Ehestand

Ich weiß nicht, ob es einen Unterschied macht im ehelichen Leben, wenn die Frau den Mann einführt in ihr Haus, [362] während sonst der Mann es ist, der das Haus gründet und das Weib einführt. Edle Seelen werden gewiß immer demütiger im Gefühl, viel gegeben zu haben, und es gibt solch angeborenen Adel in allen Ständen; Lisbeth hatte ihn nicht.

Ob sie es mit der Liebe versucht hat, die laut Georgs Verheißung solche Wunderdinge an ihm tun konnte, weiß man nicht. Sie las zwar, wie es bei ihrem Vater der Brauch gewesen, jeden Tag einen Morgen- und einen Abendsegen, in denen gar oft von Liebe die Rede war; mit diesem Lesen hielt sie aber ihre Christenpflicht vollkommen erfüllt und lebte dazwischen nach eigenem Gutdünken. Veränderlichkeit hatte Georg ihr nicht vorzuwerfen; denn sie plagte ihn als Weib ebenso mit Eifersucht und griffigen Reden, wie sie als Braut getan hatte.

Niemand hat je gehört, daß das Ehepaar einmal einerlei Meinung gehabt hätte. Lisbeth hatte die Stube gelassen, wie sie zu des Vaters Zeiten gewesen war: im Hintergrund der gewaltige Kachelofen mit dem württembergischen Wappen, an den Wänden festgenagelt die hölzerne Bank, davor ein weiß gefegter Tisch mit Fußbänkchen, eine Wanduhr in langem Gehäuse, ein Milchkasten, ein kleiner Spiegel, der alle Köpfe zu spitzen Chinesenköpfen verzog; an Gemälden das über Jesum ergangene Bluturteil, eine Darstellung des Jüngsten Tages und ein Doktor Luther; dazu zwei hölzerne Stühle mit künstlich gewundenen Schlangenrücken, das war die ganze Einrichtung, die Lisbeth zu jeder Zeit sauber erhalten hatte. Georg, des Schultheißen Sohn, dem der Herr Oberamtmann versprochen hatte, einmal bei ihm einzukehren, hätte gern eine hübschere, moderne Einrichtung gehabt: ein Kanapee, einen hartholzenen Tisch, gepolsterte Stühle; ein paar kolorierte Bilder mit dem Herzog Ulrich und Sturmfeder hatte er als ledig schon angeschafft. Lisbeth willigte durchaus in keine Neuerung, und als Georg dennoch sich wenigstens einen Lehnstuhl anschaffte, stellte sie den beharrlich in die fernste Ecke der Schlafkammer, und er mußte ihn jedesmal selbst herbeischleppen, wenn er sich drauf setzen wollte.

[363] Georg konnte tüchtig schaffen, wenn's ihn ankam; nur hatte des Schulzen Sohn eben gearbeitet, was er wollte und wann er wollte. Von dem Bauern aber erwartete sein Weib, die selbst bei keiner Arbeit zurückstand, daß er alles und zu jeder Zeit arbeite. Lisbeth hatte den eigentümlichen Erbhaß gegen Dienstboten, der sich je und je bei Frauen aller Stände findet und das Unglück mancher Haushaltung ist. Nach ihrer Ansicht waren alle Dienstboten ein abgefeimtes Diebsvolk, alle Tagelöhner »faule Freßsäck«; so sollte so viel wie möglich allein gearbeitet werden. Nach Georgs Geschmack war das nicht, bei ihm war morgen auch ein Tag; Lisbeth hatte aber ein unerreichtes Talent, ihm am Feierabend oder nachts alles aufzuzählen, was hätte geschehen sollen und nicht geschehen sei, und das ist eben keine wesentliche Beförderung der Gemütsruhe. Dadurch, daß Lisbeth beständig wegen der Feldarbeit keifte, hatte sie diese in Georgs Augen zu ihrer Sache, nicht zu einer gemeinsamen gemacht, und er dachte nimmer daran, daß es sein eigener Schade sei, wenn er dem Weibe zum Trotz die nötigste Arbeit liegen ließ.

»Grob kann ich sein, und das rechtschaffen,« hatte er Lisbeth einmal versichert, »aber trutzen, das kann ich nicht.« Trutzen konnte dagegen Lisbeth meisterlich und mit seltener Ausdauer; sie übte diese Kunst reichlich: kein Wunder, wenn Georg auch Gebrauch von der seinigen machte und grob wurde, und das rechtschaffen. Lisbeth kam sich die brävste und die unglücklichste Frau von der Welt vor, wenn sie den ganzen Tag sich's hatte sauer werden lassen und der Mann, der getan hatte, was er mochte, noch am Abend ins Wirtshaus ging. Georg trank, wie man zu sagen pflegt, keinen »bösen Wein«, er kam als der »best' Kerle« vom Adler heim; aber sie verstand es, ihn mit spitzigen Reden am Ende in eine wahre Berserkerwut zu bringen. Dann tobte er wohl wie rasend, warf Schüsseln und Teller klirrend zu Boden, daß Lisbeth zitternd und regungslos in der Ecke saß; aber nie, im heftigsten Zorne nie, hat er Hand an sie gelegt, obwohl die Mißhandlung eines Weibes nach Dorfgesetzen für kein großes Vergehen gilt.

[364] So konnte es im Dorf nicht verborgen bleiben, daß das Glück des Paares nicht so groß sei; wehe aber denen, die sich irgendwie einmischen wollten! Georg duldete nicht die leiseste Anspielung auf sein böses Weib, und Lisbeth wußte andern Weibern, die etwa ihr Los beklagten und den Georg tadelten, ihre Männer in einer Weise zu charakterisieren, daß sie keine Lust zur Fortsetzung des Gesprächs hatten. War Georg krank, so pflegte sie ihn mit einer Sorgfalt, einer Weichheit beinahe, wie sie auf dem Dorf sonst selten ist, selbst ihre Sparsamkeit trat dann in Hintergrund; sie nahm keine Ausgabe, keine Versäumnis der Arbeit schwer, wenn es um seinetwillen nötig war. Georg konnte nie sehen, wenn sie sich mit zu harter Arbeit plagte; freilich tat er wenig, ihr die Sorge dafür abzunehmen, aber er hätte gern zehn Tagelöhner gehalten, um ihr die Mühe zu ersparen, und wenn er ihr mit einem schweren Grasbündel begegnete, so nahm er es von ihrem Kopfe und trug es heim, eine für einen Bauern fast unerhörte Galanterie.

Trotz dieser jeweiligen Zärtlichkeit sank aber doch das Glück des jungen Hausstandes zusammen, noch ehe es recht aufgebaut war, und zu derselben Zeit wankte auch des Schultheißen Haus und tat einen großen Fall. Es war von dem Tode seines Weibes an, die kurz nach Georgs Hochzeit starb, rasch mit ihm abwärts gegangen. Er hatte gern den Herrn gespielt, ein Haus gemacht, was auf dem Lande manchmal noch mehr kostet als in der Stadt, wo viel mit dem Schein abgemacht wird, und wollte immer für reicher gelten, als er war, was das sicherste Mittel ist, immer ärmer zu werden. Als der Schaden herauskam, ward seine redliche Amtsführung verdächtigt; – er ward abgesetzt, und sein Vermögen reichte eben zur Deckung des Restes und für seinen notdürstigen Unterhalt hin.

Einen solchen Fall mit Gleichmut oder gar mit Großmut zu tragen, wäre auf dem Dorf, wo der Besitz die ganze Lebensstellung des Menschen bedingt, fast zu viel verlangt. Lisbeth wollte ihrem Mann nicht eben dies Unglück vorwerfen, aber es sollte ihn nach ihrer Ansicht fleißiger, sparsamer, demütiger machen. Georg aber, aus falscher Scham, wollte jetzt gerade[365] zeigen, daß er doch noch der Mann sei, und nahm jeden Tadel Lisbeths als Vorwurf wegen seines Vaters Mißgeschick auf. »Du bist die Bäuerin,« sagte er, wenn sie ihm seine Verschwendung und Faulheit vorhielt; »mich geht dein' Sach' nichts an, ich bin nur so ein Lumpenbub'.«

Mehr als alles aber wurde Lisbeth von einer maßlosen Eifersucht verzehrt, zu der ihr der Mann in Wahrheit nie Grund gab; ihm waren andre Weiber gleichgültig; wenn er mit ihnen scherzte, so war es seinem Weib zum Trotz oder um sie zu reizen. Sie aber stand oft noch um Mitternacht von ihrem Lager auf und schlich sich vor das Fenster des Wirtshauses, um zu spähen, ob er der Wirtin oder Kellnerin nicht schöntue; er, um Auftritte im Ort zu vermeiden, suchte immer lieber sein Vergnügen auswärts.

Natürlich ging es unter diesen Umständen mehr und mehr rückwärts mit dem Besitzstand, was auch Lisbeth tun mochte, um ihn zusammenzuhalten. Sie wurde darüber immer erboster, immer griffiger, und er im Trotz des bösen Gewissens immer heftiger; keine gute Stunde zog mehr herauf über das gottverlassene Haus.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Wildermuth, Ottilie. Erzählungen. Bilder und Geschichten aus Schwaben. Vom Dorf. 4. Streit in der Liebe und Liebe im Streit. Ehestand. Ehestand. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A7F5-7