Viertes Lied

Einen traurigen Gedanken,
Siehe da, das Kind des Nordens!
Doch wohlan, mit Pulcinella
Lach' ich schon, und der Doctoren
Weisheit hör' ich an, die Suada
Eines Charlatans begeistert,
Puterartig schreitet hier
Auch der Graf in der Perrücke.
[21]
Doch ich werde rasch umfangen,
Und mit hohem Federnhute,
Schwarzem Antlitz, buntem Röckchen,
Arlecchina mir zur Seite!
»Sei willkommen, Freund, willkommen,
Reiche mir den Arm!« – Wer bist du? –
»Wer ich bin? Ei nun, damit
Man's nicht wisse, dient die Maske.«
Doch verrathen sie der Stimme
Volle Nachtigallentöne,
Und der Locken schwarze Wallung,
Und am purpurnen Barette
Der Begleiterin erkenn' ich
Deutlich sie; an beide Arme
Hängen sie sich hüpfend an,
Und ich muß geduldig folgen.
Manches art'ge Wörtchen flüstert
Arlecchina nun dem Sänger
Leis' ins Ohr. Wir bleiben, sagt sie,
Unzertrennlich jetzt beisammen!
Laß uns durch den Corso wandeln,
Bis der Pferdelauf vorüber,
Dann wird uns, verstehst du wohl,
Nunziata gleich verlassen!
Und der Sänger nun am Arme
Solcher lieblichen Geschöpfe
Fühlt, wer könnt' es ihm verdenken,
Saturnalisches Behagen!
Hat er doch in all' der Menge
Nun das Seinige gefunden!
Doch er fürchtet im Gewühl
Unterm Volk es zu verlieren.
[22]
In der That, sie ist gar artig,
Und wiewohl an seinem Arme,
Reißt sie doch sich los und schüttelt
Einen Mann, den er nicht kennet;
Selbst Confetti soll er haben
Und von Nunziata Blumen,
Und der Sänger schauet zu,
Denn wir sind im Carnevale.
Doch im frohen Schellenklange
Kehren sie zurück, und lustig
Hört im ungestümen Tacte
Man das Tamburin erschallen
Aus dem nahen Seitengäßchen.
Schnell dahin! Die Masken fliegen,
Arlecchina will's, und ich
Folge hübschen Kindern gerne.
Und im enggeschloss'nen Kreise
Hüpfen halb zerlumpte Paare
Dort im wilden Saltarello!
Doch das heiße Blut geduldet
Hier sich nicht, sie ziehn mich weiter,
Auf und ab, nach allen Seiten,
Bald begrüßend, bald begrüßt,
In dem lärmenden Getümmel.
Und im letzten Scheine glühet
In der Straße fernstem Grunde
Schon das Capitol! Verschwunden
Sind die rasselnden Carossen,
Und das Töchterchen der Liebe
Führt den Sänger leicht und tänzelnd
Unterm fürstlichen Palast
Zu bequemem, hohen Sitze.
[23]
Und man scherzt und duldet Scherze,
Sitzt aufs traulichste beisammen,
Und begegnende Bekannte
Wirft man wohl noch mit Confetti,
Bis die Straße schon geräumt ist;
Alles wartet, Alles schaut,
Bis es braust, und nun im Flug
Rosse kommen und verschwinden.
Einen Gang noch, Arlecchina,
Wenn's auch dämmert, wenn die Sonne
Längst vom Capitol gewichen!
Unersättlich im Genusse
Lernt im Süden man zu werden;
Drum geschwärmt, bis uns das Brüllen
Des Paino scheucht, und dann
Auf den Ball und spät zur Ruhe.
Und zuweilen meines Lebens
Denk' ich da, der Wonnetage,
Da ich endlich sie gefunden,
Die ich mir so lang' geträumet,
In der Tracht des Ideales
Mir die Liebende gefolget,
Mir bestimmt, geboren schien,
Für die Ewigkeit gegeben.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Gedichte. Lieder des Römischen Carnevals. Lieder des Römischen Carnevals. Viertes Lied. Viertes Lied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-89D8-A