[161] Vierzehntes Capitel.
Als ich aber am nächsten Morgen in der ersten Dämmerstunde erwachte, wußte ich es. Es war das gestickte Band gewesen, welches ich gestern Abend in dem Blumenbouquet aus dem Rosenholzschränkchen zwischen den Fenstern entdeckte, und in welchem ich im Halbschlaf eine gar freundliche und liebliche Auflösung aller der Räthsel, die mich hier umgaben, gefunden zu haben glaubte. Jetzt, mit hellwachen Sinnen, sah ich freilich wieder nichts darin, als eine sentimentale Albernheit des guten Fräulein Duff. Wie dem auch sein mochte, es erfaßte mich eine Unruhe, die mich von meinem seidenen Lager emportrieb. Ich kleidete mich schnell an. Ein Spatzenpaar, das irgendwo in der Nähe unter dem Dache nisten mußte, fing eine lebhafte Unterhaltung an und schwieg dann plötzlich – sie hatten zu früh Tag gemacht.
Ich nicht minder. Konnte ich doch, als ich mit dem seidenen Bande an das Fenster trat, die goldenen Perlen-Lettern der Schrift von dem blauen Grunde nicht unterscheiden. Ich wurde ein wenig ärgerlich über meine kindische Neugier. War ich hierher gekommen, Räthsel zu lösen?
Dennoch hielt ich die Schleife noch in der Hand, als es draußen heller zu werden und der erste rosige Morgenschimmer das Gewölk im Osten zu umsäumen begann. Schon unterschied ich deutlich die Wege und Beete in den Anlagen unter mir, ja auf den Beeten bald den gelben Krokos von den blauen Hyacinthen. Und abermals senkte sich mein Blick auf das magische Band, und ich las jetzt deutlich noch einmal die bekannte Devise.
Nun, sagte ich bei mir, mag es ernsthaft gemeint sein oder nicht, mag es eine sentimentale Albernheit der Duenna, oder ein übermüthiger Scherz des schönen Mädchens sein – es ist ein gutes Wort, und ich will es mir gesagt sein lassen. Treu will ich suchen, und, was das Finden anbetrifft, so will ich mir darüber nicht den Kopf zerbrechen.
Ich steckte das Band zu mir, damit es nicht etwa gar Wilhelm Kluckhuhn in die neugierigen Hände fiele, und verließ mein Zimmer. Durch das geräumige Haus, in welchem noch überall auf den teppichbelegten Corridoren und Treppen Dämmerung [162] und Schweigen herrschten, suchte und fand ich eine Thür, welche mich aus dem unteren Flur in's Freie leitete.
Es war eine kleine Seitenthür gewesen, ähnlich wie die, durch welche man in dem alten Hause auf den ruinenhaften Hinterhof gelangte. Der Hinterhof war natürlich verschwunden und überhaupt Alles so verändert, daß ich mich auf einem mir vollkommen fremden Terrain in einer ganz neuen Umgebung befand. Aber ich sah bald: es war nicht nur etwas Neues und Anderes, was man hier geschaffen, sondern etwas, das zu dem Früheren einen vollkommenen Gegensatz bildete. So colossal und offenbar unwohnlich das alte Schloß in breiten, schmucklosen Massen aufgeragt hatte, so verhältnißmäßig klein, aber augenscheinlich zweckmäßig eingerichtet, in einem zierlichen, wenn auch vielleicht nicht ganz reinen Styl präsentirte sich das jetzige Wohnhaus. Der Wirthschaftshof, dessen eine Seite damals das Herrenhaus begrenzte, war ein paar hundert Schritte weiter weg gelegt worden. Das Herrenhaus umgab jetzt ringsum ein freier Platz, welcher nach allen Seiten von Anlagen, denen man freilich ihr jugendliches Alter nur zu deutlich ansah, eingenommen wurde. Man hatte wohl die Absicht gehabt, eine kleine blühende Oase, deren Mittelpunkt das Wohnhaus war, von dem übrigen, dem Nutzen geweihten Boden auszusondern – ein hübscher Gedanke, der nur noch vielleicht einige zwanzig Jahre zu seiner Verwirklichung brauchte.
Es war eben eine neue Zeit, die hier eingezogen war. In welchem Glanz der Neuheit blickten die Ziegeldächer des Hofes zwischen den jungen Pappeln herüber! Rechts vom Hofe auf einer Strecke, wo früher eine weite Brache vergebens der Kultur geharrt hatte, schimmerten jetzt unendliche Flächen grüner Saat, und welch' neuen, für diese Gegend fast unglaublichen Anblick gewährte weiter rechts der Complex von Gebäuden in rothem Ziegelstein, aus deren Mitte ein riesiger Schornstein so eben eine schwere Rauchwolke in den lichten Morgenhimmel sandte. Es war die vor zwei Jahren angelegte Brennerei, zu welcher wir im Laufe des Winters eine neue Maschine geliefert hatten. Bis zu dieser Stelle mußte sich nach meiner Berechnung früher der Parkwald erstreckt haben. Jetzt war kein Baum zu sehen; und immer noch kein Baum, als ich um das Haus herumging und in den Theil der Anlagen gelangte, in welchen ich vorhin aus meinem Fenster [163] einen Blick geworfen. Ich überzeugte mich, daß dies wahr und wahrhaftig der Platz der großen Parkwiese sein mußte; aber vergebens suchte das Auge jetzt nach der herrlichen Wand, mit welcher die prächtigen Buchen das weite Revier nickenden Grases begrenzt hatten. Bis zu den Hügeln hinauf, über welche man zu dem Vorgebirge aufstieg, war der stolze Wald abgetrieben und die Stümpfe, die man fast überall vorläufig stehen gelassen, gaben dem Terrain das Ansehen eines riesigen, schlecht unterhaltenen Friedhofes. Hier und da hatte man auf vollständig gerodeten Stellen angefangen, wieder nachzusäen und nachzupflanzen, aber die jungen Schonungen sahen kümmerlich aus und würden schwerlich je so riesige Stämme liefern, wie man sie hier und da bereits zugehauen zwischen den Stumpfen liegen sah.
Ich schritt weiter auf dem gut unterhaltenen Fahrweg, der hügelauf nach dem Vorgebirge führte und ungefähr die Richtung verfolgte, wie der alte Weg, auf welchem man durch den Wald zu dem Weiher gelangte. Und dies hier mußte die Stelle sein; diese fast kreisrunde Vertiefung, auf deren Grunde noch hier und da zwischen schon begrasten Stellen Lachen schwarzen Wassers blinkten. Du lieber Gott! abgrundtief hatte er sein sollen der düstere Waldsee und jetzt sah man, daß seine größte Tiefe nicht dreißig Fuß betragen! Man hatte ganz einfach das Ufer in der Richtung des Strandes durchstochen und das Wasser abgelassen, um den Moder zu gewinnen, in welchen sich die Blätter, die Jahrtausende lang von den Bäumen herabgeweht waren, auf dem Grunde des Sees verwandelt. Nun, der Dünger mochte den erschöpften Feldern trefflich zu Gute gekommen sein; aber hier war es häßlich geworden, verzweifelt häßlich auf einer Stelle, die damals die süßesten Schauer der Waldeinsamkeit umwitterten. Nur einen einzigen der stolzen Riesen hatte man stehen lassen auf der mittleren Abdachung des Hügels. Es war eine gewaltige, vielhundertjährige Buche, welche ich, trotzdem sie sich jetzt, da sie ringsum frei stand, ganz anders präsentirte, wieder zu erkennen glaubte. Und ich hatte mich nicht getäuscht. Da stand auf der graugrünen Rinde mit zum Theil halbverwachsenen, aber noch wohl lesbaren Lettern mein Vorname und ein Datum, das Datum des Tages, an welchem ich Konstanze von Zehren an jenem sonnigen Herbstmorgen zuerst unter eben diesem Baum gesehen!
[164] Es war doch ein eigener Zufall, daß gerade dieser Baum von all' den schönen prächtigen Bäumen hatte erhalten bleiben müssen!
Ein Gefühl von Trauer und Wehmuth wollte mich übermannen. Ich blickte tief athmend hinauf zu dem hellen Himmel. Jener Morgen war schön gewesen, aber die Blätter hatten schon zu fallen begonnen, und der Winter, der die ganze Schönheit auslöschen sollte, vor der Thür gestanden; und heute war der Morgen auch schön, und Frühling war's, und die langen Sommer-Tage voll Licht und Sonnenschein kamen erst, die Tage der Arbeit, auf welche dann auch die Ernte nicht ausbleiben mochte!
Ja, sprach ich bei mir selbst, indem ich rüstig hügelauf und jetzt über den Rücken des Vorgebirges schritt, ja, jene Welt mußte untergehen mit ihrem trauten Waldesrauschen und dem geheimnißvollen Plätschern dunkler Seen aus grauer Vorzeit, mit ihren bröckelnden Schlössern, ihren zerfallenen Höfen und brach liegenden Feldern. Selbst du mußtest verschwinden, altersgraue Thurm-Ruine, und diesem kleinen Pavillon Platz machen, aus dessen Fenstern es sich gar schön hinausschauen lassen muß über die Fläche des Plateaus auf das Meer.
Hier war es, wo der Thurm gestanden! Ein bunter Schmetterling hatte sich an die Stelle gesetzt, wo der kriegerische Aar so lange gehorstet. Ich ging um den zierlichen Bau, dessen Thür verschlossen und hinter dessen blanken Fenstern die seidenen Vorhänge heruntergelassen waren, rings herum. An der Südseite standen unter einem weit vorspringenden Dach mehrere Bänke und Tische.
Während ich hier saß und, den Kopf aufgestützt, in die Weite schaute, ging die Sonne auf. Zitternd in ihrem Glanz stieg sie hervor aus dem Meer, aber es war nicht blos das Uebermaß des Lichtes, das mich meine Augen schließen machte. Ich hatte sie schon einmal aufgehen sehen von eben dieser Stelle, und hier, wo ich saß, hatte ein Todter gesessen und mit den gebrochenen Augen, auf denen die ewige Nacht bleiern lag, in all' die Herrlichkeit gestarrt!
Ein thränengieriges Weh stieg in meiner Brust auf, aber ich kämpfte es muthig nieder. Das war gewesen; es durfte nicht wieder kommen, wenn es mir nicht den Tag verdüstern wollte, den hellen Tag, welchen ich schon längst als ein Geschenk [165] gütiger Götter zu begrüßen und entgegenzunehmen gewohnt war.
Ruhig erhob ich mich und wandte mich zu der Schlucht, die ich in jener Schreckensnacht mit dem wilden Zehren auf kaum gangbarem Pfade erklommen und wo jetzt eine Treppe mit vielen und bequemen Stufen gemächlich zu der Schneidemühle hinabführte, von welcher mir gestern Abend der Commerzienrath erzählt hatte, und deren Klappern eben aus der Tiefe zu mir herauf zu schallen begann. Es war nur ein kleines, aber vortrefflich eingerichtetes Werk, und hatte seinen Dienst so gut gethan, daß der ganze Wald von Zehrendorf bis auf einen kleinen Rest bereits von seinen Sägen zerschnitten war.
»Ich wollte, wir wären nicht so fleißig gewesen,« sagte der Meister, den ich in der Mühle fand; »denn mit unserem Wald haben wir uns auch das Wasser abgeschnitten, so daß wir nur noch ein Drittel der Zeit arbeiten, und die Bestellungen gar nicht ausführen können, die von allen Seiten kommen. Nachdem es ihnen der Herr Commerzienrath vorgemacht, wollen nämlich alle es ihm nachmachen, und denken auch nicht an die Zukunft, sondern lassen schlagen, was fallen will, daß nächstens kein Baum mehr auf diesem Theil unserer Insel zu sehen sein wird. Ich habe es dem Herrn Commerzienrath genug gesagt, aber er wollte ja nicht hören, nun er hat den Schaden.«
»Dem wäre vielleicht durch eine kleine Dampfmaschine abzuhelfen,« meinte ich.
»Schon gut,« sagte der Mann, »nur ist Wasser billiger als Dampf; aber das kann ja immer nicht genug einbringen, und man schlachtet das Huhn, um das Ei zu haben. So riethen Alle, die etwas davon verstanden, dem Herrn, schon darum den Wald nicht auf einmal abzuholzen, um dem jungen Nachwuchs Schutz vor den Winden zu gewähren, die hier auf der Höhe gar scharf wehen. Nun kommt auf dem kahlen, von der Luft vollends ausgetrockneten Boden nichts von der Stelle, wie der Herr ja gesehen haben wird, wenn er vom Schloß aus über die Höhe gekommen ist. Ja, ja, mit der Natur darf man nicht umspringen in der Weise, die ist nicht so geduldig wie wir Menschen.«
Es war ein kleiner Mann mit einem ernsten, klugen Gesicht, der also zu mir sprach. Aus einem andern Theil der [166] Insel, wie er mir sagte, gebürtig, kannte er die Natur und Art des Landes und Volkes wohl, war aber in dieser Gegend zum erstenmal. Ich gab mich ihm als denjenigen zu erkennen, der die neuen Maschinen in dem Kreidebruche aufstellen sollte, und fragte ihn, was er von diesem Unternehmen halte.
»Das wird auch nicht viel besser werden, als dieses hier,« erwiederte der Mann, »wenn auch aus einem andern Grunde. Der Bruch ist von Anfang an ausgiebig genug gewesen, aber der Herr hat sich eingeredet, man brauche nur tiefer zu treiben, dann werde es sich erst finden. Nun ja, gefunden hat man es, nämlich das Wasser, das den ganzen Bau zu Grunde richten wird, wenn Ihre Maschinen es nicht bewältigen. Und schließlich ist damit auch nicht viel gethan, denn was gerettet werden wird, ist vielleicht nicht werth, daß man es rettet.«
»Das sieht ja traurig aus,« sagte ich, über Alles, was ich hörte, ernstlich bekümmert.
»Freilich,« sagte der Mann.
»Und die Brennerei,« fing ich von Neuem an: »müssen Sie auch der ein so schlechtes Zeugniß geben?«
Der Mann zuckte mit den Achseln. »Darüber ließe sich vieles sagen,« erwiederte er. »Die Anlage ist ja soweit ganz gut, nur ist sie von Hause aus zu theuer gebaut, und dann ist der Transport zu schwierig im Winter auf unseren schauderhaften Wegen. Und selbst während des Sommers stockt er manchmal, weil wir überall hier auf der Küste nur schlecht an's Land und in See kommen können, trotzdem der Herr Commerzienrath aus den Steinen des Thurmes einen großen Molo hat bauen lassen. Sie können ihn von hier aus sehen, da, wo die Wellen aufbranden. Das möchte aber Alles noch gehen, wenn der Herr Commerzienrath sich bei den Leuten beliebter zu machen wüßte.«
»Wie das?« fragte ich.
Der Mann blickte mich ein wenig scheu unter seinen buschigen Brauen an.
»Sie können ganz offen sprechen,« sagte ich, »ich war selbst bis vor wenigen Tagen nichts als ein einfacher Arbeiter in des Commerzienraths Maschinenfabrik und habe in der kurzen Zeit nicht verlernt, mit meinen Kameraden zu sympathisiren.«
»Nun,« sagte der Andere, »wenn ich offen sprechen darf: ich meine so. Die Leute hier herum, die Schiffer sowohl, wie [167] die Kathenleute, und rings in den Dörfern am Strande und auf dem Lande – sie sehen den Commerzienrath an als Einen, der sich hier eingedrängt hat, und da sitzt, wo bessere Leute vor ihm gesessen haben oder sitzen sollten. Nun, mit dem Bessersein wird das wohl so seine eigene Bewandtniß haben, aber ich rede nicht aus meinen eigenen Gedanken, sondern aus denen der Leute. Dazu kommt, daß sich viele von ihnen erinnern, daß der Commerzienrath nicht immer der reiche Mann war, und – was das Schlimmste ist – Einer oder der Andere weiß recht gut, oder glaubt recht gut zu wissen, wie all' das sündhaft viele Geld zusammengekommen, denn er hat vielleicht selbst dafür gearbeitet und auch wohl seine Haut zu Markte getragen, in den Zehner-Jahren, als es ein bischen bunt herging hier an dieser Küste und bis nach Uselin und Woldom und noch weiter hinauf. Hat doch noch erst vor wenigen Jahren hier eine richtige Hetze auf die Pascher stattgefunden, von welcher der Herr vielleicht gehört hat! Nun, das möchte ja Alles sein und der Commerzienrath käme doch darüber weg, wenn er ein Herr wäre, der nicht nur lebt, sondern auch leben ließe; der, was er vielleicht früher schlecht gemacht hat, wieder gut zu machen suchte, und dem armen Mann auch das Seine gönnte. Aber davon ist ja keine Rede. Er schneidet und drückt sie, wo er kann und denkt: sie müssen doch arbeiten! Aber er irrt sich sehr. Ja, sie arbeiten wohl, aber nur die, welche sich gar nicht anders zu helfen wissen, und was dies für eine Sorte Arbeiter ist, und was für eine Sorte Arbeit sie liefern, das weiß der Herr ja selbst wohl recht gut.«
»Freilich, freilich!« sagte ich.
Ein Knecht trat herzu; es waren neue Stämme aufzulegen, der Meister mußte an die Arbeit. Ich schüttelte ihm die Hand. Er blickte mich mit seinen melancholischen Augen an, und sagte lächelnd: »Sie haben mich jetzt in der Hand, wenn Sie dem Herrn Commerzienrath wieder erzählen, was Sie von mir gehört. Aber es thut nichts: meines Bleibens ist hier so wie so nicht viel länger.«
»Das wäre Jammer und Schade,« rief ich; »im Gegentheil, ich hoffe, wir werden noch manches gute Wort zusammen reden und manchen guten Rath zusammen ausdenken. Werfen Sie die Flinte noch nicht in's Korn; das wird hier Alles anders und besser werden.«
[168] Der Mann sah mich einigermaßen verwundert an, erwiederte aber nichts, sondern wandte sich, in die Mühle zu gehen, und ich stieg die Treppe zum Strande vollends hinab.
Da war nun mein Meer, mein vielgeliebtes Meer, das ich stets vor Freude weinend begrüßte, wenn der Traumgott mich an sein Gestade brachte und es vor mir ausbreitete in seiner Herrlichkeit. Da kamen sie herangerollt die schönen, grünen Wogen mit den weißen, sich überstürzenden Kämmen: der Gischt der Brandung trieb hinauf bis an meine Füße; und wenn sie wieder zurückrollten, donnerte es dumpf hinter ihnen her zwischen den Millionen aneinander knirschender Kiesel. Ueber mir an den Kreidefelsen hin zogen ein paar Möven trägen Fluges, und draußen auf der Höhe blinkten die Segel von ein paar Fischerbooten, die von der See hereinkamen nach schwerer nächtlicher Arbeit. Wie hatte ich mich gefreut, das Alles, was ich so lang entbehrt, endlich einmal wiederzusehen, und jetzt, als ich es sah, ließ es mich beinahe kalt!
Wohl ohne meine Schuld. Die Sinne waren mir so frisch als je und auch mein Herz war in den acht oder neun Jahren nicht so viel älter geworden – ich konnte mich nur der sorgenvollen Gedanken nicht erwehren, welche die Worte des wackern, verständigen Mannes oben in der Strandmühle in mir aufgeregt hatten.
Wie stimmten die Ansichten, die er geäußert, so ganz mit den Beobachtungen, die ich im Laufe meines morgendlichen Spazierganges gemacht! mit wie scharfen Linien hatte er das Bild des Commerzienrathes gezeichnet, gerade, wie ich ihn von jeher und noch gestern Abend gesehen! Das war ein Rühmen und Prahlen gewesen, in wie kurzer Zeit er den Werth des Gutes verdreifacht und verfünffacht habe und was er Alles für die Menschen hier herum gethan! Er werde einmal den Herren Edelleuten, die sämmtlich um fünfzig Jahre oder so in landwirtschaftlicher Einsicht zurück seien, zeigen, was ein einfacher Geschäftsmann, wie er, aus einem heruntergekommenen Gute machen könne; das sei das einzige wahre Interesse gewesen, das er an der ganzen Sache genommen, und wenn der junge Fürst zugreifen wolle, so möge er's bald thun, sonst dürfte er zu spät kommen.
Fünfmalhunderttausend Thaler, eine halbe Million! Wie sollte die herauskommen? Das sehr große Gut war freilich [169] damals, vollkommen heruntergewirthschaftet, wie es war, noch immer hundertfunfzigtausend Thaler werth gewesen, und dafür hatte es der Commerzienrath auch bei der Auseinandersetzung übernommen. Jetzt, wo es doch jedenfalls in besserer Cultur stand, wo der Hof von Grund aus neu aufgeführt, das schmucke Wohnhaus erbaut war und die Fabrikanlagen, so schlecht sie rentiren mochten, doch immer in's Gewicht fielen, mochte der Werth auf das Doppelte gestiegen sein; aber dafür war ja auch der kostbare Wald niedergelegt und zu Gelde gemacht – die Sache wollte nicht stimmen, wie ich auch rechnete und rechnete; es fehlte immer mehr als die Hälfte. Wenn die Angaben des Commerzienrathes über seine Verhältnisse immer so ungenau waren, – auch den Werth seiner Fabrik hatte er gestern Abend in derselben Proportion überschätzt – wenn er den Ueberreichen nur spielte, weil er es vielleicht einmal gewesen, wenn er – ich blieb nach der See gewandt stehen und athmete ein paar mal tief auf. Wiederum, an diesem klaren Morgen, hier in der frischen Seeluft, kam die düstere Ahnung über mich, die ich gestern in dem schwülen Zimmer für eine Ausgeburt meiner von dem heißen Wein fieberhaft erregten Phantasie gehalten, und wiederum, wie gestern, mußte ich sofort an das schöne Mädchen denken, die vielbeneidete, übermüthige Erbin eines Reichthums, der vielleicht nur noch in den prahlerischen Lügen ihres Vaters existirte.
»Aber was geht es dich schließlich an,« sprach ich bei mir, indem ich mit raschen Schritten durch den tiefen Sand des Strandweges wadete; »gar nichts geht es dich an, gar nichts.«
Zu meinem Füßen lag ein großer Fisch, den die Wellen eben ausgeworfen haben mußten. Er schien todt, aber er war unverletzt, die weit aufgesperrten Kiemen waren noch roth, vielleicht hatte ihn die Brandung nur zu hart gegen einen der Ufersteine geschleudert, oder der Schlag eines Seehundes hatte ihn betäubt. Ich trug ihn – nicht ohne mir die Füße naß zu machen – über die ersten Steine und schleuderte ihn in das tiefere Wasser. Er kehrte den weißen Bauch nach oben. Armes Thier, sagte ich, ich hätte dir gern geholfen; nun werden dich die Möven fressen; sie freuen sich, daß du todt bist.
Und was ging der todte Fisch dich an, philosophirte ich [170] weiter, indem ich meinen Weg fortsetzte und mir den nassen Sand von den Füßen schüttelte; auch nichts, erst recht nichts! Ein Mövenherz muß man haben, und scharfe Fänge und einen starken, spitzen Schnabel und lustig loshacken auf jede gute Beute, die uns eine günstige Welle an den Strand wirft. Georg, Georg! schäme dich! und es hilft dir ja doch nichts! Du kannst dich nicht anders machen, als du bist. Aber freilich, du kannst die anderen Menschen auch nicht anders machen, als sie sind. Den Commerzienrath zum Beispiel. Wirst du den Mann je zu der Lehre deines Meisters bekehren? Zu der Lehre der Liebe, der gegenseitigen Hülfsbereitschaft? Nimmermehr, oder höchstens, wenn du ihm beweisen könntest, daß sein Vortheil damit Hand in Hand geht, daß er sich schließlich zu Grunde richtet, wenn er hier und überall nur auf Raubbau aus ist. Hatte der Meister das nicht Alles vorausgesagt: An ihn und seinesgleichen ist die Reihe gekommen, sie sind jetzt die Ritter vom Hammer; es ist das alte Spiel in etwas anderer Form! – Und er hatte hinzugefügt – und ein herrliches Feuer hatte dabei in seinen schönen Augen geglüht: Es wird nicht lange dauern und dann wird unsere Zeit kommen, die wir begriffen haben, daß es eine Gerechtigkeit giebt, die sich nicht spotten läßt!
Diese Zeit! unsere Zeit! sie wird nie kommen, sagt Doctor Willibrod, oder doch gewiß nur für den, der sie sich erobert, der sie festhält an dem flatternden Gewande.
Ob meinem Haupte kreischte eine Möve, ich blickte hinaus und sah über den Strand des fünfzig Fuß hohen, noch immer ziemlich steilen Ufers, und über die Büsche weg, die an dem Rande wuchsen, etwas Weißes flattern, wie den Zipfel eines Gewandes. Es war kein Gewand, sondern ein weißer Schleier, der von dem Hut einer Reiterin wehte. Auch den Hut zu dem Schleier sah ich auf ein paar Augenblicke und den nickenden Kopf eines Pferdes und ganz flüchtig die Reiterin selber, oder wenigstens ihren Kopf und ihre Schultern, wie sie sich vornüber oder seitwärts beugte, auf den schmalen Vorstrand hinabzuschauen.
Mir schlug das Herz – das Ding sah auch zu gefährlich aus, obgleich ich wußte, daß es nicht ganz so gefährlich war, wie es von unten aussah; ich rief auch hinauf, sie solle sich in Acht nehmen; das hatte sie aber wohl schwerlich gehört, denn der weiße Schleier war verschwunden, und – das Herz [171] schlug mir noch immer. Paula mochte es verantworten; sie war schuld, wenn ich die schöne Hermine nicht ruhig fünfzig Fuß hoch von einem steilen Felsufer herabstürzen sehen konnte – noch dazu in meine Arme.
Hollah! höhnte ich mich, die alberne Beklemmung los zu werden, die sich – ich weiß nicht wie – um meine Brust gelegt hatte – hollah! gab es da wieder einmal etwas zu retten, zu schützen? alte schlaue Commerzienräthe – todte, dumme Fische – schöne, übermüthige, junge Mädchen, – dir ist Alles gleich, wenn du dir nur bei dem Geschäft die Finger verbrennen oder die Füße naßmachen kannst. Wie lange ist es her, daß du hier an diesem selben Strande mit dem Wilden dahineiltest und die Zollwächter Euch auf den Fersen waren? Die Fußtapfen selbst würdest du noch sehen können, hätten Wind und Wellen sie nicht verwischt: aber du großer, du dummer Hans, du findest auch ohne das die alte Spur!
So schalt ich mich und beschloß, direct zu dem Hause zurückzukehren und dem Commerzienrath zu sagen, daß ich – es sei ganz gleich warum – aber daß ich zurück müsse und unter keiner Bedingung bleiben werde, und während ich diesen Entschluß faßte, – dessen Ausführung unzweifelhaft den ganzen Gang meines Lebens geändert hätte, und den auszuführen mir also nicht beschieden war, – beobachtete ich schon voller Interesse die Anlagen des Kreidebruches, die jetzt, als ich mich um eine scharfe Ecke des Ufers wandte, in einer mäßig steilen Schlucht vor mir lagen. Es wäre doch mehr als unziemlich gewesen, hätte ich das Werk, das auszuführen ich gerufen und gekommen war, so schmählich im Stich gelassen!
So stieg ich denn die hölzernen, in den Kreidefelsen hineingearbeiteten Stiegen hinauf, bis ich an die kleine Platform gelangte, wo hinter dem Wärterhäuschen der Eingang in den Stollen sich befand, den man horizontal in den Felsen getrieben hatte, und der jetzt nicht mehr befahren werden konnte, weil man weiter hinten auf Quellen gestoßen war, deren Wasser man jetzt mit ziemlich rohen Pumpvorrichtungen vergeblich zu bewältigen suchte.
»Und es fragt sich noch sehr, ob es auch nur mit Ihren Maschinen zu heben ist,« sagte der alte, wettergebräunte Aufseher der mich herumführte.
[172] »Aber wie ist dies nur so gekommen?« fragte ich.
»Wie das so kommt,« erwiederte der Aufseher, die Achseln zuckend; »hinter der Kreide, sehen Sie, die gerade bis hierher steht« – wir gingen auf der Höhe des Ufers und er faßte an eine Stange, die zum Wahrzeichen in den Boden getrieben war – »ist eine Sandschicht, alter Meer- und Dünensand, der mit der Kreide fast in gleicher Tiefe wegstreicht, und auf der andern Seite wieder an das große Moor stößt, aus dem er das Wasser einsaugt wie ein Schwamm. Das wußten wir Alle recht gut, aber der Herr hat es ja nicht glauben wollen und ja wohl gemeint, wir wollten ihn nur um seinen Vortheil bringen, wenn wir ihm riethen, nach der Seite nicht weiter zu gehen, wo allerdings die Kreide für den Augenblick ganz besonders gut war. Nun hat er den Schaden!«
Nun hat er den Schaden!
Genau dasselbe hatte der Mann in der Schneidemühle gesagt und beide schienen sie tüchtige, ehrliche Männer, die einen aufrichtigen Antheil an dem Gedeihen der Werke genommen haben würden, und die jetzt das Mißlingen nicht minder ernstlich bekümmerte. Warum war er ihrem Rathe nicht gefolgt, als es noch Zeit war? warum? Aus demselben Grunde, weshalb er den Vorschlägen des Doctor Snellius zur Einrichtung von Kranken-, Invaliden- und Sterbekassen und andern für das Wohl der Fabrik-Arbeiter unbedingt nöthigen Institutionen sich stets widersetzt hatte; aus demselben Grunde, weshalb er die Anträge unseres Directors, den Lohn der Arbeiter den Anforderungen der Zeit gemäß zu erhöhen, immer höhnisch zurückgewiesen hatte. Es war immer derselbe Grund: maßlose Selbstsucht, die an dem ihr einzig wünschenswerthen Ziel mit so gierigen Blicken hängt, daß sie darüber nicht rechts noch links sehen kann und am Ende sich selbst verblendet.
»Nun hat er den Schaden,« wiederholte der Alte gleichsam zur Bestätigung der Schlußfolgerung meiner Gedanken; ging schwerfälligen Schrittes davon und stieg die hölzerne Stiege hinab, die von dem Uferrand zu dem Bruche führte.
Ich blieb allein in tiefes Sinnen verloren, als ob ich eine Welt zu schaffen hätte. Und war denn hier nicht eine Welt zu schaffen, zu der man nur eben den Grund gelegt hatte? Schneidemühle, Kreidebruch, Brennerei, die Drainirung [173] des großen Moores, von welcher er mir gestern Abend so viel erzählt und von der er sich so Großes versprach – was hätte aus allen diesen Einrichtungen werden können, ja was konnte noch daraus werden, wenn man sie in dem Sinne unternommen hätte, wenn man sie mit der festen Absicht wieder aufnahm und verbesserte und weiterführte, in der Absicht, in dem Sinne: für die armen, verkommenen, elenden Menschen hier neue, dauernde Quellen des Erwerbes zu öffnen! Wenn man sich ihr Vertrauen zu erringen wüßte, wenn man ihnen bewiese, daß sie für sich selbst arbeiteten, indem sie für den Herrn zu arbeiten scheinen!
Wenn ich Herr wäre!
Von da, wo ich stand, konnte ich ein gutes Stück des Landes übersehen, das links von mir zu den Höhen von Zehrendorf aufstieg und sich rechts bis zu dem großen Moore senkte, und unmittelbar am Meere den langen sandigen Ufersaum hinab bis nach Zanowitz, dessen elende Hütten hier und da zwischen den nackten Dünen sichtbar wurden. Und ich sah im Geiste das kahle Land in goldenen Saaten wogen und sah das Moor trocken gelegt und von Heerden überschwärmt und schmucke Fahrzeuge kamen von dem elenden Fischerdorf, das jetzt der Hafen für ein reiches und fruchtbares Gebiet geworden war.
Schon einmal hatte ich einen ähnlichen Traum geträumt, schon einmal waren meine Blicke mit Segenswünschen beladen über dieses Gebiet geschweift, und hätten ein Paradies geschaffen, wenn Blicken und Wünschen solche Kraft innewohnte. Seitdem war so manches Jahr verflossen; ich war ein Anderer geworden: reifer an Verstand, Einsicht, Willenskraft – sollte es auch jetzt bei den frommen Wünschen bleiben? sollte ich auch jetzt wieder, wie so oft schon in meinem Leben, mit leeren Händen vor dem Hungrigen stehen, der nach Brod schrie?
Und wie ich, noch immer in der größten Erregung, auf der Uferhöhe hin und her wandelte und sann und sann, wie ich weiter kommen könne, kommen müsse, da flatterte plötzlich der weiße Schleier, der vorhin von der Höhe herabgeweht, über das Gebüsch, das rechtshin das Ufer bekränzte. Ich hörte den leisen Hufschlag eines galoppirenden Pferdes auf dem Sandwege hinter den Büschen; im nächsten Augenblicke kam die Reiterin um die Ecke herum auf einem schlanken [174] Rappen, an dessen Seite, in fast ebenso weiten Sprüngen, eine ungeheure, gelbe Dogge galoppirte. Die Reiterin parirte in dem Moment, als sie mich erblickte, mit scharfem, festen Griff den vortrefflich geschulten Renner, aber die Dogge sprang in weiten und weiteren Sätzen auf mich zu, augenscheinlich in der freundlichen Absicht, mich über den Haufen zu rennen. Da ich darauf gefaßt war, wurde es mir nicht allzuschwer, das Thier, als es hoch an mir anprallte, bei der Kehle und der einen Schulter zu ergreifen, und es zurückzuschleudern. »Leo, Leo!« rief Hermine, indem sie eifrig mit Gerte und Zügel ihr Pferd wieder in Bewegung setzte; »Leo, hierher, zurück!«
Aber Leo hatte es bereits selbst für klüger erachtet, auf seinen ungeschickten Angriff den Rückzug anzutreten. Es schien, daß ich in der Eile ein wenig zu derb zugefaßt hatte; das arme Thier hinkte, laut winselnd, die rechte Vordertatze gehoben, zu seiner Herrin.
»Ist dir ganz recht,« sagte sie, indem sie sich weit zu dem Thier herabbeugte, »wie bist du auch so dumm, den Herrn anzufallen! weißt du nicht, daß er Löwen bezwingen kann?«
Sie sagte das in einem Tone, durch den ein gewisser Hohn deutlich genug hindurch klang; und so lag auch ein Zug von Hohn oder Unmuth oder Stolz, oder von Allem zusammen um ihren reizenden Mund, als sie jetzt, sich aufrichtend, und mich, der ich grüßend vor ihr stand, mit ihren großen, glänzenden, blauen Augen streng anblickend, sagte: »Uebrigens können Sie sich nicht wundern, mein Herr; der Hund ist darauf dressirt, seine Herrin zu schützen; ich weiß nicht, wofür er Sie genommen haben mag.«
Diese unfreundlichen Worte wurden noch dazu in einem Tone gesprochen, der nichts weniger als verbindlich klang, und ich bin nicht sicher, daß ein feiner junger Herr, der von einem schönen Mädchen so von obenher behandelt worden wäre, die ihn sonst auszeichnende Ruhe bewahrt hätte. Ich aber sah in der schönen Amazone, die so sehr stolz that, das kleine, blauäugige Mädchen aus der Zeit vor neun oder zehn Jahren, als ich mich mit ihr und sie sich mit mir geneckt hatte, und so konnte ich denn, mochte ich thun, was ich wollte, mich nicht sehr beleidigt fühlen; und ich fürchte, daß ich ohne alle Empfindlichkeit erwiederte, das Thier könne mich doch im schlimmsten[175] Falle nur für einen Arbeiter gehalten haben und ich könne unmöglich glauben, daß man es auf diese eben so nützliche als weitverbreitete Menschenklasse dressirt hätte.
Sie sah mich auf diese Antwort hin, die sie nicht erwartet haben mochte, mit einem verlegen-zornigen Blicke an, und sagte, mit mehr Heftigkeit als Logik, mich von Kopf bis zu Füßen messend: »Ich wüßte auch nicht, weshalb man Sie für etwas Anderes nehmen sollte, da Sie ja stets mit so äußerst nützlichen und wichtigen Dingen beschäftigt sind, daß Sie selbstverständlich auf Ihre äußere Erscheinung kein großes Gewicht legen können, wie wir anderen kleinen, alltäglichen Menschen. Das letzte mal, als ich das Vergnügen hatte, sahen Sie, wenn ich mich recht erinnere, aus wie ein Schornsteinfeger, und jetzt – vermuthlich des Contrastes wegen – wie ein Müllergesell.«
Ich blickte unwillkürlich bei diesem Worte an mir hinab und bemerkte nun freilich, daß ich bei dem Herumkriechen in dem engen Stollen des Kreidebruches nur allzu oft mit meinen breiten Schultern und weitschichtigen Gliedern die Wände gestreift hatte, und in der That mit den großen weißen Flecken überall auf meinen Kleidern einen seltsamen und lächerlichen Anblick gewähren mußte. Ich nahm den Hut ab und sagte mit einer tiefen Verbeugung zu dem Hunde gewandt, der jetzt, die gequetschte Vorderpfote trübselig hängen lassend, auf den Hinterbeinen saß: »Ich bitte auf das dringendste um Entschuldigung, und verspreche feierlich, daß, wenn ich nochmals das Glück haben sollte, Ihnen zu begegnen, ich so sauber erscheinen werde, als Seife und Bürste mich nur irgend machen können, wo Sie dann hoffentlich an meinen freundschaftlichen Gefühlen nicht den mindesten Zweifel hegen werden, so wenig, wie ich an den Ihren.«
»Allons, Leo, auf! sieh zu, ob du mit kommst, wenn nicht, bleib, wo du willst! Warum mußt du mit jedem Ersten-Besten anbinden?«
Sie hieb ihr Pferd, das schon ungeduldig mit den Hufen in den Sand gescharrt und mit dem Kopf hin und her genickt hatte, so heftig über Hals und Brust, daß es vor Schreck mit mächtigem Satze ansprang und im Galopp davonging. Der Hund galoppirte, so gut es gehen wollte, hinterher.
Ich hatte nicht das Gefühl, in dieser seltsamen Begegnung, die fast wie ein Kampf aussah, den Kürzeren gezogen [176] zu haben. Ich glaube sogar, ich blickte der Davoneilenden, deren weißer Schleier eben wieder hinter den Büschen verschwand, mit einer Art von triumphirendem Lächeln nach und murmelte: »dem Ersten, Besten! Nun fürwahr, der Mann wäre nicht zu beklagen, der Dir der Erste und der Beste wäre!«
Es war Zeit, daß auch ich nach dem Hause zurückkehrte, und so schritt ich denn rasch von der Uferhöhe landeinwärts einen mir von früher nur zu wohl bekannten Pfad, welcher zwischen dem Moore, das links liegen blieb, und zwischen der Haide, die sich nach rechts ausdehnte, in der Richtung von Trantowitz lief, wo sich in der Nähe des Hofes ein Fußweg rechts durch die Felder nach Zehrendorf abzweigte. Ich weiß nicht, wie es war, aber die Begegnung mit dem schönen Mädchen, das so feindlich that, ohne daß es mir recht gelingen wollte, an diese Feindschaft zu glauben hatte mir meine gute Laune beinahe wiedergegeben. Ich sah alles Trübe und Bedenkliche, was mir der Morgen bis dahin gebracht, in einem freundlicheren Licht. Die Möglichkeit, Gutes im großen Maßstabe zu wirken, war ja doch vorhanden, und ich segnete meinen Stern, daß gerade mir die Aufgabe zu Theil geworden zu sein schien, diese Möglichkeit zur Wirklichkeit zu erheben. War ja doch der Commerzienrath wenn kein guter, so doch ein kluger Mann, der nicht gegen den Vortheil der Anderen handeln würde, wenn man ihm beweisen könnte, daß dieser Vortheil mit dem seinigen zusammenfiel. Und wer war mehr geeignet, ihm diesen Beweis zu führen, als ich; ich, von dessen Uneigennützigkeit er doch überzeugt sein mußte, und der ich außerdem der Himmel weiß weshalb, mich seiner Zuneigung erfreute, so weit von einem derartigen Gefühl in dieser vertrockneten Brust die Rede sein konnte. Möglich, daß er mich nur so bevorzugte, weil er mich nöthig hatte, oder zu haben meinte. Nun wohl, ich mußte mich ihm nöthig machen, und ich glaubte es zu können, und dann mochte mich die schöne Hermine noch hochmüthiger behandeln – ich stand doch fest auf meinen Füßen, und konnte mein Haupt so hoch tragen, wie es mir die Natur gegeben.
So schritt ich rüstig auf dem schmalen Pfade dahin dem Erlenbruch zu, der hier zwischen Moor und Haide lag – derselbe Bruch, durch welchen ich in der Schreckensnacht vor neun Jahren mit dem wilden Zehren geflohen war. Eine [177] trübe Stimmung wollte mich überkommen, als ich das Terrain betrat; aber ich hatte mir zu fest vorgesetzt, die Gegenwart zu nehmen, wie sie war, und das Vergangene vergangen sein zu lassen. Wie hätte ich ohne diesen Vorsatz überhaupt hierher zurückkehren können! Und dann schien die Sonne so hell an dem blauen Himmel; die Vögel sangen so lustig in den Zweigen der Bäume, deren Blätterknospen sich eben zu entfalten begannen, und in den Büschen, die hier und da schon vollständig belaubt waren; in dem braunen Wasser der Gräben und Lachen ruderten geschäftig die langbeinigen Wasserkäfer, und aus der Ferne, vermuthlich aus dem Trantowitzer Holze, erscholl der Ruf des Kukuks. Nein, es wollte durchaus nicht passen das Trübsein für einen so heitern Tag! und wahrlich, es hatte doch mehr zum Lachen als zum Weinen gereizt, das süße, zornige Gesicht des schönen Mädchens, und ich mußte nur hinterher noch recht herzlich lachen, so herzlich und laut, daß ein Mann, der wenige Schritte von mir unter den überhängenden Zweigen einer Erle in dem jungen Grase am Rande des Grabens geschlafen hatte, sich langsam auf dem Ellenbogen in die Höhe richtete, und mich, der ich eben um das Gebüsch herumkam, mit großen, verwunderten, blauen Augen anstarrte. Ich brauchte nur einen Blick in diese guten, großen, starren Augen zu werfen. »Herr von Trantow,« schrie ich, »Hans! lieber Hans!« und ich streckte beide Hände dem alten Freunde entgegen, der sich mittlerweile vollständig aufgerichtet hatte und mir mit freundlichem Lächeln seine große, braune, ritterliche Rechte hinreichte.
»Wie geht es Ihnen, lieber Freund!« sagte ich.
»Wie immer,« erwiederte Hans.
Es war der alte Ton, aber der alte Hans war es nicht mehr. Die blauen Augen waren starrer, die braunen Wangen welker, und die Nase, ach, die Nase, die sonst edle, ja schöne Nase, war sehr roth und unschön geworden; und als er, nachdem wir uns Seite an Seite an dem Bord des Grabens gesetzt, die Mütze abnahm, sah ich, daß sein sonst schlichtes, aber starkes, dunkelblondes Haar um die Schläfen herum sehr, – sehr abgenommen hatte.
»Ich wußte, daß Sie kommen würden,« sagte er, indem er Stahl und Stein aus der Jagdtasche nahm, Feuer schlug und sich an dem brennenden Schwamm eine Cigarre anzündete, auch mir von dem Vorrath darreichend; »ich sollte heute [178] Mittag drüben essen, aber ich weiß nicht, ob ich es fertig gebracht hätte; da ist es mir denn doppelt lieb, daß ich Sie hier treffe. Hier bin ich viel lieber.«
Und er blies mächtige Wolken aus seiner Cigarre, und starrte in das Wasser des Grabens, in welchem die langbeinigen Wasserkäfer hinüber und herüber ruderten.
»Viel lieber,« wiederholte er.
»Und Sie leben noch immer so einsam, wie damals?« fragte ich.
»Nun natürlich,« sagte Hans.
»Ich finde das gar nicht so natürlich,« erwiederte ich mit einiger Lebhaftigkeit, denn aus Hans' Erscheinung und Stimme sprach eine Verlassenheit, die mir in's Herz schnitt – »gar nicht natürlich! Der Tausend! soll ein Mann, wie Sie, ein so guter, lieber, braver Mensch sein Leben einsam vertrauern, weil es einer Coquette gefallen hat, ihn ein paar Jahre am Narrenseil zu führen? Ja! Herr von Trantow, eine herzlose Coquette, die es niemals werth gewesen ist, daß ein ehrlicher Kerl für sie in's Feuer ging, und die jetzt vollends – nein! sie verdient kaum noch unser Mitleid! Ich kann Ihnen sagen, ich habe es auf meine Kosten erfahren.«
»Ich auch,« sagte Hans.
»Ich weiß es.«
Hans schüttelte den Kopf, als wollte er sagen: das ist es nicht. Ich kannte seine Gesten noch hinreichend von früher her.
»Haben Sie sie denn wieder gesehen?« fragte ich.
Er nickte.
»Und wo und wann?«
»Vor acht Jahren, oder sind es neun! in wie heißt das Nest? – Neapel!«
»Das war um die Zeit, wo Sie von hier verschwanden, und Niemand wußte, wo Sie waren.«
»Ja wohl,« sagte Hans.
»Und in Neapel?«
»Freilich,« sagte Hans.
Es war eine eigene Aufgabe, sich Hans von Trantow am Golf von Neapel zu denken: den nordischen Bären zwischen den Schakalen des Südens; und eine gar besondere Veranlassung war's denn auch gewesen, die den Hans zum ersten [179] und letzten Mal in seinem Leben von den Penaten seines verfallenen Hauses und den Haiden und Mooren seiner Heimath weggeführt hatte in die weite Welt.
Es war im December vor neun Jahren, – ich saß schon einen Monat in Untersuchungshaft – als Hans einen Brief erhielt, der ihn Jagdtasche und Flinte – er hatte eben auf die Jagd gewollt – bei Seite legen, den Schlitten anspannen und nach Fährdorf jagen ließ, um von dort über das Eis nach Uselin, und von Uselin Tag und Nacht zu fahren, bis er nach manchen Hindernissen – er hatte Neapel zuerst in der Türkei suchen zu müssen geglaubt, und war, nicht ohne einige Schwierigkeit, allmälig in die rechte Direction gekommen – nach drei oder vier Wochen glücklich in der genannten Stadt anlangte. Dort fragte er sich ebenfalls nicht ohne Mühe – der gute Hans sprach und verstand keine Sprache außer seinem ehrlichen Deutsch – nach einem Hotel, welches in dem Briefe angegeben war und fand sie, die er suchte. Nicht so, wie er sie zu finden erwartet hatte, wie er sie nach dem Briefe zu finden erwarten mußte! Sie hatte sich eine Verrathene, eine Verlassene genannt, die auf ihn als ihre letzte Zuflucht, als ihren Retter aus der bittersten Noth und von einem gewissen Tode sehe. Hans hatte das natürlich Alles wörtlich genommen, und war jetzt einigermaßen erstaunt, sie in einem der üppigsten Hotels der Toledo-Straße in luxuriös ausgestatteten Zimmern, in prachtvollster Toilette zu finden, schöner als je, allerdings bei seinem Anblicke nicht wenig verlegen, und für einige Momente erbleichend. Sie hatte wohl gemeint, daß man ihrer Aufforderung nicht so unmittelbar nachkommen, oder sich doch wenigstens vorher anmelden würde, und in Folge dessen keine Vorbereitungen getroffen. So mußte sich denn eine deutsche Prinzessin, die sich in der That damals in Neapel aufhielt, ihrer angenommen, und durchaus darauf bestanden haben, daß die Tochter eines so alten und vornehmen Geschlechtes sich ihre Hülfe und Unterstützung gefallen lasse. Aber die Gunst so hoher Personen ist wetterwendisch und manchmal von Bedingungen abhängig, die für ein stolzes Herz schwer zu erfüllen sind. Die Prinzessin hatte als Preis ihrer Gunst gefordert, daß Konstanze einen gewissen jungen Baron, der, wie es schien, in der allerhöchsten Gunst der Frau Prinzessin selbst nur allzu hoch gestanden, auf der Stelle heirathe, und sie – Konstanze, [180] war eine von denen, die wohl irren und schwer irren können, aber niemals gegen die Stimme ihres Herzens handeln würden!
Dieses Märchen hatte die schöne Circe dem treuherzigen Hans unter manchen Thränen und Seufzen und Erröthen und Lächeln und krampfhaftem Schluchzen erzählt, und er, der nicht den skeptischen Geist des erfindungsreichen Vielumgetriebenen besaß, hatte Alles auf's Wort geglaubt, und war in seine bescheidene Herberge zurückgekehrt, sinnend und grübelnd, was er nun thun könne, ihr zu helfen. Sie zu heirathen war ihm unmöglich. Ein Trantow konnte nie ein Mädchen, das nicht so keusch war, wie er tapfer, zur Frau nehmen, und wäre sie noch hundertmal schöner gewesen, und hätte er sie noch hundertmal mehr geliebt. Aber mit ihr theilen, was er hatte, und für sie sorgen, und sie beschützen und für sie thun, was ein Bruder in einem solchen Falle für eine unglückliche, geliebte Schwester zu thun vermag – das konnte der Hans, und das wollte der Hans, und, um ihr diese Propositionen zu machen, begab er sich am andern Morgen wiederum zu ihr. Aber in der Nacht hatte sich Circe eines Andern besonnen, und ihren Palast verlassen, in Begleitung eben jenes jungen Barons, der freilich mit der genannten hohen Frau in keiner Verbindung irgend einer Art gestanden, dafür aber in desto intimerer zu dem jungen Fürsten Prora, und seitdem der Fürst vor vier Wochen, auf Befehl seines Vaters, Neapel verlassen, in mindestens eben so intimer zu Konstanze selbst, welche ihm als Aequivalent für eine namhafte Summe, die der Fürst an ihn im Spiel verloren, zugefallen war. Hans erfuhr dies und noch manches, was er nicht zu wissen wünschte, und wonach er gar nicht fragte, von einem deutschen Kellner, der sich zufällig in jenem Hotel befand, und, allem Anschein nach, einen, wenn auch nicht rühmlichen, so doch thätigen Antheil an der Intrigue genommen hatte. Da Hans nicht nach Neapel gekommen war, um auf der Toledo-Straße zu flaniren, oder sich nach Capri fahren zu lassen, oder den Vesuv zu besteigen, so schüttelte er den Staub von seinen Füßen und begab sich wieder auf die Heimfahrt. Aber der Gute, Getreue kam nicht weit. Die ganz ungewohnte Anstrengung einer so großen, in toller Hast zurückgelegten Reise, die Veränderung des Klimas und der Lebensweise, der feurige italienische Wein, den er seiner Gewohnheit [181] nach in großen Quantitäten getrunken, und wohl mehr als das Alles: der tiefe Schmerz um diesen schnöden zweiten Verrath, der ja viel schlimmer war, als jener erste – es war dieser starken Natur doch zu viel gewesen, und eines Tages wurde von einem mitleidigen Vetturin an der Pforte eines Klosters in der Nähe von Rom ein Reisender abgeliefert, der unterwegs krank geworden war, und in der That bereits dem Tode verfallen schien. Nun, es war dem braven Hans nicht beschieden gewesen, in der engen Zelle eines römischen Mönchsklosters seine freie, brave Seele auszuhauchen; er genas trotz der wenig rationellen Behandlung Fra Antonios, des berühmten Kloster-Arztes, und konnte bereits nach sechs Wochen in dem Garten umhergehen. Der Garten hatte sehr schön gelegen mit einem köstlichen Blick auf die ewige Stadt, und die Mönche waren sehr gutmüthig und freundlich, wenn auch etwas schmutzig gewesen, und hatten dem Hans zu verstehen gegeben, ob es nicht für das Heil seiner Seele ersprießlicher sei, wenn er gar nicht wieder in seine barbarische Heimath, sondern in den Schooß der alleinseligmachenden Kirche zurückkehre, um, wenn es Gott und die heilige Jungfrau so wolle, als Heiliger in dem Kloster zu sterben und direct in den Himmel zu kommen. Eine sonderbare Proposition für den guten Hans! Er hatte in seinem Leben noch nicht einen Augenblick über das gegenwärtige oder zukünftige Heil seiner Seele nachgedacht, aber wie gut dieses sein unsterbliches Theil bei dem Vorschlage der Patres sich auch gestanden haben möchte, so viel wurde ihm bald klar, daß er dabei auf die Wohlfahrt seines Leibes durchaus verzichten müsse. Der Klosterwein war in seiner Art recht gut, aber er hatte einen eigenthümlichen Beigeschmack, an welchen Hans sich nun einmal nicht gewöhnen konnte, ebensowenig wie daran, daß Ende Februar die Bäume blühten, als gäbe es auf der ganzen Welt um diese Zeit keinen stöbernden Nordost und keine Tannenwälder, deren Bäume sich tief unter der Last der Eiszapfen bogen; und eines Nachts, als ihn ein mitleidiger Traum nach Trantowitz hatte zurückkehren und aus dem Fenster seines Schlafzimmers sechs Hasen in dem Kohl des Gartens beim blitzernden Licht der nordischen Sterne und des Schnees hatte schießen lassen, da hielt es ihn, als er erwachte, nicht länger; er schüttelte seinen freundlichen Wirthen der Reihe nach die braunen, unsauberen Hände, empfing den Segen [182] des Priors auf sein unheiliges Haupt, und kehrte zurück, von wo er gekommen.
So erzählte der Hans in seiner einförmigen Weise, während wir am Rande des Grabens saßen. Und die langbeinigen Käfer schossen in dem braunen Wasser hinüber und herüber und die Vögel zwitscherten in den Zweigen und aus der Ferne rief der Kukuk.
Mir war sehr traurig zu Muthe geworden. Ich glaube, ich wäre es viel weniger gewesen, wenn Hans nur die geringste Erregung bei der Erzählung der merkwürdigsten und gewiß schmerzensreichsten Zeit seines Lebens zu erkennen gegeben hätte; aber davon war keine Spur. Er hatte keinen Haß gegen Konstanze, er hatte keinen Groll gegen den jungen Fürsten, der jetzt wieder auf Rossow in seiner unmittelbaren Nachbarschaft hauste – es lag überall auf dem, was er sagte, eine so vollkommene Resignation, eine so gänzliche Hoffnungslosigkeit, – und das war es eben, was mich so traurig machte.
In dem Gebüsch hinter uns raschelte es; ein alter Hühnerhund trabte auf uns zu, und begrüßte erst Hans und dann auch mich mit melancholischem Schweifwedeln.
»Mein Gott, das ist doch nicht Caro?« fragte ich.
»Nun freilich,« sagte Hans; »ich glaube gar, er erkennt Sie wieder.«
»Alter Kerl,« sagte ich, den Hund streichelnd; »und er thut noch immer seine Pflicht?«
»Nun, wie man's nimmt,« sagte Hans; »auf der Hühnerjagd ist er schon lange nicht mehr zu gebrauchen und auf der Entenjagd, die sonst seine Force war, will er jetzt nicht mehr recht in's Wasser, so daß ich mir, wie heute Morgen, die Enten meist selber holen muß. Aber das ist nun nicht anders; wir sind eben Beide nicht mehr so jung wie wir waren.«
Caro hatte sich auf den Grabenrand gesetzt, starrte mit gehobenen Ohren in das Wasser nach den Käfern, dachte aber augenscheinlich an gar nichts; Hans saß, den linken Ellnbogen auf das Knie gestemmt, da, blies mächtige Wolken aus seiner Cigarre, starrte ebenfalls in den Graben und dachte vermuthlich auch an nichts. Mir wurde immer trüber zu Sinn. Der Gegensatz zu dem thatenfrohen Leben, in welches ich mich nur noch vorhin hineingeträumt, und dieser Melancholie des Nichtsthuns war auch gar zu groß.
[183] »Lassen Sie uns aufbrechen,« sagte ich, indem ich mich schnell erhob.
»Mir ist es recht,« sagte Hans, indem er langsam meinem Beispiele folgte.
Es wurde nicht viel gesprochen, während wir aus dem Bruch heraus über die Haide schritten, bis wo sich in der Nähe von Trantowitz, dessen Gebäude ruinenhafter als je aussahen, der Fußpfad nach Zehrendorf abzweigte.
»Und Sie werden nun für immer hier bleiben?« fragte Hans, als wir uns trennen wollten.
»Für immer?« fragte ich, »wie kommen Sie darauf?«
»Ich?« erwiederte Hans sehr verwundert, daß ich ihn in Verdacht nehmen konnte, selbst auf etwas gekommen zu sein; »ich nicht, aber Fräulein Duff hat es mir gesagt.«
»Und hat sie Ihnen auch gesagt, zu welchem Zweck ich für immer hier bleiben sollte?« fragte ich zurück.
»Nun freilich,« erwiederte Hans, »und ich wünsche Ihnen Glück von Herzen.«
»Aber nur wozu?« rief ich, indem ich einigermaßen zögernd in seine Hand einschlug.
Hans wurde roth und stotterte: »Verzeihen Sie, ich habe nicht indiscret sein wollen, ich glaubte, es sei kein Geheimniß mehr, oder doch wenigstens nicht zwischen uns.«
»Aber um Himmels willen, wovon sprechen Sie nur?« fragte ich, und ich glaube, ich war bei der Frage womöglich noch röther geworden als Hans.
»Ja, sind Sie denn nicht, oder werden Sie sich nicht mit Fräulein Hermine verloben?« stammelte Hans.
Ich lachte laut auf, lauter als Jemand, dem das Lachen von Herzen kommt. Hans, der dies Lachen für eine indirecte Bestätigung hielt, ergriff von neuem meine Hand und sagte:
»Ich gönne es Ihnen von ganzem Herzen; ich wüßte auf der ganzen Welt Keinen, dem ich sie so gönnte, wie Ihnen. Und die Leute hier brauchen einen guten Herrn.«
Er drückte mir nochmals die Hand und schritt davon, von Caro, der mit hängendem Kopf hinter ihm her trabte, gefolgt. Ich blickte ihnen nach: »Nun,« sagte ich bei mir, »fürwahr, es wäre ein besseres Loos, als das Dir zu Theil geworden ist, Du guter, treuer Mensch!«
Ich wandte mich. Da lag vor mir das neue Herrenhaus und der neue Hof von Zehrendorf, und abseits, noch näher [184] zu mir, kauerten dicht an der Erde dieselben kleinen verwitterten, schmutzigen Kathen, die ich schon von damals kannte; und auf den frühlingsprächtigen Feldern sah ich dieselben verkümmerten, verkommenen Menschen sich placken und ich dachte an Alles, was ich heute Morgen gesehen, erfahren, und ich sagte bei mir: »Ja wahrlich, sie brauchen einen guten Herrn!«
Und dann athmete ich tief auf und schritt langsam, fast zögernd, auf dem Fußpfad weiter durch die grünenden Saaten nach Zehrendorf.