Erster Akt
Die Bühne stellt einen Garten bei einer Villa dar. Im Hintergrunde, rechts vom Zuschauer, sieht man die Stufen, die zur Veranda der Villa hinaufführen. Zur Linken, gleichfalls im Hintergrund, ist die Gartenpforte. Im Vordergrunde steht rechts ein Gartentisch mit mehreren Stühlen.
Rudolf Launhart und Heinrich Gellinghausen treten durch die Gartenpforte ein. Launhart ist ein Mann von gedrungner Statur, Ende der Zwanziger, mit blondem Spitzbart, kurzgeschornem Haar, Kneifer und völlig ausdruckslosem unveränderlichem Gesicht. Er bewegt sich sehr rasch und spricht sehr rasch. Gellinghausen ist hochgewachsen, mit dunklem, links gescheiteltem Haar und Vollbart. Er trägt einen Paletot über dem Arm und einen Regenschirm in der Hand.
LAUNHART.
Das ist reizend von Ihnen, Herr Gellinghausen, daß Sie gleich zu uns herausgekommen sind. Bei Ihrer Braut sind Sie selbstverständlich schon gewesen?
GELLINGHAUSEN.
Man konnte mir leider nicht genau sagen, wo meine Braut hier wohnt. Deshalb fragte ich nach Ihnen. Da wollten mich natürlich gleich mindestens zehn Menschen hier nach Ihrer Villa führen.
LAUNHART.
Ihre Braut wohnt hier gleich gegenüber, mit ihrer alten Mutter zusammen. Wenn Sie sich übrigens nur einen Augenblick gedulden wollen – um vier Uhr kommt sie aufs bestimmteste zu uns hierher – dann könnten wir beide das Geschäftliche vorher rasch zusammen durchsprechen.
Waldbauer, ein älterer bärtiger Mann in Hemdärmeln, den Strohhut in der Hand, tritt zögernd zur Gartenpforte ein.
LAUNHART
ihn bemerkend.
Was ist denn das! Zu Gellinghausen. Einen Moment! Wollen Sie bitte Platz nehmen. Er geht rasch zur Gartenpforte.
[593]WALDBAUER.
Ich bitte um Entschuldigung, Herr Launhart, aber ich –
LAUNHART.
Ja, ja, ja, ich. weiß ja schon, Herr Waldbauer. Sie haben natürlich vollkommen recht ...
WALDBAUER.
Ja schauen Sie, die Villa, in der Sie da wohnen, ist mein dreißigjähriges Ersparnis. Und wenn man sie dann vermietet ...
LAUNHART.
Gewiß, gewiß, Sie bekommen ja Ihr Geld. Nur heute kann ich es Ihnen nicht geben. Ich habe vor acht Tagen eine Segeljacht für zwanzigtausend Mark gekauft. Kommen Sie übermorgen.
WALDBAUER.
Übermorgen? Das haben Sie schon einmal gesagt ...
LAUNHART.
Und wenn ich es noch zehnmal sage! Und wenn ich es noch zwanzigmal sage!
WALDBAUER.
Herr Launhart, ich selber wohne in dieser teuren Villa nicht, obschon sie mein Eigentum ist. Warum? Weil ich nicht das Geld dazu habe.
LAUNHART.
Ich aber habe das Geld dazu! Ich habe mir noch nie in meinem Leben was darauf eingebildet; ich möchte nur nicht, daß Sie um meinetwillen schlaflose Nächte verbringen.
WALDBAUER.
Übermorgen also! Aber wenn es wieder nichts ist ...
LAUNHART.
Dann tun Sie, was Ihnen beliebt! Entschuldigen Sie, ich habe in diesem Augenblick Besuch bekommen; ich kann mich nicht länger mit Ihnen abgeben. Kommt rasch nach vorn.
Waldbauer ab.
LAUNHART
zu Gellinghausen, der am Gartentisch Platz genommen.
Wir haben hier gestern eine ganz wundervolle Segelpartie gemacht, Ihre Braut, meine Schwester und ich. Wir fuhren in zweieinhalb Stunden zwölfmal quer über den ganzen See, von einem Ufer zum andern. Setzt sich zu Gellinghausen. Ihre Braut setzte übrigens meine Schwester wie mich in Erstaunen durch die Kühnheit, mit der sie das Steuer führte.
GELLINGHAUSEN.
Sie wohnen hier wohl gar nicht weit vom Seeufer entfernt?
LAUNHART.
Fünf Minuten. – Aber wenn es Ihnen recht ist, dann lese ich Ihnen jetzt eben rasch den Kontrakt vor, den [594] ich aufgesetzt habe, um die Beziehungen zwischen uns in ihren wesentlichen Punkten vorläufig oberflächlich zu fixieren.
GELLINGHAUSEN.
Das ist mir sehr angenehm. Ich werde mich für meine Mitarbeiterschaft an dem Unternehmen doch noch in verschiedener Hinsicht ernstlich vorbereiten müssen.
LAUNHART
zieht zwei Kontrakt-Exemplare aus der Tasche.
Aber darf ich Ihnen nicht vielleicht ein Glas Bier kommen lassen? Sie sind jedenfalls durstig von der Fahrt.
GELLINGHAUSEN.
Ich danke Ihnen. Ich trinke tagsüber nie einen Tropfen Alkohol.
LAUNHART.
Oder ein Glas Limonade? Sie können alles haben, was Sie wollen.
GELLINGHAUSEN.
Nein, danke. Bitte, lesen Sie. Hier stört uns ja augenblicklich niemand.
LAUNHART.
Also – Liest. »Zwischen Herrn Rudolf Launhart und Herrn Heinrich Gellinghausen wurde folgender Vertrag unter Rechtsverbindlichkeit ...« usw. usw. – Sie müssen übrigens entschuldigen, daß ich Sie heute leider mit meiner Frau noch nicht bekannt machen kann. Meine Frau ist auf einige Tage zu ihrem Vater gereist, der sich zufällig gerade hier in der Nähe aufhält.
GELLINGHAUSEN
erstaunt.
Was Sie sagen! Der Herr Staatsminister ist augenblicklich hier in der Nähe?!
LAUNHART.
Ja. – Also Liest. »Paragraph eins: Herr Rudolf Launhart schließt unter heutigem Datum mit Herrn Heinrich Gellinghausen eine geschäftliche Vereinigung, welche die Gründung eines großen, wenn möglich internationalen Institutes für Sozialwissenschaft zum Zweck hat.«
GELLINGHAUSEN
nickt zustimmend.
Ja.
LAUNHART.
»Paragraph zwei: Herr Heinrich Gellinghausen beteiligt sich an dem Unternehmen mit Einzahlung eines Betriebskapitals von Mark dreimalhunderttausend, in Worten dreihunderttausend Mark, welche Summe binnen heute und sechs Monaten von ihm auf der Reichsbank zugunsten der Firma deponiert werden muß.«
GELLINGHAUSEN
nickt.
Ja.
LAUNHART.
»Paragraph drei: Die Firma lautet Rudolf Launharts sozialwissen schaftliches Institut. [595] Herr Rudolf Launhart übernimmt die Funktion eines Direktors und bezieht als solcher von der Firma ein monatliches Salär von tausend Mark.«
GELLINGHAUSEN.
Verzeihen Sie, ich habe wohl nicht ganz recht verstanden. Sie wollen sich in Ihrer Stellung als Direktor mit einem Salär von tausend Mark begnügen?
LAUNHART.
Was finden Sie dabei Außergewöhnliches? Ich hielt es für die übliche Bezahlungsweise, wenn mich die Firma mit tausend Mark monatlich honoriert.
GELLINGHAUSEN.
Ach so, monatlich!
LAUNHART.
Aber wenn Sie glauben, daß es zuwenig ist ...
GELLINGHAUSEN.
Bitte, nein; ich finde die Summe durchaus Ihrer Stellung angemessen.
LAUNHART.
Ganz wie Sie meinen. – »Paragraph vier: Der sich ergebende Nettojahresgewinn wird nach Abschluß der jeweiligen Jahresrechnung zu gleichen Hälften auf beide Kontrahenten verteilt.«
GELLINGHAUSEN
nickt.
Gut.
LAUNHART.
Und nun kommt noch Paragraph fünf: »Die Dauer dieses Vertrages ist auf zehn Jahre festgesetzt. Sollte einer der Kontrahenten vor Ablauf der zehn Jahre aus dem Geschäft austreten, so hat er keinerlei Ansprüche an das Geschäftsvermögen auf Rückvergütung seiner der Firma zugute gekommenen Leistungen.« – Das ist alles. Für den Fall, daß Sie den Vertrag selber für sich noch einmal genau durchlesen wollen, übergebe ich Ihnen das eine Exemplar; dann sagen Sie mir, was Sie noch hinzugefügt haben möchten. Er gibt es ihm. Die Sache eilt ganz und gar nicht. Da kommt meine Schwester. Er erhebt sich. Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal Gelegenheit hatten, meine Schwester kennenzulernen?
Berta Launhart ist derweil über die Veranda herab in den Garten gekommen. Sie ist ein Mädchen von fünfundzwanzig Jahren, blond und häßlich, ohne dabei aber alt auszusehen.
BERTA LAUNHART
reicht Gellinghausen die Hand, zu Launhart.
Fräulein Fanny hat mich schon vor acht Tagen mit ihrem Bräutigam bekannt gemacht. – Sind denn die Herren nun endlich über die großartigen Unternehmungen [596] einig geworden, mit denen sich das großartige Unternehmen beschäftigen soll?
GELLINGHAUSEN.
Meine Braut freut sich darauf, daß unser Unternehmen mit aller Energie für eine durchgreifende Reform der Kindererziehung eintritt.
LAUNHART.
Ihre Braut hat sehr originelle Ideen über Erziehungsreform. Die Erziehungsfragen fördern aber leider bis jetzt zuwenig Material zutage. Ich bin sehr damit einverstanden, daß wir uns von vornherein nebenher mit der Kindererziehungsfrage beschäftigen. Aber damit allein können wir uns nicht gleich ein ausgedehntes internationales Interessentengebiet erobern.
GELLINGHAUSEN.
Das ausgedehnte internationale Interessentengebiet müßte natürlich durch unsere allgemeine soziale Propaganda erobert werden.
LAUNHART.
Nur möchte ich mich dabei nicht gern zu intim mit der Sozialdemokratie einlassen. Der billige Massenabsatz ist allerdings immer ein glänzenderes Geschäft als der bestgehende Luxusartikel. Aber wer mit Sozialismus ein reicher Mann wird, gilt bei seinen eigenen Leuten als Hochverräter!
GELLINGHAUSEN.
Dann muß das Unternehmen meiner Ansicht nach notwendigerweise auf eine entschiedene und gesunde Tagespolitik gegründet werden.
LAUNHART.
Das geht meines Schwiegervaters wegen nicht. Mit der Politik, die mein Schwiegervater als Staatsminister treibt, lassen sich keine Geschäfte machen. Und stellen wir uns zu ihm in Gegensatz, dann verlieren wir alle geschäftlichen Vorteile, die sein Einfluß für unser Unternehmen haben kann.
GELLINGHAUSEN.
Mir haben Fachleute, die etwas von solchen Dingen verstehen, gesägt, daß man mit einer Zeitung überhaupt nur Geschäfte machen kann, wenn man Tagespolitik treibt.
LAUNHART.
Bei uns handelt es sich aber nicht einfach um eine Zeitung. Um durch eine Zeitung reich zu werden, hat man dreißig Jahre nötig! Wir brauchen etwas direkt Reformatorisches! Wir brauchen Vorträge, Bücherausgaben, alle erdenklichen Veranstaltungen, damit die gesamte Öffentlichkeit sofort gezwungen ist, sich mit uns zu beschäftigen![597] Die Zeitung, die wir herausgeben, soll uns dabei hauptsächlich nur zu Reklamezwecken dienen.
BERTA.
Es wird den Herren schließlich eben doch nichts zweckentsprechenderes übrigbleiben als die Frauenbewegung.
GELLINGHAUSEN.
Damit würde sich meine Braut aber nie und nimmer einverstanden erklären!
LAUNHART.
Ich weiß, Herr Gellinghausen. Für Ihre Braut ist die Frauenbewegung das Allerverabscheuungswürdigste in dieser Welt.
GELLINGHAUSEN.
Ich teile diese Abneigung meiner Braut im vollsten Maße und habe mich eigentlich auch nur durch ihre Pläne über Kindererziehungswesen zur Teilnahme an dem Unternehmen bewegen lassen.
BERTA.
Um der heutigen Kindererziehung mit Erfolg zu Leibe zu gehen, müssen aber doch zuerst die Eltern im Vollbesitz ihrer Rechte sein! Ich habe das Ihrer Braut schon hundertmal begreiflich zu machen versucht, aber bei ihr ist alle Logik umsonst!
LAUNHART.
Der Frauenbewegung gehört ja ohne allen Zweifel die Zukunft. Als geschäftliche Grundlage für unser Unternehmen wird sie nur leider durch die Häßlichkeit ihrer Vorkämpferinnen entwertet. Sobald sich schone Weiber der Frauenbewegung anschließen, kann sie für uns zu einer Goldmine werden!
BERTA.
Was können wir häßlichen Mädchen in dieser Welt denn besseres tun, als daß wir für die Naturrechte schöner Frauen streiten! Wenn man vom Himmel so ungnädig behandelt worden ist, wie zum Beispiel ich, dann hindert einen schon ein rein menschliches Taktgefühl, auf einem Gebiete zu wetteifern, auf dem andere Mädchen mit all ihren Vorzügen von vornherein als Siegerinnen auftreten. Deshalb ist mir Ihre Braut auch vollkommen begreiflich. In ihrer Verabscheuung der Frauenfrage spricht sich nur ihr Stolz auf ihre Schönheit aus.
LAUNHART.
Ja, ja, liebe Schwester, du hast ganz recht. Fräulein Fanny ist aber unsere unentbehrlichste Mitarbeiterin. Fräulein Fanny soll mit ihren geschäftlichen Kenntnissen auch das ganze Unternehmen organisieren helfen. Deshalb werden wir ihren Abneigungen Rechnung tragen. [598] Auf jeden Fall müssen wir endlich einmal zur Aufstellung eines geschlossenen Programmes gelangen! Über unseren Kontrakt haben Herr Gellinghausen und ich uns kurz bevor du kamst schon geeinigt.
GELLINGHAUSEN
greift in die Tasche.
Ja – was ich mir noch zu bemerken erlauben wollte ... Er zieht den Kontrakt heraus und sieht ihn durch.
LAUNHART.
Bitte, selbstverständlich! Ist Ihnen irgend etwas eingefallen, was Sie noch hinzugefügt haben möchten?
GELLINGHAUSEN.
Hm – ich finde es nur komisch, daß Sie sich selbst tausend Mark Gehalt monatlich aussetzen und nicht auch mir, der ich, abgesehen von meiner finanziellen Beteiligung, doch gleichfalls meine volle Arbeitskraft dem Unternehmen widme.
LAUNHART.
Ach, daß ich so was vergessen konnte! Natürlich! Entschuldigen Sie bitte! – Das können wir hier ja gleich hinzufügen. Indem er ihm den Kontrakt abnimmt. Erlauben Sie bitte. Wo ist denn das ...
BERTA.
Soll ich dir vielleicht Tinte und Feder besorgen?
LAUNHART.
Danke, ich habe eine Füllfeder bei mir. Das würde also lauten ...? Zu Gellinghausen. Sie müssen wirklich verzeihen; das ist reine Vergeßlichkeit von mir. Schreibt mit der Füllfeder. »Paragraph sechs: Herr Heinrich Gellinghausen erhält von der Firma ein Gehalt von Mark tausend, in Worten eintausend Mark ausbezahlt.« Zieht sein eigenes Exemplar aus der Tasche. Und hier dasselbe. Während er schreibt. Wenn Sie sonst noch irgend etwas zu dem Vertrag hinzugesetzt haben möchten – bitte, sagen Sie es frei heraus. Ich schreibe alles, was Sie wünschen.
GELLINGHAUSEN.
Ich wüßte nichts von Bedeutung.
LAUNHART
gibt ihm beide Exemplare zur Einsicht.
Bitte. – Ihre Braut wird sich außerordentlich darüber freuen, wenn sie hört, daß das Geschäftliche so glatt und prompt zwischen uns erledigt worden ist.
GELLINGHAUSEN.
O gewiß, darin haben Sie recht!
LAUNHART.
Dann können wir ja gleich unterzeichnen.
GELLINGHAUSEN.
Gut, ich bin dabei, wenn es Ihnen recht ist. Nimmt die Feder. Den wievielten haben wir heute doch?
[599]LAUNHART.
Den 3. September, glaube ich.
GELLINGHAUSEN
schreibt und spricht.
»Den 3. September 1900 und Spricht die Jahreszahl des betreffenden Jahres. Heinrich Gellinghausen.«Gibt den Vertrag an Launhart. Hier, bitte.
LAUNHART.
Danke, Die Feder nehmend. Darf ich bitten. Er unterzeichnet das andere Exemplar, gibt es an Gellinghausen und steckt sein eigenes in die Tasche. So! Zu Berta. Jetzt könntest du uns ja vielleicht eine Tasse Tee kommen lassen.
BERTA.
Der Tee wird schon fertig sein. Wenn die Herren nur in den Salon gehen wollen. Hier scheint jetzt nämlich gleich die Sonne her. Nach der Gartentür sehend. Sieh, da kommt ja auch Fanny gerade zur rechten Zeit!
Fanny Kettler, den Hut in der Hand, tritt zur Gartentür ein und eilt auf Gellinghausen zu. Sie umarmen und küssen sich.
FANNY.
Ah, mein liebster Schatz, das ist schön von dir, daß du auf mein Telegramm gleich gekommen bist! Aber warum telegrafierst du uns nicht, mit welchem Zug du kommst! Ich hätte dich dann doch vom Bahnhof abholen und zuerst zu uns hinüberführen können! Wir wohnen hier, gleich gegenüber.
GELLINGHAUSEN.
Ich dachte, ich würde mich hier schon allein zurechtfinden. Aber – könnte ich dich nicht vielleicht rasch nur einen Moment allein sprechen?
LAUNHART.
Bitte – wir gehen hinein, Berta – Sie kommen dann auch gleich zum Tee, nicht wahr?
GELLINGHAUSEN.
Danke.
Launhart und Berta gehen in die Villa.
GELLINGHAUSEN.
Du schriebst mir vor drei Tagen, daß der Architekt Padinsky hiergewesen sei und du mit ihm gesprochen habest.
FANNY.
Ja, gewiß.
GELLINGHAUSEN.
Ich bitte dich, liebe Fanny, mit diesem Herrn in Zukunft nicht mehr zu sprechen. Die Gründe dafür kann ich dir jetzt leider nicht nennen. Ich werde sie dir sagen, sobald wir verheiratet sind.
[600]FANNY.
So?! – Dafür danke ich dir! Dessen war ich vollkommen sicher!
GELLINGHAUSEN.
Wieso? – Wessen warst du sicher?
FANNY.
Daß du so sprechen werdest!
GELLINGHAUSEN.
Ja – Fanny – weißt du denn, was er getan hat?
FANNY.
Allerdings weiß ich das! Ich habe ihm ja selbst die Erlaubnis dazu geben müssen.
GELLINGHAUSEN.
Die Erlaubnis, daß er Nimmt einen Brief aus der Tasche. mir diesen Brief schreibt?!
FANNY.
Ja.
GELLINGHAUSEN.
Das muß ein Irrtum sein, Fanny. – Weißt du denn, was in dem Briefe steht?
FANNY.
Ja gewiß weiß ich das!
GELLINGHAUSEN.
Daß du – Besinnt sich. Nein, daß ich nur um Gottes willen vor dir das Wort nicht ausspreche ...
FANNY.
Dann muß ich es aussprechen.
GELLINGHAUSEN.
Gut. Sprich du! – Sonst könntest du ja denken, ich hätte auch nur einen Augenblick daran geglaubt!
FANNY.
Ah – jetzt verstehe ich dich erst. Du glaubst also nicht daran?
GELLINGHAUSEN
verwirrt.
Aber – Fanny ...
FANNY.
Heute hätte ich es dir doch auf jeden Fall sagen müssen.
GELLINGHAUSEN
sich an der Tischkante haltend.
N-nun ...?
FANNY.
Daß ich – vor vier Jahren – mit einem Herrn – eine Liebesgeschichte hatte.
GELLINGHAUSEN
schreit auf.
Fanny? Sinkt in einen Sessel.
FANNY
halb für sich.
Also – doch!
Pause.
GELLINGHAUSEN.
Aber nein! – – Das ist das Unglück, daß einem dafür die richtigen Ausdrücke fehlen! – – Selbstverständlich, Fanny, hast du Liebesgeschichten gehabt – und wohl mit verschiedenen Herren – wie sie jedes Mädchen einmal hat – wie sie schon in der Schule anfangen. – Aber – aber – aber darum handelt es sich hier nicht ...!
FANNY.
Darum handelt es sich hier auch nicht.
GELLINGHAUSEN
beide Hände vor dem Gesicht.
O Gott! O Gott!
FANNY
sehr ernst.
Ich hätte mehr Grund »O Gott, o Gott!« zu sagen.
[601]GELLINGHAUSEN.
Aber – ich beschwöre dich – Fanny – das ist eine Laune von dir – deine modernen Anschauungen – du willst mich auf irgendeine Probe stellen!
FANNY.
Nein.
GELLINGHAUSEN.
Fanny – ich kann es nicht anders verstehen – als daß du mich um jeden Preis los sein willst! Wie läßt du mir sonst durch diesen Menschen den Brief schreiben?!
FANNY.
Ich habe ihn nicht dazu aufgefordert. Ich habe ihn nur dazu ermächtigt, als er sagte, er habe ein Recht dazu, dir den Brief zu schreiben.
GELLINGHAUSEN.
Dann ist es also wahr??
FANNY.
Ja.
GELLINGHAUSEN.
Nein, nein! Nein, Fanny! Ich kann das nicht glauben! Ich will das nicht glauben! Um Gottes willen, sag mir doch nur, daß es die gemeine Lüge eines niedriggesinnten Schurken ist! – Ein Kerl, der mir schreibt Öffnet den Brief und liest. »Herrn usw. – Sehr geehrter Herr! – Fräulein Fanny Kettler gibt mir die Erlaubnis, Ihnen die Mitteilung zu machen, daß sie vor drei Jahren mit einem Herrn, dessen Name hier unerwähnt bleiben kann, ein Liebesverhältnis hatte. Das anscheinend Ungeheuerliche, das in dieser Mitteilung liegt, wird Ihnen in kürzester Frist verständlich werden ...« – Wie kann ich – wie soll ich einem Wort aus einem solchen Schreiben auch nur die geringste Bedeutung beimessen!
FANNY.
Padinsky hatte mich im letzten Winter gefragt, ob ich seine Frau werden wolle. Um ihm meine Ablehnung erträglicher zu machen, erzählte ich ihm diese Geschichte. Übrigens war es kein richtiges Liebesverhältnis; dazu dauerte es wohl nicht lange genug. Padinsky ließ mich gar nicht zu Ende reden und sagte: »Das sind Dinge, die mich nichts angehen. Sie sind doch seit mehreren Jahren Ihre eigene Herrin ...«
GELLINGHAUSEN.
Wer einen solchen Brief schreiben kann, der kann das ja vielleicht sagen!
FANNY.
Letzten Dienstag hatte er mit Herrn Launhart hier geschäftlich zu unterhandeln, und da fragte er mich, ob ich dir die Geschichte auch erzählt habe. Ich gab ihm keine [602] Antwort. Darauf behauptete er, daß du nicht der Mann wärst, um dich darüber hinwegzusetzen. – Padinsky hat die Überzeugung, ich hätte ihn seiner Häßlichkeit wegen nicht zum Manne gewollt und hätte dir nur deiner äußeren Erscheinung wegen den Vorzug gegeben. So nimmt er nun auf einem anderen Gebiet den Kampf mit dir auf. Ich kann ihn nicht daran hindern.
GELLINGHAUSEN.
O Fanny, Fanny, wie konntest du mich so betrügen!
FANNY.
Jetzt kann ich es ihm auch wirklich kaum mehr verdenken.
GELLINGHAUSEN.
Warum hast du mir denn das nicht gesagt, als ich um deine Hand anhielt?!
FANNY.
Hast du mir denn etwas über dich gesagt?
GELLINGHAUSEN.
Komm mir nicht mit dieser abgebrauchten Redensart! – Warum hast du mir nichts gesagt, als ich um deine Hand anhielt? – so gut wie du es Padinsky gesagt hast?!
FANNY
mit Nachdruck.
Weil ich glaubte, daß du mich um meiner selbst willen – als das, was ich bin – zur Frau haben wolltest!
GELLINGHAUSEN.
Hätte ich gewußt, was du bist!
FANNY
auffahrend.
Ich verbitte mir hier jede Beschimpfung von Ihnen! – Ich bin das, was ich meiner Arbeit verdanke!
GELLINGHAUSEN.
– Dann ist es also aus!
FANNY.
Eine solche Erniedrigung!
GELLINGHAUSEN.
Aus!
FANNY.
Deswegen also bin ich jetzt nichts mehr?! – Das also war die – Hauptsache an mir?! – Läßt sich eine – schmachvollere Beschimpfung für ein menschliches Wesen er sinnen? – als deswegen, um eines solchen – Vorzugs willen – geliebt zu werden? – – Als wäre man ein Stück Vieh!
GELLINGHAUSEN
geht mit gesenktem Kopf auf sie zu und reicht ihr die Hand.
Leb wohl – Fanny ...
FANNY
ihre Hände unter Kopfschütteln nach rückwärts haltend.
Danke, nein! – Sie rühr ich nicht mehr an!
Gellinghausen durch die Gartenpforte ab.
[603]FANNY
vor sich hin starrend.
– Als wäre man ein Tier! –
Berta kommt über die Veranda in den Garten.
BERTA.
Was ist denn hier geschehen? – Habt ihr euch gezankt?
FANNY.
Herr Gellinghausen hat unsere Verlobung aufgelöst.
BERTA.
Aber doch nicht im Ernst?!
FANNY.
Doch. – Er hat von dem Abenteuer erfahren, das ich vor drei Jahren in Berlin hatte.
BERTA.
Mit dem Arzt; wie hieß er doch?
FANNY.
Kramer.
BERTA.
Du tust mir aufrichtig leid, Fanny. – Gerade dir hätte ich zuallererst ein normales sicheres Lebensglück gegönnt. Du kannst mir glauben, daß ich weit davon entfernt bin, mich über diese unerwartete Wendung zu freuen. Aber deswegen wehren wir uns ja! Ich verdenke es den Männern gar nicht, daß sie nicht leichten Herzens auf ihre Forderungen verzichten! Es handelt sich bei ihnen um die Macht, uns zu den gefügigsten, brauchbarsten Werkzeugen zur Erreichung ihrer Lebensziele auszubilden.
FANNY.
Als wäre man ein Tier!
BERTA.
Oh, weniger als das! Das Leben der Tiere wird von den Menschen überwacht, um die Entwicklung ihrer Kräfte möglichst zu fördern; und unser Leben wird von der Gesellschaft überwacht, um unsere geistige und körperliche Entwicklung möglichst zu hindern. Darin stehen wir unter dem Haustier.
Launhart kommt über die Veranda in den Garten.
LAUNHART.
Meine Schuld ist es nicht, wenn sich die Herrschaften nicht hereinbemühen wollen. Ich habe meinen Tee getrunken.
Gellinghausen kommt zur Gartenpforte herein und nimmt Launhart beiseite.
GELLINGHAUSEN.
Verzeihen Sie nur einen Moment, Herr Launhart.
LAUNHART.
Bitte, natürlich. Was ist denn mit Ihnen?
GELLINGHAUSEN.
Sie können schwerlich ermessen, was in diesem Augenblick hier zwischen uns vorgefallen ist. Die Verhältnisse zwingen mich aber, Sie darum zu bitten, daß [604] wir unsere Kontrakte wieder austauschen und die zwischen uns getroffene Vereinbarung rückgängig machen.
LAUNHART.
Sie sind wohl verrückt?!
GELLINGHAUSEN.
Sie können so ohne weiteres unmöglich verstehen ...
LAUNHART.
Ich verstehe Sie ohne jede Aufklärung! Sie haben sich hier eben mit Ihrer Braut gezankt, wie das unter Liebenden allgemein Sitte ist. In einer Stunde sinken Sie einander wieder selig in die Arme; und deswegen soll ich als Direktor von Launharts sozialwissenschaftlichem Institut dreimalhunderttausend Mark aufs Spiel setzen? Ich denke nicht daran!
FANNY.
Die Verhältnisse liegen doch vielleicht so, Herr Launhart, daß ein weiteres Zusammenwirken von Herrn Gellinghausen und mir in diesem Geschäft unmöglich ist. Erlauben Sie daher, daß ich um meine Entlassung bitte.
LAUNHART.
Gestatten Sie mal, Fräulein Fanny! Wenn ich der Mann dazu wäre, mich durch Ihre Herzensangelegenheiten beeinflussen zu lassen, dann hätte ich nicht das moralische Recht, von Herrn Gellinghausen dreimalhunderttausend Mark entgegenzunehmen! – Aber damit kommen wir nicht weiter. Schieben Sie Ihre Liebesgeschichten auf, bis Sie unter sich sind! Wir sind heute hier, um die geistigen Ziele unseres Unternehmens festzusetzen. Nehmen Sie Platz; wir haben keine Zeit zu verlieren. Launhart, Berta und Fanny setzen sich. Wir müssen uns zuerst endgültig über die Richtung einigen, in der wir wirken wollen, und dann sofort darüber nachdenken, welche Mitarbeiter wir dazu brauchen.
GELLINGHAUSEN
sich verbeugend.
Ich bedaure, an der Unterredung nicht teilnehmen zu können.
LAUNHART.
Gestatten Sie mir nur, Sie auf Paragraph fünf aufmerksam zu machen: Wer vor Ablauf der zehn Jahre aus dem Geschäft austritt, hat keinen Anspruch auf Rückvergütung seiner der Firma zugute gekommenen Leistungen.
GELLINGHAUSEN.
Ich habe also die Wahl, mein Vermögen zu verlieren oder mit anzuhören, wie über die heiligsten Empfindungen hinweggespottet wird! Er nimmt Platz.
LAUNHART.
Wenn Sie so empfindlich sind, dann hätten Sie sich [605] eigentlich doch wohl an einem modernen Institut für Sozialwissenschaft gar nicht beteiligen dürfen.
GELLINGHAUSEN.
Ich wollte sehen, wie Sie sich in meinem Fall Ihrer Frau Gemahlin gegenüber benehmen würden!
LAUNHART
sehr trocken.
Darf ich Sie bitten, meine Frau hier aus dem Spiel zu lassen. – Also, Fräulein Fanny, was haben Sie als das Hauptgebiet unserer sozialen Bestrebungen ins Auge gefaßt?
FANNY.
Die Frauenbewegung!
LAUNHART.
So! Also doch! – Sehen Sie, Herr Gellinghausen, da haben wir also schon etwas dadurch gewonnen. – Aber, Fräulein Fanny, Jugenderziehung, Arbeiterpolitik, Frauenbewegung, das ist als Beigabe alles schon und gut. Aber damit lockt man den Hund nicht vom Ofen! – Wir brauchen etwas – denken Sie doch mal nach! – etwas, wie soll ich mich ausdrücken – etwas ...
Der Laufbursche Fritz in hübscher Livree kommt über die Veranda in den Garten und überbringt Launhart eine Karte.
FRITZ.
Der Herr läßt fragen, ob Herr Launhart vielleicht zu sprechen ist.
LAUNHART
nimmt die Karte und liest.
»Karl Hetmann ...« Sich unterbrechend. Was steht da? – Ich träume doch nicht? – Ach, das ist ein Witzbold ...
BERTA.
Nun?
LAUNHART
liest.
»Sekretär des Internationalen Vereins zur Züchtung von – Rassemenschen ...?«
GELLINGHAUSEN.
Von Rassemenschen?
LAUNHART
liest.
»Zur Züchtung von Rassemenschen!« – Gibt es denn solch einen Verein?
BERTA.
Du bist wohl nicht bei Trost!
LAUNHART.
Ich lasse bitten.
Fritz über die Veranda ab.
BERTA.
Du wirst doch diesen Hansnarren nicht ernst nehmen wollen?!
LAUNHART
sich rasch erhebend.
Hansnarren nehme ich verteufelt ernst! Mit Hansnarren macht man bessere Geschäfte als mit Philosophen!
[606] Er geht, die Karte in der Hand, ins Haus und kommt gleich darauf mit Karl Hetmann zurück. – Hetmann ist eine schief gewachsene, unansehnliche Erscheinung, glattrasiert, zahnlos, mit dünnem Haar und großen, von Leidenschaft sprühenden Augen. Er ist schlicht, aber sorgfältig und sauber gekleidet.
LAUNHART
Hetmann die Hand reichend.
Herr Hetmann, nicht wahr? – Wollen Sie bitte Platz nehmen.
HETMANN
setzt sich, ohne es zu wollen so, daß er Fanny in ganzer Figur vor Augen hat.
Ich komme zu Ihnen, Herr Launhart, weil ich gehört habe ...
LAUNHART.
Ja, ja, schon gut. – Sagen Sie mal, existiert denn dieser Verein überhaupt?
HETMANN.
Seit bald einem Jahr.
LAUNHART.
In Ihrem Kopfe, ja! – Ich meine aber in Wirklichkeit?
HETMANN.
In Amerika und Deutschland.
LAUNHART.
In Ihrem Kopfe?
HETMANN.
In Wirklichkeit.
LAUNHART.
Wie können Sie uns das beweisen?
HETMANN.
Ihnen, sowie ich Sie beurteile, beweise ich das wohl am besten durch Er überreicht ihm einen Prospekt. eine Bankabrechnung über die augenblickliche Höhe unseres Vereinsvermögens.
LAUNHART
nachdem er den Prospekt durchgesehen.
Alle Achtung! – Darf ich Ihnen eine Zigarre anbieten?
HETMANN.
Danke, ich rauche nicht. – Ich komme zu Ihnen, weil ich hörte ...
LAUNHART.
Ja, ja, schon gut. – Nun sagen Sie mal, was bezweckt denn der Verein eigentlich?
HETMANN.
Schönheit! – Unsere bisherige Moral war auf das menschliche Wohl gerichtet; sie war dazu bestimmt, das Unglück zu bekämpfen und hatte in erster Linie die Unglücklichen ins Auge gefaßt. An dieser Moral wird – auch soweit sie sich an die Opferfreudigkeit der Reichen wendet – kein Wort geändert. Für die Reichen aber habe ich, über die alte Moral hinaus, eine neue geschaffen, deren höchstes Gebot die Schönheit ist.
[607]LAUNHART.
Das ist ausgezeichnet! Kamen Sie ganz von selbst auf den rühmlichen Gedanken?
HETMANN.
Der Gedanke liegt sehr nahe. Der Durst nach Schönheit ist ein nicht minder göttliches Gesetz in uns als der Trieb zur Bekämpfung der Erdenqual!
BERTA.
Schade nur, daß in der ganzen Welt die Erdenqual noch so übergewaltig ist, daß das Vergnügen an der Schönheit ihr gegenüber kaum als Sonnenstäubchen in die Waagschale fällt!
HETMANN.
Um Vergnügen, gnädige Frau, ist es uns nicht zu tun! Unsere Moral fordert Opfer, wie sie noch keine forderte. Die allgemeine Moral steht im Dienste des höchsten menschlichen Glückes, der Familie. Dieses höchste menschliche Glück fordern wir von den Mitgliedern unseres Bundes als erstes Opfer!
BERTA.
Sie wollen also durchaus noch etwas mehr Unglück in die Welt hineinbringen?
LAUNHART.
Ja, ja, schon gut, liebe Berta; laß jetzt den Herrn sprechen! Zu Hetmann. Verzeihen Sie bitte, ich habe Ihre Moral noch nicht vollkommen verstanden.
HETMANN.
Wenn die Menschen dazu emporsteigen, die Schönheit höher zu achten als Hab und Gut, als Leib und Leben, dann sind die Menschen der Gottheit um eine Stufe näher, als wenn der Sieg über die Erdenqual ihr höchster Preis ist!
LAUNHART.
Das ist selbstverständlich! – Was ich noch fragen wollte – zeichnen sich die Angehörigen Ihres Bundes alle in so hervorragendem Maße durch Schönheit aus wie Sie?
HETMANN.
Ich bin natürlich nicht Mitglied des Bundes; ich bin vom Bund nur als Sekretär in Dienst genommen. Die Mitglieder sind ausschließlich Menschen von auffallender, allgemein bewunderter Schönheit. Sie werden vom Großmeister erwählt. Die Mitglieder machen dem Oberhaupt Vorschläge über die Wahl anderer, über deren wirkliche Aufnahme aber natürlich nur der Großmeister entscheidet.
BERTA.
Ei, jetzt geht mir ein Licht auf! Andere Menschen sollen also mit Glück und Leben bezahlen, was Sie in Ihrem Hirnkasten ausgeheckt haben!
LAUNHART
zu Berta.
Ich bitte mir jetzt Ruhe aus!
[608]HETMANN.
Ob dieser Vorwurf Grund hat, weiß ich nicht. Zu Launhart. Ich wollte Sie im Auftrage des Bundes fragen, ob Sie in Deutschland unsere Flugblätter und Zeitschriften herausgeben und die Vorbereitungen für unsere Vorträge treffen wollen.
LAUNHART.
Ja, ja, davon später, wenn es Ihnen recht ist. – Sagen Sie mal, wo lebt denn Ihr Großmeister? Was treibt er? Wie heißt er? Wie kann man ihn kennenlernen?
HETMANN.
Der Großmeister ist ein Mann, der in seiner Erscheinung alle Vorzüge in sich vereinigt, durch die ein Mensch sich auszeichnen kann.
LAUNHART.
Also mit einem Wort, ein Rassemensch! – Aber ich möchte gern wissen, wie und wo man ihn kennenlernen kann.
HETMANN.
Das ist nicht leicht. Die wenigsten Mitglieder des Bundes kennen ihn persönlich, obschon sie seinen Anordnungen unbedingt Folge leisten.
LAUNHART.
Ja gewiß. Aber können Sie mir nicht vielleicht sagen, wo er wohnt?
HETMANN.
Das kommt hier nicht in Frage. Sich erhebend. Wenn Ihnen unser Vorschlag nicht zusagt ...
LAUNHART
nötigt ihn auf den Sitz zurück.
Nein, nein, beruhigen Sie sich doch! Die Geschichte interessiert mich im höchsten Maße! Aber wollen Sie mir nicht vielleicht Ihr Programm auseinandersetzen? Ich darf doch wohl wissen, um was es sich handelt. Paragraph eins, Paragraph zwei, Paragraph drei und so weiter.
HETMANN.
Unsere erste Bestimmung lautet: Unter den Angehörigen des Bundes sind die bürgerlichen Gesetze über Ehe und Familie aufgehoben.
LAUNHART.
Da haben Sie sofort die Polizei auf dem Hals.
HETMANN.
Bis jetzt hat sich noch nicht gezeigt, daß sich die Behörden gern darum kümmern, was sich in den höchsten Gesellschaftskreisen unter Herren und Damen abspielt, die sämtlich in der Lage sind, jeden Augenblick ihren Wohnsitz zu wechseln.
LAUNHART.
Ja, das tun die Behörden nicht gern. Übrigens ließe sich die Einmengung der Behörden ja vielleicht auch ganz gut geschäftlich verwerten. Aber nun weiter, wenn ich bitten darf!
[609]HETMANN.
Die Mitglieder des Bundes verzichten durch ein feierliches Gelübde auf das Recht, einander die Bezeugungen ihrer Gunst zu verweigern.
LAUNHART.
Das verstehe ich nicht. Noch mal, bitte!
HETMANN.
Jedes Vereinsmitglied hat ein unverbrüchliches Recht auf die Gunstbezeugung des andern.
GELLINGHAUSEN.
Das ist einfach unerhört! – Und Sie wollen behaupten, daß diese Vereinigung seit einem vollen Jahre besteht?
HETMANN.
Seit November vorigen Jahres. Zu Launhart. In der Liebe sind unter den Mitgliedern des Bundes alle Frauen allen Männern und alle Männer allen Frauen untertan.
LAUNHART.
Das wäre dann also so ungefähr dasselbe, was man bis jetzt mit dem Ausdruck »Freie Liebe« bezeichnete?
HETMANN.
Im Gegenteil! In der Liebe haben unsere Mitglieder keine Freiheit. Die Liebe ist ein Recht aller an alle, und wer sich dagegen auflehnt, gehört dem Bunde nicht an.
LAUNHART.
Dann reißen Sie also die Familie entzwei, hetzen Staat und Bürger gegeneinander und geben Ihre Leute der zweifelhaftesten Zukunft preis!
HETMANN.
Diese Opfer nehmen wir nur von Menschen entgegen, die sie bringen können. – Dem Armen zu helfen, der sich vom nackten Leben emporarbeitet, wie es bisher höchstes Gesetz war, bleibt auch für uns erste Menschenpflicht. Um die allgemeine Moral, die dem Armen zugute kommt, aber auch noch für uns zu selbstsüchtigen Zwecken auszubeuten und dem Unglücklichen sein Recht auf Mitleid streitig zu machen, dazu stehen wir gesellschaftlich zu hoch. Soweit wir mit unserem eigenen Glück dafür einstehen, gehen wir zur Moral der Schönheit über. Kein Feigling ist berufen, uns zu folgen!
BERTA.
Mir wird mit dem besten Willen nicht klar, was die Vorschriften, von denen Sie da faseln, mit Schönheit zu tun haben!
HETMANN.
Unter den Mitgliedern unseres Bundes steht der freien Fortentwicklung der Schönheit kein Hindernis mehr entgegen.
GELLINGHAUSEN.
In dem, was Sie uns hier auseinandersetzen, erblicke ich nichts als Liederlichkeit und geistige Verlotterung! [610] Bevor Sie mit Ihren Ansichten noch mehr Menschen ins Unglück stürzen, sollte man Sie darauf untersuchen, ob Sie nicht vielleicht irrsinnig sind.
FANNY
hat sich erhoben.
Was hat man zu tun, um dem Bunde anzugehören?
LAUNHART.
Das ist ausgezeichnet, Fräulein Fanny! Ihr Mut verdient die allergrößte Bewunderung!
HETMANN.
Man legt ein Gelübde ab, daß man den Bestimmungen Folge leisten wird.
FANNY
ohne die Hand zu erheben.
Ich schwöre es!
HETMANN.
Wobei schwören Sie?!
FANNY.
Ich will keinen zufriedenen Augenblick mehr in meinem Leben haben – was ich von der Welt erhoffte, soll mir verloren sein – nur Unheil soll mir jeder Schritt bringen, den ich dem Glück entgegengehe – wenn ich mich je mit einer Regung gegen die Bestimmungen, die Sie aussprächen, auflehne!
HETMANN
erhebt sich.
Daraufhin kann ich Ihre Wahl dem Großmeister vorschlagen. Ich zweifle gar nicht, daß Sie zu den Unsern gehören werden.
LAUNHART.
Wollen Sie mich dann bitte auch gleich als Mitglied vormerken. Ich habe die feste Absicht, dem Bunde beizutreten. Ich möchte die Angelegenheit nur gern vorher noch mit meinem Schwiegervater besprechen.
HETMANN.
Sie können sich die Mühe sparen. Ihr Wesen macht Ihre Mitgliedschaft von vornherein unmöglich.
Fritz bringt Launhart auf einem Tablett eine Karte.
LAUNHART
die Karte lesend.
»Pietro Alessandro Morosini« – kenne ich nicht!
HETMANN
bleich vor Zorn.
Unerhört! Zu Fritz. Ich lasse den Herrn bitten, im Gasthof drüben noch fünf Minuten auf mich zu warten!
LAUNHART.
Wer ist denn das, sagen Sie mal!
HETMANN
verlegen.
Das ist – niemand. Ein Bekannter von mir ...
GELLINGHAUSEN.
Der Herr ist doch nicht vielleicht am Ende gar Ihr Großmeister?
BERTA.
Selbstverständlich ist er das!
HETMANN.
Nein, nein ...
[611]LAUNHART.
Aber natürlich, der Großmeister. Zu Fritz. Eintreten lassen! Sofort! Ich lasse aufs dringendste ersuchen!
Fritz über die Veranda ab.
LAUNHART
zu Hetmann.
Ich verstehe Sie nicht! Warum wollen Sie uns denn diesen Hochgenuß mit aller Gewalt vorenthalten?!
HETMANN
ganz kleinlaut.
Er dürfte, finde ich, den Abstand zwischen sich und der Welt etwas peinlicher wahren. Ohne mir ein Urteil anmaßen zu wollen, glaube ich, er brauchte sich nur zu zeigen, wenn man bei ihm um Gehör bittet.
Pietro Alessandro Morosini tritt über die Veranda in den Garten. Er ist ein schöngewachsener Mann von elastischem Körperbau, rötlichem Spitzbart, milchweißem Teint und blauen Augen. Er geht während des ganzen Stückes in hellem Sportanzug.
MOROSINI
verbeugt sich, indem er die Rechte in den Ausschnitt seines Jacketts legt.
Ich habe die Ehre, meine Damen und Herren!
BERTA
zu Hetmann.
Das also ist in Ihren Augen der Inbegriff menschlicher Vollkommenheit?
FANNY
schaudert zusammen und bedeckt das Gesicht mit beiden Händen.
Allmächtiger Gott!