Gespräch auf einem Diplomatenempfang

In langen Kleidern und mit onduliertem Mäulchen zu sprechen.


»Ei, guten Tag, meine liebe Frau Doktor Zeisig! Wie ich sehe, sind auch Sie zu diesem exklusiven Empfang erschienen! Es ist heute abend sehr interessant!«

[70] »Ja, es ist sehr interessant. Sehen Sie nur: Dort Frau Fränkel und dort Frau Grünfeld sowie auch Frau Geheimrat Ravené! Es ist wirklich ungeheuer interessant! Und da – traue ich meinen Augen? Ein Japaner! Jetzt setzt er sich. Sicher ein hochstehender Diplomat! Es ist fabelhaft anregend! Die Diplomatie, ist sie doch so recht Kotzpröpfchens Zeitvertreib!«

»Nichts ist so interessant wie die Welt der Diplomatie. Mein Mann ist Kaufmann, demzufolge Industrieller, kurz, ein Wirtschaftsführer – aber die Diplomatie, sie hebt uns doch ungeheuer. Von allen anständigen Wörtern sage ich am liebsten: Doyen. Wie wohl das tut! Wer ist jener? Der so interessant hinkt?«

»Es ist der litauische Gesandte.«

»P! Randstaaten. Erlauben Sie, daß ich rümpfe.«

»Wen oder was?«

»Mein feingeschnittenes Näschen. Hh! Randstaaten! Wir unsrerseits gehen nur in die Botschaften. Nichts, was mich in so angenehme Stimmung versetzt wie das diplomatische Korps! Es hebt mich über mich selbst. Ich habe das auch nötig.«

»Die diplomatischen Empfänge haben der Judenheit das Chanuka-Fest ersetzt.«

(Sie tritt sich in den Tüll)

»Wie bezaubernd Sie heute abend wieder aussehen, meine liebe Frau Doktor Zeisig! Sie sind stets damenhaft, vornehm und diskret-elegant! Welche Verwandlung! Wie machen Sie es nur? Am Tage bei der Arbeit, beim Sport und am Volant – und abends eine Wolke von Zartheit und Schmirgelsamkeit. So habe ich es wenigstens in der Zeitung gelesen.«

»Versteht sich, meine Liebe. Das macht: ich trage einen Büstenbagger. Unsere neue Mode (sie überreicht ihr Cape einem Kavalier, der so aussieht, als halte er sich für einen Gent), unsre neue Mode ist eine Auferstehung des Bürgertums. Vorbei die Gürl-Ideale der Inflation – die Welt beruhigt sich und wird schöner mit jedem Tag. Ich bin eine geborene Sobernheim, trage einen hochstehenden Kragen und erinnere demgemäß an Dantes Beatrice sowie an die Bilder der Prae-Israeliten!«

(Sie tritt sich in den Tüll)

»Auch ich kleide mich, wie es die neue Mode gebeut – allerdings so viel Schmuck wie diese Frau da . . . mein Mann ist kein indischer Nabelbob! Sehen Sie den jungen Menschen? Wer mag er sein?«

»Der im Zmoking? Es ist der Doktor Florian, ein bekannter Ultimo-Kommunist; nach dem Ersten, wenn er Geld hat, gehört er wieder zu uns.«

»Potz. Und wo werden Sie morgen weilen, meine liebe Frau Doktor Zeisig?«

[71] »Wir gehen in ein dem Herrn Jacob Michael gehöriges Spekulationsobjekt: in ein Theater. Wir haben Plätze direkt unter der ersten Hypothek. Es wird ein Stück im fünffüßigen Rhombus aufgeführt werden. Sie fragen gütigerweise nach dem Autor? Heute ist es noch ein alter Engländer – von wem das Stück morgen sein wird: wer weiß das! Gott ist verhältnismäßig groß. Auch ist Musik mit dem Stück verbunden: ein Thema mit Vaginationen. Sehen Sie aber dort: wie hochinteressant! Wie aufregend! Der im Frack!«

»Sicher ein Staatssekretär. Er ist vom A. A. Apropos, wie geht es Ihrem Baby?«

»Danke! Es kann schon ›Einstellung‹ sagen. Und Sie? Erwarten Sie nicht ein solches?«

»Ich bin davon abgekommen . . . (Sie tritt sich in den Tüll.) Schauen Sie, schauen Sie: lauter Diplomaten! Sie sehen aus, als seien sie von Geheimnissen umwittert, die sie vergessen haben. Waren Sie übrigens neulich dabei, als unsre kleine Botschafterin, die so gut Golf spielt, den Nuntius konzipierte? Es war ein schöner Nachmittag! Und sehen Sie nur – der da! Es ist ein Botschaftssekretär, aus der Rauchstraße. Betrachten Sie ihn – diese Denkerstirn!«

»Denkerstirn? Schütteln Sie nicht an diesem Wort. Er denkt wahrscheinlich nach, wozu er eigentlich in Berlin ist, Schau, schau! Auch eine Künstlerin pfom Pfilm! Wie sieht sie aus?«

»Sie sieht aus wie die Weinabteilung eines Bierrestaurants. Jüngst sah ich ihrer vier Stück auf einem Rout. Auch eine ungarische Chansonniere war dortselbst anwesend. Sie bewies mit unerhörter Raffinesse ihre bravouröse Charmanz.«

»Ja, ja . . . die schönen Künste . . . Und Sie selbst? Sie sind sportsausüblich?«

»Ich laufe ein wenig Gummi-Ski. Sie sprechen heute so ein schräges Deutsch?«

»Ich muß es wohl. Es ist der Stil unserer Zeit. Vorbei die karge Sachlichkeit; wir haben die neue Romantik entdeckt, sie bringt unsern Schriftstellern viel Geldes; es füllt die Spalten, mit Verlaub zu sagen. Was macht Francesco?«

»Gestern brachte mir ein Telegrafenbube seinen fernmündlichen Brief. Nun also will er es ernstlich tun. Er will Kinder gründen.«

»Er war Ihr Freund?«

»Er war es. Vorbei. Ich hin eine Wolke von Zartheit und Hilfsbedürftigkeit, aber wenn mir dieses Stückchen Modder noch einmal in die Quere kommt . . . «

(Sie tritt sich in den Tüll)

»Was werden Sie tun?«

»Ein Feuilleton aus ihm machen. Ich kann nicht malen, das habe ich nicht gelernt. Ich kann keine Konzerte geben, das kostet viel Geld. [72] Aber schreiben . . . schreiben kann jeder. Das wäre gelacht! Es ist angenehm, man braucht nicht dabei zu denken, und bezahlt wird es auch noch!«

»Sie sprechen von der Liebe?«

(fein spöttisch) »Sie waren wohl geistlich abwesend, meine liebe Frau Doktor Zeisig! Die Liebe! Mein Mann, der bekannte Pazifist zu Fuß, erinnerte mich stets an seine französische Freundin, die zu sagen pflegte: On fera l'amour – l'après-midi pour toi, le soir pour moi, le matin pour nous et la nuit pour les pauvres.«

»Paris, das ist altes Spiel, meine Gute. London! New York! Die angelsächsische Rasse! Der Secks Appiehl! Neulich hörte ich in einem Dancing in Nizza einen armen kleinen Gigolo sagen: Une femme! Une femme! Ça fait pipi avec rien. Ich wollte es nicht gehört haben.«

(Sie tritt sich in den Tüll)

»Sie taten gut daran, meine liebe Frau Zeisig; alle Männer sind ein Schuft. Mein Gott, wie ist es hier doch interessant! Wie atme ich große Welt! Atmen Sie sie auch große Welt?«

»Ich . . . ja, jetzt atme ich sie auch. Wir alle atmen sie. Denn wir in Berlin wissen doch immer, was sich gehört.

(Leise Musik)

Wir in Berlin . . . wir sind doch das Allerfeinste, wo man hat. Wir sind sozusagen: Zweite Klasse im Millionärstil. Wir sind nicht von gestern, wir sind nicht von heute – wir sind schon von übermorgen. Wir hören das Gras auf den Zähnen wachsen, und wir eilen allen voran. Nur dürfen wir uns nicht umdrehn, denn die andern eilen gar nicht mit.«

»Wir in Berlin stellen glasierten Schund auf einen Sockel, und dann bewundern wir: uns, den Sockel und die Bewunderer. Den Sockel macht uns keiner nach. Wir sind stets up to date – immer auf dem Datum.«

»Wir in Berlin haben früher, ma chère, französische Brocken ins Gespräch gestreut, und heute streuen wir englische, my darling. Wir müssen immer etwas haben, woran wir uns hinaufranken. Wir sind nicht. Wir geben an.«

»Wir in Berlin sind überall dabei, aber wir kommen zu nichts. Wir haben französischen Schick, englischen Sport, amerikanisches Tempo und heimische Hast – nur uns selbst haben wir nie gekannt.«

(Sie atmen große Welt)

»Sahen Sie den bezaubernden King Charles der Marchesa? Seine Augen sind wie grüne Jalousien, bei denen er aufgewachsen ist. Niedlich, wie er schon das Schwänzchen nach dem Winde hängt. Apropos . . . dort sehe ich den Reichstagspräsidenten – eilen wir, daß wir ihn sehen, damit wir sagen können, daß wir ihn gesehen haben!«

(Sie treten einander in den Tüll und entschweben)


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1930. Gespräch auf einem Diplomatenempfang. Gespräch auf einem Diplomatenempfang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-5C8E-E