[78] Frühlingsreise

Ueber Reisen kein Vergnügen,
Wenn Gesundheit mit uns geht:
Hinter uns die Städte liegen,
Berg und Waldung vor mir steht.
Jenseit, jenseit, ist der Himmel heiter,
Treibt mich rege Sehnsucht weiter.
Schau dich um, und laß die trüben Blicke,
Sieh, da liegt die große weite Welt,
In der Stadt blieb alles Graun zurücke,
Das den Sinn gefangen hält.
Endlich wieder Himmel, grüne Flur,
Groß und lieblich die Natur.
[79]
Auch ein Mädchen muß dich nimmer quälen,
Kommst ja doch zu Menschen wieder hin,
Nirgend wird es dir an Liebe fehlen,
Ist dir Lieben ein Gewinn:
Darum laß die trüben Blicke,
Allenthalben blüht dein Glücke.
Immer munter, Freunde, munter,
Denn mein Mädchen wartet schon,
Treibt den Fluß nur rasch hinunter,
Denn mich dünkt, mich lockt ihr Ton.
Günstig sind uns alle Winde,
Stürme schweigen, Lüfte säuseln linde.
Siehst du die Sonne nicht,
Glänzen im Bach?
Wo du bist, spielt das Licht
Freundlich dir nach.
[80]
Durch den Wald Funkelschein,
Sieht in den Quell;
Kuckt in die Fluth hinein,
Macht tausend Ströme hell.
So auch der Liebe Licht,
Wandelt mit dir;
Löschet wohl nimmer nicht,
Ist dorten bald, bald hier.
Liebst du die Morgenpracht,
Wenn nach der schwarzen Nacht
Auf diamantner Bahn
Die Sonne ihren Weg begann?
Wenn alle Vögel jubeln laut,
Begrüßen fröhlich des Tages Braut,
Wenn Wolken sich zu Füßen schmiegen,
In Brand und goldnem Feuer fliegen?
[81]
Auch wenn die Sonne nun den Wagen lenkt,
Und hinter ihr das Morgenroth erbleicht,
Lust, Heiterkeit durch alle Welt hinfleugt,
Bis sich zum Meer die Göttinn senkt.
Und dann funkeln neue Schimmer
Ueber See und über Land,
Erd' und Himmel im Geflimmer
Sich zu Einem Glanz verband.
Prächtig mit Rubinen und Sapphiren,
Siehst du dann den Abendhimmel prangen,
Goldenes Geschmeide um ihn hangen,
Edelsteine Hals und Nacken zieren,
Und in holder Gluth die schönen Wangen.
Drängt sich nicht mit stillem Licht der Chor
Aller Sterne, ihn zu sehen, vor?
Jubeln nicht die Lerchen ihre Lieder,
Tönt nicht Fels und Meer Gesänge wieder? –
[82]
Also wenn die erste Liebe dir entschwunden,
Mußt du weibisch nicht verzagen,
Sondern dreist dein Glücke wagen,
Bald hast du die zweite aufgefunden;
Und kannst du im Rausche dann noch klagen:
Nie empfand ich, was ich vor empfunden?
Nie vergißt der Frühling wiederzukommen,
Wenn Störche ziehn, wenn Schwalben auf der Wiese sind,
Kaum ist dem Winter die Herrschaft genommen,
So erwacht und lächelt das goldne Kind.
Dann sucht er sein Spielzeug wieder zusammen,
Das der alte Winter verlegt und verstört,
Er putzt den Wald mit grünen Flammen,
Der Nachtigall er die Lieder lehrt.
[83]
Er rührt den Obstbaum mit röthlicher Hand,
Er klettert hinauf die Aprikosenwand,
Wie Schnee die Blüthe noch vor dem Blatt ausdringt,
Er schüttelt froh das Köpfchen, daß ihm die Arbeit gelingt.
Dann geht er, und schläft im waldigen Grund,
Und haucht den Athem aus, den süßen,
Um seinen zarten rothen Mund
Im Grase Viol' und Erdbeer sprießen:
Wie röthlich und bläulich lacht
Das Thal, wann er erwacht!
In den verschloßnen Garten
Steigt er über's Gitter in Eil,
Mag auf den Schlüssel nicht warten,
Ihm ist keine Wand zu steil.
[84]
Er räumt den Schnee aus dem Wege,
Er schneidet das Buxbaum-Gehege,
Und feiert auch am Abend nicht,
Er schaufelt und arbeitet im Mondenlicht.
Dann ruft er: wo säumen die Spielkameraden,
Daß sie so lange in der Erde bleiben?
Ich habe sie alle eingeladen,
Mit ihnen die fröhliche Zeit zu vertreiben.
Die Lilie kommt und reicht die weißen Finger,
Die Tulpe steht mit dickem Kopfputz da,
Die Rose tritt bescheiden nah,
Aurikelchen und alle Blumen, vornehm und geringer.
Der bunte Teppich ist nun gestickt,
Die Liebe tritt aus Jasminlauben hervor.
Da danken die Menschen, da jauchzet der Vögel ganzes Chor,
Denn alle fühlen sich beglückt.
[85]
Dann küßt der Frühling die zarten Blumenwangen,
Und scheidet und sagt: ich muß nun gehn.
Da sterben sie alle an süßem Verlangen,
Daß sie mit welken Häuptern stehn.
Der Frühling spricht: vollendet ist mein Thun,
Ich habe schon die Schwalben herbestellt,
Sie tragen mich in eine andre Welt,
Ich will in Indiens duftenden Gefilden ruhn.
Ich bin zu klein, das Obst zu pflücken,
Den Stock der schweren Traube zu entkleiden,
Mit der Sense das goldene Korn zu schneiden,
Dazu will ich den Herbst euch schicken.
Ich liebe das Spielen, bin nur ein Kind,
Und nicht zur ernsten Arbeit gesinnt;
[86]
Doch wenn ihr des Winters überdrüßig seid,
Dann komm ich zurück zu eurer Freud',
Die Blumen, die Vögel nehm ich mit mir,
Wenn ihr erndtet und keltert, was sollen sie hier?
Ade! ade! ist die Liebe nur da,
So bleibt euch der Frühling ewiglich nah!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Gedichte. Gedichte. Erster Teil. Frühlingsreise. Frühlingsreise. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-54E7-A