Staatspathos

Wie kommt es eigentlich, daß die Reden, die unsre Staatsmänner bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten halten, so unsagbar töricht, leer und kindisch sind? Das muß doch nicht so sein. Die Leute, die das tun, stehen sehr oft über dem Niveau des Gesagten – was machen sie da nur –?

Sie greifen acht Töne zu hoch. Sie zwingen sich, in falschen Tonlagen zu singen, das rächt sich. Und warum tun sie das?

Weil sie mit aller Gewalt – bei Brückeneinweihungen, Anstaltseröffnungen, Fleischbeschau-Ausstellungen und Amtsübernahmen – ihre Hörer für so dümmlich halten, wie die in dieser Minute zu sein vorgeben. In Wahrheit glaubens auch die Hörer nicht. Habt euch doch nicht so.

Der Staat ist längst nicht mehr der große Gott und der dicke Manitou. Der Staat hat nicht mehr die Allmacht in Händen – fragt nur bei den Banken, bei denen ihr euch das Geld borgt, damit ihr weiter machen könnt. Dieses Pathos glaubt euch kein vernünftiger Mensch.

Ihr wendets nur an, weil sich im Laufe der Zeit ein Epigonen-Stil für Festredner herausgebildet hat, die das Jubiläum eines Kegelklubs begehen, als begrüßten sie den Präsidenten Hindenburg, und umgekehrt. Ist das nicht schrecklich? Es ist, als zögen diese im Alltagsleben wahrscheinlich ganz nüchtern denkenden Männer mit ihrem schwarzen Rock noch etwas andres an – vage Erinnerungen an wilde Wagner-Opern, deutsches Trompetengeschmetter, den kollernden Baß ehrwürdiger Vereinsvorsitzender oder das überkippende Falsett junger Ministerialdirektoren. Laßt doch das sein.

Warum sprecht ihr nicht schön einfach? Denn dazu feiert ihr solcherlei Festivitäten viel zu oft, als daß jede einzelne noch ein Festtag sein könnte. Und dann will gehobene Sprachweise gelernt sein, sie steht nicht jedermann zur Verfügung – wenn aber einer so spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, dann kanns gut gehen.

Da hat sich jedoch eine Amts-Terminologie entwickelt, die gradezu fürchterlich ist. Man lese einmal nach – wenn man das zu Ende bringt! – wie bei Rheinlandfeiern, bei Amtsantritt und Abschied, bei Begrüßungen fremder Souveräne den Beamten die Hefe aufgeht. Ich weiß sehr gut, daß eine gewisse offizielle Ausdrucksweise nötig ist – man soll ja nicht immer sprachschöpferisch wirken; es ist auch ungefährlicher, bei der Tradition zu bleiben. Gut und schön – aber was ist das für eine Tradition!

Wenn einer sein Amt übernimmt, dann betont er zunächst einmal emphatisch, daß er es gar nicht hat haben wollen. Er opfert sich, sozusagen. Es wird ein bißchen viel geopfert bei uns . . . Und wenn sie in den Reden brausend sind, dann sind sie viel zu brausend, und wenn sie schlicht sind, sind sie viel zu schlicht – sie sind immer alles hoch [126] zwei und wissen nicht, daß eine Wahrheit, zum Quadrat erhoben, sehr oft eine Lüge ergibt. Wie markig hallt die Phrase! Wie zischen die vergilbten Vergleiche! Wie wimmelt es von aufgeschnappten und unerlebten Bildern, die so staubig sind, daß es einem trocken im Hals wird, wenn man das mitanhört! Es ist, als könnten sie gar nicht mehr vernünftig sprechen.

Aber viele Hörer wollens so. Die stehen dann da, mit einem Ausdruck im Gesicht, wie ein Hammel, der darüber nachdenkt, ob er nun mal strullen soll; das Kinn haben sie an den Kragen gepreßt, und während sie zuhören, ohne aufzupassen, glauben sie im Augenblick auch wirklich alles, was ihnen da zu einem Ohr hinein und zum, sagen wir, andern wieder herausgeht. Es ist wunderschön. Gehts denn nicht einfach? Doch, es geht auch einfach.

»Liebe Kinder! Ich wünsche euch vor allem Gesundheit. Der Mensch hat die Pflicht, gesund zu sein, nur so kann er den andern helfen und wird ihnen nicht zur Last fallen. Erhaltet euren Körper und die Wohnungen sauber. Betreibt Sport und fürchtet euch nicht vor Luft, Wasser und Sonne.«

Das hat allerdings der Präsident Masaryk gesagt. Und vor Kindern. Denn vor Erwachsenen; – da ist das natürlich ganz etwas andres.

»Meine Damen und Herren! Im Namen der Reichsregierung kann ich erklären: Der heutige Tag ist ein Markstein in der Geschichte von Köln-Nippes. Die Anstalt für geprüfte Kreis-Hebammen, die wir heute dem öffentlichen Verkehr übergeben, ist so recht geeignet, Brücken zu schlagen . . . «

Mensch! halt die Luft an. Und sprich vernünftig und sauber und ohne Pathos. Es ist besser für uns alle.


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1930. Staatspathos. Staatspathos. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-5BBB-0