Sorrent

Wie die Tage so golden verfliegen,
wie die Nacht sich so selig verträumt –
wenn am Abend bechiffonte Ziegen
vor der Theke sich wogen und wiegen –
wo der Sekt Gottbehüte noch schäumt . . .
Wo im Schleier – ich danke, Herr Franke –
junge Nutten den Beifox vollziehn . . .
O du schimmernde Blüte der Panke!
Sei gegrüßt, du mein schönes Berlin –!
Und die Nacht, wenn bei Rotters sie toben,
dem Claqueure der Handschuh zerplatzt –
wenn Annoncen, so bilderdurchwoben,
ihre Herren preisen und loben –
wenn die Loge futtert und schmatzt . . .
»Wat is denn det hier forn Jestanke?
Wer eßt hier Käse? Ham Sien?« . . .
O du schimmernde Blüte der Panke!
Sei gegrüßt, du mein schönes Berlin –!
Wo mit müde verzogenen Lippen
junger Gent kalten Schleichhändler frißt –
wo Chauffeure die schweinernen Rippen
in die fettige Brihsuppe stippen –
wo der Fahrgast die Taxe vergißt . . .
Da begrabt mich mit Efeugeranke,
mit Ranunkeln und weißem Jasmin – –
[453]
Hier leben? Mensch, welch Gedanke!
O du schimmernde Blüte der Panke!
Sei gegrüßt, du mein schönes Berlin –!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1920. Sorrent. Sorrent. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6837-2