[135] Morgen

Die Waldung schweigt
Und Nebel schleichen,
Die Sonne steigt,
Glänzt durch die Eichen:
Um nasses Moos
Erheben Funken,
Der Erde Schoos
Blüht auf und die Vögel sind trunken.
Die Lerche singt
In hohen Lüften,
Der Nachhall klingt
In allen Klüften. –
Durch Nebelzug
Nun rastlos weiter
Im schnellen Flug!
Schon glänzet die Sonne so heiter!
[136]
Die Schöpfung regt
Die muntern Glieder.
Das Herz mir schlägt, –
Ich seh' sie wieder!
Durch niedre Luft
Mit schwerem Segen
Zieht Nebelduft,
Ihm nicken die Saaten entgegen.
Wo find ich sie?
Wo mag sie weilen?
Vergißt mich nie
Und wünscht mein Eilen?
Ha, jeder Sinn,
Vom Bilde trunken,
Strebt zu ihr hin,
Die Schöpfung ist ringsum versunken.
[137]
Ihr holder Blick,
Der auf mich sinket,
Ist schon mein Glück.
Wie freundlich winket
Der zarte Mund
Mir Zauberküssen!
O holder Bund!
O Glück! mich so nahe zu wissen!
Auf, eilt euch, schnell!
Ihr Rosse munter!
Der Tag wird hell,
So fliegt hinunter!
Daß auch mein Herz
Den Segen finde,
Und jeder Schmerz
Im himmlischen Taumel verschwinde!

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TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Gedichte. Gedichte. Erster Teil. Morgen. Morgen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-5445-3