Vom Dorf

1. Die Sonne bringt es an den Tag

In einem kleinen Dorf in Schwaben hat vor nicht gar langen Jahren ein Bauer gelebt, der zu den wohlhabenden des Ortes gehörte. Der Jakob war noch ein junger, sauberer Mann; sein Feld und seine Güter waren wohlbestellt und unverschuldet; sein Leben tadellos, und doch wußte man nicht, daß er auch nur einen recht guten Freund gehabt hätte. Keinen der Mannen sah man abends bei ihm sitzen auf der Bank vor dem Haus oder während der Ruhestündchen unter der Feldarbeit; überall ging er allein seiner Wege. Er war so etwas von dem, was man einen Duckmäuser (sag auf schwäbisch Dockelmauser) nennt; alle, auch die einfachsten Dinge liebte er heimlich zu tun und war nie dazu zu bringen, über irgend etwas seine Meinung offen und geradezu auszusprechen.

Jakob hatte ein braves Weib gehabt, die er als ein frisches, flinkes und fröhliches Mädchen geheiratet; aber sie hatte nur wenige frohe Stunden mit ihm verlebt und war zwei Jahre nach der Hochzeit fast so still und in sich gekehrt herumgeschlichen wie er selbst. Und doch war er kein Säufer und Spieler; Scheltworte, Flüche und grobe Behandlung hatte sie von ihm nicht zu fürchten. Aber so viel auch rauhe und unbedachte Reden in einer Ehe schlimm machen können, so viel kann ein offenes, freundliches Wort wieder vergüten, und ein solches fand bei ihm keine Statt, so wenig er selbst eines für andre hatte. Schweigend ging er morgens aufs Feld, und kein kräftiges Scherzwort, kein gemütlicher Seufzer kürzte die mühsame Arbeit, wenn sie zusammen schafften; schweigend kam er heim und erwiderte kaum ihren freundlichen Gruß, wenn sie das Haus beschickt hatte, während er draußen war. Er sprach nun freilich auch von keinem Ärger und Verdruß, der [324] ihm widerfahren war; aber er schluckte ihn nur umso tiefer in sich hinein, und die gutherzige Marie erschrak oft bis ins innerste Herz, wenn ein zufällig hingeworfenes Wort ihr verriet, wie fest ein alter Groll sich in seine Seele eingefressen hatte, wie wenig er selbst seinen Nächsten und Liebsten auch die leichteste Kränkung vergessen konnte.

So war die Marie nun glückselig, als sie ein Kindlein wiegen durfte, und es konnte ihr gar nicht genug werden, wie das kleine Ding einmal zu plappern anfing. »Mußt net so still sei', gang, Bärbele, schwätz!« bat sie, wenn das Mäulchen ein wenig stillstand; aber sie sagte das nicht wieder in Gegenwart des Vaters, der sie, als er's einmal gehört, mit einem so bösen, finsteren Blick angesehen hatte, daß sie auf lange verstummt war.

Drei Jahre nach des Bärbeles Geburt war Marie von einem Schleimfieber befallen worden, das sie mit solcher Heftigkeit faßte, daß sie in hellen Augenblicken selbst fühlte, wie es zu [325] Ende mit ihr gehe und sie ihr liebes Kind bald verlassen müsse. Stumm wie immer saß Jakob in der Stube bei der meist bewußtlosen Kranken, als diese ihn mit schwacher Stimme freundlich an ihr Bett rief: »Jakob, 's ist Gottes Wille, daß ich schon von euch fort muß; ich wär' gern noch geblieben wegen dem Kind und auch wegen dir; – jetzt sorg du mir recht für das Bärbele! Und gelt, du gönnst ihm auch manchmal ein freundliches Wort, das tut den Kindern so wohl, gelt, versprich mir's!« Da kam der alte finstere Zug wieder über Jakobs Gesicht: »Ja so, das ist dir die Hauptsach', und deswegen wirst gern fortgehen von mir; hast ja auch deswegen 's Mädle immer schwätzen heißen, weil ich's nicht so kann.«

»O Jakob,« bat das bekümmerte Weib, »ich bitt' dich um Gottes willen, laß die Gedanken nicht so an dir nagen und lerne auch vergessen in der Liebe! Sieh, an so nachträgliche Gedanken hängt sich der Teufel, und es kann auf einmal wahr werden, was man zuerst nur so ganz im heimlichen gedacht. Gelt, Jakob, du trägst mir nichts nach?« Und mit so herzinniger Bitte streckte sie ihm die Hand dar, daß auch die Rinde um sein Herz schmolz und er ihr mit lautem Weinen die seine gab. Er mochte wohl fühlen, daß sein guter Engel von ihm ging.

An gebrochenem Herzen war die gute Marie nicht gestorben, es ist das keine Dorfkrankheit; aber was ihr Mann ihr genommen an Lebensmut und Lebensfreude, wie sein kaltes, liebloses Wesen wie ein Alp auf ihrem warmen Herzen gelegen und ihr alle Lebenskraft und -lust zerdrückt hatte, noch ehe die Krankheit das Leben selbst erfaßt, das wußte nur sie, und sie hat es niemand gesagt, nicht einmal sich selbst.


Das Bärbele hatte nicht des Vaters schweigsames Wesen und nicht die gar weichherzige Natur der Mutter; sie war wie ein lustiges Vöglein, und wenn's ihr daheim zu langweilig wurde und der Vater ihr Schweigen gebot, so ging sie zur Dote oder zu Gespielen auf die Gasse; es fiel ihr gar nie ein, daß der Vater nicht sei wie andre Leute.

Obgleich Jakob nicht sonderlich beliebt war, so fehlte es doch [326] nicht an Heiratsvorschlägen; auf dem Dorfe werden derartige Verhältnisse sehr einfach behandelt, und man tut nicht einmal anstandshalber, als ob man an die Untröstlichkeit des Witwerleides glaube. Jakob wollte jedoch nichts mehr vom Heiraten wissen: »Brauche kein so schwätziges Weibervolk.« Aber im Haushalt ging es nicht recht vorwärts; des Bärbeles Kleider zerrissen, das Kind lief ungekämmt und ungewaschen herum; die Kühe wurden verwahrlost, und die Magd verkaufte heimlich Milch und Eier.

So war es ihm denn nicht ungelegen, als Balthas, ein ziemlich angesehener Bauer im Ort, ihm Kathrine, eine seiner fünf Töchter, zur Haushälterin antrug.

Mit der Kathrine zog ein ganz neues Leben in die Haushaltung ein; sie war eine kräftige, rührige Person, ein gar sauberes, stattliches Mädchen, die ihr Lebtag gewollt hatte, daß alles nach ihrem Kopfe gehe, und der es daher bei den vielen Köpfen daheim nicht recht wohl gewesen war. Sie war von Anfang an entschlossen, Herrin von Haus und Hof hier zu werden, und schaltete und waltete ganz unbefangen wie mit ihrem Eigentum. Jakobs Schweigsamkeit schreckte sie eben nicht ab; was ihm an Mundstück abging, das hatte sie im Überfluß, und von daheim an eine rauhe Behandlung gewöhnt, erschien ihr das Schweigen der geringste Fehler eines Ehemanns. Ob Jakob und sie einander von Herzen lieb haben können, ob eine Verbindung auf Gottes Segen hoffen dürfe, bei der sie an Haus und Kühe eher dachte als an den Mann, dem sie Liebe und Treue bis in den Tod geloben sollte, – daran schien sie wenig zu denken; sonst wäre sie nicht so rückhaltlos ein Verhältnis eingegangen, dessen Ende sie noch nicht absehen konnte. Im ganzen Dorf sah man diese Verbindung als höchst natürlich an und wunderte sich, daß es mit der Hochzeit nicht rascher vorwärts ging. Anfangs dünkte es den Jakob vielleicht auch bequem, zu so einem sauberen und anstelligen Weibe zu kommen, um die er kaum den Mund aufzutun brauchte; mit der Zeit aber mißfiel ihm doch ihr keckes Wesen, ihr eigenmächtiges Handeln auch in seinen Angelegenheiten. »Wenn d' was willst, [327] so schwätz,« war ihre einfache Erwiderung, wenn er sich einmal beschwerte, daß sie getan, was sie gewollt, ohne ihn zu fragen. Das Schwätzen war nun eben nicht seine Sache, aber seine Marie hatte ihm den Willen an den Augen abgesehen.

Als nun Kathrine ihm immer unverblümter ihre Herzensmeinung zu verstehen gab und Balthas geradezu mit dem Antrag herausrückte, da fiel dem Jakob ein, wenn geheiratet sein müsse, so brauche es nicht gerade die Kathrine zu sein. Geld und Gut war ihm nicht gleichgültig; so begann er denn seine Augen auf die Töchter reicher Hofbauern umher zu werfen und machte deshalb in aller Stille hie und da einen Gang. Kathrine hatte zu helle Augen, als daß sie nicht gemerkt hätte, was es zu bedeuten habe, wenn Jakob in seinem langen blauen Rock, in der Scharlachweste mit Silberknöpfen und mit dem neuen Dreispitz auszog, und jetzt wurde sie erst recht erpicht auf ihren Plan; so wollte sie nicht mit Spott aus dem Haus und einer andern Platz machen, das stand ihr fest, und vielleicht verbarg die Arme unter der kecken, heiteren Außenseite ihres Wesens noch einen traurigen Grund, der es notwendig machte, daß sie und keine andre Jakobs Frau werde. Vor allem hielt sie für nötig, Jakobs auswärtige Pläne zu vereiteln; sie machte jetzt auch ihre geheimen Gänge, auf denen sie sich bemühte, bei den gesuchten Jungfrauen den Freier herabzusetzen; es kam ihr nicht darauf an, alle Fehler, die Jakob hatte und nicht hatte, bekannt zu machen, wenn ihr auch oft die spöttische Rede entgegenklang: »Was man veracht't, das hätt' man gern.« Daheim suchte sie dann einmal durch Freundlichkeit und Aufzählen ihrer Vorzüge, das andre Mal durch Trotz und aufbegehrerisches Wesen den spröden Witwer zu gewinnen. Das war nun aber eben der Weg, sich ihm recht gründlich zu entleiden.

In Jakobs Art lag es nicht, ihr seine Meinung offen zu sagen und ihr aufzukünden; auch konnte er wohl nicht mehr, wie er wollte, sich von ihr losmachen; er sagte ihr kein hartes Wort, nur vermied er jede Gelegenheit, mit ihr allein zu sein, und muckelte all seinen Widerwillen in sich hinein. Aber fort und fort brütete er über den Gedanken: wenn sie doch gar nicht [328] gekommen wäre – wenn sie doch lieber ginge – wenn sie gar nicht mehr kommen könnte! – Das war einer jener Gedanken, aus denen der Böse unversehens Ernst macht. – Ob sein treues Weib ihm in keinem Traum, in keiner leisen Mahnung vorgekommen ist und ihn gewarnt hat? – Ich weiß es nicht.

An einem Samstagabend war Kathrine beim Vater daheim; da mußte sie viel Neckerei von den Schwestern hören, warum es denn so lange mit ihrer Hochzeit anstehe, und ob es wahr sei, daß der Jakob auf dem Eichelhof zur Hochzeit geladen? Das Blut stieg der Kathrine ins Gesicht: »Je nun, mit der Hochzeit kann's noch schneller gehen, als ihr meint, und wenn ich mir Müh' gegeben hätt' wie andre und mich herausgeputzt wie andre, wer weiß, ob's nicht schon wär'! Aber man kann auch daheim kein ruhiges Wort reden; seit der Jakob Witwer ist, hat alle Welt etwas an ihn zu bestellen; bald sitzt der kleine Kramp da und paßt auf, oder kommt seine Schwester 'rüber, oder ist er bei seinem Bruder.« – »Nu,« meinte die anwesende Gespielin scherzend, »du hast dir ja bei der Nähterin in Wendingen so ein schönes neues Kleid anmessen lassen; wer weiß, was da geschieht!« – Kathrine mußte fort, am Samstagabend hat man nicht viel Zeit zu verplaudern, und sie ließ sich nicht gern ob einer Versäumnis ertappen; zudem hatte sie auf morgen ihre eigenen Pläne.

Auf dem Dorf, wo der Werktag noch in voller Kraft besteht, wo der Schweiß des Angesichts, in dem wir das Brot essen, keine figürliche Redensart ist, trägt auch der Sonntag noch viel mehr sein heiliges Gepräge als in der Stadt, wo das Jagen nach Gewinn nur vom Jagen nach Vergnügen abgelöst wird. So feierlich und friedlich hält er seinen Einzug in die stillen Gassen, die nur widerhallen von dem gemessenen Schritt der geschmückten Kirchgänger, von dem Geplauder und Lachen der frisch gewaschenen und gestrählten Kindlein. Und bis zum Abend ruht dieser Sonntagshauch über dem Dorfe; das junge Volk lagert draußen unter den Bäumen und an den Rainen; die alten Männer und Weiber sitzen friedsam plaudernd oder in behaglichem Schweigen auf den Bänken und Balken vor der [329] Haustür, so recht die Ruhe des Sonntags auskostend bis zum Ende, und eine Ahnung zieht in manches Herz von jener Ruhe, die noch vorhanden ist, und leichter tragen sie des Tages Last und Hitze, nachdem sie einen Vorschmack dieser Ruhe gekostet.

Alle Gänge über Feld, in Geschäften und zum Vergnügen macht man auf dem Dorf nicht gern während der Kirchzeit; darum wollte es auch den Nachbarweibern nicht gefallen, daß die Kathrine am Morgen noch vor dem Kirchläuten mit dem Armkörbchen das Dorf hinunterging; sie meinten, es wäre auch nachmittags noch Zeit gewesen, zur Nähterin zu gehen. Aber [330] ein stattliches Mädchen war sie, wie sie so dahinschritt in ihrem Sonntagsputz, schlank und kräftig, blühend und frisch; als sie um die Ecke bog, wandte sie noch ein mal den Kopf zurück nach Jakobs Fenstern, als wollte sie im Übermut fragen: »Nun, was soll's denn für eine sein, wenn ich nicht gut genug bin?« So sah man sie im hellen Sonnenschein den grünen Waldweg einschlagen, der nach Wendingen hinüberführt; ob sie den Glockenklang noch gehört hat, der ihr wie ein freundlicher Mutterruf nachtönte – das konnte sie nimmer sagen:

Es hat sie niemand zurückkommen sehen.

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Es war gerade im September, einer besonders geschäftsvollen Zeit für Bauern, und so hat niemand darauf acht gegeben, daß die Kathrine in den nächsten Tagen nicht zu sehen war; als es aber Mittwoch wurde, fragten doch die Nachbarn den Jakob, wo denn seine Haushälterin hingegangen sei. »Weiß nicht,« war seine Antwort; doch machte er sich auf und ging hinauf zum Balthas, um ihm zu sagen, daß Kathrine am Sonntagmorgen zur Nähterin nach Wendingen gegangen sei und seitdem noch nicht zurückgekommen; wenn sie fortbleibe, so müsse er eine andre Haushälterin annehmen. Die Familie des Balthas nahm es nicht so kaltblütig auf. Eine Schwester ging sogleich hinüber zu der Nähterin; die hatte auf Kathrine gewartet, aber nichts von ihr gesehen; – man hielt überall Nachfrage, aber seit sie in den Wald hineingegangen, hatte sie niemand mehr erblickt. Man durchsuchte den Wald, obwohl kaum zu denken war, daß ihr auf dem wohlbekannten Weg am hellen Tag etwas zugestoßen sei: – es war nirgends eine Spur von ihr zu finden, kein Zeichen von irgend einer Gewalttat.

Jakob, der wußte von gar nichts. – Er war, wie man auch von dem Bärbele hörte, noch während der Kirche nach R. gegangen, wo er dem Wirt eine Zahlung zu machen hatte; daß er das zu dieser Zeit getan, fiel an Jakob nicht auf, der in der Kirche ein so seltener Gast war wie im Wirtshaus. Wäre er nicht allzeit ein kalter Michel gewesen, so hätte seine [331] Gleichgültigkeit unnatürlich geschienen; so aber meinten die meisten, er würde nicht mehr machen, und wenn's sein eigen Weib wäre. Der Vater zeigte das Verschwinden seiner Tochter vor Oberamt an; der Herr Oberamtmann aber meinte, sie werde vielleicht ihre Gründe gehabt haben, sich freiwillig von daheim zu entfernen, und ein Teil der Dorfbewohner, die Kathrine als ein unbedachtes und doch stolzes Mädchen kannten, war auch dieser Ansicht; man erließ amtliche Ausschreiben nach dem Mädchen, aber ohne Erfolg: sie war und blieb verschwunden. Einen Verdacht gegen Jakob, der eine Magd ins Haus nahm und unbekümmert nach wie vor seiner Wege ging, wagte niemand auszusprechen, was auch im stillen gemunkelt wurde.

Der Winter kam, der Wald wurde eingeschneit, die Nachforschungen eingestellt; nur in den Spinnstuben war das rätselhafte Verschwinden der Kathrine ein unerschöpfliches Thema. Jakob schien die Heiratsbemühungen aufgegeben zu haben; im Wirtshaus aber, wo man ihn sonst so selten gesehen, war er jetzt ein häufiger Gast; das Bärbele, das sich immer mehr bei der Dote aufhielt, erzählte einer Kamerädin: »Du, das ist g'späßig, sonst hat der Vater gar nex g'schwätzt, und jetzt schwätzt er mit ihm selber.« Mit dem Balthas kam er nicht mehr zusammen.

In den letzten Tagen des Februar hörte man Feuerlärm, es brannte auf Jakobs oberem Boden. Man eilte herbei, um zu retten; alles schrie zuerst nach Jakob, man fürchtete, er sei erstickt. Während ein Teil oben mit Löschen beschäftigt war, fanden ihn die andern in seiner Stube am Tisch sitzend, still und unbeweglich. »Jakob, auf, 's brennt! 's brennt bei dir!« – »So?« fragte er endlich. »Ja, ich glaub', der Rauch hat mi duselig g'macht.« In der Stube stand aber ein Krug Branntwein, der's mehr als der Rauch getan haben mochte. Das Bärbele hatte den Tag bei ihrer Dote zugebracht.

Das Feuer wurde gelöscht, der Schaden war unbedeutend; wie es entstanden, ob es mit den dunkeln Gerüchten, die umliefen, zusammenhing, konnte niemand bestimmen; man hatte [332] Fetzen von Frauenkleidern unter der Asche gefunden, dies waren, wie Jakob sagte, seines Weibs selig Röcke, die auf der Bühne gehangen. Kurz, das Feuer sagte und bewies nichts; aber es brachte den Jakob so recht wieder in der Leute Mund. Man sprach freier als zuvor davon, daß er doch wissen müsse, wie's mit der Kathrine zugegangen sei; man ermutigte den Balthas, doch endlich seine Verdachtsgründe gegen Jakob vor Gericht anzugeben. Diese Gründe waren nicht genügend, um einen bis dahin ganz unbescholtenen Bürger festzusetzen, doch wurde er vor Amt beschieden. Er folgte der Ladung, gelassen wie immer, und stellte sich ruhig unter die andern wartenden Partien; aber als er gerufen wurde, siehe, da war er verschwunden! – Man schickte Boten, Gendarmen, Steckbriefe nach ihm aus; nach zwei Tagen kam er selbst aus seiner Scheune hervor, wo er sich versteckt gehalten, und stellte sich unbefangen: »Er sei nur etwas erschrocken gewesen, weil er noch nie vor Gericht gestanden.« Alle Fragen über die Kathrine beantwortete er klar und unerschrocken: Die habe immer getan, was sie selber gewollt, und ihn nach nicht viel gefragt; sie habe gesagt, sie gehe zur Nähterin und sei nicht wiedergekommen, mehr wisse er nicht. Über seinen Aufenthalt am Sonntag wußte er genaueste Auskunft zu geben; namentlich erinnerte sich die Kellnerin des Wirtshauses in R. des Gastes am Sonntagmorgen. So wurde er denn der Haft entlassen und ging gleichgültig, wie er gekommen war, nach Hause.

Schon war er wieder wochenlang daheim, da kam des Schulzen Tochter vom Ort zur Stadt, um sich ein Granatennuster zu kaufen. Der Goldarbeiter zeigte ihr ein schönes: »Das muß Sie nehmen, Jungfer, das hat vor ein paar Tagen ein röscher Witwer an mich verkauft, da wird Sie bald Braut darin.« Das Mädchen besah es genau, es schien noch wie neu; da entdeckte sie hinten an dem schwarzen Bäustle (Wulst), welches das Halsband schließt, die eingenähten Namenszüge der Kathrine. Tief erschrocken und nicht imstande, weiter zu reden oder zu markten, eilte sie heim, um dem Vater ihre Entdeckung mitzuteilen. Der schickte sogleich die Tochter mit ihrer [333] Angabe vor Gericht, während er ging, sich des Halsschmuckes zu versichern.

Jetzt erst war Grund zu ernstlicher Nachforschung, und Jakob wurde nun ohne Zögern und Rücksicht festgenommen; auch schien ihn seine kühle Fassung etwas zu verlassen, als ihn der Goldarbeiter für den Verkäufer der Granaten erkannte, und er erblaßte sichtbar, als ihm die Namenszüge der Kathrine vorgewiesen wurden. Doch beharrte er auf seinem ruhigen Leugnen: er habe kein Nuster verkauft als das seines Weibs selig; von dem Namen wisse er nichts; könne sein, daß es die Kathrine selbst noch verwechselt!

Wir haben keine Folter mehr, um Geständnisse zu erpressen, und sein Richter war zu menschlich, um die indirekten Torturgrade anzuwenden, die außerhalb des Buchstabens der Gesetze stehen. Aber schwer und schwerer schien ein Druck auf Jakobs Seele zu lasten, nun ihm kein Wirtshaus, keine Zerstreuung durch Arbeit zu Gebot stand; immer scheuer wurde sein Blick, immer blässer seine Farbe, und man konnte keinen Augenblick zweifelhaft sein, ob Schuldgefühl oder Kerkerluft ihn so niederdrücke. Seine Antworten vor Gericht wurden immer kürzer, und mehr und mehr in die Enge getrieben durch die Fragen des Richters, verstummte er zuletzt gänzlich, so daß dieser genötigt war, ihn für den Augenblick ins Gefängnis zurückführen zu lassen.

Da brach ein Sonntagmorgen an, so hell und schön wie jener, an dem Kathrine ihren verhängnisvollen Waldgang angetreten. Kein menschlicher Zuspruch drang ein in Jakobs Gefängnis; die Bemühungen des Geistlichen waren längst abgeglitten an seiner stumpfen Kälte; aber der klare Sonnenschein, der feierliche Glockenklang muß den Weg durchs Gitter gefunden haben. Er ließ den Richter bitten, seine Geschwister zu ihm holen zu lassen: es dünke ihn, er möchte mit ihnen reden. Es war das erste Mal seit langer Zeit, daß er sie nur sehen wollte, und in tiefer Anfechtung und Bekümmernis kamen die redlichen Leute.

Endlich schüttete er vor diesen seine Seele aus, die dunkle, [334] schwere Last, die so lange auf seinem Herzen gelegen. Ja, er hatte die Kathrine umgebracht; der Gedanke: wenn sie doch gar nimmer käme, hatte sich festgefressen in seiner Seele, und die grausige Tat war, ihm selbst unbewußt, nur als der Schluß dieses Gedankens daraus hervorgewachsen.

»Wie die Kathrine so vom Haus wegging, hat sie noch einmal 'raufgeschaut,« erzählte er, »da bin ich ihr nachgegangen; ich dacht', ich wollte einmal recht ernstlich mit ihr reden, weil ich gehört hab', daß sie mich so verlästert hat. Ich hab' sie erst eingeholt, wie sie schon tief im Wald drin war, und da sind wir bald in Streit miteinander gekommen; zuletzt hat sie mich einen schlechten Mann geheißen, und wie sie noch einmal gesagt hat, ich sei der allerschlechteste Mann, da hab' ich sie am Hals gepackt und gewürgt; jetzt meinte ich, sie sei tot, und bin arg erschrocken. Auf einmal aber hat sie mich noch angesehen; jetzt ist mir's erst angst worden, sie werde wieder aufkommen und mich verklagen, und ich hab' sie noch einmal gewürgt, dann ist sie tot gewesen. Jetzt hab' ich sie hinein in den Busch getragen und mit Laub zugedeckt, und weil mir's angst geworden, bin ich gesprungen, was ich nur konnte, hinüber nach R., wo ich ein Geschäft mit dem Wirt gehabt habe. Trinken habe ich aber nicht können, es hat mich ganz geschüttelt, und ich hab' den Wein heimlich ausgeschüttet, auch bin ich nimmer durch den Wald zurückgegangen. Am andern Tag aber hat mir's keine Ruh' gelassen, und von meinem Weinberg weg bin ich wieder in den Wald gegangen, da ist sie noch am alten Platz gelegen. Dann hab' ich eine Grube 'graben, aber nicht tief, und hab' sie 'neingelegt; aber ich hab' sie nur am Arm hingezogen, ansehen hab' ich sie nimmer können. Das Körble, das sie getragen hat, hab' ich unterwegs zerrissen und im Wald verstreut; das Nuster hatt' ich daheim versteckt, ich hab's nur verkauft, weil mir's so angst gewesen, solang's im Haus war, nicht wegen dem Geld. Geschlafen habe ich aber seither nimmer, wenn ich nicht vorher getrunken hatte.«

So lautete sein Geständnis, das er vor Gericht wiederholte und bei dem er beharrte. Daß er schon die Absicht gehabt, die [335] Kathrine umzubringen, als er ihr nachging in den Wald, das hat er nie zugegeben.

Eis und Schnee waren geschmolzen, und der Wald fing an, junge Sprossen zu treiben, als man hinauszog, um die Leiche der Gemordeten zu suchen. Der Jakob mußte mitgehen zwischen zwei Gendarmen, die zu tun hatten, ihn vor den Mißhandlungen des Volkes zu schützen, das in Massen sich dem feierlichen Zug der Gerichtspersonen nachdrängte; er war seines Weges sicher und zeigte endlich mit abgewandtem Gesicht tief im Gebüsch die feuchte Grube, wo er sie verscharrt. Aber der Leichnam war nicht mehr zu finden; das Wild hatte ihn, der an der feuchten Stelle früher verwesen mußte, fortgeschleppt – und einzelne Gebeine und Stücke von Kleidern waren alles, was von dem schönen, kecken Mädchen übriggeblieben. Wohl machte sich das ganze Dorf auf, um die fehlenden Teile der Leiche zu suchen; es begann eine wahre Wallfahrt zum Amt mit Knochen von längst verwesten und verschollenen Menschen und Tieren; aber die Leiche der Kathrine fand sich nimmer, obgleich unsre Wälder weder Wölfe noch Hyänen haben. So fehlte denn der objektive Tatbestand, wie es die Rechtsgelehrten heißen, und Jakob konnte nach den damaligen Gesetzen nicht zum Tod verurteilt werden.

Es war wieder ein Sonntagmorgen, als man die zerstückelten Gebeine der armen Kathrine endlich zur Ruhe trug, ein heller Sonntagmorgen und ein Glockenläuten wie damals, als sie frisch und gesund ohne Ahnung ihres schaurigen Geschicks in den Wald hinein schritt. Ein langer Zug der Gespielinnen geleitete sie in tiefer Trauer; vielleicht hat ihnen auch der Glockenklang eine Mahnung ins Herz gerufen an die heilige Zucht und Sitte, die einer Jungfrau gebietet, in stillem Sinne zu warten, bis ihr Geschick sich erfülle, und nicht in eigenmächtigem Trotz es selbst lenken zu wollen.

Wenige Wochen darauf wurde Jakob an den Ort seiner Strafe abgeführt. Es schien seit dem Augenblick, wo er seine Schuld bekannt, eine schwere Last von seiner Seele genommen; [336] sein Blick war offener, sein Gang leichter, und er nahm demütig und ergeben sein Urteil auf.

Ob er aber seine ganze Schuld bekannt, ob die Reue, die nie gereut, in ihm erwacht ist, wie er nach der langen Strafzeit zurückgekehrt ist zu seinem verwaisten Kinde, das zur Jungfrau heranwuchs, während der Vater sein Verbrechen büßte, – das alles kennt der allwissende Gott allein, der uns alle gnädig behüten wolle vor dem Feind, der in jedem Busen schläft.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Wildermuth, Ottilie. Erzählungen. Bilder und Geschichten aus Schwaben. Vom Dorf. 1. Die Sonne bringt es an den Tag. 1. Die Sonne bringt es an den Tag. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A817-6