Pallenberg

In der Bahnhofshalle, nicht für es gebaut, geht ein Huhn hin und her . . .

Christian Morgenstern


Da ist ein unterirdischer länglicher Raum, rötlich-gelb erhellt durch japanische Lacklampions, rot und gelb schreien die Farben, und dunkel schließt eine kleine Bühne die Schmalseite ab. Erhitzte Gesichter schwimmen auf dem Meer bewegter Schultern, Arme heben sich, Getöse, Lärm . . . Und dazwischen quäkt und zimpert eine kleine Kapelle immer dasselbe Thema: Pum, pum, pum – pum, pum, pum . . . und dann mit Beckenschlägen einen quietschenden Lauf, der den Magen erzittern macht.

Wenn sich aber nun der Vorhang hebt, so wird da ein rothaariges, zwergenhaftes Scheusal stehen und das so hübsch ausgedachte Festspiel zerstören. Es hüpft und quäkt mit der Musik, gegen sie – es ist unausstehlich, es wird aufmerksam ein schönes rührendes Lied der gefangenen Mutter anhören, aber statt ihr beizustehen, sie anfahren: »Mehr vornä mußt du das singän!« – und als Schlußapotheose wird es butterig lächelnd sich um eine alte zerborstene Säule winden, die Inkarnation der Häßlichkeit, und auf der Säule wird in zittrigen Buchstaben stehen:


PALLENBERG


In einer pompösen Villa zu Essen (im Hause Krawehl) gibt es diesen ›Raum für improvisierte Feste‹ – auch Pallenberg gibt es – man hat sie nur noch nicht zusammengebracht.

Wahrlich, diesen hat die Hölle ausgespien, aber Gott Vater gab ihm den kindlichen Sinn und die fröhliche Unachtsamkeit des Blödrians.

Dieser Einzige ist imstande, wahrhaft grotesk zu sein: bis zu der Grenze, an der die Komik in Grauen umkippt. Er ist nacheinander rührend und grausam und beschränkt und giftig und von einer fast schmerzlichen Lustigkeit.

Dreimal sah ich ihn, und dreimal begriff ich, welche Schande dies ist: ein Mensch zu sein, da dieser ein Mensch ist.

Das erste Mal geschah es in einer kleinen dummen Posse, deren Titel und Verfasser ich längst vergessen habe. Damals kannte ihn noch [82] keiner in Berlin, er war zu einem Sommergastspiel herübergekommen. Welch ein Mensch! Wie kroch er nicht feuerhaarig und widerborstig über die Bühne, ein kleiner Haustyrann, ein wahrhaftig Abbild eines Großen. Seine Stimme klang wie eine Kindertrompete. Er befahl, widerrief, quälte – drei Grade zurückgeschraubt, und man hatte einen, Hunderte kleiner Familienkönige. (Ich weiß nicht, ob es das Wort ›Boosnigel‹ gibt – so war er.) Aber rührend war doch, wenn er allein gelassen wurde, wenn weichere Gefühle ihn überkamen, wenn er seine Härten, seine Kanten vor sich selbst wie mit göttlicher Mission entschuldigte, wenn die böhmisch holprige Stimme brüchig, heiser durch eine Tür rief: »Ssagen Ssie ühr, ssie kann mich . . . « und dann mild, engelsgleich, in einem verstockten piano: »Haben Sie keine Angst, ich sags nicht.« Man ging damals schon aus dem Theater, im Innersten angerührt, ein leichtes Grausen wehte von ihm her – schon damals zeigte er, daß sich letzten Endes Tragik und Humor berühren, eins werden.

Das zweite und dritte Mal war er Jupiter und Menelaus. Eigentlich beide Mal derselbe (als Zeus gewaltiger): ein gekränkter, schwacher, jämmerlicher, zerrupfter Hahn. Aber was war aus diesem Menschen geworden!

Welcher Teufel soufflierte ihm, was tat er mit der Sprache! Rasend schnell hatte er begriffen, daß es gar nicht darauf ankam, mit welchen Lauten man ›Eifersucht‹ oder ›Hunger‹ ausdrückte. Er wirbelte die Buchstaben herum, die Gedanken schlugen, noch unausgesprochen, Kobolz, und es hagelte Worte wie: »Bittä, Amt Steinpilz«, oder: »Sie waren splitterallein«. Fremdworte wurden unbewältigt angefressen, liegen gelassen und verfaulten, irgend welche Silben schlängelten sich in die wohlgefaßten Sätze und erdrosselten sie . . . So ausgestattet zog die arme Kreatur aus, um die Götter zu beherrschen, um Sparta zu regieren.

Den Humor haben viele, keiner – das andre. Man möchte sich einen alten Affen denken, den noch eine dünne Schicht vom Urmenschen trennt, eine schmale Kluft, aber er wird es nie erreichen; und es gibt fürchterliche Momente, wo er kurz vor der Erkenntnis steht. Und es ist ein Beweis für die Größe dieses Künstlers, daß er die stockenden Sekunden wegwischt mit einem selbstgenügsamen blöden Lächeln: Weiter, ich bin Objekt – was ist da zu tun? Ach, und wie abhängig ist dieser Armselige! Ein Gewitter geht vor sich, und er kriecht eine Wand herauf, in der Ungewissen Angst des hin- und hergeschleuderten Menschen; alle hüpfen, auch er hüpft, aber seine Beine sind die hilflosesten, die traurigsten; auch sie hüpfen, nun, man hüpft, warum nicht? Und noch lange, als schon alles verstummt ist, bewegt er sich in angelerntem Rhythmus, glückselig, einen Konnex mit der Außenwelt gefunden zu haben. Er wechselt, er irritiert, er flimmert: er tritt auf, an einem Apfel kauend, sich stets entschuldigend, daß er da ist, seine runden [83] Tieraugen blicken gänzlich verständnislos in eine lachende Welt, und man versteht das, man begreift die Schwere seines Daseins und gönnt ihm sein bißchen Futter. Die erste Sängerin hat etwas zu tremolieren, und auch er kugelt gluckernd, verachtungsvoll ein paar hohe Triller heraus, wie ein Kastrat, so nebenbei . . . Er muß im allerhöchsten quäkenden Falsett fragen: »Was sind denn das für Nymphen?« und gleich darauf, plappernd, glücklich, reden zu können: »Kennen Sie schon den neusten Witz? Zwei Juden sitzen in der Eisenbahn, da sagt der eine . . . « Er wird das nie zu Ende erzählen, er weiß es auch gar nicht fertig zu bringen, aber er hat es so gehört, so macht er es nach. Er ist plastisch bis zur Unkenntlichkeit. Er sagt nicht: Ich bin ein Trottel. Er sagt: »Also, wenn mich ein Spartaner da gehen sehen mecht, so wird er sagen, wenn er mich da wird gehen sehen, da, da! Also, was siehst du dorthin, wenn ich da zeige?! – aber, ich kann es ja auch dort zeigen. Also, wenn mich dort ein Spartaner . . . « In infinitum. Er kraucht auf seinen Königsthron wie ein alt Weiblein auf eine Hutsche, flimmernd wackelt die Glorie um sein Haupt wie ein verwelkter Hahnenkamm, und Gnade Gott, wenn er gereizt wird! Dann spricht er exakt, mit langausgedehnten Endsilben und fein und deutlich wie ein Grammophon oder eine Kokotte vor Gericht.

Wenn es eine menschliche Würde gibt – Pallenberg tritt sie mit Füßen. Es macht ihm Behagen, leere Gesten bloßzulegen, Inhalte als luftig abzustreifen, Hohlheiten aufzuzeigen: So seid ihr – seht! so sind wir!

Einmal packte ihn – außerhalb des Rollentextes – das Lachen, er kugelte sich auf seinem Thron, konnte seine Rede nicht beenden, kreischte und spuckte, und eine Wolke von Mißbehagen blies das vergnügte Scheusal um sich herum . . . Aber wenn er litt, lachten die andern. Und dies war nur eine kleine Vergeltung für die Tücke und Bosheit, mit der er gegen sie wütete, wann er nur konnte. Aber er kann nicht! Er kann nicht! Und so verbirgt er Haß, Neid, Wut, Impotenz hinter seiner holden Blödheit, die ihn grinsend selbst die Krone zum Gruß lüften läßt. Hier und da spuckt er und bricht heraus, und man ist erstaunt über so viel Gift und so viel Galle!

Er ist ein Teufel, ein entgleister Gott, ein großer Künstler.


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1913. Pallenberg. Pallenberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-62E0-7