Was nun –?
»Großes Hauptquartier, 25. Februar 1918.
In Brest-Litowsk soll behauptet worden sein, daß ich mich für einen annexionslosen Frieden und das Selbstbestimmungsrecht der Völker erklärt hätte. Indem ich eine derartige Zumutung mit Entrüstung zurückweise, ersuche ich Ew. Hochwohlgeboren . . .
v. Hindenburg.«
Dem der Krieg wie eine Badekur bekommen ist, der wird Präsident der Deutschen Republik, die es nun wohl nicht mehr lange sein wird. Sie hats verdient.
Mit einem Dank an Niedner dürfen wir das Pappschildchen: ›Herzlich willkommen!‹ an die Wilhelmstraße nageln. Dieser Vorsitzende der letzten Veranstaltung vor dem Staatsgerichtshof hat die Kommunisten, die das Zünglein an der Wahlwaage bildeten, durch Prozeßführung und Urteil derart aufgebracht, daß jeder Appell an ihren politischen Verstand erfolglos bleiben mußte. Sie wollten eben nur demonstrieren, sie haben demonstriert, und das kam dem alten Mann zugute. Was hätten sie von Marx auch erwarten sollen? Mehr als zum Tode verurteilen – und in solch einem Prozeß verurteilen! – kann selbst Herr Hindenburg sie nicht. Der ›Vorwärts‹ hat nicht die leiseste Veranlassung, den Mund aufzureißen: seine Prozeßberichte aus Leipzig hätten in jedem Generalanzeiger der Provinz Ostpreußen stehen können – er ist der allerletzte, der den Kommunisten auch nur Verhaltungsmaßregeln zu geben hätte.
Nicht zu vergessen sind aber die Demokraten. Drei Millionen Stimmen hat der neue Präsident und Sieger von Compiègne bekommen von solchen, die im ersten Wahlgang nicht gewählt hatten. Dieser erste Wahlgang . . . ! Ein französischer Sozialist, der sich nach Eberts Tode in Deutschland aufhielt, sagte mir, er hätte so etwas Hilfloses wie die Politiker der Linken in dieser Epoche kaum je gesehen. Statt sich sofort auf Marx zu einigen, zerfielen sie in Vereinsgrüppchen, arrangierten die unsagbar alberne Hellpach-Komödie, die wieder einmal zeigte, wie diese Partei nur aus ihrer Presse besteht (Thälmann, der Kommunist, schlug Hellpach spielend) – die Aufstellung von Braun und Hellpach hat Hindenburg erst möglich gemacht. Aber woher kommen die drei Millionen?
Der Reichsblock hat sie mit ungeheurer Gewissenlosigkeit und Geschicklichkeit an sich gezogen. Und warum nicht die Linken?
Weil die Linken sich an die Person Hindenburgs nicht herangewagt haben; weil sie immer wieder, in allen Reden und Aufsätzen, die hohe Verehrung und Liebe betonten, die sie für dieses Idol preußischer Mannheit empfänden; weil sie den alten Mann hochleben ließen, in [106] Respekt zu ihm aufsahen, ihn anhimmelten – und dann empfahlen, Marx zu wählen. Ich weiß, wie schlau sich die Nachtlichter dabei vorgekommen sind. Wie feine Psychologen sie sich deuchten, wie diplomatisch sie vorzugehen glaubten! Mit so kindischen Halbheiten lockt man keinen Wähler hinter der Zentralheizung hervor. Eine Wahlparole braucht nicht gemein zu sein – aber einfach und klar muß sie sein. Wenn man dieses patriotische Zeugs da las, war wirklich nicht einzusehen, warum man Marx wählen sollte. Alle Voraussetzungen waren günstig für Hindenburg – warum ihn nicht wählen? Man hat ihn gewählt. Mancher lernts nie.
Die berliner Börse legte für Marx Odds: – 2:1. Man stelle sich ein Geschäft vor, bei dem die Makler derart falsch tippten! Wie pflegte unser alter Georg Metzler zu sagen? »Jeder Börsianer ist außerhalb seines shops ein Esel.« Nicht nur ein Esel. Diese größenwahnsinnigen Liberalen alter Richtung, die zwischen dem Börsenbuffet und Heßler immer nur sich sehen und als einzigen Repräsentanten des ›Volks‹ den Chauffeur – sie haben keine Ahnung von der wahren Lage im Lande. Ihre Zeitungen sagens ihnen nicht und suggerieren sich und ihnen: was nicht gewürdigt werde, existiere nicht. Es existiert. Es lebt, wählt und siegt. 2:1 –! Ein Beispiel mehr, das zeigt, was von den politischen Instinkten der Börse und der Kaufleute zu halten ist. Sie sehen nicht, sie hören nicht, und der himmlische Vater ernährt sie doch.
Das deutsche Volk ist also in zwei Hälften gespalten: die Hindenburg-Minorität umfaßt etwa fünfzehn Millionen Wähler; die andern – Marx-Leute, Kommunisten und Nichtwähler – etwa siebzehn. Was nun –?
Der kaiserliche Statthalter ist in der denkbar schlimmsten Gesellschaft. Sie wird ihn beraten? Sie wird regieren. Und er wird tun, was er sein ganzes Leben getan hat: er wird unterschreiben.
Er wird unterschreiben.
Die Reinigung der Verwaltung – soweit sie noch notwendig sein sollte . . . Die letzten republikanischen Richter werden bald ausgehaucht haben. Die Schule wird völlig in Nationalismus verkommen. Die Reichswehr gehorcht dem neuen Mann blind – es ist sogar möglich, daß der aalglatte und undurchsichtige Seeckt dabei fällt; denn er ist viel klüger und weitblickender als die Putschisten, die da jetzt Politik machen wollen. Das ›Republik‹ firmierende Reich wird hoffentlich die Farben wechseln, damit man schon auf weite Entfernung erkennen kann, mit wem man zu tun hat; Kritik am kaiserlichen Feldmarschall wird auf Grund des Gesetzes zum Schutz der Republik bestraft werden, und für den Rest und den neuen Anfang hätten wir den Artikel 48 der Reichsverfassung, die der Tirpitz-Kandidat beschwören wird. Wie seinen Soldateneid.
[107] Die französische Presse erregt sich nicht übermäßig, weil für sie der Unterschied zwischen Marx und Hindenburg nicht so groß ist wie für uns. Wir aber kennen die entsetzlichen innenpolitischen Folgen, die die Wahl des alten Mannes haben wird – außenpolitisch betrachtet, haben die Franzosen allerdings nicht ganz so unrecht . . . Wenn man immer wieder hören mußte, wie Hindenburgs Wahl den amerikanischen Anleihen schaden würde, wie der deutsche Kaufmann sich und andern sagte: »Nationalismus – in Gottes Namen – ja! Aber nicht so laut! Aber nur die Geschäfte nicht stören!« – dann war man gewiß, auch auf der andern Seite nicht grade die ideale Garantie für den Frieden zu haben. Eine Maske ist von Deutschlands Gesicht gefallen? So feierlich kann ichs gar nicht nehmen: hier gibt es schon lange nichts mehr zu maskieren.
Und was nun –?
Wir dürfen wieder von vorn anfangen. Wir dürfen da anfangen, wo der kaiserliche Hanswurst im Jahre 1914 aufgehört hat – denn seitdem hat sich in Deutschland aktiv-geistig nichts verändert, es sei denn: zum Schlechten.
Mißtrauen auf der ganzen Welt, äußerste Gefährdung aller auslandsdeutschen Beziehungen und, das Schlimmste: die Währung. Mit Schacht ist es wie mit der heiligen Dreieinigkeit: man muß dran glauben. Tut mans nicht, ist alles zum Teufel: das kaufmännische Vertrauen, die Geschäfte und die Rentenmark. Diese Burschen da sind die Totengräber Deutschlands.
Was auch immer die alte Entente uneinig gemacht und fast zum Zerfall gebracht hat: gegen Hindenburg ist alle Welt einig. Und bevor wir uns mit dem Politiker Hindenburg befassen, mit dem, der bei Bethmanns Sturz gefragt wurde, wer denn nun folgen solle, und antwortete: »Aber der Nächste natürlich . . . der Nächste!« – bevor wir uns mit diesem so vorgebildeten Präsidenten beschäftigen, ist zu sagen:
Es gibt eine Anzahl Deutscher, die zu Hindenburg nicht in Verehrung aufblicken, die in ihm nicht die Idealgestalt unsrer Zeit sehen, die seine Qualitäten nicht schätzen, und die ablehnen, mit diesem Mann in irgendeiner Form identifiziert zu werden. Wir lehnen ihn ab – auch dem Ausland gegenüber. Diese lächerlichen Rücksichten, ›man dürfe sich nach außen hin nicht kompromittieren‹, haben hier aufzuhören. Wenn es unter den Demokraten, den Sozialisten und selbst unter den Pazifisten noch Leute gibt, die für ultraschlau halten, ›Taktik‹ mit den vollendet gut informierten Franzosen und Engländern zu treiben, so muß ihnen gezeigt und gesagt werden, daß sie ultradumm sind. Wir pfeifen auf ihr Nationalgefühl – wir sind zunächst einmal für europäische Anständigkeit.
Was nun –?
[108] In Frankreich beginnt, sechs Stunden nach dem berliner Telegramm, der Angriff gegen das Kartell der Linken, und die Wahl Hindenburgs wird gewissermaßen Herriot angekreidet. Sie wird weiterhin außen- und innenpolitisch ausgemünzt: innenpolitisch gegen das Kabinett Briand, das der Rechten noch nicht zusammengesetzt genug ist, und das sie eindeutig haben will – außenpolitisch: Da habt ihr die Deutschen! Den Kriegsminister im französischen Parlament wird bald ein Sergeant vertreten können – so leicht wird er seine Forderungen durchdrücken. In Deutschland . . . ?
An eine geschlossene Haltung der Politiker und der Straße gegen den alten Mann ist da nicht zu denken. Ein politisch denkendes Volk zöge die Fensterladen zu, wenn er vorbeiführe, ginge nicht auf die Straße, wenn er Paraden abhielte, weigerte sich, mit dem Mann politisch zusammenzuarbeiten – weil wir nicht zu ihm gehören und er nicht in die Republik, weil er nicht einer der unsern ist, und weil er diesen Krieg geführt, verteidigt und gepriesen hat. Sie werden ihn bestaunen und fotografieren, wenn er, immer mal wieder treu, die Verfassung beschwört – sie werden schmockig registrieren, daß er sich dabei ›durchaus würdig‹ benommen und keine Kanone im Sitzungssaal abgefeuert habe, sie werden konstatieren, daß er doch noch recht rüstig, oder daß er alt aussähe – alles, alles: nur ignorieren werden sie ihn nicht.
War es nur taktische Klugheit, ihn im Wahlkampf für den andern so hoch zu preisen? Ein klein wenig Liebe war alleweil dabei. Es sind ewige Unteroffiziere. Sie können nicht anders.
Und solange sie sich diese Tätowierung nicht haben entfernen lassen, solange sie nicht mutig und scharf ohne jede Rücksicht auf Situation, Prestige, Ausland, Presse und Gegenpartei den verruchtesten und seelenlosesten Nationalismus abgelehnt haben: so lange ist an keine Heilung zu denken.
Was nun –? Nun eine bittere, schreckliche, blutige Lehre. Die tausendfach verdient ist.