[76] Der Traum
Eine Allegorie.
Durch dunkle Schatten lenkt' ich meine Schritte,
Es ging mein treuer Freund zur Seite mir,
Er hörte meine ängstlich inn'ge Bitte
Und weilte nur zu meinem Besten hier.
Da standen wir in einer Felsthals Mitte,
Von dräu'nden Klippen eingeschlossen schier:
Mit bangem Herzen hielt ich ihn umschlossen,
Mein Haupt verbarg ich, meine Augen flossen.
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Wir zitterten dem scharfen nächt'gen Winde,
Verloren in der dunkeln Einsamkeit,
Die schwarzen Wolken jagten sich geschwinde,
Die Eule laut vom Felsen niederschreit,
Nacht eng' um uns, wie eine dunkle Binde,
Ein Wassersturz, der tobend schäumt und dräut:
Ach! seufzt' ich, will kein Stern denn niederblicken,
Mit schwachem Flimmerschein uns zu beglücken?
Wie strebten wir mit Blicken durch die Schatten,
Ein Sternchen, nur ein Lichtlein zu erspähn!
Wir standen sinnend, wie zu diesen Matten
Der Gang in tiefer dunkler Nacht geschehn,
Doch, wenn wir plötzlich die Erinn'rung hatten,
Entfloh sie wieder in des Sturmes Wehn;
Wir waren ganz uns selber hingegeben
Und neben uns gedieh kein ander Leben.
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Ach! da begann ein zärtlich Wechselstreiten,
Denn jeder will dem andern tröstlich seyn,
Die Liebe soll in diesen Dunkelheiten
Entzünden einen fröhlich süßen Schein,
Er rief: ich will, mein trauter Freund, dich leiten,
Geh kummerfrei mit mir das Bündniß ein,
Mag uns das Dunkel dunkler noch umfließen,
Es glänzt, wenn wir uns brüderlich umschließen.
Da kämpften wir, mit Blicken uns zu finden,
Zu schenken uns der Augen holden Gruß,
Und Aug' an Auge liebend festzubinden,
Die Freundschaft soll ertödten den Verdruß,
Doch, nimmer will das Dunkel sich entzünden,
Umarmung tröstet uns und Freundeskuß,
Und jeder, von dem andern festgehalten,
Ergiebt sich gern den feindlichen Gewalten.
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Doch ist es wohl ein Blendniß unsrer Sinnen?
Ein Stern liegt klar zu unsern Füßen da,
Wir können noch den Glauben nicht gewinnen
So deutlich ihn auch schon das Auge sah.
Wir sehen kleine blaue Strahlen rinnen,
Die Gräser, die dem schwachen Schimmer nah
Erleuchten nun mit ihrer zarten Grüne,
Daß glänzendhell der kleine Raum erschiene.
Und wie wir noch das Wunder nicht begreifen,
Erschimmert heller der verlorne Stern,
Wir sahen deutlich buntgefärbte Streifen,
Und hafteten auf diesem Anblick gern:
Doch kleine Punkte hin und wieder schweifen,
Und zittern eilig hier und fern und fern,
Und aus dem räthselhaften Wunderglanze
Quillt plötzlich leuchtend her die schönste Pflanze.
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Zwar schien sie herrlich nur in unsern Blicken,
Sie schwankt und glänzt wie wenn die Distel blüht,
Kein ander Auge würde sich entzücken,
Da uns die unbekannte Sehnsucht zieht;
Wir wollen schon die hohe Blume pflücken,
An unser Herz zu heften sie bemüht.
Sie tröstet unbegreiflich uns im Leiden,
Sie ist das Ziel der Sehnsucht wie der Freuden.
Und keiner denkt begeistert nachzufragen
Welch Glück ihm denn in dieser Blume ruht,
Vergessen sind schon alle vor'gen Klagen,
Wir fühlen neuen, kühnen Lebensmuth.
Für mich will er nun alles Unheil tragen,
Ich gönne ihm das schönste Lebensgut.
Wir beugen uns, da klingt es aus der Ferne
Entzückend schön, wie ein Gesang der Sterne.
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Ein neues Staunen hält den Sinn gefangen,
Indem die Melodie nun lauter klingt,
Im Busen zittert mächtiges Verlangen,
Das wie zum Horchen so zur Freude zwingt.
Die Töne sich so wundersamlich schwangen,
Und jeder Klang uns Freundesgrüße bringt,
Und zärtlich wird von allen uns geheißen
Daß wir die Pflanze nicht dem Fels entreißen.
Mit Scheu und Liebe stehn wir vor der Blume,
Des Busens Wonne regt sich sanft und mild,
Wir fühlen uns so wie im Heiligthume,
Die vor'ge Liebe dünkt uns rauh und wild.
Wir schätzen es zu unserm schönsten Ruhme,
Zu lieben, nicht zu rauben jenes Bild:
Verehrung zieht uns auf die Kniee nieder,
Die erste Liebe kehrt verschönert wieder.
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Jetzt war für uns die Einsamkeit voll Leben,
Wir sehnten uns nur zu der Blume hin,
Ein freudenvolles, geisterreiches Weben
Durchläuterte den innerlichsten Sinn;
Wir fühlten schon ein unerklärbar Streben,
Zum Edelsten und Schönsten treibt es hin,
Die Wonne wollte fast das Herz bezwingen,
Wir hörten Staud' und Baum und Fels erklingen.
Wie wenn uns zarte Geister Antwort riefen,
So tönt die Stimme hold und wundersam,
Aus allen dunkeln unterird'schen Tiefen
Uns Liebesdrang und Gruß entgegen kam,
Die Geister, die noch todt in Felsen schliefen
Erstehn, sich jeder Lebensregung nahm:
Wir waren rund vom zärtlichsten Verlangen,
Von Liebesgegenwart ganz eng' umfangen.
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Wie kann die Blume solchen Zauber hegen?
So rief ich aus, wie sich mein Herz besann.
Mag sie die Brust so kräftiglich erregen
Daß ich die Welt und mich vergessen kann?
Es klopft das Herz mit neugewalt'gen Schlägen,
Der Geist dringt zum Unendlichen hinan,
Wohl mir, mein Freund, daß ich mit dir genieße,
Mit dir zugleich das schönste Glück begrüße!
Doch jener war in Wonne neu gebohren,
Er lächelte mit lichtem Freundesblick;
Doch Wort und Rede war für ihn verlohren,
Sein hochverklärtes Antlitz sprach sein Glück,
Nur für das Seligste schien er erkohren,
Und fand zur alten Welt nicht mehr zurück,
Er schien in weit entfernte schöne Auen
Mit hoher Trunkenheit hineinzuschauen.
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Und wie ich mich an meinem Freund erfreue,
Sein Glück mich mehr, als selbst mein eignes rührt,
Erleuchtet über uns die schönste Bläue,
Die Wolken theilen sich, ein Windstoß führt
Sie abwärts, heller scheint des Himmels Freie,
Das holde Licht mit Tagesglanz regiert,
Die Blume schießt empor, die Blätter klingen,
Und Strahl und Funken aus dem Kelche springen.
Bald steht sie da und gleicht dem höchsten Baume,
Die Blüthen, jedes Blatt entfaltet sich,
Und aus dem innren Haus, dem grünen Raume
Entstehen Engelsbilder seltsamlich,
Wir stehn entzückt dem süßen Wundertraume,
Ich schau ihn an, sein Blick befraget mich,
Die Kinder tragen Bogen in den Händen,
Die sie mit goldnem Pfeil nach uns hinwenden.
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Die Senne wird mit leichter Kraft gezogen,
Der schöne Pfeil enteilet durch die Luft,
Befiedert kömmt er zu uns hingeflogen,
Er rauscht hinweg, verfliegt in ferner Kluft.
Auf's neue schon gespannt der Silberbogen,
Herüber weht ein süsser Aether-Duft;
Wir stehen zweifelnd, und es ruft der Schöne:
Entsetzt euch nicht, die Pfeile sind nur Töne!
Wir horchen nun wie sie herüberdrangen,
Wie jeder glänzend uns vorüberfuhr,
Wie dann die Luft, der Wald, das Feld erklangen,
Ein Lustgesang ertönte die Natur:
Da glühen rosenroth des Freundes Wangen,
Er spricht berauscht und thut entzückt den Schwur:
Mich ziehen fort die süß-melod'schen Wellen,
Ich will den Pfeilen mich entgegen stellen!
[86]
Da beut die Brust sich trunken allen Tönen,
Er strebt und ringt, zu künden sein Gefühl,
Er blickt mit heiterm Lächeln nach den Schönen,
Sie freun sich mehr und mehr an ihrem Spiel,
Sie wollen gern den Freund mit sich versöhnen,
Und machen ihn nur ämsiger zum Ziel,
Ein jeder will den andern übereilen,
Den Liebling ganz von seinem Gram zu heilen.
Noch alle sind im kräftig muntern Streiten,
Als sich ein neuer Wunderanblick zeigt,
Vom Wipfel seh' ich Bilder niederschreiten,
Ein Geisterheer dem hohen Baum entsteigt,
Der edlen Menge, wie sie abwärts gleiten,
Sich rauschend Stamm und Ast und Wipfel neigt,
Sie kommen her, ich fühl' mein Herz entbrennen,
Und irr' ich? alle glaub' ich jetzt zu kennen.
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Und hinter ihnen wie sie weiter gehen,
Durch Himmel, Luft und auf der grünen Flur,
Glaub' ich ein weißes helles Licht zu sehen,
Der Wiese Blum' erglänzt in ihrer Spur,
Die Bäume nun wie größre Blumen stehen,
Das Wasser lacht, es jubelt die Natur,
Ist alles rund mit Poesie umgossen,
Von Lieb' und Wohllaut jedes Blatt umflossen.
Sie sind's, die hochberühmten Wundergeister,
Der Greis Homer der vorderste der Schaar,
Ihm folgen Rafael, und jener Meister,
Der immer Wonne meiner Seele war,
Der kühne Britte, sieh, er wandelt dreister
Vor allen her, ihm weicht die ganze Schaar, –
Sie breiten rings ein schönes Licht, in Wonne
Erfunkelt es und dunkelt selbst die Sonne.
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Nun war Entzücken rund umher entsprossen,
Die Wonn' umlaubt uns wie ein goldnes Zelt,
Vom Zauberschein ist alles rings umflossen,
Von süßen Tönen klingt die weite Welt,
Wohin wir gehn sind Blumen aufgeschossen,
Mit tausend Farben prangt das grüne Feld;
Es singt die Schaar: schaut, was wir euch verliehen,
Darum muß euer Herz uns ewig glühen.
Ich wachte nun aus meinem holden Schlummer,
Und um mich war der Glanz, das süße Licht:
Doch ach! o unerträglich herber Kummer,
Den vielgeliebten Freund, ihn fand ich nicht,
Ich suchte wieder den entflohnen Schlummer,
Das liebe wundervolle Traumgesicht,
Die Künstler waren noch mit Freundschaft nahe,
Doch weh! daß ihn mein Auge nicht mehr sahe!
[89]Und soll ich nun noch gern im Leben weilen,
So reiche, Bruder, mir die treue Hand,
So weile, Lust wie Schmerz mit mir zu theilen,
Du, der als Kind sich liebend mir verband,
Entflieh mir nicht, gesellt laß uns durcheilen
Der Kunst und Poesie geweihtes Land,
Ich würde ohne dich den Muth verlieren,
So Kunst als Leben weiter fortzuführen.