Motto:
»Wende die Füßchen zum Himmel nur ohne Sorge!
Wir strecken
Arme betend empor; aber nicht schuldlos, wie du.«
Motto:
»Wende die Füßchen zum Himmel nur ohne Sorge!
Wir strecken
Arme betend empor; aber nicht schuldlos, wie du.«
Artur Kutscher
gewidmet
[7] Personen.
Sonderbar! Das Städtchen liegt schon im tiefsten Dunkel, und bei uns hier im Zimmer ist noch jeder Winkel hell.
Das kommt vom Abendhimmel. Das hellgrüne Licht über den Bergen reicht nicht viel höher hinauf, als wir beide hier stehen. Bei uns oben auf dem Schloß müssen die Zimmer am Abend doch noch heller gewesen sein.
Das ist wahr. Erinnerst du dich noch, wie wundervoll es aussah, wenn nachts ein Gewitter losbrach? Dann schienen die Bilder, die am höchsten [9] hingen, plötzlich die farbigsten zu sein. Aber du hörst gar nicht, was ich sage.
Ich denke im Gegenteil an euch. Mir ist es immer noch unbegreiflich, wie euer Zusammensein überhaupt möglich war.
Mir scheint es jetzt manchmal, als hätte ich drei ganz verschiedene Leben hinter mir. Als wäre ich dreimal immer wieder ganz jemand anders gewesen.
Aber daß ihr euch nicht ein einziges Mal gesagt habt, daß ihr eure Lebenskraft zu etwas Schönerem verwenden könnt, als einander jeden dritten Tag wie Mordbrüder an die Gurgel zu fahren.
[10]Daran ist deine Verweichlichung schuld. Wenn man den Tag verschläft und die Nacht zum Tag macht, dann kennt man die Welt nicht. Wären wir so empfindlich gewesen wie du, dann hätten wir uns schon in Brasilien getrennt. Dann hätte ich dich gar nicht geboren und brauchte mich jetzt von dir nicht zur Rechenschaft ziehen zu lassen.
Unser Papa war ein bedeutender Mensch. Du kannst das gar nicht beurteilen. Aber für ein Gespräch über Herzenssachen war er nie zu haben. Er wurde sofort mißtrauisch, als wollte man ihm den Boden unter den Füßen wegziehen. Er hatte seine [11] Grundsätze, an denen niemand auf Gottes Welt etwas bemängeln konnte. Sättest du nur wenigstens seine Grundsätze geerbt. Dann ständest du jetzt anders vor mir. Dein Gemütsleben ist ja leider genau so arm, wie es bei deinem Vater war.
Wenn ihr euch nie über Herzenssachen ausgesprochen habt, dann ist es schließlich auch kein Wunder, daß wir Kinder nicht das geringste davon wissen.
Das weiß ich. Es würde mich auch gar nicht überraschen, wenn ich eines Tages verrückt würde oder irgendein Verbrechen beginge.
Da hat man wieder deine heillose Selbstüberhebung! Das ist alles nichts anderes als Großtuerei. Wenn du dich etwas mehr für das Wohl deiner Mitmenschen opfern wolltest, dann bättest du einfach keine Zeit, dich immer nur mit dir selbst zu beschäftigen. Dann fände sich sicher auch ein ehrlicher, anständiger Mensch, der dich heiraten würde, trotz allem, was geschehen ist. Und du brauchtest dich nicht an einen gewissenlosen Lebemann zu[12] hängen, der sich deine Jugend schmecken läßt, um dich nachher im Schmutze verkommen zu lassen. Aber welcher rechtschaffene Kerl heiratet denn ein Mädchen, das des Nachts Spaziergänge unternimmt und sich tagsüber nicht von seinem Spiegel losreißen kann. Ich mag dir gar nicht aussprechen, wie widerwärtig du mir bist, wenn ich dich stundenlang vor deinem Spiegel Gesichter schneiden sehe.
Vater und du, ihr seid in meinen Augen heute noch die beiden besten, klügsten, edelsten Menschen, die auf dieser Welt je gelebt haben. Wenn es euch beiden nicht möglich war, eine glückliche Ehe zu führen, dann gibt es überhaupt kein eheliches Glück. In die Sölle einzutreten, in der ihr, solange ich denken kann, gestöhnt und geschrien habt, dafür bedanke ich mich. Einfältige, beschränkte, dumme Menschen fühlen sich offenbar in der Ehe glücklich. Ich bin auf meine Serkunft zu stolz, als daß ich zu ihnen hinabsteigen möchte.
Du könntest diese unseligen Geschichten endlich einmal vergessen. Du bewahrst dir diese Erinnerungen nur, um deine Geilheit und Liederlichkeit damit zu entschuldigen. In Wirklichkeit war das alles gar nicht so fürchterlich, wie du es jetzt darstellst.
[13]Wie sollte ich das nicht mehr wissen! Wenn dein Vater Sorgen hatte und ein ernstes Geschäft besprach, dann fandest du das lächerlich. Und wenn man dich bei irgendeinem Geschäft einmal dringend nötig gehabt hätte, dann warst du nirgends zu finden.
Selbstverständlich! Schöne Erinnerungen hab' ich nur an die Bergabhänge rings ums Schloß herum. Das Innere des Schlosses mitsamt dem Sof und seinen schattigen Plätzen war mir immer ein Grauen. Im Innern war der Krieg und draußen der Friede. Wie oft stand ich am Tor, den Klopfer in der Sand, und fragte mich, welche Entsetzlichkeit, eingeschlagene Türen oder zerkratzte Gesichter, mich drinnen überraschen würde. Dann stellte ich mir in Gedanken alle Scheußlichkeiten vor. Ich hatte den verrückten Aberglauben, daß von dem, was man sich vorgestellt hat, nichts eintreffen könnte, weil dann die Überraschung wegfiel. – Aber das Lachen, das mich bei Tisch überkam, war doch nur der Ausdruck meiner hilflosen Traurigkeit über eure unsinnigen Zänkereien. Seitdem lache ich, wenn [14] ich etwas Entsetzliches höre. Das ist herzlos. Das ist unmenschlich. Aber daran bin doch ich nicht schuld.
Das ist alles noch kein Grund, dich bei deinem ersten Ausflug in die Welt vom ersten besten Menschen, der dir in den Weg kommt, verführen zu lassen.
Wenn er das geringste von meinem Entschluß geahnt hätte, dann hätte er mir mit dem tiefsten Abscheu den Rücken gekehrt.
Hast du mich denn zur Welt gebracht, Mutter, damit ich mich als alte Jungfer zur Schöpfung hinausschleiche? Ich wollte mich nicht mit einem ungebildeten Menschen einlassen. Was soll man tun, wenn einem die Ehe von den eigenen Eltern als die scheußlichste Menschenquälerei vorgeführt wurde!
Aber um Gottes willen, mein Kind, bedenkst du denn in deiner Sirnlosigkeit nicht, daß du dir auf einmal die erdrückendsten Entbehrungen und Opfer aufgeladen haben kannst? – Denn das schwöre ich dir, an mich denk' nur ja nicht, wenn du ein Dach für deinen Bastard suchst! Höhnisch. Oder hast du dir auch das Wasser schon ausgewählt, in dem du dich ertränken willst?
So, so. – In einer ... Mädchen, willst du, daß ich am Schlag sterbe?! – Allmächtiger, die Albernheit! – Dann freilich hast du von dem Menschen nichts Anständiges zu erwarten, wenn du dich von ihm hast bezahlen lassen.
Wieso hat er keine Ahnung davon? Wie soll ich mir das deuten? – Gestohlen wirst du das Geld doch nicht haben?
Der alte Baron Hohenkemnath hat mich eingekauft. Wenn mir ein Mißgeschick begegnen sollte, was doch schließlich gar nicht einzutreffen braucht, dann erhalte ich bis zum fünfzehnten Jahre des Kindes jährlich fünfhundert Mark ausgezahlt.
Wirklich fünfhundert Mark? – Ein rühmlicher Tausch! – Und auf diese wahnsinnige Entwürdigung bildest du dir natürlich noch weiß Gott was ein! – Statt einer geachteten Lebensstellung, einer sorgenfreien Zukunft, eines ruhigen Familienglückes und was du sonst noch alles für deine erste Liebesnacht hättest haben können, eine – Geburtsversicherung! – Wenn dir deine Verschrobenheit so weiter hilft, dann – Glück auf den Weg!
Eben weil ich es nicht gehabt habe! Soll denn all das Elend umsonst von mir erlitten worden sein? Tausendmal sagte ich mir: Vor dem, was du erträgst, sind deine Kinder einmal bewahrt. [17] Die beugen sich keiner Unvernunft mehr, weil sie die Unvernunft schon in ihrer Kindheit durchschaut haben ...
Gott sei Dank, was deine Brüder betrifft. Im Traum kann ich mir nicht vorstellen, wie die je mit ihren Frauen in Streit geraten sollten.
Und meinetwegen brauchst du dir doch auch keine Sorgen zu machen. Ich werde sicherlich nie mit einem Mann streiten.
Wenn er es dazu hat, ich kann ihn nicht hindern. – Da sieht man wieder einmal, wie das Geld doch schließlich alles beherrscht.
Eines wollte ich dir allerdings ohnehin sagen. Da er jeden Moment läuten kann, sag' ich es möglich kurz.
Wenn du dir noch das Geringste von dem Mann erwartest – ich glaube seine Art zu kennen – dann mußt du dich vollkommen anders benehmen.
Ich kann mir nun einmal nicht helfen, aber ich finde, daß du ihn so unrichtig wie nur irgend möglich behandelst.
Ich halte ihn weder für oberflächlich, noch für langweilig, aber er hat alleridngs nicht die geringste Spur von Empfinden für dich. Deinetwegen läßt er sich kein Vergnügen entgehen, das ist sicher. Und daran ist einzig und allein deine Hochnäsigkeit schuld ... Man hört eine alte Torglocke läuten. In Gottes Namen! Ich werde mich dann so bald als möglich zurückziehen.
HOFMILLER. Guten Abend, Frau Eberhardt. Ich habe den ganzen Nachmittag auf dem Schlosse verbracht. Es war herrlich.
HOFMILLER. Er ließ mich den Rittersaal sehen. Ein liebenswürdiger Herr. Ihr Herr Gemahl kam ja wohl auch aus Amerika hierher?
HOFMILLER. Einzwängen? Gerade das Gegenteil mute ich dir zu. Du bist so überreich an Anlagen. Du sollst dich entwickeln, du sollst glücklich werden.
[21]HOFMILLER. Unmöglich, Franziska! Ich habe meinen Beruf, der meine ganze geistige Arbeit in Anspruch nimmt. Mir bleibt für meinen Beruf nichts übrig, wenn ich Tag und Nacht nur an dich denken muß. Ich brauche gesicherte Zustände. Du bindest dich dadurch nicht im geringsten mehr, als ich mich dir gegenüber binde. Ich bin der Mensch, der seinen Vorsätzen treu bleibt.
Es gibt doch aber wirklich genug achtzehnjährige hübsche Mädchen, die nichts Besseres mit sich anzufangen wissen, als sich zu verheiraten. Ich werde mich ja sicherlich auch einmal verheiraten. – Aber jetzt möchte ich doch erst meines eigenen Daseins ein wenig froh werden. Begreifst du das denn nicht?
HOFMILLER. Nein, Franziska. Gerade an dir ist mir das unverständlich. Ich glaube auch nicht, daß du dich bei diesen Äußerungen selber richtig beurteilst.
Was weiß ich auch über mich! Vielleicht hast du recht. Aber ich möchte doch gerne erfahren, wer ich denn eigentlich bin. Wenn wir uns heute heiraten, [22] dann erfahre ich in den nächsten zehn Jahren nur, wer du bist.
HOFMILLER. Wenn du wirklich nicht mehr für mich empfindest, dann war es einfach unsittlich von dir, dich mir hinzugeben.
HOFMILLER verblüfft. Franziska! – Ruhiger. Halte mich deshalb meinetwegen für anmaßend, für selbstgefällig, aber ich bildete mir ein, dir nicht gleichgültig zu sein. Vom ersten Tage unserer Bekanntschaft an hatte ich das Gefühl, ein ernstes, wichtiges Erlebnis für dich zu bedeuten. Mißverstehe mich nicht. Ich habe mir nicht einen Augenblick eingebildet, dir überlegen zu sein. Immer aber hatte ich den bestimmten Eindruck, daß du an meine Überlegenheit glaubst.
HOFMILLER. Allerdings ein Vorzug, auf den ich unmöglich stolz sein kann. – Nein, Franziska, wenn ich nicht die unerschütterliche Überzeugung gehabt hätte, daß du mich vor allen anderen Menschen hochschätzest, dann hätte ich es nie so weit zwischen uns kommen lassen.
Warum denn nicht? – Hast du die Mädchen so außerordentlich hochgeschätzt, bei denen du zu Gast warst?
HOFMILLER empört. Franziska! – Wenn ich hätte ahnen können, daß du mich in dieser Weise beschimpfen werdest.
HOFMILLER sich beherrschend. Dabei habe ich nie ein Mädchen gekannt, daß sich, wenn es ihm nötig erscheint, so ahnungslos unschuldig stellen kann wie du.
[24]HOFMILLER. Pferde sind widernatürlich, wenn sie Gedichte schreiben. Menschen sind widernatürlich, wenn sie sich erst beißen müssen, um sich liebhaben zu können.
Als Kind litt ich Jahre hindurch an Angstzuständen. Ich fürchtete immer wieder, meine Mutter könnte sich das Leben nehmen. Im strahlenden Sonnenschein verfiel ich plötzlich in Weinkrämpfe. Auf der großen Treppe, die durch die Matte zum Schlosse hinaufführt, habe ich einmal so geschrien, daß mich die Mäher mit Wasser begossen.
HOFMILLER. Das ist ein unbezahlbarer Witz! Ich kann mir gar kein Weib denken, das im Verkehr mit dem Manne natürlicher und gewaltiger empfindet als du.
HOFMILLER. Jetzt kennst du dich aber. Siehst du denn nun nicht ein, Franziska, daß du dadurch in meine Gewalt geraten bist?
HOFMILLER. Der Mann, der dich nach mir bekommt, kann dich unmöglich so hochschätzen, wie ich dich schätze. Ich heirate auch keine Frau, die schon ein anderer gehabt hat.
Ich stelle aber jetzt, wo ich mich kennen gelernt habe, ganz andere Ansprüche an einen Mann als vorher.
HOFMILLER. Und ich Esel machte mir meiner leichfertigen Handlungsweise wegen die furchtbarsten Gewissensbisse!
HOFMILLER. Du hast ruchlos mit mir gespielt. Hätte ich mir doch nur diese unsinnige Reise erspart! Mit dem ersten Zuge fahre ich morgen nach München zurück. Ab.
[27]Gewissensbisse?! – Er fühlt sie wegen seiner Handlungen, ich meiner Natur wegen. Sie setzt sich in einen Lehnstuhl und nimmt den Kopf zwischen beide Hände. Diese Überrumplung! Wie konnte ich mir einen Augenblick einbilden, darüber hinaus zu sein! Die Gedanken wallen empor, die Fluten steigen, branden. Mir selber erscheinen die Hirngespinste lächerlich. Aber was hilft das! Ich finde nirgends einen Anhaltspunkt. Gestern abend! Meine Erregung nahm so überhand, daß ich mir Nadeln in die Arme bohrte. Wenn du das wüßtest, Hermann! Deine Umarmung, dachte ich, verscheucht die Gespenster. Unsinn! Sie gab ihnen Greifbarkeit. Jetzt sind's erst Menschen. – – Ich werde aufschreiben, was sie tun. Aber erst, wenn mein Blut ruhiger fließt. – Wie wohl ich mich unter dem Gelichter fühle! Ich lebe in einer anderen Welt. Die Einrichtungen sind andere. Die Freuden sind andere. Das Unheil ist ein anderes. – Ich verschließe es nicht mehr in mir. Ich brauche mir den Hexentanz nur diktieren zu lassen. Vielleicht bringt das Erleichterung. Sie nimmt am Schreibtisch Platz und setzt die Feder an. Aufhorchend. Da klopft jemand an den Fensterladen. [28] Sich erhebend. Gott sei Dank, endlich Wirklichkeit! Sie öffnet im Hintergrund des Zimmers ein Fenster und spricht gedämpft an den geschlossenen Laden hin. Wer klopft da draußen?
Gleich, gleich! Sie stößt den Laden nach außen auf und beugt sich hinaus. Nun? – Ist denn niemand hier? – Wo bist du denn?
Für ein künstlerisches Unternehmen? Dann sind Sie zu bedauern. Ich besitze nicht die allergeringste künstlerische Veranlagung.
Sie haben unendlich mehr. Sie sind so ebenmäßig gewachsen, wie sich das unter tausend Sängerinnen nicht zweimal findet.
Ich sah Sie flüchtig in München in einer Versicherungskanzlei. Ich studierte aus Ihren Bewegungen die Linien Ihres Körpers.
Gott bewahre! Ich war wegen meiner Haftpflichtversicherung dort. Bei meinem Beruf weiß man nie, wofür man schließlich von seinen eigenen Geschöpfen verantwortlich gemacht wird.
[30]Ich mache aus einem ganz beliebigen Menschenkind, in diesem Falle aus Ihnen, einen Stern allererster Größe und lenke ihn dann durch die fünf Weltteile, wo er mit seinem Glanz alle übrigen Sterne überstrahlt. Nennen Sie Ihre Forderungen!
Was Sie wollen. Ich muß es nur vorher wissen, damit wir durch keine Mißverständnisse entzweit werden.
Wenn es mir dabei möglich wäre, nichts zu verlieren, sondern nur zu gewinnen ... Genußfähigkeit, Bewegungsfreiheit ...
Um Ihre Atmung zu prüfen. Gerade für Ihre Ziele finden Sie keinen glatteren Weg als eine künstlerische Laufbahn. Die Kunst, wissen Sie, überspringt jeden Abgrund. Dazu ist sie Kunst. Sonst [32] wäre sie Blödsinn. Was die Beine betrifft, so können Sie es ohnehin mit dem schlanksten Jüngling aufnehmen. Deshalb bin ich Ihnen nämlich nachgereist.
Im vorigen Jahrhundert schätzte man am Weib einen schönen Hals, schöne Schultern, schöne Arme. Ich habe die untrüglichsten Anzeichen, daß der Geschmack ins Gegenteil umschlägt. Unsereiner muß den Wechsel der Mode immer vorauswittern.
Dann sind auch die Ohren beweglich. Drittens im Kopf ein gleichschenkliges Dreieck, bestehend aus Mundöffnung, Nasenwurzel und weichem Gaumen.
Danken Sie ihrem Schöpfer. Viertens aber dürfen Sie beileibe nicht glauben, Sie hätten die Nase mitten im Gesicht. Sie müssen felsenfest davon überzeugt sein, daß sich Ihr Mund oberhalb der Nase befindet. Singen Sie!
Ausgeschlossen! Solange ich Ihre Stimme ausbilde, liegt meine Hand hier. Sie spüren das gar nicht mehr, wenn Sie meine Geliebte sind.
[34]Sobald Sie singen können. Der Gesangsunterricht notzüchtigt Lehrer und Schülerin. Wir sind Märtyrer. Sie fühlen sich mißhandelt und lechzen nach Ihrem Peiniger. Mich peitscht die Nervenanspannung auf, die ich in Ihnen hervorrufen muß. Jede Übungsstunde endet mit einem Liebesfest.
Ließe sich das nicht umgehen? – Wenn Sie mich unmusikalisches Ding zur Sängerin ausbilden wollen, dann können Sie mich sicherlich ebenso rasch gleich zum Sänger ausbilden.
Überlegen Sie sich's, mein Kind. Ich lasse Sie zwei Jahre hindurch das Leben eines Mannes führen, mit aller Genußfähigkeit, aller Bewegungsfreiheit des Mannes ...
[35]Dafür sind Sie nach Ablauf der zwei Jahre bis an Ihr seliges Ende mein Weib, meine Leibeigene, meine Sklavin.
Nicht alle. Der Herzog von Rotenburg traf ein ähnliches Abkommen mit mir. Ich habe ihm unseren Vertrag nicht aufgenötigt.
Wozu die Frage? Wir sind beschränkte Menschen. Vorderhand begnüge ich mich vollkommen mit Ihrem Tribut.
Ihren Tribut, mein Kind, entrichten mir sämtliche Künstler, denen ich zu Weltruhm, zu Unsterblichkeit verhelfe. Auch ein Sternenlenker hat schließlich Einkünfte nötig. Davon merken Sie nichts. Meine Prozente erhalte ich von den Direktoren, die das Heiligste meiner Kreaturen dem Raubtier Publikum zum Fraße vorwerfen.
Familienelend! Nichts weiter! Wir platzen vor Lachen. Sagen Sie mir jetzt, was es außer Ihnen in diesem entsetzlichen Nest sonst noch an Sehenswürdigkeiten gibt.
Machen wir vielleicht zusammen einen Mondscheinspaziergang um die verfallene Ringmauer des Städtchens?
[37]Um vier Uhr erwarte ich einen Versicherungsagenten. Ich bin etwas heiser und wenn ich das Gastspiel in London nicht absolviere, verfalle ich in eine Konventionalstrafe von zwanzigtausend Mark. Ich schrieb deshalb an einen Versicherungsagenten. Ich will mich in eine Haftpflichtversicherung einkaufen.
Dafür ging es mir ja manchmal auch schlecht genug. Im äußersten Notfalle konnte ich immer auf den alten Hohenkemnath rechnen. Aber für solche Summen, wie sie jetzt auf dem Spiel stehen, käme seine rührende Opferfreudigkeit natürlich kaum mehr in Frage.
Eigentlich tut dein Vater ganz recht daran, daß er von deiner Verheiratung mit einem Kehlkopfakrobaten nichts wissen will. In dem Augenblick, wo ich heiser werde, ist die ganze Herrlichkeit futsch.
Und du hattest bei unserer Verheiratung doch sicherlich auch ein wenig darauf gerechnet, eine Millionärstochter zur Frau zu bekommen.
Aber Sophie, ich liebe deinen Vater! Außerdem ist er der Eisen- und Kohlenkönig von Magdeburg-Buckau. Einmal kommt uns der Ertrag seiner Arbeit ja doch zugut.
Liebe Sophie! Zwischen Untreue und Untreue ist ein großer Unterschied. Wir Männer tragen unsere Natur nicht zu Markte, wir sind Käufer. Das Bezahlen allein macht uns schon Vergnügen. Für uns ist die Natur ein Genuß, für euch ist sie das Geschäft. Bei uns ist Untreue Luxus, bei euch ist sie Betrug. Der Markt, auf dem wir Männer unsere Person versteigern, ist der Weltmarkt. Je höhere Preise die Welt für uns bezahlt, desto mehr können wir verschwenden, um uns einen möglichst reichen Naturgenuß dafür zu kaufen.
Lieber Franz! Wenn ich mir einen Hausfreund halte und du findest uns in Zärtlichkeiten beisammen, dann schießt du den Menschen über den Haufen. Ich sehe nicht ein, warum ich mit deiner Geliebten nicht das gleiche tun soll. Die Pistole habe ich bereit.
Liebe Sophie! Hättest du mir gesagt, du wolltest dir einen Hausfreund nehmen, dann wären wir nicht verheiratet. Ich wollte dich nur zur Geliebten haben.
[55]Ich dachte aber im Traum nicht ans Heiraten. Du hast mich aufs höchste überrascht. Mich beschäftigen wichtigere Dinge. Ich frage mich, ob auf meinen Kopf nicht vielleicht eine Krone gehört.
Ein Schulfreund von mir hatte sich in deiner Art verliebt. Er wollte sich eine Kugel vor den Kopf schießen, wenn ihn irgendein Mädchen nicht nahm. Jetzt sind sie glücklich verheiratet. Ich glaube aber nicht, daß je noch etwas Welterschütterndes aus ihm wird.
Aber Franz! Deine Bemerkung ist mir unfaßbar. Innerlich bin ich dir gänzlich fremd. Ich entwürdige doch nur mich selber, wenn ich mich über Mangel an Zärtlichkeit beklage. Du bist doch wirklich nicht schuld, daß ich dich nicht stärker reize.
Es wäre einfach eine Entwürdigung meiner geistigen Fähigkeiten. Ich brauchte dich ja nur geistig mehr in Anspruch zu nehmen, damit du dich nicht über Mangel an Zärtlichkeit beklagst.
Gewiß, dann hättest du deinen Zeitvertreib, wie ich ihn in meinen Gastspielen habe. Aber bin ich daran schuld, daß es nicht so ist?
Ich habe mich nicht geschaffen. Kinderlose Ehen gibt es zu Tausenden. Aber die Angst, daß meine Absonderlichkeit uns beide entzweien könnte! Bring' [57] mir ein Kind von einer Geliebten, ich erziehe es als unseres. – Franz, ich tue Abbitte. Laß mich meine Aufrichtigkeit nicht entgelten.
Als du vor einem Jahr in Magdeburg im Konzert sangst, da hielt ich dich für einen ganz mittelmäßigen Menschen. Du glaubst nicht, wie dumm ich das heute finde. Aber es schien mir ganz ausgeschlossen, daß sich ein anderes Mädchen in dich verlieben könnte.
Jetzt tun sie's aber! Ich sah in dir damals meine Seligkeit ganz für mich allein. Aber seitdem bist du mir so himmelhoch über den Kopf gewachsen! Kein Tag vergeht, ohne daß du mir etwas Neues zu denken gibst, an das ich nie gedacht habe. Jetzt weiß ich erst, wie abgrundtief ich unter dir stehe. Nein, unterbrich mich nicht! Das wunderbarste ist nämlich: Ich selber erscheine mir auch jeden Tag bedeutender, wertvoller. Allerdings bin ich mir auch jetzt über meine Engherzigkeiten und Albernheiten völlig klar. Du tatest immer, als merktest du gar nichts davon. Dadurch hieltst du[58] mich so unentrinnbar fest in deiner Gewalt. Aber um keinen Preis der Welt, das kann ich schwören, möchte ich heute auch nur für eine Stunde wieder die herzlose, selbstgefällige Egoistin sein, die ich vor unserer Verheiratung war.
Das Weib kann nun einmal über die Grenzen seiner Natur nicht hinaus. Sein Glück bleibt immer auf seine Naturbestimmung beschränkt.
Franz, ich komme auf den Vorschlag zurück, den ich dir vor acht Tagen machte. Hättest du etwas dagegen, wenn wir ein Kind adoptieren?
Nicht das geringste. – Ich muß dir etwas erzählen, Sophie. Als Gymnasiast litt ich infolge der Streitigkeiten meiner Eltern viel an Schlaflosigkeit. Mein Vater sprach ein ganzes Jahr lang kein Wort mit mir. Auf der großen Treppe, die durch die Matte zum Schloß hinaufführte, flehte ich in meiner Einfalt dann eines Abends auf den Knien zum Himmel, er möge dem Streit ein Ende machen. Voll Zuversicht ging ich nach Hause und warf mich meinem Vater zu Füßen. Natürlich hatte es nicht das geringste genützt. Ich erzähle das nur, damit du manchmal Nachsicht mit mir hast. Ich glaube, daß ich von jener Zeit her immer noch etwas mit dem Leben zerfallen bin.
[59]Ich sehe darin nichts anderes als die ersten Äußerungen deiner herzberückenden Künstlernatur. Deshalb wird es dir jetzt so leicht, jede menschenmögliche Leidenschaft vorzuspiegeln, als wärest du ihr mit Leib und Seele ausgeliefert.
Mir ist der Gesichtspunkt neu. – Um ein absolut sicheres, unumstößliches Verständnis für die Welt zu finden, trat ich vor einem Jahr zum Katholizismus über. Seitdem fühle ich mich glücklicher.
Das ist das einzige, Franz, worin ich dir nicht zustimmen kann. Ich bin protestantisch erzogen. Ich glaube überhaupt nichts, aber ich hasse Spitzfindigkeiten. Es läutet im Flur.
Wollen Sie mir sagen, verehrter Meister, in welchem Kostüm ich in London die Aretikoru-Tulorimena tanzen soll?
Wenn ich mein Mann wäre, fände ich an Ihnen sicherlich auch mehr Gefallen, als er an mir findet. Ich verachte die Frau, die ihrem Mann eine Freude mißgönnt. Aber dann will ich auch den Dank, den ich für meine Großmut verdiene. Seelengröße muß Seelengröße bleiben! Bevor ich mir meine eigene Erniedrigung als unerläßliche Pflicht vorschreiben lasse, greife ich zur Waffe und räume die Gefahr, die meinem Glücke droht, aus dem Wege.
[61]Der Meister unterwies mich bis jetzt nur in den fünf Positionen Sie führt sie aus. erste Position – zweite Position – dritte Position – vierte Position – fünfte Position. Es läutet im Flur.
Welchen Genuß finden Sie nun darin, einer Frau, die nichts Besseres kennt, ihren Mann wegzuschnappen? Gibt es für Sie nicht unverheiratete Männer genug?
Mich vor Ihnen klein hinzustellen, fällt mir gar nicht ein! Sie können tanzen, das kann ich nicht. Aber bringen Sie erst einmal zu irgend etwas all [62] die Liebe auf, die mich für diesen Mann erfüllt und die ich jeden Augenblick zu beweisen bereit bin.
Das glaube ich. Wenn man soviel Männer kennt, kann es einem ganz gleichgültig sein, ob einer darunter etwas mehr oder weniger auf die Selbstlosigkeit unserer Liebe angewiesen ist.
Ich kenne nicht soviel. Aber glauben Sie, wir, die wir das bißchen Zuneigung täglich mit einem übermenschlichen Aufwand von Liebe neu erkämpfen, wir wollen uns dann noch ruhigen Herzens hinterlistig darum bestehlen lassen?!
Verzeihen, gnädige Frau, ich denke Tag und Nacht an nichts anderes, als daß ich in meiner Kunst weiterkomme.
Künstlerisch gibt es für uns in der ganzen Welt nirgends ein Weiterkommen, wenn wir keine Lebensart haben.
Selbstverständlich müssen wir Lebensart haben. Darauf bilden wir uns sicherlich nichts ein. Unser einziges Ziel ist die Kunst. Wenn eine das nicht hat, dann geht sie ja so wie so zugrunde.
Ich möchte Sie etwas fragen, mein Fräulein. Tritt ihr näher. Fürchten Sie nicht, ein Kind zu bekommen?
Aber Sie, gnädige Frau, Sie sind verheiratet. Sie haben von einem Manne doch zehntausendmal mehr [64] Liebes und Gutes, als unsereins von einem ganzen Dutzend Männer hat.
Nein, nein, seien Sie auf das Allerschlimmste gefaßt. Ich scherze durchaus nicht. Sie schweben in der furchtbarsten Lebensgefahr!
Das trifft sich ja wieder einmal wundervoll für dich! Wenn dir dein Freund als Versicherungsagent ebensoviel Glück bringt, wie als Gesangslehrer, dann werden wir uns vor lauter Glück bald nicht mehr zu retten wissen.
Selbstverständlich können Sie das. Bestimmen Sie nur, welche Summe Sie im Falle Ihrer Untreue von uns zu bekommen wünschen.
Das dürften gnädige Frau nicht so leichtherzig aussprechen! Aber für uns bleibt das gleichgültig. Wir versichern Sie auch gegen die Untreue Ihres Gatten.
Sie sind ein liebes Geschöpf. Mein Mann erscheint mir immer begreiflicher. Ich begleite Sie hinaus. Lydia grüßt die Herren durch Kopfnicken und wird von Sophie hinausbegleitet.
Der war ich immer. Soviel ich weiß, haben wir hier in München schon einmal einen Versicherungsvertrag miteinander geschlossen.
Ich war durch deinen schlanken Wuchs gefesselt. Um dich ungestört beobachten zu können, ließ ich mich bei den Vorbesprechungen durch einen Unteragenten vertreten.
Die Prämie, die du zu zahlen hast, muß erst berechnet werden. Morgen werden dir unsere Vertragsvorschläge zugestellt.
[67]Ich habe ihr noch einmal geschworen, daß ich ihr eine Kugel ins Herz jage, wenn sie mich mein eheliches Glück nicht ungetrübt genießen läßt.
Daran ist nur meine aufreizende Kindheit schuld. Ich verliere jeden Halt, sobald ich keine Tragik vor Augen habe. Der Anblick des Schmerzes macht erst einen tatkräftigen, überlegenen Menschen aus mir.
Im Dienste einer großen Kunst haben heldenmütige Frauen wie Sie zu Hunderten gelitten. Eigentlich kann sich eine Frau gar nicht nutzbringender an einem Kunstwerk betätigen.
[68]Außerdem flößt die Frau dem Manne viel mehr Bewunderung ein, wenn sie etwas mit Anstrengung all ihrer Seelenkraft zu überwinden hat.
Die Frau wirkt dadurch als eine Art belebender Arznei, als ein Reizmittel, das alle Nerven und Muskeln anspannt.
Schließlich bin ich dann also im Grunde nichts anderes als ein unseliges Werkzeug in der Hand eines geldgierigen Sklavenhalters.
Wenn Sie wirklich Versicherungsagent sind, dann lassen Sie mich bitte das Leben dieser Tänzerin, die eben fortging, zu einer so ungeheuren Summe versichern, daß das Mädchen unmöglich umkommen kann, ohne daß Ihre Gesellschaft dabei den kläglichsten Bankerott macht. Das Geld dazu gibt mir mein Vater. Statt meiner hat dann Ihre Gesellschaft die Aufgabe, meinem Jammer abzuhelfen. Und ich bin diesen seelenmörderischen Kampf um mein rechtmäßiges Lebensglück los!
Gegen derartige Unglücksfälle sind wir natürlich bei anderen Gesellschaften rückversichert. Da die anderen Gesellschaften das auch bei uns sind, erzielen wir dabei zu guterletzt noch Prämiendividende.
Die einzige wirksame Versicherung gegen Untreue ließen sich gnädige Frau bereits entgehen. Sie hätten Ihrem Gatten einfach zuvorkommen müssen.
Das kann ich nicht! Dazu liebe ich ihn zu leidenschaftlich! Ich habe ihn nicht umsonst gegen den Willen meiner ganzen Familie geheiratet. Er ist [70] mein eins und alles. Er ist mein Glück. Soll ich denn meinem eigenen Glück untreu werden?!
Wenig Achtung vor mir selber! Was fällt Ihnen denn ein! Liebe und Treue sind seit Erschaffung der Welt die heiligsten weiblichen Tugenden. Ich achte mich nicht geringer, ich achte mich höher als jede andere Frau!
Wenn das Ihr Ernst ist, dann rate ich Ihnen, nicht Fräulein Lydia Höpfl, sondern sich selber in eine Lebensversicherung einzukaufen.
Das kann mir nicht einfallen! – Dann versichern Sie Ihr Leben zugunsten eines Wöchnerinnenheims, eines Waisenhauses! Von dem Augenblicke an hat Ihr Leben einige Bedeutung für Sie. Das erfüllt Sie mit Stolz. Das schmeichelt Ihrer Eitelkeit. Sie freuen sich Ihres Edelmutes und ehe Sie sich's versehen, haben Sie hundertmal mehr Genuß von Ihrem Leben, als wenn Sie Ihr Glück in der Liebe suchen.
Franz! Wenn du deine Tänzerin gern hast, dann bewahr' sie vor dem Schrecklichsten! Wo mein Glück auf dem Spiele steht, kenne ich kein Erbarmen. Tritt sie mir noch einmal als deine Geliebte in den Weg, dann ist sie verloren! – Vielleicht sagt dir dein Freund und Lehrmeister, wie du dich mit meinem Entschluß am besten abfindest. Viel Vergnügen, meine Herren! – Ab.
[72]In anderen Umständen? Du Prachtkind! Das legt uns beiden ganz neue Unmöglichkeiten in den Weg, die wir siegreich zu überwinden haben. Nur kein Stillstand! Nur keine Stagnation! Was wird uns das wieder an Geisteselastizität einbringen!
Du machst es dir leicht. Du versprichst mir hoch und teuer, ich solle ein Mann werden. Statt dessen bin ich nun seit einem vollen Jahr nichts anderes als deine Geliebte.
Hältst du es wirklich für möglich, Franziska, daß irgendein Mann in dieser Welt mehr Freude von seinem Leben hat als du?
Vorderhand verzichte ich noch darauf. Aber Sophie muß jetzt endlich von ihrem Jammer erlöst werden. Es ist die allerhöchste Zeit, daß sie zur Ruhe kommt. Ich spiele sonst einfach nicht mehr mit!
Aber Franziska! So rasch ist deine Spielwut befriedigt! – Oder bildest du dir vielleicht ein, du habest schon alles gelernt, was es aus diesem Spiel für dich zu lernen gibt?
Ich sehne mich nach lustigeren Spielen. Ich will und kann sie nicht länger quälen. Sie hat ihr Geschick so tapfer getragen, wie ich das früher bei einem Weibe nie für möglich gehalten hätte.
Dann laß dich meinetwegen scheiden. – Sie ist einfach stolz auf ihr Unglück. Sie wird einzig und allein von ihrer unerschöpflichen Seelengröße zum Narren gehalten. Irgendein dümmeres Weib läßt sich keine Viertelstunde lang so lächerlich hinters Licht führen.
Du beurteilst sie viel zu hoch. Die Augen wären ihr in den ersten drei Wochen schon aufgegangen, wenn ich durch Lydia Höpfl nicht ununterbrochen ihre Eifersucht schürte. Wenn ich ihr auch nichts [74] bin, lieber will sie nichts haben, als daß ein anderes Weib nichts bekommt.
Darin feiert die Liebe des Weibes doch gerade ihre herrlichsten Triumphe, daß sie durch jeden Fehler des Mannes nur immer wieder zu größerer Selbstverleugnung aufgestachelt wird.
Durch jeden Fehler! Das ist das völlig Unbegreifliche an ihrer Liebe. Das ist das Übernatürliche an ihr.
Aber wieso denn?! Es gibt gar nichts Natürlicheres. Von einem wirklichen Manne ließe sich dieses prachtvolle Geschöpf einfach keine Untreue bieten. Dazu ist [75] sie viel zu stolz. Du bist aber kein Mann. Deshalb muß sie diesen ganz außerordentlichen Aufwand von Liebe für dich aufbringen. Und durch diese Liebe läßt sie sich dummerweise dazu hinreißen, deine Untreue zu bekämpfen. Deiner vermeintlichen Untreue wegen hält sie dich dann für einen wirklichen Mann, während sie sich selber unzulänglich, reizlos erscheint. Und dadurch wächst dann ihre Liebe wieder ins Uferlose.
Jetzt reißt mir aber die Geduld! Du bist bis zum Wahnsinn in dieses Weib verliebt! Sie heiratete mich aus keinem anderen Grunde vom Konzertpodium herunter, als weil sie mich für einen unreifen Schulbuben, für einen ganz minderwertigen Gecken, für einen unverbesserlichen Affen, für einen vollendeten Dummkopf hielt!
Das beweist noch nicht das geringste gegen ihre Seelengröße. Edle Weiber sind es nie, die sich bedeutenden Männern an die Rockärmel hängen.
Den machst du aus Sophie ebenso rasch wie aus mir. Talentloser als ich war, bevor du mich entdecktest, kann sie unmöglich sein.
Ich glaube aber nicht, daß sie deine Beine hat. – Wir werden übrigens anfangs September zu einem dreitägigen Gastspiel in Rotenburg erwartet. Der Herzog schreibt mir eigenhändig ...Er nimmt einen Brief aus der Tasche und liest.
Die Gärung im Volke droht mich zu beseitigen. Nur du kannst helfen. Bring' deinen Franz Eberhardt. Dein Franz lullt die Bestien ein. Anfang September habe ich drei Tage frei. Wir wollen mein Festspiel, das ich dir sandte, öffentlich aufführen. Die Hoftheaterintendanz ist angewiesen ... usw.
Dein Leopold.
HOFMILLER. Deine Mutter, Franziska, verfiel in unheilbare Schwermut, als sie die Nachricht von deiner Verheiratung erhielt.
Meine Mutter?! Sie ruft. Veit! Wir müssen sofort verreisen! Sie rennt hinaus. In der Tür begegnet ihr Sophie.
Aber Franz! Franz! Hast du den Verstand verloren?! Näherkommend, zu Dirckens. Was geht denn hier eigentlich vor? – Was bringst du für ein Entsetzen in unser Haus?
Liebe Sophie! Ich habe von diesem Augenblick an keine ruhige Minute mehr vor mir. Jeden Schurken, der mir sagt: Deine Schwester hat ein Weib zum Manne genommen, muß ich auf Pistolen fordern. Und weiß dabei jetzt auch noch aus eigenem Augenschein am besten, daß er recht hat.
[79]HOFMILLER da Sophie kein Lebenszeichen mehr gibt, zu Dirckens. Lassen Sie mich rasch die Waffe sehen.
Die politische Lage an unserem Hofe ist höchst bedenklich. Seit hundert Jahren wartet die kaiserliche Diplomatie auf einen Anlaß, unser Herzogtum zu verschlucken. Gelingt ihr das, dann ist uns Rotenburg verloren.
Diesen Anlaß könnte die kaiserliche Regierung in der Gärung finden, die augenblicklich im Herzogtum herrscht.
In der Unbeliebtheit unseres hohen Herrn. Diese Unbeliebtheit wird wachsen, wenn es dem Herzog gelingt, seine Scheidung durchzusetzen.
[81]Das kaiserliche Kabinett hat für die herzogliche Hofhaltung längst ein Schloß in England in Aussicht genommen.
Dieser Weg führt durch die Schloßkirche ins Freie. Jedes Wort, das hier im Saal gesprochen wird, ist durch diese Tür verständlich.
Ich komme geraden Wegs aus Japan. Morgen früh geht die Reise weiter. Ich wohne selbstverständlich im Hotel.
In meine Scheidung? Was denken Sie von mir! Ich brauche Reisegeld, weiter nichts. Meine Juwelen wurden gepfändet.
Ich lasse es getrost auf einen europäischen Krieg ankommen. Ich habe einen Eid geleistet, und meinen Schwüren bleibe ich treu.
Dafür habe ich gar kein Interesse. Kommt es zum [83] Klappen, dann kommandiere ich ein Panzerschiff. Artemisia bei Halikarnaß!
Wenn es Hoheit aufrichtig meinten, wovon ich nicht ganz überzeugt bin, dann wurde die Bereitwilligkeit ausgesprochen, sich nach glatter Erledigung der materiellen Hindernisse scheiden zu lassen.
Emmeran! Freund Gottes! Das sagte sie?! – Das gibt neuen Mut. Gott sei gepriesen! Nach innen deutend. Dahinein bringt mich keine Macht der Erde. Ich ziehe natürlich ins Hotel. Aber jetzt[84] kann ich doch endlich in Ruhe wieder an meine Angelegenheiten denken. Ich muß dir beichten, daß ich ein Festspiel zur Wiedereröffnung des Hoftheaters geschrieben habe. Ein harmloser Scherz, weiter nichts. Wir wollen das Festspiel unter Wahrung des allerstrengsten Inkognitos öffentlich aufführen. Und nun kommt die Spielverderberin, die Stimmungsmörderin! So ging es mir aber von jeher mit meinen Bühnenstücken. Im allerletzten Augenblick stellt sich regelmäßig ein störendes Verhängnis ein. Hat sie nicht gesagt, wann sie weiterreist?
Bedingungslos angenommen! Selbstverständlich! – Ich bin nämlich seit zwei Stunden auf der Suche nach einem Genie, wenn Sie die Bezeichnung erlauben.
Mit dem Dreiuhrzug ist der Mann angekommen. Aber niemand weiß, wo er wohnt. Ich setzte mich der Volkswut aus, indem ich bei einem Absteigequartier vorfuhr. Aber auch dort wußte man nichts von ihm.
Wenn das Ingenium des allerhöchsten Vertrauens [85] nicht unwürdig ist, könnte es vielleicht auch zuerst in eine Kirche eingetreten sein.
Diese Tür führt in die Kirche. – Sind Hoheit ungehalten, wenn ich der Herzogin mit meinem Rat beizustehen suche?
Was meinte der Fuchs mit der Kirche? –Er öffnet die Tür, Veit Kunz tritt heraus. Veit Kunz! Herzensjunge! Da bist du! Wie habe ich mich nach dir gesehnt!
Da unten sitzt in einer Seitenkapelle ein holzgeschnitzter Engel auf der Kanzelbrüstung. Der Engel sieht einer Tänzerin so ähnlich, wie ein Kanonier dem andern.
Ich frage mich seit meiner Kindheit, warum bei unserer Andacht der Tanz keine Verwendung findet. Musik, Plastik, Malerei sind als Ausdrucksmittel der Verehrung allgemein im Gebrauch. Nur der Tanz nicht.
[86]Das kann nicht der einzige Grund sein. Er erteilt den Lakaien einen Wink, die darauf abtreten. Ich kann dich nicht einmal in meine Zimmer bitten. Meine Frau hat uns überrumpelt.
Unsere Reformation gewinnt täglich mehr Boden. Durch unsern Kampf ist unser Volk allen Völkern der Welt voraus.
Mein Festspiel ist mein rückhaltloses Bekenntnis. Hätte die Kirche vor tausend Jahren unsere Stellung zum Weibe so klar durchschaut, wie sie unsere Stellung zu Gott und zum Nebenmenschen erkannte, dann wäre ihre Lehre darüber heute ihr siegreichstes Dogma.
Die Sprachgewandtheit seines Dichters sichert unserm Festspiel das klarste Verständnis. Unsere Moraltheologie schrak schon vor Jahrhunderten vor nichts von dem zurück, was sich heute als modernes Problem großtut. Sie wurde durch das Wiedererwachen des plumpen Aberglaubens schmachvoll unter die Füße gestampft.
[87]Seit die Welt steht, sind die unmenschlichsten Greuel, die furchtbarsten Verbrechen, Völkermord und Martertod geschätzte poetische Stoffe. Das Mittelalter, aufgestaute zersetzte Sinnenlust, die sich mit Vorliebe an der Erfindung von Grausamkeiten berauschte, ist das gelobte Land aller Dichtung. Und nur gerade das Versteckenspiel zwischen Mann und Weib, das die größten Weltweisen, die größten Künstler ergötzte, soll der Dichtkunst verboten sein!
Frauengestalten von männlicher Strenge, Männergestalten von weiblicher Zartheit und Milde sind seit Anbeginn bis heute die vollkommenste Verkörperung des Weltfriedens.
Überdies doch die nächstliegende Neckerei, das Labyrinth der Empfindung, der Zaubergarten, die Maskerade des Lebens! Als wäre es etwa normal, selbstverständlich, folgerichtig, daß ebenmäßig geschaffene Frauen ihren Wuchs nicht zeigen dürfen!
Mein Austauschprofessor sagt mir, es handle sich darum, den schrankenlosen Wettbewerb junger Frauen [88] durch die Verschämtheit der reifer gewordenen etwas zu bändigen. Ich sehe die Notwendigkeit nicht ein. Die reifer gewordenen können sich ja kleiden, wie sie wollen. Warum soll der Wettbewerb der jungen gebändigt werden!
Der strenge Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Kleidung ist in der ganzen Welt im Schwinden begriffen.
Es kommt doch auch nicht auf den Unterschied zwischen Kleidern, sondern auf den Unterschied zwischen Menschen an! Solange das junge Weib noch geduldig seinen Sklavenrock trägt, hat es gar kein Recht, sich über irgendwelche Zurücksetzung zu beklagen.
Ich habe kürzlich eine neue sittliche Weltordnung erfunden. Die Resultate meiner Erfindung habe ich in einem Buch niedergelegt. Wäre es nicht möglich, meine neue sittliche Weltordnung in der Residenz oder sonst irgendwo im Herzogtum praktisch auszuprobieren?
Ich verstehe nicht, wie es andere Hoheiten mit den einfachsten Forderungen von Menschenwürde vereinigen, auf den Passivitätsetat gesetzt zu sein. Ich kann es nicht so selbstverständlich finden, daß ich Herzog bin und andere Menschen schlechtweg Staatsangehörige sind, zumal ich, nach dem Wortlaute der Verfassung, der überflüssigste Mensch in meinem Herzogtum bin.
Das Land ist evangelisch. Deshalb fehlt jedes tragfähige Vertrauen zwischen ihm und mir. Außerdem ist mein Volk Ethos Potetos, zu deutsch: Kartoffelseele.
Ernstlich gewagt wurde meines Wissens noch nichts. Die Zaghaftigkeit, die der Tat im Wege steht, hoffte ich vor Jahren schon mit Glück bekämpft zu haben.
Damals, als ich mich in die Wahnsinnsversicherung einkaufte? – Du müßtest nur wissen, lieber Freund, was sich ohne mein Zutun in meiner Residenz schon alles abspielt. Junge Mädchen schließen sich zu einer Vereinigung zusammen und proklamieren [90] das uneingeschränkte Eigentumsrecht an den eigenen Körper. Die Tochter meines Justizministers ist in die Sache verwickelt. Das »Sonntagsblatt« gibt höhnisch seiner Verwunderung darüber Ausdruck, daß ich mich nicht an die Spitze der Bewegung stelle.
Der Genius! Der Dämon! Im Herzogtum ist nämlich allen Ernstes eine reaktionäre Revolution gegen mich im Gang. Findet sich denn der Dämon zu einer Aussprache bereit?
Selbstverständlichkeiten, deren höchst eigene Erfahrung ohne jeden Nachteil vermieden würde. Der Kampf der Geschlechter führt auf dem direktesten Wege ins Irrenhaus.
Höflich ist der Herr gerade nicht. – Ich bin nun einmal so! Mit dem Pater, den Reitknechten und Lakaien durch die Ausgangstür ab.
Jetzt sage ich dir aber etwas, was uns Männern ein Anderer gesagt hat: Du gehst zum Weibe, vergiß die Peitsche nicht.
Darauf sage ich zum Weibe: Du gehst zum Manne, vergiß deine Selbstachtung nicht! Dann kann der Mann so viel Peitschen zur Hand haben, wie er will. Er findet gar keine Gelegenheit, davon Gebrauch zu machen.
[93]Die kannst du doch am Schnürchen. Ich gäbe etwas darum, wenn ich meine eigene Rolle schon gelernt hätte.
Das ist die verlogenste Pöbelweisheit, die je in einer Kartoffelseele entstand; dumm versteht sich gut auf Liebe.
Glaub' mir, sie verstehen sich meisterlich darauf. Darin ist uns Amerika überlegen, daß seine Frauen nicht auf den Kopf gefallen sind und sich außerdem auch gut auf Liebe verstehen.
Deshalb frage ich. Du bist der einzige Mensch auf Gottes Welt, der sich nie über meine Beschränktheit lustig gemacht hat. Und eigentlich bist du doch gar nicht um so viel dümmer als all die andern.
O doch. Für die andern bin ich noch viel dümmer als du. Nur sagen sie es mir nicht, aus Furcht, in Ungnade zu fallen.
Mir sagen sie es am liebsten dann, wenn ich mich nicht verteidigen kann. Deshalb habe ich Angst vor [97] dem Festspiel. Wenn ich mich vor hundert Menschen ohne Kostüm zeige, und dann fällt ein plumper Witz über meine Geisteslosigkeit ...
Ich habe auch meinen Stolz. Ich weiß nicht, was ich dann täte. Ich glaube, ich stürbe auf der Stelle vor Scham.
Geliebter! Deinetwegen haben sich meine Geschwister von mir losgesagt. Deinetwegen sehe ich fast seit einem Jahre keine menschliche Seele mehr. Du nennst mich »Gislind Glonnthal, schöne Sache«. Mehr bin ich dir nicht.
Für mich ist es das Höchste. – Denk' dir doch nur meine mimosenhafte Empfindlichkeit in fünfjähriger Ehe mit einer Stimmungsmörderin, in deren Vaterhaus der Familienzank als unerläßlichste Gemütsgymnastik gepflegt wurde. – Es gibt eben Menschen, denen der Appetit leichter verdorben wird als anderen. Bin ich deshalb ein entarteter Schwächling?
Du und entartet?! – Wenn nur ich nicht entartet bin. Ich frage mich oft, ob ich meinen Schwachsinn nicht als Kind schon selber verschuldet habe.
Ich freue mich auch darauf. Aber ohne Kostüm! Man ist so entsetzlich hilflos! Deshalb ... Hast du noch einen Augenblick Zeit?
Nein, es muß nicht sein. – Ich habe nur dich, alles bist du mir: Elternhaus! Glück! Stolz! Wenn ich denke, wie – wie nichtig wenig ich dir bedeute. – Rann's gar nicht denken. Bin zu dumm.
Halb zehn. Der Dämon muß da sein. Er nimmt Platz und dreht die Lampe aus. Meiner Seele Sehnsucht! – Komm! –
Wunschlosigkeit! Friedliches Ausruhen zwischen männlicher Rauflust und weiblicher Glückswut! Anmutige Augenweide, die zu keinerlei Wahnsinn aufreizt! Zu Franziska. Was lehrt eure Geheime Heilige Schrift über den Unterschied zwischen Eigennutz und Nächstenliebe?
Leider bin ich nicht wunschlos. Aber den Unterschied gibt es für mich auch nicht. Ich kann unmöglich eigennützig sein, ohne daß andere die glänzendsten Geschäfte dabei machen. Ich kann unmöglich selbstlos sein, ohne selber den größten Gewinn davon zu haben. Wie erklärt das eure Geheime Heilige Schrift?
Seliwanow gibt den Gottmenschen alle Gewalt [104] der Erde. Wir tanzen, wir geißeln uns, um ihn zur Rückkehr in sein Reich zu ermuntern.
Weil die Kirche die Betätigung der Gottheit in der Zeugung lehrt. Deshalb bekämpft die Kirche jede Entweihung der Nacktheit. Der allergeringste Mißbrauch der Nacktheit ist Teufelsdienst.
Wer die Menschen mehr liebt als die Wahrheit, muß die Wahrheit hassen. Sich und seinen Brüdern [105] zum Trost ersinnt er zum alten Aberglauben neue verderbliche Lügen.
Lange bevor du zur Lösung der göttlichen Fragen gelangst, erkennst du die Liebe zu den Menschen als unentbehrlichsten Grundstein.
Bedenkst du denn gar nicht, daß wir für den ungeheuerlichen Unfug, den wir hier treiben, auf zehn Jahre ins Gefängnis kommen können?
Hast du dich etwa nicht gegen das Gesetz vergangen, um deine Mitwirkung bei diesem Gastspiel zu ermöglichen?
[107]Ich habe geturnt, ich habe geschwommen, ich bin geritten, ich habe Tararabumdieh getanzt. Einem jungen Mädchen wird das doch wohl erlaubt sein! Aber hast du gehört, daß meine Brüder zu Hause ein Entmündigungsverfahren gegen mich eingeleitet haben? Sie wollen mich für unzurechnungsfähig erklären und mich unter Vormundschaft stellen lassen.
Was kümmert uns das! Deine Kapitalien sind vor allen Gerichten der Welt in Sicherheit. Aber hast du gehört, daß dein früherer Geliebter, der Dr. Hofmiller, am Matterhorn tödlich verunglückt ist?
Warum erzählst du mir die Eseleien deiner Brüder? – Wir stehen hier im Mittelpunkt einer europäischen Staatsaktion und du versinkst in gefühlvolle Träumereien!
Nach unserer Vereinbarung bist du heute übers Jahr meine Leibeigene. Dazu hätten wir gar keinen Vertrag zu schließen brauchen, da dir das Naturgesetz [108] ohnehin keine andere Wahl frei läßt. Heute bin ich aber noch dein Knecht, der dir jeden Wunsch erfüllt. Diese Stellung benutze ich, um dir die besten Gelegenheiten zur möglichst ausgiebigen, möglichst vollkommenen, möglichst vielseitigen Entwicklung all deiner Veranlagungen, all deiner Begabungen zu verschaffen. Ich wünsche in dir eine Leibeigene zu bekommen, der nichts Menschenmögliches unbekannt geblieben ist.
In deiner Wollust, in deiner Herrschsucht, in deiner Leichtlebigkeit, in deiner Spielwut, in deiner Vergnügungssucht und, um das Herrlichste nicht zu vergessen, in deiner maßlosen Eitelkeit.
Genau so wenig wie auf deine Dankbarkeit. Deine Treue laß getrost meine Sache sein. Was haben Liebe und Treue mit Veranlagung zu tun? Sie sind euer Geschäft. Ich vertraue einfach darauf, daß du zu klug bist, um schlechte Geschäfte zu machen.
Auf meine ungeheure Erfahrung! Darauf, daß es ein Prachtgeschöpf wie du und einen so wählerischen Menschenkenner wie ich nicht noch einmal auf dieser Welt gibt! – Offenbar fürchtest du wieder einmal, ich könnte Schindluder mit dir treiben?
Ich und fürchten? Sie lacht. In dem Augenblick, wo du Schindluder mit mir treibst, spiele ich dir einen Schabernack!
Ich und fürchten? Diesen Herzog? Er lacht. Beiderseitige Enttäuschung und ich bin eine alberne Gans los, die meiner nicht würdig war! – Für den Herzog kommst du als Weib gar nicht in Frage. Der Herzog liebt Weiber, die geistig mit seinen Pferden und Hunden auf gleicher Stufe stehen!
Das tut er und davon ist er nicht abzubringen! [110] Dem Herzog fehlt jede Entwicklungsmöglichkeit. Genau so, wie es auch den armseligen Straßenmädchen an nichts anderem fehlt. Hundert Männer lernen sie kennen, ohne mit einem die Verkettung der Lebensbedürfnisse zu finden, die das Weib ganz von selbst zur Treue zwingt.
Weil ich ihm unrecht getan habe! – Als ich das letztemal zu Hause war, bedrückten mich die Gewissensbisse so entsetzlich, daß ich eines Nachts die Stirn auf die Stufen der Schloßtreppe schlug und schrie, als lebte ich meine ganze Kindheit noch einmal durch.
Habe ich darüber nicht einmal ein Gedicht von dir gehört, das dir noch zu Lebzeiten deines Vaters einfiel?
Mensch, wo haben Sie Ihr Kostüm? Als Ordensmeister des Johanniterordens auf Rhodus treten [122] Sie auf! Da kommen Sie mit den paar lumpigen Orden! Krämpfe kriegt man!
Aber in Versen, mein Lieber! In Versen! Sie sollen mich in Versen verhaften! Mein Stück ist in Versen geschrieben. Haben Sie das vollständig vergessen?! Zum Drachen. Sein Ausdruck ist bewundernswürdig! Da arbeite ich mich auf den Proben tagelang vergeblich mit dem Künstler ab, und bei der Vorstellung trifft er plötzlich den einzig richtigen Ton und tritt dafür in einem ganz unglaublichen Kostüm auf! Das ist die moderne Schauspielkunst!
Unverschämtes Benehmen! In diesem Drachen, den Sie eben töten wollten, verspotten Sie das Publikum, das da unten sitzt. Des halb zum letztenmal: Vorhang herunter!
Besteht das Publikum da unten vielleicht aus Paradieseskindern? Nein! Besteht das Publikum aus lauter Geistesgrößen? Nein! Der normale Staatsbürger kann nun einmal die Wahrheit nicht hören und die Nacktheit nicht sehen, ohne außer Rand und Band zu geraten, ohne gemeingefährlich zu werden. Solange ich Herzoglicher Polizeipräsident in Rotenburg bin, lasse ich solch eine rohe Verhöhnung nicht zu. Meine Aufgabe ist es, die öffentliche Meinung zu schützen. Auch in einem monarchischen Staate kann sich eine Regierung nicht gegen die öffentliche Meinung behaupten. Und glauben Sie vielleicht, ich gestatte Anspielungen wie: Wer kein süßeres Labsal kennt, als seines Herren Exkrement? Wenn jetzt der Vorhang nicht fällt, sind Sie verhaftet!
Das geht Sie gar nichts an! Meinen hohen Herren kenne ich bei stockfinsterer Nacht durch ein sieben Zoll dickes Brett hindurch. So blödsinnig wie Sie sieht er jedenfalls nicht aus!
Maske hin, Maske her! Machen Sie keine Fisematenten! Ich bin Herzoglich Rotenburgischer Polizeipräsident. Sie werden gleich merken, was das heißt!
Verzeihung! Dem Gesetze habe ich mich natürlich zu fügen. Für sich. Das störende Verhängnis, das über meinen Theaterstücken schwebt!Er ruft in die Kulisse. Vorhang!
Diese Dame ist der Geist, mit dem mein Gemahl abends den Philosophenweg entlang zum heiligen Hain lustwandelt!
Ich bin zu armselig für dich! Gib mir den blitzenden Schmuck! Der Schmuck gehört mir! Ich will ihn tragen!
Hoheit! Nur die härteste Bestrafung gibt mir meine Menschenwürde zurück. Hoheit sehen mich in Verzweiflung darüber ersterben, daß es vor tiefster Zerknirschung nicht gelang, das Unglück rechtzeitig zu verhindern.
[126]Wer bedauert mich? Gibt es ein höheres Glück – als auf offener Bühne – vor Zuschauern – nackt zu sterben? Sie fällt tot auf den Rücken.
Legt sie auf die Bahre und tragt sie ins Schloß. – Sie starb als Blutzeugin. Sie starb im Kampf um Seelenadel.
Die Kunst nicht, aber die Religion. Es handelt sich nur darum, daß Nacktheit sittlich ist und nicht unsittlich.
[127]Sie ist unsere treueste Dienerin. Wann wird die Kirche endlich wieder so klug sein, die Nacktheit heilig zu sprechen?
Ihnen rate ich auf jeden Fall, mit ihrem Schützling möglichst rasch aus den Grenzen unseres Herzogtums zu verschwinden.
Wie konnten Sie denn aber nicht wissen, daß Königliche Hoheit das Stück selber geschrieben haben und selber als Darsteller darin auftreten?
Ein Herzoglich Rotenburgischer Polizeipräsident, mein lieber Herr, hat nicht die Verpflichtung, allwissend zu sein!
[128]Gestern abend hielt ich hier unter freiem Himmel ein Weib in den Armen und empfand dabei mit klarstem Bewußtsein die Schönheit der Natur, die uns umgab.
Möglich. – Als ich heute abend vom Badeplatz zurückkam, waren die westlichen Schloßfelsen noch von der Sonne beleuchtet. Als Kind sah ich das oft. Aber damals, auf dem Wege zum Schloß hinauf, verdüsterte sich mir das friedliche Bild mit jedem Schritt ...
Es ist vergessen! Ausgelöscht. Deshalb erzähle ich es dir. Als ich heute die grünüberwachsenen Felsen im warmen Abendsonnenschein wiedersah, da jubelte es in mir: dieser Friede ist jetzt Wirklichkeit!
Und der herrliche Badeplatz! Als Kinder badeten wir an derselben Stelle. Heute kletterten die Buben wie damals in die Erlen am Bach hinauf und ließen sich aus den Baumkronen ins Wasser fallen.
[131]Tausend für einen. Sie küßt ihn. Während du mich gestern in den Armen hieltst, sah ich in die Sterne über deinem Kopf.
Möchte nur wissen, wozu Helena auch noch in der Unterwelt so leichtgeschürzt herumzustrolchen braucht! Ich ertrage das einfach nicht. Ich gehe aus den Fugen. Ich gerate außer Rand und Band. Ich werde gemeingefährlich!
Um so wonniger für mich. – Ich bin so gekleidet, weil Helena als ganz junges Mädchen in der Unterwelt weilt, so wie sie einst von Perseus zu ihrem ersten Abenteuer nach Athen verschleppt wurde.
Jetzt geht mir ein Licht auf! Seit drei Wochen frage ich mich schon, was der Perseus eigentlich mit dieser Höllenfahrt zu tun hat.
[135]Jedenfalls haben wir uns nichts vorzuwerfen. Warum läßt er dich mit mir allein! Das ist nichts als unverschämte Prahlerei von ihm! In diesem Augenblick hat er draußen nicht das geringste zu suchen.
Wir spielen hier ganz einfach »Gyges und sein Ring oder wenn schon, denn schon«! Du bist die Rhodope. Welcher anständige Krieger läßt sich denn von Seinesgleichen zur Parade befehlen, ohne daß er eine Schlacht liefern darf!
Ich sollte mich nach allen Richtungen möglichst weitgehend entwickeln, damit er um so mehr Anregung in mir findet. Sicherlich empfand er deine künstlerische Mitwirkung auch als Anregung.
[136]Anregung! – Gesunde Menschen danken ihrem Schöpfer, wenn sie von ihren Trieben nicht blindlings über den Haufen gerannt werden!
Unsinn! Wir haben noch zwanzig Minuten Zeit. – Vergessen Sie nur nicht, gnädiges Fräulein, Ihr Haar in Ordnung zu bringen.
Ich wurde da draußen ganz unversehens von einem Manager festgehalten. Der Mann hat ein unermüdliches Maulwerk. Wenn ich ihn recht verstand, will er ein eigenes Festspielhaus für meine Mysterien bauen.
Ist es nicht eine geradezu übermenschliche Anstrengung für Sie, verehrter Meister, Ihre Haut zu gleicher Zeit als Dramatiker und als Darsteller zu Markte zu tragen?
[137]..., dem unlösbaren Rätsel! Aufgegangen
Ist die Erleuchtung mir! Du bist besiegt!
Es hat jemand geklatscht. – Ich weiß nicht, verehrter Meister, ob ich Ihnen zu Dank spiele, wenn ich meinen Simson:
Den Kinnbacken vom Esel in der Hand,
Mit dem um tausend Mann ich sie geschoren! –
... wenn ich ihn als einen Gauner auffasse, der seine Stammesgenossen Adam, Noah und die drei Erzväter verächtlich über die Achsel ansieht, während er sich von Perseus, Helena und Sokrates ruhig mit der größten Geringschätzung behandeln läßt:
O Helena, aus keiner Unterwelt
Läßt Simson je sich ohne dich erlösen!
Sie tun mir einen außerordentlichen Gefallen damit, mein lieber Breitenbach. Mir kam es natürlich nur darauf an, bevor die Gottheit über Satan triumphiert, das stumpfsinnig spießbürgerliche Alltagstreiben [138] zu schildern, in dem sich die Bewohner der Hölle seit Jahrhunderten mit ihren Qualen zurechtgefunden haben.
In dem Augenblick, wo die Gottheit dann ihr Wunder verrichtet und mit einem Schlage in der ganzen Hölle die seit Jahrhunderten erduldeten Leiden aufhören, in dem Augenblick. ... ich weiß nicht, ob das heute richtig zur Geltung kam?
Satanas ist schon aufs tiefste gedemütigt. Mit hilflosem Staunen erwartet er, was aus seiner geliebten Hölle werden soll ...
Da sinkt alles umher mit betäubendem Jubelgeschrei in die Knie und will zu Licht und Seligkeit hinaufgeführt werden. Der ganze Orkus eine Rebellion:
[139] Weltüberwinder, lenk' uns himmelan!
Weltopfer, sei gepriesen! Ewige Zeiten
Beglückt uns, was die Welt dir Leids getan!
Das war heure abend wieder ein Eindruck beim Publikum:
Laß uns hinfort in deinen Spuren schreiten!
Solang ich beim Theater bin, habe ich nie etwas Ähnliches miterlebt!
Noch mehr strengt mich freilich der diplomatische Notenwechsel mit Cerberus an. Ich frage mich immer wieder, ob ich die Szene nicht im Interesse der Gesamtwirkung kürzen soll.
Jedenfalls rechne ich es mir geradezu als eine Art von Lebensglück an, daß ich einmal Gelegenheit fand, an einem Ihrer Prachtwerke mitzuarbeiten.
Verzeihung, verehrter Meister! Aber ich muß zwei Fragen an Sie richten, bevor ich meine Besprechung über die heutige Aufführung an meine Zeitung abschicke. Jetzt begreife ich ja erst, warum die Geistlichkeit einen so erbitterten Kampf gegen Sie führt.
Lassen Sie mir bitte die Geistlichkeit in Frieden! Kein Geistlicher ist je so abergläubisch wie jeder gebildete Freidenker!
Nochmal, bitte. Schreibend. Kein Geistlicher ist je so abergläubisch wie jeder gebildete Freidenker. – Das druckt meine Zeitung, obschon es von Ihnen ist. Schlimmstenfalls schreibt sie, es sei von Nietzsche. Aber nun die Idee unseres Mysteriums. Verzeihung, verehrter Meister! Ich bin so hingerissen, daß ich von den beiden ersten Akten nicht das geringste begriffen habe.
Schreiben Sie Ihrer Zeitung: Die Gottheit verbringt einen Abend, einen Tag und einen Morgen in der Unterwelt, um die Geisteshelden der Vergangenheit von dem ihnen drohenden Fluch des Totgeschwiegenwerdens zu befreien.
Verzeihung! Totgeschwiegenwerden druckt meine Zeitung nicht. Dazu muß sie einerseits zuviel Rücksicht [141] nehmen – Sie wissen ja, wie das ist! – und anderseits ist sie zu unabhängig dazu. Ließe sich nicht ein milderes Wort dafür finden?
Gestatten Sie, verehrter Meister, daß ich dem Herrn William Fahrstuhl über die weiteren Hindernisse hinweghelfe. Zu Fahrstuhl. Unter den Geisteshelden der Vergangenheit, lieber Herr Fahrstuhl, befindet sich unter anderen auch Simson. Den spiele ich, wie Sie vielleicht bemerkt haben:
Herr, gib mir nur dies eine Mal noch Kraft,
Daß ich mit einem Schlag für meine armen
Augen an den Philistern Rache nehme!
Der Besieger der Hölle sucht sich nun seine Leute aus, gerät dabei in ein tief religiöses Gespräch mit Sokrates, aber Simson gegenüber, der sich mit Perseus fortgesetzt um Helena katzbalgt:
Nicht dir allein lacht dieses Weibes Gunst!
... Simson gegenüber zweifelt er noch, ob er ihn in sein himmlisches Reich mitnehmen soll. Damit schließt der zweite Akt. Der erste, wie Ihnen viel leicht noch in Erinnerung ist, fand sein Ende in der ersten Begegnung zwischen der erlösenden Gottheit und dem Beherrscher der Unterwelt.
[142]Danke sehr! Ich lege mir Ihre ganze Höllenfahrt bei mir zu Hause schon so zurecht, daß sie sich für meine Zeitung eignet.
Sieh da! Helena! Ich habe noch keinen Schauspieler um seinen Beruf beneidet. Der Mann lernt auswendig und erzählt's dem Publikum weiter. Aber Schauspielerin! Die Unmenge Einladungen zum Abendessen und was damit zusammenhängt! Meinen Vater schlüg' ich tot, wenn es mir dadurch möglich würde, Schauspielerin zu werden!
Der Künstler, wissen Sie, hat überhaupt keinen Beruf, wie der Arzt oder der Fabrikbesitzer. Der Künstler, Maler, Musiker, sei er, was er sei, sucht sich nur mit möglichst geringem Kostenaufwand einen möglichst ausgiebigen Lebensgenuß zu verschaffen.
Immer gelingt es ja auch nicht. Ich kenne ein Mädchen, das Malerin werden wollte, aber keine Begabung dazu hatte. Darauf wollte es Bildhauerin werden, hatte aber auch dazu keine Begabung. Darauf wollte es Tänzerin werden, hatte aber auch dazu keine Begabung. Schließlich wurde es Schneiderin.
[143]Ist das nicht großartig, wie viele Entwicklungsmöglichkeiten einem jungen Mädchen in unserer Zeit offenstehen?!
Vor fünfhundert Jahren hätte man sie längst als Hexe verbrannt gehabt, bevor sie bei der Schneiderin angelangt gewesen wäre.
Im Gegenteil! Es fiel mir nur eben ein Gleichnis dafür ein, worin denn eigentlich die Bedeutung aller Kunst besteht.
Einen Augenblick! In seinem Notizbuch blätternd. Dazu brauche ich eine neue Seite. Meine Zeitung druckt ein Feuilleton darüber.
Kunst ist der Spiegel, in dem der Mensch seine Lebensfreude betrachtet. Denn solange ihm das Leben nur Unannehmlichkeiten bringt, hat er keine Zeit und keine Lust, in den Spiegel zu sehen.
[144]Nun wirkt aber der Spiegel belebend und anregend auf den zurück, der sich darin spiegelt, da der Glückliche nicht nur die Freude, die er selber empfindet, sondern obendrein auch den Anblick des Spiegelbildes seiner Freude genießt. Dadurch wird nun aber auch das Spiegelbild wieder um ebensoviel belebter und angeregter. Und so feuern und spornen sich die beiden, Mensch und Spiegelbild, gegenseitig zu immer wilderem Genießen an, bis ...
Oder bis die hohe Obrigkeit kommt und den Spiegel in tausend Scherben schlägt! Punktum! Schluß! Meine Zeitung bezahlt mir drei Pfennige mehr für die Zeile. Aber was ist das für ein dumpfes Donnergepolter? Das tönt ja, weiß Gott, wie wenn im Herbst die Kartoffeln in den Keller hinunterkollern.
[145]Das ist der Chor der Schatten. Da jeden Abend einige Neulinge dabei sind, muß der Chor vor Beginn des Spieles immer noch einmal besonders eingeübt werden.
Jammerschade, verehrter Meister, daß man von den Reizen der mitwirkenden Damen so blutwenig zu sehen bekommt. Sie müßten das notwendig ändern!
Wenn es dir recht ist, Franziska, dann sprechen wir, bevor der Vorhang aufgeht, rasch unsern großen Dialog noch einmal durch.
Doch nicht, eh' zwei Jahrtausend noch entflohn!
Sehr gut! Ausgezeichnet! Nur würde ich die Worte: »Dann wandle ich gleichberechtigt dir zu Seite« mit etwas mehr innerer Wärme sprechen.
Ganz meine Ansicht. Sie müßten etwas mehr Seelenglut hineinlegen. Übertreibend, zwischen Veit Kunz und Franziska tretend.
»Dann wandle ich gleichberechtigt dir zur Seite!«
[150]Erzählen Sie mir jetzt bitte noch rasch den Inhalt des letzten Aktes, sonst wird meine Besprechung vor Mitternacht nicht mehr fertig!
So geistreich ist doch unser Mysterium nicht, daß Sie sich das nicht selber zusammenreimen könnten! Im dritten Akt erkläre ich, Simson, daß ich ohne Helena die Unterwelt unter keinen Umständenverlasse:
[151] Aus keiner Höllenqual, o Helena,
Läßt Simson je sich ohne dich befreien!
Dann legt sich Sokrates ins Mittel und beweist mir, Simson, daß sich mir die Gelegenheit, von all meiner Sündenstrafe loszukommen, nicht so leicht wieder bietet. Ich gebe Helena den Abschiedskuß, ich empfehle sie der freundlichen Obhut meines Höllenfreundes Perseus und dann folgen wir einträchtiglich, Adam, Noah, die drei Erzväter, ich im Verein mit Sokrates, Platon und Aristoteles unserm Befreier in ein schöneres Dasein.
Das ist zum Verzweifeln, daß man sich hier nicht einmal in Ruhe seinen Zeitungsartikel diktieren lassen kann!
Das ist der reine heilige Sankt Veitstanz! Zum Regisseur. Gehören denn diese Menaden nicht mit zu unserem Mysterium?
[154]Veit Kunz bemerkend. Da – da liegt etwas. Bemüht sich zu einem Sessel. Lassen Sie mich hier nieder sitzen und sehen Sie erst einmal nach, was da liegt.
So, so. – Dann – dann schneiden Sie den Strick durch. Rückt mit dem Stuhl näher und reicht dem Diener sein Taschenmesser. Hier haben Sie ein Messer. Vielleicht geht es am besten mit dem Sektöffner. Veit Kunz betrachtend. Ist das nicht? – Das ist doch der Darsteller, der die Hauptrolle agiert. Der nimmt seine Rollen aber ernst!
Ich bin der Baron Hohenkemnath. Ich komme in den Zirkus, um die kleine Eberhardt noch einmal zu begrüßen. Zum Diener. Füllen Sie eine Schale mit Wasser und kühlen Sie dem Herrn die Schläfen.
Ja, ja, ich habe das Mädel gekannt. Ist sie nicht hier? Ich wollte ihr noch einmal in die Augen sehen.
Seien Sie froh, Sie junger Mann! Das Sterben überlassen Sie mir. Ich fahre heute noch ins Sanatorium. Deshalb eben. Zum Diener, der mit einer Schale Wasser ankommt. Helfen Sie dem Herrn auf einen Sessel.
Sobald ich sie aus den Krallen des Wahnsinns befreit hatte! Auf der Treppe ihres väterlichen Schlosses!
Ein edles Menschenkind! Da Veit Kunz von Schluchzen geschüttelt wird. Verzeihung! Ich begreife Sie – beneide Sie –
Ich war schon reichlich alt, als wir uns kennen lernten, in der Sommerfrische in einem Alpendorf, als sie mir vorlas.
Ihr Geliebter war ich nie. Ich sag' es ganz offen. Sie war noch reichlich jung. Das hätte uns zwar beide nicht gestört. Sie am allerwenigsten. Wo ist sie nur?
Aber was kennt man denn! Haben Sie schon einen Mann gekannt, der seine Frau gekannt hat? Oder umgekehrt? Als sie sich heirateten, da kannten sie sich. Oder ein Kind, das seine Eltern gekannt hat? Das ist rein logisch schon ganz und gar unmöglich.
Ich wollte sie heiraten. Gar keine Verpflichtungen hätte sie gehabt. Wer weiß, wie bald wäre sie jetzt selbstherrliche Freifrau auf Hohenkemnath. Sie war sich zu gut dazu. Mit siebzehn Jahren. Ein loses Mädel.
[161]HORNSTEIN das Kind auf den Knien haltend. Sie werden sehen, Frau Eberhardt, der Bub erholt sich jetzt viel rascher wieder, als Sie glauben. Bei dem prachtvollen Wetter lassen Sie ihn nur recht viel im Freien spielen. Springen und Laufen kann er ja natürlich noch nicht. Und dann denken Sie jetzt vor allen Dingen an sich selber. Die Anstrengung, die sie durchgemacht haben, werden Sie wohl noch ein halbes Jahr spüren. Lassen Sie sich jetzt nur zu allem hübsch Zeit. Was hilft es Ihrem Buben, wenn Sie sich durch übertriebene Aufregung um Ihre Kräfte bringen.
[162]HORNSTEIN. Nur kein rohes Obst! Fleisch und Gemüse, soviel er Lust hat. Auch Mehlspeisen.Zum Kind. Nicht wahr, Veitralf, Reisauflauf mit Apfelmus! Schmeckt dir das?
HORNSTEIN. Gewiß! Nur daß Sie sich selbst dabei nicht anstrengen. Stellt das Kind auf die Füße. So, Veitralf! Ja, ja, Sich erhebend. bis man so einen kleinen Weltbürger wieder in Ordnung bringt ... aber er hat eine gute Natur, Streichelnd. unser Veitralf. Da brauchen Sie sich gar nicht zu ängstigen.
HORNSTEIN. Fällt Ihnen irgend etwas auf, dann telephonieren Sie einfach. Und jetzt, liebe Frau Eberhardt, erholen Sie sich von ihren schlaflosen Nächten. Ich muß jetzt zu dem Vorarbeiter aus der Papiermühle hinüber. Was es für Zufälle gibt! Seit zwanzig [163] Minuten steht die Maschine still. Der kommt ahnungslos mit der Ölkanne, knacks, bricht sie ihm den Arm.
HORNSTEIN. Alles wieder geheilt. Geht in vierzehn Tagen in die Fabrik. – Ich komme schon wieder vorbei. Grüß' dich Gott, Veitralf! Grüß' den Onkel schön von mir ...
HORNSTEIN. Die Sache geht mich nichts an. Sie haben vollkommen recht. Aber – ich spreche ganz offen – der Mensch liebt Sie.
[164]HORNSTEIN. Sie denken, daß ich das Ehestiften als Nebenberuf betreibe? Keine Idee. Ich habe mich nie damit abgegeben. Aber den Karl Almer, den kenne ich doch seit zehn Jahren. Er hatte sich eine Lungenentzündung geholt. War fast so schlimm dran, wie jetzt unser Veitralf. – Wie sich der Mensch verändert hat, seit er Sie kennt. Nein, so was erleb' ich nicht wieder!
HORNSTEIN. Das ist es ja gerade, daß Sie ein Kind haben! Das ist ja das Prachtvolle! – Komm, Veitralf. Sag' der Mama, sie soll dir den Gefallen tun und den Onkel Karl heiraten.
HORNSTEIN. Gehen Sie, machen Sie dem Kind die Freude. Sie geben dem Kind einen Vater. Einen grundbraven Kerl. Und wie liebt er das Kind. Seien Sie doch kein solcher Don Quichote, liebe Frau!
Was soll ich darauf antworten, Herr Doktor? Karl [165] Almer ist mir ein lieber Freund. Er ahnt von dem allem nichts.
HORNSTEIN. Da kennen Sie ihn schlecht. Wenn Sie einmal unfreundlich mit ihm waren, das merk' ich dem sofort an. Tagelang merk' ich das. Dann schimpft er nämlich auf alle Bilder, die er gemalt hat. – Aber schlafen tun Sie jetzt gut?
Sobald der Bub die Augen zugetan hat, falle ich nur so hin. Manchmal schreckt's mich wohl noch auf in der Nacht, wenn er sich regt. Aber gegen früher? Nein, Herr Doktor, das kenne ich nicht mehr, seit ich den Veitralf habe. Gott sei Dank, daß die Zeiten vorbei sind!
Dann bitt' ich um Entschuldigung. – Breitenbach sagte mir, er fahre Dienstag nachmittag hierher, um sich mit dir zu besprechen. Heute ist doch Dienstag? Da die Angelegenheit auch mich betrifft, bat ich ihn, dir zu schreiben, daß ich an der Unterredung gerne teilnehmen würde.
Was ist das für eine Angelegenheit? – Von Breitenbach habe ich, unberufen, seit Jahren nichts gehört.
[167]Ich habe sonst nur geschäftlich mit ihm zu tun. Ich bin dir ja auch wohl völlig aus den Augen entschwunden. Ich habe schwer durch müssen, seit du mir den Schabernack spieltest.
Franziska! – Als ich dich an jenem Sommerabend im Hause deiner Mutter überraschte, als ich durchs Fenster einstieg und dir meinen Hokuspokus anpries, war ich eine verlorene Existenz. Genau dasselbe hatte ich ohne die geringste Wirkung bei anderen versucht. Aber du erfülltest mich vom ersten Augenblick an mit einem solchen Selbstvertrauen. Deine Gegenwart machte mich so sicher, so waghalsig, so tollkühn, du fachtest einen solchen Größenwahn in mir an, daß ich, solange du zu mir hieltst, über alles Mißgeschick hoch erhaben war.
Wo lebt ein Abenteurer, der die nicht hat? Es wird nie was daraus, wenn man selber nicht Fürst [168] wird. Ich bin's geworden. Fürst im Reiche der Pechvögel! Schwere Repräsentationspflichten!
Hast du übrigens schon gehört? Der Herzog von Rotenburg, in dessen Festspiel wir damals den kolossalen Erfolg hatten, mußte abdanken.
Franziska! Was fällt dir ein! Ich bin Direktor eines Detektivbüros! Meine Geschäfte umklammern den Erdball! Breitenbach läßt schon seit vier Jahren seine Frau durch mich überwachen. Einmal war ich schon mit ihr in Paris. Er bezahlt mir das [169] mit einem ansehnlichen Monatsgehalt. Aber es ist ein Ding der Unmöglichkeit, ihn von ihrer Untreue zu überzeugen.
Warum denn nicht? So fremd, wie wir einander geworden sind. Sie sagten mir noch immer nicht, was Sie herführt.
Das wird Ihnen Breitenbach sagen. Allerdings habe ich auch ein Privatanliegen an Sie. Der alte Hohenkemnath ist tot. Aber damit stehen Sie auch allein in der Welt. Er versicherte mir selbst, daß es nie zu Vertraulichkeiten zwischen euch gekommen ist. Wenn du mir erlauben wolltest – es ist ein Herzensbedürfnis, dem ich damit Ausdruck gebe – erlauben wolltest, von heute, bis ich sterbe, seinen Platz in deinem Leben auszufüllen?
Ich begreife den Sinn deiner Frage nicht. Was hättest du davon? Wer ließ sich träumen, daß aus dir ein solcher Gefühlsmensch wer den könnte!
Das erklärt sich leicht. Seit vier Jahren denke ich [170] in jeder Minute, in der ich allein bin, und ich bin viel allein, an die Zeiten, die ich mit dir verlebte. Wie an eine überirdische Herrlichkeit denke ich daran zurück, von der ich nie mehr kosten werde ... Vielleicht verstehst Du mich jetzt.
Sonderlich freundlich wird man hier nicht empfangen. Guten Tag, Veit Kunz! Ich habe mich verspätet. Ich wollte vor dir da sein, aber auf der Bahn traf ich natürlich jemand, der es auch nicht verschmerzen kann, daß ich mich nicht mit Weltverbesserungen befasse.
Verzeihen Sie! Seit mehreren Jahren erhalte ich alle paar Monate eine Vorladung von einem sogenannten Vormundschaftsgericht. Darüber wollte ich gerne mit Ihnen sprechen.
[171]Ich wurde als Zeugin vernommen, und man forderte mir einen Eid ab. Darauf konnte ich nicht schweigen.
Immerhin finde ich es weniger unsittlich, von zwei Männern ein uneheliches Kind zu haben, als von einem zwei.
Warum denn? Eine Mutter, die mit der Welt im Einklang lebt, versteht sicher mehr von Erziehung, als ein Elternpaar, das sich täglich in den Haaren liegt.
Als Kriminalbeamter bedaure ich, daß wir uns über diese Frage nicht vor einem hohen Gerichtshof auseinandersetzen können. Das Gesetz zieht jeden einzelnen Fall in Betracht, der im Leben überhaupt möglich ist. Dir dürfte es mit deiner anmaßenden Behauptung aber schwerlich recht geben.
Sicherlich nicht! Wenn heute der Hexenhammer noch in Anwendung gebracht würde, dann weiß ich jemand, dessen Asche längst in die vier Winde zerstreut worden wäre!
Die Hexenverbrennungen waren die erste gesunde Auflehnung gegen alles das, was heute als Frauenemanzipation die sittliche Weltordnung auf den Kopf stellen möchte.
[173]Wenn zwei Männer, wie ihr es seid, sich gehörig ins Zeug legen, dann gelingt es euch vielleicht auch heute noch, mich als Hexe verurteilen zu lassen.
Was ich dir in dieser Welt allenfalls noch gerne sein möchte, alle näheren Beziehungen natürlich ausgeschlossen, habe ich dir genau gesagt. Auf väterliche Gefühle für dein Kind bitte ich unter keinen Umständen bei mir zu rechnen. Deine himmelschreiende Untreue hat in mir auf Lebenszeiten jedes Verlangen nach einem innigen Einvernehmen mit dir getötet. Jetzt weißt du, wie du mit mir dran bist. Er will gehen.
Ich kann dich noch nicht begleiten, lieber Freund. Ich habe noch ein Wort unter vier Augen mit der Dame zu sprechen.
Franziska! – Als ich vom Tode deiner Mutter hörte, da wurde noch einmal alles in mir lebendig, was wir an berauschendem Glück zusammen genossen haben. Aber ich sagte mir: Es geht nicht! Es geht nicht!
Für dich doch nicht! Aber du hast zuviel gesehen, zuviel gehört, zuviel erlebt, zuviel gelernt, viel [175] zuviel nachgedacht! An deiner Treue würde ich ja niemals zweifeln. Wie käme ich dazu! Ich! Weißt du noch?
Was ist süßer als Honig!
Was ist stärker als der Löwe!
Aber du bist dir selbst so verzweifelt treu! Das ist für mich das Furchtbare an dir! Deine liebe alte Mutter ...
Dazu geht mir ihr Schicksal zu nahe. Nach den stärksten inneren Erschütterungen hatte sich die Frau schließlich damit abgefunden, daß ihr Kind, ihre Franziska, in Wirklichkeit ein Mann sei. Darauf erholte sich die sechzigjährige Dame allmählich von ihrer Schwermut. Man entläßt sie als geheilt aus der Anstalt. Und kaum ist sie draußen, erhält sie die betäubende Nachricht, daß du einem Kinde das Leben geschenkt hast. Nun soll das abgebrauchte sechzigjährige Gehirn alles, was es sich mit der größten Selbstverleugnung abgerungen hat, wieder als unbrauchbar beiseite werfen und sich noch einmal eine ganz neue Denkungsart einpauken. – Ich bin durchaus nicht schwerfällig, aber solch einer Gymnastik wäre auch mein [176] Verstand nicht gewachsen. Und deshalb, siehst du, geht es eben nicht!
Seit dem ersten Tage unserer Bekanntschaft – volle vier Jahre sind es jetzt her – lasse ich mich fortgesetzt von meiner Frau scheiden. Du hast das auf dem Gewissen! Niemand anders als du!
Mein Freund, Veit Kunz, hat sich der Sache angenommen und führt sie jetzt auch energisch zu Ende. Es kostet ein Sündengeld. – Wenn du also davon absehen willst, daß ich jemals als Vater deines Kindes in Betracht komme, dann würde ich mich glücklich schätzen, wenn ich dir, damit du nicht gänzlich vereinsamt in der Welt stehst, deine alte gute Mutter ersetzen könnte.
[177]Ei, ei! Dann begreife ich Ihre erregte Stimmung. Es hat wohl eine heftige Auseinandersetzung gegeben?
Ja. Während Veitralfs Krankheit habe ich viel daran gemalt. Dadurch hat Ihr Gesicht etwas Leidendes bekommen. Aber das schadet gar nichts. Ich hoffe nur, daß der Kleine recht bald wieder so blühend aussieht, wie er auf dem Bilde ist.
Die Rosen finde ich sehr hübsch. Es ist mir nur nicht ganz klar, was sie mit mir und meinem Veitralf zu tun haben.
Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen, aber ich glaube, der Kranz entstammt der Erinnerung an irgendein Madonnenbild.
[179]Das natürlich auch. Später gebe ich ihr vielleicht einmal einen ganz anderen Abschluß. Im wesentlichen ein kleines Zugeständnis an dem Geschmack des Publikums.
Davon haben Sie mir aber kein Wort gesagt. Man wird wunder glauben, wie eitel wir sind, mein Veitralf und ich, daß wir uns malen lassen.
Aber wer kennt Sie denn? Wenn ich auch Ihren Namen darunter schriebe! Die paar Menschen, mit denen Sie verkehren, gehen in keine Ausstellung. Warum wollen Sie mich also um den redlichen Ertrag meiner besten Arbeit bringen?
Sie glauben gar nicht, wie unbegreiflich meine Kunst bei diesem Bilde gewachsen ist! Oder verachten [180] Sie Menschen, die sich so leicht beeinflussen lassen? Die meisten Menschen sind anders. Natürlich! Aber solche Männer kannten Sie ja. Eben waren sie hier. Warum sind Sie jetzt mit Veitralf allein? – Ich konnte mir nie ein anderes Lebensglück denken, als mit einem Weib, das ich bewundern und verehren darf.
Gewiß weiß ich das! Aber ich wage das Wagnis. Ich habe den nötigen Mut dazu. Ich bin nun einmal so leichtherzig. Schließlich kommt es ja doch auf gar nichts anderes an, als daß das Wohlbefinden auf beiden Seiten immer ganz genau das gleiche ist. Versuchen Sie es doch einmal mit einem Menschen, der an Güte glaubt!
Ich möchte, hol' mich der Teufel, niemanden grundlos verdächtigen. Sagen wir der Kürze halber doch ganz einfach: an Gottes Güte. Gott verzeih' mir den kitschigen Ausdruck. Ich finde augenblicklich keinen, der künstlerischer ist. Gott läßt sich ja leider bis jetzt noch nicht interviewen, er läßt sich nicht photographieren, wie andere Gewalthaber ...
[181]Die Welt, sehen Sie, ist in Wirklichkeit gar nicht so greulich eingerichtet, wie uns gewisse Unglücksraben immer und immer wieder gerne einreden möchten.
Weil sie zu anspruchsvoll sind! Nicht wahr, Veitralf? Weil sie die Grenzen ihrer Begabung und die Grenzen der Welt nicht kennen. Die Männer sowohl wie die Weiber. Wir zwei wissen, was wir einander sein können!