Presseball

Das war der erste Presseball der Republik. In den feinen Logen saßen die Minister und ließen sich anstaunen, saßen die Filmschauspielerinnen und ließen sich anstaunen, saßen die Ministerfrauen und ließen sich anstaunen. Die Filmschauspielerinnen sahen hübsch aus.

Die gesellschaftliche Stellung unsrer neuen Minister ist noch nicht ganz klar. Die reichen Leute Berlins behandeln sie mit einer ulkigen Mischung von Verehrung und Verachtung: Verehrung – es sind immerhin Minister, und sie haben die Macht; Verachtung – sie kommen von der Straße. Wenn der reiche Herr O. Herrn Minister N. zu Tisch lädt, so ist noch nicht ganz entschieden, auf wessen Seite die Ehre ist.

Keine Angst, Herr reicher Mann! Kamen sie von der Straße? Aber sie sind im besten Zuge, es zu vergessen. Davon spricht man nicht. So wie es ja auch nicht fein ist, den Sohn der zweiten Generation daran zu erinnern, daß sein Vater noch . . . Es ist ein bißchen peinlich, daran erinnert zu werden, daß wilde Tage mit Kerlen, die offene unordentliche Soldatenmäntel trugen, dazugehört haben, bis man in der Wilhelmstraße saß. Gleiten wir darüber hinweg. Der Deich hat sich wieder geschlossen, dieser scheinbar undurchdringliche Deich, der sich damals öffnete, als die graue Woge sie hochspülte: die Welle ist abgeebbt, und hilflos, einsam und von dem Grund und Boden, aus dem sie stammen, abgeschnitten, treiben die Emporgewirbelten dahin. Sie fühlen sich nicht allzu behaglich, denn sie haben fremden Boden unter den Füßen. Sie fühlen sich allzu behaglich: Rotwein ist eine von den besten Gaben.

Was ich sagen wollte: und sehr viel Uniformen waren da. Alte gute, auf neu gebügelte Friedensuniformen, mit der Gardestickerei, mit den alten guten kaiserlichen Kriegs- und Friedensorden; graue Uniformen; grüne Sicherheitsuniformen; auch ein Admiral war da: der Chef des deutschen Kriegsschiffs. Herrschende Diener.

Und dann standen und promenierten die vielen herum, die dagewesen sein mußten; man zeigte mir unter andern: (ach bitte, lesen Sie das in den Zeitungen nach!) Presse, Literatur und das andre Theater.

Die Regierungsfräcke saßen noch nicht gut, mancher geklebte Schlips war den alten Assessoren ein Greul und Scheul, manche Brille rutschte, mancher Damentanz war noch Vereinskränzchen. Aber das gibt sich. Noch »eine drei, vier Pressebälle«, wie der Berliner sagt, und ihr sollt mal sehen: die alten, unbequemen Prinzipien sind beim Teufel, die Fräcke sitzen wie angegossen, die Hemdbrüste blitzen matt, die alten Orden strahlen – oder sind es schon neue? – und ihr werdet diese orkanartige Revolution nicht zu bereuen haben. Verzage nicht, du Häuflein klein . . .

[277] Oder kommts anders? Ganz anders? So nach der Melodie: Verzage nicht, du Häuflein klein – wie mag die nächste Wahl wohl sein?

Immerhin war es hübsch, daß sich das Volk herabließ, unter die Minister zu gehen.


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1920. Presseball. Presseball. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-5DCD-9