Der Affe auf dem Leierkasten

Von einem sicheren Versteck aus hatte der Amerikaner genau beobachten können, wie die Affen nach schier endlosem Geschnatter aus ihrer Mitte einen Anführer wählten, und zwar jenes Exemplar, das schon während seiner Gefangenschaft als gänzlich vertrottelt allgemein aufgefallen war, und ihm sodann Goldpapier, das sie in einer zertrümmerten Kiste gefunden, auf das Gesäß klebten.

Gustav Meyrink: ›Schöpsoglobin‹


Der Affe auf dem Leierkasten hat mitunter eine Uniform an, ein goldumrändertes Käppi auf, an das er grüßend die Hand legen kann, vielleicht auch einen kleinen Säbel – und er ist sehr stolz auf all das. Denn eine richtige bunte Uniform imponiert sogar einem Affen. Er wäre ja sonst keiner.

Weil wir gerade vom uniformierten Affen reden: Da ist eine behördliche Verordnung herausgekommen, die das rigorose Verbot, die Uniformen des alten kaiserlichen Heeres zu tragen, neu regelt, mildert, so gut wie aufhebt . . . Die alte Uniform darf demnach getragen werden:

bei Kirchgängen – bei Leichenbegängnissen – bei wichtigen Familienfestlichkeiten – bei feierlichen Veranstaltungen unpolitischer Vereine.

Also wie bisher: stets.

Wir wollen uns richtig verstehen: Der feldgraue Rock ist an sich gar nichts anderes als ein Stück Zeug. Erst durch unsere Betrachtungsweise wird er etwas: eine Provokation, ein ehrendes Andenken, eine Belanglosigkeit, ein Hohn – je nach dem Träger und je nach dem Besitzer.

Im Schrank des alten Mütterchens ist der abgetragene und vielleicht zerschossene Rock ihres gefallenen Jungen (wenn sie je in seinen Besitz gelangt ist) eine Reliquie – und selbst der größte Kriegsgegner wird nicht spotten, wenn die alten Finger noch einmal liebkosend über das Tuch gleiten. Hat er ihn doch getragen . . . Auf einer Hochzeit in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche ist der stolz herausstaffierte, feine Etappentuchrock des ehemaligen Offiziers eine unwürdige Maskerade, eine Geschmacklosigkeit oder eine politische Herausforderung der Republik. Das kann sich der Herr aussuchen. Den politischen Grundcharakter der Schaustellung einer nicht mehr bestehenden Amtskleidung zu leugnen, zeugt von Feigheit. Er ist in [60] allen Fällen vorhanden. Denn ich kann mir sehr gut vorstellen, daß ein anständiger Offizier des Heeres – es hat ja solche gegeben, wenn auch der Geist des Korps nichts taugte –, daß ein solcher sehr wohl stolz auf all das ist, was er und seine Kameraden in den vier Jahren geleistet haben, und daß er sich doch nicht zu diesem Zweck verkleidet. Kann man sichs wirklich noch denken? Kaum.

Was ist von dem Taktgefühl dieser Kaste zu halten, wenn der Erholungsreisende Lindström-Ludendorff, dessen Namen man nie ohne diesen ehrenden Zusatz drucken sollte, mit schlechtem Beispiel vorangeht. Er trägt seine alte Generalsuniform im Lande umher wie ein Schauspieler seinen Umhängebart. Daß er dies auch weiterhin tun kann, dafür bürgt die neue Verordnung. Denn mit Leichtigkeit wird sich jede Veranstaltung in ihr dehnbares Schema bringen lassen. Ja, aber warum tragen denn diese alle noch die Uniform? Hat man je gehört, daß sich ein Mann, ein Gemeiner, ein Kerl so herausputzt? Er wird sich hüten. Er hat sich den Rock umarbeiten lassen und zieht ihn an, wenn er seine schwerste Arbeit verrichtet . . . Der kann fleckig werden . . . Aber jene? Warum schminken sich alle Kriegervereinsvorsitzenden, alle Ehrenpräsidenten dieser Bünde, Regimentsvereine, Divisionserinnerungsverbände – warum schminken sie sich alle, bevor sie feiern. Warum erscheinen sie dabei stets in voller Kriegsbemalung? Warum?

Weil es noch Hunderttausende Deutsche gibt, die den Träger mit der Uniform verwechseln. Weil unzählige Menschen in unserem Lande leben, die den alten Knechtsgeist so tief in den Knochen haben, daß sie noch heute zusammenfahren, wenn vor ihnen ein Ding auftaucht, dem sie früher einmal – bei Zuchthausstrafe! – Gehorsam zu leisten hatten. Weil so viele glauben, Charakter und Persönlichkeit seien nicht nötig – wohl aber ein Achselstück.

Ich höre die patriotischen Männervereine toben: Nur mit Persönlichkeit und Charakter habe man eben die Achselstücke erringen können. Ach! Vielleicht hören sich die Herren einmal etwas um – vielleicht lassen sie davon ab, Bauernjungens, die sie im Grunde so tief verachten, bei Regimentserinnerungsappellen loyal auf die Schulter zu klopfen – vielleicht tun sich die immer noch Uniformierten einmal ein wenig um bei Kaufleuten – bei Arbeitern – bei Handwerkern – bei geweckten Landwirten – bei Hausdienern – bei Werkmeistern –, wo sie nur wollen. Und da werden sie etwas zu hören bekommen. Da werden sie zu hören bekommen vom Offiziershaß im deutschen Heere.

»Wer dieses Ungeheuerliche nicht glauben will, mache selbst die Probe. Er frage Feldsoldaten aus dem Volke, deren volles Vertrauen er besitzt, was sie vom Gegner halten: er wird in den meisten Fällen eine kühle, sachliche Antwort bekommen. Dann frage er sie, wie [61] sie gegen den Offiziersstand gesinnt seien: er wird in den meisten Fällen das Auge auch der Ruhigsten aufflammen sehen in innerem Leid, in ingrimmiger Empörung.« Das steht in einer Denkschrift, die der Professor der Rechte an der Universität Freiburg, Dr. Hermann Kantorowicz, im Jahre 1916 dem Kriegsministerium überreicht hat. Selbstverständlich vergeblich.

Die Herren hören und sehen sich nicht um. Sie ziehen die alte Uniform an. Es sei uns erlaubt, sie demnach zu beurteilen. Sie rechnen noch mit dem vorhandenen Uniformkoller der Deutschen. Wollen wir nicht dafür sorgen, daß sie sich verrechnen?

Der tiefe Aberglaube, das Amt mache den Mann – und ein Oberregierungsrat sei etwas anderes als jeder gewöhnliche Mensch – der lächerliche Titelunfug (der nie so geblüht hat wie in der Republik) – die kindliche Verehrung jedes bunten Blechabzeichens –, all das drückt uns tief unter die Aschantineger. Die fallen auch vor ihrem Medizinmann auf den Bauch – und wenn du sie fragst, warum, so werden sie stumm auf den gelben Federschmuck und den Holzkäfig auf seinem Kopf deuten . . . Da liegt der Zauber verborgen. Genau wie bei uns: auf dem Kopf – nicht im Kopf.

Ist nicht darüber hinwegzuklettern? Können wir nicht sachlich denken? Im alten Deutschland hieß jeder Mensch, mit Ausnahme von ein paar Soldaten, ›Zivilist‹. Können wir nicht zivil denken? Die da wollens nicht, und sie wissen warum.

Ich besinne mich noch, wie das war, als ich meinen Hauptmann zum ersten Male in Zivil sah. Er revidierte eines Nachts eine Telefonwache – und erschien in Hosen, hinten hingen die Hosenträger heraus, im Hemd – und ohne Hurratüte, in der zu sehen ich ihn gewohnt war. Ach, wie wirkte das krummbeinige Männchen jämmerlich! Ich habe ihn dann später einmal auf der Bülowstraße gesehen, er schritt dort mit einer mehlbepuderten Hure einher – wo war der ›Herre Hauptmann‹ geblieben? Vorbei der Nimbus vor der Front, vorbei der Mann mit der ordensübersäten Brust, wie Scherl das nennt.

Ziehen all die Herren die Uniform an, weil sie erkannt haben, daß sie in Zivil keine Figur machen? Was müssen das für Reckengestalten sein, die des Schneiders bedürfen, wenn sie Eindruck schinden wollen. Das ist wie beim Theater: unkostümiert wirkt nicht.

Man darf die Helden nicht in Zivil sehen. Man bekommt einen furchtbaren Schreck. Das wissen sie ganz genau. Und wann zogen sie denn die Uniformen aus und das ›Räuberzivil‹ an? Wenn sie selbander saufen gingen oder ins Bordell. Dort konnte man krähen und die Beine auf den Tisch oder sonst wohin legen – dem Rock tats nichts.

Wir wollen nicht mehr. Die preußische Uniform, das verhaßte Symbol einer ungeistigen, kulturschädlichen Gesinnung – fort mit ihr!

[62] Und da gibt es nur ein Mittel; und das ist die Aufhebung der Ziffer 8 des § 360 des deutschen Strafgesetzbuches, wo das unbefugte Tragen der Uniform unter Strafe gestellt wird. Laßt sie doch! Laßt jeden, der da mag, die Uniform tragen! Jeden Hochstapler, jeden Abenteurer, jeden Freikorpsoffizier – jeden! Dann wird sie wohl den Wert in unsern Augen haben, der ihr gebührt.

Aber so? Regimentsfeiern – und vaterländische Paraden unter gleichzeitiger gemeiner Beschimpfung eines großen Teiles des deutschen Volkes, nämlich der ›erdolchenden Heimat‹ –, Gedenktage und Hochzeiten. Und alles in Uniform.

Werft einen Groschen herunter! Unten steht ein Leierkastenmann, zerschossen, blind und ruiniert für sein ganzes Leben. Oben aber, auf seiner Drehorgel, sitzt, grimassenschneidend, sich lausend und flöhend und die Zähne fletschend: ein Affe in Uniform.


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1921. Der Affe auf dem Leierkasten. Der Affe auf dem Leierkasten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6104-0