Vierzehnter Auftritt
Der Fürst. Vorige. Später Mitja und Kolja.
FÜRST
von links, geht auf und nieder, bleibt vor Cölestin stehen.
Hat man schon solch ein Galgengesicht gesehen!
CÖLESTIN
sich verbeugend.
Haben Durchlaucht noch sonst etwas zu befehlen?
[186]FÜRST.
Hinaus!!!
Cölestin links hinten ab.
FÜRST.
Nehmen Sie Platz, lieber Feodor Petrowitsch.
SCHWIGERLING.
Durchlaucht wünschen sich über meine prügelfreie Erziehungsmethode zu informieren?
FÜRST.
Bitte, nehmen Sie Platz.
SCHWIGERLING
dem Fürsten die Chaiselongue bietend.
Durchlaucht. Er holt sich einen Sessel. Beide setzen sich. Sie sollten Ihre Kinder erst mal in eine Kaltwasserheilanstalt schicken.
FÜRST.
Ich werde sie morgen in eine Kaltwasserheilanstalt schicken. Nun sagen Sie mal, lieber Feodor Petrowitsch, Sie sind also tatsächlich Zigeuner?
SCHWIGERLING.
Halb und halb. Mein Vater war ein Ostasiate, meine Mutter Vollblut-Zigeunerin. Auf einem Planwagen in den sonnigen Steppen Ungarns erblickte ich das Licht der Welt. Ich zog dann während meiner ersten Kindheit mit der Truppe meiner Eltern von Jahrmarkt zu Jahrmarkt durch Österreich, Polen, Deutschland, die Niederlande; dann den Rhein hinauf, über die Alpen ...
FÜRST.
Schon gut. Schon gut. Was ich Sie noch fragen wollte. Sein Zigarettenetui öffnend. Sie rauchen natürlich?
SCHWIGERLING
sich bedienend.
Danke. Schlägt Feuer für den Fürsten und sich. Pause. Laferme?
FÜRST.
Laferme – aus Petersburg.
SCHWIGERLING.
Ich habe sie bei der Prinzessin von Capua geraucht.
FÜRST.
Auf dem Planwagen?
SCHWIGERLING.
Später!
FÜRST.
Ich ziehe sie den ägyptischen Zigaretten vor.
SCHWIGERLING.
Sie sind billiger. Pause. Die Prinzessin von Capua pflegte sie zu inhalieren.Pause. Können Durchlaucht durch die Nase rauchen?
FÜRST
versucht es, prustet, geht zum Tisch und stürzt einen Wutki.
Nein! – Ohne Umschweife, Feodor Petrowitsch Schwigerling, ich habe Sie nicht in meinen Dienst genommen ...
SCHWIGERLING.
Um, wie Sie in Petersburg vorgaben, moderne Sprachen zu lehren ...
[187]FÜRST.
Sondern um ...
SCHWIGERLING.
Die Knute zu führen!
FÜRST
wieder Platz nehmend.
Ja, das war der Vorwand, sehen Sie! – Sie befinden sich aus einem ganz anderen Grunde hier. Sie werden nicht wenig erstaunt sein.
SCHWIGERLING.
Ja. – Hm.
FÜRST.
Warten Sie nur. Ich muß Ihnen die Geschichte von Anfang an erzählen.
SCHWIGERLING.
Dann erzählen Sie bitte.
FÜRST.
Als zu Anfang letzten Sommers ein weitläufiger Verwandter und ehemaliger Kriegskamerad von mir – in der Krim haben wir in ein und demselben Bette geschlafen. Er hatte die Gewohnheit, nachts auf den Dachgiebel zu steigen. Er hatte das von seinem Vater, dessen Mutter sich an einem Schornsteinfeger versehen haben soll, als sie ihn unter dem Herzen trug ...
SCHWIGERLING.
Als sie den Vater unter dem Herzen trug?
FÜRST.
Natürlich. Oder haben Sie schon einmal gehört, daß eine Großmutter ihren Enkel unter dem Herzen trägt?
SCHWIGERLING.
Gewiß nicht. Also was war mit der Großmutter?
FÜRST.
Ja. – Ich glaube nicht an den Schornsteinfeger. Aber lassen Sie uns zur Sache kommen.
SCHWIGERLING.
Kommen wir zur Sache!
FÜRST.
Als zu Anfang letzten Sommers – deshalb schliefen wir in der Krim nämlich in ein und demselben Bette. Er wickelte sich abends einen Bindfaden um die große Zehe ...
SCHWIGERLING.
Das kenne ich alles.
FÜRST.
Um so besser. Dann brauche ich es Ihnen nicht erst zu erzählen. Als er zu Anfang letzten Sommers in seinen besten Jahren eines Nachts zu Hause nun richtig vom Dachgiebel stürzt, war es meine Pflicht als Mensch sowohl wie als ehemaliger Kriegskamerad, seiner einzigen Tochter in meinem Hause ein Asyl zu bieten.
SCHWIGERLING.
Weiter, Durchlaucht.
FÜRST.
Ich bin zu Ende.
SCHWIGERLING.
Schon?
FÜRST.
Leider Gottes.
SCHWIGERLING.
Um so besser. Ich glaube dieses Meisterwerk der [188] Natur bereits gesehen zu haben. Gestatten mir Durchlaucht die Bemerkung ...
FÜRST.
Ich weiß schon, was Sie sagen wollen.
SCHWIGERLING.
Um so besser, Durchlaucht.
FÜRST.
Was sagen Sie dazu?
SCHWIGERLING.
Was ich dazu sage?
FÜRST.
Ja.
SCHWIGERLING.
Das wissen Sie ja schon.
FÜRST.
Ja, ich sage Ihnen ...
SCHWIGERLING.
Ja, nun sagen Sie mal.
FÜRST.
Das sage ich ja gerade!
SCHWIGERLING.
Du lieber Gott, es führen so viele Wege nach Rom.
FÜRST.
Ich habe jedenfalls nicht die Absicht, mir von Ihnen den Weg auskundschaften zu lassen.
SCHWIGERLING.
Das tut mir aufrichtig leid.
FÜRST.
Ich habe Moskau zu meinen Füßen gesehen!
SCHWIGERLING.
Das ist nun nur schon ein wenig lange her.
FÜRST.
Es läßt sich berechnen.
SCHWIGERLING.
Ein guter Tropfen, meinen Sie, gewinnt mit dem Alter?
FÜRST.
Ich habe eines nach dem andern meiner reichen Herrschaftsgüter aufs Spiel gesetzt!
SCHWIGERLING.
Zum Teufel!!
FÜRST.
Man nennt mich einen eingefleischten Esel!
SCHWIGERLING.
Das ist bedenklich.
FÜRST.
Das ist sehr bedenklich!
SCHWIGERLING.
Das gebe ich zu.
FÜRST.
Weil ich meine Gefühle dadurch ins Ungeheure gesteigert sehe!
SCHWIGERLING.
Reisen Durchlaucht auf einige Jahre ins Ausland.
FÜRST.
Und so habe ich mich denn entschlossen – damit komme ich nämlich auf den Grund, weswegen ich Sie hierher berufen, zurück –, nach reiflicher Überlegung fest entschlossen, die Angelegenheit zu einem für mich befriedigenden Abschluß zu bringen!
SCHWIGERLING.
Durchlaucht finden in Wien und Paris Gelegenheit vollauf, um sich von Ihrer Gemütsaffektion zu erholen.
FÜRST.
Und dazu, mein lieber Feodor Petrowitsch, werden Sie mir das Mittel liefern.
[189]SCHWIGERLING.
Ich gebe Ihnen die glänzendsten Empfehlungsschreiben mit ...
FÜRST.
Danke, die habe ich schon. Es handelt sich hier um ein ganz anderes Mittel. Sie kennen es. Die Zigeuner bewahren es als ihr teuerstes Geheimnis.
SCHWIGERLING.
Die Zigeuner?
FÜRST.
Sie sind doch Zigeuner?
SCHWIGERLING.
Gewiß, aber ...
FÜRST.
Das kennt man schon. Genug, daß Sie mich verstehen.
SCHWIGERLING.
Bis jetzt keine Silbe.
FÜRST.
Wieviel fordern Sie für die Herstellung Ihres Trankes?
SCHWIGERLING.
Meines Trankes?
FÜRST.
Wenn man ihn unter gewissen Zeremonien zu sich nimmt, fühlt die Person, die man dabei im Auge hat, ein lebhaftes Bedürfnis nach Liebe in sich erwachen ...
SCHWIGERLING.
Der macht sich über mich lustig!
FÜRST.
Die Person kennt keinen heißeren Wunsch mehr, als den Mann, der den Trank zu sich genommen hat, zu besitzen.
SCHWIGERLING.
Ist das Tatsache?
FÜRST.
Sobald ich mich durch Ihren Trank zufriedengestellt sehe, haben Sie Ihre volle Freiheit wieder.
SCHWIGERLING.
Meine Freiheit?
FÜRST.
Sie können sich irgendwo im Keller unten ein Laboratorium einrichten. Da mögen Sie filtrieren und Hokuspokus machen, soviel Sie Lust haben.
SCHWIGERLING.
Ich träume doch nicht vielleicht?
FÜRST.
Sparen Sie sich Ihre Verstellungskünste. Sie langweilen sich und mich damit. Sie sehen, daß Sie keinen Neuling vor sich haben.
SCHWIGERLING.
Ja, das sehe ich allerdings! –Sich erhebend. Ich bitte Sie, Durchlaucht, sich einen geriebneren Betrüger zu suchen! Ich kann mich auf solche Gaunereien nicht einlassen! Ich bin hier als Professor für moderne Sprachen engagiert ...
FÜRST.
Als was sind Sie engagiert? Gleichfalls aufspringend. Ich will Ihnen zeigen, als was Sie engagiert sind! Ruft. Mitja! Kolja!
SCHWIGERLING.
Zum Teufel!
[190]Mitja, Kolja von rechts und links hinten, mit Stricken, postieren sich vor die Türen.
FÜRST.
Sie brauen mir Ihren Trank!
SCHWIGERLING.
Es gibt ein Mittel, Durchlaucht ...
FÜRST.
Was Sie sagen!
SCHWIGERLING
für sich.
Zum ersten offnen Fenster hinaus!
FÜRST.
Was Sie zur Zubereitung brauchen, lassen Sie auf meine Kosten aus Petersburg kommen.
SCHWIGERLING.
Beweisen Sie der Dame, daß Sie Moskau zu Ihren Füßen gesehen! Sie nahen sich ihr bei günstiger Gelegenheit ...
FÜRST.
Nach dem Diner zum Beispiel ...
SCHWIGERLING.
Und applizieren ihr mit rascher Entschlossenheit ...
FÜRST.
Ihren Trank!
SCHWIGERLING.
Einen Kuß!
FÜRST.
Einen Was?
SCHWIGERLING.
Einen Kuß!
FÜRST.
Ich? – – Ihr?
SCHWIGERLING.
Dann fühlen Durchlaucht sich vergöttert!
FÜRST.
Dann fühlen Durchlaucht sich geohrfeigt – Sie Beduine!
SCHWIGERLING.
Ich habe mich von Ihnen nicht als Nekromant engagieren lassen!
FÜRST.
He, Mitja, Kolja! Angepackt!
Mitja, Kolja dringen auf Schwigerling ein.
SCHWIGERLING.
Sie sind ein Narr! Sie gehören ins Irrenhaus!
FÜRST.
Angepackt! Hinunter mit ihm! In den Keller!
SCHWIGERLING
sich wehrend.
Sehe sich vor, wem seine Knochen lieb sind!
FÜRST
die Knute schwingend.
Hollahoh, Kinder! Hopp! Hollahoh!
SCHWIGERLING
überwältigt und gebunden.
Ihr Hunde! Ihr Kosaken! Ihr Sklavenpack!
FÜRST
während man Schwigerling hinausträgt.
Sie brauen mir Ihren Trank, das schwöre ich Ihnen!
SCHWIGERLING
in der Tür.
Dieser fürchterliche Esel!
FÜRST
nadi vorn kommend.
O Katja! – Stürzt einen Wutki. Wir sind in Rußland.