Die ausgezogene Frau

Die legitime Neigung zur Pornographie . . . »Sprechen Sie doch deutsch, Herr!«

Der verständliche Drang, auf der Liebesleiter von der Freude an einem schönen Frauenkörper bis zur Geilheit hinauf- und hinunterzuklettern, hat in den illustrierten Blättern Amerikas und Europas eine Hausse in Akten hervorgerufen, die in vielen Akten an einen Akt gemahnen. Soweit schön. Ich weiß auch, daß sich die Menschen nicht durch Knollen fortpflanzen und daß die Frage jenes alten Herrn, der im Walde ein Liebespaar belauschte: »Ja, macht man das denn immer noch . . . ?« nicht so ganz berechtigt ist. Sie machen das, solange sie sind. Immerhin: diese Bilder-Industrie fängt an, erheblich langweilig zu werden.

Massenhafte Pornographie ist schon dumm . . . Sie sollten nicht versäumen, sich so etwas einmal anzusehn: es macht sehr tugendhaft. Wie ödend ist aber nun erst das immer gleiche Sirup-Girl, das wir da aufgetischt bekommen: im Profil, von vorn, von oben und von der Mitte: manche wogen mit den Nüstern und wissen sich vor Schönheit gar nicht zu lassen; manche legen ihre ganze Seele oder was sie dafür [280] halten, in ihre gezierten Hände . . . und alle, alle sehen ganz gleich aus. Es gibt wohl nur sechzehn verschiedene Ausführungen, und man muß sehr genau hinsehn, um sie voneinander zu unterscheiden.

Brauchen das die Leute –? Es scheint so. Eine Zeitschriftennummer mit einem hübschen Mädchenkopf geht immer; auch die Soldaten haben sich ja auf die hölzernen Wände ihres Unterstands die gelackten Matrosenbilder und Badeschönheiten geklebt . . . aber das war doch noch verständlich! Es war Ersatz. Was fangen aber nur heute die Kerls mit diesen vielen zuckersüßen Bildern an, während doch die sicherlich reizenderen, weil nicht so glatten Originale um sie herumlaufen?

Das verstehst du nicht. Der Mensch hat einen Hang zum Idealen. Er will nicht immer bloß Bohnensuppe essen und nachher befriedigt, sagen wir, ausatmen – er will nicht immer nur seine Gattin sehen, was verständlich ist: er will das Gebild aus Himmelshöhen. Und das kriegt er hier nun für fünfzig Pfennig.

Meist ist es halbnackt, und wenn es ganz nackt ist, dann ist es ausgezogen. Mitunter gibt es alle gynäkologischen Details, dann sind sie aber weltanschaulich versichert, Marke: Nacktkultur oder Höhensonnenpflege oder was der Mensch so sagt, wenn er die fotografierte Volldame meint. Fettig tastet sie der Blick des Vielbeschäftigten ab; kein Wunder, daß diese Zeitschriften so fleißig hecken, denn wie viele Blicke haben sie schon begattet! Und wenn ein Redakteur gar nicht mehr weiß, was er bringen soll: Busen ist immer gut. Schenkel ist immer gut. Popo ist immer gut.

Schade, daß auf der andern Seite solche heillosen Trottel der Prüderie stehen; man könnte das alles noch viel schärfer sagen. Aber dann wirds im ›Evangelischen Posaunenengel für die Mark Brandenburg‹ abgedruckt: »Die ›Weltbühne‹, mit der wir sonst nicht übereinstimmen, und die doch wahrlich nicht in dem Ruf übergroßer Sittenstrenge und Zimperlichkeit steht . . . « Amen.

Mir kanns ja gleich sein. Aber wollt ihr eigentlich alle immerzu diese Bilder sehn –?


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1930. Die ausgezogene Frau. Die ausgezogene Frau. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-5B2F-E