Erstes Kapitel
In der Klause entstand ein Geräusch und Gezänk, gleich darauf sah man den Eremiten und Pilgrim beide erhitzt heraustreten, aus dem Walde kam ein großer ansehnlicher Mann, auf den Roderigo sogleich hinzueilte, und ihn in seine Arme schloß. »Oh, mein Ludovico!« rief er aus, »bist du wieder da? Wie kömmst du hierher? geht es dir wohl? bist du noch wie sonst mein Freund?«
Jener konnte vor dem Entzücken Roderigos immer noch nicht zu Worte kommen, indessen die heiligen Männer in ihrem eifrigen Gezänk fortfuhren. Da Florestan den Namen Ludovico nennen hörte, verließ er auch Sternbald, und eilte zu den beiden, indem er aufrief: »Gott sei gedankt, wenn Ihr Ludovico seid! Ihr seid uns hier in der Einsamkeit unaussprechlich willkommen!«
Ludovico umarmte seinen Freund, indem Sternbald voller Erstaunen verlassen dastand, dann sagte er lustig: »Mich freut es, dich zu sehn, aber wir müssen doch dort die streitenden Parteien auseinanderbringen.«
Als sie den fremden schönen Mann auf sich zukommen sahen, der ganz so tat, als wenn es seine Sache sein müßte, ihren Zwist zu schlichten, ließen sie freiwillig voneinander ab. Sie waren von der edlen Gestalt wie bezaubert, Roderigo war vor Freude trunken, seinen Freund wieder zu besitzen, und Florestan konnte kein Auge von ihm verwenden. »Was haben die beiden heiligen Männer gehabt?« fragte Ludovico.
Der Eremit fing an, seinen Unstern zu erzählen. Der Pilger sei derselbe, der seine Geliebte geheiratet habe, diese Entdeckung habe sich unvermutet während ihrer Gebete hervorgetan, er sei darüber erbittert worden, daß er nun noch zum Überfluß seinem ärgsten Feinde Herberge geben müßte.
Der Pilgrim verantwortete sich dagegen: daß es seine Schuld nicht sei, daß jener gegen die Gastfreiheit gehandelt und ihn mit Schimpfreden überhäuft habe.
Ludovico sagte: »Mein lieber Pilger, wenn dir die Großmut recht an die Seele geheftet ist, so überlaß jenem eifrigen Liebhaber [922] deine bisherige Frau, und bewohne du seine Klause. Vielleicht, daß er sich bald hierher zurücksehnt, und du dann gewiß nicht zum zweiten Male den Tausch eingehen wirst.«
Rudolph lachte laut über den wunderlichen Zank und über diese lustige Entscheidung. Franz aber erstaunte, daß Einsiedler, heilige Männer so unheiligen und gemeinen Leidenschaften, als dem Zorne, Raum verstatten könnten. Der Pilgrim war gar nicht willens, seine Frau zu verlassen, um ein Waldbruder zu wer den, der Eremit schämte sich seiner Heftigkeit.
Alle Parteien waren ausgesöhnt, und sie setzten sich mit friedlichen Gemütern an das kleine Mittagsmahl.
»Du hast dich gar nicht verändert«, sagte Roderigo.
»Und muß man sich denn immer verändern?« rief Ludovico aus; »nein, auch Ägypten mit seinen Pyramiden und seiner heißen Sonne kann mir nichts anhaben. Nichts ist lächerlicher, als die Menschen, die mit ernsthaftern Gesichtern zurückkommen, weil sie etwa entfernte Gegenden gesehn haben, alte Gebäude und wunderliche Sitten. Was ist es denn nun mehr? Nein, mein Roderigo, hüte dich vor dem Anderswerden, denn an den meisten Menschen ist die Jugend noch das Beste, und was ich habe, ist mir auf jeden Fall lieber, als was ich erst bekommen soll. Eine Wahrheit, die nur bei einer Frau eine Ausnahme leidet. Nicht wahr, mein lieber Pilgrim? Du selbst kömmst mir aber etwas anders vor.«
»Und wie steht es denn in Ägypten?« fragte Florestan, der gern mit dem seltsamen Fremden bekannter werden wollte.
»Die alten Sachen stehn noch immer am alten Fleck«, sagte jener, »und wenn man dort ist, vergißt man, daß man sich vorher darüber verwundert hat. Man ist dann so eben und gewöhnlich mit sich und allem außer sich, wie mir hier im Walde ist. Der Mensch weiß nicht, was er will, wenn er Sehnsucht nach der Fremde fühlt, und wenn er dort ist, hat er nichts. Das Lächerlichste an mir ist, daß ich nicht immer an demselben Orte bleibe.«
»Habt Ihr die seltsamen Kunstsachen in Augenschein genommen?« fragte Franz bescheiden.
»Was mir vor die Augen getreten ist«, sagte Ludovico, »habe ich ziemlich genau betrachtet. Die Sphinxe sehn unsereins mit gar wunderlichen Auen an, sie stehn aus dem fernen Altertum gleichsam spöttisch da, und fragen: ›Wo bist du her? was willst du hier?‹ Ich habe in ihrer Gegenwart meiner Tollkühnheit mich mehr geschämt, als wenn vernünftige Leute mich tadelten, oder andre mittlern Alters mich lobten.«
[923] »Oh, wie gern möchte ich Euer Gefährte gewesen sein!« rief Franz aus, »die Gegenden wirklich und wahrhaftig zu sehn, die schon in der Imagination unsrer Kindheit vor uns stehn, die Örter zu besuchen, die gleichsam die Wiege der Menschheit sind. Nun dem wunderbaren Laufe des alten Nils zu folgen, von Ruinen in fremder, schauerlicher, halbverständlicher Sprache angeredet zu werden, Sphinxe im Sande, die hohen Pyramiden, Memnons wundersame Bildsäule, und immer das Gefühl der alten Geschichten mit sich herumzutragen, noch einzelne lebende Laute aus der längst entflohenen Heldenzeit zu vernehmen, übers Meer nach Griechenland hinüberzublicken, zu träumen, wie die Vorwelt aus dem Staube sich wieder emporgearbeitet, wie wieder griechische Flotten landen – oh, alles das in unbegreiflicher Gegenwart nun vor sich zu haben, könnt Ihr gegen Euer Glück wirklich so undankbar sein?« –
»Ich bin es nicht«, sagte Ludovico, »und mir sind diese Empfindungen auch oft auf den Bergen, an der Seeküste durch die Brust gegangen. Oft faßte ich aber auch eine Handvoll Sand, und dachte: ›Warum bist du nun so mühsam, mit so mancher Gefahr, so weit gereist, um dies Teilchen Erde zu sehn, das Sage und Geschichte dir nun so lange nennt? Ist denn die übrige Erde jünger? Darfst du dich in deiner Heimat nicht verwundern? Sieh die ewigen Felsen dort an, den Ätna in Sizilien, den alten Schlund der Charybdis. Und mußt du dich verwundern, um glücklich zu sein?‹ – Ich sagte dann zu mir selber: ›Tor! Tor!‹ und wahrlich, ich verachtete in eben dem Augenblicke den Menschen, der diese Torheit nicht mit mir hätte begehen können.«
Unter mancherlei Erzählungen verstrich auch dieser Tag, der Einsiedel sagte oft: »Ich begreife nicht, wie ich in eurer Gesellschaft bin, ich bin wohl und sogar lustig, ja meine Lebensweise ist mir weniger angenehm, als bisher. Ihr steckt uns alle mit der Reisesucht an; ich glaubte über alle Torheiten des Lebens hinüber zu sein, und ihr weckt eine neue Lust dazu in mir auf.«
Am folgenden Morgen nahmen sie Abschied; der Pilgrim hatte sich mit dem Einsiedel völlig versöhnt, sie schieden als gute Freunde. Ludovico führte den Zug an, die übrigen folgten ihm.
Auf dem Wege erkundigte sich Ludovico nach Sternbald und seinem Gefährten Florestan, er lachte über diesen oft, der sich alle Mühe gab, von ihm bemerkt zu werden, Sternbald war still, und begleitete sie in tiefen Gedanken. Ludovico sagte zu Franz, als er hörte, dieser sei ein Maler: »Nun, mein Freund, [924] wie treibt Ihr es mit Eurer Kunst? Ich bin gern in der Gesellschaft von Künstlern, denn gewöhnlich sind es die wunderlichsten Menschen, auch fallen wegen ihrer seltsamen Beschäftigung alle ihre Launen mehr in die Augen, als bei andern Leuten. Ihr Stolz macht einen wunderlichen Kontrast mit ihrem übrigen Verhältnis im Leben, ihre poetischen Begeisterungen tragen sie nur zu oft in alle Stunden über, auch unterlassen sie es selten, die Gemeinheit ihres Lebens in ihre Kunstbeschäftigungen hineinzunehmen. Sie sind schmeichelnde Sklaven gegen die Großen, und doch verachten sie alles in ihrem Stolze, was nicht Künstler ist. Aus allen diesen Mißhelligkeiten entstehen gewöhnlich Charaktere, die lustig genug ins Auge fallen.«
Franz sagte beschämt: »Ihr seid ein sehr strenger Richter, Herr Ritter.«
Ludovico fuhr fort: »Ich habe noch wenige Künstler gesehen, bei denen man es nicht in den ersten Augenblicken bemerkt hätte, daß man mit keinen gewöhnlichen Menschen zu tun habe. Fast alle sind unnötig verschlossen und zudringlich offenherzig. Ich habe mich selbst zuweilen geübt, dergleichen Leute darzustellen, und es niemals unterlassen, diese Seltsamkeiten in das hellste Licht zu stellen. Es fällt gewiß schwer, Mensch wie die übrigen zu bleiben, wenn man sein Leben damit zubringt, etwas zu tun und zu treiben, wovon ein jeder glaubt, daß es übermenschlich sei: in jedem Augenblicke zu fühlen, daß man mit dem übrigen Menschengeschlechte eben nicht weiter zusammenhänge. Diese Sterblichen leben nur in Tönen, in Zeichen, gleichsam in einem Luftreviere wie Feen und Kobolde, es ist nur scheinbar, wenn man sie glaubt die Erde betreten zu sehen.«
»Ihr mögt in einiger Hinsicht nicht unrecht haben«, sagte Franz.
»Wer sich der Kunst ergibt«, sagte jener weiter, »muß das, was er als Mensch ist und sein könnte, aufopfern. Was aber das schlimmste ist, so suchen jene Leute, die sich für Künstler wollen halten lassen, noch allerhand Seltsamkeiten und auffallende Torheiten zusammen, um sie recht eigentlich zur Schau zu tragen, als Orden oder Ordenskreuz, in Ermangelung dessen, damit man sie in der Ferne gleich erkennen soll, ja sie halten darauf mehr, als auf ihre wirkliche Kunst. Hütet Euch davor, Herr Maler.«
»Man erzählt doch von manchem großen Manne«, sagte Franz, »der von dergleichen Torheiten frei geblieben ist.«
»Nennt mir einige«, rief Ludovico.
[925] Sternbald sagte: »Zum Beispiel der edle Malergeist Raffael Sanzio von Urbin.«
»Ihr habt recht«, sagte der heftige Ritter, »und überhaupt«, fuhr er nach einem kleinen Nachdenken fort, »laßt Euch meine Rede nicht so sehr auffallen, denn sie braucht gar nicht so ganz wahr zu sein. Ihr habt mich mit dem einzigen Namen beschämt und in die Flucht geschlagen, und alle meine Worte erscheinen mir nun wie eine Lästerung auf die menschliche Größe. Ich bin selbst ein Tor, das wollen wir für ausgemacht gelten lassen.«
Roderigo sagte: »Du hast manche Seiten von dir selbst geschildert.«
»Mag sein«, sagte sein Freund, »man kann nichts Bessers und nichts Schlechters tun. Laßt uns lieber von der Kunst selber sprechen. Ich habe mir in vielen Stunden gewünscht, ein Maler zu sein.«
Sternbald fragte: »Wie seid Ihr darauf gekommen?«
»Erstlich«, antwortete der junge Ritter, »weil es mir ein großes Vergnügen sein würde, manche von den Mädchen so mit Farben vor mich hinzustellen, die ich wohl ehemals gekannt habe, dann mir andre noch schönere abzuzeichnen, die ich manchmal in glücklichen Stunden in meinem Gemüte gewahr werde. Dann erleide ich auch zuweilen recht sonderbare Begeisterung, so daß mein Geist sehr heftig bewegt ist, dann glaube ich, wenn mir die Geschicklichkeit zu Gebote stände, ich würde recht wunderbare und merkwürdige Sachen ausarbeiten können. Seht, mein Freund, dann würde ich einsame, schauerliche Gegenden abschildern, morsche zerbrochene Brücken über zwei schroffen Felsen, einem Abgrunde hinüber, durch den sich ein Waldstrom schäumend drängt: verirrte Wandersleute, deren Gewänder im feuchten Winde flattern, furchtbare Räubergestalten aus dem Hohlwege heraus, angefallene und geplünderte Wägen, Kampf mit den Reisenden. – Dann wieder eine Gemsenjagd in einsamen, furchtbaren Felsenklippen, die kletternden Jäger, die springenden, gejagten Tiere von oben herab, die schwindelnden Abstürze. Figuren, die oben auf schmalen überragenden Steinen Schwindel ausdrücken, und sich eben in ihren Fall ergeben wollen, der Freund, der jenen zu Hülfe eilt, in der Ferne das ruhige Tal. Einzelne Bäume und Gesträuche, die die Einsamkeit nur noch besser ausdrücken, auf die Verlassenheit noch aufmerksamer ma chen. – Oder dann wieder den Bach und Wassersturz, mit dem Fischer, der angelt, mit der Mühle, die sich dreht, vom Monde beschienen. Ein Kahn auf dem Wasser, ausgeworfene [926] Netze. – Zuweilen kämpft meine Imagination, und ruht nicht und gibt sich nicht zufrieden, um etwas durchaus Unerhörtes zu ersinnen und zustande zu bringen. Äußerst seltsame Gestalten würde ich dann hinmalen, in einer verworrenen, fast unverständlichen Verbindung, Figuren, die sich aus allen Tierarten zusammenfänden und unten wieder in Pflanzen endigten: Insekten und Gewürme, denen ich eine wundersame Ähnlichkeit mit menschlichen Charakteren aufdrücken wollte, so daß sie Gesinnungen und Leidenschaften possierlich und doch furchtbar äußerten; ich würde die ganze sichtbare Welt aufbieten, aus jedem das Seltsamste wählen, um ein Gemälde zu machen, das Herz und Sinnen ergriffe, das Erstaunen und Schauder erregte, und wovon man noch nie etwas Ähnliches gesehn und gehört hätte. Denn ich finde das an unsrer Kunst zu tadeln, daß alle Meister ohngefähr nach einem Ziele hinarbeiten, es ist alles gut und löblich, aber es ist immer mit wenigen Abänderungen das Alte.«
Franz war einen Augenblick stumm, dann sagte er: »Ihr würdet auf eine eigene Weise das Gebiet unsrer Kunst erweitern, mit wunderbaren Mitteln das Wunderbarste erringen, oder in Euren Bemühungen erliegen. Eure Einbildung ist so lebhaft und lebendig, so zahlreich an Gestalt und Erfindung, daß ihr das Unmöglichste nur ein leichtes Spiel dünkt. Oh, wie viel billigere Forderungen muß der Künstler aufgeben, wenn er zur wirklichen Arbeit schreitet!«
Hier stimmte der Pilgrim plötzlich ein geistliches Lied an, denn es war nun die Tageszeit gekommen, an welcher er es nach seinem Gelübde absingen mußte. Das Gespräch wurde unterbrochen, weil alle aufmerksam zuhörten, ohne daß eigentlich einer von ihnen wußte, warum er es tat.
Mit dem Schlusse des Gesanges traten sie in ein anmutiges Tal, in dem eine Herde weidete, eine Schalmei tönte herüber, und Sternbalds Gemüt ward so heiter und mutig gestimmt, daß er von freien Stücken Florestans Schalmeilied zum Ergötzen der übrigen wiederholte; als er geendigt hatte, stieg der mutwillige Ludovico auf einen Baum, und sang von oben in den Tönen einer Wachtel, eines Kuckucks und einer Nachtigall herunter. »Nun haben wir alle unsre Pflicht getan,« sagte er, »jetzt haben wir es wohl verdient, daß wir uns ausruhen dürfen, wobei uns der junge Florestan mit einem Liede erquicken soll.«
Sie setzten sich auf den Rasen nieder, und Florestan fragte: »Welcher Inhalt soll denn in meinem Liede sein?«
[927] »Welcher du willst«, antwortete Ludovico, »wenn es dir recht ist, gar keiner; wir sind mit allem zufrieden, wenn es dir nur gemütlich ist, warum soll eben Inhalt den Inhalt eines Gedichts ausmachen?«
Rudolph sang:
»Durch den Himmel zieht der Vögel Zug,
Sie sind auf Wanderschaft begriffen,
Da hört man gezwitschert und gepfiffen
Von Groß und Klein der Melodien genug.
Der Kleine singt mir feiner Stimm,
Der Große krächzt gleich wie im Grimm
Und einge stottern, andre schnarren,
Und Drossel, Gimpel, Schwalbe, Staren.
Sie wissen alle nicht, was sie meinen,
Sie wissen's wohl und sagen's nicht,
Und wenn sie auch zu reden scheinen,
Ist ihr Gerede nicht von Gewicht.
– ›Holla! warum seid ihr auf der Reise?‹ –
›Das ist nun einmal unsre Weise.‹
– ›Warum bleibt ihr nicht zu jeglicher Stund?‹-–
›Die Erd ist allenthalben rund.‹
Auf die armen Lerchen wird Jagd gemacht,
Die Schnepfen gar in Dohnen gefangen,
Dort sind die Vöglein aufgehangen,
An keine Rückfahrt mehr gedacht.
– ›Ist das die Art mit uns zu sprechen?
Uns armen Vögeln den Hals zu brechen?‹
– ›Verständlich ist doch diese Sprache‹,
So ruft der Mensch, ›sie dient zur Sache,
In allen Natur die Sprache regiert,
Daß eins mit dem andern Kriege führt,
Man dann am besten räsoniert und beweist,
Wenn eins vom andern wird aufgespeist:
Die Ströme sind im Meere verschlungen,
Vom Schicksal wieder der Mensch bezwungen,
[928]Den tapfersten Magen hat die Zeit,
Ihr nimmermehr ein Essen gereut,
Doch wie von der Zeit eine alte Fabel besagt
Macht auf sie das Jüngste Gericht einst Jagd.
Ein' andre Speise gibt's nachher nicht,
Heißt wohl mit Recht das letzte Gericht.‹«
Rudolph sang diese tollen Verse mit so lächerlichen Bewegungen, daß sich keiner des Lachens enthalten konnte. Als der Pilgrim wieder ernsthaft war, sagte er sehr feierlich: »Verzeiht mir, man wird unter euch wie ein Trunkener, wenn ihr mich noch lange begleitet, so wird aus meiner Pilgerschaft gleichsam eine Narrenreise.«
Man verzehrte auf der Wiese ein Mittagsmahl, das sie mitgenommen hatten, und Ludovico wurde nicht müde, sich bei Roderigo nach allerhand Neuigkeiten zu erkundigen. Roderigo verschwieg, ob aus einer Art von Scham, oder weil er vor den beiden die Erzählung nicht wiederholen mochte, seine eigne Geschichte. Er kam durch einen Zufall auf Luthern und die Reformation zu sprechen.
»Oh, schweig mir davon«, rief Ludovico aus, »denn es ist mir ein Verdruß zu hören. Jedweder, der sich für klug hält, nimmt in unsern Tagen die Partei dieses Mannes, der es gewiß gut und redlich meint, der aber doch immer mit seinen Ideen nicht recht weiß, wo er hinaus will.«
»Ihr erstaunt mich!« sagte Franz.
»Ihr seid ein Deutscher«, fuhr Ludovico fort, »ein Nürnberger, es nimmt mich nicht wunder, wenn Ihr Euch der guten Sache annehmt, wie sie Euch wohl erscheinen muß. Ich glaube auch, daß Luther einen wahrhaft großen Geist hat, aber ich bin ihm darum doch nicht gewogen. Es ist schlimm, daß die Menschen nichts einreißen können, nicht die Wand eines Hofs, ohne gleich darauf Lust zu kriegen, ein neues Gebäude aufzuführen. Wir haben eingesehn, daß Irren möglich sei, nun irren wir lieber noch jenseits, als in der geraden lieblichen Straße zu bleiben. Ich sehe schon im voraus die Zeit kommen, die die gegenwärtige Zeit fast notwendig hervorbringen muß, wo ein Mann sich schon für ein Wunder seines Jahrhunderts hält, wenn er eigentlich nichts ist. Ihr fangt an zu untersuchen, wo nichts zu untersuchen ist, ihr tastet die Göttlichkeit unsrer Religion an, die wie ein wunderbares Gedicht vor uns daliegt, und nun einmal keinem andern verständlich ist, als der sie versteht: hier wollt ihr [929] ergrübeln und widerlegen, und könnt mit allem Trachten nicht weiter vorwärts dringen, als es dem Blödsinne auch gelingen würde, da im Gegenteil die höhere Vernunft sich in der Untersuchung wie in Netzen würde gefangen fühlen, und lieber die edle Poesie glauben, als sie den Unmündigen erklären wollen.«
»Oh, Martin Luther!« seufzte Franz, »Ihr habt da ein kühnes Wort über ihn gesprochen.«
Ludovico sagte: »Es geht eigentlich nicht ihn an, auch will ich die Mißbräuche des Zeitalters nicht in Schutz nehmen, gegen die er vornehmlich eifert, aber mich dünkt doch, daß diese ihn zu weit führen, daß er nun zu ängstlich strebt, das Gemeine zu sondern, und darüber das Edelste mit ergreift. Wie es den Menschen geht, seine Nachfolger mögen leicht ihn selber nicht verstehn, und so erzeugt sich statt der Fülle einer göttlichen Religion eine dürre vernünftige Leerheit, die alle Herzen schmachtend zurückläßt, der ewige Strom voll großer Bilder und kolossaler Lichtgestalten trocknet aus, die dürre gleichgültige Welt bleibt zurück und einzeln, zerstückt, und mit ohnmächtigen Kämpfen muß das wiedererobert werden, was verloren ist, das Reich der Geister ist entflohn, und nur einzelne Engel kehren zurück.«
»Du bist ein Prophet geworden«, sagte Roderigo, »seht, meine Freunde, er hat die ägyptische Weisheit heimgebracht.«
»Wie könnt Ihr nur«, sagte der Pilgrim, »so weise und so törichte Dinge in einem Atem sprechen und verrichten? Sollte man Euch diese frommen Gemütsbewegungen zutrauen?« –
Rudolph stand auf und gab dem Ludovico die Hand, und sagte: »Wollt Ihr mein Freund sein, oder mich fürs erste nur um Euch dulden, so will ich Euch begleiten, wohin Ihr auch geht, seid Ihr mein Meister, ich will Euer Schüler werden. Ich opfere Euch jetzt alles auf, Braut und Vater und Geschwister.«
»Habt Ihr Geschwister?« fragte Ludovico.
»Zwei Brüder«, antwortete Rudolph, »wir lieben uns von Kindesbeinen, aber seitdem ich Euch gesehn habe, fühle ich gar keine Sehnsucht mehr, Italien wiederzusehn.«
Ludovico sagte: »Wenn ich über irgend etwas in der Welt traurig werden könnte, so wäre es darüber, daß ich nie eine Schwester, einen Bruder gekannt habe. Mir ist das Glück versagt, in die Welt zu treten, und Geschwister anzutreffen, die gleich dem Herzen am nächsten zugehören. Wie wollte ich einen Bruder lieben, wie hätte ich ihm mit voller Freude begegnen, meine Seele in die seinige fest hineinwachsen wollen, wenn er schon meine Kinderspiele geteilt hätte! Aber ich habe mich immer [930] einsam gefunden, mein tolles Glück, mein wunderliches Landschwärmen sind mir nur ein geringer Ersatz für die Bruderliebe, die ich immer gesucht habe. Zürne mir nicht, Roderigo, denn du bist mein bester Freund. Aber wenn ich ein Wesen fände, in dem ich den Vater, sein Temperament, seine Launen wahrnähme, mit welchem Erschrecken der Freude und des Entzückens würde ich darauf zueilen und es in meine brüderlichen Arme schließen! Mich selbst, im wahrsten Sinn, fände ich in einem solchen wieder. – Aber ich habe eine einsame Kindheit verlebt, ich habe niemand weiter gekannt, der sich um mein Herz beworben hätte, und darum kann es wohl sein, daß ich keinen Menschen auf die wahre Art zu lieben verstehe, denn durch Geschwister lernen wir die Liebe, und in der Kindheit liebt das Herz am schönsten. – So bin ich hartherzig geworden und muß mich nun selber dem Zufalle verspielen, um die Zeit nur hinzubringen. Die schönste Sehnsucht ist mir unbekannt geblieben, kein brüderliches Herz weiß von mir und schmachtet nach mir, ich darf meine Arme nicht in die weite Welt hineinstrecken, denn es kommt doch keiner meinem schlagenden Herzen entgegen.«
Franz trocknete sich die Tränen ab, er unterdrückte sein Schluchzen. Es war ihm, als drängte ihn eine unsichtbare Gewalt aufzustehn, die Hand des Unbekannten zu fassen, ihm in die Arme zu stürzen und auszurufen: »Nimm mich zu deinem Bruder an!« Er fühlte die Einsamkeit, die Leere in seinem eignen Herzen, Ludovico sprach die Wünsche aus, die ihn so oft in stillen Stunden geängstigt hatten, er wollte seinen Klagen, seinem Jammer den freien Lauf lassen, als er wieder innerlich fühlte: Nein, alle diese Menschen sind mir doch fremd, er kann ja doch nicht mein Bruder werden, und vielleicht würde er nur meine Liebe verspotten.
Unter allerhand Liedern, gegen die der andächtige Gesang des Pilgers wunderlich abstach, gingen sie weiter. Roderigo sagte: »Mein Freund, du hast nun ein paarmal deines Vaters erwähnt, willst du mir nicht endlich einmal seinen Namen sagen?«
»Und wißt Ihr denn nicht«, fiel Rudolph hastig ein, »daß Euer Freund dergleichen Fragen nicht liebt? Wie könnt Ihr ihn nur damit quälen?«
»Du kennst mich schon besser, als jener«, sagte Ludovico, »ich denke, wir sollen gute Kameraden werden. Aber warum ist dein Freund Sternbald so betrübt?«
Sternbald sagte: »Soll ich darüber nicht trauern, daß der [931] Mensch mich nun verläßt, mit dem ich so lange gelebt habe? Denn ich muß nun doch meine Reise fortsetzen, ich habe mich nur zu lange aufhalten lassen. Ich weiß selbst nicht, wie es kömmt, daß ich meinen Zweck fast ganz und gar vergesse.«
»Man kann seinen Zweck nicht vergessen«, fiel Ludovico ein, »weil der vernünftige Mensch sich schon so einrichtet, daß er gar keinen Zweck hat. Ich muß nur lachen, wenn ich Leute so große Anstalten machen sehe, um ein Leben zu führen, das Leben ist dahin, noch ehe sie mit den Vorbereitungen fertig sind.«
Unter solchen Gesprächen zogen sie wie auf einem Marsche über Feld, Rudolph ging voran, indem er auf seiner Pfeife ein munteres Lied blies, seine Bänder flogen vom Hute in der spielenden Luft, in seiner Schärpe trug er einen kleinen Säbel. Ludovico war noch seltsamer gekleidet; sein Gewand war hellblau, ein schönes Schwert hing an einem zierlich gewirkten Bandelier über seine Schulter, eine goldene Kette trug er um den Hals, sein braunes Haar war lockig. Roderigo folgte in Rittertracht, neben dem der Pilgrim mit seinem Stabe und einfachen Anzuge gut kontrastierte. Sternbald glaubte oft einen seltsamen Zug auf einem alten Gemälde anzusehn.
Es war gegen Abend, als sie alle sehr ermüdet waren, und noch ließ sich keine Stadt, kein Dorf antreffen. Sie wünschten wieder einen gutmütigen stillen Einsiedel zu finden, der sie bewirtete, sie horchten, ob sie nicht Glockenschall vernähmen, aber ihre Bemühung war ohne Erfolg. Ludovico schlug vor, im Walde das Nachtlager aufzuschlagen, aber alle, außer Florestan, waren dagegen, der die größte Lust bezeigte, sein Handwerk als Abenteurer recht sonderbar und auffallend anzufangen. Der Pilgrim glaubte, daß sie sich verirrt hätten, und daß alles vergebens sein würde, bis sie den rechten Weg wieder angetroffen hätten. Rudolph wollte den längern Streit nicht mit anhören, sondern blies mit seiner Pfeife dazwischen: alle waren in Verwirrung, und sprachen durcheinander, jeder tat Vorschläge, und keiner ward gehört. Während des Streites zogen sie in der größten Eile fort, als wenn sie vor jemand flöhen, so daß sie in weniger Zeit eine große Strecke Weges zurücklegten. Der Pilgrim sank endlich fast atemlos nieder, und nötigte sie auf diese Weise, stillezuhalten.
Als sie sich ein wenig erholt hatten, glänzten die Wolken schon vom Abendrot; sie gingen langsam weiter. – Sie zogen durch ein kleines, angenehmes Gehölz, und fanden sich auf einem runden, grünen Rasenplatz, vor ihnen lag ein Garten, mit einem Stakete umgeben, durch dessen Stäbe und Verzierungen man [932] hindurchblicken konnte. Alles war artig eingerichtet, das Geländer war allenthalben durchbrochen gearbeitet, eiserne Türen zeigten sich an etlichen Stellen, kein Palast war sichtbar. Dichte Baumgänge lagen vor ihnen, kühle Felsengrotten, Springbrunnen hörte man aus der Ferne plätschern. Alle standen still, in dem zauberischen Anblicke verloren, den niemand erwartet hatte: späte Rosen glühten ihnen von schlanken, erhabenen Stämmen entgegen, weiter ab standen dunkelrote Malven, die wie krause gewundene Säulen die dämmerndgrünen Gänge zu stützen schienen. Alles umher war still, keine Menschenstimme war zu vernehmen.
»Ist dieser Feengarten«, rief Roderigo aus, »nicht wie durch Zauberei hierhergekommen? Wenn wir mit dem Besitzer des Hauses bekannt wären, wie erquicklich müßte es sein, in diesen anmutigen Grotten auszuruhen, in diesen dunkeln Gängen zu spazieren, und sich mit süßen Früchten abzukühlen? Wenn wir nur einen Menschen wahrnähmen, der uns die Erlaubnis erteilen könnte!«
Indem wurde Ludovico einige Bäume mit sehr schönen Früchten gewahr, die im Garten standen, große saftige Birnen und hochrote Pflaumen. Er hatte einen schnellen Entschluß gefaßt. »Laßt uns, meine guten Freunde«, rief er aus, »ohne Zeremonien über das Spalier dieses Gartens steigen, uns in jener Grotte ausruhen, mit Früchten sättigen, und dann den Mondschein abwarten, um unsre Reise fortzusetzen.«
Alle waren über seine Verwegenheit in Verwunderung gesetzt, aber Rudolph ging sogleich zu seiner Meinung über. Sternbald und der Pilgrim widersetzten sich am längsten, aber indem sie noch sprachen, war Ludovico, ohne danach hinzuhören, schon in den Garten geklettert und gesprungen, er half Florestan nach, Roderigo rief den Rückbleibenden ebenfalls zu, Sternbald bequemte sich, und der Pilgrim, den auch nach dem Obste gelüstete, fand es bedenklich, ganz ohne Gesellschaft seine Reise fortzusetzen. Er machte nachher noch viele Einwendungen, auf die niemand hörte, denn Ludovico fing an aus allen Kräften die Bäume zu schütteln, die auch reichlich Obst hergaben, das die übrigen mit vieler Emsigkeit aufsammelten.
Dann setzten sie sich in der kühlen Grotte zum Essen nieder und Ludovico sagte: »Wenn uns nun auch jemand antrifft, was ist es denn mehr? Er müßte sehr ungesittet sein, wenn er auf unsre Bitte um Verzeihung nicht hören wollte, und sehr stark, wenn wir ihm nicht vereinigt widerstehen sollten.«
[933] Als der Pilger eine Weile gegessen hatte, fing er an, große Reue zu fühlen, aber Florestan sagte im lustigen Mute: »Seht, Freunde, so leben wir im eigentlichen Stande der Unschuld, im goldenen Zeitalter, das wir so oft zurückwünschen, und das wir uns eigenmächtig, wenigstens auf einige Stunden erschaffen haben. O wahrlich, das freie Leben, das ein Räuber führt, der jeden Tag erobert, ist nicht so gänzlich zu verachten: wir verwöhnen uns in unsrer Sicherheit und Ruhe zu sehr. Was kann es geben, als höchstens einen kleinen Kampf? Wir sind gut bewaffnet, wir fürchten uns nicht, wir sind durch uns selbst gesichert.«
Sie horchten auf, es war, als wenn sie ganz in der Ferne Töne von Waldhörnern vernähmen, aber der Klang verstummte wieder. »Seid unverzagt«, rief Ludovico aus, »und tut, als wenn ihr hier zu Hause wäret, ich stehe euch für alles.«
Der Pilgrim mußte nach dem Springbrunnen, um seine Flasche mit Wasser zu füllen, sie tranken alle nach der Reihe mit großem Wohlbehagen. Der Abend ward immer kühler, die Blumen dufteten süßer, alle Erinnerungen wurden im Herzen geweckt. »Du weißt nicht, mein lieber Roderigo«, fing Ludovico von neuem an, »daß ich jetzt in Italien, in Rom wieder eine Liebe habe, die mir mehr ist, als mir je eine gewesen war. Ich verließ das schöne Land mit einem gewissen Widerstreben, ich sah mit unaussprechlicher Sehnsucht nach der Stadt zurück, weil Marie dort zurückblieb. Ich habe sie erst seit kurzem kennengelernt, und ich möchte dir fast vorschlagen, gleich mit mir zurückzureisen, dann blieben wir alle, so wie wir hier sind, in einer Gesellschaft. O Roderigo, du hast die Vollendung des Weibes noch nicht gesehn, denn du hast sie nicht gesehn! all der süße, geheime Zauber, der die Gestalt umschwebt, das Heilige, das dir aus blauen verklärten Augen entgegenblickt: die Unschuld, der lockende Mutwille, der sich auf Wange, in den liebreizenden Lippen abbildet; – ich kann es dir nicht schildern. In ihrer Gegenwart empfand ich die ersten Jugendgefühle wieder, es war mir wieder, als wenn ich mit dem ersten Mädchen spräche, da mir die andern alle als meinesgleichen vorkommen. Es ist ein Zug zwischen den glatten schönen Augenbraunen, der die Phantasie in Ehrfurcht hält, und doch stehn die Braunen, die langen Wimpern wie goldene Netze des Liebesgottes da, um alle Seele, alle Wünsche, alle fremde Augen wegzufangen. Hat man sie einmal gesehn, so sieht man keinem andern Mädchen mehr nach, kein Blick, kein verstohlenes Lächeln lockt dich mehr, sie wohnt mir aller ihrer Holdseligkeit in deiner Brust, dein Herz ist wie [934] eine treibende Feder, die dich ihr, nur ihr durch alle Gassen, durch alle Gärten nachdrängt; und wenn dann ihr himmelsüßer Blick dich nur im Vorübergehn streift, so zittert die Seele in dir, so schwindelt dein Auge von dem Blick in das rote Lächeln der Lippen hinunter, in die Lieblichkeit der Wangen verirrt, gern und ungern auf dem schönsten Busen festgehalten, den du nur erraten darfst. O Himmel, gib mir nur dies Mädchen in meine Arme, und ich will deine ganze übrige Welt, mir allem, allem was sie Köstliches hat, ohne Neid jedem andern überlassen!«
»Du schwärmst«, sagte Roderigo, »in dieser Sprache habe ich dich noch niemals sprechen hören.«
»Ich habe die Sprache noch nicht gekannt«, fuhr Ludovico fort, »ich habe noch nichts gekannt, ich bin bis dahin taub und blind gewesen. Was fehlt uns hier, als daß Rudolph nur noch ein Lied sänge? Eins von jenen leichten, scherzenden Liedern, die die Erde nicht berühren, die mit luftigem Schritt über den goldenen Fußboden des Abendrots gehn, und von dort in die Welt hineingrüßen. Laß einmal alle Liebe, die du je empfandest, in deinem Herzen aufzittern, und dann sprich die Rätselsprache, die nur der Eingeweihte versteht.«
»So gut ich kann, will ich Euch dienen«, sagte Rudolph, »mir fällt soeben ein Lied von der Sehnsucht ein, das Euch vielleicht gefallen wird.
Warum die Blume das Köpfchen senkt,
Warum die Rosen so blaß?
Ach! die Träne am Blatt der Lilie hängt,
Vergangen das schön frische Gras.
Die Blumen erbleichen,
Die Farben entweichen,
Denn sie, denn sie ist weit
Die allerholdseligste Maid.
Keine Anmut auf dem Feld,
Keine süße Blüte am Baume mehr,
Die Farben, die Töne durchstreifen die Welt
Und suchen die Schönste weit umher.
Unser Tal ist leer
Bis zur Wiederkehr,
Ach! bringt sie gefesselt in Schöne
Zurücke ihr Farben, ihr Töne.
[935]Regenbogen leuchtet voran
Und Blumen folgen ihm nach,
Nachtgall singt auf der Bahn,
Rieselt der silberne Bach:
Tun als wäre der Frühling vergangen,
Doch bringen sie sie nur gefangen,
Wird Frühling aus dem Herbst alsbald,
Herrscht über uns kein Winter kalt.
Ach! ihr findet sie nicht, ihr findet sie nicht,
Habt kein Auge, die Schönste zu suchen,
Euch mangelt der Liebe Augenlicht,
Ihr ermüdet über dem Suchen.
Treibt wie Blumen die Sache als fröhlichen Scherz,
Ach! nehmet mein Herz,
Damit nach dem holden Engelskinde
Der Frühling den Weg gewißlich finde.
Und habt ihr Kinder entdeckt die Spur,
Oh, so hört, oh, so hört mein ängstlich Flehn,
Müßt nicht zu tief in die Augen ihr sehn,
Ihre Blicke bezaubern, verblenden euch nur.
Kein Wesen vor ihr besteht,
All's in Liebe vergeht,
Mag nichts anders mehr sein
Als ihre Lieb allein.
Bedenkt, daß Frühling und Blumenglanz
Wo ihr Fuß wandelt, immer schon ist,
Kommt zu mir zurück mit leichtem Tanz,
Daß Frühling und Nachtgall doch um mich ist;
Muß dann spät und früh
Mich behelfen ohne sie,
Mit bittersüßen Liebestränen
Mich einsam nach der Schönsten sehnen.
Aber bleibt, aber bleibt nur wo ihr seid,
Mag euch auch ohne sie nicht wiedersehn,
Blumen und Frühlingston wird Herzeleid,
Will indes hier im bittersten Tode vergehn.
Mich selber zu strafen,
Im Grabe tief schlafen,
[936]Fern von Lied, fern von Sonnenschein
Lieber gar ein Toter sein.
Ach! es bricht in der Sehnsucht schon
Heimlich mein Herz in der treusten Brust,
Hat die Treu so schwer bittern Lohn?
Bin keiner Sünde mir innig bewußt.
Muß die Liebste alles erfreun,
Mir nur die quälendste Pein?
Treulose Hoffnung, du lächelst mich an:
Nein, ich bin ein verlorner Mann!«
Es war lieblich, wie die Gebüsche umher von diesen Tönen gleichsam erregt wurden, einige verspäteten Vögel erinnerten sich ihrer Frühlingslieder, und wiederholten sie jetzt wie in einer schönen Schläfrigkeit. Roderigo war durch seinen Freund beherzt geworden, er erzählte nun auch sein Abenteuer mit der schönen Gräfin, und seine Freunde hörten ihn die Geschichte gern noch einmal erzählen. »Und nun, was soll ich euch sagen?« so schloß Roderigo, »ich habe sie verlassen, und denke jetzt nichts, als sie; immer sehe ich sie vor meinen Augen schweben, und ich weiß mich in mancher Stunde vor peinigender Angst nicht zu lassen. Ihr edler Anstand, ihr munteres Auge, ihr braunes Haar, alles, alle ihre Züge sah ich in meiner Einbildung. So oft bin ich in den Nächten unter dem hellgestirnten Himmel gewandelt, von meinem Glücke voll, zauberte ich mir dann ihre Gestalt vor meine Augen, und es war mir dann, als wenn die Sterne noch heller funkelten, als wenn das Dach des Himmels nur mit Freude ausgelegt sei. Ich sage dir, Freund Ludovico, alle Sinne werden ihr wie dienstbare Sklaven nachgezogen, wenn das Auge sie nur erblickt hat: jede ihrer sanften, reizenden Bewegungen beschreibt in Linien eine schöne Musik, wenn sie durch den Wald geht, und das leichte Gewand sich dem Fuße, der Lende geschmeidig anlegt, wenn sie zu Pferde steigt und im Galopp die Kleider auf- und niederwogen, oder wenn sie im Tanz wie eine Göttin schwebt, alles ist Wohllaut in ihr, wie man sie sieht, mag man sie nie anders sehn, und doch vergißt man in jeder neuen Bewegung die vorige. Es ist mehr Wollust, sie mit den Augen zu verfolgen, als in den Armen einer andern zu ruhn.«
»Nur Wein fehlt uns«, rief Florestan aus, »die Liebe ist wenigstens im Bilde zugegen.«
[937] »Wenn ich mir denke«, sprach Roderigo erhitzt weiter, »daß sich ein andrer jetzt um ihre Liebe bewirbt, daß sie ihn mit freundlichen Augen anblickt, ich könnte unsinnig werden. Ich bin auf jedermann böse, der ihr nur vorübergeht: ich beneide das Gewand, das ihren zarten Körper berührt und umschließt. Ich bin lauter Eifersucht, und dennoch habe ich sie verlassen können.«
Ludovico sagte: »Du darfst dich darüber nicht verwundern. Ich bin nicht nur bei jedem Mädchen, das ich liebte, eifersüchtig gewesen, sondern auch bei jeder andern, wenn sie nur hübsch war. Hatte ich ein artiges Mädchen bemerkt, das ich weiter gar nicht kannte, das von mir gar nichts wußte, so stand meine Begier vor ihrem Bilde gleichsam Wache, ich war auf jedermann neidisch und böse, der nur durch den Zufall zu ihr ins Haus ging, der sie grüßte und dem sie höflich dankte. – Sprach einer freundlich mit ihr, so konnte ich mir diesen Unbekannten auf mehrere Tage auszeichnen und merken, um ihn zu hassen. Oh, diese Eifersucht ist noch viel unbegreiflicher als unsre Liebe, denn wir können doch nicht alle Weiber und Mädchen zu unserm Eigentum machen; aber das lüsterne Auge läßt sich keine Schranken setzen, unsre Phantasie ist wie das Faß der Danaiden, unser Sehnen umfängt und umarmt jeglichen Busen.«
Indem war es ganz finster geworden, der müde Pilgrim war eingeschlafen, einige Hörnertöne erschallten, aber fast ganz nahe an den Sprechenden, dann sang eine angenehme Stimme:
»Treulieb ist nimmer weit,
Nach Kummer und nach Leid
Kehrt wieder Lieb und Freud,
Dann kehrt der holde Gruß,
Händedrücken,
Zärtlich Blicken,
Liebeskuß.«
»Nun werden die Obstdiebe ertappt werden«, rief Ludovico aus.
»Ich kenne diese Melodie, ich kenne diese Worte«, sagte Sternbald, »und wenn ich mich recht erinnere – –«
Wieder einige Töne, dann fuhr die Stimme fort zu singen:
»Treulieb ist nimmer weit,
Ihr Gang durch Einsamkeit
Ist dir, nur dir geweiht.
[938]Bald kömmt der Morgen schön,
Ihn begrüßet
Wie er küsset
Freudenträn'.«
Jetzt kamen durchs Gebüsch Gestalten, zwei Damen gingen voran, mehrere Diener folgten. Die fremde Gesellschaft war indes aufgestanden, Roderigo trat vor, und mit einem Ausruf des Entzückens lag er in den Armen der Unbekannten. Die Gräfin war es, die vor Freude erst nicht die Sprache wiederfinden konnte. »Ich habe dich wieder!« rief sie dann aus, »o gütiges Schicksal, sei gedankt!«
Man konnte sich anfangs wenig erzählen. Sie hatte, um sich zu zerstreuen, eine Freundin ihrer Jugend besucht, dieser gehörte Schloß und Garten. Von dem Unerlaubten des Übersteigens war gar die Rede nicht.
Die Abendmahlzeit stand bereit, der Pilgrim ließ sich nach seiner mühseligen Wanderschaft sehr wohl sein, Franz ward von der Freundin Adelheids (dies war der Name der Gräfin) sehr vorgezogen, da sie die Kunst vorzüglich liebte. Auch ihr Gemahl sprach viel über Malerei, und lobte den Albrecht Dürer vorzüglich, von dem er selbst einige schöne Stücke besaß.
Alle waren wie berauscht, sie legten sich früh schlafen, nur Roderigo und die Gräfin blieben länger munter.
Franz konnte nicht bemerken, ob Roderigo und die Gräfin sich so völlig ausgesöhnt hatten, um sich zu vermählen, er wollte nicht länger als noch einen Tag zögern, um seine Reise fortzusetzen, er machte sich Vorwürfe, daß er schon zu lange gesäumt habe. Er härte gern von Roderigo sich die Erzählung fortsetzen lassen, die beim Eremiten in ihrem Anfange abgebrochen wurde, aber es fand sich keine Gelegenheit dazu. Der Herr des Schlosses nötigte ihn zu bleiben, aber Franz fürchtete, daß das Jahr zu Ende laufen, und er noch immer nicht in Italien sein möchte.
Nach zweien Tagen nahm er von allen Abschied, Ludovico wollte bei seinem Freunde bleiben, auch Florestan blieb bei den beiden zurück. Jetzt fühlte Sternbald erst, wie lieb ihm Rudolph sei, auch ergriff ihn eine unerklärliche Wehmut, als er dem Ludovico die Hand zum Abschiede reichte. Florestan war auf seine Weise recht gerührt, er versprach unserm Freunde, ihm bald nach Italien zu folgen, ihn binnen kurzem gewiß in Rom anzutreffen. Sternbald konnte seine Tränen nicht zurückhalten, als er [939] zur Tür hinausging, den Garten noch einmal mit einem flüchtigen Blicke durchirrte. Der Pilgrim war sein Gefährte.
Draußen in der freien Landschaft, als er nach und nach das Schloß verschwinden sah, fühlte er sich erst recht einsam. Der Morgen war frisch, er ging stumm neben dem Pilger hin, erinnerte sich aller Gespräche, die sie miteinander geführt, aller kleinen Begebenheiten, die er in Rudolphs Gesellschaft erlebt hatte. Sein Kopf wurde wüst, ihm war, als habe er die Freude seines Lebens verloren. Der Pilgrim verrichtete seine Gebete, ohne sich sonderlich um Sternbald zu kümmern.
Nachher gerieten sie in ein Gespräch, worin der Pilger ihm den genauen Zustand seiner Haushaltung erzählte. Sternbald erfuhr alle die Armseligkeiten des gewöhnlichen Lebens, wie jener ein Kaufmann von mittelmäßigen Glücksumständen sei, wie er darnach trachte, mehr zu gewinnen und seine Lage zu verbessern. Franz, dem die Empfindung drückend war, aus seinem leichten poetischen Leben so in das wirkliche zurückgeführt zu werden, antwortete nicht, und gab sich Mühe, gar nicht darnach hinzuhören. Jeder Schritt seines Weges ward ihm sauer, er kam sich ganz einsam vor, es war ihm wieder, als wenn ihn seine Freunde verlassen hätten und sich nicht um ihn kümmerten.
Sie kamen in eine Stadt, wo Franz einen Brief von seinem Sebastian zu finden hoffte, von dem er seit lange nichts gehört hatte. Er trennte sich hier von dem Pilgrim und eilte nach dem bezeichneten Mann. Es war wirklich ein Brief für ihn da, er erbrach ihn begierig, und las:
Liebster Franz!
Wie Du glücklich bist, daß Du in freier, schöner Welt herumwanderst, daß Dir nun das alles in Erfüllung geht, was Du sonst nur in Entfernung dachtest, dieses Dein großes Glück sehe ich nun erst vollkommen ein. Ach, lieber Bruder, es will mir manchmal vorkommen, als sei mein Lebenslauf durchaus verloren: aller Mut entgeht mir, so in der Kunst, als im Leben fortzufahren. Jetzt ist es dahin gekommen, daß Du mich trösten könntest, wie ich Dir sonst wohl oft getan habe.
Unser Meister fängt an, oft zu kränkeln, er kam damals so gesund von seiner Reise zurück, aber diese schöne Zeit hat sich nun schon verloren. Er ist in manchen Stunden recht melancholisch: dann wird er es nicht müde, von Dir zu sprechen, und Dir das beste Schicksal zu wünschen.
Ich bin fleißig, aber meine Arbeit will nicht auf die wahre [940] Art aus der Stelle rücken, mir fehlt der Mut, der die Hand beleben muß, ein wehmütiges Gefühl zieht mich von der Staffelei zurück. – Du schreibst mir von Deiner seltsamen Liebe, von Deiner fröhlichen Gesellschaft: ach, Franz, ich bin hier verlassen, arm, vergessen oder verachtet, ich habe die Kühnheit nicht, Liebe in mein trauriges Leben hineinzuwünschen. Ich spreche zur Freude: was machst du? und zum Lachen: du bist toll! – Ich kann es mir nicht vorstellen, daß mich einst ein Wesen liebte, daß ich es lieben dürfte. Ich gehe oft im trüben Wetter durch die Stadt, und betrachte Gebäude und Türme, die mühselige Arbeit, das künstliche Schnitzwerk, die gemalten Wände, und frage dann: Wozu soll es? Der Anblick eines Armen kann mich so betrübt machen, daß ich die Augen nicht wieder aufheben mag.
Meine Mutter ist gestorben, mein Vater liegt in der Vorstadt krank. Sein Handwerk kann ihn jetzt nicht nähren, ich kann nur wenig für ihn tun. Meister Dürer ist gut, er hilft ihm und auf die beste Art, so daß er mich nichts davon fühlen läßt, ich werde es ihm zeitlebens nicht vergessen. Aber warum kann ich nicht mehr für ihn tun? Warum fiel es mir noch im sechszehnten Jahre ein, ein Maler zu werden? Wenn ich ein ordentliches Handwerk ergriffen hätte, so könnte ich vielleicht jetzt selber meinen Vater ernähren. Es dünkt mir töricht, daß ich an der Ausarbeitung einer Geschichte arbeite, und indessen alles wirkliche Leben um mich her vergesse.
Lebe wohl, bleibe gesund. Sei in allen Dingen glücklich. Liebe immer noch
Deinen Sebastian.
Franz ließ das Blatt sinken und sah den Himmel an. Sein Freund, Dürer, Nürnberg und alle ehemaligen bekannten Gegenstände kamen mit frischer Kraft in sein Gedächtnis. »Ja, ich bin glücklich«, rief er aus, »ich fühle es jetzt, wie glücklich ich bin! Mein Leben spinnt sich wie ein goldener Faden auseinander: ich bin auf der Reise, ich finde Freunde, die sich meiner annehmen, die mich lieben, meine Kunst hat mich wider Erwarten fortgeholfen, was will ich denn mehr? Und vielleicht lebt sie doch noch, vielleicht hat sich die Gräfin geirrt. – Leben nicht Rudolph und Sebastian noch? Wer weiß, wo ich meine Eltern finde. O Sebastian, wärst du zugegen, daß ich dir die Hälfte meines Mutes geben könnte!«
[941]