Georg Weerth
Ausgewählte Gedichte

Die Schenke

Mein Herz, des Sanges schier entwöhnet,
Schlägt jetzt von neuem wild und heiß.
Drum auf, ihr Saiten, klingt und tönet!
Ich singe einer Schenke Preis!
Dort ragt sie aus den Waldestannen
Und zeigt den Leu auf rundem Schild,
Dazu drei Krüge und drei Kannen
Und auch ein Sprüchlein fromm und mild.
Es ist der Schenken allerbeste!
Und Löwenburg wird sie genannt.
Kommt, tretet ein, seid meine Gäste,
Hier ist der beste Wein im Land!
Seht dort die Wirtin – schon von ferne
Winkt sie mit einem vollen Glas;
Ein lieblich Mahl bringt sie uns gerne
Und zapft aus einem neuen Faß!
Sie ist mir äußerst wohlgewogen,
Dieweil ich neulich klug und schlau
Ihr in das Angesicht gelogen,
Sie sei die wunderschönste Frau!
Geht ihr nun jubelnd durch die Türe,
Seht, daß der Töchter keine flieh;
Meintwegen küßt sie – ich erküre
Mir stets die liebliche Marie!
[81]
Denn Augen hat sie wie zwei Trauben
So dunkel – ist so schüchtern noch;
Den Kuß will nimmer sie erlauben –
Was tut's? Man kommt und küßt sie doch!
Wer widerstände auch der Schönen,
Wenn sie den vollen Becher bringt,
Wenn sie zu ihrer Harfe Tönen
Ein Lied mit heller Stimme singt?
Die Gäste lauschen in die Runde;
Denn alle Herzen singt sie wach!
Jetzt schweigt sie – und von Mund zu Munde
Schallt wild die letzte Strophe nach!
Doch nun, o Lied, mit frischem Tone,
Erkling aufs neu! Ihr Saiten, schwirrt!
Es kommt des Hauses Zier und Krone,
Der unvergleichlich dicke Wirt!
Er kommt! er kommt! mit prallen Lenden,
Er hat ein Bäuchlein wie ein Faß,
Sein Weib und sieben Kinder fänden,
Tät's Not, mitsamt darin Gelaß!
Sein rotes Antlitz scheint zu sagen:
»Mir war so mancher Wein gegönnt,
Daß er zusammen mit Behagen
Drei Königreich ersäufen könnt!«
[82]
Stolz ist er drauf, sein Weib zu führen
Am Sonntag in die Kirch hinein,
Doch bleibt er selber vor der Türen –
Für seinen Bauch ist sie zu klein!
Tut ihm der Tod dereinst mal winken,
Glaubt mir, er fährt gen Himmel nicht!
Er wird zurück zur Erde sinken –
Dieweil er ein zu groß Gewicht!
So kennt ihr nun die ganze Schenke,
Ihr kennt den Wirt mit Weib und Kind –
Und Pfalzwein ist ein gut Getränke,
Streicht übern Rhein der Morgenwind!
[83]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Weerth, Georg. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Die Schenke. Die Schenke. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9754-3