[178] Dämmerung

Schwer auf die Gassen der Stadt fiel die Abenddämmerung.
Auf das Grau der Ziegeldächer und der schlankenTürme,
Auf Staub und Schmutz,
Lust und Leid und Lüge der Großstadt
In majestätischer Unerbittlichkeit.
Aus Riesenquadern gebrochen dunkelten die Wolkenblöcke
Brütend, starr ... Und in den Lüften lag's
Wie wahnwitziger Trotz, wie totenjähes Aufbäumen –
Fern im West verröchelte der Tag.
Durch die herbstbraunen Kastanienbäume
prasselte der Nachtsturm,
Wie wenn Welten sich zum Wachen wecken
Und zur letzten, blutigen Entscheidungsschlacht.
Trotz im Herzen und wilde Träume von Kampf
und Not und brausendem Sieg,
Lehnt' ich am Eisengitter meines Balkons und sah
Die tausend Feuer blecken und die roten Bärte flackern,
Sah den wunden Riesen
einmal noch das Flammenbanner raffen.
Einmal noch das alte, wilde Heldenlied aufhämmern
In wirbelnden Akkorden –
Und zusammenstürzen
Und vergrollen
Dumpf –
Fern ...
Auf der Straße Droschkenrasseln.
Musik. Singende Reservisten.
Jäh fahr ich auf –
Über Türmen und Dächern braust die Nacht.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Stadler, Ernst. Gedichte. Verstreute Gedichte aus den Jahren 1902 bis 1904. Dämmerung. Dämmerung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1568-9