Ludwig Tieck
Die Gesellschaft auf dem Lande

[211] Als die beiden jungen Freunde sich an der Aussicht über den Strom hin ergötzt hatten, gingen sie über die Brücke, um sich jenseit zu trennen, indem Franz, der ältere von beiden, sagte: »Auch im Brandenburgischen Lande, mein teurer Gotthold, gibt es schöne Naturgemälde, wenn man sie nur aufzusuchen versteht, und keine phantastischen Erwartungen hinzubringt, die eigentlich jeden Genuß, sei es hier, oder in Italien, verderben.«

Gotthold erwiderte: »Du hast so sehr recht in diesen Worten, daß man sie auf alles anwenden kann, auf Kunstwerke, Bücher und Menschen. Wie wenige wissen denn nur, was sie von einem guten Buche, von einer Geschichte, von einer Komposition fordern sollen. Sie verlangen entweder gar nichts, oder sie wollen sich nur ihre Neigungen, Vorurteile und Schwächen herauslesen, oder das bei Caspar finden, was ihnen gestern im Werke des Melchior gefiel: wenn nicht ein ganz Unbestimmtes, Unbedingtes, Luftiges ihnen vorschwebt, das sie das Ideal oder das Interessante taufen.«

Franz blickte noch einmal nachdenkend in das Wasser und sagte dann: »Von ihrer Gegend rinnt der Strom her, ihre Blicke haben vielleicht auf diesen Wogen geruht: ist denn wohl auch ihre Sehnsucht in diesem Glanze?«

»Laß das Phantasieren«, sagte Gotthold, und zog ihn vom Geländer zurück. »Wir sprechen so vernünftig über Bücher, und richten doch unsere Lebensart selbst auf so tadelnswürdige Weise ein. Du trittst deiner Adelheid (ich nenne sie dein, ob sie dich gleich noch gar nicht kennt) mit derselben Unbestimmtheit entgegen, weißt auch nicht, was du von ihr fordern sollst, was deine unbeschränkte Sehnsucht dir etwa gewähren kann, wie sich dein eigner Charakter umsetzen oder entwickeln mag, oder wie gar aus diesem Spiel (das mir etwas frevelhaft erscheint) sich unsinnige Leidenschaftlichkeit, selbst Unglück erzeugen könnte.«

»Du bist sonst nicht so schwerfällig«, warf der Poetische ein.

»Im Gegenteil«, rief Gotthold aus, »ich scherze darum wohl nur mit dem Ernst, erscheine übermütig und launenhaft, weil [211] ich jedes Geschäft immer nur als Geschäft und ernsthaft treibe. Die sind mißratene Humoristen, deren man freilich oft genug findet, die Arbeiten und Geschäfte mit genialem Übermut von der Hand schlagen wollen.«

»Liebe ein Geschäft!« rief Franz empfindlich aus.

»Liebe, die heiraten will«, antwortete der Freund, »ist es auf gewisse Weise doch auch.«

»Aber gönne mir«, fiel jener ein, »doch diese Rosenmonate meiner Jugend, die schnell genug vorüber eilen werden. Billigst du auch das Abenteuer nicht, würdest du in meiner Lage auch ganz anders handeln, so dulde doch die Eigenheiten des Freundes und hilf ihm auch gegen deine Überzeugung; denn, wenn dies zu tun, nicht der Charakter der Freundschaft ist, so weiß ich gar nicht, woran ich die echte erkennen soll.«

»Gut gesagt«, antwortete Gotthold, »und so will ich dir denn auch in deinem Sinne dienen. Lebe wohl, die Brücke ist zu Ende, ich gehe links, du rechts, in einigen Tagen sehen wir uns wieder.«

»Auch muß ich eilen«, rief Franz, »wenn ich noch heut vor später Nacht den Ort meiner Bestimmung erreichen will.« – Er wollte schon über den Graben zum Fußsteig hinüber, mit einem leichten Sprunge, setzen, als ein alter Herr ihm ein gebieterisches Halt! zurief, welches den flüchtigen Fuß fesselte und auch Gotthold bewog, noch verwundert stehnzubleiben. Ein alter Mann saß auf einem Stein am Wege, mit einem feinen grünen Rocke bekleidet, Gold umsponn die Knopflöcher desselben, der dadurch den Anschein einer Uniform gewann, ein dreieckiger, nicht großer Hut bedeckte sein Haupt, aber am merkwürdigsten war ein langer, starker Haarzopf, der mit schwarzem Seidenbande umflochten, die Steine des Weges, als er noch saß, berührte; eine Tracht und Zier, die in jenen Jahren nicht mehr häufig gesehen wurde, in dieser Kraft, Stärke und Vollendung aber auch in frühern Tagen zu den größten Seltenheiten würde gezählt worden sein.

»Halt!« rief dieser altfränkische Mann und stand von seinem Sitze auf. Jetzt ragte er eine Kopfeslänge über die Jünglinge hinaus. »Wo kommt ihr her?« fragte er mit barschem Ton: »wo geht ihr hin? Wer seid ihr?«

Gotthold lachte nur, aber der empfindliche Franz antwortete mit der Gegenfrage: »Nicht wahr? wir sind hier schon dem Torschreiber vorbei?«

»Allerdings«, sagte der grüne Mann.

[212] »Nun«, erwiderte Franz, »so bemühn Sie sich nicht weiter«; und zugleich war er schnell fortgegangen.

Da der alte, schlanke Herr, der eine gewisse Würde in seinem Wesen aussprach, beleidigt schien, so sagte Gotthold freundlich zu ihm: »Vergeben Sie dem jungen Menschen, der jetzt von Berlin gekommen ist, und eine Fußreise in das Schlesische Gebirge vornehmen will. Er ist eigentlich Einnehmer.«

»Einnehmer?« murrte der Alte, »so durfte er nicht so ungestüm verfahren, wenn er mich auch wirklich für nichts Vornehmeres als einen Torschreiber hielt, denn die beiden Posten sind oft in einer Person verbunden.«

»Einnehmer mein ich«, fuhr Gotthold etwas verlegner fort, »ein Mann, der gerne Geld einnimmt, denn das ist seine Passion, er ist ein Porträtmaler, und in Miniaturbildern recht geschickt, aber er tut keinen Pinselstrich umsonst. Aber das ist nicht seine einzige Leidenschaft. Er will auch gern für sich einnehmen, er will sich beliebt und geliebt machen, er bildet sich ein, in seinem Wesen viel Einnehmendes zu haben, und darum nannte ich ihn hauptsächlich einen Einnehmer. Bei den Frauenzimmern möchte er am liebsten für einen solchen gelten.«

»Herr!« sagte der grüne Mann und drückte sich den Hut tiefer ins rote Gesicht, »Sie sind auf keinen Fall ein Einnehmer sondern im Gegenteil ein recht widerwärtiger Patron, mögen Sie nun von Berlin oder dem luftigen Paris herkommen. Der andere junge Mensch war nur simpel grob, aber Sie hänseln einen alten Mann, Sie haben mich zum besten, da Sie doch vor meinen Jahren Respekt haben sollten. Adieu! es soll mir recht lieb sein, wenn wir uns niemals wieder antreffen.«

Er winkte einem kahlköpfigen Jäger, mit dem er in die Stadt zurückkehrte, und Gotthold verfolgte seinen Weg nach einem Gute, wo er einen alten Freund aufsuchen wollte, mit sich selber unzufrieden, daß er seiner Lust zu scherzen zu leicht nachgegeben hatte. Er erinnerte sich der Warnung, die er selber oft im Munde zu führen pflegte: daß zum Spaße, wenn er ein solcher wirklich sein soll, zwei gehören, einer, der ihn macht, und der zweite, der ihn versteht.


Franz wanderte durch einen Fichtenwald, indem er, selbst auf dem Fußsteige, oft über die Sandstrecken bittere Klagen führte. Ihn wollte manchmal schon sein Eigensinn gereuen, daß er auf diese Weise seinen Einzug in das väterliche Haus [213] seines Jugendfreundes halten wollte. Die Geduld indes und die Vorstellungen, noch an diesem Abend die schöne Adelheid zu sehen, verkürzten ihm die langen sechs Stunden, und endlich stand er wirklich früher vor dem Dorfe und der Pfarrkirche, als er es erwartet hatte.

In der Schenke verbesserte er seinen Anzug ein wenig, und ging dann mit klopfendem Herzen nach dem Schlosse. Die Lichter brannten schon, als ihn ein freundlicher Bedienter der gnädigen Frau meldete, die ihn im Saale, in Gesellschaft ihrer Tochter, annahm. Es wurden noch einige Kerzen angezündet, und der Fremde gab mit einem Gruße den Brief des Sohnes ab. Die Mutter empfing ihn und sagte zur Tochter: »Lies mir ihn vor, liebes Kind, du weißt, daß bei Licht meine Augen ablegen. Lassen Sie sich nieder, wertgeschätzter Herr, und vergeben Sie.«

Adelheid las das Blatt, welches der Überbringer schon kannte.


»Ich sende Ihnen, geliebteste Mutter, einen meiner teuersten Jugendfreunde, den Herrn Franz Wagner, einen sehr geschickten Miniaturmaler. Er ist auf einer Reise nach dem Schlesischen Gebirge begriffen, und hat mir versprechen müssen, mich in unserm Hause zu erwarten, der ich aber wohl noch acht Tage in Berlin bleiben werde. Ich bin überzeugt, daß Sie diesen lieben, talentvollen Mann nach Ihrer allgemein bekannten Güte aufnehmen und behandeln werden. Ich wünsche, daß er in meiner Abwesenheit mein Zimmer bewohne. Vielleicht lassen Sie sich, oder meine Schwester bereden, sich von ihm malen zu lassen.« –


Adelheid hielt inne. – »Nun?« sagte die Mutter, »fahre fort, mein Kind.« Die Tochter las zögernd und mit ungewisser Stimme weiter:


»Was die letztere betrifft, so muß ich bitten, daß sie barmherzig mit meinem Freunde umgeht, und nur die liebenswürdigen Launen gegen ihn ausläßt. Läßt sie sich malen, so zeige sie ja den freundlichen Blick, und nicht jenen schmollenden, um mit diesem nicht meinen Freund, der von Natur zaghaft ist, aus dem Schlosse zu jagen. Was den Papa betrifft, so weiß ich wohl, daß dieser sich lieber dem Müller als dem Herrn Wagner zum Malen überlieferte. – Ich hoffe Sie alle gesund wiederzusehen.

Cajus.«

[214] »Da mein Sohn«, sagte die gnädige Frau, »Sie so vorzüglich schätzt und auszeichnet, so muß ich nur bitten, daß Sie Nachsicht mit uns haben mögen, denn die Einsamkeit des Landes gewährt nur wenige Unterhaltung. Mein Sohn, der Sie am meisten zerstreuen könnte, ist noch abwesend; auch mein Mann ist verreist, und kömmt erst nach einigen Tagen zurück. Ich werde Ihnen die Bibliothek öffnen lassen, das Reitpferd meines Sohnes steht zu Ihren Diensten, einige Besuche in der Nachbarschaft werden Ihnen die Zeit auch vielleicht verkürzen, und wenn Sie ein nachsichtiger Liebhaber des Gesanges sind, so kann meine Tochter vielleicht –«

»Liebe Mutter«, unterbrach sie diese, »zählen Sie mich ja nicht unter den hiesigen Raritäten mit auf, denn sonst komme ich noch mit unserm Herrn Amtmann Römer auf derselben Linie zu stehn.«

Man setzte sich an einen kleinen runden Tisch zum Abendessen nieder. »Und warum«, fing die Mutter wieder an, »willst du immer auf unsern würdigen Römer sticheln? Er ist unser Verwalter hier, müssen Sie wissen.«

»Ich habe auch von Ihrem Herrn Sohne einen Brief an ihn«, antwortete Franz.

»Da werden Sie einen trefflichen Greis kennenlernen«, fuhr die Mutter fort. »Wir sind ihm seit vielen Jahren die ausgezeichnete Bewirtschaftung und Verbesserung unsrer Güter schuldig. Ein biedrer, deutscher Mann, treu, ehrlich und einfach.«

»Und redselig«, fügte Adelheid hinzu, »er wird Ihnen nicht einmal, sondern zehnmal den ganzen siebenjährigen Krieg vormachen, einhauen, niedersäbeln, marschieren, jedem General, Obersten und Lieutenant nachsprechen, wie der alte Ziethen gehn und gestikulieren und Ihnen seinen Säbel zeigen, den er noch mitgebracht und aufbewahrt hat.«

»Es waren alte, gute Zeiten«, sagte die gnädige Frau, »die keiner verachten soll. Gut, daß dein Vater nicht hier ist, der würde ziemlich böse werden.«

Franz fühlte sich in der Nähe des geliebten Gegenstandes glücklich, jedes Wort ihres Mundes war ihm wichtig, und die Stunde des Abendessens endigte ihm viel zu früh. Es war schicklich, sich zu beurlauben, verlegen empfahl er sich und trat bewegt in das einsame Zimmer. Er sah im Wirtschaftshause Licht, und erkundigte sich beim Bedienten, ob der alte Römer wohl noch wach sei. »Der geht nie vor zwölfe schlafen«, antwortete [215] dieser, »und ist doch am Morgen zuerst wieder munter, der Alte weiß nicht, was Müdigkeit ist.« Franz erinnerte sich, wie sehr ihm sein Freund empfohlen hatte, sich diesem alten Wirtschafter, der der Liebling seines Vaters sei, ja angenehm zu machen. Er ging daher noch jetzt hinüber, um seinen Brief abzugeben.

Er traf den muntern Alten, der eben mit seiner viel jüngern Frau zankte, welche die Partie des Predigers nahm, der unlängst von ihnen gegangen war, aufgebracht und in Zorn. Jetzt aber stand er auf, umarmte den Fremden, ließ ihn niedersitzen, las den Brief seines jungen gnädigen Herrn und Freundes, umhalste dann den Angekommenen noch einmal und küßte ihn so herzlich, daß Franz nicht ganz ohne Besorgnis um seine Zähne, Arme oder Rippen blieb. »Das ist wahr«, rief er dann, »wen unser Cajus auf diese Art empfiehlt, der muß ein herrlicher Mann sein! Aber gewiß, solcher edler Menschen, wie unser Cajus einer ist, finden sich auch nur wenige auf dieser Welt! Ich bin nun bald sechsundsechzig Jahre alt, aber seinesgleichen habe ich nirgend getroffen. Die ganze Familie, Herr, ist noch ganz so, wie aus den alten Zeiten, deutsch, handfest, ehrenvoll, ohne Lug und Trug. Nicht wahr (ei, daß ich, alter Narr, auch frage), Sie kennen die Geschichte des siebenjährigen Krieges? Sehn Sie, Herr, der Säbel da weiß von dem zu sagen, der hat ihn mitgemacht, den ganzen merkwürdigen Krieg, in dieser meiner Faust!«

Er nahm den Pallasch in seiner stählernen Scheide von der Wand, zog ihn heraus und gab ihn dem jungen Mann, ihn zu prüfen. »Der hat Blut gesehen!« rief der alte Husar nun begeistert aus; »ja, Herr, ein Ziethenscher Husar von damals war auf Erden eine weltberühmte Kreatur, und mit Recht, denn solche Taten, wie unser alter kleiner Held mit seinem Regimente in jenen Zeiten verrichtete, geschehen nicht wieder.«

Mit einem Seufzer und majestätischen Anstande warf er den Säbel klirrend in die Scheide und ließ ihn wieder an der Wand an seiner Stelle prangen. »Wir leben zwar in einem neuen Jahrhundert«, fing er dann wieder an, »aber darum in keinem bessern, in keinem heroischern, was die Leute auch von Buonaparte und Moreau, oder ähnlichen sprechen mögen. Apropos! vor zwei Jahren war hier in dieser meiner Stube ein gar ernsthafter und wichtiger Streit, der auch noch großenteils die Ursache ist, daß ich mit unserm Herrn Prediger etwas auseinandergekommen bin. Ich bin begierig, was Sie meinen. Vor zwei [216] Jahren war es nämlich, wie weltkundig ist, daß man aus der Sieben in die Acht gehn, daß man plötzlich statt 1799, 1800 schreiben sollte. Nun war mir nicht im Traume beigekommen, daß es Leute, und sogar studierte, geben könnte, die behaupteten, das neue Jahrhundert finge erst mit dem Jahre 1801 an. Was sagen Sie?«

»Man war sehr uneinig«, sagte Franz.

»Aber unnötig«, fiel Römer hitzig ein. »Denken Sie sich doch nur den Fall: wir alle haben ein ganzes Jahrhundert hindurch siebzehnhundert geschrieben; gut, diese Sieben geht endlich aus: ich bitte, sein Sie recht aufmerksam; nun fängt das neue Wesen, die Acht, ja doch offenbar mit Achtzehnhundert an, im Jahre 1801 sind die Finger, die Nummer acht, die kuriose neue Aussprache, das Ding, das nun wieder von eins anfängt, und neunzig, achtzig, weit im Rücken hinter sich hat, schon längst gewohnt: muß da nicht jeder Mensch, der nur einiges Gefühl hat, der einen Sinn für Unterschiede fassen kann, nicht Leib und Leben darauf lassen, daß mit der Mitternacht 1800 der große Wendepunkt eintritt, den wir alle, die zugegen sind, nicht noch einmal erleben? Und diese Kapazität, sehn Sie, war in den Mann, in unsern Prediger durchaus nicht hineinzubringen! Wie ein Stock blieb er auf seinem Aberglauben. Die Eins finge das neue Jahrhundert an. Was Eins! In der Acht liegt es! daß es keine Sieben mehr ist! Er hätte wahrlich die Leute im Orte hier, die nicht überflüssiges Nachdenken haben, verführt, wenn es unser alter Baron nicht mit aller Gewalt durchgesetzt hätte. Feierlich wurde oben im Schlosse die merkwürdige Mitternacht begangen. Wer aber nicht zum Feste kam, war unser eigensinniger Prediger, und der Narr (Gott verzeih mir die Sünde!) setzt sich nun in voriger Neujahrsnacht in seiner Stube hin, und feiert mit einigen andern Separatisten sein windschiefes neues Jahrhundert. Ist das Philosophie, ist das christliche Demut, Herr? Ist das ein Beispiel für die Gemeine?«

Nach einigen andern Reden, nach friedlichem Zwischensprechen der sanftmütigen, verständigen Frau, nahm Franz vom alten zornigen Krieger Abschied. »Leben Sie wohl«, rief ihm dieser nach: »ach! noch eins! malen Sie doch die junge Baronesse so bald als möglich, der Bräutigam kann jeden Tag eintreffen.«

»Der Bräutigam?« rief Franz, und blieb in der Türe stehen.

»Es soll so gut, wie richtig sein«, sagte Römer, »ein Herr von Binder, nicht mehr jung, aber gut und sanft.«

[217] Über die letzte Nachricht hatte Franz Zeit und Gelegenheit, in stiller Nacht auf seinem Zimmer nachzudenken. Er verwünschte seine Reise, seine unnütze, lästige Maskerade, und daß er nicht schon vor einigen Monaten öffentlich den Schritt getan hatte, zu welchem es nun vielleicht zu spät war.


Am folgenden Tage ritt Franz mit dem Wirtschafter aus. Der Alte freute sich, ihm auf seinem kleinen Pferde viele seiner Husarenkünste vormachen zu können. »Wie Sie dies Pferd hier sehen«, sagte er endlich, »so ist es vor Jahren von dem berühmten französischen General Jourdan geritten worden. Ein östreichischer Hauptmann hat es auf einer Reise aus Franken nach Sachsen gebracht, in Sachsen hat es ein Oberster gekauft, der es nachher einem Herrn von Schlieben abgelassen hat, für den war das Tier noch zu mutig, und er gab es einem Ökonomie-Inspektor im Magdeburgischen, der es gleich darauf an einen Amtmann bei Brandenburg verhandelte, von dem hat es ein getreuer Freund, der es weiß, wie sehr ich auf rasche Pferde halte, für mich gekauft.«

Sie ritten über Wiesen, die von Eichen und Gebüschen angenehm unterbrochen waren, bis zum Flusse. Die Arbeiter zeigten dem Verwalter allenthalben die größte Ehrfurcht; er lobte diese, er schalt andere, und Franz entschuldigte ihn bei sich selbst, wenn er zu bemerken glaubte, daß er sich einigemal in zu erhabene Autorität versetzte, und einen plötzlichen Zorn über Nachlässigkeiten übertrieb oder erdichtete, um nur dem Fremden die ganze Größe seines Wesens zu zeigen.

Sie kamen an das Ufer des Flusses, und wollten von da auf einem andern Wege in das Dorf zurückkehren. Hier war eine Niederung und ein frischer rinnender Bach, der die grüne Gegend durch seine mannigfaltigen Krümmungen anmutig erfrischte. Eine Mühle lag reizend im Grunde. Franz nahm seinen Weg dahin, doch das Bataillenpferd Jourdans und Römer schienen ungern diese Richtung einzuschlagen, denn der Reiter hielt es zurück und winkte dem voreilenden Franz. »Warum nicht hier?« fragte dieser. »Ei,« sagte der Alte, »der einfältige Müller hält immer böse Hunde, die die Pferde leicht scheu ma chen, auch ist seine Knittelbrücke selten imstande, und der Grobian läßt sich von mir nichts sagen, weil ich eigentlich mit seiner Pachtung, die eine königliche ist, nichts zu tun habe.«

[218] »Versuchen wir es doch«, sagte Franz, den die einsame Lage der Mühle reizte, und Römer mußte wider seinen Willen folgen. Zwei Hunde stürzten wirklich klaffend aus der Tür, die aber ein lautes Pfeifen gleich zurückrief; hierauf trat ein langer Mann heraus, dessen schalkhafte Miene auf Verstand deutete; so ernsthaft, ja fast ehrerbietig er auch grüßte, so konnte er doch ein satirisches Lächeln nicht unterdrücken. Römer warf den Kopf zurück und schob seinen dreieckigen Hut nur ganz nachlässig. »Der gottloseste Mensch«, sagte er, als sie vorüber waren, »weit und breit in der ganzen Gegend umher, dieser Herr Zipfmantel; er respektiert durchaus gar nichts und weiß alles in der Welt am besten. Räsoniert auch über Krieg und Soldaten, und hat doch niemals einen Feldzug mitgemacht. Die ganze Gegend hier gefällt mir, alle Untertanen und auch die Nachbarn sind zu loben, aber sooft ich hier in den Grund und an diese Mühle komme, so ist mir, als wenn ich alles Zutrauen zu mir und allen Glauben an die Menschheit verlöre. Mein Brauner hat auch denselben Abscheu, er will niemals dem Neste da vorbei.«

Am Mittage glaubte Franz zu bemerken, daß Adelheid sich mit Sorgfalt geschmückt habe. Sie ward einigemal, als er sie anredete, rot, sie antwortete nicht ohne Verlegenheit, sosehr sie sich auch zu bezwingen suchte. Sie lehnte es nicht ab, sich malen zu lassen, und man ward einig, daß man die Morgenstunden, sobald die Mutter nur aufgestanden sei, dazu anwenden wollte. Der Diener brachte einen Brief, den die gnädige Frau sogleich erbrach, er enthielt auch eine Einlage, welche sie der Tochter gab. Diese nahm das Blatt, wie beschämt, und verbarg es sogleich unter dem Teller. Franz glaubte, den Namen Binder zu hören.

Auf seinem Zimmer stellte er vielerlei Betrachtungen an. Sein Malergerät war mit seinen übrigen Sachen auf der Post angekommen, aber die größte Freude machte es ihm, als am Abend der Postillion blies und sein Freund Gotthold vom Wagen sprang, der sich auch sogleich mit einem Briefe vom Sohn des Hauses der Familie vorstellte.


Durch Gottholds Gegenwart ward die Gesellschaft des Schlosses belebter, und Franz fühlte sich behaglicher und freier, da der Freund sein Geheimnis ganz kannte. Auch Gotthold war ein Freund der Malerei, und ergötzte sich vorzüglich, Karikaturen [219] mit einer freien und geübten Hand zu entwerfen, durch die er Adelheid oft zum Lachen zwang, welches indes der hochgestimmte Franz übel empfinden wollte, welcher behauptete, dergleichen Fratzen lägen gänzlich außer dem Bereiche der Kunst. Er gab zugleich nicht undeutlich zu verstehn, soweit es nur irgend die Artigkeit erlaubte, daß es von weniger feinen Empfindung oder Bildung zeuge, wenn man sich an dergleichen Mißgestalten ergötzen könne. Doch Adelheid, welche ihn sehr gut begriff, lachte nur um so herzlicher. Das Vertrauen der Mutter, die von Natur freundlich und gütig war, schien aber Gotthold durch seinen frohen Mut gänzlich gewonnen zu haben. Er war schon am ersten Tage wie das Kind des Hauses, und durfte sich alles erlauben, worüber der ernsthaftere Römer manche finstere Miene zog, weil er meinte, der junge Mann verletze seine Würde und möchte wohl nicht unterlassen, ihn ebenfalls bei erster Gelegenheit lächerlich zu machen, vorzüglich da der Satiriker bei seinen Streifzügen auch sogleich mit dem verdächtigen Wassermüller Zipfmantel eine Art von Freundschaft errichtet hatte.

An einem schönen Vormittage ging die Gesellschaft nach einem kleinen Weinberge spazieren, der heiter und anmutig lag, und zwar beschränkte, aber liebliche Blicke auf niedere Hügel und Waldwiesen gewährte. Gotthold war mit der Mutter vorausgegangen, und Adelheid setzte sich auf eine Bank, um der heitern Landschaft zu genießen, indem aus dem Busche einige Nachtigallen im zärtlichen Gesange wetteiferten. Franz setzte sich zu ihr und sagte bewegt: »Wissen die Menschen nun wohl, was sie wollen, die nur immer nach dem Fernen und Fremden mit Hast und Unruhe rennen, und nur im warmen Klima, in berühmten Gegenden die Natur schön finden können? Hier, in dieser friedlichen Umgebung, von diesen Blütenbäumen umduftet, von diesen Tönen umflattert, der Ruf des Pfingstvogels aus dem Walde vor uns, diese süß bewegte Luft, und der Blick auf das Grüne der Birken und Lerchenbäume dort in das Blau des klaren Himmels hinein, wüßte ich doch nicht, was jetzt tiefer und inniger das Herz bewegen, was mehr entzücken und rühren könnte.«

»Es freut mich, daß Sie so denken«, sagte Adelheid, »denn es verdrießt mich oft, wenn Weitgereiste, oder Naturkenner durch Studium und Reisen so weit gekommen sind, daß sie eine Gegend, wie die unsrige, gar nicht mehr beachten, noch weniger liebgewinnen können. Der Frühling ist allenthalben [220] ein liebliches Wunder, wo nur irgend Bäume knospen und blühen, und Blumen die Augen aus dem Grase richten. Und so wenig ich auch gereiset bin, so glaube ich doch schon so viel erfahren zu haben, daß eine gewisse Rührung, eine sanfte Schwermut oder Sehnsucht, welches das Kleinleben der Natur, wie dieses hier, in uns erregt, größere Landschaften, Gebirge und weite Aussichten nicht hervorbringen können.«

»Ich glaube das nämliche erlebt zu haben«, fuhr Franz fort, »und ob ich gleich viele schöne Gegenden gesehn habe, so möchte ich doch die Empfindungen meiner Jugend in Wald und auf Wiesen, in den Birkenwäldchen unserer Gegend, ja in den finstern Kieferwäldern, wenn der Luftzug hin und her durch die tausend Nadeln musiziert, nicht aufopfern, wenn ich sie mit den trunkenen Gefühlen unbedingt austauschen sollte, die die Schweiz oder Italien in ihren großen Naturgemälden uns gönnen. Auch entdeckte ich nach meiner Rückkehr mit Freuden, daß ich für das Kleine, beschränkt Einheimische, und für die stillen Zauber, die daraus hervorquellen, noch denselben frischen Sinn meiner Kindheit behalten hatte.«

»Die Natur«, sagte Adelheid, »wo sie nicht ganz in Moor, Sandflächen und Heidekraut wie abgestorben ist, rührt uns immer durch ihre unverfälschte Wahrheit. Sie ist und bleibt die schönste Kinder- und Erziehungsstube.«

»Sie hat sich auch meiner schon frühzeitig recht liebreich angenommen«, bemerkte Franz.

»Und doch«, sagte Adelheid lachend, »haben Sie die Hauptsache nicht von ihr gelernt.«

»Und die wäre?« fragte jener begierig.

»Eben die Wahrheit, Aufrichtigkeit, schlichte Treue, antwortete Adelheid mit einigem Nachdruck. »Alle Ihre Handlungen, Ihre Blicke und Worte sagen mir, daß Ihnen an meinem Wohlwollen etwas liegt, und doch, junger Herr, hintergehn Sie mich, und zwar nicht fein, nicht so, daß man es entschuldigen könnte. Und was meine Eltern künftig dazu sagen werden, besonders mein Vater, weiß ich noch gar nicht.«

»Was meinen Sie?« fragte Franz äußerst betreten.

»Sie wollen ein Maler sein«, fuhr Adelheid fort, »und schon beim ersten Eintreten an jenem Abend durchsah ich Ihre Maske. Wenn Sie ein Künstler waren, wozu denn jene forschenden Blicke, jenes Prüfen meiner Mienen, und deren meiner Mutter? Ihre Malersachen kommen an, und vieles ist zerbrochen, verdorben, das alles ist Ihnen so gleichgültig, wie ich es nicht einmal [221] dem Dilettanten, viel weniger dem Künstler verzeihe. Und nun liegen Sie hier auf der Lauer, um, wer weiß was, wie ein Herzensspion zu beobachten und zu erkundigen, und mein fataler Bruder ist mit im Komplott.«

Franz entwickelte plötzlich aus der höchsten Angst und Verlegenheit dreisten Mut und Vertrauen, er erhob sich vom Sitz und stürzte sich zu den Füßen des schönen Mädchens. »Nein, nur das nicht«, rief Adelheid, »das paßt hier an diesem zugänglichen Orte gar nicht, und ist in unserm Lande gegen das Costüm – da kommt auch meine Mutter. Ich danke Ihnen, Herr Wagner«, rief sie ganz laut und lachend, »daß Sie mir das Gänseblümchen da haben pflücken wollen; es verlohnt sich nicht der Mühe, doch will ich es aufbewahren.«

Sie gingen nach dem Hause zurück, Franz verstimmt und Gotthold, der den Zusammenhang erriet, schäkernd und spottend. Als die Freunde allein waren, rief der Lustige: »Nun, du hast dich also erklärt, und es ist entschieden?«

»Nichts weniger als das«, sagte Franz. »Das boshafte Kind macht sich eine Freude daraus, mich zu ängstigen. Sie hat gemerkt, daß ich kein Maler bin, und eben als du hinzutratest, wollte ich sie um Verzeihung bitten. Ich seh es auch voraus, daß sie mich nie wird zu einer umständlichen Erklärung kommen lassen, darum mußt du ihr, bei erster Gelegenheit, alles sagen. Deine Fassung ist ruhiger, du wirst als Freund für mich sprechen, mich entschuldigen und ihr meine Leidenschaft entdecken.«

»Ein seltsamer Auftrag«, bemerkte Gotthold. »aber wenn ich ihn übernehme, so mußt du mir auch erlauben, ihn auf meine Art auszuführen, denn mir gegenüber wird sie noch spaßhafter und toller sich gebärden, und es gäbe nichts Erbärmlichers, als wenn ich ihr dann mit Wehmut, Elegie und sentimentalem Ernst gegenüberstände.«

»Tue, wie du es kannst und willst« sagte Franz resigniert, denn ich sehe wohl, daß ich hier eine einfältige Rolle übernommen habe, der ich nicht gewachsen bin. Wenn sie nur erfährt, weshalb ich diese Maske angelegt habe, und daß ich sie innig liebe. »Mag es dann kommen, wie es will, ich bin auf alles gefaßt.«

»Verzweifle nur nicht«, rief Gotthold, »da sie dich so neckt und quält, so ist dies vielleicht gerade eine Vorbedeutung ihrer Neigung: denjenigen, der uns gleichgültig ist, läßt man laufen.«

[222] »Als wenn junge übermütige Mädchen« bemerkte Franz, »nicht denjenigen oft auf ausgesuchte Weise marterten, der ihnen recht zuwider ist.«

»Die Manier ist dann etwas anders«, tröstete Gotthold, »das geschieht dann auch nicht in der Einsamkeit, sondern in der Gesellschaft boshafter Freundinnen. Und überhaupt muß der Mann den Mut nie sinken lassen; ich dächte, wenn man so recht und innig liebt, so müßte diese Liebe auch unausweichlich das weibliche Herz entzünden. Sonst sprecht, ihr Liebhaber, mir nur niemals wieder von magischen Kräften.«

»Wenn sie aber schon versprochen ist, schon den Bräutigam erwartet?« sagte Franz traurig.

»So sieht sie mir nicht aus«, bemerkte Gotthold. »Doch genug, Freund, ich will jetzt wieder an meine Arbeit gehn.«

»Wieder Verzerrungen?« fragte Franz.

»Nein«, antwortete jener, »diesmal wird es etwas Großes, Idealisches. Du sollst selbst überrascht werden. Aber unausstehlich ist es doch in eurem Lande, das immerwährende unrichtige Sprechen anhören zu müssen. Diese ewige Verwechslung des Mir undMich könnte einen Rechtgläubigen zur Verzweiflung bringen. Dabei ist das Ding so charakterlos, so recht eigentlich insipide, daß man es nicht einmal zum Spaß in Komödien oder Erzählungen nachahmen kann, denn es würde bloß albern auftreten. Das ist aber nicht wahr, was du mir sonst wohl von deinen Landsleuten erzählt hast, daß sie ohne allen Unterschied bald Mir bald Mich gebrauchen. Ich glaube, zu bemerken, daß es Sekten gibt. Hier im Hause (Adelheid ausgenommen, die richtig spricht, es wäre auch für eine Geliebte entsetzlich, so wie die übrigen zu prudeln) herrscht offenbar der Akkusativ vor: die alte gnädige Frau braucht ihn beständig; ob ich gleich erforscht und ausgegrübelt habe, daß ein so feiner Geist, wie der ihrige, auch hier gründliche und tiefsinnige Unterschiede macht, für die sich auch wohl von einem denkenden Grammatiker etwas sagen ließe. Sie behandelt die Sache nämlich mehr aus dem Gesichtspunkt der Dialekte. Der Akkusativ, als der ionische oder attische, erscheint ihr vornehmer und edler, daher braucht sie ihn unbedingt gegen ihre Domestiken. ›Christian, geb er mich das Fleisch – nehm er mich hier den Teller weg – Fanchon, tu sie mich die Mütze auf!‹ – Gegen uns aber, wo sie demütiger und höflicher erscheinen will, braucht sie fast stets den dorischen Dativ und sagt daher ganz richtig: ›Geben Sie mir das Salzfaß;‹ – nur geht [223] sie freilich in der Konsequenz so weit, daß sie auch sagt: ›Wenn Sie wohl geruht haben, soll es mir freuen.‹ – Indessen ist jedes System, jede folgerechte Lebensweise schon immer etwas Löbliches, und du hast wenigstens darin unrecht, wenn du von den Rednern deines Landes aussagst, daß sie die Anwendung dieses Kasus dem blinden Glücke, dem Zufalle, oder unbeugsamen Fatum überlassen. Sie denken über den Gegenstand; und warum will man sie zwingen, ihn so, wie der eigensinnige Adelung anzusehn?«

Bei Tische mußte Franz wirklich das bestätigt finden, was sein Freund beobachtet hatte.


Gotthold machte sich seit einigen Tagen mit zwei großen Bildern viel zu tun, die er grau in grau malte, dann auf Holz leimte und sie von dem Bedienten Christian ausschneiden ließ. An einem Nachmittage, an welchem Franz mißmutig im Felde herumstrich und die Mutter schlief, fand er Gelegenheit, den Auftrag seines Freundes auszurichten. Er erzählte dem Fräulein, daß Franz allerdings kein Maler sei, wie sie richtig erraten habe; er sei von guter Familie, reich, ohne Eltern und in einem halben Jahre Herr seines Vermögens, welches ein Oheim in Schlesien verwalte. »Daß er aber«, so beschloß er, »als ein junger Tor hier aufgetreten ist, daran sind nur Ihre Reize schuld, die ihn, als er Sie im vorigen Winter in Berlin auf einem Balle sah, so besiegten, daß er seitdem seiner Sinne nicht so recht mächtig ist. Da er nicht tanzte, und sich in einer melancholischen Verborgenheit hielt, so konnte er Ihre Schönheit um so mehr beobachten. Da fiel ihm die alte Fabel ein, die schon oft gespielt ist, daß er um sein selbst willen geliebt sein möchte, und zwar gerade von Ihnen; so dachte er sich diesen witzigen Plan aus und legte seine undurchdringliche Maske an stümperte als Maler, sah Ihr Gesicht in allen Beleuchtungen, lernte alle Ihre Mienen auswendig und wurde immer törichter. Nun aber ist er in Verzweiflung, weil er von Römer gehört hat, daß Sie in diesen Tagen Ihren bestimmten Bräutigam erwarten.«

»Kennen Sie diesen Bräutigam?« fragte Adelheid.

»Auf keine Weise«, antwortete Gotthold, »ich bin auch so wenig wie mein Freund auf seine Bekanntschaft begierig.«

»Dennoch«, antwortete sie freundlich, »werden Sie einen sehr interessanten Mann in ihm finden.«

»Ich zweifle«, rief jener. »Lassen wir, meine Gnädige, diesen [224] fatalen Diskurs, und sagen Sie mir lieber, welche Hoffnungen ich meinem armen Franz bringen darf.«

Adelheid stand auf und sah aus dem Fenster, dann kam sie zurück, als wenn gar keine Unterredung zwischen ihnen stattgefunden hätte. »Es regnet«, sagte Gotthold, »ich habe es schon seit einiger Zeit beobachtet, und der arme Franz wird naß nach Hause kommen. Und Sie sagen mir nichts über ihn?«

Adelheid sah ihn ernsthaft an, und lachte dann laut auf. »Sie sind sehr dringend«, sagte sie nachher, »ich muß notwendig auf den Argwohn geraten, daß alles dies nur wieder eine neue Maske ist, und Sie der eigentliche Liebhaber sind.«

»Der Himmel soll mich behüten!« rief Gotthold lebhaft aus; »nein, nur die Freundschaft kann mich dahin bringen, solchen ängstlichen Dialog zu führen.«

»Nun so endigen wir ihn«, antwortete Adelheid; »die Sache, durch Prokuration verliebt zu sein, ist überhaupt zu neu, als daß ich mich so schnell in sie finden könnte.«

»Wäre es nicht der Abkürzung wegen gut«, fragte Gotthold, »dem Franz einen Stein um den Hals zu binden, und ihn so in den Strom zu werfen?«

»Noch nicht!« rief Adelheid, »dies letzte Mittel kann uns nie entgehn; ein vernünftiger junger Mann wird noch viele andre Auswege haben. Warum will er denn nicht liebenswürdig sein, und so übermenschlich vortrefflich, daß ich mich ihm auf Gnade und Ungnade ergeben muß?«

»Sie haben recht«, antwortete der Freund, »er soll, er muß, und wenn er nicht alle Register seiner Herrlichkeit aufzieht, ins Wasser mit ihm!«

Er ging wieder an seine Arbeit, tröstete dann seinen Freund, und am folgenden Tage, als der alte Römer auch bei der gnädigen Frau gespeist hatte, begaben sich diese und Adelheid in den großen Saal, wo Gotthold seine beiden Bilder aufgestellt hatte. Das eine war eine schlanke, vorschreitende Figur, mit leicht schwebendem griechischem Gewande, die Schultern frei, jugendlichen Angesichts; die zweite ein bärtiger, sitzender Mann, ganz bekleidet und in breiteren Formen, auch älter, der auf seine ausgestreckten Hände niedersah. Als die Eintretenden sich gesetzt, die Bilder betrachtet hatten, und alle nicht wußten, was sie daraus machen sollten, erhob sich der übermütige Gotthold in einem Anfall seiner tollen Laune und hielt an die Versammlung folgende Rede:

[225] »Verehrteste Zuhörer!

Indem ich seit einigen Tagen von dem Vorsatz bewegt wurde, diesem teuren Hause ein Andenken meines Daseins, einen Dank, wenn auch nur kleinen, für die Gastlichkeit und Freundschaft, die ich hier genossen habe, zurückzulassen, kam in den feierlichen Stunden der Mitternacht die Begeisterung zu meinem Lager, und in kurzem Verkehr mit der Göttlichen wußte ich sogleich, was mir zu tun obliege. Wohl klagt unser Schiller mit Recht, daß die Götter von unsrer Erde entwichen seien, die den Griechen Wald, Berg und Fluß belebten und verherrlichten. Besaß doch damals sogar jede Stadt, jeder Hain, jegliches Haus ein Bild der Gottheit, die dort vorzüglich verehrt wurde, und die auch darum gern verweilte. Soll ich an die Pallas der Athener erinnern, an Trojas, Thebens Heiligtümer, an den Pan Arkadiens? Doch wir, was haben wir, was glauben wir, wenn wir auch einen Apollo oder Hermes schnitzeln? Das hat ja die Bildhauerkunst bei uns schon tausendmal beklagt, daß die Veneres uns so wenig bedeuten, daß wir mit diesen Amoribus nichts anzufangen wissen. So wandte man sich mehr wie einmal zu vaterländischen, deutschtümlichen, volksmäßigen, isländischen Göttergebilden. Aber Freia und Thor, Odin und Wodan, Tyr und Loke, samt Balder wollten uns ebensowenig aus der ratlosen Lage helfen, denn ihnen kam noch weniger der Glaube entgegen, und Kenner selbst meinten: ihre Attribute, ihre Fabeln, ihre ganze Statur und Natur vertrügen sich nicht mit dem guten Geschmack. Schon oft hab ich mich im stillen gefragt: warum hat noch keinen Genius der Blitz der Weissagung durchdrungen, uns den Geschmack selbst bildlich darzustellen? Haben wir doch Mütterlichkeit und Kindesliebe, Gesetzgebung und Freiheit, ja Aufklärung gezeichnet und gestochen, wenn auch nur in Vignetten, oder in Kalendern. Warum haut man nicht den Geist der Zeit in Marmor, oder Liberalität, Humanität, die Fortschreitung des Menschengeschlechts, die sich von selbst auch der schwachen Imagination im Bilde darbietet? Hier, vaterländische Künstler, geht ein neuer Weg, hier ist ein frischer, unberührter Steinbruch, um Originalität zu holen, die Lorbeerkränze fallen von selbst herunter. Nun möchten Sie glauben, diese Figuren, da ich mich so ereifere, sollten etwa den Geschmack, den Zeitgeist, den Zustand der Finanzen, den Amortisationsfond oder den Patriotismus darstellen; aber weit gefehlt, begeisterte Freunde, diese Einleitung ward nur vorangeschickt, um eine Bahn zu öffnen, die uns näher liegt, [226] die uns wichtiger sein muß, und auf welcher wir den Griechen gleichkommen, ja sie wohl noch überflügeln können.

Denn das ist jenen Alten immer vorzurücken, daß sie Bild und Sache verwechselten; über ihre Verehrung der Naturkräfte war ihnen, was wir alle noch täglich bedauern, der Schöpfer selber schon verlorengegangen; aber als sie nun Stein, Holz und Erz sogar für das Wesentliche hielten, da war Hopfen und Malz an ihnen verloren. Deshalb ist zu befürchten, die wir schon mit Begriffen Götzendienst treiben, daß wir bei plastischer Bildung dieser gefühlreichen Begriffe ganz in die Anbetung des kälbernen Apis geraten möchten. Um also unsere Gemüter frei zu lassen, und doch der Kunst und Originalität genugzutun, habe ich als der erste kühne Beschiffer eines unbekannten Ozeans den vielleicht zu kühnen Versuch gemacht, in der Gestalt dieses schlanken jungen Mannes dem schauenden körperlichen Auge den Accusativus hinzustellen, der in diesem Hause und in der ganzen Provinz mit ausgezeichneter Andacht verehrt wird. Sei er also der schützende Genius dieses Schlosses, dem schon die Herzen schlagen, der so oft angerufen, zitiert und angewendet wird, in Gelegenheiten, wo andre Provinzen seinem Bruder, dem Dativ, huldigen. So, wie er hier gezeichnet ist, hat diesen feinen, idealischen, sanften Akkusativ mein Geist geschaut, und ich bin der festen Überzeugung, nur in diesem Vorschreiten, in diesem leichten Gange, in dieser Gestalt und Gebärde kann er in die Wirklichkeit treten. Vielleicht, daß der junge Erbe dieses Hauses ihn in Zukunft in Marmor gestalten läßt, nach dieser Skizze, die aus Andacht und Begeisterung hervorgegangen ist. Des Kontrastes wegen sitzt dort sein Bruder, der gedrückte, bescheidne Dativ, erwartend, statt entgegenzukommen, ruhend, statt im Anlauf, gedrungen, breit, stämmig, statt schlank und heiter. Frage jeder sich der teuern Anwesenden, jeder sinnige Beschauer, ob nicht so diese Gebilde schon seit undenklichen Zeiten in seinem Innern schlummerten. Wohlan denn, der Berg ist durchgehauen, der Weg nach der neuen und neuesten Kunst eröffnet! Mir nach, ihr Jünglinge, ihr Genien, beflügelte Geister, die nur darauf warteten, den Himmel der Kunst von einer neuen Seite bestürmen zu können. Wem von euch wird der Nominativ, der seltsam geheimnisvolle Genitiv erscheinen? Von dem wunderlich verrufenen Vocativus, dem frömmsten der sechs Brüder, ist eine kuriose Sage durch alle Länder im Umlauf, so daß er der unwissenden Menge schon oft zum Gelächter gedient hat. Ebenso war [227] Kassandra verspottet, so wurde des Tiresias Weisheit nur zu oft mißverstanden. Aber in manchem frommen Bilde, das die Augen in Ekstase nach oben dreht, von Carlo Dolce und ähnlichen, habe ich geglaubt, die Annäherung an meinen Vocativus, die Ahndung dieses hohen Ideals zu entdecken, wenn die Gemäldegalerien und ihre Register die Figur auch ganz anders taufen.

Sollen denn aber bloß diese Kasus in der neu aufblühenden Kunstschule gebildet werden? Diese hohen Gestalten bewachen ja nur den Eingang zur menschlichen Erkenntnis. Wer sie schon geheimnisvoll nennt, mit welcher Mystik muß er dann Indikativ und Konjunktiv, das nahestehende Präsens, das hohe Perfektum, das verehrungswürdige Plusquamperfektum begrüßen? Ein Name, vor dem schon der Knabe sich beugt, der zum Bewußtsein erwacht. Soll ich das Futurum, das unbegreifliche Kind von diesem, dasPaulo post noch nennen? Und der Infinitiv! Müßte er nicht in vielen Palästen als Schutzgott hingestellt wer den, da der Große schon seit lange, der Vornehme, mit lakonischem Bestreben ihn fast einzig und allein gebraucht? Dann noch der heldenkühne Imperativ, dräuenden Blicks, zornig wie Ares, stark wie Thor, majestätisch wie Zeus. Ist erst dieses geschehen, so wage sich ein künftiger Praxiteles oder Apelles selbst an die beiden Aoristen der Griechen, um das Sublimste zu schaffen und deutlich zu machen, was dem menschlichen Geiste vielleicht möglich ist! Sie sehen aber, Verehrte, daß auch schon, wenn wir bei deutscher Mundart bleiben, der Begeisterung unendlich viel zu tun obliegt. Hier stehn sie, die ersten Anfänge dieses glorreichen Jahrhunderts, der Nachwelt verehrungswürdig, weil sie zuerst den Pfropf lösten, der bis dahin den brausenden Champagner in der Flasche festhielt.« –


Adelheid hatte während dieser feierlichen Rede das Lachen verhalten müssen, die Mutter hatte sie aufmerksam angehört, ohne ein Wort zu verstehn, Franz war zu ernsthaft, um den Spaß genießen zu können, und der alte Römer ging empfindlich fort, indem er zur gnädigen Frau sagte: »Der junge Herr ist boshaft, das mit dem Vokativ soll auf mich gehn, weil ich die Augen manchmal gen Himmel aufschlage. Woher soll uns aber Trost und Hoffnung kommen, wenn nicht von dort? Das alles, glauben Sie mir, hat ihm der gottlose Müller eingeblasen; aber es ist weder Wahrheit noch Menschenverstand in der Sache.«

[228] Adelheid unterbrach die Ruhe, indem sie ausrief: »Der Vater kommt!« Alle liefen an das Fenster, ihn zu begrüßen, dann eilten sie die Treppe hinab, die beiden Fremden blieben zurück, und sahen den alten Herrn vom Pferde absteigen, der niemand anders war, als jener Grüne, gegen welchen sie sich an der großen Brücke nicht eben allzu höflich betragen hatten. »Was ist nun zu tun?« rief der erschrockne Franz: »ist es doch, als wenn alles Unglück auf mich einstürmte.« – »Nur zweierlei kann geschehen«, antwortete Gotthold mit Fassung: »entweder wir nehmen sogleich Extrapost und reisen ohne Abschied davon, und dies wäre das Mittel für die Feigheit, die alles aufgibt, wo noch nichts verloren ist: oder ich werfe mich in eine graziöse Unverschämtheit, und tu, als wäre gar nichts Besonderes vorgefallen. Dazu gehört aber, wenn es glücken soll, daß du dein Inkognito fahren lässest, denn wenn wir Edelleute sind, so nimmt das die Hälfte der Beleidigung hinweg.«

Hand in Hand gingen die Freunde hinab. Die Familie hatte sich schon begrüßt, und Gotthold eilte auf den Alten zu, umarmte ihn und rief: »Willkommen! willkommen! Aber warum haben Sie sich denn gar so lange erwarten lassen? Ich bin Gotthold von Eisenflamm, dieser hier Franz von Walthershausen Freunde Ihres Sohnes, und Franz ist weitläufig zwar, aber doch mit Ihnen verwandt. Verzeihen Sie uns jenen Spaß, alter, würdiger Freund, wir kannten Sie recht gut, und wollten nur sehen, ob Sie mit Ihrer Würde und Autorität auch wohl einige Geduld verbänden. Und herrlich haben Sie uns junges Volk ohne allen Zorn über die Achsel angesehn; auch dafür unsern Dank, verehrter Mann.«

Der Alte war wie im Sturm erobert, und konnte nicht zürnen. Bald musterte man alle Familienverzweigungen und Seitenverwandte durch, womit sich der alte Adel so gern, vorzüglich auf dem Lande beschäftigt. Franz gewann durch diese langweiligen Ausfädelungen so viel, daß er nun für eine Art von Vetter gelten konnte.


Am folgenden Tage war der alte Herr mit den jungen Leuten und seiner Gemahlin im Saale. Gotthold war etwas verlegen, was der grüne Mann zu seinen beiden Bildern sagen würde. »Ei!« rief er aus, »was ist denn das? Das ist hübsch, bei meiner Seele!« Die gnädige Frau fing an: »Der Mann, der da sitzt, soll ein gewisser berühmter Dadiv sein.« – »O Weibsvolk! Weibsvolk!« [229] rief der Vater: »was das schwatzt, David will sie sagen, und verwechselt sogar den berühmten biblischen Namen; aber dazu fehlt ihm Harfe und Krone. Es ist offenbar der bettelnde, blinde Belisar, wie er am Wege sitzt, und ein Almosen erwartet. Recht schön ist seine Not ausgedrückt, wie er so die blinden Augen auf seine ausgestreckten Hände heruntersenkt, als wenn er sagen wollte: ›Noch habe ich heute nichts bekommen.‹ Und der Große scheint mir Achilles zu sein, wie er aus seinem Zelte heraustritt.« Gotthold bejahte mit Schweigen. »Sehn Sie«, fuhr jener fort, »wie ich die Gemälde gleich erkenne, wenn sie nur im richtigen Charakter aufgefaßt sind. Es ist aber viel, daß die beiden Herren in der Kunst so treffliche Sachen leisten können.«

Adelheid und die Mutter entfernten sich wieder, die letztere darüber empfindlich, daß ihr Gemahl die Bilder heute ganz anders gedeutet habe, und daß Gotthold ihm darin recht gegeben, der sie gestern, wenn sie ihn auch nicht verstanden hatte, doch mit andern Namen belegte. Adelheid suchte ihr einzureden, daß die eine Figur wirklich Achilles sei genannt worden; sie glaubte dies endlich, nur Belisar und Dativ schien ihr zu weit auseinanderzuliegen, und sie meinte zuletzt; der biederherzige Römer möchte nicht ganz unrecht haben, daß er in Ansehung des Vokativ sich getroffen gefühlt, und es wären wohl noch mehr boshafte Anspielungen in jener Rede und den Bildern verborgen.

»Zu meinem Geburtstage, der übermorgen ist«, sagte der Baron, »wird noch ein Freund, ein Husarenobrist, aus Schlesien ankommen; auch mein Sohn Cajus wird, wie ich denke, alsdann hier sein; dann machen wir alle, den alten, lieben Römer mit eingerechnet, eine fröhliche Gesellschaft aus, in welcher sich wohl auch die Grillen meines Predigers übertragen lassen. Aber heut noch wird ein ganz vorzüglicher Mann, der Herr von Binder, erscheinen; auch unser Justitiarius wird nicht fehlen, und so werden denn die jungen Herren hoffentlich keine Langeweile empfinden, und die Erfahrung machen, daß man auch auf dem Lande in gebildeter und geistreicher Gesellschaft leben könne.«

»Daran ist nicht zu zweifeln«, antwortete Franz. »Im Gegenteil kann sich in der Ruhe des Landlebens, wenn sich einmal interessante Menschen zusammenfinden, mehr Geist entwickeln, als in der Stadt, wo alles gespannt und unruhig hin und her treibt, und die Behaglichkeit kaum möglich wird, die doch unentbehrlich ist, um sich recht wohl zu befinden.«

[230] »Nicht übel«, sagte der alte Baron: »aber ich versichere Sie, man trifft auch hier Neid und Kabale, Verleumdung und böse Zungen; alles ist zwar im kleineren Maßstabe, als in der Stadt, aber darum nicht weniger drückend. Was habe ich allein mit meinem Prediger zu kämpfen, der fast nie will wie ich, oder mit meinem Justitiar, der durch und durch von dem neuen Zeitgeist besessen ist. Dadurch werden die Bauern auch oft stutzig, und ich und mein trefflicher Römer können nicht alles so durchsetzen, wie es doch zum Wohl des Ganzen sein sollte. So werd ich angefeindet. Dazu trägt manche Kleinigkeit bei. Vorzüglich, daß ich mir hier in der Einsamkeit angewöhnt habe, jeden Durchreisenden auszufragen, woher er komme, wohin er gehe; da es oft Bettler, Herumstreicher, oder Handwerksbursche sind, so geschieht das leicht mit einem kurzen, barschen, gebietenden Ton. Ohne daran zu denken, brauche ich diesen auch bei Vornehmeren, die das Ding oft übelnehmen. So kam es auch, daß wir uns neulich darüber beinah entzweiten. Auch mit Frau und Tochter bin ich nicht ganz einig. Adelheid schlägt eine Partie nach der andern aus; jetzt, denk ich, wird sie sich endlich die vorteilhafte mit meinem Freunde Binder gefallen lassen. Mit meiner Gesundheit kann ich zufrieden sein, nur daß mich Träume oft ängstigen, besonders ein verwünschter, vermaledeiter Traum, der mir fast wöchentlich wiederkommt, und der mich immer verdrüßlich und unpaß macht.«

»Und dieser Traum, was ist sein Unangenehmes«, fragte Gotthold.

»Mit der deutlichsten Umständlichkeit«, sagte der Baron, »träumt mir so oft, daß mir der Teufel holt.«

»Ei! ei!« sagte Gotthold, mit zurückgezwängtem Lachen, indem er sich nach dem sitzenden Belisar wandte, der jetzt seinen Obol empfangen hatte.

»Ja, ja, meine Herren, lachen Sie, oder verwundern Sie sich, aber es ist wahr, daß immer wieder der Teufel in aller Persönlichkeit kommt, um mich abzuholen, bald freundlich, bald mit Gewalt, ein andermal, daß ich ganz unversehens in seinen Klauen bin. Das erstemal, als ich die Sache erlebte, war es aber am denkwürdigsten. Jetzt mögen es dreißig Jahre her sein, ich war noch ledig, denn ich habe erst spät geheiratet. Ich war damals in Berlin und ganz mit den Lustbarkeiten des Karnevals, Bällen, Opern und Komödien beschäftigt. So träumt mir, ich komme aus dem Opernhause. Wildes Gedränge, Stoßen, Schreien, wie immer, finstere Nacht, und dazwischen blitzend [231] die rotgelben Fackeln. Die Wagen rasseln vor, da, dort wird eingestiegen. Ich rufe nach meinem Kutscher. Betäubt von dem Dunst der Fackeln, von der eben geendigten Opernmusik, von dem Lärmen der Bedienten und Wachen, hebt mich jemand, den ich nicht gleich kenne, in eine Kutsche. Der Schlag wird zugeworfen, und hinten springen Lakaien hinauf, es scheinen mir fremde zu sein. So im vollen Jagen über die schmale Brücke, dann über die breitere, nach der großen Façade des Schlosses und dem Lustgarten. Plötzlich, da sie nicht lenken, teilt sich das dunkle Schloß auseinander, im Toben durchgejagt, die Königsstraße, wo ich gar nicht hinwollte, hinab. Nun sind wir im Freien, ich weiß nicht, wie. Alles finster, nur das Fackellicht meiner Leute. Die flüstern, die lachen hinter mir, und ein Grauen befällt mich. Die schwarzen Pferde rennen immer rasender, es ist kein Lauf mehr, ein Fliegen, ein Hinschießen, wie der Vogel erst, dann wie der Pfeil, wie die Büchsenkugel. Nun weiß ich, daß ich in der Gewalt höllischer Geister bin. Wir sind auch schon in fürchterlichen Felsengegenden. Schwarze, spitze Klippen hängen schroff und dräuend von allen Seiten herein. So rennen wir durch einen ungeheuern Steinbogen, und wie die Pferde hindurchgesprungen sind, stürzt hinter mir die Granitmauer krachend zusammen. So geschieht es mit einem großen stählernen Tor. Alles bricht immer hinter mir ein, durch so viele Pforten ich gerissen werde. Es wird immer einsamer, immer stiller, die Leute hinter meinem Wagen sind verschwunden. Es ist, als würden weniger Pferde. Jetzt schleppt nur noch eins den Wagen. Wieder ein dunkles, unendlich langes Felsengewölbe; ich bin hindurch, und ebenso fällt es hinter mir krachend in Trümmer. Der Wagen schießt einen Abhang hinunter, ich falle, es ist alles um mich her verschwunden. Da lieg ich in einem kleinen, engen Raum, auf Sand und Kies, hinter mir Felsen, vor mir eine wüste, traurige Öde, und ich weiß nun, daß ich verdammt bin. Kein Scheusal, kein Feuer, Hölle und Satansgebilde um mich, wie sie die Phantasie unserer Wärterinnen uns malt; aber weit entsetzlicher diese ewige, unbeschreiblich trostlose Einsamkeit, das deutliche Gefühl, daß kein Gedanken, keine Erinnerung, kein Gefühl durch alle die versperrenden Felsenmassen zum Vater der Liebe hindurch kann, daß kein Gedanke von ihm mich trifft, daß er mich vergessen hat, und eine Ohnmacht, ein Verschwinden aller Kräfte es mir auf Ewigkeiten unmöglich machen, wieder mit der kleinsten Faser meines Gefühls, mit dem kränksten und [232] albernsten Kindergedanken irgendeinen Weg zu meinem Erlöser zu finden. Das Gefühl war so entsetzlich, daß ich mich nach Qualen, Verdammten und Teufeln recht herzlich sehnte, um nur im Anschaun anderer Wesen, in Folterschmerzen, in Grauen und Heulen mich von dieser fürchterlichsten Einsamkeit zu erholen und zu zerstreuen. Ich erwachte endlich, aber noch den ganzen Tag verfolgte mich diese Empfindung. Ich glaubte meiner Täuschung Herr zu werden, ich verwies mir die Tollheit, und wollte über den Gedanken lächeln, daß Gott der Herr meiner, oder irgendeines Wesens vergessen könne. Aber die ungeheure Wahrheit dessen, was ich im Schlaf erlebt hatte, überflügelte alle die Trostgründe, die mir die Vernunft geben wollte. Und war denn mein alltägliches, wüstes, gedankenleeres Leben etwas anderes, als das, was ich im Schlafe gesehen hatte? Dies Schwatzen in den nüchternen Gesellschaften, dies Umtreiben in langweiligen Häusern, Klatschen und Klatschenhören, dies Suchen nach Zerstreuung, dies Entfliehen vor jedem besseren Gefühle, dies Freigeistern unter schlechten Menschen, wo ich so oft mich selbst belog und männlich und kräftig erscheinen wollte, alle Grundsätze meiner Erziehung, die schönsten Erinnerungen meiner Kindheit mit Füßen trat: was tat denn alles dies Unwesen anders, als daß es ein Tor nach dem andern hinter mir mit stählernen Riegeln verschloß? daß Felsengebirge sich zwischen mich und den Ewigen türmten? War ich denn dadurch nicht schon so einsam, wie in meinem Traum, wußte ich denn noch viel von ihm, neigte er sich denn noch zu mir? Aber darin war ich unbeschreiblich glücklich, daß ich noch wieder zu ihm konnte, ich lebte noch, ich hatte noch die Kräfte, die ich ihm verdankte, und so war denn auch dieser sonderbare Traum die Veranlassung, daß ich mir ein besseres Leben einrichtete. Was sagen Sie dazu?«

»Ich meine«, antwortete Franz, »daß sich oft das Tiefsinnigste unsers Wesens, jene noch unsichtbaren Gedanken zuweilen in Bilder umsetzen, deren sich dann der Traum bemächtiget, um unser ganzes Sein von Grund aus zu erschüttern.«

»Aber«, sagte der Baron, »spielen wir selbst mit uns, oder mischt eine höhere Hand die Karten?«

»Vielleicht«, antwortete der Jüngling mit bedenklicher Miene, »läuft in den recht wichtigen Lebensmomenten beides auf eins hinaus.« – Er schien von dieser Vorstellung selbst überrascht zu werden.

[233] »Es ist wahr«, fuhr der Alte fort, »unser eigenes Gewissen arbeitet wie ein geschickter Künstler sein echtes Gold in mehr als vier Farben aus. Und freilich, was ist es denn wieder, was diesen unbestechlichen Werkmeister treibt, als jene ewige Wahrheit, von welcher alle Wahrheit stammt? Nicht wahr, das ist nicht freigeisterisch, sondern christlich gedacht?«

»Gewiß«, antwortete Franz. »Aber wie kommt es nur, daß Sie dennoch so oft von jenem Traume verfolgt werden?«

Der Baron lachte. »Sehn Sie«, sagte er, »das macht wohl unsre konfuse menschliche Natur, und es ist, wie mit unserm ganzen irdischen Leben. Ich habe keinen, auch noch so würdigen Mann gekannt, an dem nicht irgend etwas recht lächerlich und albern gewesen wäre; keine Tat fällt vor, sie sei noch so herrlich, groß, oder selbst schrecklich, bei der nicht, wenn man sich genau unterrichtet, oder selbst Zeuge sein kann, etwas Läppisches neben her läuft. Der beste Prediger auf der Kanzel verspricht sich einmal, oder schneidet beim Abendmahl ein Gesicht, so daß man sich in schönster Andacht in acht nehmen muß, nicht zu lachen. Man ist gerührt, über Unglück, Todesfall, man will trösten und helfen; und wie man die Hand umkehrt, kann einem die ganze Sache komisch vorkommen. Soll man das nun den Teufel nennen, der sich mit seiner hochmütigen Ohnmacht in alles einmischen will und darf? der nichts, selbst die feinsten, flüchtigsten Gefühle unbeschnuppert und ungestört läßt? Oder ist das so simpel hin die menschliche Natur? Oder kommt beides wieder, wie jenes Menschliche und Göttliche, wovon wir vorher sprachen, auf eins hinaus? Wenigstens hat der Mensch bei jedem Schritt und Tritt Veranlassung, über sich und das Wichtigste nachzudenken. Wenn der Satan zugleich ein Hanswurst ist, so kommt er, wie gesagt in Jacke und Pritsche sehr oft zu mir, und ich muß mich mit ihm herumbalgen. Denn so wichtig und entsetzlich, wie jenes erstemal, ist mir kein Traum wieder erschienen. Aber wie ein halblustiges Nachspiel jener Tragödie muß ich oft dem Verrückten zum Spaß und Kurzweil, und doch zum Opfer dienen, denn wenn die Umstände auch komisch sind, wenn er selbst auch läppisch auftritt, so nimmt er mich doch jedesmal richtig mit, und wenn nun die Qualen in der sogenannten Hölle losgehen sollen, so wache ich auf.« –

Im Garten fand die Gesellschaft sich jetzt wieder zusammen, sie gingen, da das Wetter lockte, auf das Feld hinaus. Römer [234] war bei den Arbeitern dort in seiner ganzen Majestät, und der Baron, der ihn nur noch wenig hatte sprechen können, machte sich viel mit seinem Günstlinge zu tun. In der Ferne ließ sich ein Reiter bemerken, ein langer Mann, der auf einem kleinen Pferde saß, den dreieckigen Hut verkehrt auf dem Haupt, den er vor jedem Knechte, der ihn begrüßte, abhob, und sich so demütig verneigte, als wenn ihm der Fürst begegnet sei. So den Hut schwenkend und sich tief auf den Hals des Pferdes herunterbückend kam er näher, stieg ab und gab seinem Diener das Roß, worauf er zuerst den alten Römer mit der größten Herzlichkeit in die Arme schloß, dann sich dem Baron näherte, vor den Damen verneigte und befremdet auf die jungen Freunde hinsah. »Seid Ihr es, alter Binder«, rief der Baron, »hätt ich dich doch bald nicht wiedererkannt, so hast du dich verändert. – Aber Mensch!« schrie er vor Entsetzen auf, indem er einen Schritt zurücksprang – »du hast dir ja den Zopf abgeschnitten! Darum hatte mir auch deine ganze Erscheinung so etwas Wildfremdes.«

»Lieber Alter«, sagte der Herr von Binder mit geheimnisvollem Lächeln, »nimmst du denn auf den Geist der Zeit gar keine Rücksicht?«

»Sollen wir dem Baal«, rief der Baron entrüstet, »gerade das Beste opfern, was uns zu Patrioten, zu echten Menschen macht? Ich dachte, mein Sohn wäre nur ein Narr geworden, und die jungen Herren, die in Schwärmerei untergehn; aber du, vormals preußischer Major, Krieger, Deutscher, ein Sprößling älterer, besserer Zeit – Himmel und Erde! An dir gerade muß ich den Skandal erleben! Hätte mir einer gesagt, der Binder ist ein Spieler geworden, er säuft, er hat alle seine Schafe verkauft, und zieht mit Bären im Lande um, alles, alles hätte ich eher geglaubt, als daß der echte Mensch, der Binder, der Mann von Treu und Glauben, so ruchlos seinen Zopf sollte abgeschnitten haben, als wenn er sich nie mehr dabei gedacht hätte, als wenn er bloß ein Büschel Haare, mit Seidenband umwickelt, gewesen wäre. O du – Ihr – o Sie fataler Mann Sie! Ja, dahin wirst du es noch bringen, daß ich dich Sie nenne! Sie! das ist alles gesagt. Sieht er nicht von hinten aus, als wär er unter die Seeräuber geraten und hätte Wolle lassen müssen: wie ein Atheist auf seinen alten Tagen. Nun sieht man erst den magern Nacken und daß er schlechte Schultern hat. Nun warte, nun will ich auch nichts tun, als dich fragen, wovon ich weiß, daß du es nicht leiden kannst. Du willst ein Original sein? Du standhaft? [235] dem Geist der Zeit! Hin bist du, aus ist es mit dir! Römer, sieht er nicht aus wie ein Franzose?«

Römer mochte nicht antworten, und der neue Gast war sichtlich über diese heftige Anrede verstimmt worden. Adelheid ließ sich von ihm führen und suchte ihn über die leidenschaftlichen Ausfälle des Vaters zu beruhigen. Gotthold hatte große Mühe, seinen Mutwillen zu unterdrücken, und Franz schöpfte wieder Hoffnung, seit er seinen Nebenbuhler persönlich hatte kennenlernen.


Der junge Baron war ebenfalls angekommen, sowie der alte Obrist aus Schlesien. Dieser hatte die Absicht, ein Gut, welches er dort in der Gegend besaß, seinem Jugendfreunde zu verkaufen; auch waren beide Parteien über die Präliminar-Artikel einig. Es war schon die Rede davon gewesen, daß nach der Vermählung der Bräutigam Adelheids dieses benachbarte Gut beziehen sollte, und Franz, der bald mehr, bald weniger von diesen Verhandlungen mit anhören mußte, war entschlossen abzureisen, und würde auch seinen Vorsatz vielleicht schon ausgeführt haben, wenn Gotthold und Cajus ihm nicht immer wieder von neuem Mut eingeflößt hätten.

Der Geburtstag des Alten wurde festlich begangen. Die auffallendste Erscheinung auf demselben war die des Verwalters. Für gewöhnlich, da sein Zwickelbart, die langen Beinkleider und kurzen Stiefeln, sowie das Geschirr seines kleinen Pferdes noch immer den Husaren beurkunden sollten, trug er sein Haar, das von ungewöhnlicher Länge war, kurz zusammengebunden, in einem dicken Zopfe. Heute aber hatte er es seiner Fesseln entledigt, und der bewickelte steife Haarzopf reichte ihm wirklich bis zu den Fersen. Er wußte, welche Freude sein Gönner an dieser Zier hatte, und darum zeigte er seinen ganzen Reichtum bei einer so feierlichen Gelegenheit. Die mutwillige Adelheid, um ihrem Vater zu schmeicheln, hatte sich, wie die schwäbischen Mädchen, das Haar in zwei langen Zöpfen geflochten, die in braunem Glanze auf dem weißen Nacken lagen. Um den Einfall gleichsam zu entschuldigen, hatte sie auch die übrige Tracht der der Schweizerinnen ähnlich zu machen gesucht. Die Bedienten trugen ebenfalls alle Zöpfe, und nur die jungen Fremden, sowie der Sohn des Hauses, und der ketzerische Binder zeichneten sich aus, den Jäger Walther noch hinzugerechnet, bei welchem, zur Betrübnis des Barons, dieser [236] Zierrat auf keine Weise anzubringen war, weil er so gut wie gar keine Haare hatte. Binder, der sehr empfindlich war, nahm heut jede Anspielung seines alten Freundes übel; ihn quälte die Sucht, einen originalen Philosophen vorzustellen, und er war sehr beleidigt, daß man ihm bei seinem veränderten Kostüm keine tiefsinnigen, hinreichenden Gründe zutrauen wollte. Der Prediger hatte während dem Mittagsessen viel zu besänftigen, und manche Epigramme und beißende Antworten in die Bahn des gleichgültigen Gespräches zu lenken. Adelheid schien sich zum Besten des armen Verfolgten gegen ihren Vater zu erklären, und Römer, der an Zopfwuchs alle, auch den Hausherrn, bei weitem übertraf, war im Bewußtsein seiner höhern Vollendung ganz stumm und ruhig, und achtete einige Scherze Gottholds so wenig, wie manche auffallende Behauptungen des Pfarrers.

Als man vom Tische aufgestanden war, machte sich Binder, der des ewigen Anspielens überdrüssig war, mit der Frage an den Prediger, um nur ein neues Thema in den Gang zu bringen: »Sagen Sie mir doch, warum das Gedicht von Dante die göttliche Komödie genannt wird; so viele ich auch darüber habe vernehmen wollen, hat mir doch keiner eine hinreichende Antwort geben können.«

»Das wundert mich, Herr Baron«, antwortete der Pfarrer, »da die Sache nichts weniger als ein Geheimnis ist. Den Beinamen der göttlichen, divina, hat ihr der Autor nicht gegeben, sondern er ist erst lange nachher von Abschreibern und Auslegern hinzugefügt worden, teils wohl um ihre Bewunderung, teils den Inhalt, der von göttlichen Dingen handelt, zu bezeichnen. Eine Komödie nannte Dante dies Gedicht, weil die Vision, ob sie gleich in der Hölle anfängt, doch im Himmel endigt, und also einen frohen Ausgang hat, und jede Geschichte, die sich glücklich beschließt, nannte man in jenen Zeiten, in denen man kein Theater hatte, eine Komödie.«

Schon in der halben Rede hatte sich der eigensinnige Binder abgewendet, und sagte zu Römer, der ihm nahe stand: »Was die Gelehrten doch für wunderliches Volk sind, das schwatzt gleich und schwatzt, ohne Zweck und Ziel. Wer hat nun hier von dieser weitläufigen Notiz etwas wissen wollen?«

»Als wenn er seine Schulkinder vor sich hätte«, antwortete Römer: »das fehlte noch, daß die Komödien zur Heiligen Schrift gerechnet würden. Aber freilich, er liest sie gern, besucht auch in der Stadt das Theater gar fleißig, wenn er einmal hin [237] reisen kann. Göttliche Komödie! Das hätte der vorige Probst hören sollen. Der würde ihm darauf geantwortet haben.«

»Dein Nebenbuhler«, sagte Gotthold zu Franz, »kann ebensowenig eine Antwort, als eine Frage vertragen; er sollte nur mit Taubstummen umgehn, die durch Zeichen alles erklären.«

Man setzte sich wieder; der Saal war ziemlich angefüllt, denn auch die Frau des Predigers und seine unerwachsenen Kinder waren zugegen. Römer spielte mit der Frau des Hauses Schach und der Baron saß im Lehnstuhle, tief denkend, ihm gegenüber der Obrist, Gotthold und Franz. Binder hatte sich zu Adelheid gesellt, und der Prediger näherte sich bald dieser, bald jener Partei, je nachdem ihm das Gespräch der Redenden interessant vorkam. Die Kinder, die noch einige aus der Nachbarschaft herbeigeholt hatten, haschten sich in ziemlicher Ruhe und Ordnung mit einigen jungen Kätzchen, die sich spielend im Saale umtrieben.

»Ei ja«, fing der Hausherr laut an, »es ist bald etwas dahergesagt, vom Geiste der Zeiten, den doch keiner gesehen hat, denn oft ist es nur ein Lappen im Winde, den ein altes Weib für ein Gespenst ausruft. Soll man sich vor Vogelscheuchen demütig verneigen? Nichts leichter, als eine Tracht, eine Sitte, ein Abzeichen zu verschreien, und es vor der sogenannten Vernunft lächerlich zu machen. Was weiß diese denn überhaupt, wenn man sie darum frägt, von Kleidung, Uniform, Handschuh, Port d'Epee, oder Cocarde, und doch kann alles dies zuzeiten nützlich, heilsam und notwendig sein, ja, wenn ihm ein Volk, eine wichtige Begebenheit, ein großer Enthusiasmus Bedeutung unterlegt, eine Art von heiliger Autorität gewinnen.«

Binder, der ihm gegenüber mit Unruhe saß, und schon merkte, worauf diese Einleitung hinauswollte, sagte mit Laune: »Ei! seht doch den neuen Zopfprediger!«

»Der Mann«, wandte der Pfarrer ein, »wurde des Zopfes wegen verfolgt, weil er seinem Zeitalter zuvoreilen wollte, die Welt war für seine Neuerung noch nicht reif genug.«

Im Schachbieten hielt Römer inne, indem er von der Seite her ausrief! »Unterschied der Stände, Herr Pfarrer! Nur um Himmels willen nicht alles durcheinandergeworfen. Dem Geistlichen seine Perücke! Sie tragen aber auch schon keine mehr. Das hat Frankreich damals gestürzt. Als wenn ich wie der Schulze einhergehen wollte.«

[238] »Wir wollen diese Betrachtungen jetzt liegenlassen«, fuhr der Baron fort. »Nach dem dreißigjährigen Kriege war unser Deutschland gewiß im traurigsten Verfall; es konnte ein Wunder, eine Gnade Gottes genannt werden, daß es nicht völlig unterging und eine Beute von Ausländern und Abenteurern wurde. Da fing das französische Unwesen an, die Welt zu beherrschen. Sprache, Sitte, Kompliment, Mode, Halskrausen, Schuhe, Degen, wurden von dort geholt; wer von Adel, Bürgerstand, Kaufmannschaft, Jugend und Alter etwas gelten wollte, mußte parlieren, es war seine Aufgabe, zu vergessen, daß er ein Deutscher war. Und ein Jammer war es freilich, daß in den Reichsstädten, Provinzen, kleinen Nestern sich ein deutsches Wesen verbreitete, das im Gegensatz gegen den neuen Geist der Zeit nichts weniger als erfreulich war. Dort führte man ein rechtes Winkelgassenleben. Das Franzosentum prangte, und sein vornehmstes Abzeichen bestand in jenen verfluchten Allongeperücken, die sich mit jedem Jahre höher aufbauschten, in mehreren Locken niederwallten, und Rücken und Hüften deckten, indem sie oben nach den Wolken strebten, wie allgewaltige Nester, um zwanzig Adler zu beherbergen. Solche Haarflauschkonfusion trug selbst unser großer Kurfürst in seinen letzten Jahren, unser erster König wandelte in solchem Lockenmantel, und es tat in Europa not, neue Bauernkolonien anzupflanzen, der Haarschur wegen, denn jeder Reiche und Vornehme verbrauchte, was auf zehn, Magnaten und Potentaten, was auf fünfzig Menschenköpfen an Perückenstoff wuchs, und die Ärmeren mußten schon zu Wolle, Flachs, ja Glas und den seltsamsten Dingen, aus Mangel der zu teuren Haare, ihre Zuflucht nehmen.«

»Schade«, sagte Gotthold, »daß die aus Glas gesponnenen Perücken nicht allgemein Mode wurden. Wie hätten sich die Glaser beim Auflauf gefreut, daß sie nun nicht bloß Fensterscheiben einzusetzen, sondern auch Köpfe einzurichten hätten, und wenn ein glücklicher Wurf des Studenten nicht bloß die Stube seines Professors öffnen, sondern diesen selbst gleich kahlköpfig machen konnte.«

Der Baron, der sich ungern stören ließ, sah ihn mit einer gewissen Verachtung an. »Von Scherz und Schwank ist hier keine Rede«, fuhr er fort, »sondern ich will nur andeuten, wie in diesen ungeheuren Verhaarungen das ganze Wesen jener Tage sich aussprach. Wie keiner sich mit diesem luftigen Babel auf dem Kopfe schnell bewegen und rühren, reiten, arbeiten [239] und sich erhitzen konnte, so lag auch die ganze Welt in ihren Geschäften und großen Angelegenheiten recht eigentlich lahm. Was tat denn nun unser herrlicher Friedrich Wilhelm der Erste, den der Brandenburger und Preuße nie genug loben kann, als er zuerst in Europa diesen alten künstlich zusammengekitteten Schabernack von seinem denkenden Kopfe riß? War es denn etwa bloß ein Gelüste, sich eine schwarze Stange im Nacken zu befestigen, um anders, wie die übrigen Menschen, auszusehen? Nein, meine Freunde, als er diesen ersten Dukaten mit seinem Bildnisse prägen ließ, ohne Perücke, mit dem Zopf, diese Münze, die jetzt rar geworden ist und die ich aus Verehrung immer bei mir trage, sehn Sie, da sagte er seinem Vaterlande und der Welt: ›Ich will wieder ein deutscher, ein rüstiger Mann sein, mit mir soll eine neue, bessere Zeit beginnen, wir wollen uns wieder rühren und den alten Aberglauben abschütteln!‹ Dies hat er auch durchgesetzt, und sein größerer Sohn hat das vollendet, was er anfing; und darum ist dies Abzeichen der Nation, welches alle Völker nachher so viele Jahre einen preußischen Zopf nannten, so ehrenvoll, wie nur jemals ein Merkmal gewesen ist, an dem man eine tapfere Menschenart erkannte, die ihre Mitwelt mit sich emporhob, die Feinde besiegte, einem ganzen Zeitalter Gesetze vorschrieb und ihr ein neues Gepräge aufdrückte.«

Alle betrachteten den merkwürdigen Dukaten mit mehr oder minder Aufmerksamkeit, den der Baron in der Gesellschaft umhergehen ließ.

»Das hat unsere Armee groß und furchtbar ge macht«, fing der Baron wieder an, »daß die Könige und Generäle mit diesem, wie mit andern Zeichen, die dem Leichtsinnigen gleichgültig oder gar lächerlich erscheinen mögen, eine Tapferkeit für alle Proben, ein unüberwindliches Ehrgefühl, eine unsterbliche Liebe zum Vaterlande verknüpfen konnten. Als uns Polen neulich zufiel, sah ich, wie der Unteroffizier bei den Rekruten umging, und nach dem Maß die Zöpfe verkürzte, oder längere einsetzte; da traf er auf etliche, die hatten so krause eigensinnige kurze Wolle dicht unter dem Nacken, daß kein Zopf daraus hervorwachsen konnte, ja sich nicht einmal ein falscher einlegen ließ. Damals sagte ich, und wiederhole jetzt, diese Leute gehören nicht zu uns, sie können niemals Preußen werden.«

Hier wurde er in seiner Prophezeiung auf eine sonderbare Weise unterbrochen, so daß die ganze Gesellschaft aufsprang und zu ihm eilte. Das Wort erstarb ihm nämlich plötzlich im [240] Munde, der Kopf sank hinterwärts zurück, und er gurgelte einige unvernehmliche Laute. »Der Schlag hat Sie gerührt, mein Schatz!« sagte die gnädige Frau in der höchsten Bewegung; der Pfarrer hatte die Hand ergriffen, den Puls zu prüfen, und Adelheid lief nach stärkendem Wasser. Aber nur ein Augenblick, und der Baron fand seine Stellung und Sprache wieder, und die Sache klärte sich lächerlich auf. Die Kinder hatten schon lange mit Vergnügen bemerkt, wie die Kätzchen hinter den Zöpfen herliefen, die sich beim Reden auf der Erde hin und her bewegten; der Hausherr hatte es selbst belächelt, daß die Tierchen die Haarzier seines Amtmanns zu erwischen suchten, sie dann im Maule wegtragen wollten, und doch wieder mußten fahrenlassen, von welchen Anstrengungen, die hinter seinem Rücken vorfielen, der Schachspieler indessen nichts bemerkte. Jetzt hatten die Kinder im Hintergrunde des Zimmers ein anderes Spiel angefangen, und durch den großen Lehnstuhl, in welchem der Baron saß, waren sie von der Gesellschaft abgesondert und sicherer gemacht. In dem einsameren Raume spielten sie Spazierengehn und Besuche machen; die Tochter des Predigers, ein wildes Kind von sieben Jahren, stellte den Bedienten vor, und sollte ihre Herrschaft in einem fremden Hause anmelden. Als Klingel schien ihr der rückwärts hangende Zopf de Barons das bequemste Möbel, und so wenig wie den Kätzchen fiel es ihr ein, daß der Inhaber ihr Spiel bemerken könnte, weshalb sie so mutig und kräftig an dem eingebildeten Hause klingelte, daß sie den Kopf des Redenden hintenüber riß und ihm auf einige Augenblicke Sprache und Besinnung raubte.

Als sich das Geheimnis enthüllt hatte, führte die Frau des Predigers, selbst am meisten bestürzt, die Kleine aus der Gesellschaft nach Hause, und Herr von Binder, der den Vorfall mit einiger Schadenfreude bemerkt hatte, sagte: »So kann eine so löbliche Anstalt eines Klingelzuges, womit der ehrwürdige Zopf wohl Ähnlichkeit hat, doch auch seine Nachteile haben. Die beste Rede wurde dir darüber im Halse erwürgt. Und wenn sich die Griechen schoren, um vorne nicht beim Schopf von ihrem Feinde ergriffen zu werden, so könnte im Gegenteil ein neuer Simson ein halbes Bataillon preußischer Grenadiere an den Zöpfen wie Füchse zusammenknüpfen, und sie so als einen unermeßlichen Rattenkönig zur Gefangenschaft hinter sich schleppen.«

Diese Äußerung und das widerwärtige Bild waren für den [241] patriotischen Hausherrn zu stark, er stand unmutig auf, und verließ die Gesellschaft, die sich auch zerstreute, um sich erst am Abend wieder zu versammeln.


»Sie liebt ihn!« rief Franz, indem er tobend in seinem einsamen Zimmer hin und wider sprang; »sie liebt, das leidet keinen Zweifel mehr, den abgeschmacktesten aller Menschen! Kann es sein, daß sich ein edles Gemüt auf eine so ungeheure Art verirrt? Und der Elende nimmt die Huldigungen des schönen Wesens nur so an, als dürfte es gar nicht anders sein.«

Cajus und Gotthold suchten ihn zu beruhigen, aber vergebens. Der Bruder wollte an diese Verkehrtheit seiner Schwester nicht glauben, und Gotthold sagte, halb lachend halb bekümmert: »So nimm nur etwas Vernunft an in deiner angenehmen Raserei. Du bist nun einmal im Fegefeuer der Verliebtheit, du bist selbst freiwillig mit gleichen Beinen hineingesprungen, darum renne nur wie ein Eichkätzchen in deinem Rade hin und her, ohne von der Stelle zu kommen, aber nicht so gewaltsam, daß der Käfig selbst in Stücke bricht. Es scheint wirklich, als wenn sie den Ritter, der mit dem Zeitgeiste fortschreitet, liebt, aber dafür ist sie auch ein Weib, und launenhaft, und tut doch vielleicht alles nur, um dich oder den Vater zu ärgern. Denn wer kann wohl ein Mädchen ergründen, wenn sie ihren Kopf aufsetzt? Und sage, was du willst, es ist nur deine eigene Schuld: wer lieben will, sei liebenswürdig! Das versichere ich dich, begebe ich mich einmal in solch Abenteuer, so bin ich so reizend, so wunderbar schön, so geistreich, witzig, überquellend von den zartesten Empfindungen, daß ich die Geliebte, stelle sie sich, wie sie wolle, mit unwiderstehlicher Gewalt in meinen Zauberkreis reiße und sie magisch bändige. Zu Füßen müßte sie dir ja liegen und um deine Liebe flehen, deine Knie umklammernd schreien: ›O verlassen Sie mich doch nicht, edelster aller Menschensöhne! Tigertier in Jünglings-Physiognomie, warum wollen Sie mich denn in meiner Leidenschaft, wie einen Fisch auf dem Trocknen, abstehen lassen? Erbarmen, holdseliger Wüterich!‹ So müßte sie zu dir emporjammern. Aber du klimperst und gimpelst um sie herum, sprichst nicht halb, nicht ganz, seufzest so ordinär, und verdrehst die Augen nur so mittelmäßig, als wenn man nach dem Wetter sieht. Wenn's einmal bei dir rappelt, Schatz, so benutze das doch, und zeige ihr deine Virtuosität im Rasen, vielleicht ist sie davon [242] Liebhaberin, und hat Geschmack für das Verrückte. Kannst du nicht ein Liebeslied improvisieren, und zum Akkompagnement die Fenster entzweischlagen? Oder so trampeln, wie du gegenwärtig tust? So staccato, und im reißenden Allegro, es macht Effekt. Wäre nur ein anderes Weibsbild im Schlosse, mit der du sie eifersüchtig machen könntest, ja wenn selbst die Fanchon nur etwas hübscher wäre: so würde ich diese, zum Exempel, malen, und sehen, ob die Adelheid darüber in das Gelbe und Grüne spielte.«

Franz war über diese Trostrede nur noch wütender geworden, so daß er jetzt sein Malergerät nahm, und es durch die große Scheibe des Fensters schleuderte. »Halt!« sagte Gotthold, »so den alten Gärtner, der unten kriecht, zu treffen, ist keine Kunst; das kann jeder, der auch nie mit dem Pinsel getüpfelt hat.«

Das Klirren des Glases hatte den Gärtner aufmerksam gemacht, und den Bedienten herbeigeführt. Sie sammelten von den Orangebäumen die Farben und Pinsel wieder auf, und Gotthold und Cajus waren um eine Ausrede verlegen, denn Franz war so aufgebracht, daß ihm alles gleichgültig blieb.

Der Jäger brachte den Malkasten wieder herauf, und verwunderte sich, die drei jungen Herren im Zimmer zu finden. Gotthold sagte lachend: »Das kommt vom Balgen, und wenn man noch immer nicht den Studenten vergessen kann. So stieß mich der junge Baron ins Fenster, und ich die ganze Kunstgeschichte hinaus. Habt Ihr nicht auch unten das Trampeln gehört?«

»Der Gärtner wohl«, sagte der Jäger. »Erst hat er gedacht, es würde ein Gewitter aufziehn. Aber keine Wolke am Himmel.«

»Nein! nein!« fuhr Gotthold fort, »wir drei machen uns zuweilen solche Motion. Die Beine wüten in der Jugend gern, solange sie noch keine Gicht spüren.«

»Laßt den Glaser holen«, fuhr er fort, als sie allein waren, »und komm mit uns, um zu spazieren, oder dich drüben, bei deinem Freunde Römer, zu zerstreuen.«

Die jungen Leute waren erstaunt, den alten Amtmann in Tränen zu finden, indem ihn der Baron sowohl wie der Obrist zu beruhigen suchten. »Ich gebe Ihnen mein Wort«, sagte der letztere, »daß ich allen meinen Einfluß beim General so gut wie beim Kriegsminister anwenden will, daß, wenn der Fall eintreten sollte, den Sie gewiß ohne Not befürchten, alle Untersuchung [243] niedergeschlagen werde. Nach so vielen Jahren, und es sind ja vierzig seitdem verflossen, wird man aber einen so alten würdigen Mann überhaupt nicht in Anspruch nehmen.«

»Wenn ich nur meinen vollständigen Abschied hätte!« seufzte Römer.

»Beruhigen Sie sich, alter Freund«, sagte Cajus, indem er ihn umfaßte, »Ihrer Angelegenheit wegen habe ich mich drei Tage länger in Berlin verweilt, und der General, der die gnädigsten Gesinnungen für Sie hegt, hätte Ihnen durch mich gern einen vollkommen authentischen Abschied gesendet. Aber, sosehr wir auch alle Regimentslisten von 1755, 56 und die folgenden Jahre, bis nach dem Abschluß des Friedens durchsahen, ein mühsames Geschäft, in welchem uns die Schreiber halfen, so war doch Ihr Name nirgend aufgeführt. Darum verweigerte mir der General den Abschied, da Sie nirgend eingezeichnet stehn.«

»Unbegreiflich«, sagte Römer: »er hätte aber zur Beruhigung eines alten Mannes wohl ein übriges tun können, und von der Form etwas abgehn. Es wäre doch zu erschrecklich, wenn ich als Greis noch einmal der Regimentsstrafe als Ausreißer verfallen sollte. Und kann mich nicht ein andrer General einmal schikanieren?«

»Gewiß nicht«, sagte der Obrist, »da Sie durch einen wunderbaren Zufall nicht in den Regimentslisten stehen, so kann nie Nachfrage nach Ihnen geschehen. Denn wie wollte man es Ihnen beweisen, daß Sie im Dienst gestanden haben? Nein, alter braver Kamerad, trocknen Sie Ihre Tränen, und sagen Sie uns, wie sind Sie Husar geworden, und wie kam es, daß Sie, bei Ihrem Enthusiasmus für den Stand, doch austraten?«

»Herr Obrist«, sagte Römer, »zu beiderlei wurde ich gezwungen. Verzeihen Sie, mein gnädiger Gönner, wenn ich Ihnen einen Jugendstreich mitteile, dessen ich mich mein ganzes Leben hindurch geschämt habe, den ich noch jetzt in einsamen Stunden bitter bereue. Mein Vater starb früh, meine Mutter, deren einziges Kind ich war, verdarb mich durch übertriebene Liebe. Ich hatte schon einige Schulen besucht, war auf keiner fleißig gewesen und war von jeder wegen meiner mutwilligen Streiche weggewiesen worden. Es fanden sich Kameraden, die ebenso dachten, wie ich, und die nächsten Straßen, wo wir in Berlin wohnten, kannten uns und fürchteten sich vor unsern Ungezogenheiten. Ich konnte mich zu keiner Bestimmung entschließen, obgleich ich schon neunzehn Jahre [244] alt war, und dünkte mir, so sehr ich Taugenichts war, wunder was Rechtes zu sein. Es trieb sich ein alter Jude in der Stadt um, mit greisem langen Barte, den er nach Art seiner polnischen Glaubensgenossen trug, und der auf diesen seinen Bart, der ihm über die Brust reichte und fast sein ganzes Gesicht beschattete, sehr eitel war. Ich und mein wildes Gefolge hatten uns diesen Alten schon lange zur Zielscheibe unsers groben Witzes ausersehn, denn es gehörte zu der Albernheit unsers Wesens, die Juden zu verachten und zu verfolgen; ja wir glaubten, sowenig wir auch vom Christentume wußten oder übten, unserer Religion einen Dienst damit zu leisten, wenn wir auch ehrwürdige Männer der Israeliten lästerten, oder, wenn wir es mit Sicherheit tun konnten, mißhandelten. So gelang es uns, diesen braven Mann in das Haus, unter irgendeinem Vorwande, zu locken. Er erschrak, als er mich und die übrigen erkannte, und wohl mit Recht, denn wir ergriffen ihn sogleich, banden und knebelten ihn, so daß er nicht schreien konnte. Alles war zu unserm abscheulichen Frevel schon bereitgestellt. Mit Pech und Teer (vergeben Sie, verehrte Freunde, daß ich mich Ihnen in meiner ganzen Abscheulichkeit zeige) wurde der ganze Bart, sowie Haar und buschichte Augenbraunen eingeseift, alles ineinander frisiert, so daß der Greis einen ebenso fürchterlichen als widrigen Anblick gewährte, und so aufgeschmückt stießen wir ihn wieder auf die Straße und an das Tageslicht hinaus. Die ganze Fischerstraße, ganz Kölln geriet in Aufruhr. Der Arme wußte nicht, wohin er sich retten sollte. Erst hundert, nachher wohl tausend Gassenjungen verfolgten ihn heulend, schreiend durch die Stadt, bis zur Spandauer Straße. Er wurde noch mehr gemißhandelt, so daß endlich die Wache herbeikommen und ihn schützen mußte. Was uns ein herrlicher Spaß geschienen hatte, gewann aber bald ein ganz anderes Ansehen. Die ganze Judenschaft kam klagend ein, und die Obrigkeit nahm die Sache höchst ernsthaft. Zwei von meiner Rotte entflohen, und der dritte kam in das Zuchthaus, nachdem er an dem Pranger gestanden hatte und ausgepeitscht war. Mich rettete von diesem Elend ein Wachtmeister, den ich schon seit lange kannte, und der mich immer zum Rekruten gewünscht hatte. Ich ließ mich bei den Ziethenschen Husaren einkleiden, und da der siebenjährige Krieg eben ausbrach, so wurde jede Untersuchung in Ansehung meiner Person abgewiesen, und ich rückte mit dem Regimente aus. Mein Hauptmann, ein roher, wilder Mensch, freute sich über diese Geschichte, ich mußte sie ihm oftmals in [245] Gegenwart seiner Kameraden erzählen, und ein schallendes Gelächter unterbrach mich bei jedem Worte. Der Schwank, wie die Herren die Bosheit nannten, trug mir manchen Taler Trinkgeld ein. Sie meinten, ich sei vom Himmel so recht eigentlich zum Husaren geschaffen, roh, wild, unmenschlich müsse ein solcher sein. So unaufgeklärt, so abgeschmackt dachten damals auch noch Leute von Stande. Unser Vater Ziethen war freilich ein ganz anderer Mann. Leutselig, milde, fromm, ein Feind aller wüsten Streiche, und ein Bestrafer der Bosheit, auch wenn sie in Feindes Land ausgeübt wurde, so zeigte er sich immer, wenn dergleichen vor sein Ohr kam. Er, der große Held, zeichnete mich bald aus. Auch ward ich mit Gottes Hülfe ein ganz anderer Mensch. Im Verlaufe des Krieges war ich bei den meisten gefährlichen Dingen und den großen Schlachten zugegen. In den letzten Jahren hatte ich's bis zum Wachtmeister gebracht Als nun Friede wurde, und wir zurückkamen, wurden dann die Regimenter ergänzt, und das meinige hatte ganz vorzüglich gelitten. Da wurden nun Offiziere gebracht und Gemeine, möcht ich doch sagen, von allen Ecken der Welt, und mir wurde ein junger Cornet vorgesetzt, der noch niemals Pulver gerochen hatte. Das Bürschchen wollte alles besser wissen, selbst den Hauptmann und Major tadeln, ja es nahm sich heraus, über unsern ehrwürdigen Feldherrn zu spotten. Vater Ziethen erfuhr davon nichts, hätte auch wohl nur darüber gelächelt, wenn er es gewußt hätte. Ich aber, der ich jünger und feuriger war, konnte den Unfug nicht vertragen. Ich setzte das junge Herrchen darüber zur Rede, und nun schwur er mir alles Bittere und Böse. Der Offizier, wenn er will, kann seinen Untergebnen auf das äußerste treiben. Ich hatte Verdruß über Verdruß. Bei einem Manöver, als wir nicht weit von der sächsischen Grenze waren, nahm ich meinen Vorteil so gut in acht, daß ich mich mit dem Naseweis allein befand. Ich forderte Genugtuung, er wollte ausweichen, drohte, gab gute Worte, aber ich zwang ihn endlich, den Säbel zu ziehn. Er war unerfahren, mochte nicht Mut im Überfluß besitzen, kurz ich traf ihn mit einem Hiebe in der Achsel, daß ihm der Degen aus der Hand fiel. Ich sah schon Husaren herbeisprengen, schnell wendete ich um, und war im Sächsischen. Hier verbarg ich mich und fand bald einen würdigen Amtmann, wo ich die Ökonomie lernte. Nach Jahren wagte ich es denn, in mein geliebtes Vaterland zurückzukommen. Erst hielt ich mich im Schlesischen auf. Jetzt bin ich seit sechszehn Jahren auf diesem[246] Gute, auf welchem unser Herr mich nicht als Diener, sondern als Freund behandelt. Sehn Sie, Herr Obrist, so ward ich aus Not Soldat, und ebenso aus Zwang verließ ich den geehrten Stand wieder. Sie können nun aber wohl auch begreifen, warum ich so sehr wünsche, einen förmlichen Abschied vom Regiment in Händen zu haben, damit ich die letzten Jahre meines Lebens ruhig hinbringen könne, und böse Träume mir nicht mehr Gefangenschaft und schimpfliche Strafe in den langen Winternächten vorführen mögen.«

Der Obrist erwiderte nach dieser Erzählung: »Wackrer Mann, wie edel, daß Sie so von den wilden Tagen Ihrer Jugend selber sprechen können. Das ist mehr als eine gewöhnliche Besserung. Das Gute muß schon immer, auch in den frühesten Jahren, in Ihrer Seele geschlummert haben.«

»Wissen Sie«, rief der alte Husar mit der größten Lebhaftigkeit aus, »wem ich alles zu danken habe? daß ich ein Mensch, und daß ich ein guter Mensch bin?«

»Nun?« sagte der Obrist; »Sie machen mich begierig.«

»Ihm«, sprach jener mit Enthusiasmus weiter, »unserm Gellert, unserm frommen Weisen, von dem die jetzige überkluge Zeit nur noch selten sprechen mag. Unser Regiment war dreimal in Leipzig. Der große Friedrich hatte es auch nicht verschmäht, den damals berühmten Gottsched zu sprechen, und sich von Gellert einige seiner Fabeln vorlesen zu lassen. Ich hatte mich wahrlich nicht viel um Bücher bekümmert, aber diese Fabeln wußte ich doch auswendig. Sie prägen sich auch ganz von selbst dem Gedächtnisse ein, so einfach und natürlich sind sie alle. Jedermann muß meinen, wenn er den Gedanken gefaßt hätte, würde er ihn auch in keinen andern Worten ausgesprochen haben. Mit seinen geistlichen Liedern ist es derselbe Fall. So ließ es mir keine Ruhe, ich mußte den Mann sehen, den mein ganzes Herz verehrte. Es war freilich schwer, bei ihm vorgelassen zu werden: wie konnte ich auch, als gemeiner Husar, eine solche Auszeichnung fordern oder erwarten? Indessen sammelte ich an einem Vormittage meinen Mut, ich hatte seine Freistunden ausgekundschaftet, und stand nun im Vorzimmer. Mir schlug das Herz geradeso, als damals, da ich das erstemal in den Feind einhauen sollte, vielleicht noch mehr. Er mußte sich gewiß verwundern, was ein Soldat bei ihm wolle, denn es dauerte lange, ehe ich eine Antwort erhielt. Endlich kam denn die Erlaubnis, daß ich das Heiligtum betreten durfte. Ja, meine Herren, ich nenne dies Studierzimmer [247] gewiß mit Recht so, denn mir war es, als wenn ich zu den Aposteln oder Patriarchen eingehen sollte. Er saß in einem dunkeln Oberrocke an seinem Schreibtische, ein kleiner, feiner Mann, mit blassem Gesicht und magerem Körper. Die Perücke hing seitwärts an der Wand, und ein Käppchen von violettnem Samt bedeckte das ehrwürdige Haupt. Hinter ihm war ein hohes Fenster in der Mauer, durch welches der kräftige Morgenstrahl fiel, und die Mienen hell erleuchtete, so daß die Sonne in der Farbe des Barettes spielte, und rot in den durchsichtigen langen Fingern schien, wenn er sie im Sprechen aufhob. Ich kam mit meiner Entschuldigung, er möge verzeihen, daß ein junger Husar, dem seine Gedichte wohlgefielen, ihm beschwerlich sei. ›Mein Sohn‹, sagte der edle Gelehrte, ›weshalb gefallen dir denn meine Gedichte?‹ – Ich war um die Antwort verlegen. – ›Liesest du gern?‹ – ›Zuweilen‹. – ›Zu welchem Endzweck?‹ – ›Um mich aufzuheitern, mich auch wohl zu unterrichten.‹ – ›Du scheinst mir ein Jüngling von Anlagen‹, fuhr er fort, ›du bist vielleicht tapfer, ein tüchtiger Soldat; hast du es denn in deinem Stande auch wohl gelernt, ein Mensch zu sein?‹ – Ich verstummte, dem Redner gegenüber. – ›Dazu‹, so sprach er weiter, und wie eine Glorie spielte der Schein der Morgensonne um sein Antlitz, ›dazu solltest du meine und andere gute Bücher in die Hand nehmen, um nicht wild, grausam, unmenschlich zu werden, nicht Lust am Entsetzlichen zu empfinden, wozu dein Stand schwache oder rohe Naturen nur zu leicht verleitet. Aber auch fast niemand hat so oft als der Soldat Gelegenheit, der leidenden Menschheit als ein Engel des Herrn zu erscheinen, indem er die Unschuld und das hülflose Alter beschützt, seine Hände vom Raube rein erhält, den schon Gedrückten, Geplünderten schont und sich seiner Armut erbarmt. Wo die wilden Genossen Brand, Mord und Wollust hintragen, da soll der christliche Krieger im Bewußtsein, daß er für Vaterland, gerechte Sache und einen großen König ficht, auch im Getümmel, auch unter den wilden Raubgesellen Gott und die Tugend vor Augen haben, damit er das Vorrecht seines Standes, welches der edelste sein sollte, nicht mißbraucht, um ihn unter den Räuber und Mörder herabzuwürdigen. Die Tränen des Dankes, die ein geretteter Greis, eine sittsame Jungfrau dir weint, diese, mein junger, lieber Sohn, werden dir noch im Alter wohltun, die machen dein Todesbett sanft, die vergüten wohl manche Vergehung.‹ – So wie der Alte so auf mich einredete, stürzten mir die hellen Tränen in großen Tropfen aus [248] den Augen, denn nun empfand ich erst, wie viel Böses, Unerlaubtes und Tadelnswürdiges ich schon als Soldat ausgeübt hatte. Ich schluchzte und konnte nicht zu mir kommen. Da stand der Edle auf, legte mir seine schöne Hand auf meine Schulter, und wollte mich trösten; ich aber faßte diese Hand, und drückte den herzlichsten Kuß darauf, indem ich die Sprache wiederfand und sagte: ›Großer Mann, diese Viertelstunde ist mir unbezahlbar, denn Sie haben einen andern Menschen aus mir gemacht.‹ – Von Stund an schlug ich auch in mich, ließ das wilde Leben fahren, und seitdem konnte ich auch erst mit Vernunft tapfer sein, da mein Umtreiben im Felde nicht mehr ein toller Rausch und Taumel war, wie er die meisten meiner Kameraden begeisterte. Vater Ziethen zeichnete mich auch bald aus, ich war mit mir selbst zufrieden, und nun wurde ich es erst inne, daß dieses Gefühl die Krone des Lebens sei. Dies alles, meine ganze Moralität, habe ich diesem Besuche bei unserm unsterblichen Gellert zu danken.«

Der umschwärmende Binder trat jetzt zur Gesellschaft. »Ich habe, Alter, deinen Schafstall besucht«, rief er im Hereintreten; »aber da finde ich ja noch alle die alten Vorurteile, Einrichtungen, die wir schon seit lange mit Recht abgeschafft haben.«

»Ich kenne dich gar nicht wieder«, antwortete der Baron: »Du, der gesetzte Mann, bist ja ganz zum Haselanten geworden; da sieht man, wie wenig gleichgültig es ist, ob man diesen oder jenen Rock, ob man das Haar so oder so trägt.«

»Nun«, sagte jener sehr lebhaft, »was Schafzucht betrifft, da werde ich doch wohl nicht bei dir in die Lehre gehen sollen. Den Zopfwuchs Römers magst du beurteilen können, aber die Wolle wächst nicht solchen patriotischen Reminiszenzen zu Gefallen.«

»Deine Schafe«, erwiderte der Baron, »sind die besten in der Provinz, "das kann dir kein Mensch streitig machen, aber du selbst bist auf dem Wege, zugrundezugehen.«

»Raucht ihr denn nicht, Menschenkinder?« rief Binder, dem sein Bedienter jetzt eine lange Pfeife hereintrug: »Römer, seid Ihr denn aus der Art geschlagen? Herr Obrist? Denn der Alte, das weiß ich, darf es seiner Frau wegen nur selten versuchen.«

Römer hatte nur auf eine Einladung gewartet. Er teilte aus seinem Vorrate allen die Pfeifen aus, indem er sich die längste vorbehielt, auch der Baron rauchte, nur Franz, der den Tabak haßte, hatte sich entfernt. Gotthold versuchte sein geringes [249] Talent, und Cajus, der seine eigene Schwäche kannte, hatte nur die Miene eines Rauchenden.

»Wunders genug«, fing Binder wieder an, »daß du heut in deinem Zopfkollegium, alter Professor und Baron, nicht jener Tabagie, jenes Rauchkollegii ebenfalls rühmlich erwähnt hast, welches der erste Friedrich Wilhelm auch gestiftet, und durch seine Autorität das Tabakrauchen veredelt hat. Denn man denke, wie man wolle, man lebe, wie es sich schickt, man hege Meinungen, noch so bizarr, oder freventlich, so bleibt das eine doch ausgemacht: das Rauchen macht erst den Mann, den Deutschen und vollends den Preußen. Sieh, Alter, wenn du nur mehr rauchen dürftest, so würdest du auch reifer und tiefsinniger denken. So wie der Mensch, scheinbar unbeschäftigt, den Rauch vor sich hinbläst, der sich kräuselt, aufsteigt, windet und verschwindet, so folgen ganz von selbst die feinsten Gedanken aus dem Kopf nach, und repräsentieren sich auf diesen Wolken, als dem ätherischen Grund des sublimen Gemäldes. Und immer ergänzt sich die verschwindende Hinterwand, und ebenso die neuen Einsichten. Wer nicht denken kann, rauche nur, und er findet seine eigene Seele. Ruach nennt sie der Ebräer: Rauch.«

»Ei! wie gelehrt!« sagte der Baron ironisch.

»Das hab ich eben von deinem Prediger, einem trefflichen Manne, gelernt«, antwortete Binder, »der nur den Fehler hat, daß er sich gern reden hört. Aber, Alter, sieh, wie du und Römer jetzt ehrwürdig da sitzen und stehen. So ist der Mensch erst Mensch und erfüllt vollkommen seine Bestimmung. Vorn die lange Pfeife, erhaben, groß gestaltet, sein wahres Denkorgan, das Kennzeichen seines Tiefsinns, Rauch ausströmend. Und am besten jene baumstarken Röhre, die zugleich zu Stützen und Knütteln dienen können. Hinten herabhangend der mächtige patriotische deutsch-preußische Zopf, der niedergeht, sowie der Kopf sich stolz zurückwirft, der sich erhebt, sowie der Denker demütig den Sand beschaut. In der Mitte zwischen Zopf und Pfeife der Mensch nun selbst: vollständig aufgetakelt als veritabler Dreimaster, tiefsegelnd, ausgerüstet, so daß jeder seine Flagge, den dreieckigen Hut, die Kokarde auf dem Zopf oben, respektieren muß. Das müßte und sollte das Kostüm sein, um wichtige Handlungen des Lebens zu verrichten, so sollte der Mann an den Traualtar und als Pate an den Taufstein treten, so zu Hofe gehen, so in der Fremde sich den vornehmen Gesellschaften vorstellen lassen. Aber wir bleiben einseitig, hierin, [250] wie in allen Dingen, und meinen, der Zopf soll es allein ausmachen; wenn aber das Gegengewicht der Pfeife mangelt: so fehlt Harmonie und Ebenmaß, das Haar wird übermütig, der Kopf sinkt zu stark hintenüber, wie wir es heut an unserm Wirte haben erleben müssen, und die ehrwürdigste Sache schlägt zum Spaß und Spott aus.«

»Es gibt mehr Leute«, bemerkte der Baron, »die sich gern sprechen hören.«

Wahrscheinlich wäre die Unterredung lebhafter, wohl gar ein Streit geworden, wenn der Diener nicht jetzt gemeldet hätte, daß das Abendessen aufgetragen sei. Alle begaben sich nach dem Schlosse.


Alle Männer hatten sich aufgemacht, um jenes Gut des Obristen, welches der Baron kaufen wollte, in Augenschein zu nehmen. Binder aber, der im vorigen Jahre so große Lust bezeigt hatte, dort zu wohnen, um in der Nachbarschaft den Umgang seines künftigen Schwiegervaters recht genießen zu können, fand jetzt alles zu tadeln, und beklagte vorzüglich, daß die Triften für die Schafzucht unbequem seien. Franz im Gegenteil war von der Lage, dem Garten und der Umgebung entzückt, und verwunderte sich über den mäßigen Preis, um welchen es der Besitzer losschlagen wollte.

Als die Gesellschaft zurückritt, sagte der Baron zum Obristen: »Er ist ausgetauscht, der Binder, ich kenne ihn gar nicht wieder, da ist weder männliches gesetztes Wesen, noch Beständigkeit, noch Worthalten, noch Patriotismus. Über seine Schafzucht hat er den Verstand, und mit dem Zopfe seinen Charakter verloren.« Franz mischte sich auf bescheidene Art in das Gespräch und äußerte, daß er vielleicht das Gut kaufen würde, im Fall man mit dem Herrn von Binder nicht einig werden könnte. »Wenn Binder«, sagte der Baron, »bestimmt zurücktritt, und mit meiner Tochter nicht dort wohnen will, so wie wir es ausgemacht hatten, so kann ich mich auf meinen alten Tagen nicht mit einem neuen Gute belästigen. Es sollte zum Teil die Aussteuer meiner Tochter werden, wenn er die Hälfte des Preises über sich nahm; aber die bösen Geister haben ihn so verwandelt, daß sich mit ihm keine vernünftigen Plane verabreden lassen.«

Man merkte, daß durch die Äußerung der junge Mann beim alten Baron gewonnen hatte. »Wie ist denn«, fragte dieser seine [251] Tochter, als sie nach Hause gekommen waren, »der wunderliche Binder gegen dich?«

»Wie immer«, antwortete Adelheid, »ich finde ihn in nichts verändert, außer daß seine Aufmerksamkeit größer wird und seine Freundlichkeit zugenommen hat.«

»Gegen mich«, erwiderte der Vater, »beträgt er sich wie ein Narr, es ist, als wenn er Händel mit mir suchte, um die Verbindung nur rückgängig zu machen.«

Die Tochter suchte den Vater zu beruhigen, und da aus dem Gange des Gartens Binder heraustrat, so ging der Vater zurück, weil er wünschte, daß Adelheid sich mit ihrem zukünftigen Gatten verständigen möchte. Sie übernahm gehorsam den Auftrag, und als sich Binder ihr näherte, sagte sie: »Wie kommt es nur, lieber Baron, daß mein guter Vater diesmal so viel Ursach findet, sich über Sie zu beklagen? Über einen seiner ältesten Freunde? Seit Sie sich kennen, war, soviel ich weiß, kein Mißverständnis zwischen Ihnen. Warum finden Sie ein Vergnügen daran, ihn zu reizen, da Sie seine Empfindlichkeit kennen?«

Binder stand still und sah sie mit einem scharfen Blicke an. Nach einer Pause sagte er: »Es ist heut schönes Wetter, und wird auch noch einige Tage so bleiben.«

Sie gingen weiter, und Adelheid kam auf ihre Frage zurück. Da Binder sie nicht umgehn konnte, sagte er verdrüßlich: »Sie wissen es ja doch seit lange, wie mich jede Frage ärgert, und nun gar so viele Fragen auf einmal! Wenn Sie irgend auf eine nur leidlich glückliche Ehe rechnen wollen, so müssen Sie mich niemals um etwas fragen. Antworte ich von selbst, geh ich freiwillig die und jene Erörterung ein, so ist es gut; aber durch angesetzte Frageschrauben irgendein Geständnis aus mir foltern zu wollen, dadurch macht sich der liebenswürdigste Mensch bei mir verhaßt. Diesmal will ich Ihnen noch antworten. Ihr Vater sucht Händel an mir, und alles des unglücklichen Zopfes wegen. Sie waren ja zugegen, wie er bei der Ankunft mich gleich anfuhr. Das kommt aber alles nur daher, wenn ein Mensch zu sehr verbauert, wenn er recht sein Verdienst dareinsetzt, mit dem Zeitalter nicht fortschreiten zu wollen. Sie, meine gute Adelheid, werden immer meinen Ideen folgen können, die sich täglich mehr läutern und in der Zukunft noch höher steigen werden.«

»Könnten Sie meinen zu eifrigen Vater nur bereden«, sagte Adelheid bescheiden, »sich in der Tracht etwas der Zeit zu [252] fügen, Ihnen darin nur etwas nachzuahmen, so würde auch sein Gemüt vielleicht geschmeidiger werden.«

»Richtig«, sagte Binder. »Der Alte ist wahrlich ein verjüngter Simson, in dem verdammten Haarzopf liegt seine Stärke, Halsstarrigkeit und Bosheit. Kann er sich so weit überwinden, mit rundem Kopfe zu gehen, so wird auch die Eisrinde von seinem Herzen, der bleierne Mantel von seinem Geiste abfallen. Geben Sie sich zufrieden; aus Liebe zu Ihnen, und damit ich dem Alten wieder näherkomme, kann ich mich zu Dingen entschließen, die wohl meiner Natur sonst fremd sind.«

Es erhob sich ein Getümmel im Garten, welches alle Bewohner des Schlosses, die Fremden, wie die Dienstleute herbeizog, und jedes andere Gespräch jetzt unterbrach. Auch die gnädige Frau war, gegen ihre Gewohnheit, um die warme Luft zu genießen, herabgestiegen. Ein neugieriger Kreis bildete sich, und in diesem zankten und verteidigten zwei Personen ihre eingebildeten Rechte an eine dritte, welche ebenfalls zugegen war. Diese letzte war die Kammerjungfer des Hauses, Lisette Fanschel, die die gnädige Frau der Bequemlichkeit und des Wohllautes halber, kurzweg Fanchon genannt hatte. Sie war eben nicht schön, sondern braun und blatternarbig, aber dennoch wollten zwei Kämpfer sich dieser trojanischen Helena wegen jetzt Leib und Leben nehmen. Diese Streitenden waren der kahlköpfige Jäger des Barons, Walther, und der mutige Herr Zinsel, der Bediente, welcher mit dem Herrn von Binder gekommen war. Man mußte glauben, daß die bestrittene Schöne jedem ihrer Freiwerber ihr Wort gegeben hatte, weil sich beide auf die heiligsten Versprechungen, ja Eidschwüre beriefen. Fanchon stand eitel und verlegen zugleich da, und ihre Miene und der Ausdruck ihres Gesichtes war so wunderbar wechselnd, daß sie in schnellster Umstimmung des Herzens jedesmal dem recht zu geben schien, welcher zuletzt gesprochen hatte. Der Zwist war so eifrig, und die beiden Parteien so erhitzt, daß sie sich durch die große Versammlung der Zuhörer nicht stören ließen; es schien vielmehr den Kämpfenden erwünscht, einen so ansehnlichen Senat um sich versammelt zu haben, der die gegenseitigen Rechte prüfen, und endlich dem Sieger des Turniers den Preis zuteilen könne.

»Er ist nur ein Schneider gewesen!« rief der Jäger jetzt eben mit hochrotem Gesicht und erbittert: »ich bin ein freier, franker Mann, nicht in der Stube versessen und verkrüppelt, sondern tüchtig und gewandt, kräftig und gesund.«

[253] »Wahr«, rief Zinsel; »aber ich bin schon einmal Meister gewesen, Bürger, und kann es jeden Augenblick wieder werden. Und was heißt gesund? Ist das gesund, wenn man schon vor den Vierzigern einen ganz kahlen Kopf hat? Seht da meinen Haarwachs? Stark, lockig, voll: ich habe mir jetzt aus Liebe zu meinem Herrn den Zopf abgeschnitten, aber ich kann ihn alle Tage wieder wachsen lassen, und vielleicht bring ich es denn noch einmal so weit, wie der Herr Amtmann Römer.«

Der alte Baron trat jetzt etwas näher, um die Zopfanlage zu prüfen. Er schien dem Fremden in diesem Augenblick geneigt.

»Zopf! Haarwuchs!« rief der erboste Jäger. »Vom Nachtwachen im Freien, tagelang auf dem Anstande liegen, Schnepfen in den Teichen schießen, im Nebel die Krammetsvögel suchen, Holzanweisen, mich umtreiben in allem Wetter, wenn der gute Schneider mit untergeschlagenen krummen Beinen in der Stube saß, davon hab ich mein Haar, und mit Ehren verloren! Auch ohne Zopf kann der redliche Mensch in den Ehestand und Himmel gelangen. Aufs Herz kommt's meiner Seel mehr an, als auf den windschiefen Wegweiser, den der Schneider sich im Nacken binden könnte, um die Sperlinge wegzuscheuchen.«

Der Baron warf hier seinem Getreuen einen sehr strafenden Blick zu, und Binder rief: »Recht so, Jäger! Ihr denkt aufgeklärt!«

»Weil er muß«, schrie Zinsel, »die Not lehrt ihn beten. Er möchte ja nach Jerusalem wallfahrten, oder zu einem Wunderdoktor auf den bloßen Knien rutschen, wenn er davon auch nur ein Büschelchen Haare, wie einen Finger lang, aus dem kahlen Nacken zupfen könnte. Er schämt sich seines Jammers, und darum spricht er so frech und lästerlich.«

»Noch keine Patrone«, rief der Jäger, »gebe ich um einen Zopf, der von hier nach Berlin reichte! Was hätt ich denn davon, alle Stuben und Wege damit zu fegen, daß dürre Blätter, Spinnen und Maikäfer darauf, wie auf einer Vogelstange, säßen? Das ist ja nur, wie der Herr von Eisenflamm letzt sagte, so ein nüchterner Pleonasius, der die besten Kräfte wegsaugt, und auch den Verstand dünne macht; denn irgendwo will das Gehirn doch heraus, wenn es nichts zu denken kriegt. Ein fetter Jagdhund ist ein Taugenichts. So auch ein dicker Haarzopf!«

»Jäger!« schrie der Hausherr, »der Teufel predigt ja sichtbarlich aus Euch!«

»Ein kluges Männchen«, schmunzelte Binder: »ich gönne ihm die Braut lieber, wie meinem Zinsel da.«

[254] »Also«, fing der Schneider wieder an, »Er will einen Denker vorstellen? Ja, dann könnte der Tiefsinn doch lieber zu Hause bleiben, wenn er bei Ihm ein Unterkommen suchen sollte. Warum bepflastert Er denn seinem Sultan den kahlen Rücken, wo dem Köter letzt die Haare ausgerissen sind, wenn das Haarausgehen Denken bedeutet? Da ist er wohl gar mit seinem Kompagnon in ein philosophisches Kollegium geraten, wo ihr beide habt Wolle lassen müssen?«

»Nur nicht die Ehre angegriffen!« rief der Jäger; »mein Sultan hat im Herrndienst sein Fell verloren, als er sich mit drei großen Solofängern herumbiß, die von einem fremden Gebiet waren. Ich kam nur zu spät, ihm zu helfen. Nur wenige Menschen, geschweige Hunde, können sich eines solchen Patriotismus rühmen. Aber Sultan und ich, wir lassen Leib und Leben für unsern Herrn!«

Hier wurde der Baron seinem Jäger wieder geneigter, und bekam ein kleines Mißtrauen gegen den Fremden. Dieser antwortete: »Was geht mich Sein Hund, oder Seine Perücke am Ende an? Das ist aber weltkundig, daß Er schon bei hundert Mädchen seine Liebe hat anbringen wollen. Er ist ein Mensch wie Donschaan. Aber ich bin treu, keusch und tugendhaft. Fanchon ist meine erste Liebe, und wird auch meine letzte bleiben. Drum ist mein Ruf auch ein solider im ganzen Lande.«

»Wenn man die echte Liebe sucht«, fiel der Jäger ein, »so macht man anfangs einige Proben, die auch manchmal mißraten. Soll man denn nicht die Herzen prüfen? Und das eigene vor allen andern? Dem einsamen Stubensitzer wird eben nicht oft die Gelegenheit gekommen sein, seine verschimmelte Liebe auszubieten, darum hat Er sie so treu erhalten können. Wer gesucht wird, wer beliebt ist, der leidet auch Gefahr, aber doch ist mein Herz ganz und vollständig geblieben, und meine Gattin wird meiner Treue gewiß sein können.«

»Die Treue vor der Hochzeit«, fing der Gegner wieder an, »ist ebenso lobenswert, und darin muß sie mir den Vorzug geben.«

Herr von Binder neigte sich jetzt wieder seinem Vasallen zu, dessen Tugend er loben mußte, und es schien wohl, daß dieser den Sieg davontragen würde; auch Fanchon selbst war dieser Meinung, als eine neue und unvermutete Erscheinung die ganze Szene verwandelte. Eine Frau, mit einem halb erwachsenen Knaben an der Hand, schritt durch den Garten, und gerade auf die Versammlung zu. Sowie Zinsel sie gewahr wurde, ward er [255] blaß und verlegen, und die Neuankommende erhob sogleich, als sie ihn gewahr wurde, großes Geschrei. »Da ist ja der ungetreue Bösewicht!« rief sie mit gellender Stimme; »der Landstreicher, der Rabenvater!« Als der Baron sich näher erkundigte, ergab es sich, daß diese Deklamierende eine verlassene Frau jenes Tugendhaften sei, die jetzt aus Oberschlesien, da sie zufällig von seinem Aufenthalte gehört, angekommen war, um ihre alten Eherechte auf ihn geltend zu machen, da er sie schon seit sechs Jahren böslich verlassen, und sich seitdem nicht im mindesten um sie gekümmert hatte. Fanchon war auf den Freund der Vielweiberei nicht weniger erzürnt, als die verlassene Gattin, und Zinsel, beschämt, überführt, voll Reue und Verdruß, warf sich dieser zu Füßen, bat um Vergebung, und versprach mit Tränen, in Zukunft einen bessern Lebenswandel zu führen. Binder begütigte die Tobende, und richtete es ein, daß sein Bedienter sogleich mit ihr auf sein Gut zurückreisen konnte, damit er hier nur den Spöttern und Beleidigten aus den Augen käme. – »Wie?« sagte der Baron zu ihm: »Du verzeihst ihm ein solches Verbrechen?«

»Was will ich machen?« antwortete Binder, »er mag freilich nicht viel taugen, übrigens aber ist er ein guter Mensch und ein leidlicher Bedienter, diese sind aber jetzt so selten, daß man wohl tolerant werden muß.«

»Immer besser!« rief der Hausherr aus: »und was soll meine Tochter von einem solchen Skandal denken? Über den Punkt, mein Freund, sprechen wir noch, der ist noch nicht abgemacht.«

»Ja, sprechen und ewig sprechen!« murmelte Binder halblaut; »darin besitzt er seine Stärke. Aber das Anhören! das ist eine unangenehme Sache, wenn man dazu gezwungen ist.«

Der Baron hatte etwas davon vernommen, und war unentschlossen, ob er antworten sollte; doch unterdrückte er jetzt noch seinen Zorn und Witz. Keiner war zufriedener, als der Jäger Walther, dem jetzt Fanchon plötzlich eine ungefärbte Zärtlichkeit zeigte. Beide sprachen schon davon, sich vielleicht an ebendem Tage zu vermählen, an welchem ihr gnädiges Fräulein ihre Verbindung feiern würde.


Gotthold hatte sich an allen diesen Verhandlungen sehr erfreut, doch Franz wurde immer trübsinniger. »Wie wenig, so gar nichts«, sagte er seufzend, »erfüllt sich von allen dem, was [256] ich mir so süß geträumt hatte. Sie sieht mich mit Gleichgültigkeit an, sie ist vielleicht gar keiner Liebe fähig, wenigstens zieht sie den Abgeschmackten vor und scheint mit ihm ganz zufrieden. An allen Torheiten nimmt sie teil und hat so gar nicht jenes sinnige Gemüt, jene sanfte beschauliche Schwermut, jenes Sehnen, in welchen die Liebe so gern mit allen ihren Gefühlen liebkosend scherzt.«

»Das Lied«, meinte Gotthold, »ist ja noch nicht zu Ende, es fragt sich, ob aus ihrer Ehe mit dem Aufgeklärten etwas wird. Und wenn er nur erst abgedankt ist, so hast du ja das nächste Anrecht.«

»Und was hab ich alsdann?« fuhr Franz auf: »wenn sie mich nachher auf Befehl des Vaters ebenso nimmt, wie sie diesen, oder einen andern Landjunker genommen hätte. Mir ist noch niemals ein Mädchen vorgekommen, das so völlig gleichgültig gegen Statur und Gemüt ihres Bräutigams gewesen wäre.«

»Wenn du es nur über dich gewinnen könntest«, sagte Gotthold, »einen ungeheuren, dick eingepuderten Zopf einzubinden, und dich schriftlich anheischig zu machen, daß du ihn so lange als Surrogat mit frommem Sinne tragen wolltest, bis dein eigenes Haar nachgeschossen sei, dessen Verschneiden du dann auch feierlichst entsagest, so hättest du den Alten gewiß gewonnen. Sonderbar, daß das, was vor zehn Jahren noch allgemeine Sitte war, jetzt an dir lächerlich herauskommen würde. In deiner Stelle setzte ich mich darüber hinaus und eröffnete so meinen Feldzug.«

Der Justitiar war indessen angekommen, der, sowie er nur vom Wagen stieg, sogleich zum Prediger eilte. Mit diesem war der Müller Zipfmantel eben in Verhandlungen begriffen. »Wenn ich Ihnen«, sagte der berüchtigte Mann, »meinen Jungen also von jetzt in die Kinderlehre schicke, so müssen Sie ihn nur, wertester Herr Prediger, nicht zu tugendhaft und so übertrieben christlich machen. Denn alles hat sein Maß. Ich wollte nicht, daß der Junge vor lauter Frömmigkeit heucheln und lügen lernte, denn die Range ist klug, und hat gleich alle Schwächen der alten Leute mit wenigen Blicken weg. Ist nun neben dem Vernünftigen kein Fußsteig des Spaßes, neben der großen Tugendstraße nicht ein Sommerweg einer gewissen erlaubten Ausgelassenheit möglich, so glaubt so ein pfiffiger Junge entweder gar nichts, oder er verlegt sich von früher Jugend auf das Heucheln, um die Großen, die ihn ganz vom Albernen weg bekehren wollen, noch zu überbieten. So ist es gewiß dem alten Römer in seiner Jugend gegangen.«

[257] »Der ist«, sagte der Pfarrer, »trotz seiner vielfältigen Irrtümer, doch kein Heuchler.«

»Ein Aufschneider wenigstens«, sagte der Müller, »in Rechtlichkeit, Tapferkeit und Religion. Da ich nie weiß, wieviel ich ihm glauben kann, so glaube ich ihm, der Abkürzung wegen, lieber gleich gar nichts. – Also, gnädig mit meinem Christoph, Herr Pfarrer, leben und leben lassen, daß er über die Religion nicht den Narrenwandel auf Erden vergißt.«

Der Müller ging und die beiden Freunde begrüßten sich herzlich. »Nun, wie steht's hier?« fragte der Justitiar, nachdem sie sich einigemal umarmt hatten.

»Wie immer«, antwortete der Pfarrer, indem er die Achseln zuckte. »Die gewöhnlichen Schauspieler kennen Sie ja, und zwei junge Leute, die hinzugekommen sind, gehören eben auch nicht zum Salz der Erden. Junge Edelleute, die sich mit der Kunst beschäftigen. Damit ist ja alles gesagt. Der eine hat zwei große mythologische, oder historische Bilder entworfen, die Sie oben auf dem Saale betrachten können; der alte Baron hat erst viel daraus gemacht. Wahre Philosophie, echte Kritik, teurer Freund, gründliche Einsichten, deren wir beide einmal so sehr bedürfen, finden Sie in diesen Zirkeln nicht.«

»Woher sollen sie's auch haben?« sagte der kleine runde Justitiar. »Das wird in Vorurteilen erzeugt, geboren und auferzogen. Es bleibt aber immer eine merkwürdige Anstalt, um diesen Adel. Ein ganzes großes Institut, unzählige Menschen, die an einer fixen Idee leiden, und die doch eben nicht gefährlich werden, oder in das eigentliche Rasen verfallen, weil die Gesunden so halb und halb in ihre verkehrten Vorstellungen einzugehen scheinen, ja sich zuweilen dieser und jener in die nämliche Anstalt mit freiem Entschlusse aufnehmen läßt. Ja, Freund, für den Psychologen ist das eine Erscheinung, an der noch vieles zu lernen ist.«

»Denkender Mann!« rief der Pfarrer aus, »Sie sind in dieser Einöde noch mein Trost. Haben Sie mir denn auch einige lesbare Bücher mitgebracht? Man muß hier immerdar am Geiste rütteln und schütteln, daß er nur nicht ebenso, wie bei den übrigen, einschläft.«

»Der Herr von Binder«, warf der Justitiar ein, »hat doch zuweilen lichte Augenblicke.«

»Sie werden immer seltner«, antwortete der Geistliche. »Seine Schafe verderben ihn. Welche Ehe das mit der leichtsinnigen Adelheid geben wird, ist mir noch immer unbegreiflich.« [258] »Wie glücklich müssen wir uns preisen«, sagte der Gerichtshalter, »daß der Himmel uns in diesem Stande geboren werden ließ. Freies Denken, richtiges Gefühl, Herz und Geist sind doch nur in ihm möglich. Also, die Ehe wird doch geschlossen werden?«

»Ich zweifle nicht«, antwortete der Priester. »Alles wäre noch zu ertragen, wenn der Himmel nur endlich einmal den alten widerwärtigen Römer zu sich nehmen wollte. Welchen Abscheu ich durch diesen Mann vor allen Husaren bekommen habe, läßt sich gar nicht in Worten aussprechen.«

»Aber auch hierin«, tröstete der Freund, »müssen Sie Ihre Philosophie walten lassen. Ei was! ein solcher freidenkender Kopf muß sich niemals von den Verhältnissen beugen lassen.«

So sich unterhaltend und gegenseitig erhebend, verbrachten sie den Abend.


Am folgenden Nachmittage hatten sich wieder die meisten in Römers großem Zimmer zusammengefunden. Diesen Saal zur ebnen Erde benutzte überhaupt der Baron, um sich hier mit seinen Vertrauteren zu beraten, und Meinungen auszutauschen, weil ihm im Schlosse oft seine Tochter, noch mehr aber seine Gemahlin hinderlich fielen, welche beide nicht selten die freiere Unterredung hemmten, oder sie anders richteten, als er es wünschte. Der Obrist fühlte sich dem alten Römer, als einem Krieger und einem Manne von vieler Erfahrung zugeneigt, um nicht gern jede Gelegenheit aufzusuchen, seinen Umgang zu genießen. Binder hatte zum alten Husaren eine wahre Zärtlichkeit, und Gotthold ergötzte sich unbefangen an den seltsamen Gruppen.

»Glauben Sie mir, Herr Obrist«, sagte Römer eben, als Gotthold in die Gesellschaft trat, »es sterben weit mehr Leute am gebrochenen Herzen, als es die Ärzte wissen, oder die Zeitungen melden. Daran erkranken und verscheiden vorzüglich die großen Geister. Der tapfere Mensch kann dieses und jenes, tausend Unfälle und Kränkungen, vorzüglich in der Jugend überstehen, und dann tritt im einsamen Alter oft ein Schmerz auf ihn zu, der mit seiner kalten Hand so tief in seine Seele hineinfährt, daß der heldenmütige Mann dann in stiller Verzweiflung zu seinem Herzen, fast gleichgültig, sagt: ›Nun, so stehe doch endlich stille, du unruhiges, zappelndes Ding! Du [259] kannst es nun wohl satt haben, so hin und her zu wackeln, und bald in Angst zu zittern, bald in Freude, wie der Hund mit dem Schwanze, zu wedeln: ist denn das ganze Leben, mit allen seinen Anstalten, so sehr der Rede wert? Tu dein gieriges, nimmersattes Maul doch endlich zu, das immer dieses und dann jenes Gefühl noch aufschnappen, noch diese Erschütterung erleben, oder jene Hoffnung erfüllt sehen will: alles ist ja Trug und Täuschung und nicht des Pulsschlages wert.‹«

»Sie haben recht«, antwortete der Obrist, »auch mögen es oft die größeren und besseren Menschen sein, die so resignierend endigen. Der Anblick ist aber weit erhabener, wenn ein wahrhaft großer Mann in Leiden und Widerwärtigkeit, zwischen tausend zerbrochenen Hoffnungen wandelnd, dem alle seine jugendlichen edlen zerschmetterten Wünsche vor den Füßen liegen, von Hohn, Elend und Vernichtung bedräut, dennoch sein zorniges Schicksal und sein zagendes menschliches Herz besiegt, Mut, Kraft und Mittel, sozusagen, aus dem leeren Raume greift und als Unsterblicher, mit dem ewigen Lorbeer gekrönt, aus den sterblichen Verhängnissen hervorschreitet. Und ein solcher hoher Genius, der jedem Unglücklichen als Muster vorleuchten sollte, war unser großer Friedrich. Wer ist in jenem ewig denkwürdigen Kriege mehr getäuscht, als er, wer mußte wohl so oft alle Hoffnung aufgeben, gegen wen zeigte sich das Glück hundertmal ungetreuer, wer stand der wahrscheinlichen Vernichtung so nahe? Und dennoch, am Erfolg verzweifelnd, das Leben geringachtend, sich selbst schon dem Tode weihend, griff er immer wieder, beseelt von seinem hohen Beruf, begeistert vom Gefühl der Ehre und des Nachruhms, dreist und festen Herzens in die dunkle Urne, die das Schicksal ihm darbot, und entwickelte sein gezogenes Los mit starker Hand. Mag die Zeit vieles von ihm vergessen, was der Unsterbliche niederschrieb, mag seine Feder manches haben erringen wollen, was ihr versagt war, aber die Briefe, die er in jenen höchsten Drangsalen schrieb, in denen er noch in der Klage scherzen, im vollen Bewußtsein seiner Lage, selbst im Wegwerfen des Lebens noch so klar denken konnte, diese sollten von jedem Preußen, ja von jedem Deutschen für Heiligtümer geachtet werden.«

Der Baron, welcher begeistert wurde, sooft auf seinen Helden die Rede kam, stimmte in vollen Tönen ein, und Römer wurde so bewegt, daß ihm die Tränen in die Augen stiegen. »Nur schade«, sagte er endlich, »daß der große Mann am Ende [260] diese Gleichgültigkeit, ja eine Art Verachtung gegen die Menschen bekam.«

»Konnte es wohl anders sein?« fuhr der Obrist fort: »wie hat er denn diese Menschen kennenlernen? Welche Erfahrungen hatte er an den Ausgezeichnetsten seines Jahrhunderts gemacht? Wird es jedem Manne schwer, der die Welt in vielen Verhältnissen sieht und erforscht, jene Menschenliebe, die uns so notwendig ist, in seinem Herzen lebend zu erhalten, wieviel mehr einem Könige! Es ist rührend, der herrlichen Erscheinung nachzufolgen, wie rüstig und heldenleichtsinnig der erhabene Jüngling in seinem ersten Kriege auftritt, wie sicher der Mann im zweiten, wie groß der Herrscher im dritten und furchtbarsten. Jetzt aber verwandelte sich ihm der heitere Anblick des Lebens, um die finstere Schatten- und Todesseite zu entfalten. Als ein frühgealterter Greis, mit zerbrochenem Körper, krank, lebensüberdrüssig, mit Ekel an Taten und Nachruhm, kam der Sieger, den ganz Europa bewunderte, in seine stille Heimat, um als Gesetzgeber die Wunden seines Staates zu heilen, um in unermüdeter Tätigkeit, in ungehemmter, beschwerlicher Arbeit sein Leben noch zu nützen, wenn auch nicht zu genießen. Er hatte zu viel erfahren und getan, um sich noch an den gewöhnlichen, sogenannten Freunden erlaben zu können. Jeder große Mann steht einsam in seiner Zeit da, meist in der Bewunderung selbst unverstanden; wer das Rechte will, findet selten, fast nie Gehülfen. Sagt doch unser Dichter schon in seinen rüstigsten Jahren, indem er seine Werke der Wahrheit widmet:


Ach! da ich irrte, hatt ich viel Gespielen,
Seit ich dich kenne, bin ich fast allein.

Wie einsam muß sich ein solcher erst im hohen Alter fühlen. Und unser königlicher Held – alle diejenigen, mit denen er in seiner Jugend gescherzt und gelacht hatte, waren ihm abgestorben: wie wohl hätte es ihm in manchen Stunden getan, von diesen sein Lob zu hören, wie täuschte er sich wohl in Momenten (wie das jedem Menschen begegnet), als hätte er mit für ihre Bewunderung gearbeitet, daß sie das Gemälde seines vollendeten Alters an jene muntere Skizze seiner Jugend halten und beide vergleichen sollten. Ach! man kann es ihm nicht zu sehr verdenken, wenn ihn in seiner Verlassenheit zuweilen nach dem Lobe und der Schmeichelei eines der Franzosen lüstete, die für ihn nun einmal die Stimme der Nachwelt redeten; oder er[261] seinem Voltaire, der ihn gemißhandelt hatte, selbst schmeichelte, um Satiren des kleinlichen Undankbaren zu unterdrücken, der wohl am wenigsten die Größe unseres Monarchen würdigen konnte, des Mannes, der immer, so gern er auch französisch sprach und schrieb, ein echter Deutscher geblieben ist. Das zeigt sein Charakter, seine Staatskunst, seine große Gesinnung. Hob er doch nur dadurch sein Vaterland zu der Größe empor, die keiner seiner kühnen Vorfahren hatte ahnden können. Mächtig, gegründet war dieser Staat nun für alle Zeiten, ein Schutz der Schwächeren und Bedrängten, ein Schrecken der um sich greifenden Anmaßung. Die Gerechtigkeit ward ein Muster für andere Länder, die Taktik der Armee ein Sprüchwort, ihr Ehrgefühl unerreichbar. Das Volk, solchen Herrscher an der Spitze, fühlte sich, jene Engherzigkeit wich helleren Gedanken, großen Gefühlen, eine edle Freiheit und Kühnheit charakterisierte den Preußen, oft sogar seinem Könige gegenüber; und auf Wissenschaft, Kunst, Gelehrsamkeit und Volkssinn aller deutschen Provinzen hat Preußen seitdem mittelbar und unmittelbar gewirkt, und jene Betäubung, die noch seit dem Dreißigjährigen Kriege auf der Nation lastete, mußte entweichen.«

»Ein Brief«, sagte der Baron, »gibt mir aber doch immer einen Stich ins Herz. Daß er dem Voltaire, den er einmal so bewunderte, der ihm als der größte Geist erschien, vergab, daß er ihn, indem er ihn Kabalenmacher, ja Taugenichts nennt, wieder einladet, ist herrlich und eines großen Mannes würdig: daß er aber im hohen Alter bei Gelegenheit des Komödianten le Kain an ebendiesen Voltaire schreibt, er wüßte dessen Trauerspiele so auswendig, daß er Suffleur bei einem Theater werden könnte; diese so ganz fatale Stelle hätte ich immer auskratzen und vernichten mögen.«

»Sie hat mich auch immer beleidigt«, antwortete der Obrist, »und die Schmeichelei wäre schon eines Privatmannes unwürdig. Aber, lieber Baron, wenn Sie es so genau nehmen, so würden Sie wohl noch manche andere Äußerung antreffen, wo Sie Ihr Radiermesser möchten in Tätigkeit setzen wollen. Wem, frage ich oft, sollen denn Kleinheiten und Schwächen vergeben werden, wenn nicht dem großen Manne? Gegen mittelmäßige Menschen sollten wir weit intoleranter sein, denn ihnen wird es, wenn sie nur wollen, viel leichter, ihr Leben geordnet und ohne allen Anstoß zu führen, als jenen mächtigen Geistern, deren überirdisches Talent ja eben das Leben zu einer verwickelten Aufgabe macht, wo Hemmungen, Störungen und [262] auffallende Seltsamkeiten, auch Widersprüche nicht fehlen können. Und der große Monarch, der so aufrichtig mit sich umging, kannte auch seine Fehler und Gebrechen, auch tadelte er sich selbst darum. Heuchelei und Lüge jeder Art waren ihm völlig fremd. Er war die Wahrheit selbst und auch in dieser Hinsicht verehrungswürdig.«

»Freundschaft?« sagte Binder; »selten? fast unmöglich für Hochgestellte? sollte sie nicht jeder antreffen können, der sie redlich sucht?«

»Wohl nicht immer«, antwortete der Obrist; »die echte fordert Gleichheit, und schon dadurch wird es einem Herrscher fast unmöglich, wahre Freunde zu finden. Ist der König, wie unser Friedrich, noch obenein ein großer Mann, so wird es noch schwieriger. Wo kann ihm einer, besonders ein Untertan, ein Diener, als ein Gleicher in Gesinnung, Kraft, Freiheit, Seelengröße entgegentreten? Ein feines Gefühl, ein echter Durst nach Liebe, begnügt sich aber nicht damit, den Freund sich gleichsetzen zu können, er soll in dieser, in jener Hinsicht, in der oder anderer Seelenfähigkeit höher stehen, man kann keinen Freund haben, den man nicht auch bewundert – und wo sollte Friedrich diesen finden? Im Voltaire glaubte ihn der König getroffen zu haben, und wie bitter mußte er diesen jugendlichen Irrtum büßen. Ja, Diener, treue, ergebene, hatte er viele, die im beglückendsten Gefühl ihm mit Blut und Leben anhangen und ihn dabei wie ein höheres Wesen bewundern und verehren konnten. Für einen Staatsdiener, für einen Offizier weiß ich kein Gefühl, kein Verhältnis zu nennen, das beseligender sein könnte. So mußte der König sich denn, sowenig er den Schein davon haben mochte, zu allen herablassen, und wie sehr er mit seinem d'Argens bloß spielte, wie wenig ihm ein d'Alembert oder andere genügten, beweiset am besten seine Korrespondenz. Als sich gar die neuere Philosophie der Franzosen hervortat, die auf Gleichmachen und jenen leeren Kosmopolitismus hinausging, der alle Staaten und menschlichen Verhältnisse auflöst, ja der in seiner Konsequenz (dessen er sich selten bewußt wird) den Menschen unter das Tier hinabwirft, wandte er sich mit Verachtung von seinen französischen Skribenten ab.«

»So hätte er nun zu den deutschen umkehren sollen«, bemerkte Binder.

»So viel war ihm nicht vergönnt«, antwortete der Obrist. »Sollte er sich im Alter von allen seinen tief eingewohnten [263] Begriffen und Überzeugungen losmachen? Sollte er so spät noch ein ihm unbekanntes Reich erobern? Denn wenn wir nicht aus Vaterlandsliebe einseitig sein wollen, so müssen wir uns doch gestehen, daß in den früheren Jahren unseres Königes nur weniges da war, was ihn, oder jeden Freund der Poesie, der Geschichte oder Kritik reizen konnte. Denn, selbst Ihr lieber Gellert, mit aller Hochachtung von ihm gesprochen, die er verdient, war doch wohl kein Dichter zu nennen, und wenn Haller diesen Namen mehr verdient, so waren diese und ähnliche Erscheinungen doch nicht glänzend, nicht herrschend genug, um eine eigene, kräftige Literatur zu begründen: mit dem einsamen, ungeselligen Talente Klopstocks hätte Friedrich gar nichts anfangen können, wie ich diesen denn auch mehr bewundere als genieße, und vielleicht ist es mit den meisten Deutschen so beschaffen. Über die neuere wahre Literatur, die sich am Abend seiner Regierung erhob und ausbreitete, hat er ein merkwürdiges verachtendes Wort ausgesprochen. Dürfte man große Schicksale und notwendige Verhältnisse anders wünschen, so lebte ein Mann freilich damals in Deutschland, mit welchem ein Friedrich wohl hätte eine wahre, echte Freundschaft schließen können, wenn ein freundlicher Gott ihm dergleichen zugesendet hätte.«

»Und wer war dieser nach Ihrer Meinung?« fragte der Baron.

»Wer anders«, fuhr jener fort, »als der einzige Lessing? Der Mann der Wahrheit, des großen Strebens, des vielseitigsten Forschens und Denkens. Steht dieser deutsche Mann in seinem Alter etwa weniger einsam, als der große König? Und welcher großen Menge von Freunden konnte er sich rühmen, die sich alle treuherzig dafür hielten? Liest man aber seine Korrespondenz, so wird man von einer größeren Tragödie erschüttert, als er jemals eine dichten konnte.«

»Sie mögen in allen Dingen recht haben, verehrter Obrist«, sagte Römer, »aber ein Unglück war es doch immer zu nennen, daß so ein herrlicher Mann wie der alte Fritz keine Religion hatte.«

»Gewiß ein Unglück«, antwortete jener. »Man hat ihn in neueren Zeiten auch wohl bitter darüber tadeln wollen, und wenn es merkwürdig ist, daß er in den Drangsalen des furchtbaren Krieges Fleurys große Kirchengeschichte im Lager lesen konnte, so hätten ihm doch seine wärmsten Anhänger wohl seinen Auszug aus derselben, noch mehr aber jene arme Vorrede zu diesem erlassen. Aber wir müssen auch niemals vergessen, [264] daß wir nicht das Recht haben, von jedermann einen religiösen Sinn zu fordern. In manchen Menschen ist er schwächer, manche haben keine Gelegenheit, ihn auszubilden. Die Eindrücke der Jugend verstimmten den König außerdem. Wenn er so oft Zufall und Ohngefähr die Regierer der Welt nennt, so müssen wir seine Inkonsequenz belächeln, daß er selbst so verständig und weise verfuhr. Ein solches leeres Wort durchdringt auch niemals den ganzen Menschen: was wäre sonst sein erhabenes Ehrgefühl gewesen, mit dem er so oft versicherte, lieber zu sterben, als einen elenden Frieden zu schließen? Wie viele haben nicht nachgesprochen, daß er es auch sei, der völlig das Reichsverband gelöst und die alte deutsche Verfassung gestürzt habe. Als wenn da noch etwas aufzulösen war, als wenn aus diesem morschen, längst verjährten Wesen noch je irgend etwas Heilsames hätte hervorsprießen können. Nein, er hat das wahre deutsche Reich, welches sich in jener Unform nicht mehr bewegen konnte, erneut und wieder auf besseren Säulen gegründet, daß das Land, wenn auch geteilt, mächtiger als je auftritt und handelt. Auch läßt sich eine Einheit in Zukunft wohl wieder denken und herstellen, wenn äußere Feinde uns bedrängen.«

»Sie sollen kommen!« rief der begeisterte Römer, und griff nach seinem Säbel. »Aber nicht wahr, verehrter Mann, die vielen Namen der preußischen Generale im siebenjährigen Kriege erfreuen das Herz, jedes Kind kannte sie dazumal. Denn bei der Revue neben unserem Ziethen, Seydlitz, Möllendorf, Wunsch, und wie sie alle heißen, den Alten Fritz mit den großen blauen Augen und dem schiefen dreieckten Hute reiten zu sehen – nein, so was kommt nicht wieder.«

»Jedes kann in seiner Art zu loben sein«, antwortete der Obrist; »auch in der Justiz, unter den Ministern, in der Verwaltung lassen sich ebenso viele verehrte Namen nennen. Was hat nach dem Erlöschen des alten askanischen Stammes, und nach den darauffolgenden schlimmen Zeiten, unser Brandenburg nicht überhaupt diesen Hohenzollern zu danken! Und dieser herrliche Stamm wird uns auch für die Zukunft treffliche Regenten erziehen. Welcher Preuße muß sich nicht am Anblick seines jungen Königes und der schönen Königin erfreuen? Welche Hoffnungen regen sich nicht in jeder Brust! Mögen uns auch Stürme bevorstehen, jetzt und in Zukunft werden edle, freisinnige Regenten das Land beherrschen, zur Sicherheit der Preußen und Schlesier, und zum Schutz des tapferen Brandenburgers, [265] wie dieser Volksstamm schon früh genannt wurde, der sich immer ebenso durch Treue wie durch Kriegesmut auszeichnete.«

»Nicht wahr?« fing Römer wieder in seiner lebhaften Weise an: »mein alter Ziethen war doch der vorzüglichste General der Kavallerie?«

»Der Held«, sagte der Obrist, »verdient für seine Bravour und sicheres Auge, wie für seine Redlichkeit das allergrößte Lob; aber an eigentlich militärischem Genie war ihm Seydlitz überlegen. Dieser große Krieger gewann vorzüglich durch ein treffliches Manöver die blutige Schlacht bei Zorndorf.«

»Aber Hochkirch!« rief der alte Husar, »wo er so viel zur Rettung des Königes und der ganzen Armee beitrug! Oh, meine Herren, von den vielen herrlichen Zügen, die man von dem großen Könige erzählt, ist mir doch der einer der liebsten und rührendsten, wie er in einem seiner letzten Lebensjahre auf dem Saale seines Schlosses, von den Prinzen des Hauses und der ganzen Generalität umgeben, für seinen alten Freund und Helden Ziethen einen Sessel herbeibringen läßt, und er vor ihm steht und mit ihm spricht. Sehn Sie, dort ist die Sache von unserem Chodowiecki in Kupfer gebracht: nicht so glücklich und geistreich, wie der berühmte Künstler sonst in kleinen Sachen arbeitete, aber doch zum Andenken und zur Begeisterung des Patrioten hinreichend, denn der König und Ziethen, sowie die vornehmsten Umstehenden sind sprechend ähnlich.«

»Ich kam erst«, fuhr der Obrist fort, »einige Jahre nach dem geschlossenen Frieden in die Armee, aber alle älteren Offiziere, die mit mir dienten, waren noch voll von Begeisterung; alle Schlachten und Gefechte, die jeder mitgemacht hatte, mußte ich zu meiner Freude und Belehrung, wie oft, anhören. Die tollkühnsten Unternehmungen, die seltsamsten Gefahren hatte jeder versucht und erlebt, und es wundert mich nur, daß man in unsern schreibseligen Zeiten nicht einige gute Bücher hat, um dem Soldaten, wenn er abgeschnitten und verirrt, vorzüglich aber den Kavalleristen, wenn er versprengt ist, durch auffallende Beispiele zu zeigen, wie er sich dennoch retten kann, wenn ihn schon alle verloren geben.«

»Das würde nichts helfen«, fiel der alte Husar ein; »die Not und die Begeisterung des Augenblickes können hier nur die rechten Lehrmeister sein, denn in jedem Scharmützel, in jeder Gegend sind die vorkommenden Fälle neu und unerhört. Der rechte Soldat findet das Rechte, dem andern ist weder mit [266] Theorie noch Exempel beizukommen. So erinnere ich mich einer Begebenheit, an die ich nachher immer mit einigem Schrecken habe denken müssen, und die keinen belehren könnte, weil sie schwerlich zum zweiten Male möglich sein würde. Als wir nach Dresden detaschiert wurden, hatten die Reichstruppen die Anhöhen bei Plauen besetzt und verschanzt. Im Grunde selbst, bis Tharandt, standen Soldaten. Wer die Gegend kennt, weiß, daß diese steilen Höhen, auch unverschanzt, von unten nicht zu bestürmen und zu nehmen sind. Vorn bei Plauen, eine Stunde von Dresden, sind die Berge am steilsten, lauter Granit, hier ist das Tal auch am engsten; und der kleine Fluß, die Weiseritz, treibt einige Mühlen. Wir kamen von der Gegend von Pirna und der böhmischen Grenze. Kleine Gefechte, hin und her, was nichts entschied. Aber in der Hitze war ich von meinem Bataillon abgeschnitten; ich ritt unter der Reichskavallerie und glaubte in meinem Trupp zu sein. Plötzlich besinne ich mich und sehe meine Kameraden schon weit zurück, nach Dresden zu. Ich haue, ich schieße, ich reite, was das Pferd laufen kann, die Feinde, drei, vier, fünf hinter mir drein. Zum Glück hatten sie sich schon alle verschossen, ohne mich oder mein Pferd zu treffen. So spreng ich vorwärts, und – da steh ich über dem Abgrunde, vorn, nicht weit vom sogenannten Hegereuter, zwischen diesem und der ersten Mühle. Da hieß es wohl: Vogel, friß oder stirb! Ein herrlicher, heroischer Leichtsinn fliegt mir plötzlich durch Kopf und Leib. Nein, nicht gefangen! denk ich und setze mit meinem Klepper eine Reife hinunter, die die Regenwasser im Felsen gespült und gerissen haben. Wie ich hinuntergekommen bin, weiß ich noch nicht, hinter mir schreien die verfolgenden Feinde. Ich bin unten, durch den Fluß, der niemals tief ist, und nun das Tal durch, nach Botschappel zu. Hatt ich das Tier nicht, ein Pferd wie ein Vogel, war ich nicht so jung und leicht, so war die Sache völlig unmöglich. Ich wußte, daß noch Feinde im Tal lagen: aber ich sprengte in Botschappel und Döhlen glücklich mitten durch alle hindurch, die mich vielleicht in der Eil nicht erkannten, bis ich oben auf der Landstraße wieder preußisches Militär fand. Mir dünkt, diese sonderbare Sache ist damals auch in Zeitungen, oder in einem Kriegesbuche erwähnt worden, wenigstens ergötzte es mich viele Jahre nachher, die Geschichte aufgezeichnet zu finden, doch habe ich jetzt vergessen, wo.«

»Das war ein Husarenstreich!« sagte Binder; »Alter, den macht Euch kein anderer Sterblicher nach. Das Pferd muß auf [267] den Hinterbeinen hinabgerutscht sein, wie wohl Bergleute zuzeiten einen schrägen Schacht abfahren.«

»Es kollerte, rutschte, stolperte, fiel«, sagte Römer, »beobachten konnte man nicht groß, denn die Sache geschah weit schneller, als ich sie vorher erzählen konnte.«

»Ich kenne den Plauenschen Grund«, sagte Binder, »und darum ist mir das Ding noch viel unbegreiflicher. Eine Treppe, von zwölf Stufen etwa, bin ich einmal hinauf- und heruntergeritten, und glaubte damit schon was Rechts getan zu haben; das ist ja aber nur ein klägliches Spiel gegen Eure Felsenabkutschierung.«

»Man wird mit dem Pferde eins«, sagte Römer, »Mensch und Tier lassen sich gar nicht mehr trennen.«

»Da sprecht Ihr ein gescheutes Wort«, rief Binder, »darin liegt das Geheimnis und auch der Schlüssel zu tausend Dingen, die man ohne ihn niemals begreifen würde. Es ist unglaublich, was die Tiere durch uns empfangen, indem wir sie zähmen und zu Haustieren machen: alle die Anlagen, die die gütige Natur ihnen mitgeteilt hat, werden nur erst dadurch, daß ein Teil des Menschengeistes in sie übergeht, etwas Lebendiges und Geistiges. Die Zähmbarkeit ist ihr Genie, und durch Regel, Ordnung und Vernunft, die das wunderbare Wesen nun beherrscht und sich ihm mitteilt, erwachsen die Erscheinungen und Künste, die wir am Pferde und Hunde bewundern müssen. Dadurch, daß der Hund gezähmt werden kann und sich zum Menschen sehnt, diesen auch weit mehr liebt, als sein eigenes Geschlecht, ist er eben ein ganz anderer Kerl als der Fuchs oder Wolf, mit denen er doch in so naher Familienverbindung steht. Aber ebenso wie die Tiere gewinnen, und etwas in ihrer Natur auch verlieren, so geht es ebenfalls dem Menschen, wenn er in diese Allianz tritt. Er entwickelt unbewußt tierische Anlagen, die vorher schlummerten. Der Jäger, der sich täglich und nächtlich mit seinem Hunde umtreibt, oder der Liebhaber, der mit seinem Pudel stündlich spielt, fängt allgemach an, die Dinge so zu sehen, wie das Tier. Er bekommt einen ähnlichen Neid, sowie eine Verwandtschaft in Blick, Gebärde und Gang, er kann auch schon keinen Stock liegen sehn, ohne die Lust, apportieren zu lassen, und sowie ihm der Hund nur winkt, so tut er ihm auch den Gefallen, den Span aufzunehmen, und mit dem Liebling das langweilige Spiel zu treiben. Wie das Pferd den Reiter versteht, wie der Sinn und die Art des Rosses in den Mann übergeht, wie beide sich wechselsweis erraten, wie ihr [268] Instinkt in der Gefahr ein und derselbe wird, darüber ließe sich vielerlei sagen, obgleich die Liebe des Gauls zum Menschen eine ganz andere, als die knechtische des Hundes ist. Ein Hund kann eigentlich nicht gekränkt werden, ein Pferd wohl, und je edler es ist, so leichter. Welcher Rinderhirt hält den Kopf nicht ebenso, wie sein Vieh. Man erzeigt mir die Ehre, meine Schafzucht für die beste in der Provinz zu halten, da kommen denn die Leute, und wollen sich bei mir Rats erholen. Was ein anderer mir so sagen kann über dergleichen, das ist niemals das Beste. Andere lachen über meine Anstalten, verwundern sich aber doch, daß alles so gedeiht. Im Winter tragen einige meiner Schafe Kappen, diese sind an den Köpfen empfindlich, etlichen habe ich Jacken angezogen, manchen eine Art von Schuh gemacht. Die Garde geht auch anders, als die Füseliere, Dragoner sind von den schweren Kürassieren unterschieden. Alles hat seine Vernunft und seinen guten Grund. Woher ich nun alles habe, was ich bei meiner Schäferei, und mit so gutem Erfolge, anwende? Denken? Beobachten? Erfahrungen anderer benutzen? O ja, das ist auch alles ganz gut und nicht zu verachten – aber die Hauptsache ist doch, daß ich zuzeiten in meinen Schafstall gehe, nun drängt und wälzt sich alles das Wollenvieh zu mir heran. ›Schäfer‹, sag ich, ›laßt mich ein Weilchen allein‹. Nun mach ich die Augen zu, taste mit beiden Händen um mich her, fasse bald den Kopf, bald den Rücken dieses und jenes Hammels, versenke mich ganz in das Gefühl und die Anschauung, werde mit einem Wort, ganz und gar und völlig zum Schaf. In diesem Schaftum, in diesem wachen Schlummerzustande kommen mir denn die allerbesten Erfindungen und Verbesserungen, und in diesen Stunden der Weihe empfange ich durch Instinkt oder Inspiration alles, was ich abändern, was ich anwenden muß. Wem kann ich aber diese Gabe wohl mitteilen, der nicht schon selbst auf guten Wegen geht? Und nun, meine Herren, beobachten Sie einmal meinen Gang, ich will ein paarmal auf und nieder wandeln – he, ist es nun nicht ganz der Gang eines Hammels? Aufrichtig gesprochen, ja! Sehen Sie meine Physiognomie unbefangen an. Sie verändert sich von Jahr zu Jahr: immer mehr wächst mir der Hammelausdruck in Stirn und Nase hinein. Ich niese auch schon wie die Schafe, und wenn ich einmal viel spreche, wie jetzt eben, so gibt es wahrlich schon unter meinen Redetönen so viele Blökelaute, die knarrenden langgezogenen Määähredensarten der Mutterschafe, daß ich mich vor Worten, [269] wie: ›Wehe! sähe, geschähe‹ u. dgl. einigermaßen hüten muß.«

Gotthold ergötzte sich heimlich an diesen Bekenntnissen, der Obrist nahm eine Prise nach der andern, um nur das Lachen zu unterdrücken, Römer sah gen Himmel, und erinnerte sich wohl einiger Lebensgefahren seiner Jugend, um eine ehrbare Miene zu behalten; aber der alte Baron brach, nach nicht sonderlich langem Kampfe, mit einem ungemäßigten, lauten und anhaltenden Lachen hervor. »Nun wahrlich«, sagte er endlich, sich noch immer die ermüdeten Seiten haltend, »das ist ein Selbstlob von ganz eigener, sowie völlig neuer Art! Das ist eine Einbürgerung in einen Stand und die Urbarmachung einer Geniegegend, von denen unsere Vorfahren nichts wußten. Du könntest eine ganz neue erklärende Ausgabe der Ovidischen Metamorphosen veranstalten, wenn ein einfaches Entgegenkommen, nach deiner Meinung, das Wunder überflüssig macht.«

»Aber was ist denn da zu lachen?« sagte Binder plötzlich mit dem heftigsten Zorne. »Lachen, wenn ein denkender Mann etwas Tiefes und Gründliches spricht? Bloß, weil es der alten Basenweisheit vielleicht ein wenig sonderbar vorkommt? Auch an dir bewährt sich meine Beobachtung. Du liegst hier seit Jahren still und träge, und spielst unermüdet mit deinen großen und kleinen Katzen. Wie nun ein alter Kater wohl zwölf Stunden ruhig mit zugekniffenen Augen unter dem Ofen liegt, indes umher Spiel und Tanz, Zwist und Versöhnung, Musik und Gespräch, oder selbst wichtige Begebenheiten vorfallen, er aber nichts weiß und erfährt, und endlich langsam, langsam hervorkriecht, die Vorderbeine weit ausstreckt, sich dehnt, sie zurückzieht, und, mit den vier Beinen eng aneinander, den hohen Buckel hinaufrollt, wie es ihm keine andere Kreatur nachmachen kann, so daß er wie ein griechisches Omega dasteht: so, gerade so bist du, der auch zu allem Neuen, zu allen Fortschritten, zum Anwachs der Vernunft und Kenntnisse, wie beim Abschnitte der Wissenschaften und Zöpfe mit deinem langgedehnten ›Oooo!‹ verwundernd dastehst, und die Augen dann erstaunend aufmachst, daß es noch andere Wesen, als Kater in der Welt geben soll.«

»Jetzt bei deinem Oh!« sagte der Baron, »fand ich deine vorige Behauptung, die mir als unglaublich auffiel, bestätigt.«

Er nahm seinen Hut und Stock, um noch nach dem Vorwerke zu gehen; Franz und der Obrist begleiteten ihn. Gotthold [270] machte mit Binder einen Spaziergang durch den Garten, und Cajus und Römer blieben beisammen, die sich wunderten, daß ein so seltsamer Zwiespalt die beiden alten Freunde immer mehr voneinander zu entfernen drohe.


Der alte Baron lag noch im Bette, als der Jäger zur ungewöhnlichen Stunde zu ihm hereintrat. »Was gibt's?« fragte der Gebieter hastig. – »Ach!« stotterte der Diener, »nehmen Sie's nicht übel, gnädiger Herr, es ist halt so ein Unglück vorgefallen.«

»Ein Unglück?«

»Wie man's nimmt«, fuhr jener fort – »so recht groß ist es vielleicht nicht – denn man lebt auch ohne das – aber doch –«

»Nun, so sprich doch –«

»Sie wissen doch, gnädiger Herr, daß gestern im Dorfe beim Bauer Nehmig die große Hochzeit war. Herr Römer war natürlich auch dazu eingeladen, und er wollte erst nicht hingehen, weil er sagt, Krebs und Plebs kämen da zusammen –«

»Krethi und Plethi, dummer Teufel!«

»Kröten und Plöthen kämen da zusammen und er paßte nicht unter solche Leute. Weil sie ihn aber schon immer den hochmütigen Langzopf nennen –«

»Was?« rief der Baron. »Das unterstehn sie sich?«

»Ja, gnädiger Herr, so ungezogen sind sie; so ging der Herr Römer auch noch auf den Abend ein bißchen hin, wenn es ihm auch fatal war, denn der Herr Prediger und auch der Herr Justitiarius, waren dort, und so ist es denn nun auch eingetroffen, was ihm geschwant hat, denn er liegt richtig noch zu Bette.«

»Wer?«

»Der Herr Römer.«

»Das wird eine jämmerliche Erzählung! Was tut es denn, wenn er noch zu Bette liegt? Er ist vielleicht spät nach Hause gekommen.«

»Er ist aber krank«, sagte der Diener, »denn sie haben ihm den Zopf abgeschnitten.«

Der Baron fuhr mit gleichen Beinen aus dem Bette. »Meinen Schlafrock!« rief er mit zitternder Stimme: »hilf mich schnell ankleiden! Wer sich das unterstanden hat, dem soll das Donnerwetter dreimal auf den Kopf schlagen! Wer ist der verruchte Bösewicht?«

[271] »Er, der überkluge Müller, der Herr Zipfmantel. Er sagte, er wollte den jungen Brautleuten einen Hochzeitsspaß machen.«

Da sank die geballte Faust des Barons ohnmächtig an seinem Schenkel herab, denn es ahndete ihm schon, wieviel Verdruß er haben, wieviel Zank es ihn kosten würde, um dieses unerhörte Attentat, so wie dies es verdiente, bestrafen zu lassen. »Der Müller?« murmelte er: »o Zeitgeist! o Aufklärung!«

Sowie er aber nur die Stiefeln anhatte, lief er gleich in größter Eil, im Schlafrock, zu seinem Liebling hinüber. Er fand ihn blaß, abgemattet und im Fieber, denn er hatte eine schlaflose Nacht gehabt. »So ist es wahr?« schrie er. Der Kranke richtete sich stumm im Bette empor, wendete den Kopf, so daß der Besuchende den Nacken sehen konnte, und sagte dann leise und kaum vernehmlich: »Nicht wahr, ganz so wie Ihr unglückseliger Jäger Walther?« Er legte sich hierauf wieder nieder, und reichte dem Baron, der in stummer verbissener Wut am Bette saß, den langen, mit neuem Bande bewickelten Zopf. Der Baron setzte die Spitze gegen die Erde, indem er ihn steilrecht oben in der Hand hielt, um sich noch einmal dieses Wundergewächses staunend zu erfreuen. Dann gab er ihn seufzend dem Kranken zurück, der ihn wieder mit Aufmerksamkeit auf die Bettdecke legte, strich sich mit nachdenklicher Miene sein Haar und den eigenen Zopf zurecht, welche der Jäger heut noch nicht in Ordnung hatte bringen können, und fragte nach einer langen und bedeutenden Pause: »Und wie ist es zugegangen?«

»Gnädiger Herr«, sagte der Patient, »teuerster Freund und Gönner, es ist mein Tod, das fühl ich, bedenken Sie nachher meine arme Frau, die sich in Zukunft vielleicht wieder verheiraten kann.«

»Sprechen Sie nicht so, Römer«, sagte der Baron tief gerührt, »Sie wissen, wie unentbehrlich Sie mir sind.«

»Nicht mehr«, antwortete jener, wie Ziethen seinem großen Könige.

»Wir wollen uns nicht ohne Not erschüttern«, sagte der gnädige Herr, »erzählen Sie mir die ganze Sache.«

»O mein teuerster Freund«, fing der Kranke wieder schwer seufzend an, »es leidet keinen Zweifel, daß es gute wie böse Genien gibt, und daß einer von den letzteren gestern, als Sie kaum mein Zimmer verlassen hatten, muß in mich gefahren sein; denn was hätte mich denn wohl sonst bewegen können, noch am späten Abend zu einer dummen Bauernhochzeit hinzulaufen, wo ich sowenig Unterhaltung wie Belehrung erwarten [272] durfte? Auch mahnte mich ein besseres Gefühl, ich spürte ganz deutlich eine warnende Stimme. Aber dennoch, bekümmert, ja schwermütig ging ich hin. Da brüsteten sich denn mit verschiedenen Redensarten unser Herr Pfarrer und der Justitiar, und im Winkel saß schelmisch lachend der verruchte Zipfmantel, der noch einmal das Unglück des ganzen Dorfes werden wird. Denken Sie, ich hatte die Eitelkeit begangen, was ich sonst nur an hohen Festen und Ihrem Geburtstage tue, den ganzen Zopf aufzuwickeln, wie Sie ihn noch da sehen, als wenn diese Menschen dort dergleichen Aufmerksamkeit verdienten oder zu würdigen wüßten. Ich setze mich dem Müller so fern, als möglich, und kehre ihm den Rücken zu. Das Gespräch ist denn nun auch so, wie es gewöhnlich zu sein pflegt. Lauter Verbesserung und Aufklärung, und der gemeine Mann schreiend und tobend. Auch über die Zöpfe wird medisiert, der meinige in einem zweideutigen Tone bewundert, und plötzlich kommt eine Hand von hinten und reicht mir etwas. Was ich empfange, ist mein Zopf, dicht am Nacken abgeschnitten, und als ich mich umwende, grinst mir das Gesicht des Müllers entgegen, dem der Arm zugehörte. Aber den Blick, verehrter Gönner, das boshafte Lächeln, die Satansmiene kann ich Ihnen unmöglich beschreiben, ebensowenig, was in diesen Augenblicken in meiner Seele vorging. Ich stand auf und wankte hinaus, alles war so still geworden, daß man die einsame Fliege summen hörte, es mochte ihnen wohl selber leid tun, daß sie den Verrat so weit getrieben hatten. Ich mußte mich gleich niederlegen, konnte aber die ganze Nacht kein Auge zutun.«

»Die Strafe des Bösewichts«, sagte der Baron, »wenn das Sie etwas trösten kann, soll exemplarisch sein.«

»Lassen Sie einen alten Greis ruhig dahinfahren«, erwiderte Römer; »was kann mir dergleichen nutzen? Einen Schadenersatz gibt es für diese Untat nicht, eine angemessene Strafe ebensowenig. Ich bin alt und lebenssatt, der abgestorbene Zopf wächst nicht wieder, und ohne ihn zu leben, fällt mir unmöglich.«

»Soll ich Ihnen vielleicht den Prediger schicken?« fragte der Baron mit dem weichsten Tone.

»Wozu das?« antwortete der Kranke: »mein Gemüt ist völlig in seiner Fassung, meine Vernunft sagt mir selbst alles das, was er mir, oder irgendein anderer vorsprechen könnte. Sie wissen ja auch, daß ich mit den Meinungen dieses Separatisten mich nie habe vertragen können.«

[273] Doch kam, indem der Baron wehmütig aus der Türe ging, ihm der eifrige Seelsorger schon entgegen. Mit tief bekümmerter Miene setzte er sich zum Kranken und sagte nach einigen allgemeinen einleitenden Worten: »Wenn wir, teurer Mann, uns der Wahrheit und der himmlischen Güter wegen aller irdischen entäußern sollen, wenn uns geboten ist, alles gern und ohne Reue aufzuopfern, was unsere Sinne in Banden hält, wenn man vom echten Christen erwartet, daß selbst Kinder, Freunde, Geliebte ihm nicht höher stehen sollen, als jene himmlische Liebe, von der alle irdische nur ein schwaches Abbild ist: so ist es wohl ein viel leichteres Opfer, sich einer Zier zu entschlagen, der Vorurteil und vorübergehende Sitte eine Art von Wert beilegen konnten, der nur äußerlich und in der Einbildung besteht, ohne irgend in der Wirklichkeit einen sichern Stützpunkt zu haben. Jahrtausende sind verflossen, ohne daß die Welt diesen phantastischen Schmuck wahrnahm, ohne daß ihn unsere Nachkommen kennen, werden wieder Jahrtausende dahinschwinden, und die Welt bestand ohne ihn, und wird sich auch in Zukunft ohne denselben zu behelfen wissen. Ja selbst in unserer Gegenwart: sind denn nicht viele Millionen in Asien, Afrika und Amerika, denen diese Einzwängung des Haupthaares unbekannt ist? Auch in unserm Europa sind ja Provinzen und Länder genug, welche sich nicht damit befassen. Tun Sie also, als ein gesetzter, volljähriger Mann, als denkender Greis, als folgsamer Christ, diese unnütze Einbildung von sich, sagen Sie sich mit Ihrer Vernunft: ich habe keine Einbuße gelitten; und Sie werden unmittelbar gewahr werden, daß Sie weniger als nichts verloren, daß Sie im Gegenteil gewonnen haben, indem Sie eines Vorurteils und einer quälenden Eitelkeit los geworden sind.«

Der Kranke hatte sich aufrecht gesetzt, um von dieser eindringlichen Rede nichts zu verlieren; als sie nun geendigt war, sammelte er sich ein wenig, und antwortete dann mit ziemlich fester Stimme: »Herr Prediger, für Ihren Anteil an meinem Schicksale danke ich Ihnen, Ihre vernünftigen Trostgründe begreife ich, als Christ bin ich schon längst gefaßt, und daß alle Güter dieser Erde, alle Vorzüge, Schönheit, Kraft, Talent vergänglich sind, und deshalb keine ernsthafte Würdigung verdienen, hat mir schon immer meine Vernunft gesagt. Mit allem diesem kann ich Ihnen aber doch nicht unbedingt recht geben, oder die Sache so, wie Sie, ansehen. Was hat denn auf Erden, was unter allen daseienden Dingen wohl irgendeinen reellen, [274] ewigen Wert! Aber – so las ich einmal in einem Komödiendichter, ich weiß nicht mehr in welchem – was ist denn ein Ding überhaupt wert, als wie hoch wir es schätzen? Das, das ist der Punkt, worauf alles ankommt. Resigniert kann ich sein, mich auch in den allerherbesten Verlust finden, aber darum hört meine Schätzung des verlorenen Gutes noch nicht auf, jener Wert geht nicht verloren, den ihm Liebe, Pflicht, Ehre, zärtliches Andenken, Treue gegen mich und gegen das Heilige beilegen, lauter unsichtbare und unsterbliche Kräfte, die sich auf diese edelste Art mit jenem verlorenen Gute innigst verflechten, und in ihrer Durchdringung es so selbst zu einem unsterblichen, idealischen machen. Ihnen, Herr Pastor, mag die Ursache meiner Kränkung sogar lächerlich vorkommen, der Sie unter Büchern aufgewachsen sind, vielleicht von Kindesbeinen an Widerwillen oder Furcht bei dem Anblicke eines Soldaten empfanden. Bei Ihren Studien schwebte Ihnen schon früh die Perücke, oder das rund geschnittene Haar vor, und da jeder Mensch, er mag sich gebärden wie er will, in die Vorurteile seines Standes hineinwächst, so erschien Ihrem Wesen Degen und Zopf wohl sogar feindlicher Natur. Aber, Herr, wäre es möglich, daß Sie an irgendein Abzeichen den ganzen Inbegriff Ihrer Aufklärung, den ganzen Zeitgeist samt aller Veredlung und Fortschreitung Ihrer Menschheit binden und so mit Zopfband umwickeln könnten, und ein kalter Bösewicht träte nun zu Ihnen und löste dieses Zeichen, das Sie durch Enthusiasmus, Nachtwachen, Aufopferungen aller Art, ja durch die ganze Inbrunst Ihrer Seele geheiliget hätten, ab, nähme Ihnen durch diese Ablösung alles Zutrauen, allen Glauben an sich selbst, den Inhalt der schönsten Lebensstunden und Ihrer ganzen Vergangenheit, so würden Sie, aller christlichen Beruhigung unerachtet, die Sie als Geistlicher gewiß in Ehren hielten, sich dennoch verstümmelt, vernichtet und ermordet fühlen. Und so, nicht anders, ist es mit mir. An diese Reliquie knüpf ich mein Jugendleben, meine Soldatenehre, alle die tausend Gefahren, denen ich, oft wie durch ein Wunder, entronnen bin, mein Gefühl für Preußen, den großen König und meinen General. Die drei Händedrücke, die mir der alte Vater und Held in drei merkwürdigen Nächten gab, und sagte: ›Römer, Er ist ein braver Kerl!‹ den blauen, durchdringlichen Blick, mit dem mich Friedrich faßte, und als ich erschrocken war, mich mit seinem wohlwollenden, liebreichen Lächeln tröstete: sehen Sie, Herr, alles das, was Sie niemals besaßen und niemals verlieren [275] konnten, das ist mir in diesem einzigen boshaften Schnitt abgestorben, und darum sparen Sie Ihre überflüssigen Reden, denn daß ich mein Schicksal so ertrage, wie ich es trage, daß ich nicht tobe, rase, mich und alle verwünsche, darin zeige ich mich hinlänglich als Christ. Was kümmert es mich, ob die abergläubische Vorwelt ohne Zopf war? Was geht es mich an, wenn die Nachwelt sich wieder ohne ihn behelfen will? Was sollen mir die Türken, Mameluken, Mohren und Heiden, die mir niemals zum Vorbilde dienen können? Brechen Sie einem Feuerländischen oder Karaibischen Wilden seinen Ring aus der Nase, in welchen er seinen Stolz setzt, und er wird sich ungebärdig an Ihnen vergreifen. Schlagen Sie einem Muselmanne, besonders in Gegenwart seines Herren oder Sultans, nur seine Turbansmütze vom Kopfe, und Sie werden sehen, was Sie angerichtet haben. Möglich, oder wahrscheinlich, daß beim Jüngsten Gerichte von den preußischen Zöpfen keine sonderliche Notiz wird genommen werden, hoffentlich ist mir dann auch ein neues Herz anerschaffen, das sich leichter über diese Nichtbeachtung hinwegsetzen kann: – aber, als dieser jetzige irdische Mensch, als derzeitiger Römer, in diesem meinem Ich, muß ich und werde ich diesen Verlust, der mir tief in die Seele geschnitten hat, bedauern und beklagen, und daß ich es auf solche Weise tu, wie ich es tu, halte ich für meine Tugend, mein Verdienst und Christentum. Vernehmen Sie dieses mein letztes Wort, als ein unabänderliches, und betrachten Sie alles, was ich jetzt gesagt habe, als meinen Schwanengesang, denn ich fühle es, daß ich abgerufen werde.«

Nach dieser feierlichen Erklärung wünschte der Pfarrer dem Kranken Genesung, und überließ ihn seinen unwandelbaren Grillen, die ihn von neuem, obgleich er sie schon kannte, in Erstaunen setzten.


Jetzt war der Baron völlig angekleidet. Er hatte schon einigemal zum Justitiar geschickt, der aber die Sache, worüber unterhandelt werden sollte und welche er wohl erriet, nicht so eilig und wichtig finden mochte, denn er trat erst in dem Augenblicke in das Zimmer, als der Baron über diese Vernachlässigung schon ungeduldig werden wollte. »Sie wissen alles?« rief dieser ihm schnell entgegen.

»Ja wohl«, sagte der Gerichtshalter, »und die Sache ist darum so böse, weil sich gar nichts darin tun läßt.« [276] »Wie meinen Sie das?« fragte der Edelmann.

»Wenn man auch«, sagte der Justitiar, »dem Herrn Römer die bestimmte Hoffnung und Aussicht geben könnte, daß sein Zopf wie das Haupthaar der Berenice unter die Sterne versetzt werden sollte, so würde ihm auch diese Genugtuung noch zu geringe erscheinen: der Herr Zipfmantel im Gegenteil gibt die Sache für einen gutmütigen nichts bedeutenden Scherz aus, und da er nicht unmittelbar unter unserer Jurisdiktion steht, so wird er sich auch keinen Urteilsspruch gefallen lassen, oder wenigstens an die Gerichte der Stadt appelieren, und ich sehe daher viele verdrüßliche Weitläufigkeiten voraus, die in nichts endigen werden.«

»Aber die Gesetze? Ist denn bei einem solchen Frevel nichts vorgeschrieben? Ist der Fall nicht sonst schon vorgekommen?«

»Wenn man nun auch«, fuhr der Gerichtsmann redselig fort, »nach dem sehr alten Spruch: Zahn um Zahn! hier Zopf um Zopf sagen wollte –«

»Nein!« rief der Baron, »das leidet hier gar keine Anwendung, denn: erstlich, ist der Zopf des Müllers gegen den meines Amtmanns wegen der Unbedeutenheit gar in keine Vergleichung zu stellen; und zweitens: hat der Schalk schon seit vorigem Jahre erklärt, er wolle sich ehestens diese lästige Nackenbeschwerde wegschneiden, um Zeit mit der täglich erneuten Zubereitung zu sparen. So erhielte der Bösewicht also Lohn anstatt Strafe. Was Großes, Unerhörtes, Beispielloses müßte geschehen, um diesen Frevel abbüßen zu lassen.«

»Aber was?« sagte der Justitiar; »das corpus delicti ist wie ein pretium affectionis zu betrachten, das einmal den wirklichen Wert eines Haarzopfes an sich trägt, der auf keinen Fall bedeutend ist, und dann den eingebildeten, den ein Liebhabender daran knüpft. Z.B. Sie stehen auf der Brücke neben einem Verliebten, der gestern für seine tombakne Tabatiere, die er von seinem Mädchen geschenkt bekommen, nicht, der Leidenschaft wegen, die er an die Dose bindet, tausend Taler für sie nehmen wollte: nun fällt durch Ihre Schuld heut diese Dose ins Wasser und ist nicht wieder zu erhalten; Sie müssen dem jungen Manne, wenn er es fordert, ohne Zweifel den Wert ersetzen, aber er kann nur den wirklichen, nicht den eingebildeten verlangen, und Ihnen nicht anmuten, ihm etwa funfzehnhundert Taler auszuzahlen, weil ihm das Andenken in seiner grillenhaften Stimmung so viel Wert gehabt, ja er darf keinem verständigen Gerichte damit kommen, daß er gestern tausend Piecen hätte von einem [277] andern Grillenfänger erhalten können, sondern er würde geradezu abgewiesen werden.«

»Wie ist es aber mit Gemälden, oder Kunstwerken?« fragte der Baron.

»Hier fließt«, fuhr jener fort, »Wirklichkeit und Einbildung ineinander, und bei einer mutwilligen oder zufälligen Vernichtung würde ein mittlerer Durchschnittspreis, zwischen dem höchsten und niedrigsten, den unparteiische und anerkannte Kenner gesetzt, angenommen werden müssen.«

»Wie aber«, warf der Baron ein, »ist es mit den Diamanten? Tritt denn hier nicht etwas Ähnliches ein? Ich setze, ein Zopf von einem Fuß sei mir und jedermann fünf Taler wert: gilt denn der von zweien nicht schon fünfundzwanzig? und der von dreien fünfmal fünfundzwanzig, und so weiter?«

»Halt, Herr Baron«, rief der Gerichtshalter lachend, »nach dieser Rechnung dürfte des Müllers und Ihr ganzes Vermögen nicht hinreichen, den Haarstrang zu bezahlen.«

»Aber, tausend Element!« fuhr der erzürnte Edelmann auf, »soll denn gar nichts geschehen? Römer hätte gewiß eher einen Arm oder ein Bein hergegeben, und Sie behandeln die Sache als Spaß!«

»Auf Herrn Römers Liebhaberei und Vorurteil«, fing jener wieder an, »ist, wie ich schon gesagt, hiebei keine Rücksicht zu nehmen. Herr Zipfmantel erbietet sich zu öffentlicher Abbitte, zu einer Erklärung, daß er diesen Scherz nicht als Affront oder Beleidigung gemeint habe, und, da er ein verständiger Mann ist, und über die unerwartete Folge des unerlaubten Spaßes selber frappiert und bewegt wurde, so will er außerdem noch freiwillig dreißig Taler als eine sich selbst zuerkennende Strafe niederlegen, die Herr Römer als Schmerzengeld an sich nehmen, oder das Gericht auf andere beliebige Weise, für die Armut, oder das Schulgebäude, oder den auszubessernden Turm verwenden möge. Wolle man aber dieses nicht annehmen, so wolle er weder Abbitte noch Zahlung leisten, sondern erwarte sein Urteil vom Gange des Prozesses.«

»Und was raten Sie?«

»Das Anerbieten ist so großmütig, daß wir mit keinem Prozesse so viel ausrichten.«

»Ist denn aber«, fiel der Baron wieder ein, »mein Römer nicht jetzt ein verstümmelter Mensch?«

»Nur in seiner Phantasie«, sagte jener. »Ja, brauchte er diesen leidigen Zopf unentbehrlich zu seinen Amtsverrichtungen, [278] oder hätte er ein Gewerbe damit, gleichsam quaestum corporis getrieben, daß er denselben seit Jahren für Geld gezeigt hätte, so wäre der Müller in dem schlimmen Fall, wahrscheinlich eine recht ansehnliche Summe bezahlen zu müssen.«

»Es ist entsetzlich!« rief der Edelmann. »Was wir, statt vorzuschreiten, zurückgekommen sind. Im Mittelalter mußte ein Mann eine schwere Strafe zahlen, wenn er einer Frau oder einem Mädchen, der er auf dem Felde begegnete, nur gegen ihren Willen den Schleier lüftete, oder gar das Gewand aufhob. Und jetzt – da sehen wir nun die Fortschritte des Jahrhunderts.«

»Erlauben Sie«, antwortete der Justitiar ruhig, ohne sich irremachen zu lassen, »ich wollte es dem Herrn Zipfmantel nicht raten, etwa den Herrn Pfarrer in der Amtsverrichtung oder auch sonst öffentlich auf unziemliche Weise durch Hinwegnahme irgendeines Kleidungsstückes zu entblößen, denn das würde ihm als großer Skandal, als Störung der Sittlichkeit angerechnet werden, und er in eine ausgezeichnete Strafe verfallen. Ebenso ich, wenn ich etwa in der Stadt auf der Promenade der gnädigen Frau begegnete, und mich nicht entblödete – –«

»Sprechen Sie kein so dummes Zeug!« rief der grüne Mann.

»Ich habe«, sagte der Gerichtshalter empfindlich, »diese kitzliche Materie nicht zuerst berührt, ich mußte Ihnen antworten und wollte Ihnen nur zeigen, daß wir die Verletzung der Sittlichkeit und Scham wenigstens noch ebenso als jene mittelalterlichen Personen ahnden.«

Der Baron ging lange murrend auf und ab. Endlich fing er an: »Hören Sie einen Einfall. Wie, wenn wir nun einen Kontrakt simulierten, den ich etwa mit meinem Amtmann eingegangen wäre, daß, im Falle er den Zopf noch drei Jahre unbeschädigt am Haupte trüge, und das Haar in dieser Zeit auch nur um einen Zoll gewachsen wäre, ich ihm alsdann ein Kapital von tausend oder mehr Talern auszuzahlen verpflichtet sei.«

»Hierauf erwidere ich«, sagte der Richter, »daß erstlich, ein solcher dolus einem so edlen Manne, wie dem Herrn Baron, ganz unähnlich sieht, und zweitens, daß ein solcher Kontrakt müßte landkundig gewesen sein, daß ihn der zopfabschneidende Müller gekannt und gewußt haben müßte, er sichle mit den wenigen Haaren zugleich tausend und mehr Taler vom Haupte des alten Grillenfängers herunter. Setzen wir den Fall, ein Grenznachbar liebte das Phantastische ebensosehr als Sie, Sie hefteten beide an einen schon bejahrten morschen Grenzbaum eine geheime Wette still unter sich, daß, wenn der Baum noch [279] fünf Jahre steht, Sie z.B. zehntausend Taler gewinnen, und wenn der Wind ihn früher umwirft, ebensoviel verlieren. In einer Herbstnacht geht ein Holzdieb mit dem Baume quaestionis davon. Der Frevler wird ergriffen. Er bekommt seine Strafe für den Holzdiebstahl, aber unmöglich kann ihm in diese das Kapital noch mit eingerechnet werden, um welches Sie nun vielleicht mit dem Nachbar in Streit geraten.«

»Sie haben für alles Beispiele«, sagte der Baron sehr empfindlich, »und brauchen die Worte Grillenfänger und Phantast viel zu häufig. – Ich wollte, das Faustrecht herrschte noch, und ich könnte meinem guten Zipfmantel statt in die Haare, über die Ohren geraten. Und wer weiß, was ich noch ohne Faustrecht mit Faustunrecht tu, denn der würdige Mann geht mir gar zu nahe. – Herr! wieder aus dem Mittelalter ein Beispiel! Als sie den berühmten Abälard auf die bekannte Weise gemißhandelt hatten, wurde seinen Mördern nicht nur mit demselben Raube, sondern noch obenein mit dem Verluste ihrer Augen vergolten. Genaugenommen, da der Abälard ein Geistlicher war, konnten jene auch vorgeben –«

»Paßt durchaus nicht«, rief der Richter, »denn ein Geistlicher war verletzt und gewalttätig beschimpft, und selbst als solcher, um seine Funktionen als Priester –«

»Sie sollen recht behalten!« rief der Baron unwidlig, »denn das wollen Sie doch nur. Ich kann nicht als Kasuist die feinen Schlingen und Vogelnetze der Gesetze so auswerfen und handhaben als Sie. Dabei bleibt es: ein Mann, ein Freund ist mir zugrunde gerichtet, und in einem wohleingerichteten Staate gibt es kein Mittel und Gesetz, das sich um dergleichen Frevel kümmerte.«

Der Bediente rief sie zur Mittagstafel, und so wurde der Streit abgebrochen.


»Gotthold traf Adelheid allein, welche in der Laube des Gartens saß und nachzusinnen schien. "Ist es erlaubt, Sie zu stören?« fing er an. Sie lud ihn durch einen Wink ein, sich neben sie zu setzen. »Ihre Vermählung«, frug er wieder, »ist festgesetzt?« – »So scheint es«, antwortete sie ganz kalt. Beide sahen sich stumm an, und Gotthold konnte seinen Unwillen nicht länger zurückhalten. »Sie können mir also nicht, Sie wollen es auch nicht einmal, das kleinste freundliche Wort für meinen armen, unglücklichen Freund sagen?«

[280] »Warum nennen Sie ihn unglücklich?«

»Weil er untergeht«, rief Gotthold, »und hauptsächlich an Ihrer unfreundlichen Härte, an Ihrer kalten Gleichgültigkeit.«

»Was soll ich denn tun«, fiel sie lachend ein; »ist es denn nicht an einem genug, der die Scheiben zerschlägt, Palette, Pinsel und Malerkasten in die Orangenbäume wirft, so heftig mit den Füßen trommelt, daß alle Leute schwören, ein Gewitter komme herauf? Also, bei solchen Übungen soll ich wohl ebenfalls akkompagnierend einfallen, damit der Lärm nur um so größer werde?«

»Ei bewahre!« fiel Gotthold ein, »wer wollte Ihnen die hübsche Gelassenheit und saumselige Ruhe wegwünschen, mit der Sie dem armen Sünder so lächelnd zusehen, wie er beim kleinen Feuer gebraten wird? Ich schwöre es Ihnen, übermenschlich gelassene Gnädige, wenn Sie ihn nur nehmen wollten, Sie würden Ihre Freude an ihm haben, wenn er erst Ehemann geworden ist. Er ist von Natur ruhig, und solche Temperamente, wenn die Furie ihnen einmal auf den Nacken springt, toben und wüten ärger, als die cholerischen Menschen. Wenn aber durch die Heirat ihm dieser Taumel vergangen ist, so wird er so still, sanft, langweilig und verdrüßlich werden, wie Ihnen das Ideal einer solchen ehelichen Schlafmütze nur immer in den Stunden der Begeisterung vorschweben mag. Sie lieben es, wie ich sehe, wenn der Bräutigam und Ehemann so etwas grob und brutal ist: ich gebe Ihnen mein Wort, ich will ihn darin unterrichten, und auch dem guten Herrn von Binder soll er die Künste ablernen, die dieser so meisterlich übt.«

»Schelten Sie nicht auf meinen Gemahl«, rief sie aus, »der weit über die Lästerungen so junger Leute erhaben ist.«

»Ich wollte, er hinge so hoch, daß man ihn gar nicht erreichen könnte«, rief Gotthold, »oder segelte noch heute nacht mit dem alten Römer nach irgendeinem ätherischen Husarenreiche. Ich muß doch fragen, wie es dem armen Schächer geht.«

»Sie verderben es«, rief ihm Adelheid nach, »mit uns allen, wenn Sie von den Lieblingen meines Vaters so zu sprechen wagen.« Doch Gotthold war ihr schon entsprungen und hörte die letzten Worte nicht mehr. Mit Römer wurde es in der Tat immer schlimmer, und der herbeigerufene Arzt konnte in dem erschöpften Körper keine Kräfte mehr aufregen, um das Fieber, welches immer verderblicher wurde, zu unterdrücken. In der folgenden Nacht war er mit dem Anbruche des Morgens verschieden.

[281] Nach zwei Tagen ward er beerdiget. Er war nach seinem Wunsche in seiner Husarenuniform gekleidet, neben ihm lag sein Säbel im Sarge, und so wurde er, nach der Sitte des Landes, vor der Haustür ausgestellt, indem der Pfarrer ihm die Rede hielt. Dieser erzählte in Kürze den ehrenvollen Lebenslauf des Kriegers, in welchen Schlachten er gewesen, wo er verwundet worden, hauptsächlich bei Torgau von einer gesprungenen Granate, so daß er jeden Wechsel der Witterung in Kreuz und Rückengrat deutlich gefühlt habe. Diesen rühmlichen Blessuren und dem hohen Alter sei auch die letzte Krankheit vorzüglich zuzuschreiben, durch welche ihn der Herr, ohne ihn durch langwierige Leiden zu prüfen, schnell zu sich gerufen habe. Der nächsten Veranlassung zum Tode des Alten wurde, wie billig, nicht erwähnt. Der Redner rühmte dann die Rechtlichkeit des Verstorbenen, sein Mitleid gegen Arme und Bedürftige, seine unermüdete Tätigkeit, wie den regen Eifer für seine Herrschaft, die er brüderlich geliebt und als Untertan verehrt habe. – Der alte Baron weinte, ebenso gerührt war der Obrist, und die umstehende Gemeine, hauptsächlich die Armen des Ortes schluchzten laut. – »Wir schweigen«, schloß der Pfarrer, »von seinen Fehlern, er hatte neben seinen Tugenden auch diese, denn er war ein Mensch: er irrte oft, und wollte auch Büchern und Gelehrten nicht nachgeben, selbst der Geistlichkeit gelang es nicht, ihn, wenn er empfindlich war, eines Bessern zu belehren. Doch er lebte und starb als Christ, und in seinem Kriegerschmuck, mit seinem Säbel, der im Kriege bei ihm aushielt, wird er jetzt zur Ruhe eingesenkt, um jenseit den Lohn seiner Tugend zu ernten.«

Er ward zum Kirchhof getragen, von allen begleitet. Der Baron zürnte aber dem Prediger wegen des Tadels, den er hatte einfließen lassen. Es schien ihm Unrecht, auf den Streit über den Anfang des neuen Jahrhunderts, so wie auf manche andere gelehrte Mißhelligkeiten anzuspielen. Binder, um paradox zu sein und keine unmännliche Rührung zu verraten, ob er gleich erschüttert war, lachte einigemal laut, indem man den Sarg in die Grube senkte und ein Kirchenlied anhub. Der Baron sah ihn zornig an, doch jener kümmerte sich nicht um diese Blicke.

Den denkwürdigen Zopf hatte der Sterbende dem Baron vermacht, und dieser überlegte bei verschlossenen Türen lange, ob er ihn der Gewehrkammer, oder seiner Bibliothek einverleiben solle. Beide schienen ihm nicht ganz passend. Endlich [282] tat er ihn zu einer kleinen Naturaliensammlung, in welcher auch mexikanische Federdecken, Straußeneier und ausgestopfte indianische Raben aufbewahrt wurden.


Eine stille Schwermut hatte sich der ganzen Gesellschaft bemächtigt. Dem Baron war zu plötzlich ein alter Freund gestorben, an den er sich seit vielen Jahren gewöhnt hatte, der sein unbedingtes Vertrauen besaß und der ihm alle seine Geschäfte abnahm. Mit seinen Gefühlen sowohl wie Einrichtungen befand er sich jetzt in der größten Verlegenheit. Binder war ebenfalls betrübt, und wußte den Ton nicht wiederzufinden; Franz war schon seit lange verstimmt, und Gotthold bemühte sich auch vergeblich, denn keiner seiner Scherze, die freilich etwas erzwungen waren, fand für jetzt ein bereitwilliges Ohr. Der Justitiar zeigte sich so wenig wie möglich, weil er sich am liebsten mit dem gleichgestimmten Pfarrer unterhielt, und so erschienen wirklich nur die gnädige Frau, auf welche der Todesfall keinen tiefen Eindruck gemacht hatte, und Adelheid als die heitersten.

Über diese Heiterkeit aber wollte Franz verzweifeln, denn sie stand dem Trübseligen als eine glückliche zufriedene Braut gegenüber. Ihn gereute es schon, daß er sich mit dem Obrist so tief, in Ansehung des Güterkaufes, eingelassen hatte. »Was soll mir dieser Besitz«, klagte er oft zu Gotthold, »wenn ich sie aufgeben muß? Bin ich dann nicht um so peinlicher in die Nähe ihrer Eltern gebannt, wo ich sie oft als die Gattin des Verhaßten wiederfinde?« Adelheid betrachtete ihn oft aufmerksam, und schien darüber unzufrieden, daß er seinen Mißmut so bemerkbar mache.

In dieser Stimmung waren alle im Saale versammelt, in welchem der Baron auf und nieder schritt, indem er immer wieder ein Papier aufmerksam durchlas, welches ihn sehr zu beschäftigen schien. Binder ging in entgegengesetzter Richtung auf und nieder, und sah den Alten, sooft sie sich begegneten, scharf und prüfend an, als wenn er ihm etwas Wichtiges mitteilen wollte, und noch den Augenblick nicht finden könnte. Endlich stand Binder in der Mitte des Saales still und erwartete den umkehrenden alten Freund, und als dieser ihm wieder gegenüber war, streckte Binder die Hand vor und rief gebieterisch: »Halt!« Der Baron betrachtete ihn von oben bis unten, stand majestätisch da und erwartete, was jener sagen würde. – »Sollen [283] wir«, fing Binder an, »den ganzen Tag so wie die Perpendikel hin und her laufen? Wie denkst du nun, als ein solider Mann, über das Absterben deines Freundes?«

»Was ich denke?« fragte der Baron; »nun, daß er leider tot ist.«

»Nicht das, sondern ich will wissen, welche Moral du dir aus dieser Begebenheit ziehst?«

»Moral?« betonte der Hausherr sehr nachdrücklich; »ich hoffe, ich habe mir daraus, so wie aus andern Dingen, keine zu nehmen.«

»Du solltest aber!« sagte Binder im ernsthaftesten Tone; »siehe deinen Römer an, den Mann von echtem Schrot und Korn, von Treu und Glauben, den Helden: was der siebenjährige Krieg, Panduren und Ulanen, das Corps des Nadasti und Trenck nicht konnten, was die tausend Kanonenkugeln nicht vermochten, das hat jetzt sein einfältiger Zopf zustande gebracht; der hat ihn in die Grube gestoßen. Und graut dir denn nicht? Schleppt dir die lange unvernünftige Stange denn nicht wie ein treuloses Krokodil im Rücken nach, um dir auch vielleicht morgen oder übermorgen den Garaus zu machen? Kommt dir denn gar nicht der Einfall, daß in diese lang ausgezogene Haarflausche ein böser Geist dem Menschen anwachsen könne, ein geistiger Weichselzopf? Ob nicht vielleicht, wie in einem Dunst- und Destillierkolben, die besten und vernünftigsten Gedanken als Haare anschießen, und den schon so lang ausgesponnenen Fäden den besten Nervensaft zur Nahrung geben? Wie kommt es denn sonst wohl, Alter, du sonst tugendhaft, sonst verständig, daß du in diesem einen Punkte wie vernagelt bist? Geh in dich, wende um, da es noch Zeit ist. Sieh, wie die Alten ihr erstes Barthaar dem Apollo opferten, so bringe du dein letztes Haupthaar der Vernunft zur Gabe. Und wie kann ich mich wohl besser als deinen Freund beweisen, als wenn ich suche, auch gegen deinen Willen, dein Edelstes, deine unsterbliche Seele zu retten? Halt still, oder nicht, es muß jetzt das große Werk geschehen, und du sollst der Menschheit zurückgegeben werden!«

Bei diesen Worten hatte seine Linke schon den Zopf gepackt, und mit der Rechten zog er plötzlich und heimtückisch eine große Schere hervor. Und fast wäre ihm das treulose Werk gelungen, wenn der alte Baron nicht mit großer Gegenwart des Geistes einen kühnen Seitensprung so künstlich gemacht hätte, daß er dem Gegner plötzlich, zwar fern, aber doch Angesicht [284] an Angesicht gegenüberstand. »Nun ist es genug!« rief er mit donnernder Stimme und seine Gebärde war erhaben. »Das Maß ist erfüllt! Ein Mann, der selbst in seinen alten Tagen wie ein Franzos einhergeht, der die Bigamie entschuldigt, der beim Grabe seines Freundes lacht, der wie ein Schaf meckert und darin seinen Stolz sucht, der mir, seinem vermeintlichen Schwiegervater, verächtlich begegnet, und endlich, zum Beschluß, als ein Wahnsinniger mich mörderisch anfällt, unter dem tollen Vorwande, mich zur Vernunft zurückzubringen – nein, ehe sollen Lämmer von Löwen gesäugt werden und Tigertiere sich mit Schafen gatten, ehe ein solcher mein Eidam wird! Und zugleich zerriß er mit heftiger Bewegung den Bogen, den er in Händen hielt.«

»Du willst nicht besessen sein?« rief Binder lachend aus, »die bösen Geister stecken ja in allen deinen Blicken und Mundwinkeln.«

»Sie verkennen mich und sich«, sagte der Baron höflich und kalt. »Werden Sie den Winter in Berlin zubringen? Oder reisen Sie wieder nach Sachsen, Ihre Zucht zu verbessern? Den Anbau des Hauses unterlassen Sie vielleicht? Wird Ihr Herr Bruder Sie besuchen? Meinen Sie nicht auch, daß wir einen fruchtbaren Herbst haben werden?«

»Potz Fragen und kein Ende!« schrie Binder, auf das äußerste gereizt. »Aber meine Adelheid – ich weiß, die hat denn doch auch eine Stimme dabei.«

Adelheid stand auf, verneigte sich sehr zierlich und höflich, indem sie freundlich sagte: »Meine nächste und heiligste Pflicht, Herr Baron, ist, meinem Vater gehorsam zu sein.«

»Diese Antwort«, sagte der Baron, »erwartete ich von meiner trefflichen, gut erzogenen Tochter.«

Binder sah sich im ganzen Kreise um, er wollte die Mutter anreden, aber diese schlug sogleich furchtsam die Augen nieder. »Also«, sagte er mit gedehntem Tone, »möchte ich hier so ziemlich überflüssig sein?«

Keiner gab Antwort, er nahm Hut und Stock, verneigte sich stumm, und gleich darauf sah man ihn wegreiten. »Wieder ein Freund weniger«, sagte der Baron seufzend, »ein Mann, der allem Guten, das er sonst hegte, den Rücken wendet. Sie haben recht, teurer Obrist, mit dem zunehmenden Alter wird man immer einsamer, und nicht bloß den großen Männern geht es so, wie Sie neulich sagten; mache ich doch dieselbe Erfahrung.«

[285] Er reichte dem alten Krieger gerührt die Hand. »Adelheid!« rief er dann. Sie kam zu ihm. »Bist du eine gehorsame Tochter?« – Sie verneigte sich. – »Nun, so bringe mir auch das Opfer, das ich jetzt von dir verlange: ich habe gesehen, daß dein jugendliches Herz dem Herrn von Binder geneigt war, mir ist es nicht entgangen, daß dir der junge Herr von Waltershausen bis jetzt noch ziemlich gleichgültig ist; aber ich bitte dich nunmehr, um nicht von befehlen zu sprechen, daß du von jetzt an dich gewöhnen mögest, diesen als deinen künftigen Gemahl zu betrachten. Er wollte neulich einen Antrag bei mir einleiten, den ich freilich damals noch nicht anhören durfte. Komm, Frau, kommen Sie, Obrist, daß die jungen Leute sich verständigen, und wenn sie beide einig sind, so können wir auch die Sache wegen des Gutes völlig arrangieren.«

Die beiden jungen Leute waren allein und betrachteten einander lange Zeit, ohne ein Wort zu sprechen. Dieses Ereignis war so plötzlich und so unvermutet eingetreten, daß Franz in dieser Eil keine Kraft in sich aufregen konnte, sich dessen zu erfreuen. »Nun«, sagte Adelheid endlich, nach einer langen Pause.

»Mein Fräulein! –« stotterte Franz – »welches Glück, wenn Sie –«

»Ich werde meinem Vater gehorsamen.«

»Weiter nichts?«

»Ist das nicht genug?«

»Und Ihr Herz – Ihr – mein – so kalt –« Franz konnte keine Worte finden.

»Lieber junger Freund«, sagte Adelheid mit Ruhe, »es ist Ihren Wünschen besser gelungen, als Sie es vermuten konnten; was wollen Sie mehr? Mein Vater hat meinen vorigen Freier verabschiedet, er hat mir befohlen, Sie als solchen zu lieben: ich widersetze mich nicht. Ich begreife nicht, warum Sie nun nicht vergnügter sind, weshalb Sie noch immer den Betrübten spielen.«

Franz seufzte aus schwerem Herzen. »Fühlen Sie sich denn wirklich glücklich?« fragte er endlich.

»O ja«, erwiderte sie freundlich; »denn ich bin nun aller der verschiedenen Freier los, die so oft unser Haus bestürmten. Sie glauben nicht, was ich von denen oft gelitten habe, und von meinem heftigen Vater nachher noch mehr, wenn sie mir nicht gefallen wollten. Ich mußte auch immer fürchten, daß ich doch einmal zu einer recht widerwärtigen Partie gezwungen würde. Nun trifft es sich auch so gut, daß Sie mit meinem Vater das Gut [286] gemeinschaftlich kaufen, so bleibe ich auch in der Nähe meiner lieben Eltern.«

»Und Sie wären ebenso zufrieden«, fragte Franz wieder, »wenn man Sie mit dem Herrn von Binder vereinigt hätte?«

»Ich kann, wie dieser, das Fragen nicht leiden«, sagte das hastige Mädchen, und drückte ihm eine kleine goldene Uhr, mit Perlen und Steinen verziert, in die Hand. »Nehmen Sie das«, fügte sie hinzu, »vorerst zum Andenken dieser Stunde, und lassen Sie uns zu unsern Eltern zurückkehren, die uns schon vermissen werden.«

Man sprach, da der Justitiar hinzugekommen war, noch bestimmter über den Kauf des Gutes; Franz wollte jetzt mit der größten Eil nach dem schlesischen Gebirge reisen, um mit seinem Oheim, dem Herrn von Fischbach, alles einzurichten, welcher bis jetzt der Vormund des jungen Mannes geblieben, weil dieser es bequemer fand, obgleich er schon die Zeit seiner Großjährigkeit erreicht hatte. Herr von Fischbach war ein Jugendfreund des Barons gewesen, und dieser sprach mit der größten Sehnsucht den Wunsch aus, ihn einmal wiederzusehen. »Und«, fuhr er fort, »in der Gegend von Fischbach muß ein steinalter Mann, ein Herr Winterberg wohnen, dem ich alles, was ich bin, zu danken habe. Dem freundlichen Manne, wenn er noch lebt, sowie Ihrem Oheim zu Gefallen, wäre ich trotz meiner Unentschlossenheit doch wohl imstande, mich zu den beiden herrlichen Leuten auf den Weg zu machen.«

So reiste Franz ab, und Gotthold begleitete ihn. Als sie einige Meilen, ohne viel zu sprechen, zurückgelegt hatten, sagte Gotthold: »Dein Glück ist dir ja nun so unvermutet wie vom Himmel gefallen; aber du hast die Stimmung gar nicht, in der ich dich zu sehen glaubte.«

»Lieber Freund«, sagte Franz, »ich bin in der allerseltsamsten Lage. Mit welcher Sehnsucht ich nach dem Schlosse hineilte, hast du gesehen – aber jetzt – nichts, gar nichts von allem ist in Erfüllung gegangen, was ich träumte und in stiller Demut hoffte –«

»Nichts?« sagte Gotthold: »ich denke alles, und mehr und schneller und glücklicher hat sich alles entwickelt, als es nur die wildesten Wünsche hoffen konnten. Dein Nebenbuhler ist, ohne daß du etwas dazu tatest, aus dem Felde geschlagen, die Geliebte ist auf ewig dein.«

»Ja«, seufzte Franz, »aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich sie wohl bald heiraten: ich habe mich in die Verhältnisse [287] hineingedrängt, diese haben mich nun jetzt so vorgeschoben, daß ich mit Ehren unmöglich wieder zurücktreten kann. Aber das versichere ich dich, teurer Gotthold, ich schwöre es dir zu, wird nicht alles ganz anders (und wie das kommen kann, sehe ich nicht ein), so betreibe ich nach der Hochzeit meine Scheidung noch viel heftiger und wilder, als ich nur je den Anlauf nahm, um diese unglückselige Bekanntschaft zu machen.«


Der Baron war verstimmt und in diesen Tagen mit sich und der ganzen Welt unzufrieden. »Wenn ich mich nur nicht übereilt habe«, sagte er zum Obristen, »die jungen Leute so zusammenzugeben, beide schienen mir nicht so vergnügt, als ich es erwartet hatte; auch ist der Franz ein Schwärmer, der mir eigentlich, als ich ihn zuerst kennenlernte, einen unangenehmen Eindruck machte.«

Nach einigen Tagen kam ein Brief an, der ihn ebenfalls von einer andern Seite beunruhigte. Er lautete so:

»Mein verehrter Herr Baron!

Grausam, aber vielleicht nicht unrecht wäre es gewesen, Ihnen, solange Ihr alter Amtmann lebte, einen Vorschlag zu tun, der Ihnen zugleich notwendig klarmachen muß, wie wenig der Alte seinem Geschäfte gewachsen war. Nicht, daß er Sie hintergangen hätte, fern sei es von mir, auf seine Redlichkeit nur einen Schatten werfen zu wollen. Er hinterging sich vielmehr selbst, und bewirtschaftete Ihr Gut nur so, als wenn es sein eigenes wäre, wobei er seinem Hange zur Großmut und Mildtätigkeit uneingeschränkt folgte, und menschlicherweise auch wohl einer gewissen Prahlerei zu sehr nachgab. Sie sind weiß ich, mit der Einnahme dieses Jahres vorzüglich zufrieden, weil sie die der vorigen Jahre beträchtlich übersteigt: sind Sie aber geneigt, die Vorschläge eines Mannes anzuhören, der Ihr Gut genau kennt, lange Ökonom war, und ein Vermögen besitzt, das Sie bei seinem Anerbieten sicherstellt, so macht dieser sich anheischig, falls Sie ihn als Verwalter annehmen wollen, Ihnen zweitausend, wollen Sie ihn aber als Pächter zulassen, dreitausend Taler jährlich mehr zu schaffen, als sein Vorgänger. Ich will für einen Unkundigen oder Verleumder gelten, wenn Sie die Bücher und Rechnungen des verstorbenen Römer richtig finden, denn zur Ordnung hat er sich nie gewöhnen können. Wollen Sie auf ein solches Anerbieten eingehen, so werden Sie [288] den Briefsteller beim Justizrat Martin in * * zu jeder Stunde sprechen können, die Sie ihm anzusetzen belieben werden.«

Der Brief war nicht unterzeichnet und erregte dem Baron vieles Nachdenken und angenehme, wie widrige Empfindungen. Es schmerzte ihn, seinen alten Freund, der ihm immer als Muster aller Ordnung und Tätigkeit gegolten hatte, jetzt als leichtsinnigen schlechten Wirt in seiner Vorstellung zu sehen. Andererseits konnte er sich nicht ableugnen, daß alle Papiere und Rechnungen in der größten Verwirrung waren, nichts war auf die gehörige Weise abgeschlossen, und ihm graute schon vor dem Gedanken, daß er in diese wilde Konfusion Licht bringen müsse, da er sich seit so vielen Jahren daran gewöhnt hatte, dem Wirtschafter die Regierung unbedingt zu überlassen. Er vertraute selbst seinem Sohne nicht genug, um diesem die Auseinanderwickelung zu übergeben. Abgesehen von dieser Unruhe, war ihm zugleich die Vorstellung, einen Mann zu finden, der ihm nicht nur die Sorgen abnähme, sondern zugleich seine Einnahme sicherstellte und beträchtlich erhöhte, angenehm und erfreulich.

Mit dem Obristen ward viel über diesen Gegenstand gesprochen, welcher meinte, man dürfe diese Anträge nicht so unbedingt abweisen, weil sie von einem Sachkundigen, der es redlich meine, herzurühren schienen. Auch Cajus war nicht abgeneigt, denn die Sache war für den Wohlstand der Familie zu wichtig, und es war notwendig, bald einen Entschluß zu fassen.


Man hatte dem Unbekannten eine Stunde im Hause des Justizrates in jenem kleinen Städtchen bestimmt. Der Baron ritt mit dem Obristen und Cajus hinüber. Der alte Rechtsgelehrte, schon seit Jahren ein Freund des Hauses, empfing sie mit heitern Gesprächen, in welchem viele alte Erinnerungen erweckt wurden. »Und unser Unbekannter?« fragte endlich der Baron. – »Er erwartet Sie in meinem Schreibezimmer«, antwortete der Justizrat, »ein kenntnisreicher Mann, und für dessen Redlichkeit ich Ihnen einstehe. Ich fürchte nur, er wird Ihnen auch nicht ganz unbekannt sein. Doch treten Sie herein, alle Vorbereitungen können doch wesentlich nicht nutzen.«

Allerdings erstaunte der Baron und war unwillig, da er als jenen Briefsteller den Müller Zipfmantel erkannte. Es konnte lange kein rechtes Gespräch in den Gang kommen, bis endlich [289] die vernünftigen Vorstellungen des Obristen so viel vermochten, daß sich der Baron mit jenem, ihm bis dahin so verhaßten Manne in Erklärungen einließ. »Wie können Sie«, fragte er, »ein so bestimmtes Anerbieten tun? Warum wollen Sie diese Stelle?«

»Um Ihnen die letzte Frage, Herr Baron«, sagte jener, »zuerst zu beantworten, so sage ich, daß es mein Wunsch ist, meinem künftigen Schwiegersohn die Mühle zu überlassen; auch ist mir dieses Geschäft zu klein und unbedeutend geworden, ich will etwas Wichtigeres unternehmen. Seit Jahren kenne ich Ihr schönes Gut ganz genau, und mir hat oft das Herz geblutet, daß es so sündlich vernachlässiget wurde. Ja, Herr Baron, um Ihrer Frage gehörig genugzutun, kann ich es nicht vermeiden, jenen Mann weitläufig anzuklagen, der so lange Ihres Vertrauens genossen hat. Was ich an ihm verschuldet, ist von mir bitter bereut, jener ungeziemende Scherz, den eine zu fröhliche Stunde gebar, und von dem ich mir diese Folgen freilich nicht vorstellen konnte.«

»Lassen wir das«, sagte der Baron, »Sie wollten vom Gute und dessen Verwaltung sprechen.«

»Dem Herrn Römer«, fuhr der Müller fort, »da er als Ihr Freund so ganz unumschränkt handeln konnte, da er Ihnen jährlich nur eine summarische Rechnung abzulegen brauchte, ward es mit jedem Jahre natürlicher und notwendiger, allen seinen großmütigen Launen zu folgen und sich aus der Bewirtschaftung ein tätiges, unruhiges Spiel zu machen, das ihn selbst wie das ganze Dorf in beständige Bewegung setzte, ohne daß dadurch etwas Wesentliches ausgerichtet ward. Sie haben, zum Beispiel, so viele Dienste, daß ein verständiger Verwalter sie unmöglich alle verbrauchen kann. Diese aber reichten ihm noch lange nicht hin. Natürlich nicht, denn um Zeitungen zu holen, Briefe zu schicken, Proben von Klee zu bekommen, oft nur um zu erfahren, ob dieses Gerücht oder jene Klätscherei gegründet sei, schickte er reitende Boten nach allen Weltgegenden, spornte und trabte diesen selbst oft auf halbem Wege entgegen, schalt ungebührlich ohne Not und bezahlte noch stärker, um die unnütz ausgejagten Menschen bei guter Laune zu erhalten. Darum ward er auch von diesen vergöttert, und Vater und Wohltäter genannt, so daß sie ihm oft Hände und Kleider küßten, was ihm denn sehr gut ankam, er aber sowenig wie jene in Rechnung stellten, daß diese Komödie ganz aus dem Beutel des gnädigen Herrn gespielt wurde. Er hat es nie zugelassen,[290] daß Sie über Ihre Waldung einen eigenen Förster setzten, er zog es vor, daß Ihnen dieser Distrikt Ihres Besitzes, der Ihnen viel zinsen muß, so gut wie gar nichts eintrug, um nur keinen zweiten Herrn neben sich zu haben, der ihm doch vielleicht mit der Zeit sein heroisches Spiel verderben konnte. Mit Ihrem Jäger konnte er freilich machen, was er nur wollte. So wurde der Wald ganz ignoriert, und der Acker, trotz alles Treibens und Drängens, nur nachlässig bestellt. Der Hauptreichtum Ihres Gutes besteht aber in der Niederung und in den trefflichen Wiesen nach dem Flusse hin. Sie wissen, was diese Ihnen abwechselnd eingetragen haben, und ich behaupte, daß sie Ihnen das Dreifache bringen müssen, denn in diesem, und dem wichtigsten Punkte, hat sich der Alte am meisten vergangen. Diese Wiesen wurden nämlich von ihm ganz nach Gutdünken ausgetan, für geringes Geld bekamen seine Günstlinge, oder diejenigen, die ihm am besten zu schmeicheln verstanden, die größten und besten Stücke, mancher (und zu denen gehörte ich, den er haßte, weil ich einiges über seine Verwaltung hatte verlauten lassen) konnte niemals auch nur den kleinsten Fleck erhalten, so daß ich mein Heu, und noch so viele hiesige, weit her von fremden Orten holen muß. Ihre Heuernte, Herr Baron, ist so reichlich, daß Sie noch viele Dorfschaften versorgen können. Und wo blieb es? Unzähliges Gesindel aller Art, etliche wahre Arme, aber viele Taugenichtse und Müßiggänger hatte er hergewöhnt, für unnütze Gänge und Botschaften, für Sendungen nach der Stadt, um Bier und Wein zu holen, für das Graben im Garten, für was weiß ich eingebildete und überflüssige Geschäfte wurden diesem Volke viele Wiesenplätze ausgetan, und dadurch, neben jenen Diensten, deren auf Ihrem Gute schon zu viele sind, noch, ohne Ihre Zustimmung, neue gestiftet, welche Ihnen einen großen Teil Ihres Einkommens verzehren. So kam es denn, daß er selbst oft von diesen Lumpen, oder von auswärts, gegen das Frühjahr Heu um den doppelten Preis ein- oder zurückkaufen mußte. Wenn Sie mir nicht glauben, will ich Ihnen alles, und mehr als das Gesagte, an Ort und Stelle, jedem dieser Menschen gegenüber beweisen, denn ich scheue keine Untersuchung, ich wünsche vielmehr die allergenaueste, auch wenn Sie meine Vorschläge nicht annehmen, damit nur der schöne Besitz in Zukunft auf eine verständige Art benutzt wird, und Sie zugleich erfahren, welchen Schatz Sie an ihm haben. Es begreift sich, warum ihn jene Müßiggänger und unnütze Menschen so verehrten, wie es kam, [291] daß noch niemals ein untergeordneter Mann einen so ausgebreiteten Ruhm eines wohlwollenden Menschenfreundes genoß; wie weinten, wie schluchzten alle diese Leute bei seinem Begräbnisse, weil sie wohl fürchten konnten, daß die Sache sich nun ändern möchte. Ich brauche Ihnen nun auch nicht weiter auseinanderzusetzen, warum ich zwei- und dreitausend Taler Einkünfte mehr versprechen kann, und zwar mit der Sicherheit, daß mein eigenes Vermögen beim Ausfall Sie entschädigen sollte. Ich habe nur das Geringste genannt, um nicht als Prahler angesehen zu werden; aber wenn Sie Wiesen, Wald und Acker anders als bisher nutzen, so ist es nicht zuviel, anzunehmen, daß sich Ihre Einnahme um viertausend verbessern muß.«

Der Baron hatte mit der größten Aufmerksamkeit zugehört, aber sosehr ihm auch alles einleuchten mußte, so erschrak er doch über die Entdeckung, daß sein Freund ein ganz schlechter Wirtschafter gewesen sei, zu sehr, sein Widerwille gegen den Müller war noch zu wenig überwunden, als daß er sich jetzt schon, in der Eil, entschließen konnte, eine entscheidende Antwort zu geben.

Nachdenkend ritt er mit seiner Gesellschaft zurück. War es dem Sohne schon lästig, daß er sich jetzt, nach diesen Erklärungen erst, gleichsam mündig fühlen sollte, so wurde der Vater von dieser Empfindung noch weit mehr gedrückt. »Es scheint wohl«, fing der Obrist an, »daß der alte Soldat die Sache mehr wie im Tumult und Taumel, gleichsam wie ein Scharmützel mit Grund und Boden getrieben hat, als mit einer vernünftigen Einsicht, wenn anders jene Beschuldigungen nicht ganz aus der Luft gegriffen sind.«

»Nein, nein«, rief der Baron, »alles ist nur zu wahr, die Augen gehen mir auf, der Star sinkt nieder, aber die Operation ist schmerzlich. Weil mir die Neuerungen so mancher Nachbarn zuwider waren, weil ich sah, wie viele nur schwindelten und aus dem Landbau, der einfach getrieben sein will, sich, zu ihrem größten Nachteil, ein geistreiches Spiel fabrizierten, so bin ich auf der andern Seite zu weit gegangen, und bin in meinem blinden Vertrauen eingeschlummert. Und das ist es, woran der Landadel unserer Tage leidet. Entweder alles bleibt starr und tot beim Alten, das heißt, es wird mit jedem Jahre schlechter, denn stehenbleiben kann es nicht; oder die Verbesserungen und Neuerungen jagen sich, und man baut den Acker nur, wie jetzt neugierige junge Ärzte kurieren, um Spaß zu haben. Ich sehe wohl ein, mein guter Römer war zum Helden, nicht zum Ökonomen [292] geboren. Was hätte aus dem trefflichen Manne bei dieser Bravour, bei allen diesen großen Anlagen werden müssen, wenn er von Adel war, und als Edelmann in den Krieg ging? General zum mindesten. Und darum wollen wir auch, weil er vom Schicksal eigentlich zu höheren Dingen bestimmt war, alle seine Schwächen mit dem Mantel der christlichen Liebe zudecken; er hat es nie böse gemeint, er hat mich wahrhaft geliebt, und darum schweigen wir von jetzt an über die Sonderbarkeit, daß er die Verwaltergeschäfte mit Bravour und Heroismus poetisch trieb.«


Franz hatte seine Einrichtungen mit solcher Eil betrieben, daß er um einige Tage früher, als alle erwartet hatten, zurückkommen konnte. Adelheid schien, als er vom Pferde stieg, das er auf einem benachbarten Gute genommen hatte, wahrhaft erfreut. Er war so hastig geritten, daß er kaum zu Worten kommen konnte. Er erzählte tumultuarisch, daß er jetzt sein Vermögen übernommen und den Kontrakt wegen des Gutes mit dem Obristen völlig abzuschließen wünsche.

Cajus war erfreut, den Freund wiederzusehen. »Warum ist Gotthold nicht mit dir gekommen?« fragte er. »Du weißt ja«, antwortete Franz, »wie er immer nur seinen Launen folgt; er glaubt sich dort mit den alten Leuten, die ihn liebgewonnen haben, mehr zu unterhalten. Vielleicht kommt er in einigen Tagen an, vielleicht auch nicht.«

»Und was macht Ihr Oheim?« fragte der Baron.

»Er ist wohl«, antwortete der junge Mann, »und froh, daß Sie sich seiner erinnern. Der alte Winterberg gedenkt auch Ihrer, und wünscht ebenso sehnlich, als Sie, die alte Jugendbekanntschaft einmal wieder erneuern zu können.«

So hin und her fragend, verschiedene Antworten gebend, gedrängt und zerstreut, konnte Franz kaum dazu kommen, mit Adelheid nur einige flüchtige Worte zu wechseln. Auch die Mutter wollte dieses und jenes von ihm wissen; der Obrist sprach von seinem Gute und den nötigen Einrichtungen, so daß der junge Mann, der in den letzten Nächten nicht geschlafen hatte und von der eiligen Reise übermäßig erhitzt war, keine Sammlung finden konnte. Der Baron, der in diesen Tagen schon empfindlich gestimmt war, nahm ihm einige seiner hastigen unzusammenhängenden Antworten übel, die er in seiner Gereiztheit einer Geringschätzung des jungen Mannes gegen ihn [293] zuschrieb. Adelheid kam wieder näher, um das Gespräch zu lenken, und Franz wähnte in ihren Anmerkungen einige unpassende Verweise zu finden, die nur aus ihrem Mangel an Liebe entstehen könnten. Als Cajus die Gereiztheit aller Sprechenden bemerkte, und nicht begreifen konnte, woher dieses Irrsal sich entspönne, in welchem alle Personen mit mehr oder weniger Empfindlichkeit und in anzüglichen Redensarten sprachen, wollte er die streitende Unterhaltung auf einen ganz andern Gegenstand lenken, und erzählte vom Müller Zipfmantel und dessen Vorschlägen, und wie sich zum Erstaunen aller entdeckt habe, daß das Gut vom alten Römer auf eine unbeschreiblich schlechte Art bewirtschaftet worden sei. Diese Wendung des Gespräches war dem Baron die empfindlichste, vorzüglich in der Gegenwart der Frau und Tochter; er suchte daher den Verstorbenen zu entschuldigen, und um dies besser zu können, stellte er sich plötzlich, als wenn er die Vorschläge und Erläuterungen des Müllers für schwärmerische und unwahre hielte, und wollte von diesem Gegenstande kurz abbrechen. Darüber wurde Cajus selbst empfindlich und setzte die Wahrheit aller jener Behauptungen um so mehr ins Licht. Adelheid sah wohl und begriff auch den Zorn des Vaters, sie schien mit ihrem inneren Auge das Gespenst wahrzunehmen, welches sich schadenfroh dieses Sturmes erfreute und ihn immer näher herbeiführte. Franz achtete aber ihre Winke, oder bemerkte sie nicht, denn er wurde nun im Gegenteil erst heiter, als die Rede auf die Verkehrtheiten des Amtmannes fiel. Er hörte nicht den schweren Schritt, mit welchem der Baron zornig im Saale auf und nieder wandelte. Als Cajus immer eifriger bewies, konnte Franz zuletzt nicht mehr ein schadenfrohes lautschallendes Gelächter unterdrücken. »Was gibt's?« fragte der Baron: »was ist da zu lachen?«

»Hierüber lach ich eigentlich noch nicht«, antwortete Franz, »so komisch es auch an sich schon ist – aber, was werden Sie alle dazu sagen, wenn ich Ihnen auf meine Ehre versichere, daß dieser alte Sünder, der Römer, niemals Husar, nicht Soldat gewesen ist, daß er niemals im Felde war?«

»Herr!« rief der Baron, stotternd vor Wut – »das ist eine unverschämte Lüge!«

»Ich versichere es«, schrie Franz, »bei meiner Ehre! Unterwegs habe ich es von Leuten gehört, die es wissen konnten.«

»Ehre – Leute – Ehre – Römer – Husar« – so murmelte der [294] Baron, ganz aus aller Fassung gesetzt, und im Grimm mit allen Gliedern zitternd. Und ebenso, wie neulich, zerriß er den Bogen, auf welchem die Bedingungen des Ehekontraktes aufgesetzt waren, und rief, Feuer aus den Augen sprühend und purpurrot im Gesicht: »Sie, junger Bursche, der mich schon bei der Brücke zum besten hatte, Sie, der unter fremden Namen sich in mein Haus schlich, Sie, der da mit Vokativ und Dativ und allem Teufelszeuge, wie ich wohl nachher gehört habe, mit unter der Decke spielte, dann Fenster zerschlug und wütete, und nun, nun den ehrwürdigen Charakter eines grauen Kriegers so unbarmherzig mit Füßen tritt, Sie sollen niemals mein Schwiegersohn werden!«

Er ging fort, und Franz stürzte hinab in den Stall, um das Pferd zu nehmen. Cajus und Adelheid folgten dem Wütenden. Er führte eben das Roß in den Hof. »Ja! ja!« sagte Adelheid, ihn scharf ansehend: »so geht es, wenn man die Römer stürzen will, die Weltbeherrscher, ohne seine Macht geprüft zu haben. Warum ließen Sie den edlen Entschlummerten nicht in Ruhe? Warum soll er denn kein Husar gewesen sein? Ist das so etwas Besonderes, dem Regimente nicht anzugehören? Darum mußten Sie meinen Vater erbosen, der sich nun einmal darauf gesetzt hat, daß der Alte Husar gewesen sein soll und muß? Und alle meine Winke und Mienen halfen nichts?«

Franz sah sie mit einem schrägen Blicke an, seine Lippen zitterten. Hierauf nahm er die kleine Uhr aus der Tasche, schleuderte sie auf die Steine, und zerstampfte sie mit dem Fuße, daß die Splitter weit umherflogen. In demselben Augenblicke stürzten ihm große Tränen aus den Augen, er war leichenblaß, und ein krampfhaftes Schluchzen befiel ihn. So schwang er sich auf das Pferd, er schien ohnmächtig, er schlug ihm die Sporen ein, taumelte hin und her, als er fortrannte, neigte sich vornüber auf den Nacken, wie ermattet, und setzte über einen Graben, worauf er, fern vom Wege, über den Acker, ohne rückwärts zu sehen, dahinflog.


»Was war das?« fragte der erstaunte Cajus.

»Ich bin zu weit gegangen«, antwortete Adelheid, die selber einer Ohnmacht nahe schien. »Ihm nach, Bruder, denn er ist imstande, sich umzubringen, ich habe sein Herz die ganze Zeit über zu grausam zerrissen.«

»Aber wie?« antwortete Cajus: »wo ihn treffen? Vielleicht [295] ist er nach seinem neuen Gute, das er in diesen Tagen übernehmen wollte. Wenn wir aber fahren, so sieht es der Vater, der Kutscher wird vermißt. Willst du einmal wieder dein Pferd probieren?«

»Alles, alles«, sagte Adelheid, »nur ihm nach.«

Cajus legte selbst den Damensattel auf und half der Schwester. So ritten sie aus der Hinterpforte, um nicht bemerkt zu werden, und gelangten nach einer Stunde auf das Gut. »Ist der Herr von Waltershausen hier?« fragte Cajus den Gärtner. »Ja«, antwortete dieser, »vor kurzem in einer sonderbaren Stimmung angelangt; er ist droben im Saale, und will keinen Menschen sprechen.« –

Sie stiegen ab, Cajus führte die Pferde fort und verweilte dann im Garten; Adelheid stieg mit klopfendem Herzen die Treppe hinan. Als sie die Tür öffnete, sah sie den Jüngling verstört, mit verwirrtem Haar, blaß und entstellt im Lehnstuhl sitzen. Er starrte sie an, als wenn ihm ein Gespenst erschiene, er traute seinen eigenen Augen nicht. »Franz!« sagte sie mit sanfter und bewegter Stimme. Bei diesem Namen hatte sie ihn noch niemals genannt. »Ermanne dich!« sprach sie vernehmlicher, »bringe dich, bringe mich nicht um.« – Dies vertrauliche Du hatte er noch lange nicht von ihren Lippen zu vernehmen gehofft. Er wähnte, zu träumen. – »Wie ist mir?« rief er, indem er aufsprang; »du hier? Was willst du? Täuschen mich meine Wünsche? Bin ich vielleicht schon rasend geworden?«

Er warf sich zu ihren Füßen nieder; ein Tränenstrom erleichterte seine beklemmte Brust. »Steh auf!« sagte sie liebreich, »du Armer: steh auf und vergib mir.« Er erhob sich. Sie schlang zuerst den Arm um ihn, er erwiderte den Druck, sah sie an, sein Herz wandte sich um, und so, indem beide sich betrachteten, drückte sie ihm den ersten Kuß der Liebe auf seine Lippen. »O ihr Blinden!« sagte sie dann: »Du hast es nicht gesehen, nicht gefühlt, wie ich dich liebte? Daß mein Auge dich nur aufsuchte, daß ich entzückt war, als du an jenem Abend zuerst in unsere einsame Wohnung tratest? Aber es kränkte mich, daß du lauschen, daß du so klug sein wolltest, daß du mir deinen wahren Namen verhehltest, da ich dich schon längst kannte. Ja, ich kannte dich, Ränkeschmied, und ich habe dich vielleicht noch eher geliebt, als dein Gefühl für mich erwachte. Denn eben auf jenem Balle, wo du mich zuerst sahest, hatte ich dich schon längst in deiner Ecke bemerkt. Es verdroß mich, daß du nicht tanztest, daß du nicht zu mir tratest. [296] Du sahest recht ernsthaft, mit einem wunderbar schwermütigen Blicke vor dir nieder. Wie glücklich, dachte ich, muß das Mädchen sein, an die er jetzt so innig denkt, oder wie selig ist die, die seine Seele in Zukunft findet. Von den Umstehenden erfuhr ich deinen Namen. Unsere Blicke begegneten sich einige Male, aber du mischtest dich nicht unter die Tanzenden, nachher warst du verschwunden. Dein Auge ging in meinem Herzen mit hieher in die Einsamkeit. Ach! Du kamst, aber nicht offen, nicht zutraulich. Gar deinen Humoristen schicktest du zu mir ab, der dummes Zeug sprach. Nachher sahst du es nicht, weil du betäubt warst, und meinen Mutwillen nicht verstandest, wie ich den widerwärtigen Binder in seiner Abgeschmacktheit immer sicherer machte, wie er immer dreister meinen Vater beleidigte, so daß es ganz so kam, wie ich es mir berechnet hatte. Nun war ich frei, und hätte wohl sprechen sollen. Ein böser Geist gab mir ein, daß du noch bestraft werden müßtest. Ich konnte deine Wiederkunft nicht erwarten, um meine Quälerei, meine Verstellung, die dein Herz zerrissen hatte, wiedergutzumachen. Aber deine heutige Laune war mir unbegreiflich. Es war, als wenn du Händel suchtest, und mein Vater war zum Unglück ebenso kriegeslustig. Aber nun (sie warf sich plötzlich zu seinen Füßen nieder) vergib mir alles, verzeih mir, daß ich dich so innig, vielleicht zu sehr liebe, verstoße mich nicht, du lieber widerwärtiger Mensch, weil ich dich geärgert habe, und du, dumm genug, meine Meinung nicht verstandest: laß dich gütigst herab, mich wieder etwas zu lieben.« So weinend und lachend zugleich, umfaßte sie Franzens Knie, der sie nicht vom Boden aufheben konnte, er weinte und lachte wie sie, wollte sie küssen und trösten und aufrichten, und in dieser sonderbaren Stellung fand sie der Bruder. – Da sich alles aufgeklärt hatte, schwur man sich ewige Treue, und erwartete wohl mit ziemlicher Sicherheit, daß der schnell entstandene Zorn des Alten vorübergehen würde, besonders wenn Franz jene Aufklärungen und Beweise seiner Behauptungen geben könne, in deren Besitz er zu sein versicherte.


Diese waren bald nicht mehr nötig. Denn schon nach zweien Tagen kam Gotthold in Gesellschaft der beiden Alten, des Herrn Winterberg und von Fischbach an. Er hatte sie durch seine Laune und Scherze so weit gebracht, daß sie die Reise unternahmen, um ihren alten Freund, den Baron, wiederzusehen, [297] und bei der Hochzeit seiner Tochter gegenwärtig zu sein.

Es war, als wenn Gotthold geahndet hätte, was vorfallen würde. Der Baron war so erfreut, seinen Jugendlehrer, Winterberg, unter dem er vor vielen Jahren in Liegnitz studiert hatte, in seinem Hause zu bewirten, daß seine Laune sogleich die heiterste wurde. Der alte Fischbach, der indessen schon gehört hatte, was mit seinem Neffen vorgefallen war, entschuldigte und rechtfertigte diesen, weil er es selbst gewesen, der ihm jene so anstößigen Nachrichten über Römer mitgeteilt hatte.

»Ja«, nahm der alte Winterberg das Wort: »jener Römer, der hier so lange bei Ihnen die sonderbare Rolle gespielt hat, ist mir von seiner frühesten Kindheit an recht gut bekannt, denn er ist in meiner Gegend dort geboren und erzogen. Als der siebenjährige Krieg sich seinem Ende nahte, wurde er einem Schneider in die Lehre gegeben, denn Sie müssen wissen, daß der wunderliche Kauz auch sein Alter erlogen hat. Vom Schneider lief er weg, und war eine Zeitlang in Diensten eines Pferdehändlers. Hier lernte er reiten und mit den Tieren umgehen. Nach dem Frieden war ein alter abgedankter Husar seine tägliche Gesellschaft. Der erzählte ihm, da er den ganzen Krieg mitgemacht hatte, Tag und Nacht von seinen Feldzügen. Alle Zeitungen und Kriegesberichte lasen sie miteinander. Um diese Zeit kam ich auf einige Jahre nach Liegnitz, wo Sie, lieber Baron, damals meiner Obhut anvertraut wurden. Als ich in mein Vaterland zurückreisete, hatte ich den Schäker aus den Augen verloren.«

»Um jene Zeit«, fuhr der Herr von Fischbach fort, »lernte er beim Wirtschafter meines Vaters die Ökonomie. Er blieb wohl fünf Jahre in unserm Hause. Darauf wurde er selbst Verwalter in der Nachbarschaft. Ich sah ihn noch zuzeiten. Späterhin ging er, wie ich hörte, nach Oberschlesien. Seit sechzehn Jahren etwa hörte ich immer von einem Römer, der bei dir, Baron, eine so große Rolle spielt, Husar und Freund, und alles in allem ist, und ich lasse mir nicht träumen, daß das derselbe Windbeutel aus unserer Gegend sei, bis ich dann nähere Erkundigungen einziehe, und zu meinem Erstaunen höre, es sei kein anderer, sondern dieser Römer. Darum hat dein Sohn auch und der General und alle Schreiber gut in den Regimentslisten nachschlagen können, und ihn nirgend gefunden. Welche dumme Geschichte und Schlechtigkeit sagte er von sich selbst aus, weshalb er unter die Husaren geraten.«

[298] »Und doch weinte er«, sagte der Vater, »und fürchtete die Regimentsstrafe, und hat sich mit seinem Säbel begraben lassen. Unbegreiflich!«

»Doch nicht so ganz«, sagte der Justitiar: »die fixe Idee, die erst nur Lüge war, setzte sich als Wahrheit in ihm fest, weil alle Menschen darauf eingingen.«

Gotthold hatte zum Überfluß den Taufschein, den Lehrbrief als Schneidergeselle, die Atteste seiner früheren Herrschaft, alles mitgebracht, um den letzten, auch kleinsten Zweifel, zu zerstreuen.

Der Baron, der innig seine Übereilung bereute, eilte selbst zu Franz hinüber, bat ihn in Gegenwart des Obristen und anderer Zeugen um Vergebung, und führte den glücklichen Jüngling im Triumph nach seinem Hause zurück.

Dem verständigen Zipfmantel ward die Stelle des Amtmannes übergeben. Die Hochzeit wurde mit Freuden gefeiert, und Gotthold erschien auf derselben mit einem langen Zopfe; auch hatte er eine so künstliche Perücke dem Jäger, der nun auch Bräutigam war, mitgebracht, daß dieser ebenso auftreten konnte. Der Alte lächelte vergnügt und sagte: »Er ist überflüssig, denn ich schreite gewiß mit dem Zeitalter fort, und werde noch ein Freund unseres Zipfmantel.«

Er hatte richtig vorhergesehen, und befand sich in Ansehung der Einnahme bei dieser Freundschaft besser, als bei der seines vorigen Verwalters.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Erzählungen und Märchen. Die Gesellschaft auf dem Lande. Die Gesellschaft auf dem Lande. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-56B3-A