Viertes Lied

Sie.

Aber willst du deinem Liebchen
Wirklich wohl, warum denn hast du's
So allein zurückgelassen?
Ach, du bist so gut und freundlich,
Und so grausam doch, so wenig
Schontest du in deiner Stärke
Meiner Schwäche, meiner Furcht.
Ich.

Als ich Knabe war, da floh ich
Meines Alters Kinderspiele,
Und dereinst in Ruhm und Ehre
Groß zu werden, träumt ich einsam,
Und die Stadt zu sehn, wo dieser
[76]
Erde mächtigste Gebieter,
Romulus Geschlecht geherrscht.
Sie.

Aber mußtest du die Heimat
Denn so frühe schon vergessen?
Freilich ist sie dir verbittert,
Deinen Haß verdienten viele,
Doch ein Herz, voll heißer Liebe,
Schwach und treu, verzehrt im Stillen
Um den wilden Wandrer sich.
Ich.

Sähst du diesen blauen Himmel,
Diese goldnen Abendlüfte,
Diese süßen, duft'gen Berge,
Diese Haine, diese Meere,
Sähst du von des Mario Höhen
Roma's Riesenbild, gewaltig,
Wie ein Berg, St. Petri Dom –
Sie.

Dies Hesperien mit der Fülle
Lachender Orangenhaine,
Diese herrlichen Ruinen
Aus der Vorwelt, dieses Lorbeers
Stolzes Grün, nach dem dich lüstet,
Und das schönste noch – die theure
Reizende Sabinerin!
Ich.

Böses Kind, du willst dich rächen,
Und die Züchtigung verdien' ich;
Doch du weißt, wie unbefriedigt
Sinn und Geist mir strebt; es reiften
In der Flamme der Begeist'rung
In des Herzens Brand Gedanken
Und Entwürfe, gleich dem Gold.
[77] Sie.

Und die Ruhe suchst du außen
In des Lebens raschen Kreisen,
Wunderbarer, Unzufriedner!
Könnt' ich dir mit einem Kusse
Meines Herzens sanfte Stille
In die Lippen hauchen, stürbe
Mit dem Kuß mein Leben auch!
Ich.

Laß, o laß, mein holdes Liebchen,
Diesen Wahn mir, glücklich bin ich
Einzig, wenn die Welt mich ehret,
Nicht für dieses Leben leb' ich,
Nur dem Ruhme nach dem Tode;
Wollt' ich dir nur angehören,
Müßt' ich fast ein Engel sein.
Sie.

O mein Freund, zuweilen schaudr' ich,
Hör' ich deinen Namen nennen,
Deinen Ruhm und deine Kränze,
Deine Lieder muß ich fürchten,
Nur mit dir, mit deinem Herzen
Bin ich glücklich, groß und herrlich
Wünscht' ich nie dich, aber treu.
Ich.

Trüg' ich doch in meinem Busen
Deine Einfalt, deinen Frieden,
Deine schön begränzten Freuden,
Aber ach, mir ist's nicht möglich.
Ruf' dem Adler in den Lüften,
Gib dem Jüngling seiner Kindheit
Unerwachten Sinn zurück.
[78] Sie.

Ja, zu kühn ist's, dich zu lieben,
Deinesgleichen bringt ein Mädchen
Mit dem ersten Kuß sein Alles,
Seel und Leib zum ew'gen Opfer,
Ihr vermögt nicht treu zu bleiben,
Aber unsre Kraft ist Liebe,
Und die Treu ist unser Ruhm.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Gedichte. Lieder des Römischen Carnevals. Gedichte aus Latium und den Sabinerbergen. Lieder der Untreue. Viertes Lied. Viertes Lied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8B72-F