II. Eine Erzählung, aus einem italienischen Buche übersetzt
– Ich war auf dem gewohnten Gange nach dem Walde begriffen, und ich freute mich schon im voraus, daß nun das Gemälde der heiligen Familie vollendet sein würde. Es war mir verdrießlich, daß der Maler so lange zögerte, daß er immer noch nicht meinen dringenden Bitten nachgab, zu endigen. Alle Gestalten, die mir begegneten, einzelne Gespräche, die ich unterwegs hörte, nichts ging mich an, denn nichts davon hatte Bezug auf mein Gemälde; die ganze außenliegende Welt war mir jetzt nur ein Anhang, [262] höchstens eine Erklärung zur Kunst, meiner liebsten Beschäftigung. Einige alte arme Leute gingen vorbei, aber es war keiner darunter, der zu einem Joseph getaugt hätte, kein Mädchen hatte Spuren vom Gesicht der Madonna, zwei Alte sahen mich an, als ob sie sich nicht unterständen, ein Almosen zu begehren, aber erst lange nachher fiel es mir ein, daß ich sie mit einer Kleinigkeit hätte fröhlich machen können.
Es war ein heiterer Tag, die Sonne schien in die Dunkelheit sparsam hinein, nur an einzelnen Stellen sah ich die lichte Bläue des Himmels. Ich dachte: Oh, wie beglückt ist dieser Maler, der hier in der Einsamkeit, zwischen schönen Felsen, zwischen hohen Bäumen seinen Genius erwarten darf, dem keine andre der kleinlichen menschlichen Beschäftigungen nahetritt, der nur seiner Kunst lebt, nur für sie Aug' und Seele hat. Er ist der glücklichste unter den Menschen, denn die Entzückungen, die uns nur auf Augenblicke besuchen, sind in seinem kleinen Hause einheimisch, die hohen Götter sitzen neben ihm, geheimnisreiche Ahndung, zärtliche Erinnerung spielen unsichtbar um ihn, Zauberkräfte lenken seine Hand, und unter ihm entsteht die wundervolle Schöpfung, die er schon vorher kennt, befreundet tritt sie aus dem Schatten heraus, der sie unsichtbar zurückhält.
Unter diesen Gedanken hatte ich mich der Wohnung genähert, die abseits im Holze lag. Auf einem freien weitem Platze stand das Haus, hohe Felsen erhoben sich hinter seinem Rücken, von dem Tannen herunterrauschten und krauses Gebüsch sich im Winde oben rührte.
Ich klopfte an die Hütte. Die beiden Kinder des Malers waren zu Hause, er selbst war nach der Stadt gegangen, um einzukaufen. Ich setzte mich nieder, das Gemälde stand auf der Staffelei, aber es war ganz vollendet. Es übertraf meine Erwartung, meine Augen wurden auf den schönen Gestalten festgehalten: die Kinder spielten um mich her, aber ich gab nicht sonderlich acht darauf, sie erzählten mir dann von ihrer kürzlich gestorbenen Mutter, sie wiesen auf die Madonna, ihr sei sie ähnlich gewesen, sie glaubten sie noch vor sich zu sehen. Wie herrlich ist diese Wendung des Kopfs! rief ich [263] aus, wie überdacht, wie neu! Wie wohl ist alles angeordnet! Nichts Überflüssiges, und doch, welche herrliche Fülle! Das Gemälde ward mir immer lieber, ich sah es in Gedanken schon in meinem Zimmer hängen, meine entzückten Freunde davor versammelt. Alle übrigen Bilder, die in der Malerstube umherstanden, waren in meinen Augen gegen dieses unscheinbar, keine Gestalt war so innig beseelt, so durch und durch mit Leben und Geist angefüllt, wie auf der Tafel, die ich schon als die meinige betrachtete. Die Kinder beschauten indessen den fremden Mann, sie verwunderten sich über jede meiner Bewegungen. Ihnen waren die Gemälde, die Farben alltäglich, sie wußten sich daran nichts Sonderliches, aber mein Kleid, mein Hut, diese Gegenstände waren ihnen dafür desto merkwürdiger.
Nun kam der Alte mit einem Korbe voll Eßwaren aus der Stadt, er war böse, daß er die alte Frau aus dem benachbarten Dorfe noch nicht antraf, die für ihn und seine Kinder kochen mußte. Er teilte den Kindern einige Früchte aus, er schnitt ihnen etwas Brot, und sie sprangen damit vor die Tür hinaus, lärmten und verloren sich bald in das Gebüsch.
»Ich freue mich«, fing ich an, »daß Ihr das Bild fertiggemacht habt. Es ist über die Maßen wohl geraten, ich will es noch heute abholen lassen.«
Der alte Mann betrachtete es aufmerksam, er sagte mit einem Seufzer: »Ja, es ist nun fertig, ich weiß nicht, wenn ich wieder ein solches werde malen können; laßt es aber bis morgen stehn, wenn Ihr mir einen Gefallen tun wollt, daß ich es bis dahin noch betrachten kann.«
Ich war zu eifrig, ich wollte es durchaus noch abholen lassen, der Maler mußte sich endlich darin finden. Ich fing nun an, das Geld aufzuzählen, als der Maler plötzlich sagte: »Ich habe es mir seitdem überlegt, ich kann es Euch unmöglich für denselben geringen Preis lassen, für den Ihr das letzte bekommen habt.«
Ich verwunderte mich darüber, ich fragte ihn, warum er bei mir gerade anfangen wolle, seine Sachen teurer zu halten, aber er ließ sich dadurch nicht irremachen. Ich sagte, daß ihm das Gemälde [264] wahrscheinlich stehnbleiben würde, wenn er seinem Eigensinne folgte, da ich es bestellt habe, und es kein andrer nachher kaufen würde, wie es ihm schon mit so manchen gegangen. Er antwortete aber ganz kurz: die Summe sei klein, ich möchte sie verdoppeln, es sei nicht zuviel, übrigens möchte ich ihn nicht weiter quälen.
Es verdroß mich, daß der Maler gar keine Rücksicht auf meine Einwendungen nahm, ich verließ ihn stillschweigend, und er blieb nachdenkend auf seinem Sessel vor meinem Bilde sitzen. Ich begriff es nicht, wie ein Mensch, der von der Armut gedrückt sei, so hartnäckig sein könnte, wie er in seinem Starrsinne so weit gehe, daß er von seiner Arbeit keinen Nutzen schöpfe.
Ich strich im Felde umher, um meinen Verdruß über diesen Vorfall zu zerstreuen. Als ich so herumging, stieß ich auf eine Herde Schafe, die friedlich im stillen Tale weidete. Ein alter Schäfer saß auf einem kleinen Hügel, in sich vertieft, und ich bemerkte, daß er sorgsam an einem Stocke schnitzelte. Als ich nähertrat und ihn grüßte, sah er auf, wobei er mir sehr freundlich dankte. Ich fragte ihn nach seiner Arbeit, und er antwortete lächelnd: »Seht, mein Herr, jetzt bin ich mit einem kleinen Kunststücke fertig, woran ich beinahe ein halbes Jahr ununterbrochen geschnitzt habe. Es fügt sich wohl, daß reiche und vornehme Herren sich meine unbedeutenden Sachen gefallen lassen und sie mir abkaufen, um mir mein Leben zu erleichtern, und deshalben bin ich auf solche Erfindungen geraten.«
Ich besah den Stock, als Knopf war ein Delphin ausgearbeitet, mit recht guter Proportion, auf dem ein Mann saß, der auf einer Zither spielte. Ich merkte, daß es den Arion vorstellen solle. Am künstlichsten war es, daß der Fisch unten, wo er sich an den Stock schloß, ganz fein abgesondert war, es war zu bewundern, wie ein Finger die Geduld und Geschicklichkeit zugleich besessen habe, die Figuren und alle Biegungen so genau auszuhöhlen, und doch so frei und dreist dabei zu arbeiten, es rührte mich, daß das mühselige Kunststück nur einen Knopf auf einem gewöhnlichen Stocke bedeuten solle.
[265] Der alte Mann fuhr fort zu erzählen, daß er unvermutet ein Lied von diesem Delphin und Arion angetroffen, das ihm seither immer so im Sinne gelegen, daß er die Geschichte fast wider seinen Willen habe schnitzen müssen. Es ist recht wunderbar und schön, sagte er, wie der Mann auf den unruhigen Wogen sitzt, und ihn der Fisch durch seinen Gesang so liebgewinnt, daß er ihn sogar sicher ans Ufer trägt. Lange habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, auf welche Weise ich wohl das Meer machen könnte, so daß man auch die Not und das Elend des Mannes gewahr würde, aber dergleichen war pur unmöglich, wenn ich auch die See mit Strichen und Schnitzen hätte anmachen wollen, so wäre es doch nachher nicht so künstlich gewesen, wie jetzt der Stock durch den feinen Schwanz des Fisches mit dem obern Bilde verbunden ist.
Er rief einen jungen Burschen, seinen Enkel, der mit dem Hunde spielte, und befahl ihm das alte Lied abzusingen, worauf jener in einer einfachen Weise diese Worte sang:
Arion schifft auf Meereswogen
Nach seiner teuren Heimat zu,
Er wird vom Winde fortgezogen
Die See in stiller, sanfter Ruh'.
Die Schiffer stehn von fern und flüstern,
Der Dichter sieht ins Morgenrot,
Nach seinen goldnen Schätzen lüstern
Beschließen sie des Sängers Tod.
Arion merkt die stille Tücke,
Er bietet ihnen all sein Gold,
Er klagt und seufzt, daß seinem Glücke
Das Schicksal nicht wie vordem hold.
Sie aber haben es beschlossen,
Nur Tod gibt ihnen Sicherheit,
[266]Hinab ins Meer wird er gestoßen,
Schon sind sie mit dem Schiffe weit.
Er hat die Leier nur gerettet,
Sie schwebt in seiner schönen Hand,
In Meeresfluten hingebettet
Ist Freude von ihm abgewandt.
Doch greift er in die goldnen Saiten,
Daß laut die Wölbung widerklingt,
Statt mit den Wogen wild zu streiten
Er sanft die zarten Töne singt:
Klinge Saitenspiel,
In der Flut
Wächst mein Mut,
Sterb' ich gleich, verfehl' ich nicht mein Ziel.
Unverdrossen
Komm' ich, Tod,
Dein Gebot
Schreckt' mich nicht, mein Leben ward genossen.
Welle hebt
Mich im Schimmer,
Bald den Schwimmer
Sie in tiefer, nasser Flut begräbt.
Es klang das Lied durch alle Tiefen,
Die Wogen wurden sanft bewegt,
In Abgrunds Schlüften, wo sie schliefen,
Die Seegetiere aufgeregt.
Aus allen Tiefen blaue Wunder,
Die hüpfend um den Sänger ziehn,
[267]Die Meeresfläche weit hinunter
Beschwimmen die Tritonen grün.
Die Wellen tanzen, Fische springen,
Seit Venus aus den Fluten kam,
Man dieses Jauchzen, Wonneklingen
In Meeresvesten nicht vernahm.
Arion sieht mit trunknen Blicken
Lautsingend in das Seegewühl,
Er fährt auf eines Delphins Rücken,
Schlägt lächelnd noch sein Saitenspiel.
Des Fisches Sinn zum Dienst gezwungen,
Er naht sich schon der Felsenbank,
Er landet, hat den Fels errungen
Und singt dem Fährmann seinen Dank.
Am Ufer kniet er, dankt den Göttern,
Daß er entrann dem nassen Tod.
Der Sänger triumphiert in Wettern
Bezwingt ihn nicht Gefahr, nicht Not.
Der Knabe sang das Lied mit einem sehr einfachen Ausdrucke, indem er stets die kunstreiche Arbeit seines Großvaters betrachtete. Ich fragte den Hirten, wieviel er für sein Kunststück verlange, und der geringe Preis, den er forderte, setzte mich in Erstaunen. Ich gab ihm mehr als er wollte, und er war außer sich vor Freuden; aber noch einmal nahm er mir den Stock aus der Hand und betrachtete ihn genau. Er weinte fast, indem er sagte: »Ich habe so lange an dieser Figur geschnitzt, und muß sie nun in fremde Hände geben, es ist vielleicht meine letzte Arbeit, denn ich bin alt, und die Finger fangen mir an zu zittern, ich kann nichts so Künstliches wieder zustandebringen. Solange ich mich darauf geübt habe, sind viele Sachen von mir geschnitten, aber [268] noch nichts habe ich bisher mit diesem Eifer getrieben; es ist mein bestes Werk.«
Er rührte mich, ich nahm Abschied und begab mich auf den Weg zur Stadt. Je näher ich dem Tore kam, je mehr fiel es mir auf, je wunderlicher kam ich mir vor, daß ich mit einem so langen Stabe einherschritt. Ich dachte daran, wie es allen Einwohnern der Stadt, allen meinen Bekannten auffallen müsse, wenn ich mit dem langen Holze durch die Gassen zöge, an dem oben ein großes schweres Bild sich zeigte. Dem ist leicht vorzubeugen, dachte ich bei mir selber, und schon hatte ich meine Faust angelegt, den bunten Knopf herunterzubrechen, um ihn in die Tasche zu stecken, und den übrigen Teil des Stocks dann im Felde fortzuwerfen.
Ich hielt wieder ein. Wieviele mühevolle Stunden, sagte ich, hast du, Alter, darauf verwandt, um den künstlichen Fisch mit dem Stocke zusammenzuhängen, dir wäre es leichter gewesen, ihn für sich zu schneiden, und wie grausam müßte es dir dünken, daß ich jetzt aus falscher Scham die schwerste Aufgabe deines mühseligen Werks durchaus vernichten will.
Ich warf mir meine Barbarei vor, und war mit diesen Gedanken schon ins Tor gekommen, ohne es zu bemerken. Es ängstete mich gar nicht, daß die Leute mich aufmerksam betrachteten, wohlbehalten und unverletzt setzte ich in meinem Zimmer den Stock unter andern Kunstsachen nieder. Die Arbeit nahm sich zwar nun nicht mehr so gut aus, als im freien Felde, aber innigst rührte mich immer noch der unermüdliche Fleiß, diese Liebe, die sich dem leblosen Holze, der undankbaren Materie so viele Tage hindurch angeschlossen hatte.
Indem ich das Werk noch betrachtete, fiel mir der Maler wieder in die Gedanken. Es gereute mich nun recht herzlich, daß ich so unfreundlich von ihm gegangen war. Ihm war die Bildung seiner Hand und seiner Phantasie auch so befreundet, die er nun für eine Nichtswürdigkeit einem Fremden auf immer überlassen sollte. Ich schämte mich, zu ihm zu gehn und meine Reue zu bekennen, [269] aber da standen die Gestalten der armen Kinder vor meinen Augen, ich sah die dürftige Wohnung, den bekümmerten Künstler, der, von der ganzen Welt verlassen, die Bäume und benachbarten Felsen als seine Freunde anredete. Armer Correggio! seufzte ich laut, auch dein Lebenswandel ging verloren, wie magst du dich nach einem Freunde gesehnt haben! Wie einsam ist der Künstler, den man nur wie eine schätzbare Maschine behandelt, die die Kunstwerke hervorgibt, die wir lieben, den Urheber selbst aber vernachlässigen. Es ist ein gemeiner, verdammlicher Eigennutz.
Ich schalt meine Scham, die mich an dem Tage fast zweimal zum Barbaren gemacht hatte; noch vor Sonnenuntergang ging ich nach dem Walde hinaus. Als ich vor dem Hause stand, hörte ich den Alten drinnen musizieren; es war eine wehmütige Melodie, die er spielte, er sang dazu:
Von aller Welt verlassen,
Bist du Madonna nah',
Wenn Mensch und Welt mich hassen
Stehst du mir freundlich da,
So bin ich nicht verlassen
Wenn ich dein Auge sah.
Mein Herz klopfte, ich riß die Tür auf, und fand ihn vor seinem Gemälde sitzen. Ich fiel ihm weinend um den Hals, und er wußte erst nicht, was er aus mir machen sollte. Mein steinernes Herz, rief ich aus, hat sich erweicht, verzeiht mir das Unrecht, das ich Euch heute morgen tat.
Ich gab ihm für sein Bild weit mehr, als er gefordert, als er erwartet hatte, er dankte mir mit wenigen Worten. Ihr seid, fuhr ich fort, mein Wohltäter, nicht ich der Eurige, ich gebe, was Ihr von jedem erhalten könnt, Ihr schenkt mir die kostbarsten, innersten Schätze Eures Herzens.
Der Maler sagte: »Wenn Ihr das Bild abholen laßt, so erlaubt mir nur, daß ich manchmal, wenn es Euch nicht stört, [270] oder Ihr nicht zu Hause seid, in Eure Wohnung kommen darf, um es zu betrachten. Eine unbezwingbare Wehmut nagt an meinem Herzen, alle meine Kräfte erliegen, und dies Bild ist vielleicht das letzte, das meine Hände erschaffen haben. Dazu so trägt die Madonna die Bildung meiner gestorbenen Gattin, des einzigen Wesens, das mich auf Erden jemals wahrhaftig geliebt hat: ich habe lange daran gearbeitet, meine beste Kunst, mein herzlichster Fleiß ist in diesem Gemälde aufbewahrt.«
Ich umarmte ihn wieder: wie herzensarm, wie verlassen, wie gekränkt und einsam schien mir nun derselbe Mann, den ich am Morgen noch glaubte beneiden zu können! – Er wurde von diesem Tage mein Freund, wir ergötzten uns oft, indem wir vor seinem Bilde Hand in Hand saßen.
Aber er hatte recht. Nach einem halben Jahre war er gestorben, er hatte mancherlei angefangen, aber nichts vollendet. Seine übrigen Arbeiten wurden in einer Versteigerung ausgeboten, ich habe vieles an mich gehandelt.
Mitleidige Menschen nahmen die Kinder zu sich; auch ich unterstützte sie. Ein Tagelöhner wohnt mit seiner Familie nun in der Hütte, wo sonst die Kunst einheimisch war, wo sonst freundliche Gesichter von der Leinwand blickten. Oft gehe ich vorüber, und höre einzelne Reden der Einwohner, oft seh' ich auch den alten Hirten noch. – Niemals kann ich an diesen Vorfall ohne heftige Rührung denken.