Schnipsel

Jakubowski war ein blutiger Laie.

Prophezeien? Prophezeien kann ungestraft jeder. Es genügt schon, daß mans tut. Zu stimmen braucht nachher nichts, denn es blättert ja keiner zurück. Die Prophezeiung ist, genau wie das geschäftliche Urteil über Kunstwerke, ein Wechsel, der auf die Zukunft gezogen ist. Es fragt sich, wer zieht. »Aber Rothschild hat doch gar nicht unterschrieben!« sagt jener in der Anekdote, wo einer einen solchen Wechsel unterbringen will. »Eine Unterschrift wollen Sie bei Rothschild auch noch?« erwidert der andre. In Erfüllung gehen sollen Prophezeiungen auch noch?

Man sage in seherischem Tonfall dummes Zeug, und man wird eines gewissen Erfolges nicht entraten.


KPD. »Schade, daß Sie nicht in der Partei sind – dann könnte man Sie jetzt ausschließen!«
Man achte immer auf Qualität. Ein Sarg zum Beispiel muß fürs Leben halten.

Du mußt über einen Menschen nichts Böses sagen. Du kannst es ihm antun – das nimmt er nicht so übel. Aber sage es ihm nicht. Er ist in erster Linie eitel, und dann erst schmerzempfindlich.

»Muß denn immer gleich von Liebe die Rede sein?« – Ja.
Nichts verächtlicher, als wenn Literaten Literaten Literaten nennen.

»In unsrer Zeit . . . « sagen die Leute, und sind sehr stolz darauf. Das klingt oft wie: »Bei uns in Tuntenhausen . . . « Es gibt Kleinstädter, und es gibt Kleinzeitler. Das Wort ›heute‹ wird zu oft gebraucht.

Wenn wir einen Menschen, der sich unbeobachtet glaubt, langsam und mühselig-genußvoll in der Nase bohren sehn, so versetzt uns dieser Anblick in eine kribblige, eigentümliche Wut. Man möchte ihm auf die Finger hauen, diesem unerzogenen Rüpel . . . nun hör doch schon endlich auf . . . na, Gottseidank!

Selber popeln macht fett.


Bei einem französischen Theaterautor, A. Achaume, steht eine herrliche Szene vom Wahnwitz der Maschinenherrschaft.

Ein Mann empfängt einen andern. »Bitte, nehmen Sie Platz! Was führt Sie her?« Und bevor der andre zu Worte kommen kann, sagt [20] der erste: »Einen Augenblick mal!« und telefoniert. Und telefoniert und telefoniert . . .

Das habe ich auch geschrieben. Aber die Pointe wäre mir nie eingefallen:

Der Besuch steht auf und schickt sich an, zu gehn. »Aber bitte«, sagt der Mann mit dem Hörer in der Hand. »Einen Augenblick doch nur . . . «

»Nein«, sagt der Fremde. »Wissen Sie was? Ich rufe Sie an.«

Die unleidliche Gewohnheit, Besuchern etwas vorzutelefonieren, ist selten witziger glossiert worden.


Er war eitel wie ein Chirurg, rechthaberisch wie ein Jurist und gutmütig wie ein Scharfrichter nach der Hinrichtung.

Es gibt Schriftsteller, die können sich viel vorstellen. Aber daß sie einmal nicht dabei sind, das können sie sich nicht vorstellen. In vielen Läden der Literatur herrscht heute großer Rumor, die Chefs nehmen das Inventar auf und blasen den Staub von den alten Stücken. »Frollein, da müssen doch noch ein paar nationale Sachen am Lager sein . . . « Das Fräulein kramt sie hervor; wenn man sie etwas abputzt, sind sie noch wie neu, und bald wird – keine Sorge, ihre Lieben! – frische Ware hereinkommen. »Wir haben das nämlich immer geführt.« Nur nicht isoliert bleiben! Ein guter Bankier geht jeden Tag zur Börse, das ist das halbe Leben.

Kerle wie Mussolini oder der Gefreite Hitler leben nicht so sehr von ihrer eignen Stärke wie von der Charakterlosigkeit ihrer Gegner.

Um mich herum verspüre ich ein leises Wandern. Sie rüsten zur Reise ins Dritte Reich.


Frank Thiessens Geschreibe ist wie Musik: der Hörer darf sich alles mögliche dabei denken, ist imstande, nachher gebildet darüber zu sprechen, und es verpflichtet zu gar nichts.

Wenn man sich entmaterialisieren könnte –: ich wollte wohl einmal Hitlern als Gespenst erscheinen. Aber in welcher Gestalt? Das beste wird sein: als Briefmarke. Es gäbe da manche Möglichkeiten,


Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1932. Schnipsel. Schnipsel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6B27-C