[91] [101]Georg Weerth
Fragment einer Warnung vor der »Neuen Rheinischen Zeitung«

[Der Anfang des Manuskripts ist nicht überliefert.] [...] und Doppelmittel und Kanon endlich, wie Familienväter von wohlbehäbiger Fülle. Allen diesen folgte indes auch noch die Frakturschrift, jeder Buchstabe ein Grenadier. Antiqua dann, jede Type ein Professor. Hierauf Kursiv und Kanzlei, Advokaten und Landesgerichtsräten ähnlich; gotische Schrift dann, wie der Dombaumeister mit sämtlichen Steinmetzen, und zuletzt die fette Schrift, langsam nachwackelnd wie feiste Holländer.

Kurz, alle Schriftarten, die zum Druck einer Zeitung nötig sind, stiegen, untermischt von Frage- und Ausrufungszeichen, von Punkten, Kommas und Semikolons, aus ihren Fächern und eilten mit dem wildesten Lärm wie zu einer Volksversammlung in die Mitte des Zimmers. Auf einem morschen Stuhle thronte hier der Geist des frühern »Rheinischen Beobachters« in Gestalt seiner letzten unglückseligen Nummer. Alle Schriftsorten hatten sich um ihn herumgestellt; er fing folgendermaßen zu reden an:

»Teuern Freunde! Geliebte in dem Herrn! Möge der Geist des Absolutismus mit mir sein und mit dieser Versammlung. Der Geist des Absolutismus erhebe sich über euch und sei euch gnädig; der Geist des Absolutismus lasse sich auf euch herab und gebe euch seinen Frieden, Amen.

›Wenn euch die bösen Buben locken, so folget ihnen [101] nicht!‹ Dies sind die Worte der Heiligen Schrift, welche wir unserer heutigen Betrachtung zugrunde legen wollen. Teuern Freunde, geliebte Gemeinde, ich bin der Geist des ›Rheinischen Beobachters‹. Ihr wißt, daß ich tot bin. Ich starb an einer häßlichen, schmerzhaften Krankheit: ich starb an der Revolution. Ich führte ein kurzes, aber schönes Dasein. Ich hatte nur 400 Abonnenten, aber es fehlte mir selten an Geld. Nie hat es einen größeren Widerspruch gegeben; aber ihr kennt die ewig sprudelnde Quelle der uckermärkischen Sahara, die allein meinen Gelddurst stillte. – Ich bin tot und vergessen. Ich teile das Schicksal alles Großen und Edlen. Vielleicht daß nur noch der alte gute Professor Bercht an mich denkt, der ehrliche Mann, der mich mit der Schere und dem Rotstift so trefflich redigierte und der mir die Augen zudrückte, weinend und schluchzend, als alles verloren war. Ich bin tot und vergessen, und meine sämtlichen Nummern werden schon den Weg alles Irdischen gegangen sein, als Tütenpapier, als Fidibus oder als jene nützlich komfortablen Blättchen eines Ortes, der alle Wunder der Schöpfung von der unvorteilhaftesten Seite sieht. Oh, wenn ich daran denke, so will mir das Herz zum zweiten Male brechen«.

Hier machte der Geist des »Beobachters« eine Pause und trocknete die hellen Tränen von seinem betrübten Totenkopfe. Die mitleidigen Typen schluchzten und röchelten aus tiefster Seele.

»Ja, es ist hart, es ist entsetzlich«, fuhr endlich der Geist fort, »so zu sterben in der Blüte der Jugend, wenn man erst 400 Abonnenten hat. Aber alles würde ich noch ertragen können, wenn ich nicht auch die Demütigung erleben müßte, daß ihr, geliebte Typen: Diamant, Perl, [102] Borgis, Cicero, Kursiv, Gotisch usw. usw., ja, daß ihr sämtlichen Schriften, die ihr so treu die Spalten des ›Beobachters‹ fülltet, euch jetzt mit einem Male zu dem Druck eines so ruchlosen Blattes wie die ›Neue Rheinische Zeitung‹ herablaßt.« (Allgemeine Bewegung.)

»›Wenn euch die bösen Buben locken, so folget ihnen nicht.‹ Also heißen die Worte des Buches aller Bücher. Aber gefolgt seid ihr den bösen Buben, die euch verlockten; gefolgt den Priestern Baals, jenen sündhaften sieben Redakteuren, die da Anarchie und Unheil predigen; gefolgt jenen schlangenklugen Gewalten der Unterwelt, die da im Rate der Götter sitzen, denen nichts heilig ist als das Böse und deren ganzes Streben und Wirken in nichts anderem besteht als im Übel und in der Sünde.« (Allgemeiner Aufruhr.)

»Wehe, wehe über die ›Neue Rheinische Zeitung‹! – Geliebten Brüder, christliche Typen des in Gott verblichenen ›Rheinischen Beobachters‹, ich will nicht einmal erwähnen, daß die lasterhafte Zeitung, der ihr in diesem Augenblicke dient, überhaupt auf der Seite des Volkes, des großen Haufens steht und sich wenig um die vom Herrn Gesalbten kümmert, nein, dieses unheilvolle Blatt setzt sich sogar über die gewöhnlichen Regeln des Anstands und der guten alten Sitte hinweg. Lest nur die letzten Nummern der ›Neuen Rheinischen‹, und ihr werdet finden, daß die Kabinett-Ordres nicht selten hinter dem Strich neben die Korn- und Ölpreise des Neusser Fruchtmarktes gedruckt werden.« (Schändlich, schändlich! von allen Seiten.) »Ja, in diesem Blatte herrscht kein Respekt. Nicht ein einziges Mal hat man die Gewinste der Königlichen Lotterie mitgeteilt; noch keine Silbe erwähnte man von den allerhöchsten Ordensverleihungen. [103] Allen Proklamationen aus Adressen verführerischer Gesellschaften und Versammlungen öffnete man dagegen Tür und Tor und verlieh ihnen zu gewissen Zeiten sogar den Ehrenplatz der ersten Seite!« (Abscheulich, abscheulich! von der ganzen Gemeinde.) »Auch mit den Dienern des Staates verfährt man in der herabwürdigendsten Weise. So nennt man z.B. jene ehrliche Stütze des Thrones, jenen heroischen General von Pfuel nie ohne in Klammern (von Höllenstein) hinzuzufügen. Hat man je so etwas erlebt? Aber diese ›Neue Rheinische‹ ist nun einmal der Ausbund aller Frechheit. Selbst mit den Vertretern der Nation, die augenblicklich in Berlin und in Frankfurt tagen, die ich zwar auch keineswegs liebe, die aber nichtsdestoweniger einige Achtung und einiges Mitleid verdienen, da sie von den Fürsten des Vaterlandes geduldet werden – ja, auch mit diesen sogenannten Volksvertretern geht die ›Neue Rheinische‹ so barbarisch um, daß man vor patriotischem Unwillen zerspringen möchte. Hat man nicht den edlen Gagern den ›Sturmgott‹ genannt? Tituliert man nicht den Abgeordneten Jucho stets den ›Dulder‹? Tauft man nicht den rechtschaffenen Venedey ›Jakobus‹? Und hat man nicht von Herrn von Soiron gesagt, daß er aussehe wie ein ›Kutscher‹?« (Schande, Schande! aus jedem Munde.)

»Der Geist des »Widerspruchs und der Verhöhnung durchweht das ganze Blatt, und wenn man behauptet, daß es trotz alledem mit ausgezeichnetem Scharfsinn redigiert sei, so ist dies nur ein Versuch, euch zu betören, und ich brauch euch kaum daran zu erinnern, daß der Teufel noch nie ein dummer Mann war. Ja, gerade der Stil, der Witz und die Kenntnisse der verderblichen [104] Menschen, welche dieses Blatt schreiben, bilden das Gefährliche und das Abscheuliche desselben.« (Rauschender Beifall.)

»›Wenn euch die bösen Buben locken, so folget ihnen nicht!‹ Ja, ich kann es nicht genug wiederholen: Die ›Neue Rheinische Zeitung‹ ist ein Blatt, welches jeder gute Bürger zerreißen und verbrennen sollte, wo es ihm in die Finger fällt, man kann es nicht genug verfolgen, man kann ihm nicht genug schaden. Vergebens haben sich die Heuler aller Arten bisher verbündet, es zu unterdrücken und es zu ruinieren.

Sogar einige Aktionäre waren mit in dem Komplott – es half aber doch nichts! Das Böse findet immer Absatz, und wie ich mit Schrecken bemerke, vermehren sich die Abonnenten der ›Neuen Rheinischen‹ mit jedem Tage. Eifriger liest man die leitenden Artikel, aufmerksamer studiert man Korrespondenzen und Annoncen. Doch vor allem wendet man seinen Beifall dem Feuilleton zu.« (Hier bebte der Saal von allgemeinem Gemurr und Gegrunze.)

»Ja, dem Feuilleton! diesem abscheulichen Rez-dechaussée der ›Neuen Rheinischen‹, in dem man alles Große und Herrliche mit schlechten Witzen zu überschütten strebt. Mit wahrhaft empörender Frechheit sucht der Verfasser seine Kollegen in ihren destruktiven Tendenzen zu unterstützen; es ist entsetzlich, er kann keinen ehrlichen Mann mehr zufrieden lassen, und er ist reif dafür, daß ihm ein Mühlstein an den Hals gehängt wird und daß man ihn ersäufet, wo der Vater Rhein am tiefsten ist.« (Immenser Applaus.)

»›Wenn euch die bösen Buben locken, so folget ihnen nicht!‹ So heißt unser Text, und ich muß euch wirklich [105] aufs ernsteste ersuchen, geliebte Typen, daß ihr euch von diesen verführerischen Gesellen lossagt und ihrem schlimmen Dasein ein Ende macht. Weder die Polizei noch die reaktionären Aktionäre, noch die Heuler haben bisher zu einem erwünschten Resultate kommen können; es ist jetzt an euch, ihr Typen, die ›Neue Rheinische‹ dadurch zu ruinieren, daß ihr in Zukunft den Setzern euern Dienst verweigert, ja, daß ihr den Gehorsam aufkündigt.« (Ja! Ja! aus allen Kehlen.)

»Der Geist des ›Rheinischen Beobachters‹ hat demnach die Ehre, den anwesenden Typen die folgenden Resolutionen vorzuschlagen: In Erwägung, daß die ›Neue Rheinische Zeitung, Organ der Demokratie‹ ein Blatt der allerschlimmsten Sorte ist,

in Erwägung, daß die ›Neue Rheinische Zeitung‹ auf wahrhaft beunruhigende Weise an Abonnenten gewinnt,

und in Erwägung endlich, daß die ›Neue Rheinische Zeitung‹ mit denselben Typen gedruckt wird wie der selige ›Rheinische Beobachter‹,

[Hier fehlt eine Seite des Manuskripts.]


Unser Setzer hatte sich so ruhig verhalten, wie es einem demokratischen Setzer möglich ist. Als der Spuk aber vorüber war, sprang er laut lachend empor, und es verstand sich von selbst, daß er der Redaktion sein Abenteuer am nächsten Morgen aufs treuste und ausführlichste mitteilte. Niemand wollte daran glauben; der kleine Setzer wußte aber, was er erzählte, und als durch den immer größer werdenden Wirrwarr auf der Setzerei der Druck und die Postexpedition stets unregelmäßiger geschahen, da gewann die Aussage des Kleinen immer mehr an Wahrscheinlichkeit, so daß man endlich [106] nach einem allgemeinen Kriegsrat zu dem Entschlusse kam, dem Lokale des »Rheinischen Beobachters« Lebewohl zu sagen und mit der »Neuen Rheinischen Zeitung« zu dem Drucker der alten »Rheinischen« zurückzukehren.

Die Augsburger »Allgemeine Zeitung«, die »Deutsche Zeitung«, die »Karlsruher«, die konstitutionelle »Böhmer«, die »Oberpost-«, die »Leipziger Deutsche-«, die »Breslauer Zeitung« und ähnliche komische deutsche Blätter haben unseren Umzug in der trefflichsten Weise zu deuten gewußt. Man kann natürlich von den genannten Zeitungen nicht verlangen, daß sie viel Witz zutage fördern. Wir hatten aber wirklich gedacht, daß sie etwas weniger roh und plump sein würden. Von dem ersten Tage des Erscheinens der »Neuen Rheinischen Zeitung« an prophezeite schon das gesamte deutsche Zeitungsgesindel unseren baldigen Tod. Jetzt, da man sieht, daß das verhaßte Blatt immer jugendlicher emporblüht, macht man seinem Ärger in den gröbsten Lügen und Wutausbrüchen Luft. Dies ist die Manier aller literarischen Gauner, und es wäre eine Torheit, wenn man weiter ein Wort darüber verlieren wollte.

Wir lassen es daher bei dieser kleinen Notiz bewenden. Die alte »Rheinische Zeitung« machte sich häufiger den Spaß, die deutschen Blätter etwas herumzuzausen; die Zeiten haben sich seitdem geändert, und die »Neue Rheinische« hat etwas Besseres zu tun.

In einem Augenblicke, wo die Presse von ganz Europa unsere Artikel übersetzt oder abschreibt, wo der Brite in seinen Meetings dem neuentstandenen Blatte öffentlichen Dank notiert, wo der Italiener seine deutsche Mitkämpferin frohlockend begrüßt und der Republikaner [107] der Seine unsere Räsonnements zu den seinigen macht – in einem solchen Momente können wir es wohl verschmerzen, von den Strauchdieben der vaterländischen Zeitungsliteratur ebenso geistlos als urgermanisch grob angegriffen zu werden.

Den Gassenjungen der deutschen Presse fehlt nur eines: es fehlt ihnen die Naivität der Gassenjungen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Weerth, Georg. Skizzen, Feuilletons, Reportagen. Fragment einer Warnung vor der »Neuen Rheinischen Zeitung«. Fragment einer Warnung vor der »Neuen Rheinischen Zeitung«. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9725-B