30. An Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg

Frühjahr 1782.


Bist du es, junges Gefühl der Gesundheit, oder des Frühlings
Schaffender Hauch, der so wild meine Gebeine durchtobt?
Oder entreißt zu den Sternen die Freude mich: daß mein erstaunter
Geist im Ätherglanz über den Wolken sich sonnt?
Schone mit deinem Becher; ihn hat der Grazien Sänger
Gleim mit der Zauberkraft seiner Begeistrung geweiht!
Schone, schon', o Weib, mit dem Nektartranke des Rheines!
Kaum noch duldet mein Geist dieser Entzückungen Sturm!
Bäum' und Gebüsche voll Blüten umtaumeln mich rings; die Narcisse,
Tulp' und Päonie tanzt unter Violen umher!
Lämmer im Schatten der Weid', und die Mühle mit kreisenden Flügeln,
Gleitende Kähne des Stroms, Herden auf sonniger Au:
Alles flattert im Schimmer umher; und die Laube, von hellem
Dämmernden Grüne gewebt, zittert und hüllt sich in Glanz.
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Himmel! erhellte den Blick mir ein Genius? Siehe, wie lieblich
Kränzt, um die Wasser Eutins, Fruchtbarkeit Hügel und Thal!
Siehe, wie Stolbergs Braut, geschmückt mit der Blume der Schönheit,
Dort in dem glänzenden Saal unter den Feiernden schwebt!
Eine Hirtin der Flur, und im Hause des Fürsten bewundert;
Stolz wie der Tanne Wuchs, mild wie die Rose des Thals.
Sonnenschein ist ihr Lächeln, und Frühlingsodem die Rede
Ihres Mundes, ihr Laut holder wie Nachtigallton.
Schauernd in trunkener Fülle der Seligkeit, stehet mein Stolberg,
Steht der Unsterbliche dort, heftet den flammenden Blick,
Ungestört von der Freunde, der Freundinnen und der Geschwistern
Winkendem lachendem Spott, ach! auf die Einzige hin.
Sinke doch, Sonn', und erhebe dich, Mond; mitkundige Sterne,
Schimmert, o schimmert doch bald freundlich ins stille Gemach,
Wo gleich blendendem Schnee das heilige Lager emporschwillt,
Unter des Baldachins rauschender Seide versteckt!
Winket den eingedenken Gemahlinnen, daß sie die Jungfrau
Mit triumphierendem Lärm führen ins Ehegemach!
Staunend folgt sie der Fackel, die hold errötende Jungfrau,
Mädchenhaft, ihr Herz banger Erwartungen voll.
Also erbebt und staunet die grünliche Tochter des Zeisigs,
Welche die Schwingen zuerst atmenden Lüften vertraut:
Aus dem wärmenden Nest in des Schleedorns grünem Gekräusel
Flatterte voll Vorwitz oftmal das mutige Kind,
Wenn nach Speise die Mutter umherflog, zwitschernd zum nahen
Rötlichen Erdbeerbeet' oder Syringengebüsch;
Aber jetzt, im Getümmel der mutzujauchzenden Freundschaft,
Wagt sie, vom Scheusal hier, dort vom Geklingel geschreckt,
Durch umsäuselnde Lüfte den Flug zu dem glänzenden Kirschbaum,
Zittert und kostet von fern seine balsamische Frucht.
Also wankt zu der Kammer die Jungfrau: süße Verwirrung
Hebt ihr die Brust, und fliegt zuckend durch Mark und Gebein;
Eile den jauchzenden nach! Was zauderst du? eile, mein Stolberg!
Deiner Braut ist der Kranz schon von den Locken geraubt!
Eile, geneuß die hehre, die feierlichste der Stunden,
Welche die himmlische Lieb' ihren Geweiheten schenkt:
Wann dein siegender Arm sie umfaßt, und die schüchterne Jungfrau,
Die sich lange nicht mehr sträubte, von neuem sich sträubt;
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Wann der entfliehende Atem, der raschere Puls, und der volle
Hingeheftete Blick, und die umströmende Nacht,
Wann der bräutliche Kuß auf bebender Lippe, der leise
Stammelnde Laut, und ihr, Thränen der seligen, ach!
Überseligen Wonn', in die Tiefen der Seele hinabruft:
Trautester, Trauteste, du! leben und sterben mit dir!
Siehe, des Himmels Segen umströmen euch: Töchter und Söhne
Blühen, edel wie du, schön wie die Mutter, empor!
Schöner und edler als ihr! ein Garten Gottes! Der Nachwelt
Bieten sie, Palmen am Bach, Stärkung und schattendes Kühl!
Aber noch strahlt am Himmel die Sonn', im goldenen Lager
Schlummert Hesperus noch, keuchend noch ackert der Stier.
Noch ertönt der Freunde, der Freundinnen und der Geschwistern
Jubelgetön; noch klingt, voll des hungarischen Weins,
Heller Kristall, o Braut und Bräutigam, eure Gesundheit,
Wünscht euch höhnend noch nicht eine geruhige Nacht.
Wehe mir! Berg' und Thäler und braune Wildnisse sondern,
Und der rauschende Strom, uns, o Geliebte, von euch!
Sonst frohlockten und klingten auch wir! kein froherer Glückwunsch
Tönt' in das Jubelgetön, und in den Klang des Kristalls!
Dennoch freun wir uns hier einsiedlerisch! Blumen des Frühlings,
Kränzen uns: Braut ist mein Weib wieder, und Bräutigam ich!
Aber nicht lange mehr schaun wir, o ländliche Hütten der Freiheit,
Euch, von Eschen umgrünt, durch die Gefilde verstreut;
Eurer Ähren trotzigen Wuchs, und der blühenden Rapsaat
Gelbe Flur, von grünschilfichten Graben gestreift.
Bald verlassen wir segnend dies oceangrenzende Blachfeld,
Welches der kühne Fleiß brausenden Wogen geraubt.
Oftmals fodert die Elbe, begleitet vom herbstlichen Nachtsturm,
Mit hochbrandender Flut, zornig ihr altes Gebiet:
Schreiend fliegen die Möven ins Land; des jammernden Pflügers
Rosse mit Säcken voll Schutt eilen zum hallenden Teich;
Und von den donnernden Schleußen geschreckt, entfliehet die Medem,
Strudelnd und hochgedrängt, heim in ihr mütterlich Moor,
Wo mit Kähnen ins Haus der arme Bewohner des Sietlands
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Rudert, zum flammenden Torf auf dem erhobenen Herd.
Ach! bald eilen wir hin in Eutins fruchtwallendes Seethal,
Über den rauschenden Strom. Thäler und Berge dahin:
Wo der Wald uns schattet, wo frische Quellen uns sprudeln,
Und am Bache den Mai singend die Nachtigall grüßt,
Und, o Wonne! wo ihr die lieblichsten Gäng' uns umherführt.
Stolberg, du und dein Weib! Aber schon weniger schlank,
Ruht sie oft; dann blickest du lächelnd sie an; sie errötet
Nicht ungern, und küßt dir von der Lippe den Scherz.

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TextGrid Repository (2012). Voß, Johann Heinrich. Gedichte. Oden und Elegien. 30. An Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg. 30. An Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8834-2