[121] [123]Actus quartus
[123] [125]Wohnzimmer vor Mitternacht.
Es brennen nur die beiden Wandleuchter über dem Sofa, der Tisch ist noch so, wie er im Actus secundus verlassen wurde. Draußen die helle Nacht.
VATER
ruhelos auf und ab, mit gedämpfter, aufgewühlter Stimme.
Und ich sage dir, Remigius, was sich hier vor Stunden ereignete, das mußte endlich so kommen, ist nur einer langen Kette vorläufig- scheinbares Ende. – Zwanzig qualvollverhaltene Jahre!
REMIGIUS
auf dem Sofa, voll des Nachklangs der Erregung.
Warum waren sie so verhalten? Wozu war ich denn da? – Hättest du mir in deine Dunkelheit, ein einziges Mal nur, ein freundliches Fenster geöffnet, sie wäre dir nicht zum Dämon erwachsen.
VATER.
Zum Dämon! Das ist das Wort. Mit wahrhaft flagellantischer Schmerzeslust zwang er mich, den Gang der Dinge zu belauern, lähmte mir die Hand, wenn ich eingreifen, die [125] Zunge, wenn ich mitteilen wollte. – Im übrigen, ich hasse die Mitteilsamen, die jede Qual in Kleingeld des Jammerns umwechseln, ich hasse sie!
REMIGIUS
mit innerem Gegensatz, aber behutsam.
Dem Freunde gegenüber liegt dennoch ein gut Teil – Geringschätzung in solcher Verschlossenheit.
VATER.
Sag' lieber Achtung, Remigius! Achtung, wenn ich mich gerade dir niemals anders zeigen wollte denn im Festtagsgewand der Seele! – Was wäre denn anders aus unseren Weihestunden geistig-menschlichster Gemeinschaft geworden? Möchtest du sie aus deinem Leben streichen? Wärest du lieber der Beichtvater meiner häuslichen Miseren gewesen?
REMIGIUS.
Wenn du es so betrachtest, dann liegt freilich vielleicht die Schuld an mir –
VATER
mit dem Unterton großer Zärtlichkeit.
Schuld? Und an dir?
REMIGIUS
klar und schlicht.
Doch! Wie konnte ich so viele Jahre – blind neben [126] dir einhergehn? Wie konnte ich nicht hinter deine – Maske schauen. Galt uns beiden nicht immer als oberstes Gesetz menschlicher Beziehung: einander erkennen ist Pflicht?
VATER
innerlich arbeitend.
Gewiß, Remigius. Aber von einer Maske dir gegenüber kannst du doch nicht sprechen! Da durfte ich ja immer sein, wie ich wirklich bin!
REMIGIUS
behutsam.
Und wie du heute warst – Frau und Kind gegenüber, warst du das nicht auch wirklich? War das ein anderer als du?Leise, gequält. Darüber werde ich wohl nie hinwegkommen.
VATER
tief zerknirscht.
Hast du denn nur einen Menschen in dir?
REMIGIUS
vor sich hin.
In mir? ... Hatte bisher nur einen Menschen außer mir: dich!
VATER
mühsam.
Und den hast du nicht mehr? Mit innerem Bitten. Du hast ihn doch noch, Remigius! – Sieh mich an!
REMIGIUS
sieh mit schmerzhaft-zweifelndem Blick zum Vater auf und schüttelt dann unmerklich und stumm den Kopf, den er wieder senkt.
[127]VATER
nach einigen Augenblicken bange-fragenden Schauens plötzlich zusammenzuckend.
Horch!
REMIGIUS
nachdem er gleichfalls in der Richtung auf den Garten gelauscht.
Nichts!
VATER
gepreßt.
Mir war, als kämen – seine Schritte.
REMIGIUS
mit einem Anflug von Bitterkeit.
Ich höre Huberts Schritte noch nicht!
VATER
nach einer Pause mit Auflehnung.
Wie ein Toller blindlings in die Nacht hinauszurennen!
REMIGIUS
fast hart.
Wie ein armes, todwundes, gehetztes Menschenkind!
VATER
unbeirrt.
Mein Blut in ihm, wäre es nicht verwässert, hätte so nicht die Flucht ergriffen! Hätte sich gestellt! Die Faust, wenn nötig, gegen den eigenen Vater gehißt ...!
REMIGIUS
voll innerem Aufruhr.
Und was hätte der Vater getan?!
[128]VATER
stark, aber gedämpft.
Gebändigt hätte er es! Aber dann – das Knie gebeugt vor ihm – vielleicht! Steht starr wie aus Granit.
REMIGIUS
blickt zu ihm mit dem Ausdruck geheimen Grauens auf, schweigt.
Schritte über den Gartenkies und herauf über die Veranda.
VATER
sich rasch wendend.
Jetzt!
ROSL
wird im Rahmen der offenen Glastüre deutlich.
Sie tritt einen Schritt ins Zimmer herein, ist sehr blaß, hat ein dunkles, wollenes Umhängetuch über den Schultern und spricht mit gramvoll erregter Stimme.
VATER
seine Enttäuschung bezwingend, gepreßt.
Nun?
ROSL.
War jetzt auf dem Weg gegen die Stadt. – Auch einen Mann hab' ich gefragt, ob er jemandem begegnet ist ...
VATER
beherrscht.
Es geht gegen – Mitternacht ...
REMIGIUS
aufgestanden, mit einem bestimmten Entschluß.
Ist die Mutter schon schlafen?
[129]ROSL
vielsagend-bekümmert.
O, nein ...
REMIGIUS.
Weiß sie, daß Hubert ...?
ROSL.
Sie hat mich nicht nach ihm gefragt, und ich hab' ihr's – verschwiegen.
REMIGIUS.
Was tut sie?
ROSL
wirft einen Blick auf den Vater und schweigt.
REMIGIUS.
Ich weiß genug.
VATER
seiner inneren Erregung einen Augenblick nicht ganz Herr.
Wozu dies alles? Jetzt ist die Frage nicht nach – der Mutter! Wieder beherrscht, aber nicht mehr ganz sicher. Gehst du ihn wieder – suchen, Rosl?
ROSL
leise.
Gerne.
VATER
sehr mühsam.
Ich wäre dir – dankbar.
[130]ROSL
verliert sich in den Garten.
Tiefe Stille. Der Vater in mächtiger innerer Erregung starr, zugleich sichtlich gegen ein Erwartetes gewappnet.
REMIGIUS
mit der Stärke und Sicherheit dessen, der einen guten Entschluß gefaßt, unausweichlich in seiner Güte.
Es ist jemand in diesem Hause, der ist allein und – weint, Vinzenz!
VATER
wild-verstockt, aber beherrscht.
Weiberart!
REMIGIUS
immer unbeirrbarer.
Dieses Weib hat dir – ein Kind geboren!
VATER.
Du tust nicht gut, mich daran zu erinnern.
REMIGIUS.
Dieses Weib hast du heute vor seinem Kinde – erniedrigt! Ihm die Frucht seiner Wehen wie wertlosen Abfall vor die Füße geworfen!
VATER
immer wilder.
Dieses Weib hat Ränke gesponnen hinter meinem Rücken wider mich!
REMIGIUS.
Sie zog ihr Kind zu sich wie du es zu dir. Das ist Mutterrecht.
[131]VATER.
Über Mutterrecht geht Vaterrecht!
REMIGIUS.
Über allem Recht ist Einsicht.
VATER
rauh.
Was willst du von mir?!
REMIGIUS.
Versöhnung!
VATER.
Ich kann nicht – lügen!
REMIGIUS.
Das sollst du auch nicht!
VATER
im qualvollsten Kampf.
Ich kann sie jetzt nicht sehen! Ihr Anblick könnte mich wieder – schlecht machen!
REMIGIUS.
So leise schläft das Böse in dir?!
VATER
bedrängt, fast flehentlich.
Führe mich nicht in Versuchung!
REMIGIUS
unbeirrt, bedeutsam, stark.
Es geht um Schicksale!
[132]VATER.
Du bist ein starker Apostel deiner Meinung, Remigius!
REMIGIUS
bedeutsam.
Vielleicht, weil auch ich viel zu verlieren habe in dieser Sache!
VATER
ahnungsvoll.
Du?!
REMIGIUS
klar, unbeugsam.
In einem Antlitz, das ich liebe, vertrag' ich dunkle Male nicht. Gesenkt. Ich könnte dir nicht mehr – ins Gesicht sehn.
VATER
nach einem letzten jähen inneren Aufbäumen, bezwungen.
Das Weib – mag kommen!
REMIGIUS
über den ein Leuchten der Güte geht.
Ich – danke dir, Vinzenz! Er geht, mehrmals nach dem Freunde zurückblickend, links ab.
Tiefe Stille; in ihr nur das schwere Atmen des Vaters, der rechts vorne hochaufgerichtet steht. Eine nahe Turmuhr schlägt drei Schläge. Gleich darauf setzt die Standuhr auf dem Konsoltischchen mit elf rascheren und drei langsameren Schlägen ein.
REMIGIUS
erscheint mit der Mutter von links, er geleitet sie zum Sofa.
MUTTER
die ein loses dunkles Hauskleid und um die Schultern einen schottischen Schal trägt, folgt ihm mit sichtlichem Widerstreben.
Ihr Gesicht ist verweint, ihr Wesen hat etwas Geschlagenes, Gedemütigtes.
[133]REMIGIUS
mit großer Güte und werbender Herzlichkeit.
So, und nun nehmen Sie Platz, liebe Frau meines Freundes! Daß Sie hier sitzen und ein Weilchen bleiben, ist vorerst alles, worum ich Sie von Herzen bitte. Er geht nun ein paar Schritte in den Hintergrund und sieht von dort aus den Vater erwartungsvoll an.
VATER
tief.
Wir haben heute einander – recht weh getan, Mutter ...
MUTTER
unterdrückt ein jähes Aufschluchzen, dann mit versuchter Härte.
Einander? – Kann man dir wehtun? – Könnte man's doch!
VATER.
Dein Samenkorn ist unter Steine gefallen, Remigius!
REMIGIUS
leise, bittend.
So dürfen Sie nicht sprechen, liebe Freundin!
MUTTER
bitter, aber ohne Kraft der Bitterkeit.
Wenn man durch Jahr und Tag mitgemacht hat, was ich ...! Ein Dienstbote hat es besser.
VATER.
Hab' ich denn in Saus und Braus des Glückes gelebt?!
[134]MUTTER.
Aber immer doch nach deinem Willen.
VATER.
Wer Willen hat, kann nicht gegen ihn leben!
MUTTER.
Meinen aber und den des Kindes hast du gebrochen!
VATER
immer kälter.
Das alte Märchen! Ein Wille, der sich brechen ließe, wär' keiner.
MUTTER.
Das ist eine gar billige Ausrede.
VATER.
Ist meine Lage so schwach, Remigius, daß ich der Ausreden bedürfte?
REMIGIUS
mild-verweisend.
Jetzt handelt es sich nicht um Stärke, sondern um Güte, Vinzenz!
MUTTER
bitter.
Güte! Wann hat er die je gehabt! Was immer er spricht, ist Hochmut und Verachtung für alle, die anders sind als er!
VATER.
Man hat das Recht auf Menschen, die einem gleichen.
[135]MUTTER.
Wer gibt einem dieses Recht?
VATER.
Niemand, wenn man es nicht hat!
MUTTER
mit ohnmächtigem Haß.
Das sieht dir ähnlich!
REMIGIUS
in wachsender innerer Erregung.
Sprecht jetzt nicht davon, ihr Lieben! Von euch und von euerem Kinde ist jetzt die Rede! Auf daß der kommende Tag euch anders finde vor seinen Augen als ...
VATER
wieder beherrscht.
Wird dies auf diesem Wege möglich sein?
REMIGIUS.
Es muß und wird, wofern ihr guten Willens seid.
VATER.
Bin ich es nicht?
REMIGIUS.
Du hast es auch leichter, Vinzenz; dir winkt Gottes Finger deutlicher als deinem Weibe. Die weiß ja nicht, daß Hubert – noch nicht zurück ist!
[136]MUTTER
auffahrend.
Was soll das heißen? Hubert? Ist Hubert fort? Auf den Vater zu, drohend. Was hast du ihm getan?!
REMIGIUS
aufflammend.
Nichts anderes als Sie selbst, als ihr beide in eurer zügellosen Wut, einander zu treffen!
MUTTER
wild.
Das ist nicht wahr! Sprich du, Mann!
VATER
mühsam beherrscht.
Was willst du von mir hören?!
MUTTER.
Wo mein Kind ist!
VATER.
Ebenso könnte ich dich fragen: wo ist das meine?!
REMIGIUS
in edlem Zorn.
Spricht hier Gott zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel?! – Beuget euch doch endlich, ihr Hoffärtigen!
MUTTER
furios.
Er ist Kam!
VATER
am Rande der Beherrschung.
Dein Rat war schlecht, Remigius!
[137]MUTTER
in plötzlich obsiegender Angst.
Hubert – Hubert! Ja, warum sucht ihn denn niemand?!
VATER
von ihrer Angst angesteckt, unsicher.
Es ist geschehen.
MUTTER
immer hilfloser in ihrer Angst.
Geschehen? Geschehen? – Wer? – Und? Und?
VATER
immer unsicherer.
Seine Rückkunft wird gemeldet werden.
MUTTER.
Rückkunft gemeldet werden? Das ist alles? Ja, woher weiß man denn –? Sie bricht in ein hilflos-angstvolles Schluchzen aus.
VATER
selbst angstgepackt, nicht ohne Anteil.
Das war immer alles, was sie konnte!
REMIGIUS
bei der Mutter, gedämpft, erregt.
Dafür ist sie ein Weib, Vinzenz.
VATER.
Es gibt auch Frauen, die dem Manne Stütze sind in ungewissen Augenblicken!
[138]MUTTER
geschüttelt, abwesend.
Wer war denn mir Stütze?
VATER.
Bist du so schwach von Gedächtnis? Wann immer Schweres kam, wer nahm es auf seine Schultern?
MUTTER.
Ich! Wer andrer als ich?
VATER.
Ja, das Jammern und Wehklagen machtest du zu deinem Anteil! Aber die Abwehr, die Tat – ich bis ins Kleinste!
REMIGIUS.
War es nicht deine Pflicht?
VATER.
War's nicht auch die ihre?
MUTTER
plötzlich ganz verändert, starr.
Was reden wir denn da? Wovon ist denn die Rede? Losbrechend. Ich halte es nicht mehr aus! Sie zieht ihren Schal fester um die Schultern und will über die Veranda.
REMIGIUS
sie aufhaltend.
Was haben Sie im Sinn? Wohin –?
MUTTER.
Ihn suchen! Fort von hier!
[139]REMIGIUS.
Das können Sie nicht, in der Nacht allein! Blickt auf den Vater.
MUTTER.
Lassen Sie mich! Auch er ist in der Nacht allein!
VATER
jäh, aus tiefster Tiefe.
Elisabeth!
MUTTER
von seinem Ton gepackt, einen Augenblick innehaltend.
Was willst du?
VATER.
Willst du mich – mitnehmen?!
Die Mutter steht schweratmend, der Vater halb abgewandt in großer Erschütterung, zwischen beiden Remigius mit leuchtendem Antlitz. Eilige Schritte durch den Garten über die Veranda.
ROSL
strahlend, mit gedämpftem Jubel in der Stimme.
Er kommt!
VATER
ungläubig, aufleuchtend.
Kommt?!
MUTTER
mit einer Wendung, als wollte sie in den Garten, leise aufschluchzend.
Hubert! – Kind!
REMIGIUS
sie an der Hand nehmend.
Still!
[140] Alle stehen in lauschender Stellung lautlos, man hört nur die Freude in ihren Atemzügen. Rasch-vorsichtige Schritte über den Gartenkies an der Veranda vorüber, dann verhallend.
MUTTER
vor Freude schluchzend.
Zu ihm! – Jetzt müßt ihr mich doch zu ihm lassen!
Rosl entfernt sich unbeachtet.
REMIGIUS
leise, doch mit steigender Stärke des Gefühls.
Nicht heut' mehr! Der hat heimgefunden, der ist im Hafen. Aber zwei anderen glitt ein Licht da draußen soeben vorüber, damit sie einander suchen und – finden! Versteht ihr mich wohl, ihr lieben beiden? Oder wollt ihr die Boten zurückrufen, die schon unterwegs waren aus eueren Herzen? Das glaub' ich nicht, das kann ich doch nicht glauben! So undankbar können Menschen doch nicht sein!
MUTTER
leise.
Ich bin nicht undankbar ...
REMIGIUS
leuchtend.
Hast du's gehört, Vinzenz?! Da wirst du doch nicht zurückstehen wollen. Wunden, die man geschlagen, heilen, das ist doch nicht so ganz unwürdig eines Mannes, und ist er noch so gewaltig!
[141]VATER
aufgewühlt, wund.
Und wer heilt mir die meinen?
REMIGIUS.
Ist dir denn nicht eben ein großes Glück widerfahren? Auf solche Gnaden hin kann man schon ein bißchen was wagen! – Kommen Sie näher, liebe Freundin! – Wenn Gott schon Brücken schlägt von Ufer zu Ufer, darf man so kleingläubig sein, sie nicht zu betreten?
VATER
schwer, aber milde.
Wenn seine Brücken nur halten, Remigius!
REMIGIUS
immer heiterer.
So ein übler Baumeister ist er doch nicht, Vinzenz! Aus Spinnweben baut er doch nicht! Was soll er denn noch tun, um dir zu deuten?
VATER
hebt langsam die Hand und hält sie, halb abgewandt, seiner Frau hin.
MUTTER
leise schluchzend.
In Gottes Namen! Ihre Hände berühren einander einen Augenblick lang.
VATER
die Hand wieder sinken lassend, tief.
Im Namen – unseres Kindes.
[142]REMIGIUS
leise.
Das war – lieb von euch.
VATER
halb abgewandt nach ihm tastend und ihn mit verhaltener Zärtlichkeit zu sich ziehend, an ihn gelehnt, ganz milde.
Wo hast du diesen Glauben her, du Knabe, du – ewiges Kind?
REMIGIUS
wirklich wie ein Knabe verwirrt, errötend, gütig schmollend.
Immer nennst du mich Knabe und jetzt gar nur ein Kind! Und bin doch schon an die Siebzig ...
Zwischenvorhang langsam leise.
Die Musik aus dem Heurigengarten setzt mit der Introduktion eines Walzers ein und dauert weiter, wenn der Vorhang bereits wieder aufgegangen ist.
Huberts Mansarde.
Helle Nacht. Weiße Wolken ziehen über den Himmel, auf den man über die windbewegten Wipfel der Gartenbäume blickt. In der Ferne der von Lichtern gekrönte Hügel. Eine Kerze auf dem Tische ist fast niedergebrannt. Hubert allein, mit hastigen Schritten auf und ab, einen Brief in der Hand. Er ist verstört, bleich, lacht, murmelt und spricht zu sich wie im Fieber.
HUBERT
nachdem er ein paarmal in sich hinein gekichert hat, mit selbstparodierendem Pathos vor sich hin.
Zum Vollstrecker meines letzten Willens ernenne ich meinen Freund Theophil Rabanser! Er legt den Brief auf den Tisch, [143] steht einige Augenblicke verloren; dann plötzlich wieder aufgepulvert. Genug, genug, genug des hämischen Gaukelspiels! Sterben! Die Juristen sagen, ein lebender Hase sei eine unbewegliche Sache, herentgegen ein toter Hase eine bewegliche. Toll, meine Herren Doktores! So will ich nach diesem Rezept einmal versuchen, aus mir eine bewegliche Sache zu machen. Lacht. – Ein lebender Leichnam läßt sich aus der Welt schaffen, ein toter Leichnam nicht. Ich will aus mir etwas machen, was nicht aus der Welt zu schaffen ist, indem ich mich aus der Welt schaffe. Lacht. O, wäre ich nie emporgetaucht an das Licht, das die Menschen beseligt! Mir war es kein süßes Licht. Ich schließe die Augen, Amen. – Als sie heute einander mein Dasein vorwarfen, wie einen schmutzigen Fetzen einander vor die Füße und ins Gesicht, wo waren deine Wunder, Allmächtiger, mich in die Protozoe zurückzuwandeln, aus der ich mich auf dem Umweg über die Kaulquappe emporgeformt zu deinem Ebenbilde? – Wo waren deine Wunder, Allmächtiger? – Lieber ausgespült werden aus dem Allerweltsschoße einer Straßendirne, als zum Fluche werden im biederen Mutterleib einer Ehefrau! – Eltern, du Klang, bei dem sich Kniee beugen können wie vor offenen Himmeln! – Mir war ein Peitschenhieb der Name Vater und einer Horniß Biß der Name Mutter. – Sie haben mich immer gezerrt, herüber, hinüber.[144] Warb der eine um mich, so warb er mich gegen den andern. Was konnt' ich dafür, ich ungewolltes, ich einsames Kind? – Bleibt vor der Kerze stehen. Willst du mich zur Eile treiben, elender Talgstumpf? Wirst mir dein bißchen Deprofundis-Licht schon noch ein Weilchen gönnen müssen! Sonst, eh ich mich selber ausblase, blase ich dich aus!Lacht.
Nur eine noch! – Nicht weinen, süße, blondselige Rose! – Wisch dir die Augen in das Geschirrtuch, eh du die Gans aufträgst zum Leichenschmaus! Du hast sie doch nicht verbraten? Sonst wird dich die Mutter jagen! – Wisch dir die Augen in das Geschirrtuch, blondselige Rose! Sie sollen es nicht begeifern, daß es Tränen gibt, die für mich fließen. – Ich hätte dich gern auf den Mund geküßt, blondselige Rose! – Es ist bitter, in das gewisse dunkle Loch zu fahren, ohne es vorher beim Weibe versucht zu haben. Lacht krampfhaft auf, reißt sich zusammen. Delinquentenhumor, pfui Teufel! Man speit nicht auf Heiligtümer! Man stirbt! Ehrlich, einfach, ohne Seitenblicke und schweigsam!Mit ein paar großen Schritten auf den Schreibtisch zu, reißt eine Lade auf, holt eine kleine Flaubertpistole und eine Schachtel mit Patronen heraus. Alle Bewegungen wie im Fieber. Mordeisen, Spatzenschreck, Katzentod, rostiges Terzerol, heraus! – Geschehen. – Den Knackhahn gespannt!Da der Hahn nicht halten will, ihn nochmals grimmig zurückreißend. Halte, Objekt! – Geschehen. – Laden![145] – Pulver und Blei, Kaliber sechs Millimeter, hinein in den Drall! – Geschehen. – Die Seele empfohlen dem allmächtigen Lenker Himmels und der Erde! – Macht mit irrer Hand das Zeichen des Kreuzes. Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. – Geschehen. – Angelegt, gezielt, gefeuert! Eins – zwei – und –! Wer klopft?! Schlägt ein wildes Lachen auf, ruft gegen die Tür. Fremden ist der Eintritt verboten! Zu spät! Bin eben dabei, die Frage der Berufswahl zu lösen, liebe Eltern! Lacht. Aus einem unbeweglichen Hasen einen beweglichen zu machen, liebe Eltern! Es knallt ein wenig! Erschreckt nicht! Er reißt die Pistole an die Schläfe. Feuer!
STIMME VON DRAUSSEN
leise, ängstlich, dringend.
Hubert!
HUBERT
wild.
Kann man in diesem Hause nicht einmal sterben!? Feuer, kommandiere ich, Feigling!Lauscht gierig in der Richtung der Tür.
STIMME VON DRAUSSEN
lauter, angstvoller, dringender.
Hubert!!
HUBERT
halb Schluchzen, halb Jubel.
Rosl! Die Hand mit dem Revolver sinkt ihm herunter. Engel des Lebens! – Ich komme! Er steckt den Revolver unbewußt in die Tasche. [146] Die ungeheure Spannung seiner Nerven entlädt sich in einem abgerissenen tränenlosen Schluchzen und in einem Stammeln unverständlicher Worte. Die Hände vorgestreckt, tastet er sich gleichsam bis zur Tür. Mit unsicheren Griffen findet er Schnalle und Schlüssel. Er drückt die Wange an die Tür, der Sturm legt sich, wie unwillkürlich dreht er den Schlüssel im Schloß, öffnet.
Rosl erscheint im Türrahmen. Man hat das Gefühl, die beiden würden im nächsten Augenblicke einander in die Arme sinken. In beiden aber obsiegt die Schüchternheit junger Menschen. Nach Blicken, die erwartungsvoll ineinandergetaucht, sehen sie aneinander vorüber. In ihren Stimmen aber bebt die Erregung und Befangenheit nach, gibt ihren Worten etwas Uneigentlich-Traumhaftes, Beklommenes.
ROSL
noch an der Tür, abgewandt.
Ich hab' dir noch nicht dein Bett gemacht –
HUBERT
mit dem Unterton der Enttäuschung.
Das trieb dich, nach mir zu sehn?
ROSL.
Hab' dich kommen gehört –
HUBERT.
Hast noch gewacht?
ROSL.
Wollt' eben schlafen gehn.
Sie schreitet, ohne aufzublicken, an ihm vorüber zum Bett und deckt es auf. Der Wind rauscht draußen durch die Baumkronen und legt sich wieder.
[147]HUBERT
ist nach links zum Schreibtisch gegangen, sieht Rosl heimlich zu.
ROSL.
Brauchst du sonst noch irgend etwas vielleicht?
HUBERT
beziehungsvoll.
Werd' wohl nichts mehr brauchen, mein Kind.
ROSL.
Ich schließ' dir das Fenster. Der Wind ist so feucht –
HUBERT.
Laß nur offen! – Ich liebe den Wind
ROSL.
Das Wasser ist noch nicht zu Bett gestellt –
HUBERT.
Tut nichts.
ROSL.
Und die Kerze fast abgebrannt –
HUBERT.
Die wird schon noch reichen für diese Welt.
ROSL
nachdem sie einander beklommen angesehen.
Gute Nacht –
HUBERT
leise.
Gibst du mir nicht die Hand?
Sie geben einander, ohne aufzublicken, die Hände und halten sich.
[148]HUBERT
zögernd, gehemmt.
Rosl, wir waren Kinder bisnun,
Doch ich bin jetzt – ein Mann.
Willst du mir nicht etwas Liebes tun?
ROSL
leise, befangen.
Gerne, wenn – ich es kann.
HUBERT.
Und ob du es könntest! – Komm, setz dich zu mir!
Weiß Gott, wann es wieder geschieht –
Willst nicht?
ROSL
bei ihm, der sich auf die Ottomane niedergelassen stehenbleibend.
Was soll ich denn tun bei dir?
HUBERT
nachdem er sie verstohlen-zärtlich angesehn, wieder gehemmt.
Ein Lied sollst mir singen – ein Lied.
ROSL.
Ein Lied? – Das ist gar schon lange her,
Daß ich keine Lieder mehr sing'.
HUBERT.
Wohl wahr! Als wenn's eine Ewigkeit wär':
»Von eitel Golde« der Ring! –
Sag, denkst du noch, wie deine Mutter war?
[149]ROSL.
Sie kommt mir noch manchmal im Traum,
Wie sie leibt und lebt.
HUBERT.
Auch so blond von Haar,
Wie du bist?
ROSL.
So blond – wohl kann.
HUBERT.
Und dein Vater?
ROSL.
Den strafe der liebe Gott!
HUBERT.
Was ist dir?
ROSL.
Der war kein Christ.
Hat meine Matter gebracht in Spott –
Weiß nicht, wer mein Vater ist.
HUBERT.
Verzeih mir, Rosl, daß ich gefragt –
ROSL.
Jetzt kennst du meine Schand'.
HUBERT.
Hat mancher ganz anders, als man so sagt,
[150] Seinen Vater nicht gekannt.
Leicht wärst du gar nicht so lieb und gut,
Wär's anders gewesen, weißt?
Doch so hast du Liebe in deinem Blut!
ROSL.
Was man so Liebe heißt!
HUBERT.
Komm wieder zu mir!
ROSL.
Es ist Mitternacht,
Und ich muß morgen wieder bald heraus.
Du weißt, die Mutter hat auf alles acht,
Will Ordnung haben früh um Herd und Haus –
Bist auch schon müd'. Wie deine Stirne glüht!
Der Tag war – heiß. Geh schlafen, ruh dich aus!
HUBERT.
Wohl heiß. Doch schlafen? – Rosl, sieh mich an! –
Wenn ich mein Schaun in deins zur Ruhe schicke,
Erfaßt die Ahnung mich von einem – Glücke,
Sinn alles Sinns zu bilden angetan.
Du hast mich nie betrübt!
ROSL.
Auch du mich nicht.
[151]HUBERT.
Wie kommt das?
ROSL.
War doch Kameradenpflicht!
HUBERT.
Nur Pflicht?
ROSL.
Was sonst?
HUBERT.
Und jener Sommertag?
ROSL.
Was meinst du?
HUBERT.
Damals auf dem Lande,
Als Kinder noch! – Wir wateten im Sande
Des Hechtenteichs, der bei der Mühle lag.
Du hattest Schuh und Strümpfe ausgezogen;
Da stach dich was, der Stich ward rot und hoch,
Da hab' ich dir – erinnerst du dich noch? –
Das Gift mit meinen Lippen ausgesogen.
ROSL.
Und warst vor Schrecken ganz sonderbar –
HUBERT.
Weiß Gott, ob es nur vor Schrecken war.
[152]ROSL.
Was denn?
HUBERT.
Da hat ja zum einzigen Mal
Mein Mund deine kühlwarme Haut berührt –
Hab's lange nachher noch als Lust und Qual
Durch all meine Adern strömen gespürt.
ROSL.
Was dir für komisches Zeug einfällt!
HUBERT.
Nicht so komisch wie es dir scheint!
Hab' oft bis zum Morgen die Stunden gezählt
Und nach dir mich versehnt und verweint!
Und heute – ist mir wieder zumut',
Als bekäm' ich zu kosten dein süßes Blut,
Als wär' mir was Liebes vermeint.
ROSL.
Das ist nur, das ist nur, weil wir zu zweit
Allein sind in später Stund' –
HUBERT.
Nein! Es ist das Strömen der Ewigkeit
Von deinem zu meinem Mund.
[153]ROSL.
Das ist nur, weil heute der böse Wind
Das Blut so sündhaft versucht –
HUBERT.
Nein! Es ist das Blühen, dein Blühen, Kind,
Das Segen will werden und Frucht!
ROSL.
Was soll denn dann werden, werden aus mir?
Sie jagen mich ja hinaus!
HUBERT.
Ein Leben soll werden, ein Leben aus dir!
Und wo du bist, bin ich dann zu Haus!
ROSL.
Du bist ja noch nichts, und ich bin arm!
Und käme noch eins dazu,
Wer schafft ihm zu essen, wer hielte es warm?
HUBERT.
Wer anders als ich und du?
ROSL.
Das gäb' ein gar trauriges Ende bald!
HUBERT.
Kein Ende, wenn nicht der Tod!
[154]ROSL.
Aber die Straßen sind hart, und die Nächte kalt,
Und der Hunger ist bittres Gebot!
HUBERT.
Hat denn nicht Gott seine Wunder gebreitet?
Leiden die wilden Lilien Not?
Alles, was sich aus Erden bereitet,
Ist Stillung und Labsal –
ROSL.
Aber nicht Brot!
HUBERT.
Quöll' nicht aus deinen gesegneten Brüsten
Gierigem Mündlein Nahrung zu?
Und wenn wir einander hielten und küßten –!
ROSL.
Schön wär' es schon!
HUBERT.
Schön wird es auch, du!
Irgendein Hüttlein, aus Hölzern gezimmert,
Flamme strahlt Wärme, Lampe glüht Licht,
Kleines Fenster, von Blumen umschimmert,
Und hinter Blumen dein liebes Gesicht!
[155]ROSL.
Hoffst du das wirklich?
HUBERT.
Soll ich denn nicht?
Und, denk du nur: Arbeit! Arbeit! Arbeit!
Mit rüstigen Händen
Wirkliches fassen
Und wirklich vollenden!
Mit heiter messenden Füßen
Eigene Erde begehn,
Täglich die Sonne grüßen
Bei ihrem Auferstehn!
Pflanzen und Tieren vertraut sein,
Dem Rätsel von Blüte und Frucht,
Eingesetzt, eingebaut sein,
Gnadevoll heimgesucht!
Sorgen, wenn man gemäht hat,
Wie neu die Brache gebiert,
Ernten, was man gesät hat,
Säen, was Ernte wird!
ROSL.
Will aber auch gelernt sein!
HUBERT.
Ist unser von Anbeginn,
[156] Trotz allem Der-Erde-Entferntsein,
Ureingeborener Sinn!
Oder bebt nicht der Allmutter Schoß,
Jauchzt nicht der Wässer Sturz
Von Kräften, segengewillten?
Träumt nicht in Stollennächten
Von Schmelzglut das Erz?
In Wipfelbedrängnis
Von goldner, bewimpelter
Maste Tanz nicht der Stamm?
Der Woge unbändige Flanke,
Bäumt sie sich, stöhnt sie nicht
Nach kreisender Schrauben
Sausendem Schaufelhieb?
Alles, was ist, will Hände!
Ding, Kreatur, Element:
Hände!
Ordnende, fördernde, formende!
Hammerhand, Axthand, Pflughand!
Hände an Winden und Hebeln,
An Steuern und Essen Hände!
Hände, Hände!
Sind denn die meinen zu schlecht,
Um anzufassen am Triebwerk?
[157] Um mitzulenken, mitzuschaffen,
Mitzuheimsen?
Ein Herz, das mir glaubt,
Und Riesenkräfte
Stürzen in diese Muskel!
Flammenströme
Schießen aus diesem Gehirn!
Habe auf Gottes Erden
Niemanden mehr, nur dich!
So hilf du und glaube!
ROSL
benommen.
Ich glaub' ja!
HUBERT
überhitzt.
Glaubst mir? Glaubst wirklich? Glaubst?!
Halle es wider,
Kristallen Gebälke
Ewigen Himmels!
Ein Mensch ist gefunden,
Der glaubt!
Einer!
Halle es wider,
Kristallen Gebälke! –
Doch jetzt kein Wort mehr!
Entschlossen, verschwiegen:
[158] Wagen, vollbringen, tun!
Komm mit mir! Fort!
Noch jetzt! Heute nacht!
ROSL
zitternd.
Wohin?
HUBERT
ungeduldig.
Gleichviel!
Was zögerst du, starrst?
Fiebre ich Wahnsinn?
Mißglaubst du mir schon?
ROSL.
Ist dir's auch wirklich Ernst?
HUBERT
auffahrend, immer grimmiger, hitziger.
Ernst, Ernst! Wie es mich ekelt,
Dies klebrige Spießerwort!
Ernst ist, was flickt, strickt und häkelt,
Ernst ist, was schachert und mäkelt,
Was über Büchern verdorrt!
Ernst sind sie beim ewigen Kauen
Am uralten Sauerteig,
Ernst im Bett ihrer Frauen,
Beim Essen, Trinken, Verdauen,
Ernst, wo zum Lachen zu feig!
[159] Ernst sind sie, wo sie verstummen,
Weil ihre Weisheit zu Spott,
Ernst ist der Tanzschritt der Krummen,
Ernst ist das Pathos der Dummen,
Ernst ist der Freude Bankrott! –
Doch ich will leben! Leben will ich, leben!
Begreifst du diesen urgebornen Drang?
Nicht hingekrümmt an Vorgedachtem kleben,
Nicht keuchen unter Lasten! Leben, schweben
In Blutes ungehemmtem Überschwang!
Was schert mich, woher ich für morgen
Hernehme das lumpige Geld!
ROSL.
So willst du für uns nicht sorgen?
HUBERT.
Gesorgt wird genug auf der Welt! –
Und nun zu mir her, solange noch Zeit!
Sonst wird es am Ende zu spät!
Für meine drübere Seligkeit
Verzicht' ich auf dein Gebet!
Hier noch, solange das Herz mir schlägt,
Mußt du dich meiner erbarmen,
Ich habe noch niemals ein Weib gehegt
[160] In meinen verschmachtenden Armen!
Komm, küss' mich!
ROSL
bebend.
Und wirst du, wenn ich's gewähr',
Auch brav sein und nicht am End'
Noch mehr verlangen?
HUBERT
mit der Gier des Gehirnes.
Noch mehr! Immer mehr!
Das schwör' ich beim Sakrament!
Zieht die Bebende wild an sich.
ROSL
in voller Hingebung mit versagender Stimme.
Da bin ich!
Sie küssen einander immer wieder.
HUBERT
zwischen Angst und Entzücken.
Ist es denn wirklich,
Daß ich dich halte?!
Unter den Füßen
Mir schwankt der Raum,
Alles so Finstere,
Alles so Kalte
Löst sich in Wärme
Und lichten Traum!
[161] Aus allen Tiefen drängt
Wohliges Treiben,
Lippe an Lippe hängt,
Süßes Beweiben!
Schauer in Schauer bebt,
Tausendfach: Ich!
Endlich erfüllt, erlebt! –
Ängstet es dich?
ROSL
hingegeben.
Nicht Angst mehr vor Sünde
In meinem Blut!
Was ich empfinde,
Ist ja so gut –
HUBERT.
Zärtlich und wortbegabt
Sonst zaghafter Mund!
ROSL
vergehend.
Nie noch so liebgehabt!
HUBERT.
Küss' mich gesund!
ROSL
vergehend.
Bleischwer hängen
Die Kleider an mir –
[162]HUBERT
nur im Tone sinnlich.
Wenn sie dich engen,
Ich helfe dir –
Er nestelt ihr die Bluse am Halse auf.
ROSL
ihm wehrend und doch helfend.
Laß! Nicht!
HUBERT.
Warum?!
Du bist ja so schön –
ROSL
zurückgesunken, mit abgewandtem Gesicht.
Sieh mich nicht an!
HUBERT.
Ich muß dich sehn!
Ihr immer wieder Brust und Hals küssend.
Neidischer Hülle
Endlich entblüht,
Zärtliche Fülle
Duftet und glüht.
ROSL
von Sinnen.
Was tust du?!
[163]HUBERT.
Trinken!
Gib noch, gib noch!
ROSL.
Mir ist zum Versinken –
So nimm mich doch!
HUBERT
immer unsinnlicher.
Ja, nehmen dich!
Beschwichtigen
Den glücklichen Aufruhr
Deines Bluts.
Aus stürmenden Atems
Wogenschlag
Retten das kleine
Angstvoll pochende Herz
Entblättern
Das Wunder deines Leibes,
Und dann –
Anbetend, erschüttert
Hinknien vor so viel
Gnadelächelnder Reinheit
Und wie in Kindertagen
Die Lippen wieder pressen
[164] Auf die kleine
Brennende Wunde
Deines tausendmal
Geträumten Fußes ...
Weinst du?
Warum weinst du, Geliebte?
Hab' ich zu nah dir getan?
Siehe, ich knie ja vor dir –
Kein Wunsch mehr lästert,
Kein Ungeziem
Zu dir mehr empor!
Nur traurig bin ich,
Zum Sterben traurig ...
ROSL
deren ganzer Körper von einem plötzlichen Weinen geschüttelt war, richtet sich jetzt auf; ihr Gesicht ist verfallen, ihr Körper wie zerschlagen.
Sie hat die Hände um ihre Knie gefaltet und sieht über Hubert hinweg ins Leere. Nun beginnt sie, mechanisch ihre Bluse zuzuknöpfen.
HUBERT
angstvoll.
Was hast du?
ROSL
tonlos.
Nichts.
HUBERT.
Doch, doch!
[165]ROSL.
Steh auf und sei
Vernünftig –
HUBERT
traurig.
War ich es nicht?
ROSL
bekümmert.
O, sehr!
HUBERT
schmerzlich zusammenzuckend.
Der Traum vorbei.
ROSL.
Mich fröstelt.
HUBERT.
Ja. – Auch mir ist bitterkalt!
Mir ist, als wär' ich – tausend Jahre alt.
Er sieht sie forschend an, dann gequält.
Du lächelst? Lächelst du?!
ROSL
ins Leere.
Ich glaube kaum.
HUBERT
mit angstvoller Wildheit.
Du, schau mich an!
ROSL
an ihm vorübersehend.
Wozu?
[166]HUBERT
ihr Gesicht zu seinem emporhebend, nachdem er lange drin geforscht.
Vorbei der Traum!
Wieder fast mit Grimm.
Noch einen Kuß!
Er küßt sie, die es starr geschehen läßt.
Wie Eis! –
Rosl löst sich von ihm los und geht mühsam zur Tür, wo sie abgewandt stehenbleibt.
HUBERT
wie ein Ertrinkender.
Bleib, Rosl, bleib!
ROSL
traurig, ohne Vorwurf.
Es ist ja doch zu nichts. Dir bin ich ja kein Weib.
Ab.
HUBERT
nach ein paar Schritten auf die Tür zu, ganz starr.
Kein Weib? – Auch dieses noch! – Gott sei's geklagt,
Kein Mann bin ich, ein Nichts! Auch da versagt.
Ein Ende, Ende jetzt! In Gottes Namen! –
Mir war es kein süßes Licht –
ich schließe die Augen. Amen.
Die Heurigenmusik setzt mit einem Marsch ein, der, von angeheiterten Stimmen nicht durchwegs richtig mitgesungen, von Johlen und Lachen begleitet, ziemlich rasch näherkommt.
[167]HUBERT
sich plötzlich zusammenreißend, mit wildem, krampfhaftem Auflachen, in einander überstürzenden Sätzen.
Holla! Kehraus im Lustgarten! Es drängt bereits heftig zur Katastrophe! Sonst kotzen mir die Schweine noch in meine Agonie! Mit fiebernden Händen an seinen Taschen herumtastend. Wo hab' ich denn nur den alten Nußknacker? Begnadete Eingebung: Nußkern – Menschengehirn! – Da bist du! Heraus mit dir! Meine Schale ist zum Platzen! Nur lustig lustig! Ich komm' schon zum Abmarsch! Er stürmt, den Revolver in der Hand, auf den Balkon.
Der heitere Zug zieht eben unten am Garten vorüber. Die Instrumente werden nun beinahe übertönt von dem Gewirre der lachenden, singenden, johlenden und rufenden Stimmen. Man sieht den roten Widerschein von bengalischen Zündhölzern und Lampions auf den Gartenbäumen.
HUBERT
im Paroxysmus, wild gestikulierend, in den Tumult hinunterschreiend.
Lustig! Lustig!! Lustig!!! Wenn zwei spielende Banden einander begegnen, hat die eine das Spiel einzustellen! Exerzierreglement für die Infanterie! Ich stell' es schon ein, das Spiel, ihr besoffene Bande!
Durcheinander von teils gemütlichen, teils
drohenden Zurufen von unten her, während sich die Musik immer mehr entfernt.
HUBERT
mit rasendem Lachen, immer wieder zurückrufend.
Wie? – Antialkoholiker! – Antimusikaliker! – Antierotiker![168] – Wie? – Im Neunzehnten! – Lebensunfähig! – Lebensmüd'? – Ein Nichts auf zwei Beinen! Ein Nichts – Nichts – Nichts!!! Lacht nicht, Idioten! Pulverblitz und Knall an Huberts Schläfe. Es reißt ihn jäh herum. Die Pistole fliegt aus seiner Hand ins Zimmer. Er erfängt sich am Türstock der Balkontür, gleitet an ihm nieder und fällt dann quer über den Balkon, mit letzter Kraft schreiend. Zu Hilfe! – Ich will nicht sterben! Stirbt.
Die Stimmen unten haben sich nach dem Schusse zu einem einzigen Aufschrei zusammengeballt, sind dann einen Augenblick totenstill geworden und sammeln sich nun wieder zu anschwellender Erregung. Poltern über die Treppe herauf.
VATER
mit offenem Rock, hereinstürmend.
Hubert!Sucht ihn mit den Blicken, wird seiner gewahr, wirft sich zu ihm nieder, reißt ihn empor, starrt in sein totes Antlitz, läßt ihn wieder sinken und richtet sich auf. Er steht ein paar Atemzüge lang starr, an die Tür gelehnt, dann kommt er mit fast gehetzten Schritten nach vorne bis an den Studiertisch. Gesicht und Gestalt sind bereits wieder gefaßte Härte geworden, nur die Hände, die sich auf die Tischkante stützen, zittern gewaltig, Nun bemerkt er plötzlich den Brief auf dem Tisch. Ohne die Hände von der Kante zu lassen, beugt er sich gierig über ihn, liest die Aufschrift; mit tonlos-verstörter Stimme. An Theophil Rabanser!Nun löst sich seine Rechte von der Tischkante. Ohne aufzuhoren, sich auf sie zu stützen, tastet er mit ihr bis zum Briefe, verkrallt sich in ihn und hält ihn zerknüllt in der Faust.
Im Hause unten ist indessen ein Schrei laut geworden, kommt höher, über die Treppe, immer höher, zur Tür herein; halbangekleidet, mit wirrem Haar, die Mutter. Ihr folgt Rosl.
[169]VATER
hat den Schrei emporkommen gehört; einen Augenblick lang zuckt furchtbarer Triumph über sein Gesicht; dann weicht dieser dem Haß und der Anklage.
Der Mutter entgegenschreiend und in den Hintergrund weisend. Dort! – Tot!!
MUTTER
einen Augenblick lang versteint, dann losbrechend.
Dein Werk! Stürzt in den Hintergrund, sinkt über Hubert.
VATER
mit letzter Kraft der Anklage.
Dein Blut!Bricht innerlich zusammen. Das meine – flösse nicht – auf der Erde!
Die Stimmen unten nur mehr ein erregtes Murmeln, die Musik schon ganz in der Ferne.
Vorhang.