Oskar Panizza

Herr Moltke brauchte einst die Phrase: »Das Heer ist gegen Deutsche da – man säubert damit von der Straße die Menschen, die dem Schloß zu nah' gewagt sich« – beim Champagnerglase fand seine Rede viel Hurrah! Doch irrt euch nicht. Ihr lieben Kinder der Gasse, denn kommt einst die Uhr, macht gegen Kronen und Cylinder Ihr Front und sagt Choc en retour!

Oskar Panizza


Oskar Panizza. Diesen Mann kennen heute nur noch ganz wenige, und auch seine Bücher sind größtenteils vergriffen, und er selbst lebt in Franken in einem Irrenhaus. Dahin brachte man im Jahre 1904 den Dr. Oskar Panizza, der wohl, als er noch bei Verstande war, der frechste und kühnste, der geistvollste und revolutionärste Prophet seines Landes gewesen ist. Einer, gegen den Heine eine matte Zitronenlimonade genannt werden kann und einer, der in seinem Kampf gegen Kirche und Staat, und vor allem gegen diese Kirche und gegen diesen Staat, bis zu Ende gegangen ist. Goten und Römer haßte er gleichmäßig, und er haßte sie mit einer Inbrunst, einer Kraft und einem [376] so starken Gefühl, daß die Flammen von damals noch heute zu uns herüberschlagen und uns ansengen, als habe man sie heute angezündet. Für seine Komödie›Das Liebeskonzil‹ wanderte Oskar Panizza anderthalb Jahre wegen Gotteslästerung ins Gefängnis – und abgesehen davon, daß man den § 166 des deutschen Strafgesetzbuches, der da die Gotteslästerer verdammt, abschaffen sollte: dieses Urteil traf gewiß keinen Kleinen, denn er hatte die Faust zum Himmel hinauf geschüttelt und Gott wirklich gelästert –, weil der die Syphilis erfunden hatte. Es gibt keine Stelle in dem gesamten Schaffen Wedekinds, die an Kühnheit und Große an diese Szenen heranreicht.

Im Gefängnis schrieb Oskar Panizza allerhand Dialoge und Verse, und als er dann entlassen wurde, ging er nach Paris. Von dem, was er damals im Jahre 1896 – also vor vierundzwanzig Jahren – über sein Land und über sein Volk geschrieben hat, ist uns einiges auf bewahrt. (Diese Dinge dürfen heute in ihrem vollen Umfange noch nicht nachgedruckt werden, weil das Urheberrecht es verbietet.) Und da gibt es einen Dialog zwischen einem Optimisten und einem Pessimisten, der könnte heute geschrieben sein –

»Meinen Sie, daß ein Volk, welches Jahrhunderte lang gefrondet wurde und in der Fron sich wohlbefand, jemals aus eigenem Antrieb den Blick zum Himmel erheben werde, jemals den Kopf aufrecht tragen lernen werde?« – »Haben wir nicht die Franzosen niedergeschlagen?« – »Ja, in der Fron.« Und dann entwickelt der Optimist (und das wäre der brave Vollbartdeutsche) dem andern, dem Pessimisten, dem Revolutionär die Wohltaten der deutschen Freiheit, die so ganz anders ist, als die aller andern Völker . . . Und sie unterhalten sich über Regierungsformen. – »Sie geben also die Wohltätigkeit einer monarchischen Regierungsform zu?« – »Ich gebe die Wohltätigkeit einer Regierungsform zu – wenn hinter dem Volk der Scharfrichter steht.« Und man denkt an Rosa Luxemburg und an Liebknecht und Paasche und alle die andern, wenn der Pessimist sagt: »Bis jetzt haben die Deutschen vom Köpfen leider immer nur die passive Form: das Geköpftwerden kennen gelernt.« Und dann zählt er die Opfer der herrschenden deutschen Dynastien auf, Schubert und Schiller, und spricht davon, wie es sich die kleinen Bürgermädchen als eine Ehre anzurechnen hatten, wenn ihr Fürst Höchstselbst sie zu bespringen geruhte. Und er kommt zu dem Ergebnis, das noch heute gilt: »Nehmen Sie die Fürsten weg, und es bleibt eine hilflose Masse, hilfloser als ein Kind.« – »Sind sie nicht glücklich?« – »Eminent glücklich.« Hier liegts ja eben. Das Kindische. Das Tölpelhafte. Sie sind in der Fron glücklich und merken es nicht. Wie der Nigger auf den Reisfeldern beugen sie den breiten Rücken unter der Peitsche des Aufsehers und fletschen noch humoristisch den Passanten an, der an ihnen vorbeigeht . . . Und dann wird der Pessimist ganz konkret und spricht ohne Umschweife von Berlin: »Gehen [377] Sie nach Berlin! Was sehen Sie dort? Ist es nicht der asiatische Ton, der dort herrscht? Der Ton des Väterchens? Die Kniebeugung vor dem Mufti? Muckte Berlin jemals auf vor seinem Fürsten? Was ist das Höchste, das Berlin leistet? Eine Zote oder ein schmutziges Bonmot über ihn. Das ist immer so: Wem die Hände gefesselt sind, dem schlägt sich die Wut ins Gehirn. In Berlin werden täglich 40000 Majestätsbeleidigungen begangen – im Flüsterton. Erscheint er aber, dann regt sich in ihnen das asiatische Gemüt, und sie stürzen zu Boden und küssen des Rosses Hufe. Sind es keine Hausknechte? Wollen sie mit diesen Leuten die Welt erobern?« – Und ist dieses Wort nicht noch heute in der freiesten Republik der Welt genau so gültig, wie es damals in der konstitutionellen Monarchie gültig war? – »Heute? Heute, wenn einer einen freien Gedanken ausspricht, bleiben ihm nur drei Wege: Irrenhaus, Gefängnis oder die Flucht«, auf der man dann erschossen wird . . .

Merkwürdig prophetische Worte finden sich in diesem Dialog. Es ist da soviel von asiatischer Sklavenhaftigkeit die Rede, und dann steht da: »Berufen Sie sich nicht soviel auf den Osten. Erwarten Sie nicht soviel knechtisches mehr von Rußland (1896). Dort hat es längst getagt. Jeder Gedanke ist dort ein Zündstück, jedes Gemüt eine Mine. Rußland, dieses lauernde Gehirn, wird eines Tages fürchterlich hervorbrechen, und das Volk der Bakunine und Dostojewskis wird sich seine Freiheit erköpfen.« Und bitter, hart und wie ein Peitschenknall schließt der Dialog: »Ich traue diesem Volke nicht, soweit es denkt. Denn soweit es denkt, ist es feig.«

Panizza stand dem Sozialismus nicht so nahe, daß er von großem Einfluß auf seine Werke gewesen wäre. Hier begehrt einfach ein Mensch gegen die Deutschen auf (das ist mitunter ein Gegensatz) und was dabei herauskommt, wenn sich ein Mann z. B, beim preußischen Militär rein menschlich und eben nicht militärisch benimmt, das wissen wir wohl alle. Weil aber die Literatur dieses Landes und seine Denker der Wirklichkeit gewöhnlich himmelweit voranstürmten und weil ja noch der bescheidenste Revolutionär aus dem Jahre 1848 heute, unter dem Panke-Sozialisten Ebert, ein Revolutionär ist, deshalb scheint es mir gut, von Zeit zu Zeit einen alten Wein aus dem Keller zu holen, ihn gegen das Licht zu halten und zu sehen, daß er alt, aber immer noch neu ist.


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1920. Oskar Panizza. Oskar Panizza. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-662A-E