Die Bilderausstellung eines Humoristen
Wie es Sonntagsreiter gibt – so gibt es Sonntagsmaler. Deren Bilder hat der französische Schriftsteller Georges Courteline sein Leben lang gesammelt. Und diese Sammlung ist ausgestellt bei Bernheim-Jeune in Paris in der rue du Faubourg St.-Honoré. Das ist die merkwürdigste Bilderausstellung, die ich seit langem zu sehen bekommen habe.
Courteline, ein Franzose mit Humor, ist Jahr um Jahr friedlich auf dem linken Ufer in die kleinen Antiquitätenläden gegangen, hat hier herumgestochert und da Zeit vertrödelt, hat Dilettanten besucht und malende Schutzleute, malende Gasarbeiter, malende Volksschullehrer – ja, sogar malende Zollbeamte. Denn er hat wirklich und wahrhaftig einige Rousseaus besessen, aber er hat sie zu früh verkauft, und weil er Humor sein eigen nannte, wird er wohl nicht geweint haben. [413] Heute sind sie viel Geld wert. That is the humour of it. Jedoch, was ihm geblieben ist, das ist schon heiter genug.
Die ganze Menschengüte dieses seltenen Mannes spricht aus der Bemerkung, mit der er jetzt in den französischen Zeitungen dagegen protestiert, daß man seine Sammlung ein ›Schreckenskabinett‹ benenne – und das ist sie auch wirklich nicht. Er hat diese Bilder Namenloser liebgehabt, und tatsächlich ist ja solche Pinselei nur durch einen haardünnen Strich von manchen großen Werken getrennt. Sehr schwer zu sagen, wo die blinde Naivität aufhört und die Kunst beginnt. Perlen hängen da an den Wänden bei Bernheim.
Den malenden Laien reizt vor allem die Anekdote sowie das Gegenständliche. Diese Bilder erzählen entweder eine Geschichte, oder sie bilden die Natur, den Menschen, die Tiere, die Sachen mit einem solchen Respekt ab, daß nur das mangelnde Können zum Lachen reizt, nicht die Auffassung, nicht die Anschauung. Vom Auge bis zum malenden Arm war es einfach zu weit.
Eine Landschaft aus der Auvergne . . . ach, wenn die Natur so schön wäre! Wenn wir sie noch so sehen könnten! Eine Zwergenfamilie . . . das heißt: man weiß bei dieser Art Privatperspektive der Herren Sonntagsmaler nie, ob es Zweige, Kinder oder Verzeichnete sind, die da stehen. Ganz ersten Ranges: die Ermordung der Familie Kink durch Herrn Mörder Tropman.
Mörder Tropman steht inmitten einer düstern Nachtlandschaft, in deren Hintergrund ein einsames, hohes, weißes Haus sehr unheimlich leuchtet. Auf dem Boden liegen blutig Vater, Mutter und viele Kinder, sie sind sämtlich sorgfältig rot angemalen, damit man auch weiß, was hier vor sich geht. Mörder Tropman ist grade im Begriff, einen Knaben, den er am Schlafittchen hat, niederzumachen; sogar seine Manschetten hat sich der Kerl besudelt, wie weit geht doch die menschliche Verworfenheit! Der Mond bricht – also darauf legt der Maler das größte Gewicht – der Mond bricht durchs Gewölk, das ist bei Morden so. Es ist ein sehr lehrreiches Bild.
Ein Badebild mit weißer Hosenromantik; wunderschöne Soldatenbilder – merkwürdig, wie oft das Militär, das bunte, dazu dient, leere Köpfe zu füllen; seltsame Anklänge an James Ensor, Bilder mit zahllosen kleinen visionären Männerchen; am allerschönsten die Blumenstücke und die klaren Landschaften. Wir wollen uns nichts vormachen: so mancher snobistische Salon fiele brav herein, präsentierte man ihm diese Gemälde als letzte Neuheit.
Man kann diese Bilder kaufen; nun gehn sie in alle Welt und werden in Privatgalerien hängen und in Vorhallen, in Arbeitszimmern – sie werden lächeln machen und nachdenken.
Daß Georges Courteline so etwas gesammelt hat, wundert keinen, der diesen Mann kennt und liebt. Er ist übrigens nicht der einzige; [414] so hat zum Beispiel der Maler Maurice Vlaminck etwas Ähnliches – aber Courteline ist kein Maler. Er ist ein Dichter, und was für einer!
Das Schönste, das Allerschönste an dieser Ausstellung steht im Katalog, den Robert Rey, der Kunsthistoriker vom Luxembourg, sehr klug eingeleitet hat. Das ist das Wappen, das sich Courteline selbst entworfen hat. Ein heraldischer Scherz mit Spaßlöwen und Scherzornamenten, nichts Bedeutendes. Aber unten, unter dem Wappen, zieht sich ein gemaltes Band, und auf dem steht ein Spruch.
Auf dem steht, Georges Courteline, der Spruch Ihres Lebens, und – verzeihen Sie – der des meinen auch. Nie wird mir einer glauben, daß dieselben Worte, genau dieselben Worte, seit Jahren in meinem Arbeitsbuch stehn, vom auf der ersten Seite. Ihr ganzes Wesen ist darin, Courteline, genau das, weshalb wir Sie lieben. Es sind nur zwei Worte und eine ganze Welt. Die Worte heißen:
»Et après –?«
Na und –?
Die Welt verachten – das ist sehr leicht und meist ein Zeichen schlechter Verdauung. Aber die Welt verstehen, sie lieben und dann, aber erst dann, freundlich lächeln, wenn alles vorbei ist –: das ist Humor. Courteline, Sie sind ›nur‹ in der Académie Goncourt gewesen, und nicht in der ›großen‹ Akademie, nicht in der richtigen – et après? Ich weiß auch, daß manche meiner Landsleute Sie viel lieber haben als manche Franzosen. Die Franzosen, die so sagen: »Ja, aber immer diese Geschichten von Soldaten und von solchen Häusern und von Rauchtabak und dem kleinen Café – das ist gewiß sehr amüsant, ja, ja . . . « und dann sprechen sie von ihrer gebildeten Literatur, von ihrer feinen, so psychologischen Literatur. Viele aber lieben Sie.
Ich weiß nicht, ob Ihre Geschichten auf deutsch wirken, und ob das herauskommt, was in Ihnen an Weisheit ist, an Güte, an Skeptizismus, an Schmerz, an optimistischer Hoffnungslosigkeit. Wie im ›Train de 8 h 47‹ die Soldaten, die endlich, endlich eine Dienstreise machen dürfen, sich im Coupé benehmen wie die losgelassenen Jungens, unanständige Lieder braven Damen, die einsteigen wollen, ins Gesicht brüllen: Braaaah! – und durch ihr tölpelhaftes Geschrei überhören, daß sie umsteigen müssen und sich verfahren . . . und wie das alles vor Echtheit blinkt und knallt . . . wie das fugenlos stimmt! Oder wie in der einzigen Geschichte von den›Ronds-de-Cuir‹ (den Bürokraten) der kleine Roman auf der Erde anhebt, ganz real, o so wirklich! und sich dann langsam in den hellen Wolken des Wahnsinns verliert, um wieder zurückzukehren . . . Möglich, daß man das überhaupt nicht übersetzen kann, nur nachdichten, vor allem: nur nachfühlen. »Un homme de mon age . . . !« protestiert ein Beamter während eines Streites. Und der Gegner: »Taisez-vous, homme de votre age!« Das ist ein blitzender Kreisel an Ironie. Wie in den zahllosen Ausgaben der kleinen [415] Szenen(›Théâtre‹) fast in jedem Dialog, fast in jeder kleinen Szene ein Satz, eine Wendung weit, weit über den Ulk hinausgeht, wie auf einmal ein Herz klopft, wo eben nur noch ein lachender Mund war – das bringt uns Deutschen den Courteline so nahe. Ich habe›Boubouroche‹ in der Comédie Française gesehen und habe auf die Bühne springen wollen, um den Leuten zu sagen, wie man das spielt. Also fühlen wir es anders, also legen wir in diese Vase andre Blumen hinein – und wenn sie tausendmal nicht auf französischem Boden gewachsen sind: Victor Arnold hat den Boubouroche gespielt, und da wollen wir eine kleine Minute Schweigen einlegen.
Ja, Courteline. Alles, was ich von ihm weiß, entspricht genau seinem Wappenspruch. Er war unneugierig, er schrieb nicht sehr viel, man durfte ihn, wenn man will, getrost faul nennen – aber das, was er gemacht hat, ist voll von Leben. Und bei allem Gefühl für das nötige Pathos, das um eine Geburt, um einen Schicksalsschlag, um Geld und um den Tod ist, er ist so schön pathoslos. Es ist nicht die flaue und billige Überlegenheit des Spießers – es ist die echteste Überlegenheit des großen Künstlers.
Sie malen und malen. Sie dichten, komponieren, schmieren Papier voll und streiten sich um Richtungen, das muß sein. Sie sind expressionistisch und supranaturalistisch; sie sitzen neben dicken Damen auf dem Sofa, kriegen plötzlich lyrische Kalbsaugen und sprechen mit geziertem Mündchen, sie sind feige und lassen sich verleugnen oder lügen telefonisch; sie dirigieren Symphonien und fangen einen kleinen Weltkrieg an, und sie haben für alles eine Terminologie. Welche Aufregung –! Welcher Eifer –! Welcher Trubel –! Horch: sie leben.
Du aber, Georges Courteline, sitzt wie ein Buddha, eine Handbreit über der Erde, die du so genau kennst, träumst Tarock und hörst schläfrig aus dem Nebenraum des kleinen Cafés die Billardkugeln klappern. Zu Hause wartet deine Frau – die gute. Es ist spät, nun wirst du bald heimgehen. Aus einem Augenwinkel aber, man sollte es gar nicht glauben, blitzt es wie ein Blick über die Erde, weit über die Erde, über die Académie Française, die so fein ist, und über die kleinen Damen der Straße, die gar nicht fein sind – du hörst das Leben und ein Lächeln rieselt dünn unter deinem Schnurrbart hinweg. Du denkst deinen Wappenspruch. Du denkst:
»Et après? Na und –?«