[30] Siebentes Lied

Nicht ermüden und ermatten,
Auch wenn kaum ein Stündchen Schlummer
Gegen Morgen dich erquicket!
So die lustige Gefährtin,
Heut' am letzten Freudentage
Mir als trefflicher Paino,
Fein in schwarzem Kleid und Hut
Und im Busenstrich erscheinend.
Heut' am allerletzten Tage
Sollte man nicht ausgelassen,
Gleich dem Faune, gleich dem Satyr,
Eine tolle Nymph' im Arme,
Jubelnd seinen Thyrsus schwingen?
Und warum nicht? Rennt mit Hörnern,
Pferdefuß, in schwarz und roth
Lucifer nicht im Gedränge?
Wie man von dem Liebchen scheidend,
Noch in Einem langen Kusse
Wonn' und Lust auf ewig trinken,
Trost für immer saugen möchte,
Wie dem Vaterland entwandernd,
Wo man Kind war, wo man liebte,
Man des Lebewohls Moment
Gerne noch verlängern möchte:
So das wilde Rom, man taumelt
Unter Taumelnden; es regnet
Heut' zum letzten Male Blumen
Auf ein glücklich Volk, und Zucker.
Goldne Tage des Saturnus
Lebt man noch; es wäre Fabel,
Und so viele tausend Frau'n
Predigen die holde Wahrheit?
[31]
Doch es neigt sich schon die Sonne,
Schon erbraust es in der Menge,
Meilenweit vom Obeliskus
Bis zum Capitol – sie kommen –
Nein! sie fliegen – kaum vernimmst du
Ihren Hufschlag – Alles jubelt
Barberi – du schaust und sieh,
Längst sind alle schon verschwunden.
Wie ersehnt steigt jetzt die Dämm'rung
Von den mächtigen Palästen
Nieder in die tiefe Straße.
Noch ein Stündchen, Kind der Liebe,
Doch das köstlichste der Erde!
Nimm' dir einen Sitz, ein Lichtchen,
Denn dem Weibe ziemt ein Licht,
Und dem Manne ziemt's zu löschen.
Und schon flammet nah' und ferne
Von Balkonen und von Fenstern,
Aus Carossen, von den Sitzen
In unzählbar vielen Händen
Durch den Nachtduft ein beweglich
Muntres Heer von kleinen Feuern,
Und ein neuer Zaubertag
Hebt nun an, dem Fest zu leuchten.
Welch ein übersinnlich Märchen,
Wie man's oft von leichten Sylphen,
Gnomen und von Salamandern,
Nächtlich einem Kind erzählet!
Welche Welt von schönen Mädchen,
Welche Schaaren kecker Schalken,
Wie das holde Farbenreich
Aus dem Dunkel sich entfaltet.
[32]
Wie die Lichter wehn und flattern,
Und gewandte schnelle Springer
Nach dem hast'gen Flämmchen haschen;
Wie sie hüpfen, wie sie schlagen,
Wie manch bunte Feengruppe
Plötzlich in die Nacht versinket,
Und ein Schelm, des Sieges froh,
Im Gewimmel sich verlieret!
Wie sie auf die Wagen klettern,
Und von oben her geschwinde
Wie der Wind ein Licht verlöschen;
Wie sie schleichen, wie sie lauschen,
Durchs Gedränge schalkhaft schlüpfen,
Geistern oder Dieben ähnlich,
Erst nur still, dann mit Geschrei
Und mit Hohngelächter necken!
Wie der Tod des Carnevales
Mit einstimmigem Gebrülle
Sinnbetäubend aus den Kehlen
Eines Volkes sich verkündet,
Unterm dumpfen Klaggesange
Dieser Moccoli Erlöschen
Aller Freuden Ende schon
Und die Trauerzeit bedeutet.
Noch erglüht und flammt und zittert
In der farbigen Bewegung
Im phantastischzarten Spiele
Roms erneute Pracht, da löschen
Sich allmählich alle Lichter,
Und die Zauberwelt verschwindet,
Die gestaltenlose Nacht
Folget, wie der Tod dem Leben.
[33]
Und des eignen Daseins denk' ich
Mehr als je, da mir so frühe
Das Verhängniß meiner Jugend,
Meiner Liebe, meiner Hoffnung
Süße Märchenwelt zerstörte,
So viel Schönes und Geliebtes,
So viel Flammen, so viel Lust
In den Ernst der Nacht versunken.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Gedichte. Lieder des Römischen Carnevals. Lieder des Römischen Carnevals. Siebentes Lied. Siebentes Lied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8C50-4