Herr Schwejk
Neulich habe ich hier davon erzählt, wie mir in den sechs so sehr zu empfehlenden Bänden des›Welthumors‹ von Roda Roda (erschienen bei Albert Langen) im letzten Band ein Mann aufgefallen ist, dessen Humor völlig neuartig erscheint: Jaroslav Hašek. Ein pariser Leser der ›Weltbühne‹ hat uns dann einiges vom Lebenslauf dieses seltsamen Menschen mitgeteilt, der, vierzigjährig, vor drei Jahren gestorben ist, und auch davon, wie populär, ja, berühmt Hašek bei den Tschechen ist. Ich wäre schrecklich stolz auf meine Entdeckung, wenn die eine wäre, und wenn Hašek nicht so groß wäre, daß er sofort auffallen muß.
[456] Das Kapitel im ›Welthumor‹ ist der Anfang von Hašeks Hauptwerk, dessen erster Band jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt. ›Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk während des Weltkrieges‹ (bei Adolf Synek in Prag). Zu diesem Buch ist mir in der gesamten Literatur kein Gegenstück bekannt. Deshalb will ich erzählen, was ich darin gefunden habe.
Herr Schwejk ist dumm-pfiffig, klein, völlig unbekümmert um alles, was mit ihm geschieht, aber voll des größten Interesses für alles, was um ihn herum vorgeht. Wo bei andern Pathos ist, da blinzelt er treuherzig-gelassen, und oft fragt man bei so viel Unbekümmertheit, ob er spaße. Nein, es ist ihm nur leicht ums Herz.
Diesen Schwejk nun stellt der Verfasser in den Weltkrieg, und es begibt sich, daß der kleine Tscheche die gesamte österreichische Monarchie übers Ohr haut, wozu nicht viel gehört – mehr: daß er ihrer Herr wird, daß er sich mit der unschuldigsten Miene von der Welt über sie lustig macht, und daß alles vor diesem idiotisch-schlauen Kerl versinkt, Sieg, Niederlage, Ehre, Ruhm, General und Krankenschwester. Die Gespräche des Herrn Soldaten sind alle von leichter Blödelei angefüllt, an jeder Gesprächsecke überfallen ihn die Erinnerungen seiner Gasse, und wenns ernst wird, beginnt er, dem erstaunten Partner mit einer Geschichte aufzuwarten. So etwas von Pointenlosigkeit soll nochmal geboren werden. Aber um von dem Wesen des bekanntesten aller Soldaten einen Begriff zu geben, setze ich den Anfang des Buches hierher.
»›Also sie ham uns den Ferdinand erschlagen‹, sagte die Bedienerin des Herrn Schwejk, der vor Jahren den Militärdienst verlassen hatte, nachdem er von der militärärztlichen Kommission endgültig für blöd erklärt worden war, und der sich nun durch den Verkauf von Hunden, häßlichen, schlechtrassigen Scheusälern ernährte, deren Stammbäume er fälschte. Neben dieser Beschäftigung war er von Rheumatismus heimgesucht und rieb sich grade die Knie mit Opodeldok ein. ›Was für einen Ferdinand, Frau Müller?‹ fragte Schwejk, ohne aufzuhören, sich die Knie zu massieren. ›Ich kenn zwei Ferdinande. Einen, der is Diener beim Drogisten Pruscha und hat dort mal aus Versehn eine Flasche mit irgendeiner Haartinktur ausgetrunken, und dann kenn ich noch den Ferdinand Kokoschka, der was den Hundedreck sammelt. Um beide is kein Schad.‹ – ›Aber, gnä Herr, den Herrn Erzherzog Ferdinand, den aus Konopischt, den dicken, frommen‹. – ›Jesus Maria‹, schrie Schwejk auf. ›Das is aber gelungen. Und wo is ihm denn das passiert, dem Herrn Erzherzog?‹ – ›In Sarajewo ham sie ihn mit einem Revolver niedergeschossen, gnä Herr. Er ist dort mit seiner Erzherzogin im Automobil gefahren.‹ – ›Da schau her, im Automobil, Frau Müller, ja, so ein Herr kann sich das erlauben und denkt gar nicht dran, wie so eine[457] Fahrt unglücklich ausgehn kann . . . Der Herr Erzherzog ruht also schon in Gottes Schoß? Hat er sich lang geplagt?‹ – ›Der Herr Erzherzog war gleich weg, gnä Herr, Sie wissen ja, so ein Revolver is kein Spaß. Unlängst hat auch ein Herr bei uns in Nusle mit einem Revolver gespielt und die ganze Familie erschossen, mitsamt dem Hausmeister, der nachschaun gekommen is, wer dort im dritten Stock schießt.‹ – ›Mancher Revolver geht nicht los, Frau Müller, wenn Sie sich aufn Kopf stelln. Solche Systeme gibts viel. Aber auf den Herrn Erzherzog ham sie gewiß was Bessres gekauft, und ich möcht wetten, Frau Müller, daß sich der Mann, der das getan hat, dazu schön angezogen hat.‹«
Schwejk also setzt sich den Hut auf und geht ins Wirtshaus. Dort sitzt schon, beim Wirt Palivec, der Polizeispitzel Bretschneider, der auf Hochverräter aus ist. Es gelingt ihm, dem Wirt und dem eintreffenden Schwejk hochverräterische Redensarten gegen das kaiserliche Haus herauszulocken, und Schwejkn nimmt er gleich mit. So kommt Schwejk via Polizeigefängnis, Irrenhaus und Garnisonarrest als Bursche zum Feldkurat Katz, später zum Oberleutnant Lukasch. Was sich da unterwegs begibt, ist nicht aufzuzählen. Das völlig Absonderliche des Buches ist sein Humor, der aus Flaschenbier und Schnaps anmutig gemischt ist. Nicht nur Schwejk ist blöd, sondern auch die kleine Welt, die da vor uns aufgebaut wird: verzerrt, schief und krumm und schauerlich wahr. Es gluckert ein Hohn unter den Zeilen, eine solche hassende Verachtung Österreichs, des Militärs, der Kriege, dieses ganzen militärischen Gehabes, daß der Autor, wäre Ludendorff nicht nach Schweden ausgerissen, hätte alt werden müssen wie Methusalem, um alles abzusitzen, Der Höhepunkt dieses Trubels ist Schwejk.
Dem kann nichts passieren: er hats gut, er ist blöd. Er sagts auch – und wenn ihn der Oberleutnant anbrüllt: »Kerl, ich glaube, Sie sind ein großer Idiot«, dann spricht er sanft und freundlich: »Melde gehorsamst, Her Oberlajtnant, jawohl. Ich bin sogar für völlig blödsinnig erklärt worden. Da hatten wir mal in der Gasse bei mir zu Hause . . . « Und dann wird er rausgeschmissen.
Dabei ist er dankbar und bescheiden und freut sich dessen, was das Leben beut. »Heutzutag ist eine Hetz, eingesperrt zu sein«, sagt er. »Kein Vierteilen, keine spanischen Stiefel, einen Tisch hamr, Bänke hamr, wir drängen uns nicht einer auf den andern, Suppe kriegen wir, Brot geben sie uns, einen Krug mit Wasser bringen sie uns, den Abort hamr direkt vorn Mund. In allem sieht man den Fortschritt.« Und so ganz nebenbei erzählen die Zellengenossen Schwejks ihre Schicksale, und die sind in ihrer Unsinnigkeit, ihrer Qual, ihrem Wahnsinn die hohnvollste Satire auf das kaiserliche Österreich, die mir jemals unter die Augen gekommen ist. Vor allem deshalb, weil gar kein Wesens aus diesem Bruhaha gemacht wird. Das Narrenhafte ist das Primäre.
[458]Manchmal spricht Schwejk die gehobene Sprache kleinerer Provinzblätter, dann ist er besonders erheiternd. Wimmert ihm ein Arrestant etwas vor, so tröstet er ihn, und das macht er so, daß er dem die Folgen seiner Verhaftung recht grauslich schildert, immer ganz pomadig. »Ja, so ein Augenblick der Lust, wie Sie ihn sich vergönnt ham, zahlt sich nicht aus. Und hat Ihre Frau mit Ihren Kindern von was zu leben, für die Zeit, wo Sie sitzen wem? Oder wird sie betteln gehn und die Kinder verschiedene Laster lernen müssen?« Verschiedene . . . Schwejk denkt an alles.
Und er ist gelehrig und ein Mann von Welt. »Zu mir kommen Damen zu Besuch«, sagt der Oberleutnant, »manchmal bleibt eine über Nacht hier, wenn ich früh keinen Dienst habe. In so einem Fall bringen Sie uns den Kaffee zum Bett, wenn ich läute, verstehn Sie?« – »Melde gehorsamst, daß ich versteh, Her Oberlajtnant, wenn ich unverhofft zum Bett kommen möcht, könnt es vielleicht mancher Dame unangenehm sein. Ich hab mir mal ein Fräulein nach Haus geführt, und meine Bedienerin hat uns grad, wie wir uns sehr gut unterhalten ham, den Kaffee ans Bett gebracht. Sie is erschrocken und hat mir den ganzen Rücken begossen und hat noch gesagt: ›Guten Morgen wünsch ich!‹ Ich weiß, was sich schickt und gehört, wenn irgendwo eine Dame schläft.«
Man sieht: durchaus nicht der Wurstl von Offiziersbursche, diese alte, tausendmal gebrauchte Figur, die dumm war zum Ruhm des so klugen Leutnants, schmutzig vor dem, ach, in allen Wassern gewaschenen General . . . Sondern etwas ganz andres.
Es ist der kleine Mann, der in das riesige Getriebe des Weltkriegs kommt, wie man eben da so hineinrutscht, schuldlos, ahnungslos, unverhofft, ohne eignes Zutun. Da steht er nun, und die andern schießen. Und nun tritt dieses Stückchen Malheur den großen Mächten der Erde gegenüber und sagt augenzwinkernd leise, schlecht rasiert die Wahrheit. Man stellt alles Mögliche mit ihm an, man gibt ihm Klistiere und Arrest, steckt ihn zu den Verrückten und zu den Offizieren – nichts hilft. Er bleibt ernsthaft dabei, unmöglich zu sein – und hat das Gelächter einer ganzen Welt für sich, weil nur er ausspricht, was alle gefühlt haben. Und es wird doppelt gelacht, weil sich die Würdenträger so anstrengen, ihn hinzumachen, und weil es nicht gelingt, denn er ist aus Gelatine, Gummi und Watte – ein runder Kullerball der Dummheit. Die – oh, Hegel! – so gesteigert ist, daß sie in ihr Gegenteil umkippt.
Denn so ist dieser Humor beschaffen:
Schwejk, der nicht weiß, wo Gott wohnt, geschweige denn, was er mit ihm anfangen sollte, weil der liebe Gott ja keine Hunde kauft, Schwejk, der von seinem Feldkuraten im Kartenspiel gesetzt und an den Oberleutnant Lukasch verloren wird – Schwejk ist der einzige kleine Kreis unter Millionen Rechtecken, Sie trudelt so dahin, die [459] kleine Kugel – und man muß unbändig lachen, weil in diesem gesalbten Trottel das letzte Restchen heruntergetretenen Menschenverstandes inkarniert ist, der auf den Kasernenhöfen noch übrig war. Er ist der ewige Zivilist unter verkleideten Soldaten; die Uniform macht ihn nur noch ziviler, noch nie in seinem Leben hat er so wenig Paraden mitgemacht wie beim Militär. Er wirkt, wie wenn im feierlichsten Augenblick einer Fürstenbesichtigung der rechte Flügelmann einmal schnell in die Luft spränge – gezogen am Schnürl der Komik. Kasperle hat immer recht; vor ihm sind Stabsärzte, Feldintendanten, Obersten und Feldmarschälle nichts als putzige Figuren. Nur die Betrunkenheit des edeln Feldpredigers, der doppelt sieht, auf Schwejk zeigt und sagt: »Sie haben schon einen erwachsenen Sohn?« kann an Wahnsinn mit ihm wetteifern. Während jener aber nur vom Alkohol angefüllt ist, lebt Schwejk klar dahin, besonnen, ein Tell im See des Militarismus, die letzte Hoffnung der Vernünftigen. Daher seine ungeheure Popularität, daher unsre Freude, und daher die knockout gehauten Vorgesetzten: ihre gereckte Würde wird völlig zuschanden vor diesem kleinen dicken Kerl. Es ist immer schön, wenn der Schwächere der Stärkere ist.
Es ist die urgesunde Volkskraft, die gegen die Brillen- und Monokelmenschen revoltiert. Schwejk hat einen entfernten Verwandten in Amerika, einen kleinen Mann mit Hütchen und Stock . . . Aber er ist verschmitzter als der, von einer bösartigen Harmlosigkeit, die da meldet, die Angorakatze habe den Schuhcreme gefressen. »Und ich habe sie in den Keller geworfen, aber in den von nebenan« . . . »aber« – eine der seltsamsten Schuldrechnungen, die jemals aufgemacht worden sind. Dieser Katze übrigens gibt Schwejk die drei Tage Kasernenarrest weiter, die ihm verliehen sind, er hat den Herrn Vorgesetzten so verstanden und führt getreulich einen Befehl aus, der gar keiner war. Die Katze kriecht wieder unter das Kanapee. Schwejk und die österreichische Würde bleiben oben sitzen.
Könnte der deutsch-nationale Student lesen und läse er dieses Buch, so wäre er schnell bei der Hand, etwa zu sagen: »Solch einen Feldkuraten hats sicherlich nicht einmal bei den Nazis gegeben.« Vielleicht hats ihn nicht gegeben. Die schwerflüssige Besoffenheit dieser Figur ist himmlisch, wenn auch um eine Kleinigkeit zu gedehnt beschrieben, und im übrigen kommt es gar nicht darauf an, obs das gegeben hat. Was Hašek aber über die Offiziersburschen und die Gefängnisse, in denen ein Zigarrenstummel, sonntags aus einem Spucknapf aufgeklaubt, mehr galt als das ganze Evangelium, was er über die Kasernen sagt und über die Arreste – das klingt verdammt echt und wird schon stimmen. Schwejk sieht demgegenüber sanft darein, ihm ist der eine Vertreter der Militärmacht so viel wie der andre, und wir schließen uns dem vollinhaltlich an. Nur tut er etwas, was nicht allen gegeben [460] ist: er lächelt freundlich, ist noch eine Kleinigkeit gerissener als die andern und nimmt nichts ernst. Und das ist das Klügste, was er tun kann.
Das Buch ist aus dem Tschechischen ins Deutsche übertragen worden – soweit ich das beurteilen kann, nicht sehr glücklich. Vielleicht ist es gut übersetzt, aber der Eindruck dieses Jargons, den Schwejk spricht, ist nicht lustig. Seine Grammatik ist farblos und steht in gar keinem Verhältnis zu den herrlichen Sachen, die er zusammenphilosophiert – man ahnt, was einem da alles verloren gegangen sein mag. Ich gebe zu: dergleichen überträgt sich nicht. »Du bist woll mit de Muffe jebufft?« heißt nicht: »Hat Sie jemand unsanft mit einem Pelzmuff angerührt?« – sondern etwas anders. Und das bleibt freilich am Bodensatz des Dialekts kleben, es kommt nicht herauf, und hier steckt die Tragik des Buches.
Schwejk ist einen halben Millimeter von der Unsterblichkeit entfernt. Er ist nur zu lokal. Er fühlt tschechisch, was ein Vorzug ist – aber er fühlt nur tschechisch, was ein Nachteil ist. (Gegenbeispiel: Tolstoi.) Im Vorwort nimmt die Übersetzerin den Mund etwas voll und sagt, was der Leser sagen müßte: Tschechischer Cervantes . . . und dergleichen. Man kennt die Intensität der kleinen Staaten! Ungarn besteht ja nur aus ›berühmtesten‹ Künstlern – und wenn sie die Landesgrenzen einmal verlassen haben, ist es nachher halb so schlimm. Hašek ist ein großer Satiriker – nur daß er das Unglück hat, in der tschechischen Sprache zu dichten, aus der man ihn erst herausholen muß, ist bitter. Hätte er englisch geschrieben, wäre der Mann eine Weltberühmtheit. Nicht nur, weil ihn Millionen automatisch verstünden – sondern weil Millionen in denselben Formen empfinden wie er. Die Gefühle Schwejks sind universal komisch – ihre Ausdrucksform kaum. Und erklären kann man da nichts. Er ist um den entscheidenden Hauch zu provinziell.
Noch zwei Bände stehen bevor, und ich freue mich, sie nicht zu kennen, den Genuß noch vor mir zu haben. Hoffentlich werden sie kräftiger übertragen, hoffentlich schreibt man nicht mit beharrlicher Bosheit ›Sie‹ in der Anrede klein, und hoffentlich ändert sich die Ausstattung. Wenn Schwejk nur bleibt.
Schwejk, der unerschütterlich ruhig lächelt, wenn alle andern vor österreichischem Weh aufstöhnen, Schwejk, der keinem Menschen Ungelegenheiten bereiten will: dem Polizeikommissar nicht, dem er alles, alles unterschreibt, was der nur will, um des lieben Kriegswillen; den Ärzten nicht, denen er schöne und lehrreiche Geschichten erzählt; und seinem lieben Feldkuraten nicht, dem er in den besoffensten Lagen des menschlichen Lebens hilft. Und käme, meinen Namen sollt ihr nie erfahren, der Kaiser Franz Joseph selber: Schwejk empfinge ihn freundlich und erzählte ihm sicherlich, er habe ein kleines Kind gekannt, das [461] habe auch Franz Joseph geheißen, es sei aber unrettbar blödsinnig gewesen, weil seine Aufwärterin es einmal habe vom Tisch fallen lassen . . . Ja.
Hašek, du bist jetzt drüben, im Himmel, in dem es keine Prohibition gibt. Eine Frage, guter Hašek:
Wo wäre Schwejk heute –? Die österreichische Militärmonarchie, eines der schuftigsten Gebilde der Welt, malträtierte ihn nicht mehr. Sie ist dahin. Aber fände er um Prag gar keine Soldaten? keine Spitzel? keine Nationaltrottel? Feldkuraten? Oberleutnants? Garnisonarreste? Was meinst du, Hašek?
Du wirst mich richtig verstehen, und in diesem Sinne ruf Schwejk her, hol die Flasche mit dem Nußschnaps und laß uns anstoßen: auf euch beide, Hašek. Auf einen großen Dichter und auf den braven Soldaten Schwejk.