XXII
Der Gürzenich
Es ist ein ergreifendes Schauspiel, wenn der Vesuv seine roten Feuerblöcke in die tiefblaue See wirft; es ist ein erhabener Anblick, wenn die Lawine von den Alpen hinab in das Tal rollt, und es muß großartig aussehn, wenn der Niagara seinem Bette entgegenschäumt – aber noch viel ergreifender, erhabener und großartiger ist es, wenn auf dem Gürzenich-Saal der heiligen Stadt Köln zwölfhundert hungrige Gäste zur Feier des Dombaus über einen Heringssalat herfallen. Ich habe in meinem Leben nichts Imposanteres gesehen. Unvergeßlich wird mir diese Szene bleiben. Als ein Mann, der den Dom und den Heringssalat liebt, hatte ich mir für schweres Geld auf dem Sekretariate des Zentral-Dombau-Vereins eine Festmahlkarte gekauft. Ich habe nie eine Portion Heringssalat teurer und mit mehr Vergnügen gezahlt [463] als diesmal; ich bin sogar einen halben Tag lang dahinter hergelaufen, und wäre Herr Schnitzler nicht ein so überaus artiger Mann, ich liefe noch – und alles um eine Portion Heringssalat! Man sollte sagen, daß ich den schrecklichsten Katzenjammer haben müßte.
Aber wie meine Leser wissen, war dem nicht so. Ich hatte den ganzen Morgen mit meinem beschränkten Untertanenhumor an den Pforten des Domes gestanden und mich mehr des wohlfeilen Regenwassers als des kostspieligen Weines erfreut. Endlich war der Reichsverweser und der König erschienen, endlich hatte ich beide bewundert, und endlich konnte ich naß wie ein Pudel nach Hause gehen, um für das bevorstehende Diner Toilette zu machen.
Schön wie ein Gott und hungrig wie ein Wolf trat ich in den Saal. Schon auf der Schwelle hätte ich vor Erstaunen fast einen Purzelbaum geschlagen. War das der Gürzenich? O seltsame Ändrung!
Ach, ich kenne den Gürzenich aus meinen Jugendjahren, aus jener Zeit, wo ich in der Sternengasse nicht weit von dem berühmten Hause wohnte, von dem mir einst ein todernster Kölner erzählte, daß der Herr Peter Paul Rubens darin geboren und daß die Mediceische Venus darin gestorben sei! – Ach, damals hatte ich noch meine fünf Sinne beieinander und hielt es für meine Pflicht, jedesmal um die Karnevalszeit Schulden zu machen und meine Uhr zu verkaufen, um hinter dem Rücken meiner alten, grausamen Freunde die schönste Maske zu machen, welche je durch die Straßen der heiligen Stadt Köln sprang. Hab ich nicht einmal den Don Quijote gespielt, in gelben Stiefeln, in schwarzer Trikothose, den Panzer vor der Brust, den Spitzenkragen um [464] den Hals, das Barbierbecken auf dem Kopfe und den fürchterlichen Speer in der Rechten?
Zog nicht mein Sancho hinter mir her, mit weltkugelrundem Bauche, in ländlicher Tracht, und forderte ich nicht auf dem Gürzenich wenigstens ein Schock der holdseligsten Dulcineen zum Tanze heraus, bis mir zuletzt die Beine unterm Leibe fortliefen und bis ich, einer blassen Leiche ähnlich, an die Brust meines mir ewig teuern und unvergeßlichen, damals als Bär verkleideten Freundes Klütsch sank?
Oh, wie hatte sich alles geändert! In demselben Saale, in dem ich früher nur der heiligen Stadt Köln vortrefflichste Narren in buntem Gemisch durcheinanderwogen sah, in demselben Freudensaale erblickte ich jetzt an unendlich langen Tischen, ach Gott, der Politik geweihte Köpfe, Deputierte aus Hessen, aus Österreich, aus Schwaben, aus Bayern, aus Ungarn, aus Oldenburg, und mitten zwischen ihnen nichts als kohlschwarze Pastöre, Geheimräte, Kaufleute und andere nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft – ich glaubte weinen zu müssen.
Aus den Deckenfeldern des Saales, aus denen früher Rosen und Reben nickten, schauten jetzt grimmige schwarze Reichsadler; an den Säulen, die früher die ausgezeichnetsten Geckenköpfe schmückten, hingen jetzt die Wappenschilde der verschiedenen deutschen Staaten, und an den Wänden des Saales hieß es statt »Es leben alle Narren!« – »Ein einiges Deutschland« und statt »Allen wohl und Keinem weh!« – »Eintracht und Ausdauer«.
Eine unendliche Wehmut erfaßte mich; ich fühlte zum ersten Male, daß die leidige Revolution, und noch dazu eine Revolution, die die guten Kölner gar nicht einmal [465] gemacht haben, uns um allen Spaß zu bringen droht. Durch die Reihen der Tische, an den unheimlich unverständlich redenden Volksvertretern schritt ich so traurig vorüber, wie vielleicht der Geist eines alten verkommenen Griechengottes an den glattgerittenen Bänken einer protestantischen Kirche vorüberspukt, und ich konnte erst wieder recht herzlich lachen, als ich auf der Erhöhung des gewaltigen Raumes, an derselben Stelle, wo ich seinerzeit als Don Quijote meiner Dulcinea nachjagte, den edlen Gagern hinter der deutschen Einheit herlaufen sah und den Sancho Soiron erblickte, wie er seinem berühmten Ritter im purzelnden Eselstrab zu folgen strebte.
Das Spaßhafte dieser Erscheinung tröstete mich in etwas; ich überzeugte mich davon, daß wenigstens noch nicht aller Humor aus der Welt verschwunden ist, und da gerade an die Stelle des Heringssalates einige höchst einladende Salme auf die Tafel schwammen, so bemächtigte ich mich, nicht ohne Lebensgefahr, eines Kuvertes und drückte mich zwischen einige unbekannte Versammelte und stammelte mein Tischgebet. Wie immer betete ich aus dem Homer, in Hexametern:
»Und die ehrbare Schaffnerin kam und tischte das Brot auf
Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat.
Und ich erhob die Hände zum lecker bereiteten Mahle.«
Mit den Gerichten und dem lecker bereiteten Mahle muß ich indes meine Leser erst noch genauer bekannt machen. Die Speisen sind keineswegs eine Nebensache bei einem Essen. Wie meine Leser wissen, folgte dem Heringssalat der Salm. Aber das war noch keineswegs alles. Ich greife daher zu dem Küchenzettel, den jeder [466] Gast in Groß-Folio-Format neben seinem Teller fand und den ich wohlweislich mit nach Hause nahm, um mich noch nachträglich davon zu überzeugen, ob ich auch gewissenhaft das ganze Verzeichnis durchgekaut hatte. Ich tat dies zu meiner besonderen Beruhigung.
Der Speisezettel heißt aber treu kopiert wie folgt:
[467] Das Ganze ist umringt von Arabesken und allegorischen Figuren: ein Küfer, ein unentzifferbares Wesen, ein Kerl mit einem höchst christlich-germanischen Gesichte mit dem Reichsadler und viertens ein dito mit dem preußischen Adler.
Ich kann es mir nicht versagen, noch die Bemerkung hinzuzufügen, daß die guten deutschen Blätter und namentlich die »Kölnische Zeitung« in ihren sonst so reichhaltigen und schön stilisierten Berichten über die Festlichkeiten dieses Dokument nicht mit aufgeführt haben. Die Gründe zu dieser Weglassung habe ich beim besten Willen nicht ermitteln können, soviel ich aber höre, soll keine böswillige Absicht dabei zugrunde gelegen haben, was natürlich auch nicht anders zu erwarten war.
Nachdem ich den Speisezettel aufs sorgfältigste studiert und meinem Salm – dem Fisch, nicht dem Fürsten Salm – mit Messer und Gabel angekündigt hatte, daß seine letzte Stunde gekommen sei, schaute ich mich zum ersten Male nach meinen Nachbarn um. Lauter fremde Gesichter, alle in ihre Atzung vertieft. Es ist traurig, wenn man unter 1200 Menschen sitzt und sich mit niemandem unterhalten soll. Man kommt sich wie ein Zellengefangener vor. Ich schüttete daher meinem Nebenmanne ein Glas Champagner über den Arm, um mich dann bei ihm aufs untertänigste zu entschuldigen und auf diese Weise die Konversation zu beginnen.
Der gute Mann schien Lebensart zu haben, denn er ging in die Falle und teilte mir sofort mit, daß er ein Österreicher sei und der Frankfurter Nationalversammlung angehöre. »Ich bin ganz entzückt darüber«, bemerkte er, »daß Sie unsern Erzherzog so freundlich empfangen [468] haben. Das hat mir in der Seele wohlgetan. Ich werde die Artigkeiten der Kölner nicht genug zu loben wissen. Einen solchen Enthusiasmus und ein solches Hurrarufen habe ich selten gehört – man empfing den Erzherzog Reichsverweser fast günstiger wie Se. Majestät den König –«
Das Gespräch wurde mir zu ernsthaft: »Verzeihen Sie, mein Herr – Sie irren sich; der Luftschiffer Coxwell, der bei der Ankunft des Reichsverwesers über Köln emporstieg und der daher den ganzen Empfang aus der Vogelperspektive oder sozusagen von einem höhern Standpunkt aus betrachtete, hat mir versichert, daß die Feier viel zu wünschen übriggelassen habe; die Sonne habe nicht einmal geschienen, es sei das häßlichste Regenwetter gewesen« – der Österreicher sah mich verwundert an. »Aber jedenfalls«, fuhr ich fort, »haben wir uns sehr über den Reichsverweser gefreut; wir glaubten eine Geißel Gottes zu bekommen, und wir fanden einen alten freundlichen Mann, der im schäbigen Röckchen, mit weißer Weste und mit entblößtem Haupte in unsere Stadt einzog, ein trauliches Märchen aus alter Zeit – aber haben Sie Ihren Speisezettel schon einmal durchgesehen?«
Der Österreicher sah auf seine Groß-Folio-Liste: »Den italienischen Salade haben wir genossen.« Allen Irrtümern vorzubeugen, zog er indes noch einen Bleistift aus der Westentasche und machte ein Kreuz vor die betreffende Speise. »Ist dieser Salat nicht so vortrefflich, als ob ihn Radetzky selbst angemengt hätte?« Der Österreicher blickte mich zum zweiten Male sehr erstaunt an. »Den Salat«, begann er aufs neue, »und den Salm verstehe ich schon, auch der Westerwalder Ochsen-Rücken ist mir bekannt, aber bitte, sagen Sie mir doch, was verstehen [469] Sie unter dem Festlied von Inkermann – es steht mitten unter den Speisen, es wird ein Gericht sein?«
»Allerdings! ein politisches Gericht, ein echt germanisches Ragout, in drei Versen oder Schüsseln.« – »Soll mich wundern«, versetzte der wißbegierige Mann, »dann kommen westfälische Schinken und Salatbohnen; wiederum zwei unzweideutige Dinge; ferner aber: Preiset die Reben?«
»Dies ist eine höchst poetische Ente mit einer Weinsauce und Trüffeln.« – »Was Sie sagen!« rief der Österreicher und leckte die Finger. »Dann haben wir gefülltes Geflügel und Wildpasteten; darüber kann kein Zweifel sein; beides zwei auserlesene Sachen. Aber schließlich wieder: Bekränzt mit Laub – was ist das?« Ich schnitt ein Gesicht wie ein totes Kamel. »Bekränzt mit Laub ist ein wahres Nationalfressen. Die Studenten lieben es vor allen Dingen; bei jedem Kommers wird es aufgetischt und mit Bier angefeuchtet hinuntergeschluckt; außerdem findet man es im Munde aller fröhlichen Zecher; Harfenmädchen goutieren es ebenfalls. Wenn ich mich nicht sehr irre, so erfand es der alte Asmus, als er eines Abends mit der Frau vor der Haustüre saß und die Sterne beschaute. Es scheint, der Zentral-Dombau-Verein hat dieses Gericht direkt durch den ›Wandsbeker Boten‹ kommen lassen.« – »Das ist sehr artig!« meinte der Österreicher. Da überließ ich ihn den süßen Speisen, dem Nachtisch, der Weinkarte und für die Zukunft der Paulskirche.
Von meinem Nachbar zur Rechten wandte ich mich zu meinem Tischgenossen vis-à-vis, der sich durch seinen rein uckermärkischen Akzent bereits als ein Stockpreuße und durch verschiedene erhabene Festbemerkungen als [470] ein Mann von ungewöhnlicher Bildung beurkundet hatte. Er war wiederum ein Nationalversammelter. Ich machte sofort die Honneurs und bot ihm das Salz meines Geistes und den Senf meiner Konversation. Er behauptete aber, Rheinsalm schmecke besser mit Öl und Essig. »Sie essen selten einen Salm in Berlin?« fragte ich ihn. »Selten!« erwiderte er lakonisch, »aber wir essen viel Teltower Rüben –« Es wurde mir traurig zumute. Ich sah schon bei den ersten Versuchen, daß ich die unsterbliche Seele meines Preußen nicht ohne entsetzliche Anstrengung über den Horizont eines Rübenfeldes zu erheben vermochte. Ich griff daher zu einem Mittel, welches die Zeitverhältnisse zu dem stimulierendsten der Gegenwart machen. »Der Erzherzog Reichsverweser ist wirklich bei weitem freudiger empfangen worden als der König«, rief ich nämlich dem Österreicher zu und sagte es so laut, daß es ringsum verstanden wurde.
Dies wirkte. Der Preuße ließ Gabel und Messer sinken, und »Sie irren sich!« rief er mit dem Ausdruck der tiefsten Entrüstung. – Mein Plan war gelungen. Ich hatte den Schwarz-weißen und den Schwarz-rot-goldenen aneinandergehetzt.
Vergebens strengte sich jetzt der letztere an, unserm Teltower noch einmal alle Hochs und alle Hurras auf den alten Erzherzog ins Gedächtnis zurückzurufen: der Schwarz-weiße wußte seine Stimme sofort zu einem solchen durchdringenden Diskant emporzuschrauben, daß er schnell den Österreicher übertönte und die Unterredung im Nu beherrschte.
»Sie irren sich!« begann er von neuem. »Als der König von Deutz nach Köln hinüberfuhr, krachten da nicht die Kanonen, als ob die ganze Stadt bis in ihre Grundfesten [471] zusammenschaudre, als ob der Dom ineinanderbrechen wollte? Ja, Se. Majestät war gerührt über diesen Empfang. Die Augen des Königs leuchteten Lust und Seligkeit. Etwas bleich und schüchtern hatte er die Eisenbahn verlassen, aber rosig und glücklich zog er ein in die donnernde Freudenstadt!«
Österreicher und Preuße schwiegen, denn an der andern Seite des Saales erhob sich plötzlich ein solcher Sturm des Begrüßens, des Trampelns und des Serviettenschwenkens, daß der alte Gürzenich in eine schwingende Bewegung geriet und daß ich nicht anders meinte, als daß wir jeden Augenblick in den untern Raum des Gebäudes, in die Siruptöpfe und in die Butterfässer des Kaufhauses hinabstürzen würden. – –
Es war kein Zweifel mehr, eben erschien der König und der Reichsverweser, und einmütig sang man das bereits erwähnte echt germanische Ragout von Inkermann.
Freundlich lächelten die hohen Herren auf die singende Menge hinab. Als aber der Zauber der Inkermannschen Poesie wie mit fernem Nachtwächtergedudel in den letzten Winkeln des Riesensaales verklungen war, da sprang empor von der Bank der Fürsten, in strahlender Uniform und mit geistreichem Antlitz: Se. Majestät der König, jetzt mit der Linken Ruhe gebietend und jetzt die Rechte mit gefülltem Römer erhebend, zu begeisterndem Toaste:
»Ich trinke auf das Wohlsein eines deutschen Mannes, auf das Wohlsein eines meiner treuesten Freunde. Wie er Ihr Vertrauen besitzt, so besitzt er auch Mein Vertrauen und Meine Liebe. Möge er uns einige und freie Völker geben; gebe er uns einige und freie Fürsten. Hoch lebe Erzherzog Johann, der Reichsverweser!« [472] So ungefähr sprach Se. Majestät und leerte den Römer bis auf den Grund und machte die Nagelprobe mit unendlicher Grazie! – Das letztere schien vor allen Dingen einen berauschenden Eindruck auf die Zuschauer hervorzubringen. Mehrere meiner Nachbarn rasten vor Wollust. Sie fühlten sich in die Zeiten des Kaisers Max zurückversetzt, der auch wohl mit den Leuten derlei harmlose Späße trieb. So z.B. in Nüremberg. Der dumme Magistrat hatte nämlich damals für die Dauer der Reichsfestlichkeiten alle schönen unverheirateten Frauenzimmer aus der Stadt verbannt, weil ihm die ungesetzliche Liebe als ein Greuel vor dem Herrn erschien. Vor den Toren standen nun die armen lüsternen Dinger und ennuyierten sich à mort. Da kam der Kaiser, und ehe er sich's versah, umlagerten ihn ein Dutzend der hübschesten Bajaderen und sagten ihm, er sei ein vernünftiger Mann, der Magistrat bestehe aber aus Eseln, und er, der Kaiser, möge doch seine bessere Einsicht bei diesen Blödsinnigen geltend machen und dafür sorgen, daß sie, die Bajaderen, dennoch Erlaubnis erhielten, das Fest durch ihre Locken, Lippen und wogenden Busen verherrlichen zu dürfen.
Max hörte die liebenswürdigen Geschöpfe ruhig an und lächelte. Ehe er aber weiterritt, befahl er statt aller Versprechungen dem zunächst stehenden jungen Kinde, einmal hinter das kaiserliche Roß zu treten und des Pferdes Schweif zu fassen, und der zweiten gebot er, sich wieder hinter ihre Genossin zu stellen und deren Rock zu ergreifen, und als nun die erste den Schwanz des Gaules in der Hand hielt und die zweite den Rock der erstern faßte und die dritte den Rock der zweiten und so fort, da gab Kaiser Max seinem Pferde die Sporen, und mit ein, zwei, drei, vier, acht, zwanzig, ja, wer weiß mit [473] wieviel braunen und blonden kichernden Weibern im Schlepptau ritt er fürbaß gen Nüremberg, wo der Magistrat schon an den Toren stand, um den Kaiser zu empfangen, und aus Scham und Wut schier verrückt zu werden meinte, als er zugleich mit dem Einzug des Kaisers auch das süße Gefolge seines Roßschwanzes passieren lassen mußte.
Die Nüremberger Chronik setzt hinzu, daß die damaligen Festlichkeiten zu den »verteufelt-fidelsten« gehört hätten.
Wie es der ehrliche Max mit den Weibern machte, so machte es König Friedrich Wilhelm mit dem Wein. Mit der Nagelprobe entzückte er den ganzen Gürzenich, und dieselbe Rolle, die der steife Magistrat in Nüremberg spielte, sie wurde in Köln von den unbeholfenen Liberalen gespielt, die mit Schrecken sahen, wie ein König sogar imstande ist, nur durch eine Nagelprobe alle Herzen wiederzugewinnen und alles vergessen zu machen, ja alles, alles, vom 18. März an bis auf den heutigen Tag. O geht und laßt euch hängen, ihr Demokraten, ihr dummen Republikaner! Was ist all eure Berserkerwut gegen die Nagelprobe eines klugen Königs?
Dem Könige folgte der Erzherzog Reichsverweser. Das Glas erhebend, sprach er:
»Dem Fürsten, der eben meine Gesundheit ausbrachte, dem Könige von Preußen! und dem, was an unserm Dom geschrieben steht: Eintracht und Ausdauer!«
Die beiden Fürsten umarmten sich und küßten sich; laut schallte der Jubel der Versammlung, und ihre schwarz-weißen und schwarz-rot-goldnen Leidenschaften fluteten ineinander. Was wollt ihr mehr? Preußen ging in Deutschland und Deutschland in Preußen auf in diesem [474] Kuß vor allem Volke, in dieser versöhnenden Umarmung. Was wollt ihr mehr, die ihr noch immer das Gespenst des Bürgerkrieges zwischen den beiden Kokarden seht? Ist es nicht offenbar, daß es mit aller Zwietracht aus ist? Oh, aber ihr seid kalte, berechnende Menschen, ihr finstern Volkssouveränen. Ihr glaubt weder an Küsse noch an Umarmungen. Heilig ist euch nichts mehr – heilig nur euer kalter Egoismus! Oh, wärt ihr doch in Köln gewesen, auf dem Gürzenich, auf dem Dombaufestmahle, ihr würdet eure revolutionären Ideen drangegeben, ihr würdet gelernt haben, was Fürsten über Völker vermögen und wie man sich vor Fürsten beugen muß. Ja, herrlich hast du dich bewährt, mein altes Köln, mein treffliches Rheinland, als eine Stadt, als ein Land der Treue, der Loyalität, und niemand wird hinfort mehr von euch sagen können, daß ihr der Herd des Aufruhrs wärt, der Revolution und der Anarchie.
Wir übergehen den Toast eines loyalen Kölners und wenden uns zu dem Präsidenten der Frankfurter Nationalversammlung von Gagern. Auftrat dieser große Mann. Ich muß gestehen, ich war im höchsten Grade neugierig, den Zeus mit der Schelle, von dem ich schon soviel hören und lesen mußte, einmal in der Nähe zu sehen und mit eignen Ohren zu belauschen. Hatten mir doch wenigstens schon hundert Männer, alte und junge, aufzubinden versucht, Gagern sei ein Halbgott, er stamme direkt aus dem Olymp her, Jupiter habe ihn auf einer Ferienreise mit einer oberländischen Nymphe gezeugt! – Ich wollte es immer nicht glauben; auf das Geschwätz von Männern gebe ich nichts; sie sind fast immer schief gewickelt; wenn Männer über Männer urteilen, so steht es noch immer so und so um das Resultat; [475] auf Männer ist nicht zu bauen. Erst seit mir neulich ein hübsches Weib mit schneeweißen Zähnen und mit verliebten Augen die feste Versicherung gab, daß Gagern ein ausgezeichneter Mann sei und daß sie für ihn schwärmen könne, ja, schwärmen trotz alledem und alledem, seit jenem Augenblick fing ich an, die Wahrheit der verschiedenen Gerüchte weniger als bisher zu bezweifeln, denn die Aussage einer schönen Frau ist maßgebend in allen Dingen, einer Frau muß man mehr glauben als dem Evangelium; was eine Nachtigall singt und was auf Rosen und Lilien geschrieben steht und was ein Engel in Menschengestalt spricht, das ist die lautere Wahrheit, das soll man glauben, dafür soll man leben und sterben und auferstehen. Ja, was ist ein Sokrates und ein Hegel gegen eine kleine Person mit kohlschwarzen Locken, die dir an den Hals springt und dich küßt und darauf flucht mit dem liebenswürdigsten Fluche, daß sie recht habe und daß sie recht behalten wolle ihr Leben lang.
»Wen Frauen loben, der wird bekannt,
Er hat den Ruhm an seiner Hand,
Dazu seines Herzens Wonne.«
So sagt schon der alte Wolfram von Eschenbach, und in der Tat, Gagern hat alle Aussicht, einer der glücklichsten Menschen seiner Zeit zu werden. Gagern ist eine gesunde Erscheinung. Junge Mädchen werden sich schwerlich für ihn begeistern; hübsche Frauen werden ihn stets zu schätzen wissen. –
Gagern brachte einen Toast auf ein »einiges, freies und starkes Deutschland« aus. Wiederum bebte der Saal von Applaus. Alle Patrioten und alle Gläser wackelten. Se. Majestät der König erhob sich hierauf zum zweiten [476] Male, und ich muß gestehen, daß ich ihn für einen weit größern Redner als den Jupiter der Paulskirche halte.
»Schon zweimal«, sprach der König, »hat man auf die Erfüllung meines schönsten Jugendtraumes, auf ein einiges und starkes Deutschland angestoßen. Ich lade Sie jetzt ein, auch auf das Wohl der Werkleute am Baue dieses einigen Deutschlands zu trinken – es leben die anwesenden und abwesenden Mitglieder der Nationalversammlung in Frankfurt!«
Der Erzherzog Reichsverweser folgte wieder Se. Majestät mit einem Toaste auf das Wohlsein der Stadt Köln. Die stotternde Beredsamkeit des verwitterten Mannes war rührend komisch. Der alte Fürst und die alte Stadt – sie grüßten einander wie zwei graue Kirchtürme. Es war, als ob der Domkranen und der Turm der Stephanskirche sich umarmt hätten.
Unter den übrigen Rednern fiel mir noch von Soiron, der Vizepräsident aus Frankfurt, auf. Ich muß den Mann schon früher einmal gesehen haben. In Brüssel, in Liverpool, in Hamburg – ich weiß es nicht. Aber ich möchte darauf wetten, daß ich ihn schon einmal auf einem Droschkenbock sah; ja wahrhaftig, ich will mich hängen lassen, Herr v. Soiron war schon einmal Droschkenkutscher! Ist das nicht derselbe Kutscherbart, dieselbe Kutscherwürde, dasselbe Kutscherpathos? Was für eine Nummer hatten Sie, Herr Soiron?
»Hohe Versammlung!« begann Sancho-Soiron. »Gönnen Sie einem einfachen Manne ein einfaches Wort, ein Wort, das aus dem Herzen kommt. Reichen wir uns die Hände durch alle Gaue des deutschen Vaterlandes, auf daß Brüderlichkeit zwischen uns herrsche bis an die [477] äußersten Grenzen. Hoch lebe die Brüderlichkeit des deutschen Volkes!«
Kann ein patriotischer Kutscher besser sprechen? Hohe Versammlung – einfacher Mann – Händereichen des deutschen Vaterlandes – äußerste Grenzen – es lebe die Brüderlichkeit. Wunderschön! Es lebe Sancho, der einfache Mann! –
Nachdem noch der Erzbischof von Köln den Segen über die Eintracht der Völker und Fürsten ausgesprochen hatte, sprach auch noch der kölnische Deputierte Franz Raveaux, der Mann mit dem melancholischen Schnurrbart, der nicht so berühmt ist wie der Kölner Dom, der fast so bekannt ist wie der kölnische Karneval und der jedenfalls die Unsterblichkeit mit der Eau de Cologne teilen wird. Die Heroen des Tages hatten indes geredet, das Gürzenich-Bankett ging seinem Ende entgegen; der König und der Reichsverweser verließen den Saal, und mein Österreicher rückte in dem Studium des Speisezettels bis zu den Salatbohnen, zu dem gefüllten Geflügel und zu dem Nationalgerichte des »Wandsbeker Boten« vor.
Ich muß gestehen, ich war erschöpft vom Anhören so vieler köstlicher Toaste. Ich hatte meinen Platz verlassen und war hart an die Erhöhung des Saales getreten, um recht in der nächsten Nähe in dem Anblick der größten Männer unsres Jahrhunderts schwelgen zu können. Gott weiß, wie lange ich dort festgebannt worden wäre, wenn nicht plötzlich ein ziemlich wohlbeleibter Mann meine Schulter berührt und mich im reinsten westfälischen Dialekt darauf aufmerksam gemacht hätte, daß ich ihm durch meine Stellung die Aussicht nach einer höchst einladenden Torte versperre, die bei dem allgemeinen Redeenthusiasmus [478] bisher unberücksichtigt geblieben war. Der würdige Dombaudeputierte, der von Hamm, Soest, Dortmund oder von irgendeiner andern sabbatstillen Stadt der roten Erde nach Köln gekommen war, um sich einmal recht am Wein, am Gebet und am Patriotismus zu letzen, schien mir fest entschlossen zu sein, den hohen Eintrittspreis des Festmahles gewissenhaft herausfressen zu wollen. Der ehrenwerte Mann kümmerte sich wenig um den Erzherzog Reichsverweser, um Herrn von Gagern und den päpstlichen Nuntius – er ließ der Weltgeschichte ihren Lauf und beschäftigte sich mehr mit den praktischen Interessen des Hungers und des Durstes.
»Wollten Sie mir nicht die Aussicht nach jener Torte gewähren?« fragte mich der gute Westfale mit dem Ausdruck der höchsten Freundlichkeit. Ich merkte die leidenschaftlichen Gelüste des alten Knaben, denn während er mich anredete, sah er nicht auf mich, sondern immer nach der Stelle hin, wo die herzerfreuende Torte stand. »Mit dem größten Vergnügen!« erwiderte ich ihm und stemmte meine Faust in die Seite, so daß der Westfale, wie man durch das Bingerloch nach dem Rheingau oder durch den Rolandsbogen nach dem Siebengebirge blickt, so durch meinen gekrümmten Arm hindurch nach dem Gegenstand aller seiner Wünsche schauen konnte. Der Westfale schien zu glauben, daß ich seine tiefern Absichten nicht verstanden hätte; er sah mich daher mit seinen großen blauen Augen ziemlich stier an, als wollte er mich fragen, ob ich denn nicht die Sprüche Salomonis kenne, wo da geschrieben steht, daß man dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbinden soll? – Ich blieb aber unerbittlich. »Lieber Herr, wollten Sie mir nicht gefälligst die Aussicht nach jener Torte gewähren?« fragte da [479] der Sohn der roten Erde zum zweiten Male, und ein Gemisch von Wollust und Melancholie spielte um seinen sehr großen Mund. Die Leiden des armen Mannes rührten mich. »Mit dem größten Vergnügen!« rief ich abermals. »Sie scheinen nicht gut sehen zu können – wollen Sie sich meiner Lorgnette bedienen?«
Während mein rechter Arm seine frühere gekrümmte Position beibehielt, reichte ich ihm mit der linken Hand die Lorgnette über den Tisch hinüber. Der Westfale stutzte. Sie müssen entweder ein sehr dummer oder ein höchst impertinenter Mensch sein – schien der unglückliche Sehnsüchtige zu denken. Da ermannte er sich und sprach zum dritten Male mit einer so bittenden, wehmütigen Stimme, daß es einen Stein hätte erweichen können: »Sehr verehrter Herr, hätten Sie nicht die große Gewogenheit, mir die Aussicht nach jener Torte gefälligst zu gewähren? Ich habe 1 Taler 20 Silbergroschen für mein Billett bezahlt – Geld ist Dreck, aber Dreck ist kein Geld! –, es verlangt mich nach jener Torte – –«
Das Antlitz des Armen überflog eine sichtbare Bangigkeit. Er sah, wie von der andern Seite noch ein zweiter Aspirant auf die reizende Torte lossteuerte; ein Mann, der sich etwas verschämt, wie es Liebende sind, rechts und links umschaute, um sich davon zu überzeugen, daß ihn auch niemand in dem allgemeinen Wirrwarr bemerke. Es war die höchste Zeit, den Raub zu vollbringen. Den Westfalen stach es wie mit tausend Nadeln, er rückte hin und her, und immer flehentlicher und immer bittender leuchteten seine unschuldigen Augen.
Da konnte ich nicht länger widerstehen; ich wandte mich seitwärts, und schon hatte ich die Hand nach der Heißersehnten ausgestreckt, da kam mir plötzlich der[480] gewandtere Nebenbuhler des armen Westfalen zuvor, ich erkannte in meinem Gegner meinen frühern Nachbar, den preußischen Deputierten, den Ritter von der Teltower Rübe, und ich wäre fast vor Lachen gestorben, als ich ihn mit einer wahrhaft teuflischen Geschwindigkeit samt der eroberten Torte davonrennen sah.
Der arme Westfale sank aber wie eine geknickte Blume zusammen; er röchelte in seine Serviette hinein, und »Geld ist Dreck, aber Dreck ist kein Geld!« schien er noch einmal zu seufzen, da machte ich mich aus dem Staube, denn ich fürchtete den gerechten Zorn des Mannes, ich glaube, er hätte mich getötet mit Messer und Gabel und mich selbst gefressen statt der verhängnisvollsten aller Torten.
Meine Aufmerksamkeit wurde nach der andern Seite des Saales gelenkt, wo sich ein eigentümliches Getöse erhob, das mein musikalisches Gefühl aufs empfindlichste verletzte und mich ebensosehr an die Menagerie eines van Aken als an jenes Grunzen und Brummen erinnerte, welches man nachts um die zwölfte Stunde wohl aus den Bierhäusern deutscher Hochschulen schallen hört.
Ich sah mich erstaunt und unwillig um und bemerkte zu meinem nicht geringen Leidwesen einen ehrenwerten Vizepräsidenten, der sich mit Händen und Füßen und mit einem nicht zu verachtenden Bierbaß nochmals Gehör zu verschaffen suchte, um sehr wahrscheinlich aufs neue zu erklären, daß er ein einfacher Mann sei und nur ein einfaches Wort zu reden habe, recht aus dem Herzen, von allgemeiner Brüderlichkeit, durch sämtliche Gaue des deutschen Vaterlandes, bis an die äußersten Grenzen. Der bekannte Redner winkte in derselben Weise mit den Händen, wie es die Droschkenkutscher [481] bei schlechtem Wetter tun, wenn sie die Vorübergehenden zum Besteigen des Wagens einladen.
Aber ach, die hohe Versammlung wollte sich nicht zum zweiten Male verleiten lassen. Vergebens trampelte, winkte und schrie Sancho – mit wahrhaft deutscher Unhöflichkeit blieb man auf seinen Sitzen oder eilte an dem guten Manne vorüber, so daß Sancho zuletzt auf die Ehre des Wortes verzichtete und seinem Herrn und Meister das Feld überließ. Herr von Gagern machte indes keine Anstalt zu einem abermaligen Vortrag, nein, er sammelte nur einige Deputierte um sich und stieg wie Zeus, umgeben von seinen Olympiern, von der für die Fürsten und die auserlesenen Abgeordneten reservierten Erhöhung hinab in die Reihen des patriotischen Volkes.
Es war ein imposanter Anblick. Voran der edle Gagern, in der ganzen gesunden Fülle seiner irdischen Erhabenheit. Hinter ihm eine nicht weniger bemerkenswerte Figur, einem Apollo ähnlich, der am Herunterkommen ist – dem die ambrosischen Locken anfangen auszufallen, der aber noch immer Anmut und Manneswürde verrät in Gang und Gebärde. Ich fragte den ersten besten Nachbar, ob er den bedeutenden Herrn kenne. »Das ist der Herr Müller!« antwortete er mir mit besonderem Nachdruck, und ich muß mich schämen, ich hätte beinah gelacht.
Kann es ein größeres Unglück für jemanden, der berühmt werden will – und von jedem ehrenwerten Deputierten kann man doch gewiß erwarten, daß er wenigstens in etwa den verwerflichen Durst nach Ruhm besitzt –, kann es, sage ich, etwas Schlimmeres für einen solchen Ruhmdurstigen geben, als wenn er Müller heißt, wenn er gerade den Namen trägt, unter dem schon so [482] viele ausgezeichnete Männer bekannt sind, daß man den einen oft nicht mehr von dem andern zu unterscheiden weiß und den Wald nicht mehr vor lauter Bäumen sieht? Müller! Müller! ein solcher Name ist entsetzlich; von der Geburt an hat einem schon das Schicksal einen Strich durch die Rechnung gemacht! Gibt es nicht schon einen Johannes Müller, einen Wilhelm Müller, ja, sogar einen Wolfgang Müller?
Was sollen wir noch mit einem neuen Müller anfangen? Armer Herr Müller!
Außer Herrn Müller gewahrte man indes auch noch einen dritten Versammelten, der es für seine Pflicht hielt, sich zu den übrigen Gästen herabzulassen. Es war dies der stille Dulder, es war dies der Mann, der achtzehn Jahre lang für die deutsche Freiheit »gedarbet« hat, es war derselbe Mann, dem die Republik nur über den Leib, über die Leiche geht und der so sehr von der glorreichen Zukunft Deutschlands überzeugt ist, daß er schon jetzt die Kaperprämien für unsre zukünftigen Admiräle bestimmt haben will – es war, mit einem Worte, niemand anders als der Hiob der Nationalversammlung, es war der herrliche Dulder Jacobus Venedey.
Zeus, Müller und Hiob schritten von Tisch zu Tisch, und es verstand sich von selbst, daß alle Kehlen jubelten und alle Römer klirrten.
Heiterkeit thronte auf Kronions Stirn. Er hatte die Donnerkeile seiner Rede in die Taschen des schwarzen Fracks gesteckt und spielte nur leicht mit dem unschädlichen Wetterleuchten seines unerforschlichen Geistes. Müller suchte seinem Gotte durch eine freundlich-würdige Gelassenheit den rechten Hintergrund zu geben; er war gewissermaßen die schöne Abendwolke, auf der die [483] Blitze seines Meisters hin und her zuckten. Hiob, mit einem schmerzlich-süßen Lächeln, säuselte hinter den beiden her wie ein milder Westwind. Gern wäre ich den dreien mit dem Auge gefolgt, um zuzuschauen, wie sie schwatzend, nickend und händeschüttelnd von Tisch zu Tisch zogen; aber sie verschwanden bald im Gewühle, und ich verfügte mich daher zurück an meinen Platz. – Es freute mich nicht wenig, dort meine alten Tafelgenossen, den Österreicher und den Preußen, wiederzufinden. Der letztere war soeben, nach unsäglichen Anstrengungen, mit seiner Torte eingetroffen, und der Schwarz-weiße und der Schwarz-rot-goldne schickten sich auch sofort an, ihre Beute in vollkommener deutscher Einigkeit zu teilen.
Polen wurde nicht gewissenhafter geteilt als diese Torte. Man bot mir natürlich sofort an, daß ich die Rolle Rußlands bei der Teilung übernehmen und der Dritte in dem schönen Bunde sein solle. Ich verweigerte dies aber, mehr aus innerlichen als aus politischen Gründen, indem ich versicherte, daß mir die Geschichte zu schwer im Magen liegen dürfte.
»Dahinten«, setzte ich hinzu, »befindet sich aber ein Mann, der mich gerne remplacieren wird. Er ist ein Westfale und deshalb nicht viel besser als ein Kosake. Der Mann liebt die Torten über alles. Sollen wir ihn nicht einladen?« – »Allerdings!« rief der Preuße, und »Ich halte es sogar für sehr nötig, ihn hinzuzuziehen!« bemerkte der Österreicher. Da erhob ich mich, um meinen hungrigen Zerberus herbeizuschleifen. Aber ach, ich hatte kaum zwei Schritte getan, da nahte unser Freund schon ungerufen. Sein Kopf glühte von Wein, Zorn und Gesundheit; er bemerkte mich gar nicht, denn steif war sein [484] Auge auf die Torte gerichtet. Mit einem schmunzelnden Lächeln schmiegte sich der westfälische Russe zwischen Österreicher und Preuße; ich winkte sofort, daß dies der rechte Mann sei, und keine Minute verstrich, da waren sie auch schon am Fressen nach Herzenslust, alle drei, und die hübschen Verzierungen des armen Kuchens brachen knisternd zusammen.
Als ich aber die drei so glücklich essen sah und als mir bei der Torte, Gott weiß wie, plötzlich das arme Polen in den Sinn kam, da fing es an, mir in den Adern zu sieden und zu kochen. Hat denn der allmächtige Bäcker, der große Schöpfer, diese hübsche Torte, dieses schöne Polen nur deshalb geschaffen, damit ihr mit Gabeln und Messern, mit Kartätschen und Schrappnells darüber herfallen sollt, um alles ineinanderzuschlagen und um es für ewig zu vertilgen? Mein Herz pochte rascher. Und als der vielfräßig-absolutistische, der westfälische Russe und als der konstitutionelle Preuße und der etwas demokratischere Österreicher sich nun erhoben, um wieder auf irgendeine Lumperei anzustoßen – da griff ich nach meinem Glase, und »Es lebe die Republik!« rief ich, daß es bis hinauf unter die Decke des Gürzenich klang – –
Ich hatte nicht mehr die Zeit, um nach dem Ein druck zu sehen, den mein unerhörter Frevel auf die Teiler der Torte hervorbringen mußte, denn in demselben Augenblick, wo ich mit der Rechten den Römer erhob und wo das verhängnisvolle Wort meinen Lippen entfloh, fühlte ich meine nach hinten fahrende Linke von eiserner Faust gefaßt, und entsetzt wandte ich mich um.
Zeus Kronion, der große Gagern, stand vor mir.
Auf seiner Wanderung durch den Saal war er mit seinem Gefolge auch zu unserm Tisch gekommen – jawohl, [485] Zeus hatte mich gefaßt mit eigner Faust. Kalt lief mir's über den Rücken. Jetzt geht's dir schlecht. Wie Jupiter der Erste den Prometheus an den Kaukasus schmieden ließ, damit ihm ein Geier die Leber aushacke, so wird jetzt Jupiter der Zweite, der edle Gagern, dich an den Domkranen hängen, damit die dummen Konstitutionellen ihre schlechten Witze über dich reißen! – Das war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf flog. Ja, baumeln wirst du da oben, schon in aller Herrgottsfrühe, und alle deine Feinde werden kommen und lachen über dich. Da wird der Herr Inkermann kommen und rufen: Seht, dort hängt der Kerl, der über meine Verse gespottet hat; und da wird Herr von Soiron herbeieilen und schreien: Seht, das ist der Schurke, welcher sagte, ich sähe aus wie ein Kutscher; und der Herr Venedey wird gelaufen kommen und jauchzen: Seht, das ist die Lästerzunge, die mich einen Dulder und einen Hiob nannte; und der Herr Müller wird herzuspringen und lamentieren: Seht, das ist der Mensch, der nicht einmal meinen ehrlichen Namen zufriedenlassen konnte! Und so werden sie alle miteinander erscheinen und sticheln und spötteln und werden mir sogar noch die Weiber unter die Augen setzen, damit ich sie immer sehe, ohne sie je küssen zu können – daß Gott erbarm!
Doch erst dann wird es mir gelb und grün werden vor den Augen, ja erst dann wird mir der Angstschweiß ausbrechen aus allen Poren, und erst dann werde ich wünschen, daß ich in dem Mittelpunkt der Erde säße, sicher und verborgen wie ein antediluvianischer Hamster: wenn nun endlich der schlimmste meiner Ankläger erscheint, wenn »sporenklirrend, schnurrbartkräuselnd« ein junger elegantgekleideter Herr auf mich losschreitet, ja, [486] wenn derselbe Fremdling naht, der am Morgen des Domfestes die verhängnisvolle Zeitung kaufte, um sie so rasch auseinanderzufalten, um sie so erschrocken mit dem Blick zu durchfliegen – – denn zornig werden seine Augen funkeln, und mahnend wird er seine weiße aristokratische Hand erheben, und Wehe! wird er ausrufen, Wehe über diesen profanen Skribenten, der alle preußischen Junker, ja, der den ganzen deutschen Adel verhöhnt hat, indem er, ach, so treu mein Leben schilderte, ja, indem er das Leben und die Taten beschrieb: »des berühmten Ritters Schnapphahnski!« – –
So blitzte es mir durch den Schädel, und noch immer hielt mich Gagerns Hand gefaßt; und wie ich jeden Augenblick erwartete, daß er Tod und Verdammnis auf mich herabdonnern würde, und in furchtbarer Spannung, weder sitzend noch stehend, abermals zu ihm emporschaute, da wäre ich fast von dem zweiten Schrecken mehr gepackt worden als von dem ersten, denn sieh, das Antlitz des großen Mannes, welches mir aber noch voll schrecklicher Wolken erschien, es schaute mit dem Ausdruck der freudigsten Zufriedenheit auf mich herab; nicht zum Hängen, nein, zum Gruße hielt mich der Donnerer gefaßt, und es war kein Zweifel mehr, er hatte meinen republikanischen Ruf für einen höchst konstitutionellen gehalten, und, ja beim Teufel, ehe ich mich's versah, wurde ich mit hineingerissen in das fatale Gewoge, so daß ich bald den Westfalen, den Österreicher und den Preußen samt ihren Tortenresten aus dem Auge verlor und, endlich von Gagerns Hand befreit, mit hinweggeschwemmt wurde von der schwarz-rot-goldnen Sündflut, über Tische und Bänke, bis daß ich endlich an der andern Seite des Saales auf die Schwelle der Tür [487] geriet und von der Schwelle auf die Treppe und von der Treppe auf die Straße – Alaaf Köln! und vorüber war das Fest des Gürzenich.
Ja, vorüber war die große kölnische Domfarce, bei der all die hohen Herrn mit den schönsten Phrasen im Munde, aber den Groll im Herzen, unter dem Jubel des törichten Volkes all die feinen Pläne ersannen, welche bald in den standrechtlichen Erschießungen Wiens, in der Oktroyierung der preußischen und österreichischen Verfassung und in dem Lächerlichwerden der Frankfurter Versammlung so treffliche Früchte tragen sollten.
Ja, vorüber war dies Fest des widerlichsten Kokettierens mit dem dummen souveränen Michel, und wir würden vielleicht noch darüber lachen, wenn uns durch den schimmernden Haufen dieser »volksfreundlichen« Fürsten, dieser feilen Knechte und dieser düpierten Volksrepräsentanten nicht die kugelzerrissenen Leichen der Proletarier von Paris, von Wien und Berlin angrinsten, wenn durch dieses Gewirr der heuchlerischsten Versicherungen, der schamlosesten Lügen nicht die Sterbeseufzer der zertretenen Polen, der Hilferuf der gefolterten Ungarn und der Racheschrei der verwüsteten Lombardei zu uns herübertönten, wenn nicht das blutige Haupt eines Robert Blum vor unsre Füße rollte – doch genug! der Humor ist versiegt; das Buch ist zu Ende.
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