es ist sonderbar, aber ich sah seitdem die Glorie immer um ihn.

Ich bebte, als er sich dem Kirchenstuhle näherte, mich zurükzuführen, meine Kniee zitterten, ich mußte mich ans Geländer halten, aber als ich seinen Arm ergriffen hatte, war mirs, als durchdräng mich eine neue Kraft, fest gieng ich durch den langen Säulengang der Kirche. Stolz fühlte ich mich an der Seite des Schönsten, denn keiner der andern Ritter, die meine Gespielinnen geleiteten, war mit ihm zu vergleichen. Lange giengen wir durch das Volk, das an beiden Seiten gedrängt stand, dem Zuge zuschauend. Freundlich grüßend gieng er, ich sah, daß er aller Augen auf sich zog. Ein schönes Paar! flüsterten einige Weiberstimmen dicht neben uns, und eine glühende Röthe, ich fühlte es, flog über meine Wangen. Sein Auge ruhte auf mir, ich wußte es, ohne daß ich wagte, das meine aufzuschlagen; mir schien's sogar, als schlöß er meinen Arm fester an den seinen, oder war es das vordringende Paar hinter uns, das [25] diese Bewegung veranlaßte? Bei einer Wendung des Zugs gieng das Brautpaar an uns vorüber. Zum erstenmal vernahm ich den süßen Laut seiner Stimme, und immer noch tönt er an mein Herz – in welch sinnigen Worten: »Glücklich sind die, fürwahr zu nennen, wo der Priesterseegen die Herzen wahrhaft mit dem Leben vereint.« Und sollte das je anders seyn? wollte ich sagen, aber meine Brust schlug hoch, meine Lippen bebten, kein Wort konnte hervordringen. Wunderbar schien er dennoch die Stimme meines Innern vernommen zu haben, und fuhr fort: Ja, es giebt Seelen, die einzig in Wahrheit und Liebe zu leben vermögen, ihre unwiderstehliche Gewalt thut sich beim ersten Blick kund! Sein Ton war weicher, inniger an mich gerichtet. Wir standen am Wagen, ohne daß ich ein Wort zu sagen vermocht, ich zürnte mir selbst, fürchtete, daß er mein Schweigen als kindische Blödigkeit des Landmädchens deuten möchte. Mit derselben zarten Sorge hob er mich in den Wagen. Nur ihn sah ich fortan im bunten [26] Gewimmel des Weinmarktes, dem Wehen seines Helmbusches folgten meine Augen; unachtsam auf alles Andre, was um mich her vorgieng, saß ich stumm und in mich gekehrt, und fühlte das Walten einer Gottheit über mir.

Beim Mahl, beim Tanz, umgab er mich mit der feinsten Aufmerksamkeit und Sorgfalt, aber unüberwindlich blieb meine Schüchternheit gegen ihn.

Ein dem Vater bekannter Ritter nahte sich mir, und sprach einige spaßhafte Worte, ich erwiederte sie mit Heiterkeit. Zum erstenmal hörte ich den Ton Ihrer Stimme, flüsterte er mir ins Ohr –, warum war der süße Laut nicht an mich gerichtet? ich beneide ihn fremden Ohren.

Schön vor allen Andern war er beim Ritterstechen mit dem Markgrafen; so voll Hoheit und Anmuth, so des Sieges gewiß, trug ihn das stolze Roß, als fühlte es die Schönheit seines Reiters. Auch waren alle Augen auf ihn gerichtet, und alle Herzen flogen ihm zu, – und mich suchte sein Auge unter dem Kreis[27] glänzender schöner Frauen – wagte nur einen bescheidenen Blick –, so fällt ein Blitz der wetterleuchtenden Wolken in eine Frühlingslandschaft. Es war etwas Gehaltenes, Ernstes, fast Melancholisches in seinen Zügen, in seiner ganzen Haltung, und als die ganze Gesellschaft in lautes Gelächter über die Scherze des lustigen Raths von Rosen ausbrach, umzog nur ein leises Lächeln die schönen Wangen.

Nicht ungern sah ich beim Tanz die Blicke der Zuschauer auf uns geheftet, und mit Vergnügen hörte ich mich schön nennen, nur um seiner Wahl nicht unwerth zu scheinen. Selbst der gute Kaiser gab ein Zeichen des Beifalls, als wir bei ihm vorbei walzten, sanft schlug er mich auf die Schulter, und sagte: Du liebreizend Kind! In seeliger süßer Freude verflogen die Stunden neben ihm. – Ich ermüde Dich wohl mit Weitläuftigkeit, meine Bertha? So gern wiederhole ich mir selbst jeden Augenblick jener Zeit, doch wie matt ist jede Erzählung! Wie kann man den Zauber beginnender [28] Liebe aussprechen? Eben so wenig wie den werdenden Frühling, der jeden Moment neue Blüthen erschließt. Er ist da, so die Liebe, ein Kranz himmlischer Rosen – wir wissen nicht wie sie kam. Dacht' ich an eine Zukunft in diesen sonnenhellen Tagen? Nein, Bertha, nur an den nächsten Morgen dacht' ich, wenn Einsamkeit der Nacht mich in der stillen Kammer umfieng. Dann sind wir glücklich, wenn das Nächste unsre Seele füllt. Nach den Sternen, die auch ihn umflammten, sah ich auf, und den ersten Sonnenstrahl grüßte mein entzücktes Herz, denn er würde mir seine Gestalt umleuchten.

Eine einsame Stunde mit meiner Fürstin Susanna, erschloß die tiefern Wünsche meines Busens. Die Ritter zogen mit dem Kaiser auf die Jagd; ich stand neben ihr auf dem Balkon, wir sahen sie an uns vorüberreiten, ihr Auge folgte dem Gemahl, und wendete sich dann in seinem sanften Freudenglanz auf mich, als eben Ottomar von Rheinfeld vorbei ritt, und sie und mich edel und anmuthsvoll grüßte. Susanna [29] hatte die Röthe, die meine Wangen überflog, und das höhere Schlagen meines Herzens bemerkt, sie umfaßte mich und führte mich ins innerste Gemach. Anna, ich bin glücklich, sehr glücklich, denn nichts gleicht der Wonne, sich dem Geliebten, lang Ersehnten, ganz und für ewig vereint zu fühlen, nur für ihn, in ihm zu leben, vor dem allsehenden Auge des Himmels. Billig fürchtet die Jungfrau, ihr volles Herz zu zeigen, und strebt ängstlich den Schatz ihrer Liebe und Treue zu verbergen. Süßes, seeliges Loos des Weibes, dem Mann ihrer Liebe ganz anzugehören, in Liebesfülle ohne Maaß und Ende, vor seinen Augen an seinem Herzen leben zu dürfen! Gutes Kind, ich ahne, auch Dich hat Liebesmacht umfangen, und fürwahr, Du hast schön gewählt, denn selbst neben meinem Gemahl und Herrn, scheint Rheinfelds hohe Gestalt, und sein sittiges edles Wesen, mir liebenswerth.

Läugnen half hier nichts, ich sank auf ihre Hand meine glühenden Wagen zu verbergen, [30] und nun wob sie, wie die freundliche Hoffnungsgöttin, mit holden Zauberworten eine Zukunft, mit himmlischen Gestirnen des Glücks und der Vereinigung mit ihm übersät, um mich her. Er mein Gemahl und Herr – O Bertha! kaum konnte mein Herz diese Fülle des seeligsten Traums fassen!

Eines ihrer Fräuleins, in den Rheinlanden wohl bekannt, trat herein. Susanna brach die Unterhaltung ab, und knüpfte eine leichtere und scherzende an. Die Ritter wurden gemustert. Es ist schade, sagte das Fräulein, daß der Schönste und Tapferste kein Gegenstand unsrer Wünsche seyn kann. Und welchen haltet ihr dafür? fragte Susanna. Ottomar von Rheinfeld, sonder Zweifel, erwiederte das Fräulein – aber sein Vater hat ihn zum geistlichen Stande bestimmt; nur auf kurze Zeit ist ihm vergönnt, das frohe Ritterleben zu führen. Er hat eine gelehrte Erziehung genossen, und ob auch kühner Jugendmuth und Lust, ihn mehr zu Waffen thaten, als zu jener stillen Bestimmung reißt, so[31] glaubt man dennoch, er werde die Wünsche der Eltern erfüllen. Seine Geisteskräfte, seine großen Verbindungen, zeigen seinem Ehrgeitz die höchsten Würden der Kirche im Hintergrund. Gleich einer Eiseswoge umdrang es mein Herz, meine Pulse stockten, ich erblaßte, hatte Mühe mich auf meinen Füßen zu erhalten, der Boden schien unter mir zu entfliehen, und gleich einer dunkeln Wolke lag es vor meinen Augen. Susanna hielt mich, und suchte die Aufmerksamkeit der unbarmherzigen Erzählerin von mir abzulenken. Das wird wohl noch anders werden, sagte sie, zu muthigen Ritterthaten ist dieser Mann geboren, wie sollte er das Brevier dem Schwerte vorziehen? Sonderbare Umstände liegen dieser Begebenheit zum Grunde, fuhr das Fräulein fort. Als neugebornes Kind lag Ottomar halb todt im Arm seiner Mutter. Die Aerzte hatten ihn aufgegeben; der Tod schien die kleinen Glieder mit seiner Eiseskälte schon zu fesseln, als die Untröstliche ein Gelübde that, das Kind der Kirche zu weihen, wenn die heilige [32] Jungfrau es ihr errettete. Das Leben kehrte alsobald zurück, die fromme Mutter wurde wundersam getröstet, und sie, wie der Vater, blieben des Gelübdes eingedenk, und bereiteten ihn von Jugend auf dazu vor. Bemerktet Ihr nicht schon, meine Fürstin, wie oft in Freud und Lust ein finstrer Ernst Ottomars Züge umhüllt, wie es ihn an das Gelübde mahnt, wenn er dessen im frohen frischen Lebensmuth vergaß?

Susanna ergriff einen Vorwand mich hinwegzuführen; in der freien Luft im Garten wurde mir's leichter, meine Thränen flossen unaufhaltsam. Ihr liebes Herz gab ihr tröstende Worte ein, von dem Einfluß, den die Gunst ihres Gemahls beim Churfürsten haben könne, wie dieser die Eltern bewegen werde, Ottomar frei zu lassen, aber mein Herz blieb wie von einem eisernen Netz des Schmerzes umstrickt, alle Blüthenhoffnungen fielen von ihm ab. O Fürstin, rief ich, ist dem so, so nehme auch mich eine Freistatt in stillen Klostermauern auf; nach dem, was ich gefühlt, kann ich keines andern [33] Mannes seyn! Die Gute ermüdete nicht, Trostgründe aufzusuchen, versprach der Sache auf den Grund zu kommen, mit der zarten Schonung, die ihr mein offnes Geständniß und edle Frauensitte gebot, die der Weiblichkeit Geheimniß sorgsam im verschloßnen Busen bewahrt.

Als der Abend uns wieder mit den zurückgekehrten Jägern vereinte, als die Macht seiner Gegenwart mich umglänzte, wurde es stiller in mir. Welche Zaubergewalt ist in der Nähe des Geliebten? sie beschwichtigt Furcht und Hoffnung! Nur von Zeit zu Zeit war es mir, als dränge ein Gespenst der Nacht auf mich zu, mit dem Rufe: scheide von Freud' und Leben, – die Welt hat kein Glück mehr für Dich!

Das Ende der Feste nahte heran. Susanna ergriff einen einsamen Augenblick, zog mich zu sich und sagte: ich läugne Dir nicht, meine Anna, daß das Geschwätz meines Hoffräuleins nicht ohne Grund ist, aber hoffe auf meine Freundschaft, auf die thätige Mitwirkung meines [34] Gemahls. Solltest Du unglücklich seyn, wenn Deine Freundin in Freude und Liebe lebt? Hoffe, war ihr letztes Wort, als sie mir einen goldnen Anker, mit einem Kettlein um den Hals legte.

Ernst und Trauer lag um uns Alle, bei den letzten Abendvergnügungen. Ich konnte mein Gefühl in dem Allgemeinen verbergen. Als beim letzten Tanz meine Hand in der seinen lag, die ich schüchtern jetzt kaum zu fassen wagte, nicht mehr als die edle Hand vertrauend ergreifen durfte, die mich durchs Leben geleiten konnte, sah auch er mich ernst an, den Schatten der Trauer auf meinen Zügen bemerkend. Woher diese düstre Wolke auf dem lieblichsten Angesicht, das eine ewig heitre Sonne umstrahlen sollte? fragte er.

Mir war, als müsse ich in den Boden versinken, eher den Tod, als daß er mein Gefühl errathen sollte. – Wir sind nicht auf Erden, ungetrübte Freuden zu genießen, edler Herr, [35] erwiederte ich; die Trennung von meiner Fürstin schmerzt mich, auch hat mein Vater ernste Gedanken über das Leben des Kaisers, den selbst eine traurige Ahnung verfolgt. Sollte er uns entrissen werden, der große, gütige. herrliche Mann? So suchte ich ihm, falschen Herzens, meine Schwachheit zu verbergen. Doch lag auch Wahrheit in meinen Worten. Mein Fräulein, sagte er mit einem sanften Händedruck, möchte ich werth seyn, Ihr Freund zu werden, allen Kummer des zarten, reichen Herzens zu theilen, zu erleichtern! Nur im Zauber ihres Lächelns kann mir fortan die Welt und das Leben freudig erscheinen.

Der Tanz riß uns fort, aber seine Augen ruhten ernst auf mir, mit unendlichem Trost, unendlicher Liebe – wie schön stand ihm dieser Ernst!

Am nächsten Morgen geleitete er mich mit der Mutter zum Wagen, als wir aus der Messe heimfuhren. Wir standen vor der Kirche, und er sagte mir leise: an diesem Platz sah ich Euch [36] zuerst, theure Anna, er wird mir stets der liebste auf Erden bleiben. Wollt auch Ihr ohne Unlust, seiner gern gedenken? Ich erröthete, vermochte nicht zu sprechen, aber meine Augen suchten ihn, und sagten, fürcht' ich, mehr als sie sollten. In einer Wolke von Thränen zerrann sein geliebtes Bild vor mir, als er von uns schied.

Die Ritter geleiteten den Kaiser. Nachdenklich und wehmüthig kehrte der Vater zu uns zurück, und erzählte, wie der gute Kaiser trauernd Abschied von der lieben Stadt genommen, wo er so fröhliche Tage verlebt, im Gedanken, er sehe sie zum letztenmal. Ach, nur zu wahr hat sich die traurige Ahnung bestätigt! Wenn ein guter und großer Mann scheidet vom Leben, ist's als wenn die Welt aus ihren Angeln sich drehte. Was hielt sie auch in sichrer Bahn, als der gute Wille der Mächtigen – ein edles Herz. Im Ernst des Vaters, weinte ich meinen Schmerz still und unbemerkt aus. Mein Blick suchte die hohen Thürme der Stadt, so [37] lang sie am Horizont standen. Welch eine neue Welt gieng mir dort auf? Das schöne Schwabenland bot mir vergebens seinen Reitz, seine Fülle dar. Der heitre Sinn, der mich mit allen schönen Bildern des Lebens verband, wollte nicht wiederkehren. Am dritten Tage unsrer Reise hielten wir unser Nachtlager in einer angenehmen kleinen Stadt. Das ganze Völkchen mit der Traubenlese beschäftigt, war fröhlich über die Segensfülle dieses Jahres. Der frohe Gesang heimkehrender Winzer, mit Trauben beladen, die schlanken Mädchengestalten an der Hand ihrer Jünglinge, in unschuldigen Scherzen und Lachen, der ruhig dankbare Ausdruck auf dem Gesicht der Eltern, – die allgemeine Freude umfing auch mein Herz, da des Vaters Stirn sich erheiterte.

Im ruhigen Kreislauf der Natur, in den kleinen Freuden, die er dem menschlichen Daseyn zugesellt, ists, als ob die innere Kraft sich stärkte, der eigne Schmerz nimmt eine mildere Farbe, und die Hoffnung auf eine Wendung [38] des Geschicks, erhebt allgemach ihre linden Flügel.

Ich gieng mit dem Vater in den nächsten Weinberg, wir genossen der süßen Früchte, die uns freundliche Menschen aus der Fülle des Seegens darboten, und schauten in die lachende Gegend, auf den glänzenden Strom mit beladnen Schiffen und geputzten Menschen bedeckt, von denen Gesang und blasende Instrumente ertönten. Jenseit des Flusses erhob sich hinter den Traubengeländen eine waldige Anhöhe, die scheidende Sonne übergoldete die Pfade, die sich daran hinzogen. Ein Ritter von einigen Knappen begleitet, kam aus dem Dunkel des Waldes hervor. Immer glänzender und lichter wurde die Gestalt, – es ist Ottomar, tönte es durch mein ganzes Wesen. Des Vaters Augen reichten so weit nicht; ich wagte es nicht, meine Entdeckung auszusprechen. Noch traute ich meinen Augen nicht, schon oft hatte mein innres Auge mir seine Gestalt vorgezaubert, die dann beim Annähern in eine ganz unbekannte zerfloß. [39] Als der Reiter hinter den Bäumen einer Bergschlucht hinab verschwand, gieng der Vater in die Herberge zurück, schweigend folgt' ich ihm. Wir giengen zeitig zur Ruhe. Mir wurde eine kleine Kammer angewiesen, deren mit Weinlaub umgränztes Fenster auf den Garten gieng. Es war heller Mondenschein die Blumen wiegten sich im Silberstrahl und die Blätter ferner Bäume; lieblicher Duft drang mir entgegen; ich konnte mich von dem lebenden Zauberhauch der schönen Nacht nicht losreißen, und lag am Fenster bis zur Mitternachtsstunde.

Plötzlich entstand ein Geräusch am Gartenzaun, das Geisblattgeranke bewegte sich, und unten im dunkleren Gebüsch erkannte ich eine Männergestalt. Lautenakkorde ertönten, sie rührten mein Herz auf eigne Weise, eine schöne tonvolle Stimme fiel ein, und sang ein welsches Liedchen, folgenden Inhalts:


Süßer Liebe Träume blühen
In dem Schoos der Mitternacht,
[40]
In der holden Sterne Flimmern
Fühlt sich neu das Herz erwacht.
Ewig schaut ihr Auge nieder
Auf der Erde wechselnd Rund,
Wie das Auge des Geliebten
Flammend steht im Herzensgrund.
Scheiden, o du Tod der Freude!
Doch der Tod der Liebe nicht,
Durch der nächtgen Wolken Hülle
Glüht ihr ewig heitres Licht!
Ueber Abgrund, über Fernen
Sind sich treue Herzen nah,
Und es tönt vom Firmamente:
Lieb' ist nah, ist ewig da.

Ottomars Stimme tönte durch mein ganzes Wesen, seine Gestalt gieng dem innern Liebesauge aus der Hülle der Nacht auf. Wie durch Zaubergewalt gefesselt, hielt ich mich am Fenster. Er stand vor mir, ohne daß ich ihn kommen [41] sah, und der helle Mond warf seinen Strahl auf die geliebten Züge. Anna, flüsterte seine sanfte Stimme, geliebte Anna! wird mir wirklich auch das Glück Eures Anschauens gewährt? Ein guter Engel führte mich hierher, ja, es war der Engel meines Lebens, Du selbst.

Meine Hand lag in der seinen auf dem Fenstergesims, seine Lippen bedeckten sie mit heißen Küssen. Ich strebte sie ihm zu entziehen. O, entreiße mir nicht einen Augenblick, den mir Gott selbst geschenkt. Höre mich an, holdes Mädchen, rief er mit sanfter Liebesstimme, der mein Herz gehorchen mußte. Gebunden, verworren ist mein Geschick durch den Willen liebender Eltern, aber in Dir hat mir der Himmel einen Weg zum Glück bezeichnet, ein schönes Ziel, nach dem All mein Streben sich lenket – ich hoffe es zu erreichen, wenn Eure Neigung mir Hoffnung zulächelt. Wollt Ihr aus unaussprechlicher Güte mir geloben, binnen einem Jahre Eure Hand nicht zu verschenken? Hoffend, getröstet zieh' ich also von [42] Euch. Kann ich dann nicht wiederkehren, o so haltet mich für den Unglücklichsten, den der Mondstrahl bescheint – für einen, der aller Freude des Lebens entsagen muß, um sich herber Pflicht, ewiger Sehnsucht zu weihen. Kehr' ich wieder, dann vergönnt mir die süße Hoffnung, Euer Herz durch treue Liebe, durch edle Thaten zu gewinnen, die mich dieses höchsten Erdenglücks nicht unwerth machen. Könnt Ihr, wollt Ihr mir diese kühne Bitte gewähren? Ewig, wie die glänzenden Augen des Himmels über uns leuchten, wird meine Liebe seyn. Nur Euch will ich besitzen, hier und dort. Sprecht Ja – sendet einen Strahl himmlischen Lichts in meine dunkle Seele. – Glühend waren seine Bitten, seine süße Stimme umstrickte mit aller Gewalt zauberischen Verlangens mein Herz, ihm ewig anzugehören. Ich stammelte das gewünschte Ja, und bat ihn, mich jetzt zu verlassen. Ein Flor lag vor meinen Augen, ich war nah am Umsinken, doch glühte ein noch nie gefühltes Leben in meiner Brust. Seine Thränen brannten [43] auf meiner zitternden Hand. Lebt wohl, edler Herr, vermocht' ich zu sagen. Ich halte mein Wort, entschüpfte im Fliehen meinen Lippen, und meine Hand umschloß die seine fester, vielleicht zum ewigen Abschied.

Ich konnte fliehen, aber meine ganze Seele blieb bei ihm – wird es ewig bleiben.

Seit dieser Stunde, meine Bertha, grüßt Deine Anna jeden beginnenden Tag nur mit der Frage: wird er mir ihn bringen, den Geliebten? jeder scheidenden Sonne sende ich den Seufzer nach, er kam noch nicht! Noch zwei Monde, und das Jahr ist abgelaufen, das über mein Leben entscheidet. Schon fangen die Blätter an, sich zu färben, – wird mein Glück mit ihnen hinwelken? Ist dem so, o so möge die erstarrende Natur mich auch aufnehmen in ihren Todesschlummer! Befiehlt mir der Glaube an eine bessere Welt, und die Liebe der Meinen, zu leben, so sey es hinter düstern Klostermauern, entsagend auf ewig jeder Liebe, als der, an sein Andenken!

[44]

8

Der Vater ist zurückgekehrt. Der Churfürst Friedrich, der nun den Namen des Weisen trägt, hat die Kaiserkrone abgelehnt. Der Gall'sche König bewirbt sich darum, aber die Fürsten werden sie lieber dem spanischen Karl geben, er ist ja der Enkel unsers theuren Max, und deutsches Blut rinnt in seinen Adern. Er wird ein Herz für uns haben, unsern Sinn verstehen.

Der Vater hat Geschäfte am Rhein, und will, daß die Mutter, nebst mir, ihm folgen sollen. Er dachte mir Freude zu machen, aber wie kann ich nun die Kunde von Ottomar vernehmen? wie ihm Nachricht von unsrer Reise geben? Meine Hand bebt, mein Auge umhüllt ein Flor, wenn ich die Feder ergreifen will, ihm die Veränderung meines Aufenthalts zu melden; es wäre eine Mahnung, möge mein Leben enden, lieber, als daß ich ihn fordernd, dringend erscheine! Weißt du, Treue, keinen Rath? Schwere Träume liegen auf meinem [45] Schlummer. Ich sah ihn schwarz gekleidet, ein Kreuz zwischen seinen Händen haltend, sein Blick war kalt und abweisend; dann verwandelte er sich wieder, stand vor mir in frische Farben des Lebens gekleidet, und reichte mir lächelnd einen Blumenkranz. All die Qual dem liebenden Elternblick zu verbergen, der nur Freude in meiner Brust zu finden wähnt – das ist keine geringe Sorge. Schweigen muß ich, auch heißen sie mich nicht reden. Sollte der Vater in strenger Rittersitte ihm vielleicht gar zürnen, wegen der heimlichen Werbung? Dies vermöcht' ich nicht zu ertragen, die Geliebten meines Herzens feindlich gegen einander gestellt zu sehen!

9

Meine heißen Segenswünsche und Gebete, für das Glück Deiner Ehe, umgeben Dich, meine Bertha, und steigen zum Himmel, wo die ewige Segensquelle wohnt.

[46] Ach, es ist gewiß, was unserm Herzen in seinen besten Augenblicken des Glaubens mächtig erscheint, es wird ihm ein Trost vom Himmel wunderbar herabgesandt, wenn die Last des Schmerzens es zu brechen droht.

Dein Bräutigam, findet sich's, ist ein Freund und Waffenbruder Ottomars! Deine Liebe, seine Treue, winden sich gleich einem goldnen Seil der Hoffnung um mein Geschick, eben als so dunkle Wolken es umlagerten. Die stumme, düstre Oede der Trennung von ihm, erhellt ein Lichtfunke. Der Gang meines Geschicks kann ihm bekannt werden, – zu ihm dringen, ohne daß er gering von mir denken müßte. Meinen Schmerz will ich ihm ja verschweigen, daran vergehen, lieber, als ein unziemliches Wort aussprechen.

Laß mich in Frankfurt am Main ein Wort von Dir finden. Morgen reisen wir ab.

[47]

10

Seit ich Dir meine Liebe ausgesprochen, meine Bertha, ists mein süßester Trost, Dir zu schreiben. Mir ists, als wäre ich Ottomar näher, vor Dir, der Einzigen, die mein Lieben und mein Sehnen kennt.

Vergebens umfängt mich die Schönheit der Natur, der mein Herz sonst so offen war, mit ihren sanften Liebesarmen. All ihr Reiz dringt nur als Sehnsucht zu mir. Ich träume ihn an meine Seite, dann lächelt mir der Glanz der Ströme, des Abend- und Frühlichts an den waldigen Gebirgs-Ufern vom Grün der frischen Wiesen. Die hohen Burgen, die friedlichen Dörfer, locken mich an wie trauliche Heimath. Aber der Zauber des schönen Traums zerrinnt, und ich erwache in schauerlicher Einsamkeit, eine düstre nächtliche Hülle bedeckt die lieblichen Bilder.

Die Nacht ist mir labender in einsamen Thränen, und die Gestirne winken mir Ewigkeit [48] und Hoffnung zu – auf Erden wird keine mehr für mich seyn.

Ich höre viel ernsten Gesprächen des Vaters zu, mit Verwandten und Freunden, und unter dem Volke, denn er unterläßt nicht, eines Jeden Meinung anzuhören. Sind die Fremden wieder weg, dann erklärt er mir und der Mutter die Zeichen der Zeit. Wir müssen die Lage der Dinge verstehen lernen, um ihr mit Fassung und Muth zu begegnen, sagt er, alle Verblendung dient nur schwachen Geistern und feigen Herzen.

Finstre, stürmeschwangre Wolken hängen über uns; aufgeregt sind die Gemüther der Menge. O, hätten wir den starken und milden Max noch länger behalten! vielleicht hätte er die Stürme zu beschwören vermocht.

Der fremde Enkel wird fremde Klugheit mitbringen, verwirren, was deutsche Kraft und Geradheit friedlich gelöst hätte. Sein Ritterherz bändigte den Aufruhr, in seinem offnen Auge fand Jeder Gesetz und Ordnung wieder, [49] denn seine Klarheit verhieß Gerechtigkeit und Milde. Nur diese versöhnen die streitenden Elemente.

Veränderungen müssen eintreten, sagen die Besten. Welscher umstrickender Despotismus, von kleiner Eigensucht geleitet, muß abfallen von dem freien deutschen Gemüth. Unheiliges, Irdisches muß getrennt werden vom Heiligen und Himmlischen, in Lehr und Leben. Aber ein ordnender Geist muß walten, und dem irren, wilden Treiben der Menge, in dem jede rohe Persönlichkeit herrscht, muß fester Muth in Recht und Licht entgegen treten. Mit jedem Opfer muß die Ordnung erhalten werden, aber in Klarheit und Freiheit. Ein Freier ist nie ein Bedrücker, nur einer, der sklavisch im Sold, und in der Gunst der Mächtigen steht, will wieder Sklaven unter sich sehen. Die Fürsten der Kirche sollten auch als Deutsche fest in ihren Rechten stehen.

Mein Herz schlägt fürs allgemeine Glück, hoch für die Ehre des Vaterlandes – aber an [50] ein geliebtes Bild sind seine tiefsten und zartesten Regungen gebunden. Möge Er hoch und herrlich stehen vor Allen! Könnt' ich an seiner Seite stehen! alle Gefühle des großen Herzens, in den stärkeren Schlägen des meinen empfinden! Ja, ich fühle den Muth in mir, an seiner Seite zu fechten, den Tod von der edlen Brust abzuhalten, und so zu sterben – wie glücklich, wie seelig!

11

Ich habe die Wogen des herrlichen Stroms begrüßt, an dem Er wohnt, den sein Auge zuerst erblickte, an dessen Ufern Er als Kind gespielt.

Welche Fülle und Kraft der Natur rings um mich her! An seiner Seite, welche Herrlichkeit des Lebens!

[51]

12

Alles ist aus, Bertha! Deine Anna sucht sich nur ein stilles Grab! Bete, daß sie es bald finde!

13

Höre! wie ein von Schmerz zerwühltes Herz, ein zerstückter Sinn erzählen kann, will ichs thun.

Wir blieben über Nacht in einem Städtchen, dicht am Strom gelegen. Das Brausen der Wogen war mir ein süßer Gesang, sie rauschten hin zu ihm! etwas Gemeinsames, so wähnt' ich, war nun wenigstens zwischen uns. Am Morgen bestiegen wir einen Nachen, hinüber zu schiffen zur grauen Veste, wo der Vater Freunde hat. Vom Morgengold glänzten die Wogen und die lachenden Ufer. Der Vater erklärte uns die Gegegnd, nannte uns die Spitzen der Berge, der Burgen, die an der Krümmung [52] des Stroms aufwärts lagen, und versprach uns dahin zu führen. Ich hatte den Muth nicht, nach Ottomars Wohnplatz zu fragen, aber bald zeigte ihn uns der Vater, als einen Lichtfunken im Morgengold, hinter dem düstern Mäusethurm, aus den Gebirgen hervorragend. Wie bebte mein Herz! Wir landeten oberhalb der Stadt, und unsre Rosse trugen uns längs des Stroms hin. Die hohen Thürme lagen vor uns, der ehrwürdige Dom zog mich aus der Masse der Gebäude an, verloren im Anschauen der blühenden Ufer, die sich in der klaren Tiefe spiegelten, von allem Zauber der Gegend befangen, ritten wir still und sinnend, als ein ernstes Glockengetön die Luft durchdrang.

Wir werden noch zur Frühmesse im Dom anlangen, sagte der Vater, und eilte vorwärts; aber es muß ein außerordentliches Fest seyn, denn die Glocken tönen von allen Thürmen. O! hätte ich da schon den dumpfen, geheimnißvollen Klang verstanden, der mir das Schicksal [53] meines Lebens zutönte! Kraft der Entsagung, Lösen von der Erde und all ihrem Glück, hätte vielleicht mein Herz erfüllt. Durch einen Blitzstrahl aus heitrer Luft, sollte es zerschmettert werden.

Wir stiegen ab am Dom, Volksgedräng füllte schon den Platz. Wir folgten dem Vater in die ernsten Hallen, und die hohe Majestät des Baues umfieng uns. Eine gutmüthige alte Weiberstimme flüsterte dem Vater zu: Es ist heut Priesterweihe, dringt hinauf zum Chor, da werdet Ihr noch Platz finden.

Eine finstre Ahnung flog durch meine Seele, doch stellte sich das Schrecklichste nicht klar vor sie, nur wie von einem gespenstermäßigen Grauen ergriffen, folgte ich bebend den Eltern durch die dunkeln Hallen.

Schon stand der Bischof im prächtigen Schmucke mit der Inful am Hochaltar, die Orgel ertönte zum hohen mächtigen Gesang der Menge.

Die Einzuweihenden standen an den Stufen [54] des Altars. Ich wußte den Sinn der Gebete; mit würdigem, herzergreifenden Sinn, sagte sie der Bischof, und ich suchte sie in meinem Meßbüchlein nachzulesen. Zitternd und wie im röthlichen Schimmer leuchtend, schienen mir alle Lettern des Büchleins; die ernsten hohen Worte der Entsagung alles Irdischen ergriffen mein schauderndes Herz. Noch standen wir hinter den Einzuweihenden. Gutmüthige Menschen machten uns Platz, näher dem Hochaltar. Ein heller Sonnenstrahl fiel aus der Kuppel der Kirche ein, umglänzte den Einzuweihenden, der uns zunächst stand – es war Ottomar. –

Mein Herz schlug hoch in die Brust hinauf; der Athem entging mir, eine Eiskälte lähmte alle Bewegung der Glieder. – Noch dacht ich eine Täuschung möglich, aber als ich den Muth faßte, wieder nach ihm hinzuschauen, erkannte ich unläugbar seine hohe edle Gestalt, seine Züge. Das schöne Auge aufgeschlagen gen Himmel, die braunen Locken im Goldglanz um [55] die hohe Stirn – Der Heiligenschein umfing ihn, wie beim ersten Betrachten.

Die Sinne entgiengen mir, alle Bilder der äußern Welt waren wie in Nebel und Nacht gehüllt, aber in meinem Innern war mir's, als trüge mich eine goldne Wolke empor, und als tönten alle Worte, die der Bischof sprach, wie aus einer höhern Welt, aus einer weiten Ferne zu mir herüber. Ich strebte meine Gebete mit ihnen zu vereinen, das Band des Lebens schien mit aufgelöst, der Moment des Erdenseyns ver schwunden, und wie in einer Glorie von Licht und Himmelblau schien ich mir der Erde entrückt, an Ottomars Seite.

So hielt ich mich äußerlich still, bis zum Ende der Ceremonie, doch muß ich einer Sterbenden ähnlich gewesen seyn, denn der Mutter Angstruf entriß mich diesem Zustand.

Labend senkt sich ein Bote des himmlischen Friedens auf das brechende Herz; Bertha, das weiß ich nun gewiß.

Wie ich schwankend, am Arm der Mutter, [56] aus der Kirche gieng, wie mich, als ich seinem Anschaun entrückt war, ein dumpfer, banger Todesschmerz wieder anfiel, und ich nach Zucht und Sitte strebend meine Bewegungen kaum noch beherrschen konnte – wie ich nach Hause kam, das Alles weiß ich nicht.

Als ich aus der Bewußtlosigkeit erwachte, fand ich mich in einem kleinen Zimmer; das liebe, thränenvolle Auge des Vaters, das auf mir ruhte, war das erste, was ich wieder, als einen Eindruck des besonnenen Lebens, betrachten kann. Meine Mutter saß mit verhülltem Angesicht am Fuß des Bettes – eine tödtliche Mattigkeit lag auf meinem Körper – vergebens strebte ich, meinen Lieben ein Zeichen meiner Liebe zu geben, keine Hand konnt' ich rühren.

Ein Priester mit dem Trost der Sterbenden, stand in der Ecke des Zimmers. Mein Vater, konnte ich nur sagen, wo bin ich? Bei mir, mein liebes Kind, bei der guten Mutter, die viel Sorge um dich gehabt hat, sagte er, mit einem Kuß auf meine Stirn. Guter Vater, [57] unser Kind ist uns wiedergeschenkt, sagte er dem Priester, gehen Sie, ein Dankgebet für uns und sie dem Vater alles Lebens darzubringen. Ihr Seegen weihe sie ein zum neugeschenkten Leben. Der Priester sprach ein herzliches Gebet. Ich danke, ehrwürdiger Vater, konnte ich nur mit viel Anstrengung sagen – Ja, meine Tage sollen nur Gott angehören.

Der Vater geleitete den Priester, und die Mutter blieb allein bei mir. Sie umfaßte mich; jetzt stand Ottomar und die Kirche und mein ganzes Leben wieder vor meiner Seele, und ein Thränenstrom fiel in ihren Busen. Sind wir noch in **? liebste Mutter, fragte ich, so laß uns eilend abreisen. Sobald Du es vermagst, liebstes Kind, wollte Gott, wir wären nie hierher gekommen! – Ich ahnete, daß sie alles wisse.

Du warst sehr krank, meine Anna, fuhr sie fort, ein heftiges Fieber befiel Dich, auf das krampfhafte Erstarrung und die größte Mattigkeit [58] folgte – ich verbarg mich aufs Neue an ihrem Busen, und sie sagte: Sey ruhig, Niemand als ich und die treue Kunigunde waren um Dich, Dein Geheimniß ruht in unsern Herzen, selbst der Vater weiß nichts klares. Und Er – Er weiß es doch nicht, Mutter? Nein, nicht vom Wege des Himmels soll ihn meine Schwachheit weglocken. Seegen und Friede sey mit seinen Tagen! Gutes Kind, sagte sie sanft, – und Deinen Frieden hat er zerstört! Es ist nicht recht, Flammen in die reine unschuldige Brust eines zarten Mädchens zu werfen, wenn andre Gelübde und Pflichten fesseln. Aber sein Schmerz hat mich versöhnt. Die Mutter wollte schweigen, meine leidenschaftlichen Fragen entlockten ihr Alles. Ottomar sollte am Tage nach der Einweihung nach Welschland abreisen, als er auch von einem tödtlichen Fieber befallen wurde. Seine Mutter weinte an seinem Krankenbette, wie ich an dem Deinen, fuhr die Gute mit milderem Ton fort; ein gemeinsames Leiden verband uns. Seit sieben Tagen verzweifelte [59] man an seinem Leben, seit heute beginnt man zu hoffen.

Vater alles Lebens, schenke ihm Leben! rief ich, und fühlte den Trost der Erhörung. Bertha, so war es doch ein Schlag, der unsre Herzen traf! Verstehst Du es, ist es möglich, mich selbst zu verstehen in der Verworrenheit meiner Gefühle? Er, für dessen Leben ich das meine tausendfach hingegeben, ich denke seiner Krankheit, seiner Gefahr – ohne Schmerz. Es ist, als wäre etwas Milderes in meine Seele gekommen, als wäre ich wieder vereinter mit ihm, da wir beide an der Schwelle des Todes gestanden. Kunigunde hat mir heimlich Schreibezeug verschafft, Dir alles dieses mitzutheilen, liebste Bertha.

Ich soll still seyn, mich vollkommen ruhig halten; aber ich werde mir nur klarer, und mein Herz fester, indem es sich gegen Dich ausspricht. Dürft' ich ihm schreiben, es würde mir, glaube ich, leichter werden.

[60]

14

Kunigunde hat mir manches erzählt, was die gute Mutter schonend verbergen wollte. Wie verwirrt dieses Schonen und Umhüllen der Liebe oft den Lebensweg nur düstrer! Zertreten müssen die Dornen dennoch werden, die die Liebe mit Rosen zu bedecken wähnte.

Es ist eine gewisse Oeffentlichkeit in das Verhältniß gekommen, durch den Antheil unsrer Freunde, die mein Vater zuerst sehr starr und feindselig aufnahm. Die Sorge der Familie Ottomars, um das Leben des Sohns, besänftigte sein Herz, an das die Stimme des Unglücks nie unvernommen dringt.

Der Bischof von ..., eine Jugendbekanntschaft des Vaters, stand mildernd zwischen diesen Verhältnissen. Es ist Ottomars Oheim, und dieser war sein Liebling von Kindheit an, auf den all seine Hoffnungen und Plane sich vereinigten. Kunigunde hörte den Bischof und den Vater heftig gegen einander reden, aber [61] sie schieden versöhnt, und drückten sich die Hand mit nassen Augen. Seitdem war ein Wechsel von Antheil und Nachfragen zwischen unsern Häusern.

Mein Sinn ist von der Welt so abgelöst, daß mir ihre Meinung nur ein körperloser Hauch der Luft dünkt. Solch tiefer Schmerz heilt von kleinen Sorgen. Warum sollte ichs läugnen, warum mich schämen, das Höchste und Trefflichste geliebt zu haben – ich will ja nichts als lieben – ich liebe ja ohne Hoffnung!

Bin ich weniger gut, Bertha, daß diese zarte Scheu der Menschen, deren Uebermaß Du sonst oft an mir tadeltest, von mir wich? Nein, meine Liebe, im ernsten Angesicht des Todes tritt so manches aus dem Leben als ein bleicher Schatten vor uns zurück; nur das, was in die Ewigkeit reicht, bleibt. Nur Er, Er soll die Macht meiner Liebe, meines Schmerzes nicht kennen, der auch auf sein Herz fallen würde.

So eben empfange ich Deinen Brief. Wäre [62] er mir früher zugekommen, wie du es geglaubt, manches wäre anders geworden, vielleicht nicht besser.

Auch über die kleinsten Zufälligkeiten waltet eine liebende Vaterhand aus den Wolken. Da das Unglückliche geschehen mußte, regte es vielleicht eine tiefere Kraft in meinem Gemüth auf, es mit meinen Augen zu sehen, an der Pforte des Todes Muth zum Ertragen zu schöpfen.

15. Ottomar von Rheinfeld an Walther von Strahlen

Ja, in der tiefsten Noth erscheint uns armen Sterblichen ein guter Geist.

Lieber Walther! Deine Braut eine Freundin meiner Anna – Meiner Anna! Bald werde ich das nicht mehr aussprechen dürfen, und dennoch wird es ewig wahr bleiben. Ein Lichtstrahl [63] der Verbindung mit ihr, der vieles erhellen, mildern kann, was das Schicksal so grausend und düster gestaltet hat, geht mir in der Freundes-Treue auf. Du kennst meine Liebe, wie ihr süßes Bild mir gegenwärtig war, in jedem Moment meines Lebens, seit ihrem ersten Anblick. Männlicher wär' es gewesen gegen Sie zu schweigen. Eine finstre Ahnung, daß diese Liebe dem Unglück geweiht sey, griff düster in die seeligen Augenblicke des ersten Findens. Verloren an Ehre und Zartheit ist der Mann, der Liebe und Hoffnung in dem reinen weichen Mädchenherzen anfacht, ohne daß der Schwur ewiger Treue am Altar folgt. Ich kann nicht ganz befreiten Herzens seyn, Walther, ich strebte sie meinem ungewissen Geschicke zu verbinden. – Nein, ich hätte das nicht gesollt! Unseliger Zwiespalt ist in mir! Mein höchstes Glück, die Hoffnung, und die Furcht ihren Frieden zu stören, kämpfen in meiner Brust, wie Geister des Himmels und der Hölle. Sie hatte mich nicht verstoßen, so viel gesagt, als eine Jungfrau [64] edler Sitte sagen konnte – mit einem leisen halb unterdrückten Seufzer verließ sie mich. Ja, Walther, nur gegen Dich, da Du der Arzt unsrer Schmerzen seyn kannst, spreche ich es aus, sie liebt mich! Bewahre dies heilige Geheimniß in der verschwiegenen Brust.

Als ich Hoffnung gegen sie auszusprechen wagte, war ich fest entschlossen, mich dem Gelübde der frommen Mutter zu entziehen; wild und verwachsen lag mein vergangner Lebensweg hinter mir, von einer neuen Sonne umstrahlt, glänzte mich die Zukunft an. Alle Träume des Ehrgeitzes eines mächtigen Wirkens in die Nach- und Mitwelt, schwiegen. Das süße Bild meiner Anna stand als ein holder Lebensengel vor mir, und gleich als aus einer Todtengruft hauchten mich ehemalige Ansichten und Entwürfe mit erstarrender Kälte an. Als Besitzer unsrer Güter, wie es dem ältesten Sohn gebührt, dacht' ich mir ein würdiges Leben – ein seliges – an ihrer Seite!

Die fromme Mutter, hoffte ich, mit meiner [65] Liebe so zu begeistern, daß sie freiwillig mich meines Versprechens entbände. Die hochaufgethürmten Plane des Oheims dünkten mir kindische Kartenhäuser, gegen die heilige Wahrheit des Lebens der Liebe, das mich ergriffen hatte.

Ich kehrte zurück, und fand den Vater auf schmerzlichem Krankenlager, doch ließen die Aerzte Genesung hoffen.

Allgemach wollte ich die Meinen vorbereiten auf die neue Wendung meines Geschicks; ihr Leiden hemmte den Entschluß, in einer festen offnen Erklärung alles mit einemmal abzubrechen. Immer bleibts eine fürchterliche Lage, das Geheimniß fremder Schmerzen im Busen zu tragen, eignen geht man mit voreilendem Muth entgegen. Wie gern erspart man seinen Geliebten eine ungewünschte Gewißheit! Tage und Monden giengen also hin. Der kluge feinsinnige Oheim hätte mein Innres errathen – er war abwesend. Die Mutter warf oft fragende Blicke auf mich, eine Veränderung in [66] meinem ganzen Wesen war ihr nicht entgangen. Manche Richtung meiner Thätigkeit, das Schweigen über meine Zukunft ängstigte sie, eine ungünstige Wendung ihrer Wünsche ankündigend.

In den letzten Monden wurde der Krankheitszustand des Vaters tödtlich, er selbst erwartete sein nahes Ende, die Aerzte widersprachen seinen Ahnungen nicht mehr.

Wir wachten an seinem Lager. Bei einem heftigen Anfall seines Uebels, der den Tod drohte, sank die Mutter in Verzweiflung auf die Knie.

Gott hört mich nicht mehr, da er mich als eine Meineidige von sich stoßen muß! sagte sie, mit einem herzzerschneidenden Blick auf mich.

Als der Vater vom heftigen Schmerz für Augen blicke befreit, wieder Sprache gewonnen, faßte er meine Hand mit den Worten: Ottomar, ich vergebe Dir! Du willst Deinen eignen Weg gehen. Mein Herz war umstrickt vom bittersten Schmerz, ich sank schweigend an sein Lager. Es ist nicht gut, das muß ich hinzufügen, fuhr [67] er fort, mit matter sterbender Stimme, von dem einmal begonnenen Lebenspfad zu weichen, die guten Geister der Jugend fliehen von uns. Mögst Du es nie bereuen, den Weg des Himmels für Irdisches aufgegeben zu haben! Mein guter sanfter Bruder stand neben mir: Theurer Vater! lassen Sie an Ottomars Stelle mich der Kirche weihen! rief er. Gott läßt nicht mit sich spielen, erwiederte der Vater. Ueber dem sterbenden Kinde that die Mutter das Gelübde, und es wurde gerettet. Nicht für Dich that sie es.

Der seit wenigen Tagen zurückgekehrte Oheim trat herein mit dem Römischen Legaten, sie hatten die letzten Worte vom Krankenlager vernommen. Mit allen Künsten der Ueberredung, mit Vorspiegelung der Verdienste, die ich nicht besitze, die mich zu den glänzendsten Würden ohnfehlbar führen müßten, umstellte er mich. Gerade seine Absicht stählte meinen Entschluß.

Irdische Gründe können da nicht wirken, [68] wo es um ewiges Heil gilt, Herr Legat, sagte ich. Glauben Sie, daß eine Vaterthräne mehr vermag als alle Ueberredungskunst.

Ich verließ das Zimmer, der Oheim folgte mir in den Garten.

Ottomar, es ist eine Veränderung mit Dir vorgegangen, sagte der kluge und milde Greis. Nicht das Hoflager des Kaisers, voll Ehre und Würden, nicht der Glanz der Welt konnten Dein Herz umstricken, es ist etwas Andres, ganz Andres. –

Ja, mein Oheim, sagte ich, und befreite mein Herz von allen Banden, ja es ist etwas Andres – ich weiß was Glück und Leben heißt; ein ewiger Traum davon, ein ewiges Sehnen darnach, wird meine Seele füllen! – Ewig! sagte der Oheim mit sanftem Lächeln – zu leicht sprechen wir das große ernste Wort aus. So nennt jeder Verliebte die flüchtige Wallung seines Herzens. Ottomar, wenn wir endliche schwache Wesen etwas ewig nennen dürfen, so fürchte ich, weit eher wird der Vorwurf, den [69] Willen des sterbenden Vaters nicht erfüllt zu haben, diese Benennung im Lauf Deiner Tage verdienen. Zwischen uns und den Todten ist kein Band der Sühne, alles ist abgeschnitten, und steht in kalter Versteinerung vor uns, um mit kalter Hand die Lust und Freude des Lebens zu zerreißen. Guter Junge, auch ich fühlte die Macht der Jugendliebe, glühend steht sie noch vor mir, eben weil sie nicht in der Flachheit des Gewöhnlichen unterging. Bindet ein Versprechen Deine Ehre? Ich mußte Nein antworten, aber die feindselige Gewalt, die von allen Seiten dem Glück meines Herzens entgegen trat, empörte mein Innres. Erlaubt mir, mit mir selbst mich zu berathen, als ein Mann, der die Folgen eines freien Entschlusses zu tragen hat, sagte ich kalt und wollte mich entfernen.

Ob ich mein Glück opfern will, ist keine Frage, aber es gilt um meine Ueberzeugung.

Er sah mich an mit dem Blicke, dem ich von Kindheit an nicht widerstand, der den wilden unruhigen Knaben zum stillen Fleiß, zur [70] Ordnung bändigte, und in dessen Klarheit ich alles Große und Hohe des Lebens in die Brust aufnahm. Es ist, als zöge er mich in sich hinüber. Das schmerzliche Lächeln, das mit allem in der Welt fertig zu seyn scheint, als mit dem Antheil an dem Spielzeug seines Alters, und die gedankenschwere Stirn, auf der ein ganzes Leben lag, bannten mich in seinen Kreis.

»Ottomar, verstehe Dich selbst. Gib dem Sterbenden die Hoffnung, daß Du Dich mit ruhiger Besonnenheit prüfen willst. Du bist zur Herrschaft der Geister geboren, gebildet. Nur das kann Dein Daseyn füllen, nicht weiche Zärtlichkeit, nicht das Lächeln eines Weibes.«

O lieber Oheim, rief ich, hättet Ihr das Auge der Unschuld und Himmelsklarheit gesehen, das mich fesselte, das alles Hohe und Heilige der Erde und des Himmels verspricht! Traurige Herrschaft ohne das Lichtseil der Liebe! Despoten, Sklaven, Wahrheit und Freiheit nur, sind die ächten Götter des Lebens, sind sie nicht [71] auch die Grundsäulen unsres recht verstandenen Glaubens? Fern sey von mir jenes gewaltsame Eingreifen in das Innre der Menschen. Nur Liebe kann sie führen an den stillen ewigen Quell der Natur, wo das Irrdische sich vergeistigt.

Unfruchtbare Opfer von Menschenwahn gebracht, verschmäht der Himmel, verachtet als Heuchelei und Wahnsinn die bessere Menschheit. Wenigen ist die selige Einfalt des Sinnes gegeben, wie die Kinder einzugehen zum himmlischen Reich. An ihrer Seite wurde ich, war ich wie ein Kind, glücklich hoffend, einträchtig mit mir selbst, mich an jeder Blume erfreuend. Sie kann mich zum Himmel leiten, er wohnt in der klaren Seele.

Ich habe in Welschland viele Weiber gekannt, Gluth und Leben bei ihnen empfunden, aber bei ihr ergriff mich ein nie gekanntes Gefühl. Ihr ganzes Wesen und Leben hat das meine aufgenommen; sie ist gleich einem Laut ewiger Himmelharmonie in der Oede der Erde.

Lieber Junge, sagte der gerührte Greis, [72] meine Hand auf sein Herz legend, so tönte und arbeitete es auch hier vor vierzig Jahren. Immer gedenk' ich dessen gern. Es sind schöne Blüthen, die sich vom Himmel herabsenken, aber keine Wurzel in der Erde fassen. Hätte Petrarch seine Laura so geliebt, so besungen, wäre sie ihm zur alltäglichen Hausfrau geworden? Doch vergebens wälzen wir das Rad unsrer durchlaufenen Zeit vor den Pfad der Jugend – Jeder will seine eigne Bahn durchlaufen!

Ein Diener rief uns ins Krankenzimmer. Der Vater hatte aufs neue einen heftigen Anfall. Er lag im Krampf des Schmerzes in meinem Arm. – Alles hätte ich gegeben, geopfert, das geliebte Leben zu retten.

Sein sanftes Auge suchte das meine.

Mein Widerspruch lag vielleicht noch als schwere Last auf dem brechenden Herzen im Tode. Ich beschloß ernstes Erwägen, ahnete, daß ich das Opfer bringen würde – und sie selbst stand als eine Heilige vor meinem innern Sinn, die mir Beifall zuwinkte.

[73] Dieser Anfall ging noch vorüber, aber alle Lebenshoffnung war verschwunden.

Wie soll ich Dir, schmerzlich wie ich es empfand, auseinander wickeln, wie jede Faser meines Herzens nach und nach verwundet, zerrissen wurde, und mich von meinem Glück trennte?

Besiegen soll die Gewalt der Dinge keinen Mann, aber zerreißen, ermüden, so daß er sich selbst nicht mehr erkennt, kann sie einen Jeden.

In der ernsten Sterbestunde gelobte ich dem Vater, das Gelübde der Mutter zu vollziehen. – – Nun ist Alles aus.

Beschwöre Deine Braut bei Deiner Liebe, meiner ewig geliebten Anna zu sagen, wie Alles gekommen ist, so wie es am besten für sie, für mich seyn wird. Wie sie sich einen unermeßlich Elenden, aber keinen schwachen Verräther in mir zu denken habe. Klein von mir zu denken, würde der edlen Seele kein Trost seyn und mich vernichten. Ein Band stiller Trauer feßle sie an mein Andenken. Sie erfahre es, [74] wie ich dankbar die Himmelsgüte verehre, mit der sie meine Bitte erfüllt – daß ich sie ewig liebe, auch da ich um Gegenliebe nicht bitten darf.

Lebe wohl, Freund, und schreibe mir über sie – ganze Folianten werden mir willkommen seyn.

Sie war das schöne Buch der Natur für mich, das mir das Geheimniß des Lebens erschloß. Ja, es gibt ein Glück, eine Würde des menschlichen Daseyns, von dem ich nie geträumt, ehe sie mir erschien – nach dem die glühende Sehnsucht in mir nicht erlöschen wird.


Bertha's zart schonende Freundschaft hatte aus diesem Brief mitgetheilt, was dem wunden Herz wohlthätig seyn konnte. Ottomars Liebe, sein Kampf, aller Schmerz seines Entsagens, das tiefste Leiden eines liebenden Herzens, den Gegenstand seiner Liebe in der Vorstellung seines Werthes gestört zu sehen, traf unsre Anna nicht.

[75] Ihre Seele hatte kein täuschendes Wolkenbild umfaßt. Als ein Opfer der Tugend und Pflicht stand Ottomar vor ihr. Nur im Entschluß, sich seinem Andenken auf immer zu weihen, fand sie Beruhigung, wie folgendes Schreiben an ihre Freundin es ausspricht.

16

Ich komme von dem Ort, wo ich mein Leben zu beschließen gedenke, meine treue Bertha, In einer Bergschlucht, die bis zum Rheinstrom hinabführt, liegt zwischen Waldgebirgen ein grünes Thal, von einem schnellrinnenden klaren Bache durchwässert.

An der einen Seite des Gebirgs steht das Klostergebäude ernst doch nicht unfreundlich, wo fromme Frauen in Abgeschiedenheit von der Welt, nur Gott und der Wohlthätigkeit geweihte Tage hinbringen. Die Aebtissin ist eine edle Frau, die im großen Kreise eines glänzenden [76] Weltlebens ihre Jugend verlebte, und nun hier auch die Stille suchte und fand. Krankheit und Seelenleiden hat ihre blühende Schönheit vor der Annäherung des Alters zerstört, ihr seelenvoller Blick spricht an das Herz, und verheißt ihm das Verstehen seiner geheimen Leiden. Die natürliche Richtung ihres Auges gegen den Himmel, sagt, daß sie dort Antwort des unendlichen Liebegefühls fand, die ihr die Erde versagte. Mir wird besser bei ihr werden.

17

Ich täuschte mich nicht, Bertha, diese Frau versteht es die Leiden des Herzens zu pflegen – wäre es möglich – zu heilen.

Bei einem Besuch mit der Mutter, folgte ich ihr allein in den kleinen Klostergarten, und sank in ihre Arme, und sprach aus tiefer Seele:

Nehmen Sie mich auf, ehrwürdige Mutter, in das Heiligthum der Stille, das Sie [77] umgibt. Alles treibt mich aus dem Leben hinaus. Ein schwaches Herz kann ich jetzt nur dem Himmel weihen. Gebet, Ihr Beispiel der Gottergebenheit, werden mich stärken. Sie war verwundert, gerührt.

»Mein Kind, solch ein Entschluß fordert ein ernstes Nachdenken. Du, die einzige Tochter zärtlicher Eltern, eine reiche Erbin, bei so vielen Reitzen zum Leben, woher der Wunsch ihm zu entsagen?«

Ich erröthete, konnte nicht sprechen, aber sie fühlte, was in mir vorgieng. Eine Thräne rollte in ihrem großen schwarzen Auge. Die Liebe hat auch Dein junges Herz gebrochen, sagte sie, die Hand sanft auf meinen Arm legend, sie nur vermochte, eine solche Blüthe zu zerknicken. Versprich mir keinen raschen Schritt zu thun. Manches Heilmittel bietet Dir noch vielleicht das Leben, die Liebe der Deinen dar. Die Jugend sieht nur das Ziel, wähnt schnell am Ende der Laufbahn zu stehen – langsam geht der Weg durch die einsamen Tage, der dahin [78] führt. Keine Reue soll an Deiner Seele nagen. Ich werde Deine Freundin seyn, Deine Stütze, wenn Dein Entschluß geprüft ist. Für jetzt schone die Deinen, versuche das Leben zu ertragen, Thaten der Liebe, Ueben in Geduld und Stille, führen uns überall zum Himmel. Ich schwieg aus Ehrfurcht für sie, meine Ueberzeugung steht fest.

Dir Bertha muß ichs sagen. Auf einem langen Gang vor den Zellen der Nonnen ist ein Fenster, aus dem die Aussicht weit hinab ins Rheinthal reicht. Die grauen Thürme, wo er wohnt, wo er entsagte, ragen aus den grünen Hügeln hervor; der Anblick wird mich stärken, mein Leben erhalten. Jedes Morgenlicht wird sie für mich umglänzen, in jedem milden Abendschein wird ihn meine Seele grüßen – ich bin dahin wie gebannt, wie gezaubert.

Ich hoffe die Eltern zu bewegen, meinen Entschluß ohne bittern Schmerz zu billigen – zu segnen, wenn sie die Ruhe in die kämpfende, zerrissene Brust ihres Kindes wiederkehren sehen.

[79] Auf der Rückfahrt suchte ich die Mutter vorzubereiten. Welch ein Trost wäre es mir, solch ein Leben wie Deine Muhme zu führen, gute Mutter! sagt ich – da wohnt, was das Herz Deines Kindes bedarf; der Friede von oben ist das Einzige, was mir Heil bringen kann.

Still, mein Kind, erwiederte sie, laß den Vater diesen Wunsch nicht merken. Deutet dieses nicht, daß sie selbst das innere Bedürfniß meines Herzens versteht? und der Vater, gehört er nicht dem Vaterland, einem größern reichern Leben an, als dem, was ihm aus dem matten Herzen seines armen Kindes erblühen kann?

18

Welche Stürme habe ich überstanden, welchen Lockungen mein Gemüth verschlossen! Ottomars Oheim, der Bischof, besuchte uns auf dem Landhause ohnweit der Stadt, wo wir seit einigen [80] Wochen wohnen. Zitternd nahte ich mich ihm. Er war ja auch unter denen, die Ottomar von mir rissen, aber er war der Führer seiner Jugend, umfing ihn mit inniger Liebe, das mußte mich versöhnen. Seine würdige Gestalt, das klare geistvolle Auge, erweckte ein sonderbares Vertrauen in mir. Er hat eine Aehnlichkeit mit Ottomar, und ich sagte mir, so wird auch er im Alter aussehen!

Der Ton seiner Stimme dringt sanft ins Gemüth, er ist rein und verkündet Wohlwollen, wie die Natur vom milden Licht umflossen, im Hauche des Abendwindes am Maitag.

Er zog mich ins Fenster, und gab mir einen Brief Ottomars. Nun schien er mir fürwahr ein Bote des Himmels. »Wundert Euch nicht, holdes Fräulein, daß Ihr diese Zeilen aus meiner Hand empfangt. Nicht ungefühlig ist mein Herz den Schmerzen des Lebens, die die Nothwendigkeit zu ertragen gebietet. Gern suche ich sie zu mildern. Die Liebe meines Neffen ist nicht die der gemeinen [81] Art, die sich durch Entfernung und Abgeschlossenheit wie ein Eindruck der Sinne vermindert. Nein, sie ist von der höhern und reinern Natur, die sich zu läutern vermag als ein Ausspruch des bessern Wesens, und endlich zu einem Lichtblick in die Ewigkeit wird. Antwortet ihm aus Eurem zarten Herzen, allein frei, nur vor dem Auge der ewigen Wahrheit redend – es wird Ottomar trösten!«

Als er hinweg war, las ich folgende Zeilen, die ich Dir, meine Bertha, in Abschrift sende – das Original, seine Schriftzüge ruhen an meinem Herz, durchdringen sein innigstes Leben.

19. Ottomar an Anna

Muß denn das kalte Schweigen des Todes gerade gegen die das Herz fesseln, wo es in der reinsten heiligsten Gluth einst reden durfte?

Nur vom Glücke dieses Gefühls bin ich [82] fürs Erdenleben getrennt, aber ewig ist seine Dauer.

Nicht mehr als die Göttin meines Lebens sollst Du, holde Anna, vor mir stehen. Nicht mehr um Dein Bild in mir, ranken sich alle Blüthen des Glücks, alle Gedanken, alle Träume, alle Thaten, alle Wünsche. Im heiligen Augenblick, der mich dem Uebersinnlichen weihte, im Gelübde der Entsagung des schönsten Erdenglücks an Deiner Hand, in Deinem Herzen, mußte ich alle Wünsche beschwichtigen. Aber geheiligt ward eine Liebe, die über dieses Daseyn hinausgeht – Nimmer kann, noch soll ich dieser entsagen.

Die Liebe Deiner Seele, des himmlischreinen Gemüths, das mich mit seinem Himmelsglanz durchstrebte, zu einem neuen Leben umgoß, diese wird mich selbst würdiger machen, das Göttliche auf Erden zu verwalten. Allen Schmerz der Sehnsucht bringe ich zum Opfer dar, das der Ewige segnen wird.

Als mir die Sinne beinah entgingen, der [83] Tod mein Herz durchzuckte, im Gefühl der Trennung von Dir am Altar – da schwebtest Du mir als ein Engel des Friedens vor, der mich über die Kluft des Erdenlebens hinüber trug, und drüben als Lichtglanz mit ewiger Liebe umfing, am Throne dessen, der in Licht und Liebe ewig wirkt und waltet.

Mein Auge fiel auf Dich, als ich nach abgelegtem Gelübde mich wieder ins Leben wendete; Du warst das erste, was ich erblickte. Gott! und wie? Du wanktest in Todtenblässe am Arm Deiner Mutter aus der Kirche. Da ergriff mich der unaussprechliche zerreißende Schmerz, der die Banden des Lebens zu zerstören begann. Bleich waren die holden Wangen, die frische Rosen umblühten, gesenkt das Auge, das Freud und Leben um sich sprühte! Ach, ich darf Dirs sagen, denn nur in der Wahrheit, die reinen Geistern gebührt, müssen wir uns fortan begegnen; selbst alle Hüllen zärterer Gefühle, in denen glückliche Liebe wie in ihrem eignen Element ihre Blüthengestalten [84] webt, müssen weichen. Dem Unglück wie der Ewigkeit gebührt nur schleierlose Wahrheit. Ja, ich darfs Dir sagen, ich sah Dich liebend und leidend, und fühlte den Dolch, den ich Unseliger in Deine zarte Brust gestoßen, tausendfach in der meinen wühlen.

Ohne mich, ohne die unselige Schwachheit, in der ich Ihr in zweifelnder Lage meine Liebe aussprechen durfte, ginge Sie wie die Göttin der Jugend unter ihren Gespielen einher, und nun fällt ihr gesenkter Blick auf den Kummer ihres Herzens hernieder, hält mich für einen Schwachen, einen Falschen.

Eine tödtliche Krankheit raubte mir bald die Besinnung. Der Pfeil des Todes war abgedrückt auf unsre Herzen. Dich sah ich Jenseits in meinen Fieberträumen, rief Dich an als eine Heilige. In den bewußtvollen Augenblicken jener Tage freute ich mich, daß die Gluth des Lebens in meiner Brust erlosch, daß die Kraft der Jugend aus Nerven und Adern schwand, und daß kein Eid mehr zwischen den [85] Gedanken und dem Sehnen nach Dir, das kalte Herz im Grabe fesseln würde. Du würdest über dem Grabe dessen weinen, den Du im Leben verstoßen mußtest. Süße Gedanken! Quell des reichsten Trostes! er hielt mich ab von den Gränzen des Wahnsinns.

Ich sollte die Luft der Erde noch ferner athmen. Als ein Genesender gehe ich auf dem grünen Teppich der Wiesen, unter den Blumen des Gartens einher. Die Freundlichkeit der Natur eröfnet mein erkaltetes Herz nicht. Das heilige Licht umleuchtet uns, der silberne Strahl des Mondes umschimmert noch unsre irdischen Gestalten wie damals – damals, als ich im Gefühl des Neigen Deines Herzens zu dem meinen, unüberschwengliche Seligkeit im Busen trug.

Bin ich noch dasselbe Wesen? frage ich mich oft schaudernd, und lege die Hand an das zitternde Herz, das die Hand des Todes kaum los ließ.

Als ein Schatten komme ich mir vor, den [86] nichts mehr angeht, der spurlos über die Erde hinschwebt.

Dann stehst Du als ein seliger Geist vor mir, der mir neues Leben gibt.

Ja, ich darf Dich lieben – der Geist ist über die Gebrechen und Leiden sinnlicher Natur erhoben – alle Wünsche schweigen.

Warum solltest Du mir nicht das Theuerste aller Wesen bleiben? das ich umgebe mit liebender Sorge, für das ich zuerst den ewigen Segen des Himmels am Altar erflehe, dessen ich immer rührend gedenke, dem ich gefallen will in allen Thaten der Liebe, mit denen es der Vorsehung gefallen kann, meine Schmerzenstage zu versüßen? In allen Thaten des Muthes für Ehre und Recht, wirst Du Dich erfreuen, daß Dein Herz für keinen ganz Unwürdigen schlug. Verdammen kann der, der die ewige Wahrheit ist, diesen Zug meines Herzens nicht. Die Großen und Weisesten unter den Alten sahen die Liebe an, als die Bildnerin[87] zur Tugend, als den belebenden Hauch der Gottheit in der menschlichen Brust.

Hoher Plato, Vorläufer der göttlichen Lehre unsres Herrn, sagst Du nicht, daß in der Liebe die Flügel der Psyche wachsen, um sich zum Himmel zu schwingen? Kannte nicht selbst der Welterlöser zarte Bande der Liebe und Freundschaft, beweinte er nicht die Leiden der Seinen?

Nein, meine Beste, nur starrer Menschenwahn oder klügelnder Verstand, der es rathsam fand, gemeine Naturen in strenge Bande zu schmieden, deren edlere nicht bedürfen, konnten eine heilige zarte Liebe verdammen. Nur das irdische Glück liegt in Fesseln für uns. Ach es war ein schönes Gewölk, auch vom Strahl des Himmels angeglänzt! aber den ewig blauen reinen Aether des Geistes kann nichts trüben, immer steht er rein über allen Wolkenbildern, die Erdenluft erzeugt.

Daß du mir das beste liebenswürdigste Wesen bist, welche Macht kann mir dieses Gefühl entreißen? Das Herz, das sich blutend von Dir [88] riß, im Schmerz, der all seine Adern zerriß, wird sinniger und fühlbarer gegen die ganze Natur werden, inniger und zärter werde ich jedes Leiden verstehen. Im letzten Seufzer des Sterbenden, der unter der Bürde des Lebens verschmachtet, werde ich den Trost des Glaubens an eine ewige Liebe kräftiger aussprechen. Der verlassene, zweifelnde Einsame wird einen wärmern Freund an mir finden. Welches Opfer kann mir zu schwer seyn nach dem, das ich dargebracht habe? In Gott, im Gefühl der Schönheit, im Ueben der Tugend, laß unsre Herzen eins bleiben, meine Geliebte, Engel des Himmels, meine Anna!

Ich wage nicht Deinen Lebensweg zu bezeichnen, noch mir ihn klar zu denken. Mögest Du den erwählen, der Dich am leichtesten über den Schmerz erhebt, den ich Unglücklicher als ein feindseliger Dämon in die Harmonie Deines Lebens warf. Sind Deine Tage heiter, so werde ich die Bürde meiner Erdentage ertragen.

[89] O dürft' ich bitten, laß sie voll meines Andenkens seyn! ich darf es nicht, alle Eigensucht sey mir fern.

Aber wenn Du mein gedenkst, so sey es verzeihend, duldend, schonend, wie es Deine himmlische Natur Dich lehrt.

Mein edler und weiser Oheim, der Dir diese Zeilen übergeben wird, will mich mit der Zeit trösten; sie kann, sie soll mich nicht trösten, denn außer ihrem Gesetz ist, was ich verloren. Als ein Forscher der Herzen und ihrer Gefühle billigt er, daß ich nicht schweige, sagt, daß offne Rede dem Menschen gegeben sey, die verschwiegenen Leiden, allen Irrthum seiner Natur zu erhellen. Möchtest Du ihn Deines Vertrauens werth finden!

Ruhig und klar steht er in der Welt, legt das Maaß seines Verstandes an ihre Gestalten, achtet keine gering, und versucht immer, sie an ihren rechten Platz zu stellen. Die Tiefen des Herzens ermißt er dennoch nicht.

[90] Er hat diese Zeilen nicht gesehen, kein menschliches Auge hat sie gesehen.

Würdigt mich meine Anna eines Wortes, so wird es auch nur in und an meinem Herzen ruhen.

Keinen Richter, als das Auge des Ewigen, erkenne ich über meiner Liebe. Diese innre Freiheit kann mir kein Eid rauben. Meine Thaten gehören der Kirche, ich hoffe ihr kein unwürdiges Mitglied zu werden, eben da ich die Freiheit im Göttlichen in mir trage. Auf die Demuth, die der Welterlöser predigte, führen mich Schwachheit und Mängel in mir, immerwährend zurück.

Er führe uns zu dem Frieden, den ich noch nicht begreife – vom Himmel wird er kommen, das sagt er ja selbst, daß er höher als alle Vernunft sey! Das liebste Kind des Himmels, meine Anna, ruhe sanft unendlicher Liebe im Schoos!

[91]

20. Anna an Ottomar

Offen und frei wie ein Herz, das dem Leben dieser Erde und ihrem Schein nicht mehr angehört, schreibe ich meinem Ottomar. Er ist mein für die Ewigkeit, deshalb ist jedes Wort für ihn nur Ausspruch der unsterblichen Seele, die in mir wohnt. Gott selbst hat unsre Liebe auf Erden getrennt, es war ernste Pflicht, der Weg des Rechten und Guten, der ihn mir entriß. Wie könnte deshalb Tadel und Vorwurf in meine Seele kommen?

Ich habe das reinste Glück eines weiblichen Herzens kennen lernen, die höchste Würde der Menschheit in einem edlen Mann zu verehren, und das tiefe Verlangen meines Wesens, sich dem Trefflichsten zu vereinen. So müßte sichs die Sonne vorwerfen, die dunkle Erde zu erleuchten. Das Gefühl des Herrlichsten hat mich gereinigt, geläutert, der Erde entzogen, um nun ganz dem Ewigen anzugehören. Tausenden,[92] Ottomar, gehört jetzt die Liebeskraft Deines edlen Herzens an, die eines armen beschränkten Wesens Seligkeit gemacht hätte.

Reiner und schöner zu werden durch Dein Bild, ist jetzt das Streben meines Erdenlebens – das soll mich einst Dir zuführen.

Daß es mir erlaubt ist zu sagen, wie ich liebte, wie Alles und Alles ich in dieser Liebe fand, welch eine schauerliche Einöde mich in einer Welt, ohne Dich, umfängt, das ist ja schon ein Glück zu nennen!

Der Himmel zürnt mir nicht, denn aus seinem reinen Blau strahlt mir das hohe Bild entgegen – Die Engel und Heiligen zürnen nicht, nicht die heilige Jungfrau, denn wenn ich an ihrem Altar kniee, steht es vor mir.

Da das äußre Leben einmal gelebt seyn muß, da Du es ruhig wünschest, so vernimm meinen Plan. Süß ists mir, Dich als den Herrn meines Geschickes anzusehen, zu dem Gott und Natur Dich bestimmt hat. Das lehrte [93] mich die erste Stunde, die ich neben Dir verlebte.

Bei den frommen Frauen in Tiefenthal wünsch' ich zu leben, zu sterben, und hoffe die Genehmigung der Eltern dazu zu erhalten. Gott werde ich mich in der Abgeschiedenheit von der Welt weihen, in Thaten der Barmherzigkeit und Liebe, und in stiller Betrachtung.

Ich sehe von dort aus die Spitzen der Thürme, wo Deine Gebete zum Himmel steigen, wo Deine Lippen den Trost des Glaubens verkünden, die Herzen der Menschen beleben mit Liebe und Hoffnung. Auch Du kannst von den Anhöhen des Stroms herüber schauen nach den Mauern, die mich einschließen. Ich werde den Gruß des Geistes vernehmen im sanften Abendhauch, eine Gemeinschaft in Licht und Luft wird wenigstens unter uns seyn!

Als Priester mußt Du meinen Entschluß unterstützen, mich durch Ermunterung und Lehre trösten, leiten.

Ja, ich muß den Weg zum Himmel gehen, [94] den Deine Seele mir andeutet. Ein gemeinsames Grab kann einst unsre Asche umfassen – den Trost wird der Himmel nicht verwerfen und die Erde uns gönnen.

21

Mein Herz ist gestärkt, meine Bertha, seit es sich gegen den Geliebten ausgesprochen. Der dunkle einförmige Grund der Sehnsucht ist gebrochen – so erhellt die wetterleuchtende Wolke die dunkle Nacht.

Wenige Tage, nachdem Ottomar meinen Brief durch den Bischof erhalten, kam dieser mit einer Antwort an mich zurück, in Begleitung seines jüngern Neffen, eines liebenswürdigen Jünglings, dessen Aehnlichkeit mit dem Bruder mich tief bewegte.

Vielleicht ist er schöner wie Ottomar zu nennen, zärter gebildet, aber es fehlt ihm der Ausdruck hoher Männlichkeit, der so gewaltsam [95] zu jenem hinzieht. Mein Vater und meine Mutter sahen vergnügt aus. Ich blieb oft allein mit dem Jüngling; wir waren in einem Garten am Rhein, und sein sanftes Gespräch that meinem Herzen wohl. Die Aehnlichkeit in Ton und Mundart mit Ottomar entzückte mich, ob sie auch alle Laute unaussprechlichen Sehnens erregte. Beim Abschied sagte er mir mit geheimnißvollem Wesen und feuchtem Blick: O hätte ich durch das Opfer meines Lebens Ottomars Glück gründen können! Sehen Sie mich an, als ihm und Ihnen ganz angehörig, ob Sie mich gleich seit wenig Augenblicken erst kennen. Das Edle und Schöne dringt schnell und allbesiegend in ein offnes Herz. Ottomar war von Kindheit an meine innigste Liebe, seine edle Seele mein Vorbild, der Leitstern zu allem Guten für mich.

Meinem eignen Gefühl jetzt eine Stimme zu gestatten, wäre unzart, unedel. Meine Hand lag auf einem Rosenbusch, er nahm die Rose, die meine Finger berührten, barg sie in seinem [96] Busen, und sagte, mit einem Blick voll Milde und Güte: für ihn!

Die Eltern und der Bischof waren sehr freundlich, als wir zu ihnen in den Gartensaal traten, und sahen sich unter einander lächelnd an.

Wie erfreut mich jeder Strahl der Heiterkeit auf dem lieben Angesicht der Meinen!

Ich muß heiter ausgesehn haben, denn der Bischof nahm meine Hand und sagte: kehre Dich wieder nach dem Licht, Du holde Blume, und erfreue uns alle mit Deinem Reiz.

Ich ging sogleich folgenden Brief Ottomars zu lesen:

22

Ich habe knieend die geliebten Züge Deiner Hand gelesen, meine Anna!

Mit Wahrheit erkannte meine ahnende Seele eine höheres Wesen in Dir. Dein großer Sinn schien mir über dem Leben zu stehen, [97] und deutet darüber hinaus. Ich folge ihm – im Dulden.

Was ich geworden wäre, wenn ich im lichten Sonnenschein Deines Herzens immerwährend geathmet hätte. – O, es steht im dämmernden Umriß vor mir, aber groß und herrlich, und mein Schmerz umfaßt das Bild, und in seinem Maaß fühle ich was ich verloren!

Aus den Trümmern zu retten, was wir vermögen – ist es nicht das ewige Loos der Menschheit?

Vergebens rufe ich mir die Worte der Weisheit in die Seele, die aufs Allgemeine gehen, und uns, uns selbst im Ganzen zu betrachten lehren. Ein tausendfältiges Leben war in meiner Brust, das sie jetzt im wilden Schmerz durchtobt. Diesen männlich verbergend, bezwingend all seine Laute, will ich leben, Deine zarte Seele nicht aufregen in den Stürmen meiner Leidenschaft. Gott ergeben wollen wir leiden, das ist der Entschluß meiner bessern Augenblicke, wo die bessere Seele im Streit siegt.

[98] Aber vernimm mit Aufmerksamkeit die Stimme Deines treuesten Freundes, Deines Bruders.

Bleibe in der heitern Region eines rein menschlichen Daseyns. Sey ein Weib in jedem Sinne des Worts, ein Symbol des Liebens, Tragens, Bildens. Nicht in finstrer Abgeschiedenheit von der Thätigkeit in menschlichen Verhältnissen, von den kleinen Freuden, die, wie die Natur in immer neuen Blumen die Erde, das menschliche Daseyn umschwärmen, wenn wir reinen Sinnes sie zu erfassen wissen. Ich dachte mir Dich als die Einzig Geliebte, als den ewig erfrischenden Quell des innern Lebens und Glücks, auch so gern als die Herrscherin in waltender Liebe und Güte, in dem Hause meiner Väter. Als die Mutter der guten Leute, die seit Jahrhunderten unserm Geschlecht angehören – als die Mutter – kaum wage ich die verlorne Seligkeit auszusprechen – meiner Kinder, die den Namen, angeborne Kraft und Tugend meines Stammes, in kräftigen Männern [99] und sittigen Weibern fortbilden würde im Strome der Zeiten. Dankbar würden die Enkel in Liebe und Ehrfurcht auf unsre Bilder schauen, wie wir auf die Bilder der Väter. Laß mich, theure Anna, Dein liebes Bild in dieser edlen Reihe sehen – nur einem Andern gönne es, neben diesem zu stehen. Vielleicht ein würdigeres, ein von mir herzlich geliebtes. Mein Bruder ist sanftrer Sinnesart als ich, obgleich eben so starkfühlend, steht mir in keiner Tugend nach, die Du aus dem eignen Reichthum Deines schönen Herzens mir liehest. Er war mir wie meine zweite Seele von Kindheit an, die in meiner Liebe erwuchs, und dem ich strebte ein würdiges Vorbild zu seyn im Jünglingsalter. – Gib ihm Deine Hand, dieß höchste Glück, worauf ich hoffen durfte. Fürchte nicht für mich. Der Entschluß ist geprüft, ich vermag es zu ertragen, Dich als sein Weib zu sehen, werde es vermögen mich seines Glücks zu erfreuen, in Dir den Segen meines Hauses zu erblicken.

Nach stürmischer Jugend werde ich wallfahrten [100] zu Eurem Glück, wie zu dem Bild eines Heiligen, der uns Frieden gibt, und in dessen Thaten und Opfern wir in stiller Betrachtung Kraft des Glaubens und der Liebe kräftiger in uns wachsen fühlen. Deine Hand wird als Schwester meine Augen zudrücken. Ja, ich vermochte es auszusprechen, ich will, ich wünsche es. Mit himmlischer Güte willst Du selbst mir eine Stimme über Dein Schicksal vergönnen.

Gewähre meinem Adelbert die Freude Deines Anschauens, eröffne ihm den Himmelsschatz Deines Herzens – um daß er hoffen dürfe es zu gewinnen. Beglücken wirst Du Alle. Die alte Mutter wird Dich segnen als einen Friede bringenden Engel, mit dem Leben und Freude ins öde Haus zurückkehrt. Die Deinen werden einwilligen, und Dich mit Lust wieder wandeln sehen auf dem freien grünenden Lebenspfad, entsagend der düstern Abgeschiedenheit. Brächtest Du ein Opfer, geliebteste Anna, so wird es, wie jedes es endlich ist, gekrönt seyn mit dem Segen des innern Friedens.

[101]

23

Hoffnung schimmerte auf dem Angesicht der Eltern, als ich zurückkam zu ihnen; der Bischof hatte gegen sie gesprochen. – Ach, ich konnte sie nicht nähren! Schweigend verging der Abend. Ich stärkte mich im Gebet, rufte an um einen Lichtblick von Oben in meine dunkel wogende Seele. Die Wünsche, die Leiden der Geliebten gingen ihr vorüber. Aber immer klärer und tiefer fühlte ich die Unmöglichkeit, mich einem andern Manne zu ergeben. Sollte ich diese innre Stimme bezwingen, übertäuben? Nein Bertha, tausendfältig, unabläßlich würde mich Alles in der Welt an seinen Verlust mahnen – in der Einförmigkeit des einsamen Schmerzes werde ich leichter mit ihm leben lernen. Meine Sehnsucht, die gleichsam die Lebensluft meines innern Daseyns geworden ist, würde ich mit innerm Vorwurf von mir zurückweisen müssen, jedes Zeichen der Liebe würde eine strafende Stimme für mich seyn, das nicht erwiedern können, ein immer neuer bittrer Schmerz. – Warum [102] gewaltsam eine Gestalt zwischen uns drängen, die strenge Trennung gebietet? Ein Blick auf den Herrn des Himmels reinigt und erhöht mein Gefühl. Rechte, Ansprüche eines menschlichen Wesens würden es trüben, verwirren, es fiele der Erde anheim.

24

Der Bischof war bei mir, ernst und dringend waren seine Reden, liebevoll wie eines Vaters – aber er kann meine Liebe nicht fassen.

Hüte Dich, holdes Mädchen, für Ueberspannung und Selbsttäuschung im Moment der Entscheidung Deines Schicksals, sagte er. Ein Gelübde für die Vereinigung zur Würde des Lebens, ist die Ehe. Dein reines Herz bürgt für die Erfüllung. Ein ehrenvolles Zusammenseyn und Wirken zweier Wesen, um in Eintracht die Pflichten ihres Standes zu erfüllen, scheint denn das so schwer, so unmöglich, wenn [103] Ottomar selbst für die Güte des Mannes sich verbürgt? und wenn nun dieser in der so eignen Lage nichts erwartet, nichts fordert, als Achtung und Zutrauen? Liebe gehört dem zarten Reich des Lichts, der Farben an, die uns nur erscheinen können. Sie ist der Zauber der goldnen Abendwolken, des Morgenlichts um die Felsenklippen der Erde. Der eigentliche Gehalt unsres Lebens muß fest stehen wie diese. Auf dem Felsengrund der Natur, Vernunft und Wahrheit steht er sicher, auch fehlt ihm selten ganz die Umkleidung des heitern Grüns der tausendfarbigen Blumen der Freude. Den festen Erdengrund können unsre Tugenden ananbauen, das glänzend schmückende Licht ist eine Gabe von Oben.

Kann der Greis auch nicht in der Sprache Deines jugendlichen Herzens reden, so bedenke, daß auch Dich das Alter überschleichen wird, und Du dann Dein jetziges Gefühl als Vergangenheit anschauen wirst. Ein Weib in der Kraft waltender Liebe ist das schönste Schauspiel [104] der Erde. Die Natur wird Dich dazu aufrufen, dann wirst Du seufzen hinter den Mauern, die Dich von ihrem wahren Leben. trennen. Manch blühendes Daseyn sah ich so schon hinwelken. Mit dem Manne ist es etwas ganz andres. Wissenschaft, Ehrgeiz, belohnendes Wirken ins Ganze, Glück und Ordnung, die er um sich her schafft und erhält, füllen sein Leben. Nur im Kreis des Hauses, in beglückender Sorge für Andre, im Fortleben in Kindern, ruht Euer Daseyn. Die hohle Einsamkeit, der kalte Blick in Euch selbst gekehrt, muß Euch zerstören.

Ehrwürdiger Vater, rief ich tief gerührt, aber keinesweges überzeugt, ich fühle die Gewalt Eurer Gründe, aber mein Herz widerstrebt unbezwinglich dem Gelübde, ein andres Wesen seinen Schmerzen zu verbinden. Werde ich unglücklich, so bin ichs allein. Warum soll ich einem edeln Jüngling ein todtes zerrissenes Herz zubringen, der die volle Liebe einer zarten Jungfrau verdient? Ihm werde einst die erste Blüthe [105] jugendlichen Gefühls, statt der welkenden Blume, vom Nordhauch eines feindlichen Geschicks zerstört. Warum soll ich mich mit innerm Vorwurf beladen, das Einzige was mir bleibt, die Erinnerung an mein verlornes Glück, aufgeben? Das Sehnen darnach ist mehr, als das Beste, was mir das Leben noch bringen kann!


Languir per lei, è meglio che gioir d'altri,


sagte lächelnd der Bischof. O Petrarch, die Gluth, die dir diese Worte eingaben, hat auch dieß sanfte Herz entzündet – ist wahrer Ausspruch der liebenden Natur.

Ja, glauben Sie, mein Hochverehrter, sagte ich im Vertrauen, daß sich sein Gemüth zu meinem Wunsche neigte, nur aus mir selbst kann ich zur Richtung auf den Himmel genesen; die Welt hat nur Störungen, keine Freuden für mich.

Er sah mich lang mit dem festen hellen Blick an, der das Innere prüft und wägt, und endlich in Mitleid und Liebe zerschmilzt. Die Augen gingen ihm über, nach langen Bedenken [106] nahm er meine Hand mit den Worten: Du liebes eigensinniges Kind, so muß ich Dich denn auch Deinem irren Sinn überlassen? Auf dem Spiegel des Stromes haschest Du nach Deinem eignen Bilde, und die Tiefe verschlingt Dich. Vergebens steht die Erfahrung des Greises am Ufer, Dir zu zurufen.

Nun bat ich ihn, er möge selbst den Vater, – die zärtliche Mutter folge unbedingt seinen Wünschen – überzeugen, daß es mit mir nicht anders werden könne.

Er versprach es. Nach einer Stunde ging ich ins Zimmer der Mutter.

Ich fand den Bischof noch bei den Eltern, und beide sehr bewegt.

Ich sank zu den Füßen meines Vaters, der mich sanft an seine Brust hob, und mir ernst ins Auge schaute. – Ich unterwerfe mich dem göttlichen Willen, mein Kind, und verzeihe Deine Wahl eines Lebensweges, der Dich von uns reißt. Mich rufen in Kurzem vielleicht Kriege und Standespflichten. – Deine Mutter kann in [107] Deiner Nähe bleiben, wird ihr Kind nicht ganz verlieren. Fremde werden die Burg der Väter bewohnen, die ich Dir, seit Deiner Geburt bemüht war, zur angenehmen Heimath zu schmücken, in der ich Enkel aufblühen zu sehn hoffte. Doch alle irdischen Wünsche schweigen, sind begraben in meiner Brust.

Mein Vater! rief ich in der Verzweiflung über seinen tiefen gehaltenen Schmerz – o mein Vater! Verzeihung, wenn ich eigenmächtig gewählt! Ich muß Alles seyn, was Sie wollen.

»Nein, mein Kind, wenn es um die Wahrheit des Lebens gilt, gilt es um ewiges Heil – ich will Deinen Entschluß nicht bekämpfen. Von jeher hatte ich eine ahnende Furcht vor diesen Gelübden gegen die Natur, die menschlicher Irrwahn, wie mirs scheint, dem schwankenden Daseyn des Menschen aufdrang. Versprich mir nur, sie nicht übereilt zu bringen, Zeiten der ernsten Betrachtung zuvor gehen zu lassen.«

Fest und muthvoll wurden nun die äußern Einrichtungen bestimmt. Tiefenthal gefiel auch [108] dem Vater vor allen andern Frauenklöstern, besonders der herrlichen Frau, der Aebtissin wegen.

Der Bischof kannte ihre Geschichte, auch übermäßiger Reichthum an Liebesfülle, der auf Erden nicht Raum fand, trieb sie in die Einsamkeit. Für die Mutter haben wir einen angenehmen Platz in der Nähe aufgefunden; sie wird mich oft besuchen, und die reine, sich selbst aufopfernde Liebe wendet jetzt selbst alles an, in meiner Ruhe auch die ihrige zu finden, mich mit mir selbst zufrieden zu stellen.

25. An Ottomar

O verzeihe, mein Freund, mein Bruder, daß ich Deine liebende Sorgfalt um mich täuschte! Deinen Willen nicht erfüllte, den ich so gern zum Leitstern meines Lebens erwählte. Es kann nicht seyn. Danke dem edlen Jüngling für sein Vertrauen – die Liebe für Dich [109] flößte es ihm ein – darum ist es mir doppelt werth und heilig. Ihm werde der Besitz eines freien liebevollen Herzens. Es wäre gegen die Natur, ihm das meine, voll eines andern Bildes, zu verbinden; ein der Sehnsucht gehörendes Leben seinem freien, frohen Jugendsinn zuzugesellen. Laß mich Dein gedenken, Ottomar, immer und ewig, rein ohne Vorwurf! Gleich wie ein abgeschiedener Geist, so denke ich mir, auf die schönen Tage der Erde zurückschaut, werde ich der seligen Stunden unsers Zusammenseyns gedenken, sie tausendmal wieder leben. Wenn der Augenblick naht, der meine Seele von den Banden der Sterblichkeit löst, möchtest Du dann mir nah seyn, die Hinscheidende mit dem Trost des Glaubens an eine andre Welt zu stärken, und den eines gemeinsamen Grabes mit Dir.

Bis dahin sey mein Lehrer und Führer im Leben; mein Vorbild in allem Guten, im Hoffen, in Geduld und Stille. Wenn Du früh zur Hora gehst, an den Kuppeln des Doms im [110] Morgenlicht hängt mein Auge. Nimm den Gruß meines Geistes, und flehe zum Allerbarmenden um Frieden für mich.

26

Mit herzlicher Liebe hat mich die edle Frau aufgenommen; ja sie versteht es, ein wundes Herz zu pflegen.

Schwer waren die letzten Tage mit den Meinen. Des Vaters Abreise war entschieden; er selbst wünschte mich zuvor in meinen Ruheplatz einzuführen. Das letzte Abendessen, die letzte Nacht neben den Eltern – O! wie fiel bei jeder kleinen Gewohnheit, jeder kleine Dienst, den ich ihnen leistete – es ist zum letztenmal! – auf mein Herz.

Morgen sucht Dich unser Auge vergebens, sagte mir jeder Blick, und in dem schmerzlichen Lächeln, in dem sie schonend mir ihre Trauer verbergen wollten, lag tausendfältiger Schmerz [111] für mich. Wir wissen nicht wohin es mit uns führt, wenn die Leidenschaft mit eisernem Arm uns ergreift. Ich will suchen mich zu fassen, zu halten im Leben, daß ihre Herzen nicht auch über der Leiche des Kindes brechen.

Alle Gespräche, die nicht in den Kreis des nothwendigen Thuns und Wirkens gehören, sind verbannt, aber ich fühle, daß das mütterliche Auge der guten Aebtissin, die Tiefen meines Herzens durchforscht. Mein Geschäft ist die Aufsicht und der Unterricht der jungen Mädchen, die viele Familien der Gegend diesen frommen Frauen anvertrauen. Diese Thätigkeit nimmt den Verstand wie das Gemüth in Anspruch, deshalb bestimme ich ihn meiner Anna, sagte die treffliche Frau. Die Kinder lieben mich, lauschen auf meine Winke, kein Wort geht bei ihnen verloren; sie hat recht, mich in diesem Geschäft zur sorgfältigsten Wachsamkeit über mich selbst zu ermuntern. Wie mancher Aufschluß über unser Daseyn, kommt, im Gang des Unterrichts, in den Fragen der Kleinen, zur[112] Sprache. Sanftmuth und Ergebung wird mir zur unabläßlichen Pflicht. Ich werde meinen süßen Träumen entzogen, die mich nur in später Nacht in meiner Zelle labend umschweben. Ein Traumleben ist ja nur das Leben der Erde, so nannten es die weisesten Menschen.

An seiner Seite wäre es ja auch nur das gewesen – hingeflossen in den großen Strom der allverschlingenden Zeit – und doch, Bertha, übermannt mich oft die unendliche Sehnsucht, die gleichsam mein Herz aus der Brust reißt. Die Mutter ist ruhiger. Sie hat Bekanntschaft mit Ottomars Mutter gemacht. Die guten Seelen betrauern gemeinsam das Schicksal ihrer Kinder, aber ihrer Tugenden sollen sie sich erfreuen – das verleihe uns die ewige Liebe.

Nie schaue ich am Morgen nach der Kuppel des Doms, ohne zu fühlen, daß mir eine neue Kraft aufgeht. Er betet für mich.

[113]

27

Der Vater ist abgereist zum Reichstag nach Worms – vielleicht zu einem Zug gegen die Türken.

Darüber durft' ich nie Angst und Sorgen äußern – denn von jeher war es sein Lieblingswunsch, für den Glauben zu fechten.

O könnt' ich ihm folgen, an seiner Seite sterben für den Gott der Christen! Nur zu stillen Leiden werden wir geboren.

Sein Abschied war ernst und stark, als könnte es einer für die Ewigkeit seyn. Ich versprach ihm das unauflösliche Gelübde bis zu seiner Rückkehr zu verschieben, und ich sah einen Strahl der Zufriedenheit auf seinem Antlitz.

Die Möglichkeit, ihm folgen zu können mit der Mutter, selbst im fernen Orient, wenn er unsrer bedürfte, wenn er verwundet würde, oder erkrankte, trug ich tröstend in der Seele tiefen Grund, ohne sie gegen ihn auszusprechen.

Luther ist hinberufen nach Worms, zur Vertheidigung, zum Widerruf seines Irrwahns.

[114] Die Aebtissin ist heftig gegen ihn, wünschte seinen Untergang – Die sanfte Seele konnte dieß! Lasset uns nicht richten, meine Guten, sagte der Vater. Mehr als menschlicher Muth scheint in diesem Manne zu leben, ein ehrnes Herz in seiner Brust zu wohnen.

Was Menschenwerk ist, muß untergehen – Aber jedes Thun aus dem Trieb innerer Wahrheit, mit solchen Opfern begleitet, ist zu achten. Befreiung vom welschen Joch muß der Deutsche wünschen, denn jedes Joch ist irdischer Natur. Die Freiheit in der Liebe und im Glauben kam von Oben herab. Was der Mensch kaufen kann, kommt nicht von Gott, sagt Luther; das scheint mir ein wahres kräftiges Wort, ernsten Bedenkens werth.

28. Ottomar an Anna

Dein Entschluß, geliebte Schwester, denn so kann ich Dich auch jetzt nennen, die Du wie [115] ich, der Welt und der Freude entsagtest, die sie gewähren kann, hat mich verwundert, betrübt.

Aber läugnen kann ichs nicht, inniger ist nun meine Sorge für Dich. Du bist mir das Wesen auf Erden, das mir zunächst steht, an das heilige Treue der Pflicht mich bindet, dem alle Sorgfalt, aller Trost gebührt, denn allem Andern entsagtest Du, Dich dem Andenken eines Unglücklichen zu weihen. Ehre und Liebe geboten mir, Dich vor den Gefahren Deines Entschlusses zu warnen, Dir einen Lebensweg anzudeuten, der in der Wahrheit der Natur liegt, durch den würdigen Gegenstand Dein Herz dereinst befriedigen konnte. Dein reiner großer Sinn verwirft ihn – Nun so laß uns im Geiste vereint ringen nach den Palmen himmlischer Freiheit, unter denen unsre treue schuldlose Liebe dereinst wandeln wird in unverwelklicher Blüthe.

Schnell rinnt das Leben dahin, wenn auch der Schmerz seiner einzelnen Tage uns lang und [116] ermüdend dünkt. Als eine Rauchsäule, die in die Wolken steigt, als ein Schatten, der schnell und spurlos über die Erde fliegt, scheint es dem matten Greis; aber wer Ewiges in der Brust trägt, dem geht die Ewigkeit auf. Der Geist sucht den ewigen Geist. Ja, die Liebe lehrt hoffen auf eine Fülle des Seyns und der Liebe jenseits – als ein schöner ahnungsvoller Traum erschien sie uns hier.

Du wandelst still den Pfad der Pflicht. Die Blüthe der Tugend und Schönheit in jungen Seelen zu pflegen, ist ein sanftes Loos. Wachsen und Werden sehen, erfrischt den Lebensquell der eignen Brust. Wenn die Blumen und Blüthen des Frühlings sich entfalten, ruft uns die Stimme des Allliebenden zu: verzage nicht Du armes mattes Herz, auch Dein Leben trage ich wie das Leben der Erde, werde es erfrischen zu seiner Zeit, im ewigen Frühling.

Im Aufblühen junger Menschenherzen um Dich, wirst Du das noch schöner und tiefer fühlen.

[117] Durch Erregen der Geister zur Kraft der Wahrheit, durch Läutern der Herzen zum Glauben, erhebe auch ich mich aus der Nacht des Grams und der Sehnsucht. Ich suche die Wahrheit, ich höre auf die Stimme vergangener Jahrhunderte; die Weisesten, Besten aller Zeiten, sammle ich um mich her – aber nur aus reinem stillen Herzen entspringt der lebendige Quell der Ueberzeugung vom Göttlichen – dieses erflehe ich in Demuth und Ergebung.

Ich fasse mich, halte mich, indem ich Dir, Theuerste, diese Zeilen schreibe – möchte Dir nicht bedürftig und schwach erscheinen, da Du selbst mich würdigst, Dir ein Lehrer, ein Tröster zu seyn.

Was ich wünsche, ist, daß der Vater im Himmel mich auserlesen möchte, als ein Opfer für den Glauben, für sein ewiges Wort an die Menschheit, zu fallen. Beginnt der Zug gegen die Türken, den der heilige Vater in Rom will, der neue Kaiser verspricht, so folge ich Deinem Vater nach dem Orient. Treu will ich ihn umgeben [118] in Gefahr und Tod. Er soll in mir den Sohn finden, da ich ihm die Tochter entriß. Verzeihung, ewige Liebe, soll mein letztes Wort seyn, für ihn, für Dich!

29

Was kann ich Dir, meine Bertha, aus dem einförmigen Leben schreiben, als daß mein Herz immer dasselbe bleibt. Sprich Du mir von Ottomar, Deine Zartheit weiß, was mir frommt, was die Gott geweihte Jungfrau vernehmen darf!

30. Ottomar an Walther

Du weißt durch Dein liebes Weib, wie Alles kam, wie Alles sich entwickelte – eine Rolle dunkler schrecklicher Bilder ist das Leben Deines [119] Ottomar. Ihre bleiche Gestalt war das erste, was ich wieder in der Welt erblickte, als ich vom Altar kam, wo ich sie geopfert hatte.

Tief ergriffen von dem Sinn der heiligen Worte und Gebräuche, schauderte mein Innres vor der Heiligkeit des Gelübdes, vor der Schwachheit der irdischen Natur, die verwegen hinauf reichen will zur ewigen Klarheit des Vaters der Gestirne und des Himmels über uns. Bald fühlte ich mich wie entrückt der Zeit, den Banden des menschlichen Wesens – sie schwebte vor mir wie eine Lichterscheinung aus einem höheren Leben.

Aber als ich sie in der Wirklichkeit erblickte, wankend am Arm der Mutter, da fiel mich ein Schmerz an, der zur Bewußtlosigkeit führte; der Tod trat nah an mein Herz.

In soweit bin ich einiger mit mir, da ich, als ich wieder zur klaren Besonnenheit als Genesender gekommen war, alles that, um das holde Geschöpf auf die Bahn des frischen heitern [120] Lebens der Natur zurückzuführen. Der Wunsch des Bruders kam mir entgegen.

Aber sie will meinem Andenken nur leben – ich muß ihren himmlisch reinen Willen anbeten.

Kann ichs Dir läugnen, daß mich ein festeres ewigeres Band nun an sie fesselt; daß der Gedanke an sie, immerwährend mich umgibt, wie Luft und Licht, daß ich in einsamen schwärmerischen Stunden die liebe Gestalt zu mir drängend fühle, ihre süße Stimme zu hören glaube? Fürchte keinen Wahnsinn für mich. Es ist etwas Wahres, Ewiges in meiner Liebe – ja, sie ist unsterblich wie meine Seele.

Ein Hauch himmlischen Friedens weht mich an, wenn ich sie in den heiligen Mauern, am Altar des Glaubens, in unsern Gebeten, dem Vater alles Lebens empfehle, dem Göttlichen, der die Leiden der Menschheit kannte, sie trug im eignen Busen.

Ihr Blick hängt im Morgenstrahl an der Kuppel des Doms, als eine glänzende Himmelspforte [121] begrüß' ich ihn, das Symbol unsrer Wiedervereinigung. Gestärkter gehe ich in die Welt zurück, sie spricht mich wieder an, und ruhiger werde ich in Thaten der Liebe und der Barmherzigkeit.

Die glänzende Bahn des Ehrgeizes, auf die mich der gute Oheim, im Wahn der höhern Geisteskräfte, die er mir beimißt, zu locken dachte, sie scheint mir dürr und öde, ähnlich einer versengten Flur von der Gluth des Eigendünkels der Eigensucht. Aus diesen Banden möchte ich die Menschen befreien, zur Wahrheit, zur allduldenden Liebe zurückführen, zum Glauben an das Edle, was unsre drückenden Formen in ihnen ertödten; darum träum' ich mich oft gern für Momente zum Fürsten dieses Landes. Geister regieren, ist ein zu hohes Ziel für den Menschen, führt ihn auf Abwege, zur Unwahrheit in sich selbst. Nur in Wahrheit und Liebe, wie der Allwaltende selbst, im Symbol der Natur, geht mein Wirken harmonisch aus der eignen Ueberzeugung hervor. Alles [122] ist todt, was nicht diesem lichten Urquell entspringt, sich an ihm erfrischt und erhält. Todt ist jedes Wort der Lehre, die nur Menschliches erzeugen will. Morsch und dem Menschenwahn irdischer Absicht verfallen, scheint mir das Gebäude, das in heiliger Einfalt der ersten Zeiten des Christenthums die im Dunkeln Irrenden aufnahm, die Roheit bändigte, sanfte Menschlichkeit lehrte, und in dem die Kinderaugen nach dem Vater aufblicken lernten, durch die Oeffnung nach dem klaren unermeßnen Aether. Geister fesseln in einem dumpfen Glauben an Menschenworte, ist unheilig und fühllos. Nur das wahre Gefühl, was in einer Seele lebt, erregt wieder ein wahres Gefühl.

Aus todten Formeln entflieht der lebendige Geist. Ja, es ist die höchste Sünde am Geist, sein freies Leben der innigen Ueberzeugung zu tödten in der Unterwerfung gegen diese Formeln. Weit lieber möchte ich hin in die neuentdeckte Welt, mit dem edlen Las Casas in Liebe der Menschen die Wilden zu entflammen, [123] sie wegzubannen von den Altären des Mordes und der Rache, mit dem heiligen Kreuz, dem Symbol der Duldung und Eintracht, als Prediger unsrer matten, dumpfen, befangenen Welt. Wenn meine Seele glüht, wenn mich die heilige Freiheit in Gott ergreift, muß ich ängstlich fürchten, die Form eines Lehrbegriffs zu verletzen. Und wer ist zum Wächter bestellt? Schwache, befangene Menschen, unergründend den tiefen heiligen Sinn, verlangen sie Unterwerfung unter Worte.

Niedre Leidenschaften, Eigennutz, Eitelkeit, schieben elende Motive in das Gewebe ewiger Liebe, das des Menschen Sinn aufrichten soll zum Himmel, statt ihn an der Erde zu verkrippeln. Was ganz und groß vor der reinen Vernunft steht, zerstückt unnütze Spitzfindigkeit. Der Irrthum und Irrwahn, den Jahrhunderte mit sich fortwälzen, ist er deshalb weniger Irrwahn?

Demuthsvoll beuge ich mich im Staube vor der ewigen Wahrheit, flehe um Licht mit einem [124] reinen aber schwachen Herzen. Der Sinn der göttlichen Schriften erfüllt mich mit Klarheit; dahin flüchte ich mich in allen Zweifeln. Die Worte der Liebe im Evangelium sprechen immer inniger an meine Seele, sie beleben mich, wie der Blick in die freie Natur, und reinigen mich befreiend von allem Gewicht irdischer Verhältnisse.

Das Wort ist von Gott und bei Gott. Ja, der Ausspruch der reinsten Menschheit ist, sich selbst zum Opfer zu geben. In diesem Sinn verwalte ich tröstend mein Amt, fühle mich des großen Namens eines Dieners des Herrn nicht unwerth. O Walther! Du weißt es – kein geringes Opfer habe ich dargebracht.

31

Gute Geister umschweben die Stunden, wo ich durch Wald und Fluren schweife, wenn ich auch Anfangs nur ins Weite will, um mich [125] selbst los zu werden. Ein wahrer Priester sollte der Regent des Landes seyn, Walther. Du wirst lächeln, daß mich die Plane des Oheims anstecken. Nein, mein lebendiges Gefühl umfaßte von jeher die Zustände der Menschen, und mein Verstand beschwichtigt es mit Ansichten der möglichen Verbesserungen.

Jeder Hütte möcht' ich Segen und Frieden bringen, und die traurige Sorge und Armuth verscheuchen. Oft erzeugt durch manche unsinnige Einrichtung, die Niemanden frommt, sehe ich diese dann im Geist, durch reinen Willen und klaren Ueberblick der Verhältnisse aufgehoben. Eine Stimme des Segens soll unser Glaube seyn den Schwachen und Armen. Einverstanden mit meinem Wirken, denn eine magische Kraft traue ich den wahrhaft Guten zu, sollten alle tüchtigen Menschen einsehen, daß Regieren nur Uebles verhüten heißt, schonendes Abwenden der nothwendigen Uebel, nicht ein Gebrauch aller Kräfte zu eignen Zwecken.

Wie gut müßten die Menschen werden, sähen [126] sie den Regenten in seiner wahren Haltung gegen sie; auch empfindlich für das Große und Schöne, dessen Freude ihr gemeinsamer Antheil wäre. Nur die Verschwendung des Stolzes empört den, der die Früchte seines Fleißes ihm opfern muß. Ein fruchtbringender Baum, wo labender Schatten für den von Arbeit in der Schwüle des Tages Ermüdeten, und Ruhe für die Schwäche des Alters wohnt, müßte der Herrscher erscheinen, nicht als der Dornstrauch, ein Apolog des Propheten. Hoffnungsvoll ginge der Bauer hinter seinem Pflug, muthig der Krieger zum Schlachtfeld, ein Vaterland zu vertheidigen, das er achtet und liebt, und den heimathlichen Heerd, an dem sich die Seinen oft zu einfachem Genusse versammeln.

Oft halte ich bei meinen Wanderungen in einer einsamen Hütte an, und gehe ein in das Leben des Volkes, höre von seinen Bedürfnissen, seinen Freuden und Leiden. Gestern Abend saß ich bei einer Mutter unter ihren Kindern und genoß eine freundlich dargebrachte Schaale [127] Milch. Auf einmal ertönte ein Freuderuf unter den Kindern, die auf der kleinen Wiese vor dem Hause spielten: der Vater kommt! – Er kam, ein stattlicher Mann, noch kräftig nach des Tages Arbeit, und die Seinen drängten sich um ihn mit Liebkosungen, und waren bemüht ihm Ruhe und Erfrischung zu bereiten. O ich Einsamer! ich ritt nach Hause, und die Bilder des einfachen süßen Glücks standen vor meiner Einbildungskraft, überglänzten die geschmückten Zimmer des reichverzierten Hauses. Ihr Bild stand vor mir und wollte nicht weichen.

Ein unglückliches Gespräch über ein neues Staatsbedürfniß, und einer neuen Last auf das Volk, brachte mich vollends von Sinnen.

Wird mein Wille jemals entscheidend seyn, meine Stimme geltend, so gelobte ich mirs selbst: sie rede für das stille Glück der Hütten! In den Gedanken schlief ich endlich ein, und die Holde erschien mir lächelnd im Traum.

[128]

32

Daß uns ein eigensüchtiger, hartherziger Mönch von der Einfalt der ersten Kirche trennte, die Würde, die Freude des Daseyns nahm in Weib und Kind, den herzlichsten Banden der Natur, unser Leben doppelt zu fühlen! Wie belügt sich der Mensch im sündigen Eigendünkel, wenn er, im kleinen Moment seines armseligen Daseyns, der Zukunft Fesseln anzulegen wähnt – irgend einen scharf ausgedachten Plan als ein Siegel auf die Kraft neuaufblühender Jahrhunderte drücken will! Die gesunde, nie alternde Kraft der Vernunft bricht es spät oder früh, und die einsamen Thränen der Versiechenden, Gefesselten, sind vergebens geweint. Wie fern ist dieß von der göttlichen Demuth, die der Stifter unsres Glaubens lehrt. Nicht für den nächsten Tag soll der schwache Mensch sorgen – und wir sorgen für Jahrhunderte!

[129]

33

Kann man sich selbst in die besten Menschen immer finden. Schöne Einstimmung der That und des Worts, die den Mann erst zum Manne macht, wie selten bist du!

Der gute edle Oheim selbst spricht oft mit gefälligem Behagen von den Verwirrungen seiner Jugend, seine Phantasie spielt damit, er erzählt sie sich wieder als ein anmuthiges Mährchen. Nein, Walther, sein Herz hat nie geliebt!

Weh' den Unheiligen, die sich nicht scheuen, das was sie lieben, zu entehren im Schatten der Finsterniß!

Ehre und Unschuld, schöne Glorie um das Haupt der Geliebten, sie nur erhöhen die Blüthe der Schönheit zum Gegenstand einer reinen ewigen Liebe! In der Ehre der Frauen liegt die Haltung der Würde des Geschlechts, des Hausfriedens und Glückes, wie die des Allgemeinwohls.

[130] Das alte Volk, dessen Größe unser Knabenalter noch immer umschattet, in dessen That und Sinn wir zum Manne heranwachsen, wußte das wohl, und aus der Ehrfurcht für die Ehre der Frauen entsprangen neue Umformungen des öffentlichen Lebens; sie war der Freiheit hohes liebliches Symbol.

34

Ich habe sie gesehen, ich konnte es so nicht länger aushalten. Wär' es Sünde? Nein, ihr reines Himmelsbild steht weit über der Leidenschaft, die es mit irdischen Wünschen vermengen könnte.

Ihr unbewußt, habe ich sie gesehen, denn in den Frieden ihrer Seele will ich nicht ferner frevelnd greifen – ich Unseliger, der ihn zerstörte!

Es war ein Fest in der Kirche des Klosters, zu dem das Volk weit herkam. Von meinem [131] guten Mann der einsamen Hütte, wo ich durch öftern Besuch heimisch geworden bin, lieh ich einen groben Bauerkittel, der mich verbarg. In der Morgendämmerung stieg ich den einsamen Gebirgspfad hinauf. Wie hoch schlug mein Herz, als ich mich ihrem Wohnplatz näherte! Wiesen und Bäume schienen mir als von überirdischem Licht umglänzt – ihre Augen hatten darauf geruht.

Schon füllte ein Gedräng von Menschen die Kirche, vom vergitterten Chor erscholl der einfach schöne Gruß an die Himmelskönigin.

Kannst Du es fühlen wie mir wurde, als ich in einer Soloparthie ihre Stimme vernahm? Süß und unendlich sanft waren ihre Laute, aber schmerzlich, wie die Stimme des Leidens aus einer ermatteten Brust.

Ich drängte mich auf einen Platz dem Chor gegen über, sah wie die Augen der frommen Kinder sich unter dem weißen Schleier aufschlugen, und durch das Gitter zu schauen strebten. Eine hohe schlanke Gestalt erhob sich jetzt unter [132] ihnen, ich zweifelte, bebte, hinter dem überschatteten Gitter schwankten die Umrisse, ich konnte sie nicht festhalten. Jetzt schlug ihr himmelblaues Auge sich auf durch eine Kluft des Gitters, und ein Himmelsglanz zitterte durch meine Brust.

Ihr Blick traf auf mich – O Magie der Liebe – er traf auf mich, ich täuschte mich nicht! Wie der Blitzstrahl die nächtliche Gegend erhellt, fiel sein Licht auf mich herab; es war nur ein Moment, aber sein Glanz, seine Seligkeit blieb in meiner Brust. Wie die ersten Blicke, die wir auch an heiliger Stätte wechselten, wo sie mit schuldlosem sanften Gefallen auf mich schaute, wo wir Seele. um Seele tauschten – so war es auch jetzt – nur lag eine schreckliche Kluft zwischen uns – das ging als ein zuckendes Schwerdt durch mein Innres.

Ja, die Liebenden gehören sich an, ohngeachtet aller Schranken des äußern und innern Lebens, werden sich ewig angehören; wie es [133] auch seyn und kommen mag, sie schaffen sich eine neue Welt.

Vergebens suchte ich einen zweiten Blick, stand wie ein Gebannter nach dem Gitter gewendet – es wurde mir keiner.

Geleitet durch jenen geheimnißvollen Zug, der in leidenschaftlichen Augenblicken unsre Kräfte, unsern Scharfsinn verdoppelt, hatte ich schnell die ganze Lage des Gebäudes, seine innern Gänge erforscht. Ich eilte hinaus aus der Kirche, schlich mich am Gemäuer hin, das mein beßres Leben umschloß. Ein hohes Fenster mit eisernem Gitter erstieg ich am schwanken Spalier, das Bäume und Hecken stützte, mich hinter ihnen verbergend. Richtig hatte ich den langen Gang ausgefunden, über den die Nonnen ins Innre des Klosters zurückgingen. Sie erschien unter den Schwestern, still und langsam wandelnd, mit gesenktem Blick auf ihren Rosenkranz. Gott! wie verändert ist das holde Geschöpf! Bleich und welk sind die Wangen, wo frisches rosiges Jugendleben blühte, blaß die[134] zarten Lippen, die sich im stillen Gebet bewegten, und die kleine schöne Hand, wie eingefallen und mager! Eben ließ sie ein Kügelchen an ihrem Rosenkranz fallen, als mein Blick senkrecht auf sie niederfiel. Wundersam muß ich glauben, daß sie ihn gefühlt hat, denn eine leichte Röthe flog über die bleiche Stirn; sie sah sich um, als vernähme sie einen Ruf, faltete sich aber schnell wieder in ihr Innres zurück, betete heißer, als wollte sie einer zudringenden Erscheinung entfliehen. Walther, sie welkt dahin – wird in Kurzem ein Raub des Todes! und ich – ich – habe dieß sanfte hohe Herz gebrochen. Schöner Engel, Du verzeihst mir, ahnest in Deiner himmlisch reinen Unschuld nicht einmal woher Dir der Todesstoß kam. – Aber kann ich mir selbst je verzeihen – nicht Erd' und Himmel bewegen zu ihrer Rettung – muß ich in stummer Verzweiflung untergehen?

Wenn ich mir denke, wie Alles anders seyn könnte, beiße ich knirschend wie ein Gefangener in seine Ketten.

[135] Selbst der Mutter frommer Segensblick, die ihren geliebten Sohn auf dem Pfade des Himmels wähnt, spricht keinen Trost in die versengte öde Brust. Im scharfen Kampf, auf blutigem Schlachtfeld den Tod zu suchen – mir ist's, als könnte mirs dabei leichter werden. Möchte der Zug gegen die Türken endlich gelingen – sie würde weinen, aber ihr frommer Glaube mich nicht tadeln.

Sie hat mir nicht wieder geschrieben, wie es selbst der Bischof zu unserm Trost genehmigte. Wähnt sie unsre Schmerzen zu vermehren?

Mein Gefühl darf jetzt keine Worte für Sie suchen – es ist zerstörend, vernichtend.

Könnt ich für Sie sterben!

35

Gegen den Aufruhr der Bauern in Schwaben zieht sich ein Bundesheer zusammen. Ich [136] werde den Zug mitmachen, ob auch mein Herz blutet, daß die Schwerdter gegen deutsches Volk gezuckt werden müssen.

Und sind wir frei von Schuld? frei von Unterdrückung der Niedern, frei von eigensüchtigem Gebrauch unsrer Macht? Da wo das Gebot der Liebe und Schonung nur herrschen sollte, bei denen, die berufen das göttliche Wort zu lehren und zu predigen, die Entsagung des Irdischen angelobten, brach die Empörung aus. Ich fühle es schmerzlich, Ungerechtigkeit und Eigennutz säten die Drachenzähne – geharnischt ging der Aufruhr auf. Er muß mit der Gewalt des Schwerdts gebändigt werden – so häuft der Irrsinn des Menschen Uebel auf Uebel.

Gesetz, Gerechtigkeit und Liebe zu predigen, das gelobe ich mir heilig, wenn wir die Schwerdter wieder in die Scheide stecken.

36

Ich mußte Anna noch einmal sehen. O Walther! [137] unser Herz ist wie ein Kind, wenn man ihm einmal den Willen that, verlangt es nur unbändiger. Ich hatte bei meiner letzten Wanderung die Klostermauer wohl untersucht, eine enge Schlucht, durch einen Riß in der Gartenmauer, mir wohl gemerkt, sie vergönnte mir die Uebersicht des ganzen Gartens. Dorthin zog es mich mit unwiderstehlicher Zaubermacht. Im Scheideblick der Sonne, nach dem Austönen der Horaglocke, lag ich davor wie ein Gläubiger an der Schwelle des Himmels, bebend, zagend, ob er auch zum Genuß des seligen Anschauens zu gelangen verdiene. Die Beete des Gärtchens, in zierlicher Einfassung, prangten in tausend Blumen; von einem Beete blauer Winden konnte ich den Blick nicht losreißen, mir wars, als schauten mich ihre süßen Augen daraus an.

Lang harrte ich, so schien es meiner Ungeduld. Endlich öffnete sich die Gartenpforte, und holde kleine Mädchengestalten füllten die Wege, gleich Blumen unter den Blumen. Nun erschien [138] sie unter ihnen und fesselte all meine Sinne. Ihr Gang war langsam und matt, ihr Athem schien gepreßt. Sie setzte sich auf eine Bank, nah an meinem Schlupfwinkel. Gott, wie ward mir – meine Worte konnten leise an ihr Ohr dringen – kaum vermochte ichs mich zurückzuhalten. Nur die Furcht, sie zu erschrecken, ihre Zartheit zu verletzen, bändigte das ungestüme Herz. Die lieblichen Kinder folgten ihrer Anordnung zur Gartenarbeit, pflanzten, stängelten, begossen die Blumen, und brachten ihr die schönsten dar.

Eines der ältesten Mädchen setzte sich schmeichelnd neben sie, ein sinniges Gesichtchen, in dem schon jungfräulicher Reiz blühte. Der Bank gegenüber glühte im Gold der Abendsonne ein blühender Pfirsichbaum an der Mauer. Wie schön ist die Natur, wie unendlich gütig ihr Schöpfer! sagte die Himmlischreine mit dem sanften Flötenton, der sich einst beim ersten Laut so innig in mein Herz schlich. Recht zur reinen Freude des Menschen hat Gott die Blumen[139] geschaffen. Jeder Frühling verkündet uns ihr Aufblicken aus dem verschloßnen Schoos der Erde, den Hauch des Allliebenden, der alles vom Tode erweckt, anweht, und in Luft und Licht trägt. Auch Dich, mein liebes Kind, wird er liebend durchs Leben tragen, wenn Du mit frommem Herzen immerwährend nach ihm aufschaust. Bald wirst Du zurück zu den Deinen kehren, gedenke der Lehren, die an diesem stillen Ort Gott mir vergönnte an dein Herz zu legen. Oft rufte ich ihn hier im Stillen um seinen Segen an, denn schwach und arm ist bei all seiner warmen Liebe das Thun des Menschen.

Schwester Anna, rief die Kleine unter einem Thränenguß, soll ich wirklich von Dir scheiden? Nie, nie werde ich Deine Liebe vergessen, Deine sanften Lehren!

Laß sie Dir gegenwärtig bleiben, sagte Anna sehr gerührt, so werden wir nie getrennt seyn. Unsre Jugend ist ein Frühlingsgarten, in dem uns die Gestalten des Lebens frisch, bunt und freundlich anlächeln, aber die heiße Sonne des [140] Sommers entblättert sie, der Herbststurm zerstört sie. Die Kraft zum neuen Erblühen kann nur ein reiner, fest in sich gegründeter Sinn verleihen, er ist die Wurzel unsers Daseyns, und das Schauen auf die ewige Sonne der Wahrheit und Liebe, auf Gott.

Mögest Du glücklich werden, geliebtes Kind! Sind wir auch selbst mit allen Wünschen der Erde abgefunden, mit allem Erdenglück, so sucht unser Herz es dennoch für die, die wir lieben. Mögen die Opfer, die von uns das Geschick fordert, ohne Stürme von Dir dargebracht werden! Sieh, wie schön dort der Abendstern leuchtet.

Ach, der die Blumen und Sterne schuf, an seinem ewigen Herzen trägt, läßt uns vielleicht im schönern Glanz dort alle verlorne Blüthen neu aufgehen!

Ihr blaues Auge hing an dem lichten Stern. Durchdrungen von der Heiligkeit ihres Schmerzes, mußte ich hinwegeilen, gleichwie geläutert, erhoben in der himmlischen Hoffnung ihrer Seele.

[141] Aber als ich das Kloster aus den Augen hatte, fiel mich der finsterste Unmuth wieder an, umklammerte mich wie mit Riesenarmen, über mein Jammergeschick – so nennen wir Thoren die Frucht unsres eignen Unsinns, unsrer Schwachheit.

Nähme mich Gott an, als ein Opfer für das Recht in einer Schlacht, wo Tausende fallen, die das Leben lieben, das ich hassen muß!

Das Schönste und Liebste was man besaß, hingeopfert zu haben, durchzuckt Nerven und Adern, im immer neu wiederkehrendem Todeskrampf.

Mit Neid gab ich dem guten Mann der Hütte seinen groben Kittel zurück. Nur in der Einfalt der Natur ist Freude und Freiheit, und ists nicht unsre unverzeihlichste Sünde, wenn wir den Stand, in dem der Mensch durch mäßige Arbeit sichern einfachen Genuß, im Athem der ewig neuauflebenden, lohnenden Natur finden kann, als den Gegenstand unsrer Habsucht, als den Diener unsrer wilden Leidenschaft[142] betrachtend, um sein frohes harmloses Daseyn betrügen? Kann man's ihm verargen, daß er, seiner Qualen müde, sich seiner mäßigen Ansprüche bewußt, endlich aufsteht, sich gegen sie zu waffnen?

Und dennoch müssen wir für die Erhaltung der Ordnung jetzt kämpfen, um daß nicht noch Schrecklicheres entstehe.

Aber meinen letzten Athemzug will ich anwenden, Schonung zu predigen, das Uebel im Ausbruch zu dämpfen.

37

Gräuelthaten sind geschehen – aber zuerst hielten wir nicht Wort.

Ich gehe zu des wackern Fronsbergs Heer. Die wild losgekettete Wuth muß gedämpft werden, aber dann walte Menschlichkeit und Recht, sie wohnen in seinem Herzen.

Auch Anna's Vater finde ich dort.

[143] Eine neue Kraft scheints hat mich belebt. Ja der Männerhand gebührt das Schwerdt – sein glänzender Strahl entlockt dem Herzen sprühende Lebensfunken. O wie weit lieber und kräftiger, in der vollen Einstimmung meines Innern, übte ich die Kraft meines Arms gegen die Feinde unsres Glaubens? Ich übe meinen kleinen Haufen. Mir wird besser im freien Feld. Ich kann besser und kräftiger beten im seligen Gefühl der Erhörung, wenn mein Auge den blauen Himmel über sich ausgespannt sieht. Das Allgegenwärtige, Heilige, ist mir näher als in der Pracht der Gebäude, die doch nur die unermeßliche Natur nachahmen wollen, die Wölbung des Himmels, den Glanz des ewigen Lichts, die Blumenpracht der Erde um ihre Säulen gewunden.

Entsagung und Geduld fesseln die Geister in diese Gemäuer – die schwache, hülfsbedürftige Kindheit finde da Hülfe und Lehre, das Alter Trost. Für Wald und Feld ist der Mensch geschaffen; wenn sie mein Roß durchfliegt, [144] fühle ich mich allem Guten näher. That gebührt dem Mann in seines Herzens Drang.

Falle ich, – Dir Walther, gestehe ich es, daß ich es wünsche, denn der Streit im Innern reibt mich auf, – so gedenke Ihrer. Sey Ihr Trost, Ihr Bruder statt meiner, wie auch Deine Hausfrau sie schwesterlich liebt. Wohin sich die Wogen des Aufruhrs wälzen, die uns immer dichter umdrängen, ist noch nicht zu bestimmen. Für jetzt liegt Dein Schloß noch sicher. Meine treuen Diener sollen meinen Leichnam zur Ruhestätte bringen in den Mauern, wo Sie wohnt. Befiehl auch Du dieß den Meinen an, die ich mit trüben Gedanken nicht beunruhigen mag. Sie wünschte einst neben mir zu ruhen, im langen Schlaf, bis der ewig Lebende uns neu erweckt. Leb wohl!

38. Anna an Bertha

So still auch meine Tage hinfließen, in liebevoller Thätigkeit für die Kinder, die mir immermehr [145] ins Herz wachsen, so vermag ichs nicht, die Gewalt dieser Erscheinung, die so mächtig in mein Leben griff, zu besiegen. Sie dringt hervor aus dem tiefsten Schatten meiner Seele, und an ihrer Gluth versiegt mein Leben.

Ich habe ihn gesehen – ich täusche mich nicht. Sein Auge suchte mich hinter den Gittern des Chors an einem Fest, wo die Kirche voll Menschen war: es war derselbe Blick, der mir das Herz entriß. Sinnlos fiel ich in die Arme der Mutter – und als ich aus der Ohnmacht erwachte, war die Kirche leer. Noch als ich nach meiner Zelle zurück wankte, umgab mich schauerlich die Seligkeit seiner Gegenwart. Ihn zu schonen, durfte ich nicht reden, mir keine Frage erlauben, und Alles in mir selbst verarbeiten. Zweifeln und Hoffen – ach, auf was dürfte ich hoffen? Muß ich ihm nicht die Stille wünschen, die mir fehlt?

Immer nah ist uns das Andenken derer, die wir lieben, aber dürfen wir nicht annehmen, es sind unsrer Sehnsucht Momente des überirdischen [146] Trostes gewährt, in denen die Gedanken der Getrennten sich in geistiger Gemeinschaft finden außer den Banden der sinnlichen Welt?

Noch eines Abends im Klostergarten hatte ich ein unaussprechliches Gefühl seiner Nähe. Mir war es, als schwebte seine Gestalt mir aus der Luft entgegen, so daß mir der Athem entging, und ich mich auf eine Bank setzen mußte. Ich kämpfte dagegen, hielt mich zusammen im Gespräch mit meiner Emma, die mich bald verlassen wird – aber immer lichter wurde die Erscheinung, und schien mir endlich aus dem Abendstern entgegen zu kommen.

Es ist wohl recht thöricht, Dir dieß Alles zu sagen – ich will ja nur auf ein Wiedersehen jenseits hoffen, und dennoch nehme ich solch tröstende Momente mit Dank an. – Ists der Engel der Liebe, der mir sie sendet? Hat nicht alles Gute seinen schützenden Engel?

[147]

39

O Bertha! welche Tage des grauenvollen Entsetzens, des Schreckens, liegen zwischen meinen letzten Zeilen an Dich! Welchen Strahl des Himmels senkte der Allgütige in dieser dunkeln Nacht auf mich herab. Wir wurden gerettet durch Ihn! Ottomar war sichtlich mein Hülfsengel – Und jetzt! – es trennt mich nur eine dünne Wand von seinem Zimmer. Er lebt, er athmet neben mir, schwer verwundet, doch darf ich seine Genesung hoffen. Mir, mir gab Gott den Trost, seine Pflegerin zu seyn, ja es ist meine Pflicht, das von ihm geschenkte Leben auch ihm zu weihen – Ihm, von dem ich mich für diese Welt getrennt glauben mußte!

Ich will suchen, Dir die Begebenheiten klar darzustellen, wie ich sie aus seinen Erzählungen, aus den mich umdrängenden Gerüchten zusammen zu reihen vermag.

Die Kunde des Aufruhrs in Schwaben drang zu uns, aber verworren waren die Gerüchte, es [148] schien uns, als vergrößere die Furcht das Uebel. Bald hörten wir aber die verübten großen Thaten des verirrten Volkes, die sich uns näher zutrugen, zugleich, daß das Heer des Bundes gegen die Empörer vordrang, und wir blieben furchtlos in unserm stillen Thal, keine nahe Gefahr ahnend, bis uns das Netz des Verderbens überzog. Warnende Boten sandten uns die Freunde, aber unsre ehrwürdige Mutter wollte nicht von dem ihr anvertrauten Platz weichen, bis zur dringendsten Noth. Wir sendeten unsre Zöglinge ihren Familien zu, und in stiller Ergebenheit harrten wir des Entschlusses der frommen Mutter, und folgten ihrem Willen. Botschaft vom Herannahen unsres Heeres machte uns sicher. Wir saßen vereint im traulichen Gespräch, als die Pförtnerin hereinstürzte und verkündete, daß man ein wildes Getöse im Thal vernähme, das uns immer näher zu kommen scheine. Wir stiegen auf den Thurm, und erkannten in der Abenddämmerung ein anziehendes Heer. Sind es die Unsern? ist es das [149] Bundesheer, fragten die Schwestern ängstlich? Keine Kriegsmusik ertönte, keinen geordneten Haufen erkannten wir, nur ein wildes Toben und durcheinander Schwärmen. Die Finsterniß der Nacht umzog das Thal immer tiefer, und verhüllte uns die Gegenstände, aber das wilde Getös drang immer lauter an unser Ohr, und in der Ferne sahen wir ein Dorf in Flammen aufgehen. Es ist das Bauernheer, sagte mir die Aebtissin leise. Komm, folge mir zur Kirche, laß uns unsre Heiligthümer retten, und dann mit den Schwestern in den nahen Wald entfliehen – Gott wird uns leiten und schützen. Wir eilten zur Kirche, die an der entgegengesetzten Seite lag. An der Klosterpforte entstand der fürchterlichste Lärm, ein Gebrüll der rauhesten Stimmen, mit höhnendem grassem Gelächter, tönte an unser Ohr, vor dem das Herz erzitterte. Flammen schlugen um die Kirchenfenster, und wir wollten uns in eine Seitenkapelle retten, als die Kirchenthür aufsprang, und ein wilder Haufen hereindrang. Die lodernden Flammen [150] erleuchteten diese Schreckensgestalten der Hölle, Wuth und Frechheit lag auf den grassen Gesichtern. Die Mutter und ich hielten uns in tödtender Angst umfaßt.

Haltet ein! rief eine helltönende Stimme zur Kirchenthür herein. Der ist des Todes von meiner Hand, der die heiligen Jungfrauen berührt! Bertha, es war Ottomars Stimme – die geliebte Stimme war es, die uns Rettung verhieß. Du fühlst mein freudiges Erstaunen. Im hellen Schein der Flamme sah ich sein Antlitz, gleich dem Kriegsgott, leuchtend in Zorn und allbezwingender Macht, unter einem Helm. Nur ein Bauernkittel umgab seine hohe Gestalt.

Durch die Zaubermacht seines Wortes gebändigt war Aller Wildheit um uns her. Er nahm mich und die Mutter in seine Arme, und führte uns durch den wüthenden Haufen.

Immer neue Schreckensgestalten drangen durch das Klosterthor ein; er zog uns in einen Kreuzgang und sagte: Euch und das Fräulein [151] vermag ich zu schützen, ehrwürdige Frau, nicht das Haus zu retten, das die Beute der Barbaren werden wird. Ich führe Euch durch die kleine Pforte hinweg. Wir fanden sie offen, die Schwestern hatten sich dahin geflüchtet, erwartend was aus uns geworden sey. Alle entflohen auf Ottomars Wort durch den Garten. Er hielt mich fest umfaßt. Schrecken und Freude wogten durch meine Brust, mein Herz schlug hoch an seiner Seite. Meine Anna, sey ruhig! sagte er mit sanftem Himmelston, keine Gewalt kann Dich von meiner Seite reißen, auch die Deinen sind gerettet, fürchte nichts mehr.

Das Leben drohte aus meiner Brust zu entfliehen, im Widerstreit all dieser Gefühle. Er faßte mich Bebende auf seinen Arm, der Ohnmacht nahe, umschloß der meine seinen Hals. Die Mutter folgte, und bald waren wir in dem nahen Wald, wo er mich in einer Köhlerhütte sanft niederlegte, und mir einen Moment zu ruhen gebot. Die Schwestern versammelten sich um uns, alle waren glücklich entkommen. Auf [152] seinen Ruf kamen seine Leute, und führten ihm zwei Pferde zu. Nicht alle dürften wir dieselbe Straße ziehen, sagte er, unten am Rhein lägen zwei Schiffe bereit, uns überzuführen. Nun ordnete er den Zug. Er übergab die Schwestern zwei sichern Führern, sprach Allen Trost und Muth ein; der Bergesschluchten und aller Pfade wohl kundig, bezeichnete er jedem seinen Weg aufs genaueste. Als einen Engel, zu unsrer Rettung gesandt, dankten ihm alle, und gehorchten vertrauend seinen Worten. Einem Diener gab er die Mutter aufs Pferd, mich nahm er in seinen Arm auf das seine.

Als wir auf die Anhöhe kamen, sahen wir unsre Wohnung des Friedens in Flammen stehen; sie beleuchtete unsern Pfad im Dunkel der Nacht.

Halt, Verräther! schallte es aus dem Dickicht des Waldes, dicht neben uns, du bist ein verkappter Ritter, jetzt kennen wir Dich. – Blanke Schwerdter blitzten durch die Nacht. Elende, rief Ottomar, hab' ich mich Euch zu Mord und [153] Brand vereint, zu wilder Wuth gegen hülflose Weiber? Zu dem, worin ihr Recht habt, zum Frieden wollte ich Euch führen, zum Throne des Kaisers als Reuige – nicht um Verbrechen auf Verbrechen zu häufen.

Die Schwerdter zuckten um uns. Er stieg vom Roß, befahl mir, mich zu halten, die Zügel dem Pferd zu lassen, es würde mich den Waldpfad sicher hinab tragen. In seiner Gefahr war all mein Muth wiedergekehrt. Nie wußte ich ein Schwerdt zu heben. Ich fühlte die Kraft in meinem Arm es zu führen. Ich nahm den Zügel des Pferdes, das die Mutter trug, und war entschlossen nicht von der Stelle zu weichen. Ottomar vertheidigte sich gegen drei Angreifende. Bald lagen zwei zu Boden gestreckt. Auch durch den Diener fiel einer, und die übrigen entflohen. Es ist vorbei, sagte er zu mir zurückkehrend. Wie ist Dir, meine Anna? Mit Hülfe des Dieners bestieg er das Roß, seine Stimme war matt, ich fühlte seine Kleider naß vom entrinnenden Blut.

[154] Ihr seyd verwundet! rief ich; nehmt meinen Schleier, edler Herr, bat ich flehend, stopft die Wunde. – Sey ruhig, sagte er sanft, es ist nur leicht, und bald sind wir am Ziel. Ich hielt die Hand mit dem Schleier über die Wunde, sie war dicht am Herzen. Er drückte sie an sich und sagte: O mein Gott! nimmst Du mein Leben von mir, so laß mich sie erst gerettet sehen, und ich sterbe glücklich!

Der Mond war aufgegangen, und in seinem Licht glänzte der Strom vor uns. Der Diener rief nach dem Schiffe. Ich stieg vom Pferd, half ihm mit dem Diener herab, und bat ihn flehentlich, sich zu schonen. Ja, für Dich will ich es, sagte er mild; und an meinem Arm, auf den Diener gestützt, erreichte er das Schiff. Er gebot den Schiffern Eile, die ihm von ihren Geräthschaften einen Sitz bereiteten; an ihrer Leuchte erkannten wir seine Stirn mit der Blässe des Todes umschattet. Er wollte keine Bemühung um sich dulden, und hielt nur meine Hand über der Wunde fest. Dank Dir, Ewiger! [155] sagte er, als wir uns in der Mitte des Stroms befanden, Du bist gerettet, holder Engel!

Die Mutter untersuchte nun, da er es gestattete, die Wunde, wir stillten das Blut, wie wir vermochten, und erhielten ihn vor der Ohnmacht durch geistige Mittel, die die Schiffer bei sich führten. Die Mutter und ich hielten wechselnd sein Haupt an unsrer Brust. Mit matter Stimme machte er Anordnungen für uns, und bezeichnete uns einen Ort, wo wir sicher seyn könnten, sich selbst ganz vergessend. Ihr werdet uns erlauben bei Euch zu bleiben, edler Herr, sagte die Mutter aus meinem Herzen, bis wir Euch ohne Unruhe verlassen können. Liebevoll dankend, beugte er sein Haupt. Die Rosse standen dicht neben uns im Schiff. Lebe ich, meine Anna! so soll das Roß, das Dich getragen, gerettet, nie einen andern Herrn haben; wo nicht, so trage Du dafür Sorge.

Thränen erstickten meine Stimme, ich antwortete nur durch einen Druck seiner Hand. Wir hatten ihm den Helm abgenommen, die [156] schönen Locken umwallten sein Haupt, der Mondstrahl fiel durch die Wolken ein, sein Blick war nach den Sternen gerichtet – wie die eines Heiligen, der bald zum glänzenden Engel wird, leuchteten seine Züge.

Wir erfuhren durch den Diener, denn ihm selbst geboten wir Schweigen, daß er auf der Reise zum Bundesheer, den auf die Gegend des Klosters vordringenden Haufen wahrgenommen, kein andres Rettungsmittel gesehen, als sich in einen Bauerkittel zu verhüllen, und den Wüthenden zuzugesellen. Der Hauptmann, von Ottomars hoher Gestalt ergriffen, habe ihn, als einen tüchtigen Gesellen, wie er hoffte, mit Freuden aufgenommen, und nach wenigen Stunden habe er eine Obermacht über den ganzen Haufen. ausgeübt, und gehofft, ihren Plan auf das Kloster abzuleiten.

Die reiche Beute, die es versprach, habe dennoch alle Wildheit wieder losgekettet, und ein warnender Diener, den er uns gesandt, müsse den Weg verfehlt haben, oder von den [157] umstellenden Wachten aufgefangen worden seyn. Für mich, Bertha, für mich hat er das Alles gewagt, gethan – muß mein ganzes Leben nicht in jedem Odemzug Sein bleiben?

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Wir landeten an einem kleinen Städtchen des entgegen liegenden Ufers. Ottomar hielt es nicht sicher vor feindlichem Ueberfall, und verlangte nach einem entfernten Landungsort zu steuern. Aber seine zunehmende Schwäche gebot eilig Hülfe zu suchen; er gab unsern Bitten nach.

In einer Hütte bei guten Leuten fanden wir ein Obdach. Ein Wundarzt kam herbei, er fand die Wunde bedenklich, doch nicht tödtlich.

Die Mutter sagt selbst, wir dürfen ihn nicht verlassen. – Nie, nie würde ich es auch vermocht haben, für Welt und Himmel nicht.

Mancherlei Menschen umgeben uns, denen nicht recht zu trauen ist. Seine Rüstung verrieth den Ritter, aber ein guter Mensch, obgleich [158] ein Anhänger Luthers, ein Protestant, der Gewalt über das Volk hat, ward schnell unser Freund, und hat uns in seinen Schutz genommen.

Er verläßt Ottomar nicht. Seine Liebe für ihn gewinnt ihm mein Herz, auch die Mutter versöhnt sein treuer Antheil, sie duldet seine Reden über Gegenstände der Glaubenslehre, ob sie ihr auch unheilig dünken.

Durch einen sichern Boten habe ich Nachricht von der Mutter; ihre Sorge um mich bei Bestürmung des Klosters wurde früher durch Ottomar beschwichtigt; sie vertraute seinem Versprechen, mich zu retten, was er ihr vom Bauernheer zuzusenden vermochte. Sie segnet ihn tausendfältig. Der Vater ist beim Heer des schwäbischen Bundes, wird auch durch sie über sein Kind getröstet werden.

Ottomars Zustand bessert sich, seiner Heilung sind wir gewiß, aber große Schonung und Sorgfalt bedarf er, um einen neuen Aufbruch der Wunden, der tödtlich werden könnte, zu verhüten. [159] Sanft und gefällig nimmt er meine und der Mutter Dienste jetzt an, ja ich fühle, daß sie sein Herz erfreuen.

Wie schön ist das Leben, meine Bertha, das ihm geweihte! In seiner Gegenwart umdringt es in all' seiner Wahrheit mein Herz mit noch nie gefühlter Zufriedenheit. Wenn alle lieben Wünsche und Träume in lebendige Gestalten sich umwandeln, sich lösen vom unendlichen blauen Grunde der einförmigen Sehnsucht, in frischen Farben von der Sonne der Liebe umglänzt – dann ist es erst Leben zu nennen.

Um uns zu verbergen, mußten wir sogleich unsre Klosterkleidung ablegen. Die Mutter nahm das Gewand einer alten Bürgerin, unsrer Hausfrau, an. Ich habe mir die Kleidung eines artigen Bürgermädchens verschafft.

Als Novize besitze ich meine Haare noch, und sie umgeben meinen Kopf in Flechten, durch eine goldne Nadel gefesselt. Ich trage ein blaues Leibchen über feines Linnen, das Hals und Ermel umkräußelt, durch goldne Kettleins zusammengeschnürt, [160] einen langen faltigen Rock und weiße Schürze. So besorge ich die Geschäfte des Hauses, und als ich Ottomar zum erstenmal das Mittagsessen brachte, sah er mich recht lieb und freundlich an. Ich mußte ihm den Teller nah halten, um daß keine Bewegung ihn aus der ruhigen Lage brächte, und mich an sein Bett setzen.

Sanft legte er die matte Hand auf mein Haupt und sagte: wie freut es mich, meine holde Anna noch im schönen Schmuck der Jugend zu sehen!

Nur noch kurze Zeit, sagte die Mutter, und die blonden Flechten wären am Altar der Einkleidung gefallen. Ich fühlte ein Zucken in seiner Hand, die sich von meinem Haupte aufhob. Wie lieb war es mir in diesem Moment seiner Freude an mir, daß ich im Gehorsam gegen meinen Vater die Novitzenzeit verlängerte, mein ungeduldiges Herz bändigte, das sich so rasch der Entscheidung meines Schicksals entgegendrängte! Auch scheinen mir die Rosen der Wangen zurückgekehrt (ich war erhitzt, da ich beim Feuer [161] gestanden) sagte er, mich mit lieben forschenden Blicken anschauend. Als ich sie hinter der Gartenmauer, im Garten bei den kleinen Mädchen sah, waren sie bleich, ich fürchtete, die zarte Knospe des Lebens sey gebrochen. – Wie, ihr habt mich gesehen, edler Herr? fragte ich verwundert. Er nickte, und fuhr fort: die Abendsonne umgoldete die Pfirstchblüthen, und mild und lehrreich waren Eure Warnungen an den scheidenden Zögling! Ich fühlte, wie all' mein Blut in die Wangen drang, legte den Finger auf den Mund, um ihm Schweigen zu gebieten, nach der Verordnung des Wundarztes.

Er hat mich gesehen, Bertha! so war es keine Täuschung, da ich wundersam seine Nähe fühlte an jenem Abend!

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Sein Herz ist sehr bewegt. In den Abendstunden des heftigern Fiebers umgaukeln ihn tausend Traumbilder aus seiner innern Welt. [162] Er geht in Schlachten, ordnet an – oft ergießt sich sein Herz in Klagen. Tief ergriff es mich, als er letzt ausrief: Schöner Garten, schönes Rosengebüsch, wo ich mit ihr wandeln könnte – aber eine tiefe schauerliche Felsenkluft steht zwischen uns. Giebts keinen leitenden Steg, der hinüber führt? Nein – hinab – und in einem lauten Schrei erwachte er. Er schaute ängstlich um sich, rieb sich die Stirn, als wollte er einer bangen Erscheinung los werden – ich hielt mich hinter dem Schirm und verließ unbemerkt das Zimmer. Ach, es geht ein Faden der Wahrheit durch diesen Fiebertraum – Liebe und nothwendiges Entsagen.

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Unser neuer Freund, den man den Pater Philipp nennt, hat eine so herzliche Zuneigung zu Ottomar gefaßt, er fühlt seinen Werth so tief, daß er mein ganzes Herz für sich gewinnt. Nicht zudringend mit seiner Lehre, verläugnet er dennoch [163] keinen Augenblick seine Ueberzeugung. Er fühlt, daß ich dem Gespräch folgen kann, da ich durch des Vaters Unterricht mit Manchem bekannt bin, und richtet sich oft an mich, den Ausspruch meines offnen reinen Herzens zu vernehmen, wie er es mit vorgefaßter Neigung mir beimißt. Er liest uns die Schriften des Gewaltigen, der der Welt eine neue Richtung zu geben strebt, und vieles rührt mich tief. Ich bin sehr schüchtern, vor Ottomar meine Meinung auszusprechen, aber ohne Worte liest er sie in meiner Seele.

Heut las uns der Pater die Schrift an die empörten Bauern – mit welchem Unrecht zeiht man Luther den Aufruhr zu begünstigen! Auch in Ottomars Sinn ist diese Schrift, auch er wünscht Abstellung unnützer Bedrückung; sein edler Sinn will nur Freiheit in der Gerechtigkeit und Liebe. Dabei biete ich Eurem Meister vertraulich die Hand, guter Pater, sagte Ottomar. Nicht allein in diesem, edler Herr, erwiederte der Pater, ihr werdet es in mehrerm noch thun. Sprachen wir nicht gestern von unmenschlichem Zwang ewiger[164] Gelübde, mit denen die Kirche in spätern Zeiten das arme Leben des Menschen belastet, von dem die ersten Stifter, im reinen Verstehen der göttlichen Schriften, schwiegen?

Eine zarte Röthe flog über Ottomars Gesicht, ich schlug die Augen nieder, und der Pater, errathend, daß er eine zu zarte Saite berührt hatte, gieng mit feiner Wendung in Allgemeines über. Die goldne Brücke der Dichtkunst führt am schönsten aus den engen Lebensverhältnissen hinaus.

Er erbot sich mir aus den Griechischen Tragikern zu verdeutschen, und bald fühlten wir uns in die hohe wahre Natur dieser Dichtung hineingezogen.

O wie schön ist ein vereintes Empfinden mit dem Geliebten der Seele in den Meisterwerken der Kunst!

Höhere Gestalten umfangen uns; wie in reiner lichter Aetherluft schweben die Gemüther vereint in seliger Eintracht.

Wir hatten Ottomars Lager an das kleine [165] Fenster gerückt, so daß er auf die grünen Wogen des schönen Stroms schauen konnte, und in die lieblich ernsten Gebirge der entgegen liegenden Ufer. Der röthliche Schimmer des Abends umglühte sein Antlitz, sein Auge suchte das meine immerwährend, es leuchtete Ruhe und Liebe – Wie glücklich war ich! Ich dachte nicht über die Gegenwart hinaus, die Vergangenheit lag hinter mir mit einem Lichtstreif seiner Liebe erhellt, in der Zukunft gieng sie als ein lichter Stern mir wieder auf. Denken wir uns nicht die Seligkeit, die Ewigkeit als ein Entrücken der Zeit, als ein Meer der Liebe, das uns aufnehmen wird?

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Ich habe einer Predigt unsres Freundes Philipp zugehört, mit Ottomars Einwilligung. Sie hat mich tief bewegt, und die Ueberzeugung, daß diese Männer nur die Freiheit in Gott wollen, [166] hat mich durchdrungen. Philipp ist ein Schüler Melanchthons, des milden Freundes des gewaltigen Luthers. Er erweckt das Herz in rein menschliche Empfindung; einfach und klar legt er die Worte der heiligen Schrift aus. Mein Verstand konnte die Wahrheit einsehen, mein Herz einstimmen ins Gebot der Liebe und Duldung, das ihn seine eigne Natur lehrt. Eine Vereinigung von Brüdern, die im Vertrauen das Wort des Vaters hören, scheint mir der evangelische Dienst – Niederwerfen des Menschen vor dem Unsichtbaren, der unsre.

Als ein Lehrer, der uns vom Göttlichen überzeugen will, aus dem innern Licht der selbstempfundenen Wahrheit, steht der Priester hier vor uns, als ein Führer und Leitstern aus irdischer Schwachheit hinauf zum bessern Licht – Nicht als einer, der sich die Schlüssel des Himmels anvertraut wähnt, und, selbst als ein kurzsichtig beschränkter Mensch, unser Innres wägen und richten will, was allein Gott, der allmächtige und allwissende Herzenskündiger vermag. Aufrichtige [167] Rückkehr auf den Pfad des Guten, klares Einsehen des Irrthums, kann uns allein helfen; das ist der Ablaß von Sünden, nicht gedruckte Indulgenzen. Von jeher empörte sich mein Herz gegen jedes Verdammungsurtheil von kurzsichtigen Sterblichen gesprochen. Es schien mir ganz gegen den Sinn des Erlösers.

Tief ergriffen mich die Gesänge, die Vertrauen auf Gott, innige Demuth und Unterwerfung gegen den Willen des Ewigen, in einfachen aber mächtigen Melodien in die Seele ergießen. Ich sprach mich offen gegen Ottomar über alles dieses aus. Er hörte mich sanft an und sagte: Innige Ueberzeugung ist das Heiligste im Menschen, sie ist ihm die Stimme der Gottheit. Keiner vermag mehr als mit That und Wort dazustehen, wo ihm die Wahrheit ist. Aber mit stillem Herzen muß er sich ihrem Heiligthum zu nähern suchen. Das ist nicht immer leicht. Bei diesen Worten überflog eine leichte Röthe seine Wangen. Die Mutter trat herein, vor ihr vermied ich alle Gespräche, die Glaubensgegenstände [168] berühren; sie ist leicht dabei zu verletzen; die sanfte Seele möcht' ich nie kränken.

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Welch süße Freude gewährt es, einen geliebten Genesenden das Leben aufs neue umfassen zu sehen! Vor jeder Blume, die ihn erfreut, vor jedem warmen Sonnenstrahl, vor jedem sanften Westhauch, der die matte Brust anweht, möcht ich dankbar niederknieen.

Heut führten wir ihn zuerst in den kleinen Garten. Die Mutter, unser Freund Philipp und ich unterstützten ihn. Nach dem ersten Blick des Dankes gen Himmel, fiel der zweite auf mich, freudig strahlend, als wär' ich ihm auch mit dem neuen Leben geschenkt.

So ists auch, Vertha, denn so innig ich ihn auch liebte, so fühl' ich doch tausend neue Bande zwischen uns, aus dem verirrten Leben gewebt. Es ist, als gehörte er mir, als gehörte [169] ich mir selbst mehr an, wie thöricht dieß auch klingen mag, seit ich so ganz nur für ihn leben gelernt in den einfachsten Verhältnissen der Natur.

Trösten, Leiden mildern, pflegen, ist ja unser Beruf. Welche Seligkeit lag darin, diesen für Ottomar zu erfüllen! Jedem Leidenden soll ein Abglanz dieser Seligkeit in erhöhterem Eifer in mir werden, wenn – vermag ich's, die Trennung von ihm zu denken? – und doch naht sie fürchterlich. Vergieb mir den Wunsch, daß der letzte Pulsschlag sie begleiten möchte; hinter ihr liegt nur eine dunkle Wolke.

Er wird zum Bundesheer stoßen, sobald seine wiederkehrenden Kräfte es erlauben – und ich?

Laß mich noch Alles vergessen, Nichts denken beim Aufgehen der Sonne, als daß ich für ihn heut leben werde, und Abends aufschauen dankend nach allen Himmelsgestirnen, daß ich für ihn gelebt habe.

[170]

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Ich ehre sein Schweigen, aber ich fühle es, er ist oft tief ergriffen von Philipps Gesprächen, von dem Gang der Begebenheiten, der Fluth der Meinungen, die Tausende in eine neue Bahn führen. Ueber alles heilig ist mir der Friede seiner Seele, das traust Du mir zu. Nicht immer habe ich die Freiheit vor ihm, die mir fürwahr die reine Gesinnung geben sollte, die in mir lebt, mein Glück nur da möglich zu finden, wo die ewige Wahrheit ihm das seine kund thun wird.

In einem Moment der innigen Uebereinstimmung unsrer Gemüther sagte er gestern, nach einem Gespräch mit Philipp, an dem ich auch Theil genommen hatte: wie freut es mich, mit meiner theuren Anna sprechen zu können, wie mit einem Freund, auch im Denken ihr die Tiefen meiner Seele zu erschließen!

Folge Deiner Ueberzeugung; ein so reiner Sinn kann nicht irren. Verletzt ist Dein Herz von Allem, was Mangel an Liebe und Duldung [171] Hartes ersann, um ins innre Heiligthum des Menschen, sein Wahrheitsgefühl, zu greifen. Das meine ist es nicht weniger, doch nicht so himmlisch lauter als Du, muß ich mich waffnen gegen Alles, was der Leidenschaft schmeichelt. Dort liegt das Glück, und das Glück soll nicht ablocken vom stillen Pfad ernster Betrachtung, auf dem wir unsren Leitstern suchen müssen.

Auch Andre vielleicht würden mir folgen, ihr Geschick läge auf meiner Seele.

Sein Auge ruhte auf mir mit himmlischer Klarheit, eine zarte Röthe flog über seine Wangen.

Ich werde Euch folgen, theurer Herr, lag auf meinen Lippen; ich vermochte nicht es auszusprechen.

O Bertha! wenn der stolze Gedanke mich faßt, als sey ich die Lebensgöttin des Glücks für ihn, dann umstrickt mich die bange Sorge. Wolken irdischer Wünsche, könnten sie die heitre Himmelsluft seines Geistes umschatten? Gott rette der schönen Seele ewiges Heil, aus mir werde was da wolle!

[172] Aber sind nicht viele der Edlen für den Verkünder der neuen Lehre? Bot ihm nicht Franz von Sickingen den Schutz seiner Burg? Begegnet nicht der Vater manchen seiner Meinungen, der der Glaubensfreiheit, die sich nur an die Schrift hält, der Trennung von Rom, des Frevels ewiger Klostergelübde? Sagst Du mir nicht selbst, daß dein Walther sich dahin neigt? Ewiges Licht, bei dem die Wahrheit wohnt, erhelle Ottomars Seele!

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Unser Freund Philipp hofft auf Ottomar, in ihm hoffen viele der Guten, er werde mit dem wackern Frondsberg als ein Vermittler auftreten zwischen dem empörten Haufen und dem Bundesheer. Mit Gerechtigkeit und Milde werde er die, die nur Menschliches wollten, sondern von denen, die Gräuel übten aus wildem verderbtem Herzen. Jene zu treuem Ordnungs-und [173] Pflichtgefühl zurückrufen. Als einen Engel des Friedens denke ich mir Ottomar so gern! Ja, wie er, müssen die Bothen des Himmels ausgesehen haben, die in der Menschheit erschienen, so wie uns die heiligen Bücher lehren.

46

Bedenklich trat Philipp heut zu uns herein, fragte sorglicher, ob Ottomar sich getraue bald die Reise zu unternehmen? rieth, seine Kräfte zu prüfen. Das alles machte mich besorgt, da er bis jetzt selbst alles gethan, um ihn zur Ruhe zu verweisen.

Das Roß wurde in einen verborgnen Hofraum geführt, denn wir sind von Aufpassern umgeben. Erfreut kam Philipp, mich und die Mutter zu rufen, wir sollten unsren Pflegling wieder zu Pferd sehen.

An meiner Freude wirst Du nicht zweifeln, Bertha, aber laß Dir meine Schwachheit gestehen, [174] das Ende des schönen Lebens mit ihm, für ihn, lag wie eine dunkle schwere Wolke auf meinem Haupt. Stattlich und schön sah Ottomar aus, das fügsame gelenke Roß, schien es, freute sich ihn wieder zu tragen, und ging sanften Schritts, seinen Muth bändigend, einher. Er reichte mir und der Mutter die Hand mit den Worten: Euch edlen Frauen danke ich das neue Leben, das ich fühle, in Euch sey es allem Guten geweiht!

Der Wundarzt ermahnte noch zu großer Schonung.

Meine theuren Freunde, begann der gute Philipp beim Abendessen, es war mehr als freundliche Ungeduld, sich der Genesung unsres Freundes zu erfreuen, die mich antrieb, seine wiedergewonnenen Kräfte er proben zu wollen. Gefahr droht, und kann schnell über uns hereinbrechen. Ein Bauernhaufen, vom grausamen Metzler angeführt, naht sich der Gegend.

Ob ichs vermöchte, seine Rohheit zu bezähmen, ob der edle Herr sicher wäre, muß ich bezweifeln, [175] und deßhalb zur schnellen Flucht rathen. Sicherheit ist für Euch beim Bundesheer, auch hoffe ich dort auf Ottomars Ansehn, auf seine beschwichtigende Stimme, um das unermeßliche Elend zu enden, das auf dem Vaterland liegt. Sichere Schiffer gewinne ich für Euch zur Ueberfahrt.

Ihr sprecht meine eignen Gedanken aus, guter Vater, sagte Ottomar. Ob ich auch die Gefahr nicht so nah glaubte, gedachte ich sie doch möglich, und wollte mich mit den edlen Frauen berathen über einen sichern Aufenthalt für sie.

Mein Herz glühte; was ich dachte und wünschte war mir klar, aber die Rede blieb auf den Lippen gefesselt.

Die Mutter rettete mich aus der Verlegenheit, denn zudringend bei ihm zu erscheinen, fürchtete ich mehr als alle Schrecken des Kriegs für mich.

Da meiner Anna Vater beim Bundesheer ist, sagte sie, da unsre stille Freistatt ein Raub der Flammen geworden, so hege ich den Wunsch, [176] sie ihrem Vater zu übergeben, und mich selbst zu den Meinen nach Franken zu flüchten. Unser Geleit, fürchte ich, möchte Euch selbst aufhalten und in Gefahr stürzen, laßt uns deshalb einen Eurer Diener zum Schutz, nur wählt für Euch selbst den nächsten und sichersten Weg.

Philipp fiel ein: so weit als mir die Pflicht gegen meine Anbefohlenen erlaubt, mich zu entfernen, nehmt auch mich zum Geleitsmann an. Ist mir auch die Stärke des Armes versagt, so gab mir Gott doch die Kraft der zu Zeiten siegenden Rede.

Könntet ihr mir, ehrwürdige Frau, den Trost und die Freude rauben wollen, Euch selbst zu geleiten, das Fräulein dem geliebten Vater zuzuführen? rief Ottomar. Ihr hörtet ja selbst, daß der Arzt mir Schonung gebot, die nur eine langsame Reise gestattet.

Eine Last fiel von meinem Herzen, ich erröthete, wurde bleich, wollte reden, und vermochte es nicht. Ottomars Blicke ruhten ängstlich und fragend auf mir: Was wünscht meine [177] Anna, sagte er, versagt sie mir die erbetene Ehre und Freude?

O nein, o fürwahr nicht, edler Herr, stammelte die Thörin, wenn es ohne Gefahr für Euch geschehen kann – dies, nur dies ist meine Sorge.

Er faßte meine Hand und drückte sie an sein Herz – O Du meiner Seele ewig Vereinte! hauchte er mir leise zu. Nun wurde alles vorbereitet. Philipp meinte, wir hätten noch drei Tage Zeit, aber Ottomar bestimmte den morgenden Abend zum Aufbruch.

Zum letztenmal umfängt mich die kleine Kammer, wo ich so unaussprechliche Ruhe und Seligkeit in seiner Nähe genoß, wo ich zuerst erfuhr was das Leben für holde Schätze bewahrt! Zum letztenmal säuseln um mich die hohen Bäume, wogt der Strom vor mir hin, und erhellt mir der Mondenschimmer jene Felsenhöhen; und senkt seine silberne Dämmerung über das Thal! Nimm meinen Abschiedsgruß, liebliche [178] Natur, und Du, ihr innres Leben, heilige Liebe! nie weiche Du von mir!

47

O Bertha, was ist des Menschen Geschick und seine Hoffnung! Ein wilder Orkan verheert seine Blüthen, die lichten Bilder seiner Träume zerrinnen in düstrem Gewölk, aus dem der Blitz niederzuckt und die Armen zerschmettert.

Ottomar ist gefangen – der Edelste, Freiste gefangen! Wilde Barbarei ist Herr über das Leben, das alle himmlischen Mächte herabsandten zum Trost und zur Freude der Menschheit.

Mögen die Heerschaaren heiliger Engel goldne Lichtseile der Errettung auf ihn senden, um ihn den Banden zu entziehen – mögen die Felsenherzen Milde kennen lernen! Ich kann nur beten, aber mir wurde ein tröstendes Gefühl der Erhörung von dem Allerbarmenden; wie könnte ich sonst noch athmen?

Der Morgen des Tages graute, der uns von hinnen bringen sollte. Wie ruhig ich den [179] Abend beschloß, sagt Dir mein Tagebuch. Ein dumpfes Getöse umtobte unsre Hütte. Nur zu wohl war ich mit diesen Schreckenstönen bekannt, um nicht augenblicklich unser Geschick einzusehen. Die Mutter und ich eilten zu Ottomar. Gerüstet und in der Hand das gezogene Schwert, begegnet er uns schon. Meine Theuren, an Flucht ist jetzt nicht zu denken, wir sind umringt, sagte er, bleibt in Eurer Kammer und fürchtet nichts. So lang Widerstand keine Tollkühnheit ist, werde ich Euch vertheidigen. Wird er zu dieser, dann unterhandle ich Eurentwegen.

Er drängte uns in den Hintergrund der Kammer, und trat an die Thüre, dem eindringenden Haufen entgegen.

Metzler, hörte ich rufen, hier ist er, der Falsche, der uns um die schöne Beute gebracht – kein Erbarmen mit ihm – stoßt ihn nieder!

Mein Herz erstarrte, als ich den Namen des Schrecklichen aussprechen hörte. In solchen [180] Augenblicken sendet Gott neue Kraft, sonst müßte das schwache Leben verlöschen.

Ja, hier bin ich, sagte Ottomar, und was wollt ihr? Seine Kühnheit wirkte gleich als Geistermacht auf sie, sie standen einen Augenblick wie versteinert vor ihm. Bald ertönten wieder wilde Stimmen, die Verrath und Mord schrieen. Danken solltet ihr mir, daß ich Euch um eine Gräulthat ärmer gemacht, sagte Ottomar, wenn der Tag der Rechenschaft über Euch anbricht, daß ich schuldlose Frauen Eurer Wuth entzog. Um dies zu thun, stellte ich mich als einen der Euren – Gott verhüte, daß ihr mich noch dafür anseht! Zum Krieg fürs Recht bin ich geboren, nicht zur Wildheit und zu Gräulthaten. Hat sich der wackre Götz von Berlichingen nicht von Euch gewendet, als er Eure Raub- und Mordlust mit ansah? Welches redliche Herz möchte Eure Sache zu der seinen machen?

Drohungen antworteten; doch wagte Keiner sich ihm zu nahen. Es war etwas Höheres, Gebietendes [181] in ihm, sein Antlitz leuchtete wie eines höheren Wesens.

Ein Haufen der Einwohner der Stadt, unser Philipp an ihrer Spitze, drang ein, und warf sich vor ihm nieder. Ueber unsre Leichen nur könnt ihr an ihn kommen, riefen viele Stimmen. Der Herr ist gut und mild gesinnt gegen das Volk, ist nicht unter seinen Drängern, laßt ihn frei!

Philipp redete hohe Worte des Gottes-Friedens und der Schrift zu ihnen, mahnte an den Tag der Wiedervergeltung des Gerichts – Viele verstummten, aber ein neuer Haufe drang vor, alles verschmähend und grasse Worte der Lästerung ausstoßend.

Kein Erbarmen, riefen die Grausamen, er ist einer der Stolzen, der Bedrücker, die, über unsern Nacken einherschreitend, uns vernichten wollen, uns in Armuth und Verderben stürzen!

Das bin ich nicht, sagte Ottomar fest und ruhig. Wie die Vernünftigen und Guten denen [182] ihr glaubt, wie Luther, tadle ich nicht Euer ursprüngliches Begehren, würde Euch, vermöcht' ichs, selbst zu Euren zwölf Artikeln verhelfen, gestehe auch, daß man nicht immer recht mit Euch verfahren ist, und nicht immer Wort gehalten hat. Aber Euren Aufruhr, der Gräulthaten gebahr, verachte ich. Wie denkt ihr zu enden? Schrecklich wird Euch die Rache überfallen. Doch genug der Worte! Ich erbiete mich Euer Gefangner zu bleiben bis zum Ausgang der Sache, wenn Ihr diesen edlen Frauen, die Gott und nicht der Welt angehören, einen freien Abzug gestattet. Ihr seht, daß dies mein Wille ist, und ich nicht unbewaffnet bin. Auch unter Euch rechne ich auf manchen Biedern, der es bereut, die Bande des Rechts und der Ordnung gebrochen zu haben. Entschließt Euch! Auch Philipp redete zu ihnen: Dieses Fräulein ist die Tochter eines Heerführers des Bundes, ihr könnt für sie viele Eurer Gefangenen einlösen, einen hohen Preis auf sie setzen, ich selbst, mit denen die ihr unter Euch auswählt, will sie[183] dorthin geleiten. Ottomar, rief ich beinahe bewußtlos, wir Euch verlassen? und jetzt – hoffet das nicht!

Sie besannen sich, redeten heftig gegen einander, ein Anführer trat hervor und sagte, daß sie den Antrag annehmen wollten. Ottomar sprach leise zu Philipp, wendete sich dann zu mir und der Mutter und bat uns, uns zur Reise zu bereiten. Mir war es, als stünde ich eingewurzelt im Boden; ich faßte seinen Arm und rief: Jetzt sollen wir Euch verlassen? – noch nicht ganz genesen, und in den Händen dieser – O habe Erbarmen, Ottomar, und laß uns bleiben! Tief gerührt faßte er meine Hände: Meine Anna, ich bitte Dich, ich beschwöre Dich zu reisen! Du hast mir den Namen eines Bruders erlaubt; in diesem darf ich sagen: ich befehle es dir! Ich konnte nichts erwiedern. Thränen erstickten meine Stimme. Er schloß mich an seine Brust und flüsterte mir leise zu: Sey ruhig, holder Engel, Du kannst mir im Heer dienen; in Dir geht aller Trost und alle Freude des Lebens [184] von mir, doch bald sind wir wieder für immer vereint.

O so mögen Alle Heiligen Dich, Edelster, schützen! rief ich. Ein wunderbarer Muth hatte mich ergriffen, alle Bande waren von meiner Brust gefallen, und frei und unaufhaltsam floß die Rede von meinen Lippen. Noch weiß ich nicht wie ichs vermochte; ein Gott gab mirs ein, ich konnte zu dem Volke reden, das ihn umgab.

Wißt ihr es, wer sich Euch ergiebt? Der Edelste, Beste, der Euer Wohl am Herzen trägt, der Euch vertreten kann am Throne des Kaisers, vor der Versammlung der Fürsten und Edlen. In seiner Brust wohnt Milde und Erbarmen; er war Euer Freund, wird es seyn in Allem, wo ihr nur das heilige und ewige Recht wollt. Seht ihn an als einen schützenden Engel, Euch zur Rettung gesandt. Erkennt ihr nicht das Walten himmlischer Mächte über ihn? Wagt es nicht, ein Haar seines Hauptes zu krümmen; die himmlischen Heerschaaren sind bereit es zu rächen.

[185] Ich weiß nicht wie mir wurde; ein Nebel umzo meine Augen, doch fühlte ich, Ottomar warf einen Blick des Himmels auf mich. Die Mutter und Philipp unterstützten mich und sagten mir, mit Staunen, doch theilnehmend in stiller Ehrfurcht, hätten die rohen Menschen mich angesehen.

Unsre Wächter drängten sich um uns. Philipp und ich mußten Ottomars Roß besteigen. Unbezwinglicher Schmerz umhüllte meine Sinne, aber dennoch entging mir keine seiner Bewegungen, kein sanftes Wort des Trostes, das er an mich richtete. Schon schritten unsre Pferde vor, als ich ihn sagen hörte: »Nun führt mich wohin ihr wollt!« Noch einmal leuchtete mir seine hohe Gestalt aus dem Bauernhaufen, der sich nach einem Thurm drängte, dessen Spitze wir oft aus unsrer Wohnung betrachtet hatten.

Philipp versuchte alle Trostgründe, meinen Schmerz zu besänftigen.

Ottomar sey der Liebe der Bürger gewiß, mit denen es der rohe Haufen nicht verderben [186] dürfe. Alle haben ihm geschworen, für den Gefangenen zu wachen, zu sorgen, alle Gefahr von ihm abzuwenden. Er besitzt das Geheimniß, sich alle Herzen zuzueignen, sagte er; glaubt mir, liebes Fräulein, mir, der ihn wie sein zweites Leben liebt; selbst für Euch würde ich mich nicht von ihm entfernen, wär' ich seiner Rettung nicht gewiß.

Noch umschloß das erstickende Band des Schmerzes meine Brust, keine Hoffnung drang in sie ein, und im dumpfen Gefühl der Nothwendigkeit ließ ich mich hinwegtragen, während mein Herz, mit tausend Banden gefesselt, zurück strebte. Bleich und athemlos saß ich im Schiff während der Ueberfahrt; selbst die rohen Begleiter fühlten Mitleid mit mir und versuchten mich zu beruhigen.

Für ihn müßt ihr Euch erhalten, sagte mir Philipp leise, indem er mich nöthigte etwas Nahrung zu mir zu nehmen; ja, für ihn, denn sein Leben hängt an dem Euren; Ihr wißt es gar nicht, wie er Euch liebt!

[187] Es lag eine Himmelskraft in diesen süßen Worten. Wie neubelebt rief ich: Ihr habt Recht, Philipp, ich muß den Vater sehen, muß die Heerführer anfeuern, schnell, schnell ihn zu befreien – Ich bin stark, laßt uns keinen Augenblick verlieren! Gott, wer weiß, was der nächste bringt! In der Eil unsrer Reise fand ich nur Trost, und die gute Mutter hieß mich selbst mit Philipp rasch vorwärts eilen.

Mit welch süßen Hoffnungen umgab mich Philipps Gespräch! Die Ueberzeugung seiner Lehre werde an Ottomars Herz dringen, er kämpfe mit sich.

Die edle Seele waffnet sich gegen ihre innigsten Gefühle, um sich nur durch die Stimme ewiger Wahrheit leiten zu lassen.

Sein höchstes Glück sey, mir anzugehören in dem innigsten Band der Menschheit, deßhalb müsse er ringen, auf der Bahn freier Besonnenheit zu bleiben, sorgsam erwägen, was die Pflicht gebiete. Kein Glück könne der Unthat folgen; um den Segen meines Lebens gelte es, [188] meiner sey er unwerth, wenn er Irdisches dem Ewigen vorziehen könne, nur der reinen Stimme des Glaubens in seinem Innern dürfe er gehorchen. In der Zeit der Trennung von mir, entfernt von der Zaubergewalt der Gegenwart, wolle er sich freier Prüfung überlassen, und hoffe den Ruf ewiger Wahrheit zu vernehmen. Es sey ihm tröstend, daß ich noch keinen Eid zu brechen habe, um die Seine zu werden, und den Segen des Himmels nicht verscherze. Er liebt Euch für die Ewigkeit, sagte Philipp, nie sah ich eine reinere höhere Liebe. O Ihr guten Seelen, sollte Euch ein übermenschliches Gelübde trennen! Die ewig waltende Liebe wollte dies nicht, nur Menschenwahn erschuf diese Fesseln. Ewig wahr und treu wie die Natur, ist das Wort der Liebe und Erbarmung an die Menschen gesandt.

Mein Glaube wird dem seinen folgen, theurer Freund, sagte ich. Es ist mein Geschick, denn meine Seele kann sich von der seinen nicht trennen, muß seiner Bahn folgen. Ist [189] das sündig, so verzeihe mir der Vater aller Geister, denn so bin ich geschaffen!

48

Welche Freude fühlte ich in den Armen des theuren Vaters! ich finde ihn für Ottomar ganz gesinnt wie ich es wünsche. Er eilt für seine Befreiung zu wirken. Alle Edlen des Heeres sind bereit Alles für ihn zu bieten. Heut zieht Philipp mit Vorschlägen dazu zu Ottomar zurück.

Eilt, theurer Freund, flehte ich, ach, während wir hier sprechen, fällt vielleicht das edelste Leben!

Fürchtet nichts, liebes Fräulein, erwiederte er. In der reinen Menschlichkeit, im wahren Edelmuth, liegt eine allbesiegende Kraft, die den wüthendsten Haß bändigt.

Saht Ihr es denn nicht, mit welchem Zauber seine Jugend und Schönheit, sein unbezwungner Muth alle Wildheit umstrickte? alle gezuckten Schwerter von ihm abhielt?

[190]

49

Der gute Vater freut sich, mich wieder in die Farben des Lebens gekleidet zu sehen. Mein gutes Mädchen wird nun bei mir bleiben, mich und die Mutter nicht wieder verlassen, sagte er, indem er mich inniger an die Brust schloß – ich schwieg, drückte seine Hand an meine Lippen – was konnte ich sagen? Gehör' ich denn mir selbst an?

50

Der Heereshaufen, den der Vater befehligt, nimmt andre Stellungen ein. Die fromme Frau, meine zweite Mutter, wird mich bald verlassen; sie selbst rieth mir dem Vater zu folgen, und sagt, es sey meine nächste Pflicht. Wie hängt auch sie an Ottomar! Wie unerschöpflich ist sie in seinem Lob, in der Erinnerung der Verbindlichkeiten, die wir gegen ihn haben.

Der Vater hört ihr mit Antheil zu. Gibts eine süßre Musik, als das Lob des Geliebten vor denen, die wir verehren?

[191]

51

Ich hatte eine sehr ernste Unterredung mit dem Vater. Er ist ganz der neuen Lehre geneigt, die er nur die ursprüngliche, alte, einfache der heiligen Bücher nennt. Er erwartet das Ende des Kriegs, die Dämpfung aller Unruhen, um sich öffentlich dazu zu bekennen. Er hat Luther und Melanchthon bei Friedrich dem Weisen kennen lernen, ist überzeugt, daß die Wirkung dieser Männer von Gott kommt, und will leben und sterben auf ihren Glauben.

Die Unmenschlichkeit ewiger Klostergelübde kam zur Sprache. Ich verlange nicht Dein Gefühl zu überwältigen, meine Anna, sagte er, aber eine freie Prüfung meiner Gründe kann ich von Deiner Vernunft erwarten. Von Kindheit an suchte ich Dir die innre Haltung zu geben, die über das innre und äußre Leben zu reflectiren vermag. Ich sprach ihm von Philipp, von der Predigt, die ich gehört, von der Art und Weise wie mich der Gottesdienst gerührt. Mit Zufriedenheit hörte er mich an. O Bertha, [192] stünde auch Ottomar auf dieser Seite! Ich fühle, daß ich nur ihm folgen muß.

Die Mutter folgt dem Vater – er hat sich mit ihr verständigt; in Kurzem wird sie bei uns seyn.

52

Die gute Frau, die mein wundes Herz so treu an das ihre aufnahm, die seit Jahren mit sanfter Liebe seine Schmerzen kühlte, hat mich verlassen. Ihr Andenken wird in meiner Seele bleiben, ich werde wieder zu der Treuen fliehen, wenn Ottomar nicht – Bertha, Dir nur kann ichs sagen, welche kühne Hoffnung ich nähre – wenn Ottomar nicht des Vaters Ueberzeugung annimmt.

Wie muß ich die Zartheit dieser Frau lieben und ehren, die fest und unwandelbar in ihrem Glauben bleibt, und dennoch kein überredendes, kein kränkendes Wort gegen mich aussprach! Der wahre Glaube, wie die ewige Liebe ihn selbst verheißt, ist ja Liebe! Hätten ihn Alle, kein [193] Streit würde die edelsten Herzen entzweien, in feindseliger harter Beschränkung trennen. Der Vater hat mir Luthers Schriften gegeben; sie sah, daß ich sie fleißig, oft mit inniger Rührung las. Sie tadelte es nicht; auch ihr reicher gebildeter Geist ist über todte Formen erhoben, doch will sie für sich auf dem Pfad, den sie bisher gewandelt, bleiben.

Gott erleuchte Dich und lenke Deine Schritte, mein Kind, sagte sie beim Abschied. Wie sanft pflegte sie meine Liebe, Ottomars Andenken in meinem Herzen. In meiner Angst um ihn, (denn jeder Augenblick kann ja noch das Schrecklichste über ihn verhängen), tröstete mich ihr Gebet. Wenn ich Nachts in bangen Träumen seinen Namen ausrief, fand ich sie oft an meiner Seite wachend und betend für ihn, denn sie liebt ihn wie einen eignen Sohn.

53

Der Vater hat mich in eine Stadt ohnweit des Lagers gebracht, wo er mich täglich besucht. [194] Ich soll meinen Nonnenschleier nicht wieder anlegen, bis ich geprüft habe. Ich soll mich im Schmucke eines Ritterfräuleins aufs Neue kleiden; seine Güte wählte das Köstlichste für mich. Doch erfüllt er meine Bitte, und erlaubt mir die größte Einfachheit beizubehalten. Soll ich in der Welt leben, so werd' ich mein Leben auch da nur der Stille und Wohlthätigkeit weihen. Ein Auge, das soviel geweint hat, ein Herz, das den Ernst des Lebens so schwer gefühlt, kann sich an eitlem Glanz nicht mehr ergötzen.

Meine Blumen blühen nur im stillen Thal der Demuth der ernsten Betrachtung.

54

Stündlich, augenblicklich erwarte ich Nachricht von Philipp – bei jedem Klopfen an der Thür, bei jedem Pferdetritt die Straße herauf, schlägt mein Herz hoch. Der Vater beruhigt mich, in seinen Worten liegt oft eine Deutung in eine lichte Ferne – ist's ein süßer Wahn der Vaterliebe?

[195] Noch sehe ich nur dunkle Wolken.

Er liest viel mit mir in der deutschen Bibel, die uns Luther geschenkt. Eine Gotteskraft des heiligsten Vertrauens stärkt mich. Die Leitung des Allmächtigen scheintmir gewisser, näher in den wohlbekannten Worten unserer Sprache. Lehre und Verheißung dringen inniger an mein Herz; wie in einem andern, geistigern Element, empfinde ich Alles klarer und höher.

Hat eine menschliche Rede höheres ausgesprochen, als die des Jüngers des Herrn, den er vor allen liebte; als der hohe Paulus, wenn er den göttlichen Sinn der Liebe erschließt?

Ich fühle mich der ganzen Natur inniger verwandt; kein Streit liegt in mir, und der Glaube an die Göttlichkeit dieser Worte, macht mich einträchtig mit Allen.

Da ist kein Ausschließen, kein Beschränken, kein angstvolles Zittern.

Wenn wir uns mit Wahrheit und Demuth nahen, dringt uns der Sinn der göttlichen Offenbarung entgegen, als ein frischer, reinigender [196] Quell, aus dem die ganze Menschheit Liebe und Versöhnung zu schöpfen vermag.

Alle menschlichen Formeln fallen ab von dem in Liebe befreiten Gemüth. Da ist nur Fülle und Klarheit. Der Geist spricht zum Geist. Meine Ueberzeugung folgt der des Vaters – O, wo wird sich Ottomar hinwenden?

55

Unter sorglichen Gedanken an Ottomar, saß ich gestern Abend im kleinen Zimmer, den Vater erwartend, als ich ein Anklopfen an die Thür vernahm.

Ich öffnete und ein freundlicher Mann trat herein, mit dem sanftesten Gesicht und den klarsten blauen Augen, die ich je gesehen. Er war als Weltgeistlicher sehr einfach gekleidet. Philipp folgte ihm.

In glühender Ungeduld flog ihm mein Herz entgegen, aber sein Betragen gegen seinen Begleiter war so ehrfurchtsvoll, daß es mir gebot meine Gefühle zu bezähmen.

[197] Dieser schien sie zu errathen und sagte: Wir sind ins Heer gesandt zu Eurem edlen Vater, mein Fräulein, doch vor allem andern Geschäft ist uns aufgetragen die Botschaft an Euch zu überbringen. Entledige Dich Deines Auftrags, Bruder Philipp, während ich den Ritter aufsuche.

Er verließ uns; und mit welcher Freude erkannte ich Ottomars Handschrift auf dem Briefe, den mir Philipp überreichte:

56

Ich bin frei, meine theure Anna, frei in jedem Sinn. Nimm den Mann, den Philipp mit diesen Zeilen begleitet, auf, als einen himmlischen Boten: es ist Melanchthon. Ich bin überzeugt, daß sein und seines gewaltigen Freundes Thun und Wesen von Gott kommt, und daß keine Macht auf Erden es unterdrücken kann.

Dieser Ueberzeugung zu folgen, heißt mich Ehre und Pflicht, aber auch zugleich mich den frühern Banden mit Demuth so wie mit Ehre zu entziehen, [198] Versöhnung der gährenden Elemente zu versuchen, so lang Hoffnung dazu vorhanden ist.

Was mich meine äußre Freiheit kostet, wird Dir Philipp berichten.

Zu rechter Zeit sendet mir der Rathschluß des Ewigen eine tröstende Lebensaussicht, die Hoffnung eines Glückes, dem ich für immer entsagen zu müssen glaubte – es ruht in Dir, wie mein ganzes Gemüth und Herz.

57

Philipp begann sogleich folgende Erzählung: Melanchthon war auf einem Besuch bei den Seinen in der Pfalz, als er meine dringende Botschaft empfing, nach dem Städtchen zu kommen, wo Ottomar gefangen war.

Obgleich er alle Gemeinschaft mit dem empörten Volkshaufen floh, seitdem er sich mit Grausamkeiten und gottlosen Thaten befleckt hatte, schien ihm doch mein Ruf vom Himmel zu kommen; er folgte ihm. Einen edlen Jüngling könnt ihr vielleicht retten, und mehr als das, eine edle [199] Seele uns gewinnen, deren Kraft und Klarheit eine Stütze des reinen Glaubens werden kann, hatte ich ihm geschrieben. Bald kam er mit einigen Gutgesinnten zusammen, die selbst die Gräulthaten bejammerten, zu denen die aufgelöste Ordnung sie geführt hatte, es bitter fühlten, daß die Macht des Bösen sich auf Erden schneller und gewaltiger vereint, als die des Guten, wenn das Band der Gesetze gebrochen ist. Er verschaffte sich freien Eingang zu Ottomar.

Wie riß sein ganzes Wesen das Herz des Gottesmannes zu sich hin. Tapfer, gelehrt, offnen Sinns für die Wahrheit, lautern Herzens, feiner Sitte – kurz ein Muster aller Trefflichkeit schien er ihm sogleich beim ersten Zusammentreffen. Wirken und Walten einer höhern Liebe und Macht spürt man um ihn her, wie um einen Jeden, den sich Gott ausersah zu hohen Thaten für sein Wort. Ein König schien er ihm in der kleinen Kammer, die er versprochen hatte nicht zu verlassen, herrschend über seine Wächter, nur durch sein gegebnes Wort gebunden.

[200] Einige Uebelgesinnte unter dem Haufen, hatten noch Ausstellungen an meinen mitgebrachten Vorschlägen, und hinderten seine Befreiung. Melanchthon gewann Zeit zu häufigen Gesprächen mit dem Ritter. Wie leuchtete ihm sein klarer Geist entgegen in unsren Streitigkeiten; wie fühlte er sein großes Herz! Da, wo es dem Menschen rein um die Wahrheit zu thun ist, waltet unsichtbar eine höhere Macht. Sie erwogen den Lauf der Geschichte, die Lehre der Väter, sie lasen vor allem in der heiligen Schrift mit lauterm Herzen, und ich fühlte wie der Funke der Ueberzeugung in seiner Seele aufloderte.

Eines Abends, als wir ihn verließen, reichte Ottomar Melanchthon seine Rechte und sagte: ich erkenne es, Eure Sache kommt aus Gott, und werde es beweisen mit That und Wort. Viele der Bessern unter uns sahen ein, wie eine Läuterung und Sichtung nöthig war, wie sich Ewiges und Irdisches durch Schwachheit und Irrthum sündig vermischt haben. Eine höhere Kraft war mit der Treue und Einfalt Eures Herzens.

[201]

Aber auch Ihr hütet Euch, nicht von dieser, nicht von der Liebe zu weichen, nicht Krieg um des Krieges wegen zu führen.

Meine Freude war ohne Maß; auch ich dankte dem Herrn für den Gewinn unsrer Lehre in einem so edlen, kräftigen Herzen.

Und Ihr wollt leben und lehren in unsrem Sinn, fragte ich, dem strengen Gelübde entsagen, das Euer Herz preßt?

Laßt mich dies in stillem Geist erwägen, antwortete Ottomar. Nur aufs Ewige muß die Seele gerichtet seyn, wenn sie würdig bleiben soll des hellern Lichts der Wahrheit. Vom Eid kann nur der entbinden, der ihn empfing. Den Papst, Euren Erbfeind, muß ich noch als das sichtbare Oberhaupt der Kirche betrachten, indem ich vor ihm die Entbindung meines Eides begehre. Nicht ohne Beispiel ist dies; ich hoffe auf meiner Gründe Gewalt. Die Hoheit der Idee ist durch irdisches Treiben, durch menschliche Gebrechlichkeit, durch Ringen nach sinnlichen Vortheilen entweiht, nicht zerstört. Mein Gewissen, [202] meine Ehre fordern von mir so zu handeln, um mich würdig zu fühlen eines Glücks, das sich mir von fern wie aus goldnen Wolken zeigt, und das nur mit reinem Sinn zu erlangen ist.

Voll Liebe und Freude verließen wir die schöne Seele und vertieften uns in Gesprächen bis zum dämmernden Morgen.

Kriegslärm drang an unser Ohr; bald erkannten wir, daß eine feindliche Schaar in die Stadt gedrungen war. Wir eilten zu Ottomar und fanden seinen Thurm von fremden geordneten Schaaren umringt.

Die Wachten der Bauern waren im Kampf vor dem Thor, und von allen Seiten drang Unterstützung zu ihnen. Schüsse fielen, Schwerter blitzten uns entgegen; wir drangen durchs Gefecht; vergebens versuchten wir die Kraft der Rede. Ein schöner Jüngling führte die geordnete Schaar. Glücklich drangen wir vor bis zum Thor des Thurms. Ottomar, rief der Führer, brich Deine Fesseln, komm heraus an meine Seite, ich bin hier Dich zu befreien!

[203] Jetzt erschien Ottomar auf der Brüstung des Thurms. Adelbert, mein treuer Bruder, halt ein! ich gab mein Wort zu ritterlicher Haft! sie haben Wort gehalten, ich kann das meine auch nicht brechen. Thor und Riegel wären meiner Kraft leicht zu besiegen, nur mein Wille bindet mich. – Weichet, ihr Haufen, ich bleibe Euch – halte die Deinen ruhig, Adelbert!

Vergebens waren seine freundlichen Worte; der scharfe Kampf war losgekettet, seine Hitze nicht zu bändigen. Von beiden Seiten fielen Verwundete und Todte. Auch meine und Melanchthons Stimme ermahnten vergebens zum Frieden; vergebens fielen wir den wüthenden Bauern in die Arme; sie schleuderten Feuerbrände nach dem Thurm.

Jetzt brach Ottomar Thür und Riegel; die Pforte öffnete sich, er stand davor, entriß dem nächsten Krieger sein Schwert und rief: Eure blinde Wuth macht mich frei, löst mein Wort, nicht mit Flammen vermag ich zu kämpfen.

[204] Adelbert drang auf ihn zu; schon war er ihm nah; seine Arme breiteten sich aus, den Bruder zu umfangen, als ein unglücklicher Schuß fiel und ihn zur Erde streckte. Wuth ergriff seine Krieger ihren Führer zu rächen. Ottomar focht an ihrer Spitze, und in Kurzem war der Bauernhaufen zernichtet; was übrig blieb, floh aus der Stadt. Adelberts Getreue hatten sich dicht um ihn gestellt und eine Schutzwehr von Piken und Hellebarden schützten den Sterbenden. Ottomar kehrte zurück, warf sich auf ihn, faßte ihn in seine Arme und rief alles zur Rettung auf. Vergebens, der Schuß hatte dicht ans Herz getroffen; Todesblässe umschattete seine Stirn; starr und gefesselt lagen seine Glieder. Noch einen liebestrahlenden Blick warf das brechende Auge auf den Bruder, und mit sterbender Stimme vermochte er zu sagen: ich sterbe glücklich – für Dich! Tröste die Mutter. – Grenzenlos war Ottomars Schmerz.

Alle Bürger die ihn liebten, theilten seinen Kummer, so wie die untröstlichen Krieger. Ernst [205] drückte er mir die Hand über dem entseelten Leichnam.

Hier liegt nun der holde Jüngling, die Freude und der Stolz unsres Geschlechts, die einzige Hoffnung der alten Mutter. Ich selbst muß ihr seine Leiche bringen, um daß sie nicht ganz verzweifle und den einen Sohn sich erhalten sehe; ich selbst muß die Reste des Geliebten in der Gruft der Väter bestatten.

Die Krieger machten eine Bahre, und mit allen Ehrenzeichen seines Standes geschmückt, trugen sie den entseelten Körper in ihrer Waffen Mitte. Freundlich, wie verklärt in Bruderliebe, war sein schönes Antlitz. Ottomar selbst wollte von seiner Seite nicht weichen und ihn begleiten; er entfernte sich für wenige Augenblicke, nahm mich und Melanchthon dann bei Seite und übergab mir das Brieflein an Euch, mit den holden Worten: »Da Ihr unsern Lehrer zu geleiten dachtet, so beschwöre ich Euch, eilends diese Zeilen dahin zu bringen, wo mein ganzes Herz ist – ihr alles Geschehene zu berichten. [206] Eine reine Seele werdet Ihr finden; Euer frommer Sinn tröste sie über meinen Schmerz, der, ich weiß es, auch der ihre seyn wird.«

Herzliche Thränen weinte ich über den Tod des edlen Jünglings. Was vermag Ottomar zu trösten über den Verlust solch einer Bruder-Liebe? Aber welch einen schönern Tod konnte Adelbert sterben, als den für ihn!

Philipps milde Trostworte suchten mein Herz ins Licht der Hoffnung zu erheben, aber über das Glück der vollkommen vereinten Gesinnung mit den Geliebten, warf der Schatten des Bruders einen dunklen nächtlichen Schleier.

Der Vater kam mit Melanchthon zurück. Ich begrüßte ihn mit Ehrfurcht; der Hauch eines höhern reinen Lebens wehte mich an in seiner Nähe, in seinen Gesprächen, vor dem die Schmerzen der Erde hinschwanden. Vor solcher Festigkeit und Milde, die wahrhaft eine Gotteskraft zu nennen ist, erhebt sich unser ganzes Wesen nur im Streben nach einem würdigen Gebrauch des Lebens, indem es sich der Ewigkeit zubildet.

[207] Der Vater ist eines Sinnes mit Melanchthon; auch auf die Einstimmung meiner Gesinnungen warf er einen Blick des Segens.

Mit Liebe und hoher Achtung sprach er von Ottomar, hofft auf ihn in Wort und That. Segnend und im Gefühl einer ewigen Verbindung, verließ uns der fromme Mann. Nie getrennt sind die, die eines Glaubens, einer Liebe und einer Hoffnung leben!

58

Des Vaters Heereshaufen rückt vor. Die Gegend ist vom Feind gesäubert. Ich gehe zur Mutter, um den Ausgang zu erwarten. Meine Seele ist wundersam still und hoffend, meine Bertha.

Der Vater geht zur Schlacht! Ottomar ist gewiß an seiner Seite – So viele Wunder der ewigen Liebe und Erbarmung sind schon für mich geschehen! Die Geliebten werden mir erhalten bleiben – fern sey aller Kleinmuth!

[208]

59

Fest, wie ich im Glauben und Hoffen, fand ich die geliebte Mutter wieder. Wie süß ist mir das Gefühl ihrer Freude an mir, mich dem Leben wiedergegeben zu sehen, ihr wiedergegeben in ungetrenntem Zusammenseyn.

Jede kleine Freude, die wir zusammen genießen, jede kleine Sorge, die ich ihr erleichtere, alles nehmen wir an als ein Geschenk der waltenden Vaterhand aus den Wolken, die uns so wunderbar leitete.

Auch Ottomars Mutter habe ich gesehn. Das Lächeln der theilnehmenden Freude über einer zerrissenen Brust, hat etwas Heiliges.

O! sie kennt Ottomars Liebe, denn sie drückte mich an ihr Herz wie eine Tochter. Wie gern ruht mein Auge auf ihren Zügen, die viel Aehnlichkeit mit den seinen haben. Sie ermüdet nicht in hundert wiederholten Fragen nach allen kleinen Umständen meiner Errettung durch Ottomar, meines Zusammenlebens mit ihm, und im zärtlichsten Dank für meine Sorgfalt in[209] seiner Pflege. Sie führte uns auf ihr Landhaus, wo man eine weite Gegend überschaut.

Die Kuppel des Doms, wo ich so Schreckliches litt, deren Anblick mich aus dem Kloster so wundersam tröstete, auch diese habe ich wiedergesehen. Geröthet, wie damals, im Schimmer der ewigerfreuenden Sonne, leuchtete sie mir entgegen – milder, lieblicher, denn auch ein Strahl der Hoffnung glüht in meinem Innern. Bertha, wie es auch werden mag, ich bin still, denn ein überirdischer Trost bleibt mir im Gefühl seiner Liebe, der seligen Tage mit ihm, deren Erinnerung mir nichts entreißen kann. Was auch sein Herz wählen mag – von ihm kommt mein Geschick – und er kann nur das Edelste wählen!

Ich mußte mit der Mutter zum Grabe ihres Sohnes wallfahrten. Laß uns nun beten, mein Kind, für den, der mir noch bleibt, sagte sie, und wir knieten nieder auf den Stufen des Altars der kleinen Kapelle, die den Todten geweiht ist. Wie inbrünstig ich betete, fühlst[210] Du, meine Bertha; mir wurde ein tröstender Glaube der Erhörung.

Auch für Deinen Vater will ich mit Dir beten, sagte die Gute – O möchten wir hinfort nur eine Familie ausmachen, sagte sie, als wir die Kapelle verließen! Wir werden es in treuer Freundschaft! sagte ich, indem ich ihre Hand küßte. Ich werde sie ehren und trösten, wie ich vermag; trägt nicht Ottomar ihre Züge?

Jede Nachricht vom Heer theilen wir uns mit. Nach allen Umständen müssen die Tage der Entscheidung jetzt nahe seyn.

60

Welch schwüle Gewitterluft liegt auf uns, wenn die Geliebten dem Feind entgegen gehn! Der feurige Abendhimmel deutet uns die Flammen der Schlacht, jeder Windeshauch den Donner der mordenden Geschütze; jeder nahende Bote erregt uns in Fieberangst und Glut. – [211] Ach, er kann ja das Schrecklichste bringen! Und doch labt mich ein Blick nach dem ewig blauen Aether; mir ist, als müßte uns nur Gutes kommen von Oben. Ja in diesen angstvollen Tagen umgeben uns gute Geister, und halten uns, am Abgrund der Verzweiflung; – wie könnte das arme Menschenherz sonst noch fortschlagen unter seiner zerstörenden Angst!

61

Die Unsern haben gesiegt, die Empörung ist gedämpft; Ottomar lebt, der Vater lebt. Der Bischof brachte uns die Siegesnachricht. Er floh, den Ausbruch unsrer Schmerzen nicht mit anzuschauen; als ein Bote des Glücks wollte er uns nun erscheinen. Adelberts Tod hatte sein Herz zerrissen, all seine Hoffnungen auf den Glanz seines Hauses zerstört.

Zärtlich grüßte er mich; sein ernster Blick ruhte mit Wohlgefallen auf mir. Kein tieferes [212] Verhältniß berührten seine Reden anfänglich. Beim Abschied nahm er mich allein in einen Laubengang des Gartens.

Unter ganz anden Umständen sehen wir uns wieder, meine holde Anna, begann er: mit Freuden sehe ich Euch dem Leben unter den Euren zurückgegeben; was Euch auch dazu bewegen konnte, den freundlichen Lebenspfad wieder einzuschlagen – er sey Euch gesegnet! Im herben Schmerz um den Tod des geliebten Jünglings, auf dem meine irdischen Hoffnungen ruhten, wurde mir die ernste Lehre gegeben, daß alle Gebäude des Glanzes und Glücks für unsre Geliebten, auf unsichrem, schwankendem Grunde ruhen. Der Mensch soll keine Erdenhoffnungen aufbauen, die allen Elementen der Zerstörung Preis gegeben sind; feindselig ist sein Eingreifen ins Geschick; Thränen erndtet er statt des gehofften Glücks. Nur der Himmel ist stät und blickt über den verfinsterten Wolken uns ewig heiter wieder an. Das tiefe Bedürfen seines Wesens, das der Mensch sein Glück nennt, habe [213] ich mehr anerkennen lernen. Irrt er auf diesem Wege, so liegt auch in seiner Natur die Kraft, mit den Folgen des Irrthums fertig zu werden. Lernend geht der Greis mehr, als lehrend aus dem Leben, und zurückkehren von der Bahn des Irrthums, den er erkannt, ist seine Pflicht. Wohl ihm, wenn er im Vertrauen auf die Hülfe von Oben, noch auf Erden ein Pfand der Versöhnung in dem Glück der Geliebten empfängt, daß die Folgen seines Irrens getilgt sind.

Bewegt faßte ich seine Hand, wollte reden – für jetzt nichts weiter, liebes Kind, sagte er, küßte meine Stirn und gieng hinweg.

62

Ich gieng mit der Mutter Abends nach der Straße, auf der uns die Nachrichten zukommen. Noch hatten wir keine eigenhändige Zeile des Vaters empfangen; sehnlich harrten wir diesen entgegen. Eine Staubwolke verkündete uns herannahende Reiter; fröhlich hoffend begegneten [214] sich unsre Blicke; noch wagten wir nicht unser Herz auszusprechen.

Jetzt sahen wir die Reiter deutlich im Lichtgrund des Abendhimmels, und erkannten bald die geliebte Gestalt des Vaters.

Die überraschende Freude nahm der Mutter Kraft und Odem; ich mußte sie unter einen Baum niedersitzen lassen, und in wenig Momenten lag der Vater in unsern Armen.

Noch eine Gestalt suchte mein Blick; der Vater fühlte es, und überreichte mir ein Brieflein von Ottomar.

Es enthielt wenig Worte der innigsten Zärtlichkeit und die Nachricht, daß er sogleich die Reise nach Rom antrete.

Er lebt unter uns, sein Bild steht in dem Herzen des Vaters, wie in dem meinen. Sein Edelmuth, seine Tapferkeit, die ganze Herrlichkeit seines Wesens, sind der Gegenstand unsrer immerwährenden Gespräche.

Nach dem errungenen Sieg hat er mit Kraft und Milde für die unglücklich Verirrten gesprochen, [215] Schonung und Versöhnung gepredigt wie ein Engel des Friedens, der Erbarmung.

Der Bischof hat Ottomar einen Eilboten nachgesandt; er will ihn noch vor der Reise sehen, vieles mit ihm besprechen.

Unser Freund Philipp kam auch, unsre Freude zu theilen. Er wird geliebt, verehrt von der Mutter, und dem Bischof selbst, wegen seiner Treue an Ottomar, ob sie gleich über viel Wesentliches mit ihm uneinig sind. Gute Menschen umschlingt immer ein gemeinsames Band; die reine Himmelsluft der Liebe und sanften Menschlichkeit, siegt über alle Gewölke, aus Spaltung der Meinungen erzeugt.

Der Vater hat viel Gespräche mit dem Bischof; nachdenklich, aber immer mit dem vollkommenen Ausdruck gegenseitiger Achtung und Freundschaft, kehren sie zu uns zurück. Ich werde Ottomar wiedersehen, Bertha! In der Gegenwart des Geliebten liegt ja aller Zauber des Lebens!

[216]

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Der Bischof hat uns auf die nächste Woche zu einer kleinen Reise auf das Familienschloß eingeladen, wo ich, wie er einst wünschte, mit dem theuern Adelbert wohnen sollte. Die traurende Mutter konnte sich noch nicht entschließen, es wieder zu betreten, doch will auch sie der Einladung des Bischofs dahin nun folgen.

64

O meine Bertha, was habe ich Dir alles zu sagen! Tropfenweis, wie ich selbst, sollst Du den Becher namenloser Freude mit Deiner Anna leeren.

Durch die reichste freundlichste Gegend fuhr ich mit der Mutter den Gebirgen zu, die uns in den Schoos mannichfach schöner Gründe aufnahmen. Klare Quellen strömten aus Felsen, deren Häupter Laub und Rebengewinde umkränzten. Das innigste, reichste Leben der Natur [217] umwogte uns mit seinem Zauber. Ueber einen Wald uralter Eichen ragten die Zinnen einer Burg hervor. Der Vater, der uns zu Pferde begleitete, sagte uns, daß dies das Familienschloß sey.

Das Gebäude blickte ernst und ehrwürdig aus den heitersten Umgebungen hervor. Ein Springbrunnen und umgebende Blumenbeete zierten den weiten Hofraum. Festlich gekleidete Bauern und Diener füllten die Wäldchen und Gärtchen. Aus der Halle des Eingangs kam uns der Bischof entgegen und führte an seiner Hand – o Bertha! Du fühlst mein ganzes Herz – meinen Ottomar!

Mit dem offnen Himmelsblick der Liebe kam er mir entgegen, beugte sich auf meine Hand, lag zu meinen Füßen; – mit dem süßen Ton leiser, sehnender Liebe, sagte er: kann ich hoffen, daß meine Anna den gern als den ganz Ihrigen annehmen wird, dem ihr schönes Herz so viel Beweise der treuesten Freundschaft gab!

Noch wagte ich nicht ganz an mein Glück zu [218] glauben; meine Augen fragten den Bischof, den Vater, ob es nicht ein süßer Traum sey?

Der Bischof näherte sich – Er kann, darf Euch angehören, holdes Fräulein, wenn ihr ihn Eurer würdig findet; der heilige Vater in Rom hat ihn seines Eides entbunden, auf daß man nicht Wappen und Schild unsres tapfern Geschlechts auf seinem Grabe versenken müsse.

Der Vater nahm meine Hand, legte sie in die Hand Ottomars, und sagte: Gott segne Euch, meine Kinder! Aufgelöst in süßen, heiligen Thränen, lag ich an Ottomars Brust. Die Mütter umfingen ihre glücklichen Kinder.

Ich selbst, der Euch trennte, will Euch nun heilig verbinden, sprach der Bischof. Wir folgten ihm zur Kapelle, wo Alles geschmückt und bereit war.

Mit tiefer Rührung sprach der Bischof die hohen Worte der ewigen Verbindung.

Thränen der Liebe, des Segens flossen um uns her.

[219] Stille Gebete und Gelübde, mich dieses Segens würdig zu machen, füllten meine Seele.

Ottomar war voll unaussprechlicher Liebe und Milde.

Wir lebten einige selig vereinte Tage mit den Unsern, dann schied der Bischof von uns, und ernst waren seine Abschiedsworte.

Meine Kinder! glücklich seyd Ihr in der Vereinigung Eurer Herzen; laßt diese Vereinigung ein Symbol seyn der allgemeinen Vereinigung, in der Alles, was gut ist, leben soll. Der Saame mannichfacher Trennungen geht um uns her auf. Eure Gedanken sind mir nicht fremd. In Allem, was ihr thut, weichet nie von der Liebe. Der Männer Vernunft stehe fest und sicher waltend über den Zeichen der Verirrungen unsrer Zeit, sey bereit zu schlichten, zu ordnen über dem täuschenden Gewölk des Wahns und der Eigensucht.

Verhütet alle gewaltsame Trennung. Zieht der Mensch das Heilige herab in den Kreis seiner Leidenschaften, so werden Ströme umschuldigen [220] Bluts fließen, eine Kluft entstehen, über die Jahrhunderte erst eine verbindende Brücke erbauen.

Mein Vater und Lehrer, erwiederte Ottomar, und Verklärung umleuchtete sein Antlitz, in der Freiheit des Geistes und der Liebe wünschte ich das Daseyn aller Menschen zu erhalten; so weit meine Kraft reicht, strebe ich nach dem schönen Ziel. Aber die Bande, von schwacher Menschenhand gewebt, fallen ab von der heiligen Wahrheit. Ist ein Krieg edel zu nennen, so ist es der für die Ueberzeugung, die unsre Brust entflammt, wenn irdische Absicht sie frevelnd fesseln will. Ihr erwartet von Eurem Zögling, daß er ihn führe.

Der Bahn Gottbegeisterter muß er folgen, die uns die göttlichen Schriften als ein allgemeines Eigenthum wieder geben, die das biedre Volk deutschen Stammes fremder Unterjochung des Geistes entziehen, und in unverfälschter Treue und Demuth das Ewige, die Himmelsbotschaft, die in die Menschheit tönte, sondern [221] von menschlichen Satzungen, aus der Finsterniß der Eigensucht geboren.

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Zu Dir, meine treue Bertha, zu Deinem Walther zu eilen, fordert dringend mein und Ottomars Herz. In Eurer Treue ruhte das Geheimniß unsrer Liebe; allen Wechsel des Geschicks habt Ihr mit uns getheilt; auch unser Glück gehört Euch.

Im Schatten treuer Freundschaft wurzelt alles Gute fester auf der Erde, und alle Blüthen gedeihen herrlicher.

[222]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Wolzogen, Caroline von. Erzählungen. Erzählungen. Zweiter Band. Anna. Eine Geschichte in Briefen aus der Reformations-Zeit. Anna. Eine Geschichte in Briefen aus der Reformations-Zeit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AAC6-C