William Shakespeare, John Fletcher
Die beiden edlen Vettern

[11]

Personen:

Theseus, Herzog von Athen

Pirithous, atheniensischer Feldherr

Artesius, atheniensischer Hauptmann

Palämon,

Arcites, Neffen des thebanischen Königs Kreon

Valerius, ein thebanischer Edelmann

Sechs Ritter

Ein Herold

Kerkermeister

Ein Freier der Tochter des Kerkermeisters

Ein Arzt

Bruder und

Freunde des Kerkermeisters

Ein Edelmann

Gerrold, ein Schulmeister

Hippolyta, eine Amazone, Braut des Theseus

Emilia, Schwester des Theseus

Drei Königinnen

Die Tochter des Kerkermeisters

Dienstfrauen der Emilia. Landleute. Boten. Ein Mann, welcher Hymen vorstellt. Ein Knabe. Ein Henker. Wache. Dienstboten. Landmädchen. Nymphen.


Scene: Athen und seine Umgebung, außer im ersten Act, wo die Handlung auch in Theben und seiner Umgebung vor sich geht.

[11]

Prolog

Ein neues Stück und eine junge Maid,

Sie gleichen sich einander beid'!

Ist es mit ihnen gut bestellt,

Begehrt man sie und schont für sie kein Geld.

Ein neues Stück, das mädchenhaft erglüht,

Wenn's seinen Hochzeitstag gekommen sieht,

Und bangend, hoffend, ahnungsvoll

Nun seine Unschuld opfern soll,

Gleicht einer Jungfrau, die von ihrer Art

Sich nach der Trauung so viel noch bewahrt,

Daß sie bei allem, was sie thut und treibt,

Obgleich sie Frau nun, doch noch Mädchen bleibt –

So wünschen wir, daß unser Stück möcht' sein!

Nach Herkunft ist es edel, gut und rein,

Hat einen Vater, wie ein zweiter so

Nicht zwischen Silber-Trent und Po

Gefunden wird, denn Chaucer ist der Mann,

Der diese Märe uns ersann.

Sein Ruhm wird ewig dauern jung und frisch,

Und sollt' etwa durch unsre Schuld Gezisch

Der erste Willkomm seines Kindes sein,

So würde sich im Grabe sein Gebein

Umdrehn, und rufen würd' er ohne Zweifel:

Jagt diese Pfuscher mir zum Teufel,

Die meinen hohen Werth begriffen nicht

Und ärger plündern mein Gedicht,

Als Robin Hood des Reisenden Gepäck!

Ja! Diese Furcht, wir reden sie nicht weg,

Denn freilich wissen wir wie knabenhaft

Die Hoffnung ist, mit unsrer schwachen Kraft

Ihm nach in seine tiefen Wasser gehn.

Doch sollen wir die Wahrheit Euch gestehn?

Wir rechneten auf Eure Helfershand,

Die schon manch Unglück von uns abgewandt.

Auch diesmal bitten wir um Eure Gunst

Für dieses Spiel, das freilich seiner Kunst

Nicht würdig ist, indeß vielleicht doch werth,

Daß Ihr ein Stündchen opfert und es hört.

Doch müßten wir erleben, daß dies Spiel,

Statt Euch die Zeit zu kürzen, nur misfiel,

So würde das den Muth uns so benehmen,

Daß wir dann lieber gar nicht wiederkämen!

[12]

Erster Act

Erste Scene
(Athen; vor einem Tempel.)

Hymen mit einer brennenden Fackel tritt auf; vor ihm her ein Knabe in weißem Gewande, Blumen streuend und singend. Ihm folgt eine Nymphe mit gelöstem Haar, einen Aehrenkranz auf dem Haupte. Hierauf Theseus zwischen zwei andern Nymphen, die ebenfalls Aehrenkränze tragen. Dann, von Pirithous geführt, Hippolyta mit hängendem Haar. Eine Nymphe hält über ihrem Haupte einen Aehrenkranz. Zuletzt Emilia, ihre Schleppe über dem Arm tragend. Artesius und Gefolge. – Musik.
Gesang

Dornenfreie, makellose

Königin der Düfte, Rose,

Farbenreiche, licht und mild,

Federnelke, bar der Düfte,

Asphodil, du Schmuck der Grüfte,

Herzblatt echter Treue Bild;


Primel, erste von den süßen

Blümlein, die den Lenz begrüßen,

Wenn er seinen Einzug hält;

Maßlieb mit den blauen Aeuglein,

Schlüsselblum' an schwankem Zweiglein,

Rittersporn, du tapfrer Held;


Kinder des vergnügten Maien,

Laßt dem edlen Paar euch streuen,

Labt ihm Auge und Geruch;

Englein, steigt vom Himmel nieder,

Vöglein, Sänger süßer Lieder,

Lenket hierher euern Flug!


[13]

Kuckuck aber, Eul' und Krähe,

Kommet nicht in seine Nähe,

Denn ihr kündet nur Gefahr;

Sollt nicht nisten hier noch singen,

Unheil nicht und Zwietracht bringen

Unserm holden Liebespaar!


(Die drei Königinnen, in schwarze Schleier und Gewänder gehüllt, Königskronen auf dem Haupte, treten auf. Die erste fällt vor Theseus, die zweite vor Hippolyta, die dritte vor Emilia nieder.)

ERSTE.
Um der Barmherzigkeit und Gnade willen
Erhöret mich!
ZWEITE.
Um Eurer Mutter willen,
Und daß Ihr holde Kinder mögt gebären,
Erhöret mich!
DRITTE.
Um des Beglückten willen,
Dem Zeus die Ehre Eures Bettes einst
Gewähren wird, – um Eurer Keuschheit willen
Erbarmt Euch unsres Leids. Die gute That
Löscht jedes Unheil, das im Buch des Schicksals
Für Euch verzeichnet steht, auf immer aus!
THESEUS.
Steht auf!
HIPPOLYTA.
Steht auf!
EMILIA.
O, kniet nicht vor mir!
Für jede meiner Schwestern, die sich grämt,
Hab' ich ein fühlend Herz.
THESEUS.
Was bittet ihr?
Für alle rede eine von euch drei'n.
ERSTE KÖNIGIN.
Wir sind drei Königinnen, deren Gatten
Als Opfer fielen König Kreon's Wuth.
Dort im Theban'schen Felde liegen sie
Den Raben, Geiern, Krähen hingeworfen.
Er will nicht dulden, daß wir ihre Leichen
Zu Asche brennen und in Urnen bergen,
Damit der Greuel menschlicher Verwesung
Dem Strahlenauge Phöbus' sei entrückt.
Erbarmt Euch unsrer! Ihr, der Erde Herrscher,
Zieht Euer siegreich Schwert, des Rechtes Hort,
Und gebt der todten Könige Gebeine
Uns Jammernden, damit wir sie bestatten!
Und dann erwägt in Eurem edlen Sinn,
Daß wir, gekrönte Königinnen, ach!
[14]
Kein Obdach haben, außer da, wo Löwen
Und Bären hausen, wenn nicht schlimmer noch.
THESEUS.
Ich bitte, stehet auf, kniet länger nicht!
So sehr hat Eure Rede mich ergriffen,
Daß ich darob vergaß, Euch aufzuheben.
Das Schicksal eurer edlen Gatten kenn' ich,
Und Mitleid feuert mich zur Rache an.
Ihr war't mit König Kapaneus vermählt!
An Eurem Hochzeitstag, 's war um die Zeit
Des Jahres, wo auch ich jetzt Hochzeit halte,
Traf ich mit Eurem Bräutigam zusammen
An Mars' Altar. Ihr waret damals schön,
Eu'r Lockenhaar floß dicht und voll und golden
Von Eurem Haupte, schöner als der Schleier
Der Göttin Juno. Euer Aehrenkranz,
Er strahlte frisch und war noch unversehrt.
Fortuna lächelte Euch freundlich zu,
Und unser Vetter Hercules, besiegt
Von Euern Blicken, streckte seine Keule,
Warf sich auf des Numäischen Löwen Fell
Und schwur, ihm sei der Sehnen Kraft geschmolzen.
O, wie doch Zeit und Leid bis zur Vernichtung
An allem zehren!
ERSTE KÖNIGIN.
Unsre Hoffnung ist,
Es werd' ein Gott in Eure Heldenseele
Ausgießen seine Kraft und Euch bestellen
Zu unsrem Helfer!
THESEUS.
Nicht vor mir, Verwaiste,
Kniet vor Bellona, der behelmten, hin
Und fleht für Euren Krieger. Weh' ergreift mich!

(Er wendet sich ab.)
ZWEITE KÖNIGIN.
Hippolyta, du tapfrer Amazonen
Gefürchtetste, die den fünfzahn'gen Eber
Erschlug und dann mit ihrem starken Arm,
So stark als schön, das Volk der Männer fast
Dem weiblichen Geschlecht hätt'st unterworfen,
Wenn er, der jetzt dein Herr, der Schöpfung Willen
Nicht aufrecht hätt' erhalten, und die Flut,
Die über ihre Ufer schwellte, bändigend
Durch Liebe dich und Kraft bezwungen hätte:
Du Kriegerin so barsch wie mitleidsvoll,
[15]
Die Macht hat über ihn, wie er zuerst
Sie über dich geübt, der seine Kraft
Wie seine Liebe dir zu Diensten stellte
Und seiner Rede deinen Inhalt leiht;
Du Spiegel aller Frau'n, o bitte ihn,
Daß er uns, von der Glut des Kriegs Verzehrten
Im Schatten seines Schwerts, das über uns
Er breitet, Kühlung gebe. Bitte ihn
Mit sanfter Frauenstimme, so wie wir,
Und spare auch dabei der Thränen nicht.
Fall' vor ihm auf das Knie, doch länger nicht,
Als sterbend der geköpften Taube Flügel
Den Boden schlägt, – und rede solche Worte,
Wie sie dir kämen, wenn er selbst verwesend
Auf blutgetränktem Felde läg', der Sonne
Die Zähne weisend und den Mond angrinsend!
HIPPOLYTA.
Kein Wort mehr. Glaubt mir: freud'ger schreit' ich nicht
Der heil'gen Handlung dort im Tempel zu,
Als ich bereit für Euch zu handeln bin.
Mein Herr ist tief von Eurem Leid ergriffen,
Er überlege erst, dann rede ich.
DRITTE KÖNIGIN
(vor Emilia kniend).
Zu Eis gefroren war mein Flehn, das nun
Der Schmerzen heiße Glut zu Tropfen schmolz.
So weicht der Gram, der keinen Ausdruck findet,
Dem stärkern Drang.
EMILIA.
Ich bitte Euch, steht auf!
In jedem Eurer Züge les' ich Gram.
DRITTE KÖNIGIN.
Nein, wehe mir! Dort könnt' Ihr ihn nicht lesen,
Wie Kiesel in des klaren Stromes Flut
Seht Ihr ihn nur verschoben. Edle Frau,
Wer ganz der Erde Schätze will erkunden,
Muß dringen bis zum tiefsten Kern hinab,
Und wer mein kleinstes Fischchen fangen will,
Der senke tief ins Herz mir seine Angel.
Die höchste Noth, die den Verstand sonst schärft,
Macht mich zur Närrin.
EMILIA.
Bitte, sagt nichts mehr!
Wer in dem Regen steht und ihn nicht fühlt,
[16]
Der weiß auch nicht, was naß, was trocken ist.
Wenn eines Meisters Meisterstück Ihr wäret,
Ich würd' Euch kaufen, mich vor Gram zu warnen,
So herzzerreißend stellet Ihr ihn dar.
Doch da Ihr mir als Weib verschwistert seid,
Trifft Euer bittres Leid so lebhaft mich,
Daß es von meinem Herz abprallen soll
Auf meines Bruders Herz und es erweichen,
Wär' es so hart als Stein. Drum seid getrost!
THESEUS.
Jetzt in den Tempel! Laßt andächtig uns
Die heiligen Gebräuche dort verrichten.
ERSTE KÖNIGIN.
O, diese Feier! Länger wird sie dauern
Und mehr Euch kosten, als ein Krieg für uns.
Bedenkt, daß Euer Ruhm die Welt erfüllt.
Was schnell Ihr thut, ist drum nicht übereilt.
Mehr werth, als andrer langes Ueberlegen
Ist Euer plötzlicher Entschluß, – mehr werth
Als all ihr Handeln, Euer Ueberlegen.
Doch wenn Ihr unverweilt zum Werke schreitet,
Betäubt Ihr sie, wie Spiritus den Fisch,
Eh' sie sich rühren. Edler Fürst, bedenkt,
Wie hart gebettet unsre Kön'ge liegen!
ZWEITE KÖNIGIN.
Wie ruhelos auf unsrem Lager wir,
Da unsre theuren Gatten keine haben –
DRITTE KÖNIGIN.
Wie's Todten doch geziemt. Wer überdrüssig
Des Sonnenlichts, durch Strick, Dolch, Gift und Sturz
Den eignen Tod gesucht hat und gefunden,
Selbst dem gibt menschlich Mitleid noch ein Grab!
ERSTE KÖNIGIN.
Doch unsre Gatten faulen in der Sonne,
Obgleich sie lebend gute Herrscher waren.
THESEUS.
Ihr redet wahr, und Trost will ich Euch bringen,
Ein Grab den Todten geben, doch dazu
Muß ich mit Kreon, Thebens Herrscher, kämpfen.
ERSTE KÖNIGIN.
Gewiß, ein solcher Kampf steht Euch bevor.
Jetzt nimmt die Hitze ab, die Zeit ist günstig,
Unnütze Arbeit lohnt nur eigner Schweiß.
Jetzt wähnt er sicher sich und träumet nicht,
Daß wir vor Euch Gewalt'gem unser Flehn,
Von Thränen unterstützt, erschallen lassen.
[17] ZWEITE KÖNIGIN.
Jetzt greift ihn an, wo er vom Siege trunken –
DRITTE KÖNIGIN.
Und wo sein Herr in üpp'gem Nichtsthun schwelgt.
THESEUS.
Artesius, du bist der rechte Mann,
Dies Unternehmen klüglich einzuleiten,
Die nöth'ge Zahl der Truppen zu bestimmen
Und was zu unsrem Zwecke dienen kann
Vorzubereiten. Dir sei's überlassen,
Indeß wir selbst den großen Lebensact
Vollziehen, dieses kühne Unternehmen –
Uns zu vermählen.
ERSTE KÖNIGIN.
Schwestern, laßt uns gehn,
Umsonst war unser Flehen! Dieser Aufschub
Beraubt uns jeder Hoffnung.
ALLE DREI.
Lebet wohl!
ZWEITE KÖNIGIN.
Zur Unzeit kamen wir. Doch konnte Leid
Sich je den besten Augenblick zur Bitte
Frei wählen?
THESEUS.
Edle Frau'n, die heil'ge Handlung,
Zu der ich schreiten will, ist wicht'ger mir
Als jeder Krieg, und geht mich näher an
Als alles andre, was ich je vollbracht
Und was ich künftig noch vollbringen werde!
ERSTE KÖNIGIN.
Um so viel hoffnungsloser unsre Bitte!
Wenn ihre Arme, die die Macht besitzen,
Selbst Zeus vom Götterrathe fern zu halten,
Im sanften Licht des Mondes Euch umschlingen,
Ihr Purpurlippenpaar an Eurem hängt,
Was werd't Ihr da an Kön'ge, die verwesen,
An grambedrängte Königinnen denken?!
Wie soll Euch kümmern, was Ihr selbst nicht fühlt,
Wenn, was Ihr fühlt, selbst Mars bewegen könnte
Die Trommel hinzuwerfen? Eine Nacht
Mit ihr und jede Stunde macht für hundert
Euch zum Gefangenen, daß Ihr alles andre
Vergessen werdet über diesem Mahl,
So Euch geboten wird!
HIPPOLYTA
(vor Theseus kniend).
Obgleich ich fürchte,
Ihr möchtet wen'ger liebeeifrig sein
[18]
Als zornig, daß ich Euch mit Bitten plage,
Doch mein' ich, folgt' ich nur dem eignen Wunsche
Und suchte meine Freude nur, wo jene
An dem, was schnelle Heilung fordert, leiden,
So dürfte jede Frau mit Recht mich tadeln.
Darum, o Herr, laßt meiner Bitten Kraft
Erproben mich, ob sie Euch rühren können,
Ob machtlos sie verhallen! Schiebt die Feier,
Die wir begehen wollen, auf und hängt
Um Euren Nacken, der mein Eigenthum
Und den ich diesen armen Königinnen
Zu Lehen jetzt will geben, Euren Schild!
ALLE DREI.
Ja helft, auf Euren Knieen fleht für uns!
EMILIA.
Wenn Ihr der Schwester rührendes Gesuch,
Das sie so dringend an das Herz Euch legte,
Nicht in dem gleichen Sinn und schnell erfüllt,
So werd' ich nie Euch mehr um etwas bitten
Und niemals einem Manne mich vermählen!
THESEUS.
Ich bin bewegt; steht auf! Mich selber drängt's
Zu thun, was Ihr da knieend von mir fordert.
Pirithous, führ' du die Braut nach Haus;
Um Sieg und Rückkehr flehet zu den Göttern.
Ihr Königinnen, folget Eurem Ritter!
Artesius, mach' schnell dich auf den Weg,
Und so viel Truppen, als du sammeln kannst,
Führt' uns nach Aulis nach; dort finden wir
Schon viele vor, – was selbst zu schwererm Werke
Genügen würd'! Da Eile uns geboten,

(Zu Hippolyta.)

Drück' ich auf deine Lippen diesen Kuß,
Als meiner Liebe Zeichen.

(Zu Artesius.)

Geh' voran,
Daß ich dich gehen sehe! – Lebe wohl,
Lieb' Schwesterlein! Pirithous, du lass'
Dem Feste seinen Gang; um keine Stunde
Sei es gekürzt!
PIRITHOUS.
Ich möchte, Herr, Euch folgen,
Das Fest kann warten, bis Ihr wiederkehrt!
THESEUS.
Nein, Vetter! Rühre von Athen dich nicht!
Wir sind zurück, noch eh' das Fest zu Ende,
Das nicht gestört soll werden! Einmal noch:
Lebt alle wohl!
[19] ERSTE KÖNIGIN.
So thut Ihr, was die Welt
Von Euch erwartet!
ZWEITE KÖNIGIN.
Schwingt zum Gott Euch auf,
Ein andrer Mars.
DRITTE KÖNIGIN.
Seid größer noch als er,
Zu göttlicher Verehrung zwinget Ihr,
Ein Sterblicher, die Herzen. Die das thun,
So sagt man, leiden unter solcher Last!
THESEUS.
Wie sollt' es anders sein? Denn sie verlieren
Der Menschheit Rechte! Folgt uns, edle Frauen,
Zu Eurem Trost sind wir bereit zu handeln!
Zweite Scene
(Theben. Der Hof vor dem königlichen Palaste.)

Palämon und Arcites treten auf.

ARCITES.
Geliebter Vetter, theurer mir durch Neigung
Als durch Verwandtschaft noch, der du dich rein
Von Lastern hast erhalten, laß uns fliehn
Vor den Versuchungen, die hier in Theben
Uns rings umlauern, daß wir nicht zuletzt
Der jungen Seelen Unschuld noch verlieren!
Wir schämen uns, der Ausschweifung zu fröhnen
Und ebenso Enthaltsamkeit zu üben!
Nicht mit dem Strome schwimmen, heißet hier
So viel, als in dem Strome untergehn!
Es wäre mindestens verlorne Müh',
Und folgten wir dem Strom, so trieb' er uns
Zu solchen Wirbeln, wo wir wenden oder
Ertrinken müßten; kämen wir hindurch,
Wär' der Gewinn ein Leben der Erschöpfung.
PALÄMON.
Die Weisheit deines Rathes zeigt ein Beispiel:
Wenn wir durch Theben wandern, auf wie viele
Ruinen stoßen wir, die alle erst
Es wurden seit den Zeiten unsrer Kindheit!
Auf wie viel ärmliche Gewänder, Narben,
Dem einzigen Gewinne Kriegeslust'ger,
Die wohl von Haufen Golds und Ehren träumten
Doch nie erlangten, allem Sieg zum Trotz,
[20]
Getäuscht vom Frieden, den sie uns erkämpften.
Wer opferte da noch an Mars' Altar?
Begegn' ich solchen, blutet mir das Herz;
Dann wünsch' ich, daß der Juno Eifersucht
Den Kriegern Arbeit gäb' durch Friedensbruch
Und Streit und Krieg.
ARCITES.
Doch das ist Eines nur:
Sahst du sonst nichts, dein Mitleid zu erregen,
Als unversorgte Krieger?
PALÄMON.
O, noch manches,
Denn alles, was zu Grunde geht, beklag' ich,
Am meisten aber jene, deren Schweiß
Ehrlicher Arbeit man mit Eis bezahlt,
Sie abzukühlen!
ARCITES.
Davon sprach ich nicht,
Das ist nun einmal so Thebaner Art.
Ich wollt' nur sagen, wie gefährlich es
Für unsre Tugend sei, wenn wir noch länger
In Theben bleiben, wo man alles Böse
So schön zu färben weiß und alles Gute
Als Maske für das Böse nur gebraucht,
Wo jeder, der nicht mit den Wölfen heult,
Als Fremder und Barbar geachtet wird.
PALÄMON.
Es steht in unsrer Macht – wir hielten denn
Affen für gute Muster – unsre Sitte
Uns selbst zu machen. Hab' ich Selbstvertraun,
Was werd' ich eines andern Gangesart
Nachahmen, oder einer andern Weise
Zu sprechen mich befleißen, da man meine,
Die ich zu reden pflege, ja versteht?
Was sollte mich vermögen, dem zu folgen,
Der seinem Schneider folgt, bis dieser ihn
Zuguterletzt verfolgt? Ich möcht' doch wissen,
Warum mein Bartscher schlechter sollte sein,
Und ebenso mein Kinn, weil es nicht just
Nach eines Gecken Spiegel ward geschoren!
Gibt's eine Regel, die von mir verlangt,
Daß ich statt an der Hülfe, in der Hand
Den Degen trage, auf den Spitzen gehe,
Obgleich die Wege rein? Entweder will ich
Das Leitpferd sein im Zuge, oder gar nicht
[21]
Mit andern gehn! Doch kümmert alles das
Mich wahrlich äußerst wenig; was mich grämt
Und tief betrübt, ist –
ARCITES.
Kreon, unser Oheim!
PALÄMON.
Ja er, der ungezügelte Tyrann,
Der macht, daß man den Himmel nicht mehr fürchtet,
Daß Niedertracht auf ihre Stärke trotzt,
Auf Gunst vertraut und blindem Zufall huldigt;
Der alles das, was andre für ihn thun,
Sich selber zumißt, ihre Dienste fordert
Und dabei Ruhm und Beute an sich reißt;
Der furchtlos Böses thut, doch Gutes nie
Zu thun sich untersteht. O, könnten Egel
Dies Blut, das mich mit ihm versippt, aussaugen,
Bis sie, der Fäulniß voll, vom Leib mir fielen!
ARCITES.
Mein guter Vetter, laß den Hof uns fliehn,
Damit uns diese Schmach nicht auch ergreife
Und unsre Milch nach schlechter Weide schmecke.
Entweder Schurken oder Widersacher,
Das ist für uns, die wir mit ihm durch Blut,
Nicht durch Gesinnung nah verwandt, die Wahl!
PALÄMON.
Nur allzu wahr! Das Echo seiner Frevel
Hat, wie ich glaube, taub gemacht das Ohr
Der himmlischen Gerechtigkeit. Das Schrei'n
Der Witwen dringt nicht zu der Götter Thron,
Kehrt ungehört zurück. Valerius!
(Valerius tritt auf.)
VALERIUS.
Der König schickt nach euch, doch eilet nicht,
Bis sich erst seine Wuth gelegt. Als Phöbus
Den Peitschenstiel auf seinen Sonnenrossen
Zerbrach und aufschrie, war's ein Lispeln nur,
Verglichen mit dem Aufschrei seiner Wuth!
PALÄMON.
Der kleinste Hauch bläst ihn zur Flamme auf;
Doch was war jetzt der Grund?
VALERIUS.
Tödliche Fehde
Entbot ihm Theseus, dessen Drohn allein
Schon Schrecken ist. Vernichten will er Theben,
Und naht sich, seinen Vorsatz auszuführen!
ARCITES.
Er möge kommen, fürchteten wir nicht
In ihm die Götter, sollt' er uns nicht schrecken,
Obgleich er stärker ist als unsrer Drei.
[22]
Doch wer kann sich auf seine Kraft verlassen,
Wenn, was er sonst mit Ueberzeugung thäte,
Für Böses nur gethan wird?
PALÄMON.
Laß das jetzt,
Um Theben handelt's sich und nicht um Kreon!
Beiseit' zu stehn erlaubt uns Ehre nicht,
Und gegen ihn zu streiten wär' Verrath –
So müssen wir mit ihm bis an das Ende
Sein Schicksal theilen.
ARCITES.
Ja, das müssen wir!
Hat schon der Krieg begonnen, oder wird
Noch unterhandelt?
VALERIUS.
Er hat schon begonnen!
Zu gleicher Zeit mit unserm Boten traf
Die Kriegserklärung ein.
ARCITES.
Zum König komm'!
Wär' nur ein Viertheil von der Ehre sein,
Die seinem Feind gebührt, so wagten wir
Gesunden Aderlaß, und unser Blut
Wär' nicht verschwendet, nein, gut angelegt.
Doch so, da wir mit unsern Händen nur,
Nicht mit den Herzen kämpfen, bringt's nicht Heil,
Wie auch die Schläge fallen.
PALÄMON.
Das verkündet
Der Richter, der nie irret, der Erfolg,
Uns, wenn wir's selber wissen. Laßt uns jetzt
Der Stimme unsres Schicksals folgen. Kommt!

(Alle ab.)
Dritte Scene
(Vor den Thoren von Athen.)

Pirithous, Hippolyta und Emilia treten auf.

PIRITHOUS.
Nicht weiter!
HIPPOLYTA.
Lebet wohl, Pirithous!
Bringt meine Grüße unserm großen Fürsten,
Sagt ihm, an seinem Siege zweifl' ich nicht,
Doch sollte bösem Glücke er begegnen,
So wünsch' ich ihm, daß seine Kraft es zwinge.
[23]
Eilt schnell zu ihm! man hat ja nie genug
Der treuen Helfer.
PIRITHOUS.
Nur ein Tropfen ist,
Was ich in seinen Ocean kann schütten,
Doch ist's Tribut, den ich ihm schuldig bin.

(Zu Emilia.)

Mein theures Kind, bewahrt Euch im Gemüthe
Die köstlichen Gefühle, die der Himmel
Nur seinen Auserwählten senkt ins Herz!
EMILIA.
Ich dank' Euch, lieber Herr; und grüßt von mir
Den königlichen Bruder. Beten will ich
Daß ihm Bellona günstig sei! Und da
Uns Erdgebornen Bitte ohne Gabe
Nicht ansteht, will ich ihr das Beste bringen,
Von dem man sagt, sie lieb' es. Unsre Herzen
Sind dort bei seinem Heer – in seinem Zelt.
HIPPOLYTA.
In seiner Brust! Wir waren selber Krieger
Und jammern nicht, wenn unsre theuren Helden
Den Helm aufsetzen, auf die Meerfahrt ziehn,
Von aufgespießten Säuglingen erzählen,
Oder von Frauen, die die eignen Kinder
Gesalzt mit ihren Thränen selbst verschlangen.
Wenn Ihr auf solche Schwachheit von uns wartet,
So kommt Ihr, denk' ich, niemals fort von hier!
PIRITHOUS.
Den Frieden wünsch' ich Euch, und mir den Krieg,
In den ich ohne Weilen nun will ziehn.

(Ab.)
EMILIA.
Wie sehr er sich nach seinem Freunde sehnt!
Seit jener fortzog, galt ihm alles gleich:
Das Wichtigste, das seine Sorgfalt heischte,
Nachlässig that er's, völlig unbekümmert,
Ob es zum Vortheil ausschlug oder Schaden;
Wenn ein Geschäft ihm auf den Händen lag,
So dacht' er an ein andres, und sein Geist
Mußt' so verschiedenart'ge Zwillinge
Zu gleicher Zeit ernähren. Habt Ihr ihn,
Seid Theseus von uns schied, beobachtet?
HIPPOLYTA.
Sehr aufmerksam und ihn nur mehr geliebt.
Sie beide waren Kampf- und Schlafgenossen,
Die, so in Mangel wie Gefahr vereint,
Zu mancher Zeit, an manchem Orte kämpften.
Reißende Ströme haben sie durchschwommen,
[24]
Vor deren Wuth der kühnste Schwimmer bebt,
Gefochten, wo gewisser Tod in Aussicht –
Doch brachten sie es durch. Ihr Band der Liebe
Ist so mit Kunst, so stark und fest gewebt,
Daß sich's verschleißen, doch nicht reißen kann.
Ich meine, müßte Theseus seines Herzens
Aufricht'ge Neigung theilen, daß er selbst
Nicht würde sagen können, welche Hälfte,
Wollt' er gerecht sein, ihm die liebre wär'.
EMILIA.
Doch eine muß es sein und die seid Ihr,
Ich wüßte keinen Grund, weswegen nicht!
Einst gab es eine Zeit, in welcher ich
Mich einer Spielgenossin durft' erfreun.
Ihr war't damals im Krieg, als sie das Grab
Verherrlichte, das stolz war sie zu betten,
Und Abschied nahm vom Monde, der erblich,
Als sie von hinnen ging. Wir waren beide
Elf Jahr' erst alt!
HIPPOLYTA.
Du meinst Flavina?
EMILIA.
Ja!
Ihr spracht von Theseus' und Pirithous' Liebe.
Begründeter gewiß ist ihre, reifer,
Durch Wahl und Urtheil stärker ausgerüstet,
Da gegenseitiges Bedürfniß ja
Der Liebe engverschlungne Wurzeln nährt.
Doch ich und sie, von der ich seufzend rede,
Wir waren kleine, unschuldsvolle Dinger,
Die sich nur liebten, weil sie eben mußten,
Wie Elemente einfach wirken müssen,
Und selber doch nicht wissen wie? warum?
Was ihr gefiel, gefiel auch mir, was nicht,
Das war auch ohne weitres mir zuwider.
Brach ich 'ne Blume, die ich in den Busen
Mir steckte (der zu schwellen erst begann),
Litt es sie nicht, bis daß sie eine gleiche
An ihre jungfräuliche Brust gelegt,
Wo beide dann ihr Leben, phönixgleich,
In Duft verhauchten. Meiner Locken Schmuck
War Muster ihr; die Kleidung, die sie trug,
Die einfach immer, doch geschmackvoll war,
Wählt' ich zu Festen mir. Hatt' ich ein Lied
[25]
Mit meinem Ohr erlauscht und summt' es leise,
So sing sie's auf, ließ es nicht wieder los
Und sang's im Schlafe noch. – Was ungerufen
Mir so in das Gedächtniß kommt, beweist,
Daß Liebe zwischen Mädchen heft'ger ist
Als zwischen den verschiedenen Geschlechtern.
HIPPOLYTA.
Ihr seid ganz hingerissen, dieser Eifer
Beweist nur, daß ihr niemals einen Mann
So lieben könnt, wie Ihr Flavina liebtet.
EMILIA.
Dess' bin ich ganz gewiß.
HIPPOLYTA.
Doch, Schwesterchen,
Glaub' ich in diesem Punkt Euch dennoch nicht,
Obgleich ich weiß, daß Ihr es ehrlich meint.
Mir scheint dies nur ein krankhafter App'tit,
Der leicht in Ekel umschlägt. Wär' ich reif
Für Eure Weisheit, ei da hättet Ihr
Fürwahr genug gesagt, um aus den Armen
Des edlen Theseus mich herauszureden,
Für dessen Heil ich in dem Tempel jetzt
Will beten, mit der freudigen Gewißheit,
Daß ich den ersten Platz in seinem Herzen
Dennoch besitze vor Pirithous.
EMILIA.
Bewahrt Euch diesen Glauben, während ich
Bei meinem bleibe.

(Beide ab.)
Vierte Scene
(Eine Ebene vor Theben.)

Trompetenstöße. Schlacht. Rückzug. Theseus als Sieger tritt auf. Ein Herold. Gefolge. Die drei Königinnen gehen Theseus entgegen und fallen vor ihm nieder.

ERSTE KÖNIGIN.
Dir leuchten alle Sterne!
ZWEITE KÖNIGIN.
Erd' und Himmel
Sei'n günstig dir!
DRITTE KÖNIGIN.
Der Götter Segen träufle
Auf dich hernieder, Amen, ruf' ich, Amen!
THESEUS.
Vom hohen Himmel schaun gerechte Götter
Auf Sterbliche herab, sehn, wie sie irren,
Und strafen, wenn es Zeit. Nun geht und sucht
[26]
Nach den Gebeinen Eurer todten Gatten,
Bestattet sie mit feierlichen Ehren.
Daß nichts dazu Euch fehle, sorgen wir
Und geben Auftrag, daß man Euch sofort
In Eure Würd' einsetze und vollende,
Was unsre Eile unvollendet läßt.
So lebet wohl, der Himmel schütze Euch!

(Die drei Königinnen ab.)

(Man bringt Palämon und Arcites auf einer Tragbahre herein.)

Sag', wer sind diese?
HEROLD.
Nach der Kleidung Leute
Von hohem Stande. Wie theban'sche Männer
Uns sagten, wäre sie des Königs Neffen,
Die Söhne seiner Schwestern.
THESEUS.
Bei Mars' Helm,
Ich sah die beide in der Schlacht, wie Löwen
Vom Blut des Wildes triefend, ihren Weg
Durch der erschreckten Krieger Reih'n sich bahnen.
Unausgesetzt behielt ich sie im Auge,
Es war ein Schauspiel, eines Gottes würdig!
Wie nannte der Gefangne sie, den ich
Nach ihrem Namen fragte?
HEROLD.
Hört' ich recht,
So nannt' er sie Palämon und Arcites.
THESEUS.
Ganz recht, es sind dieselben. Sind sie todt?
HEROLD.
Nicht todt und nicht lebendig. Hätt' man sie,
Als sie verwundet wurden, gleich gefangen,
So wären sie vielleicht davongekommen;
Doch athmen sie und sehn wie Männer aus!
THESEUS.
Und auch wie Männer soll man sie behandelt.
Die Hefe solcher gilt unendlich mehr
Als Millionen andrer bester Wein.
Ruft alle unsre Aerzte für sie her,
Spart nicht den Balsam, sei er noch so kostbar,
Für ihre Heilung, denn ihr Leben gilt
Mir mehr als Theben. – Lieber als in Freiheit
Und kräftig, wie sie heute Morgen waren,
Säh' ich sie todt, doch hunderttausendmal
Noch lieber so gefangen hier, als todt.
Die frische Luft möcht' ihnen schädlich sein,
Tragt sie hinein. Was Menschenhülfe nur
[27]
Kann leisten, leistet es um unsertwillen.
Ich weiß, wie Schrecken, Wuth, der Freunde Drängen,
Reizung der Liebe, Eifer, Müh' um Frau'n,
Wie Sehnsucht nach der Freiheit, Fieber, Wahnsinn
Uns solche Ziele setzen, daß Natur
Sie ohne großen Zwang nicht kann erreichen,
Wobei dann Kraft des Willens und Vernunft
Leicht Schiffbruch leiden. Darum thut für mich
Und um Apollo's Gnade, was Ihr könnt
Und pflegt sie gut. Jetzt führt mich in die Stadt,
Von wo ich, wenn ich alles dort geordnet,
Fort eile nach Athen, dem Heer voraus.

(Trompetenstöße. Alle ab.)
Fünfte Scene
(Ein anderer Theil desselben Feldes, etwas entfernter von Theben.)

Die drei Königinnen mit den Todtenbahren ihrer Gatten, in feierlichem Zuge.
Musik

Erde, öffne deine Grüfte,

Weihrauch steige in die Lüfte,

Seufzer, Stöhnen, bittre Klag',

Ueberflort den lichten Tag.


Lieber Tod als solche Schmerzen!

Leichenöl und wunde Herzen,

Opferkrüglein, voll von Thränen,

Bringen wir und ruhlos Sehnen.


Was nur trüb und schwarz erscheint

Lustbegier'gem Aug' ein Feind,

Nahe uns, daß wir vereint

Sei'n verbündet und befreund't.

DRITTE KÖNIGIN.
Auf jenem Wege dort gelanget Ihr
Zu Eurer heimatlichen Todtenstätte.
Mög' Freud' Euch wieder werden. Friede ihm!
[28] ZWEITE KÖNIGIN.
Auf diesem ziehet Ihr!
ERSTE KÖNIGIN.
Auf diesem Ihr!
So hat der Himmel wohl der Wege viel,
Doch führen alle zu demselben Ziel.
DRITTE KÖNIGIN.
Die Welt ist eine Stadt mit tausend Straßen,
Zu Marktplatz Tod bringt jed' uns gleichermaßen.

(Alle nach verschiedenen Richtungen ab.)

(Der Vorhang fällt.)

Zweiter Act

Erste Scene
(Athen. Ein Garten; im Hintergrunde eine Burg.)

Der Kerkermeister und der Freier seiner Tochter treten auf.

KERKERMEISTER.

Bei meinen Lebzeiten kann ich nur wenig geben; etwas vielleicht, aber viel nicht. In das Gefängniß, dem ich vorstehe, schwimmt selten ein fetter Fisch herein, obschon es eigentlich nur für solche bestimmt ist. Fünfzig Gründlinge für einen Lachs. Man hält mich für reicher, als ich in der That bin. Ich wollte, ich wäre, wofür man mich hält. Doch alles, was ich habe (soviel es nun ist), soll meine Tochter nach meinem Tode bekommen.

FREIER.
Mehr verlange ich nicht. Dagegen sichere ich ihr alles das zu, was ich versprochen habe.
KERKERMEISTER.

Nun gut. Nach dem Feste wollen wir weiter darüber reden. Aber habt Ihr auch ihre Zusage? Wenn das der Fall ist, so soll es an meiner Einwilligung nicht fehlen.

FREIER.
Die habe ich, Herr; da kommt sie selbst.
KERKERMEISTER.

Dein Freund und ich sprachen hier eben von dir und der bewußten Angelegenheit. Aber jetzt nichts weiter davon. Wenn der Spectakel hier bei Hofe vorbei sein wird, wollen wir die Sache zu Ende bringen. Unterdessen laß dir die beiden Gefangenen angelegen sein. Ich kann dir sagen, es sind Prinzen.

[29] TOCHTER.

Dies Streuwerk ist für ihr Zimmer. Es ist wahrlich recht traurig, daß sie im Gefängniß sind; aber noch mehr sollte es mir leidthun, wenn sie nicht drin wären. Ich glaube, sie besitzen solch eine Geduld, daß sie alles ruhig ertragen würden; das Gefängniß kann stolz darauf sein. Sie wiegen die ganze Welt auf.

KERKERMEISTER.
Ja, man sagt, sie wären ein paar ganz ungewöhnliche Leute.
TOCHTER.

O, glaubt mir, das Gerücht stammelt nur ihren Ruhm. Sie stehen weit über allem, was man von ihnen sagt.

KERKERMEISTER.
Ich hörte, so tapfer wie sie hätte keiner in der Schlacht gekämpft.
TOCHTER.

Das traue ich ihnen zu; darum leiden sie auch so tapfer. Ich hätt' sie erst als Sieger sehen mögen, da sie es so gut verstehen, sich selbst in der Gefangenschaft wie Freie zu betragen, über ihr Unglück zu scherzen und alle Traurigkeit hinwegzuspotten.

KERKERMEISTER.
Thun sie das?
TOCHTER.

Mir scheint, sie kümmern sich um ihre Gefangenschaft gerade so viel, wie ich mich um die Herrschaft Athens, – haben guten Appetit, sehen ganz vergnügt aus und sprechen von allem Möglichen, außer von ihrer unglücklichen Lage. Manchmal nur stößt einer von ihnen einen halbunterdrückten Seufzer aus, was der andere ihm dann so sanft verweist, daß man wünschen möchte, selbst so ein Seufzer zu sein, um so verwiesen, oder noch besser, solch ein Seufzender, um so getröstet zu werden.

FREIER.
Ich habe sie noch nicht gesehen.
KERKERMEISTER.
Der Herzog kam ganz heimlich in der Nacht an und sie auch. Ich weiß nicht, was das bedeuten mag.

(Man sieht Palämon und Arcites oben am Fenster der Burg.)

Sieh, da sind sie; der sich umschaut ist Arcites.
TOCHTER.
Nein, Vater, das ist Palämon; der kleinere ist Arcites. Ihr könnt ihn nur halb sehen.
KERKERMEISTER.
Zeige doch nicht mit der Hand auf sie; sie wollen gewiß nicht gesehen sein. Kommt weg von hier!
TOCHTER.

Solch ein Anblick ist ein wahrer Genuß. Gott! Wie die Menschen doch verschieden sind.(Sie gehen ab.)

[30]
Zweite Scene
(Ebendaselbst.)

Palämon und Arcites treten auf den Balkon heraus.

PALÄMON.
Wie geht es, Vetter?
ARCITES.
Sag', wie geht es dir?
PALÄMON.
Noch bin ich stark genug, daß ich das Unglück
Verlachen und des Schicksals böse Laune
Ertragen kann. Wir sind Gefangne hier;
Für immer, fürcht' ich!
ARCITES.
Ja, so scheint es, Vetter,
Auf solch ein Schicksal mach' ich mich gefaßt!
PALÄMON.
O, mein Arcites, wo ist Theben jetzt?
Wo unser edles Land, wo unsre Freunde
Und Anverwandte? Was so theuer uns,
Wir sehen nie es wieder! – niemals mehr
Die tapfern Jünglinge beim Waffenspiel,
Geschmückt mit den Devisen ihrer Schönen,
Beflaggten Schiffen unter Segeln gleich,
Und wir als frischer Ostwind unter ihnen,
Der träger zieh'nden Wolkenschar voraus,
Arcit-Palämon, den lautschall'nden Beifall
Der Menge überholend geilen Sprungs
Und schneller uns den Siegeskranz erobernd,
Als noch der Wunsch entstand, er schmücke uns.
Wir beide, – Zwillinge der Ehre, sollen
Nun nicht mehr unsre guten Waffen proben,
Nicht Rosse, stolzer als des Meeres Flut,
Mehr bändigen, und unsre guten Schwerter,
Wie bess're der rothäug'ge Kriegesgott,
Getragen nie und die man uns geraubt,
Sie sollen in den Tempeln nun der Götter,
Die uns verfolgen, rosten; unsre Hand
Soll sie mit Blitzesleuchten nicht mehr zücken
Und ganze Heere schrecken!
ARCITES.
Ja, Palämon,
Die Hoffnung liegt jetzt hier mit uns gefangen.
Hier wird der Jugend Blüte uns verwelken,
Wie ein zu früh gekommner Lenz; hier uns
[31]
Das Alter finden (wehe!) unvermählt!
Des holden Weibes zärtliche Umarmung,
Ihr Kuß, der Gattenliebe Seligkeiten
Sind uns versagt, versagt das Vaterglück!
Wir werden unsre Knaben niemals lehren,
Wie junge Adler auf den Glanz der Waffen
Den Blick zu richten, niemals ihnen sagen:
»Denkt eurer Väter, kämpft und siegt wie sie!«
Schönäug'ge Jungfrau'n werden uns beweinen,
Dem blinden Glück in ihren Liedern fluchen,
Bis es erkennt, wie schwer es sich verging
An Jugend und Natur. – Hier unsre Welt!
Wir beid' allein und niemand außer uns.
Nichts hören, als den Glockenschlag der Uhr,
Die uns die Stunden unsres Elends zählt.
Der Sommer kommt in aller seiner Pracht,
Doch um uns her bleibt's todeskalter Winter!
PALÄMON.
Ach! nur zu wahr, Arcit. In Thebens Wäldern
Wird unsrer Hunde Klaffen nicht das Echo
Mehr wecken, werden wir den scharfen Spieß
Nicht schleudern mehr, wird nicht der wilde Eber,
Von ihm getroffen, mit des Partherpfeils
Geschwindigkeit vor unsrem Wurfe fliehn.
Die tapfern Spiele, edler Geister Nahrung
Und täglich Brot, für uns sind sie dahin!
Und endlich sterben wir – was ja das Schlimmste
Des Ruhmes ist – vergessen und als Kinder
Des Elends!
ARCITES.
Ja, Palämon. Dennoch steigt
Selbst aus der Tiefe dieses herbsten Schicksals,
Das uns betreffen konnte, noch ein Trost
Und Segen! Mit der Götter Hülfe tragen
Wir's in Geduld und tragen es vereint!
Solange du bei mir, scheint dieser Ort
Mir ein Gefängniß kaum!
PALÄMON.
Ja, wahrlich, Vetter,
Ein großes Glück, daß uns dasselbe Los
Gemeinsam traf. Denn wenn zwei edle Seelen,
Im Leib getrennt, des Schicksals Wuth erleiden,
So wachsen sie zusammen, werden – können
[32]
Nicht untergehn. Ein stillgefaßter Mann,
Er stirbt im Schlaf und alles ist vorbei!
ARCITES.
Wir wollen würdig nützen diesen Ort,
Der jedermann verhaßt ist.
PALÄMON.
Wie, mein Lieber?
ARCITES.
Laß dies Gefängniß wie ein Heiligthum
Uns ansehn, das uns vor Verführung schützt.
Wir sind noch jung und möchten gern die Wege
Der Ehre wandeln, nicht durch lose Reden,
Durch unbeschränkte Freiheit, die ein Gift
Für reine Seelen sind, wie Buhlerei,
Seitab gezogen werden. Diesen Segen
Verschafft uns sinnige Betrachtung hier.
Wie eine unerschöpflich reiche Mine
Sind wir einander, sind uns Gattinnen,
Sind Väter, Freunde, sind Familie uns, –
Mein Erbe du, der deine ich; hier wird
Kein Unterdrücker unsre Erbschaft uns
Zu nehmen wagen. Ruhig können wir,
Wenn wir geduldig sind, hier lange leben
Und lange lieben ohne Ueberdruß;
Hier rührt die Faust des Kriege keinen an,
Und niemand wird vom wilden Meer verschlungen. –
Wenn frei wir wären, ei, wie leicht könnt' da
Ein Weib uns, oder etwas sonst uns trennen,
Streit uns entzweien, böser Menschen Neid
Sich drängen zwischen uns. – Es wäre möglich,
Daß, würd' ich krank, du nichts davon erführest,
Und stürb' ich, deine Bruderhand mir nicht
Die Augen schlösse, zu den Göttern du
Nicht für mich flehtest! Wären wir nicht hier,
Wir wären tausend Wechseln unterworfen!
PALÄMON.
Ich danke dir, Arcit. Du hast mich fast
Dahin gebracht, Gefangenschaft zu lieben.
Wie elend nun, da draußen frei zu leben,
Dem dummen Viehe gleich bald hier, bald dort;
Ein bess'rer Aufenthalt ist diese Burg!
Nun ward mir klar, wie nichtig alle Freuden
Doch sind, die nur zur Eitelkeit verlocken!
Der Welt möcht' ich's verkünden, sie sind nichts
Als prächt'ge Schatten, so die Zeit, die alte,
[33]
Die nimmer ruht und rastet, mit sich nimmt.
Wenn wir an Kreon's Hof geblieben wären,
Wo Sünde Recht und Thorheit Tugend ist,
Was wär' aus uns geworden? Liebster Vetter,
Hätt' nicht die Gnade Gottes diesen Ort
Für uns hier ausgewählt, so wären wir
Als alte böse Menschen einst gestorben,
Beweint von niemand, – unser Epitaph
Des Volkes Fluch. Wie, sage ich nicht wahr?
ARCITES.
Sprich immer weiter nur, ich hör' so gern!
PALÄMON.
Vernahm man je von Zweien, die sich mehr
Als wir geliebt, Arcit?
ARCITES.
Das ist unmöglich!
PALÄMON.
So wie's unmöglich ist, daß unsre Freundschaft
Je schwinden könnte!
ARCITES.
Bis zum Tode nicht!

(Emilia und ihre Zofe treten unten auf.)

Und dann gehn unsre Seelen hin zu jenen,
Die ewig lieben. Rede, lieber Bruder!
EMILIA.
O, gar zu schön ist es im Garten hier!
Wie heißt die Blume da?
ZOFE.
Narcisse, Fräulein!
EMILIA.
So hieß ein schöner Jüngling, doch er war
Ein Narr und in sich selbst verliebt. Gab es
Denn Mädchen nicht genug?
ARCITES
(oben).
Fahr fort!
PALÄMON.
Sogleich!
EMILIA
(unten).
Wie? Oder wären alle unerbittlich
Gewesen!
ZOFE.
Schwerlich, denn er war ja schön.
EMILIA.
Du wärst nicht so gewesen?
ZOFE.
Wahrlich nicht!
EMILIA.
Ein gutes Mädchen! Aber sieh dich vor
Und sei auch nicht zu gut!
ZOFE.
Warum nicht, Fräulein?
EMILIA.
Die Männer sind so schlimm!
ARCITES
(oben).
Sprich, lieber Vetter!
EMILIA
(unten).
Kannst du mit Seide solche Blumen sticken?
ZOFE.
O ja!
EMILIA.
Ich möcht' ein Kleid, bestickt mit diesen
[34]
Und diesen da. O, welche schöne Farbe,
Die muß auf einem Kleid sich prächtig machen!
ZOFE.
Vortrefflich!
ARCITES
(oben).
Vetter, Vetter, höre doch!
Was ist dir?
PALÄMON.
O Arcit, erst jetzt, erst jetzt
Fühl' ich gefangen mich!
ARCITES.
Was sagst du da?
PALÄMON.
Dort, dort, schau hin, – beim Himmel, eine Göttin!
ARCITES.
Was seh' ich? Ha!
PALÄMON.
Auf deine Knie sink'
Und bet' sie an, denn eine Göttin ist's!
EMILIA
(unten).
Von allen Blumen ist die Rose doch
Die herrlichste!
ZOFE.
Warum das, edles Fräulein?
EMILIA.
Sie ist der zarten Jungfrau Ebenbild,
Denn ihren Kelch erschließet züchtig sie
Des Westwinds sanftem Wehn und fängt den Strahl
Der Sonne auf in lieblichem Erröthen;
Doch rührt der ungestüme Nord sie an,
Verbirgt erschreckt sie ihre Reize schnell
Im Knospenhaus und streckt dem Wilden nur
Den scharfen Dorn entgegen.
ZOFE.
Aber, Fräulein,
Zuweilen geht der Schreck bei ihr so weit,
Daß sie zu Boden fällt. Ein jedes Mädchen
Von Ehre thäte gut, sie nähm' an ihr
Kein Beispiel sich.
EMILIA.
Du bist ein loses Ding.
ARCITES
(oben).
Wie wunderschön sie ist!
PALÄMON.
Die Schönheit selbst!
EMILIA
(unten).
Hoch steht die Sonne schon, gehn wir hinein.
Die Blumen hebe auf, wir wollen sehn,
Ob's unsrer Kunst gelingt, sie nachzuahmen.
Wie leicht zu Muth mir ist, ich könnte jauchzen!
ZOFE.
Und ich im Gras mich wälzen!
EMILIA.
Mit noch Einem?
ZOFE.
Das käm' drauf an!
EMILIA.
Nun, such' dir einen Partner!

(Emilia und die Zofe ab.)
[35] PALÄMON.
Ist sie nicht schön?
ARCITES.
Wahrhaftig, selten schön!
PALÄMON.
Nur selten?
ARCITES.
Nein, ich meine unvergleichlich!
PALÄMON.
Muß da nicht jeder ganz in Lieb' zerfließen?
ARCITES.
Ich weiß nicht, wie es dir ergeht, doch ich
Bin völlig hin. Verdammt sei'n meine Augen,
Jetzt fühl' ich meine Fesseln erst!
PALÄMON.
Du liebst sie?
ARCITES.
Wer liebt sie nicht?
PALÄMON.
Und möchtest sie besitzen?
ARCITES.
Ja, lieber noch als frei sein!
PALÄMON.
Ich hab' sie
Zuerst gesehn!
ARCITES.
Was kümmr' ich darum mich!
PALÄMON.
Du mußt!
ARCITES.
Ich sah sie auch!
PALÄMON.
Doch sollst du sie
Nicht lieben!
ARCITES.
Nicht wie du, anbeten nicht,
Als eine segensreiche Himmelsgöttin.
Ich liebe sie als Weib, will sie besitzen,
So können wir sie beide lieben!
PALÄMON.
Nein,
Du sollst sie gar nicht lieben!
ARCITES.
Gar nicht lieben?
Wer will es mir verwehren?
PALÄMON.
Ich, der sie
Zuerst erblickte, der von diesen Reizen,
Die sie den Menschenkindern offenbart,
Zuerst Besitz ergriff mit meinen Augen.
Wenn du sie liebst, dich in den Weg mir stellst,
So bist du ein Verräther, bist ein Bube,
Falsch, wie dein Recht auf sie. Von Freundschaft, Blut,
Von allen Banden zwischen dir und mir
Sag' ich mich los, wenn du an sie nur denkst!
ARCITES.
Ich liebe sie, und gälte es mein Leben,
Von ganzer Seele müßte ich sie lieben!
Verlier' ich dadurch dich, leb' wohl, Palämon!
Noch einmal sag' ich dir, ich liebe sie,
Denn frei bin ich, bin würdig sie zu lieben,
[36]
Und hab' dasselbe Recht auf ihre Schönheit,
Als irgendein Palämon, oder sonst
Ein andrer!
PALÄMON.
Nannt' ich je dich meinen Freund?
ARCITES.
Ja wohl, und hast mich immer so befunden!
Was bist du so erregt? Laß uns doch ruhig
Zusammenreden. Bin ich nicht ein Theil
Von deinem Blute wie von deiner Seele?
Hast du nicht selbst gesagt, ich sei Palämon
Und du Arcit?
PALÄMON.
Ja wohl!
ARCITES.
Theil' ich nicht alles
Als Freund mit dir, was dich erfreut, bekümmert,
Erzürnt und ängstigt?
PALÄMON.
Ja, ich geb' es zu!
ARCITES.
Und warum willst du nur im Punkt der Liebe
So selbstisch, feindlich, so unritterlich
Mit mir verfahren? Meinest du vielleicht
Ich sei nicht werth gewesen, sie zu sehn?
PALÄMON.
O nein, doch gibt dir das allein kein Recht!
ARCITES.
Nimm an, ein andrer hätt' den Feind zuerst
Erblickt, soll ich zum Schaden meiner Ehre
Mich etwa dann des Kampfs mit ihm enthalten?
PALÄMON.
Ja, wenn's nur Einer ist!
ARCITES.
Doch wenn der Eine
Mich grade sucht?
PALÄMON.
So möge er es sagen,
Dann geb' ich Freiheit dir, – doch wenn du sonst
Ihr nachstellt, bist du ein infamer Bube,
Ein Landverräther, ein verdammter Schurke!
ARCITES.
Du bist von Sinnen!
PALÄMON.
Ja, gewiß, ich bin's,
Bis du vernünftig wirst. 's hat mich gepackt;
Es wär' nicht zu verwundern, wenn ich mich,
Toll wie ich bin, an dir vergriffe!
ARCITES.
Pfui!
Du redest wie ein Kind. Ich will und werde
Und muß sie lieben; darauf wag' ich es,
Es ist mein Recht!
PALÄMON.
O, wär' dein falsches Ich
Und wäre ich, dein Freund, nur Eine Stunde
[37]
In Freiheit, daß wir nach den Schwertern greifen
Und fechten könnten, – lehren wollt' ich dich,
Was es bedeutet, andern Liebe stehlen.
Du bist ja schlechter als ein Beutelschneider!
Steck' noch einmal durchs Fenster deinen Kopf,
So nagl' ich ihn ans Brett, so wahr ich lebe!
ARCITES.
Das wagst und kannst du nicht, dazu bist du
Zu schwach. Nicht durch das Fenster meinen Kopf?
Den ganzen Leib steck' ich hindurch und springe,
Wenn ich sie kommen sehe, in den Garten
Gerad in ihre Arme, dir zum Trotz!
PALÄMON.
Genug! Der Kerkermeister kommt. Ich werde
Dir noch mit meinen Ketten das Gehirn
Einschlagen!
ARCITES.
Thu's!

(Kerkermeister tritt auf.)
KERKERMEISTER.
Verzeihet, edle Herrn, –
PALÄMON.
Was gibt es, Kerkermeister?
KERKERMEISTER.
Herzog Theseus
Verlangt nach Prinz Arcites. Was er will,
Kann ich nicht sagen!
ARCITES.
Wohl, ich folge dir!
KERKERMEISTER.
So muß ich Euren Freund Euch, Prinz, ein Weilchen
Entführen!

(Kerkermeister ab mit Arcites.)
PALÄMON.
Nehmt ihn fort, auch mich meintwegen,
Und wenn's zum Tode wäre. Doch weshalb
Schickt man nach ihm? Will man sie nicht vielleicht
Zum Weib ihm geben? Er ist wohl gestalt't,
Sein Aussehn, seine Herkunft hat dem Herzog
Vielleicht gefallen? – Aber welche Falschheit!
Wie kann ein Freund so schlecht, so treulos sein?
Wenn er sich dadurch ein so herrlich Weib
Erringen kann, so mögen Ehrenmänner
Nur nicht mehr lieben. Könnt' ich doch noch einmal
Die Holde sehn! O, du gelobter Garten,
Ihr Früchte, Blumen, wie seid ihr gesegnet,
Ihr blüht und reifet unter ihren Augen!
Ich gäbe all mein künft'ges Glück darum,
Wär' ich die blüh'nde Aprikose dort,
[38]
Das kleine Bäumchen. In ihr Fensterlein
Wollt' ich sehnsüchtig meine Zweige strecken,
Ihr Früchte tragen, hoher Götter würdig,
Die Jugend ihr und Freude bringen sollten,
Wenn sie sie kostete; vor allen selig
Wollt' ich sie machen, ja den Göttern gleich,
Daß diese selber sie beneiden müßten!

(Der Kerkermeister kommt zurück.)

Dann würde sie mich lieben! – Meister, sagt,
Wie steht es mit Arcit?
KERKERMEISTER.
Er ward verbannt!
Pirithous erbat für ihn die Freiheit,
Doch mußt' er sich einen Eid verpflichten,
Mit keinem Fuß dies Land mehr zu betreten.
PALÄMON.
Er ist ein Kind des Glücks! Nun kann er wieder
Nach Theben gehn und unsre jungen Krieger
Aufrufen zu den Waffen, daß sie sich
Wie Feuersäulen stürzen auf den Feind.
Ja, er hat Aussicht nun, ein würd'ger Freier
Zu werden, wenn er Schlachten für sie kämpft.
Verlör' er sie, so wäre er ein Feigling.
Ich wollt' so Großes, Herrliches vollbringen,
Daß sich die Jungfrau, die erröthende,
Zum Manne wandeln und versuchen sollte
Gewalt mir anzuthun!
KERKERMEISTER.
Ich habe, Herr,
Für Euch noch einen Auftrag!
PALÄMON.
Was für einen?
Sollst du mich tödten?
KERKERMEISTER.
Nein, nur fort Euch bringen
Von diesem Ort, hier sind zu viele Fenster!
PALÄMON.
Der Teufel hole diese neid'sche Brut!
Viel lieber tödte mich.
KERKERMEISTER.
Um selbst nachher
Dafür zu hängen!
PALÄMON.
Hätt' ich nur ein Schwert,
So tödtete ich dich!
KERKERMEISTER.
Warum, mein Prinz?
PALÄMON.
Du bringst nur immer Böses mir und bist
Nicht werth zu leben. Nein, ich gehe nicht!
[39] KERKERMEISTER.
Ihr werdet müssen!
PALÄMON.
Kann man dort den Garten
Auch sehen!
KERKERMEISTER.
Nein!
PALÄMON.
Nun wohl, so bleib' ich hier!
KERKERMEISTER.
Dann werd' ich mit Gewalt Euch weiter schaffen,
Und widersetzt Ihr Euch, Euch stärker fesseln!
PALÄMON.
Thu's immerhin, die Fesseln schüttl' ich ab;
Und schlafen sollst du nicht, solch einen Tanz
Führ' ich dir auf! – So muß ich wirklich gehn?
KERKERMEISTER.
Ich seh' kein andres Mittel!
PALÄMON.
Nun, leb' wohl,
Du liebes Fenster! Möge nie ein Sturm
Dir schaden. Holde Dame meines Herzens,
Wenn jemals du erfahren hast, was Leid,
So träume von dem meinen! – Komm, begrab' mich!

(Beide ab.)
Dritte Scene
(Gegend bei Athen.)

Arcites tritt auf.

ARCITES.
Verbannt des Landes! Eine große Gnade,
Für die ich dankbar sein muß, – doch verbannt
Aus ihrem Angesicht, für die ich lebe?
Viel härter als der Tod ist diese Strafe,
So hart, daß, wär' ich alt und schuldbeladen,
All meine Sünden solche Strafe nicht
Rechtfert'gen würden. – Jetzt bist du, Palämon,
Im Vortheil; du bleibst da und kannst nunmehr
An jedem Morgen sehn, wie ihre Blicke
Sich auf dein Fenster richten, neues Leben
In dir entzündend; kannst vom Honigseim
Der Schönheit zehren, wie Natur sie nie
Noch übertraf und übertreffen wird. –
Ihr Götter, wie Palämon glücklich ist!
Ich wette drauf, sie kommt und spricht mit ihm,
Und wenn sie gütig, wie sie reizend ist,
[40]
Gewinnt er sie, denn er hat eine Zunge,
Die Stürme sänft'gen kann und rauhe Felsen
Geschmeidigmachen. – Komme, was da will,
Ich bleibe hier; das Schlimmste ist der Tod!
In meinem Lande find' ich nichts als Trümmer,
Da ist kein Trost, und geh' ich fort von hier,
So hat er sie. Darum soll mir Verkleidung
Zum Ziele helfen, oder – ich bin todt!
So oder so, ich werde glücklich sein,
Ihr nahe, oder überhaupt nicht mehr!

(Vier Landleute, einer von ihnen mit einem Kranze voran, treten auf.)
ERSTER LANDMANN.
Nu gut, ich gehe mit.
ZWEITER LANDMANN.
Und ich desgleichen.
DRITTER LANDMANN.
Dann geh' ich auch.
VIERTER LANDMANN.
Laßt nur die Weiber schimpfen,
Was schiert uns das? Stellt Euren Pflug beiseite,
Ich schind' die Mähren morgen dafür doppelt.
ERSTER LANDMANN.
Die Meine ist so eifersüchtig wie
Ein Truthahn, aber das ist mir egal;
Ich gehe doch und wenn sie noch so schilt!
ZWEITER LANDMANN.
Geh' lieber morgen Abend drauf und gib
Ihr eine volle Ladung, dann ist's gut.
DRITTER LANDMANN.
Ja, gib ihr's in die Hand und du wirst sehn,
Wie sie sich schnell bekehrt und kirre wird.
Zuerst gehn wir zur Maie.
VIERTER LANDMANN.
Warum das?
DRITTER LANDMANN.
Arcas ist dort.
ZWEITER LANDMANN.
Auch Sennois und Rycas,
Drei bess're Bursche haben um die Maie
Noch nie getanzt, und nun die Mädchens erst!
Was meint ihr aber, wird der Domine,
Der Dorfschulmeister, kommen? Denn ihr wißt,
Er ist die Hauptperson.
DRITTER LANDMANN.
O, seid nicht bange,
Sein A-b-c-Buch würd' er eh'r verschlingen,
Als nicht dabei sein. Mit des Gerbers Tochter
Ist ja die Sache schon zu weit gediehn,
Er läßt nicht los. Sie muß den Herzog sehn,
Und tanzen will sie auch!
[41] VIERTER LANDMANN.
's wird herrlich werden!
ZWEITER LANDMANN.
Die Bursche in Athen, sie können alle,
So wie sie sind, uns in die Hosen blasen.
Hier will ich sein und dort und wieder hier
Und wieder dort! Die Weber sollen leben!
ERSTER LANDMANN.
Im Wald agiren wir.
VIERTER LANDMANN.
Wär' es nicht besser –
ZWEITER LANDMANN.
Nein, nein, so steht's im Buch; der Domine
Wird vor dem Herzog eine Rede halten.
Im Wald ist er vortrefflich; auf dem Felde
Dagegen keinen Heller werth.
DRITTER LANDMANN.
Nu gut!
Erst sehn wir uns die Spiele an, dann gehen
Wir ins Geschirr. Laßt uns nur gut probiren,
Eh' uns die Damens sehn, und seid recht zärtlich.
Gott weiß, was noch daraus entstehen kann!
VIERTER LANDMANN.
Nu, Jungens, kommt und haltet euch zusammen.
ARCITES.
Erlaubt mir, lieben Freunde, wohin geht ihr?
VIERTER LANDMANN.
Was fragt Ihr uns so närrisch?
ARCITES.
Nun, ich frage,
Weil ich es wissen möchte.
DRITTER LANGMANN.
Zu den Spielen!
ZWEITER LANDMANN.
Ihr seid wohl nicht von hier, sonst wüßtet Ihr's.
ARCITES.
Nein, ich bin fremd. Gibt's heute Spiele hier?
ERSTER LANDMANN.
Das will ich meinen, bess're saht Ihr nie,
Der Herzog selbst wird gegenwärtig sein.
ARCITES.
Und was für Spiele sind das?
ZWEITER LANDMANN.
Ringen, Laufen!
He, wollt Ihr mit uns gehn?
ARCITES.
Ich komme nach!
VIERTER LANDMANN.
Nu, wie Ihr wollt! Kommt, Jungens.
ERSTER LANDMANN.
Ich mistraue
Dem Kerl; dem steckt was Falsches in der Hüfte,
Sie nur, sein Leib ist wie dazu gemacht –
ZWEITER LANDMANN.
Ich will mich hängen lassen, wenn er's wagt.
[42]
Der Teufel hole diesen Tellerlecker!
Der ringen? Faule Eier! Jungens, kommt!

(Die vier Landleute ab.)
ARCITES.
Nicht besser hätte die Gelegenheit
Mir passen können. Alle Kenner sagen,
Ich wär' im Ringen Meister und im Laufen
So flüchtig wie der Wind, wenn er die Aehren
Des Feldes streift. Ich wag's, – verkleidet will
Ich zu dem Spiele gehn, und wenn das Glück
Mir günstig ist, so kann ich dort vielleicht
Den Kranz und solche Stellung mir erringen,
Daß ich in ihrer Nähe bleiben darf.

(Ab.)
Vierte Scene
(Ein Zimmer im Gefängniß.)

Die Tochter des Gefängnißwärters tritt auf.

TOCHTER.
Ach! warum lieb' ich ihn? Er wird doch niemals
Mich wieder lieben. Ich bin ihm zu schlecht,
Mein Vater ist sein Kerkermeister, er
Ein Prinz! Sein Weib zu werden, daran ist
Doch nicht zu denken, und sein Liebchen nur
Zu sein, wär' eine Schmach, das möcht' ich nicht.
Was doch uns armen Mädchen alles droht,
Wenn wir die Fünfzehn erst im Rücken haben!
Als ich zuerst ihn sah, dacht' ich bei mir:
»Ein schöner Mann! Wenn er's benutzen wollte,
Er könnt' den Frauen schon gefährlich werden,
Mehr als ein andrer, den ich je gesehn.« –
Danach that er mir leid, und jeder hätt' er's
Gethan, die träumend ihrer Jugend Unschuld
Sich aufbewahrt für einen schönen Mann.
Dann liebt' ich ihn unendlich, unaussprechlich,
Obgleich sein Vetter ihm an Schönheit gleicht.
Doch hier in meinem Herzen herrscht Palämon
Allein und unumschränkt! – Ihn singen hören
Des Abends, welche Himmelslust, und doch
Wie traurig ist sein Lied! – Voll süß'rer Rede
War nie ein Mann. Wenn ich am Morgen komme
Und Wasser bringe, neigt er sich zum Gruß
[43]
Und spricht dann: »Guten Morgen, liebes Mädchen,
Geb' dir der Himmel einen braven Mann.«
Ja einmal hat er mich sogar geküßt,
Zehn Tag' lang war ich stolz auf meine Lippen.
Ich wollt' er thät es öfter! Ach, sein Elend
Macht traurig ihn und mich, wenn ich es sehe.
Wie fang' ich es doch an, damit er weiß,
Daß ich ihn liebe, – wollt', er wäre mein!
Soll ich es wagen, – ihm die Freiheit geben?
Doch das Gesetz? – ei, was, – was kümmern mich
Gesetze und Verwandtschaft! Ja, ich thu's
Noch heute oder morgen ist er mein!

(Ab.)
Fünfte Scene
(Ein offener Platz in Athen.)

Theseus, Hippolyta, Pirithous, Emilia, Arcites (als Bauer verkleidet) mit dem Kranze, Landleute.

THESEUS.
Du hast es brav gemacht. Seit Hercules
Sah ich mit so gewalt'gen Sehnen keinen.
Wer du auch seist, du ringst und läufst so gut,
Wie ich's von keinem sah.
ARCITES.
Ihr macht mich stolz.
THESEUS.
Welch Land erzog dich?
ARCITES.
Dieses, gnäd'ger Herr,
Doch fern von hier.
THESEUS.
Bist du ein Edelmann?
ARCITES.
Mein Vater sagte so und zog als solchen
Mich auf.
THESEUS.
Bist du sein Erbe?
ARCITES.
Nein, ich bin
Ein jüng'rer Sohn.
THESEUS.
Fürwahr, dein Vater ist
Beneidenswerth. Was kannst du?
ARCITES.
Allerlei,
Was einem Edelmann zu können ziemt.
Mit Falken weiß ich umzugehn, der Meute
Gekläff' kann ich mit Jägerrufe wecken,
Und was die Kunst des Reitens anbetrifft,
So will ich mich nicht rühmen, doch man sagt,
[44]
Daß sie die beste sei von meinen Künsten;
Am liebsten aber wär' ich doch Soldat.
THESEUS.
Du bist der Mann dazu.
PIRITHOUS.
Bei meiner Seele!
EMILIA.
Ja, das ist wahr!
PIRITHOUS.
Gefällt er Euch, mein Fräulein?
HIPPOLYTA.
Ich staune! Wenn es wahr ist, was er sagt,
Sah ich noch niemals einen edlern Mann
In schlecht'rer Tracht.
EMILIA.
Gewiß war seine Mutter
Ein wunderschönes Weib. Irr' ich mich nicht,
So hat er ihr Gesicht.
HIPPOLYTA.
Und von dem Vater
Den kräft'gen Körper und den Feuergeist.
PIRITHOUS.
Wie das verhüllte Licht der Sonne bricht
Aus schlechter Kleidung seine Kraft hervor!
HIPPOLYTA.
Ja, er ist schön gegliedert.
THESEUS.
Sag', was suchst
Du hier in dieser Stadt?
ARCITES.
O, edler Theseus,
Ich suche Ruhm und möchte meine Dienste
Dem Würdigsten der Würd'gen weihen – dir.
Denn nirgends sonst, an keinem Hof der Welt,
Wohnt sternenklare Ehre so wie hier.
PIRITHOUS.
Höchst lobenswerth ist alles, was er spricht.
THESEUS.
Ich danke dir, daß du gekommen bist,
Und lasse dich nicht fort. Pirithous,
Dir übergeb' ich diesen jungen Mann.
PIRITHOUS.
Ich danke, Theseus, dir. Wer Ihr auch seid,
Jetzt seid Ihr mein, und so bestell' ich Euch
Zum Dienste dieser jungen, schönen Dame,
Dem edelsten, dem ich Euch weihen kann.
Ihr habt durch Eure Kraft und Kunst ihr Fest
Verherrlicht, und deshalb gehört Ihr ihr.
Küßt ihre schöne Hand!
ARCITES.
O Herr, Ihr seid
Ein edler Geber. Laßt, verehrte Schöne,
Mich das Gelübde meiner Treu besiegeln!

(Er küßt Emilia's Hand.)

Wenn jemals Euer Diener, Euer Sklav',
Euch kränken sollte, laßt ihn Tod erleiden.
[45] EMILIA.
Das wäre doch zu grausam! Euer Werth
Wird, denk' ich, mir nicht lang' verborgen bleiben.
Ihr seid nun mein, und besser will ich Euch
Behandeln, als es Euer Rang verlangt.
PIRITHOUS.
Vorerst sei's meine Sorg', Euch auszustatten,
Und da Ihr sagt, Ihr wär't ein guter Reiter,
So probet heute Nachmittag mir eins
Von meinen Pferden; 's ist ein wenig wild!
ARCITES.
O, desto besser, Herr, dann werd' ich nicht
In meinem Sattel frieren.
THESEUS.
Theures Weib,
Und du Emilia, du Freund, ihr alle
Macht fertig euch, den ersten Tag des Mai
Im Wald Diana's morgen früh zu feiern.

(Zu Arcites.)

Gib nur auf deine Herrin sorglich Acht.

(Zu Emilia.)

Er wird doch nicht zu Fuße gehen müssen?
EMILIA.
Hab' ich etwa der Pferde nicht genug?
Wähl' eines dir davon, und was du sonst
Noch etwa nöthig hast, das lass' mich wissen.
So lang' du treu mir dienst, das sei versichert,
Will ich dir eine güt'ge Herrin sein.
ARCITES.
Und dien' ich anders, möge das mir werden,
Was meist mein Vater haßte: Schläg' und Schande!
THESEUS.
Jetzt aber führ' uns an! Du warest Sieger
Und sollst, wie sich's gebührt, auch alle Ehre,
Die du erworben hast, von uns empfangen.
Wahrhaftig, Schwester, hätt' ich solchen Diener
Und wär' ein Weib, er sollte Herr mir sein;
Doch du bist weise!
EMILIA.
Dazu, ja, zu weise!

(Alle ab.)
Sechste Scene
(Athen; vor dem Gefängniß.)

Die Tochter des Gefängnißwärters tritt auf.

TOCHTER.
Nun laß den Herzog, laß die Teufel toben,
In Freiheit ist er, – ja ich hab's gewagt!
Ich habe nach dem Wäldchen ihn gewiesen,
Nicht fern von hier, da, wo die hohe Ceder
[46]
Am Bache steht, die Zweige weit ausbreitend,
Dort soll er bleiben, bis ich Feilen ihm
Und Speise hingebracht, denn von den Fesseln
Ist er noch nicht befreit.
Was bist du doch,
O Liebe, für ein wagehalsig Ding!
Mein Vater hätte eh'r dem kalten Eisen
Ins Angesicht geschaut, als das gethan!
Ich aber lieb' ihn, brünstig, ohne maßen,
Zum Wahnsinn, und ich hab's ihm auch gesagt.
Es ist mir alles gleich, ich bin verzweifelt!
Wenn das Gesetz mich faßt und mich verdammt,
So werden mitleidherz'ge Jungfrau'n mir
Ein Grablied singen und im Tode noch
Als Märtyrin mich preisen.
Dorthin ging er,
Das ist auch mein Weg. Sicher wird er nicht.
So schmachvoll handeln und mich sitzen lassen.
Wenn er das thäte, würde nie ein Mädchen
Den Männern mehr vertrau'n! – Und doch – er hat
Für das, was ich gethan, mir nicht gedankt,
Mich nicht einmal geküßt. Das war nicht recht!
Kaum daß ich ihn zur Flucht bewegen konnte;
Er fürchtete für mich und meinen Vater
Die schlimmsten Folgen. – Aber mit der Zeit,
So hoff' ich, wird er mich ja doch noch lieben.
Wenn er nur sanft und freundlich mit mir ist,
So ist's schon gut, dann thu' er, was er will.
Doch ist er das nicht, sag' ich ins Gesicht ihm,
Daß er kein guter und gerechter Mann!
Nun muß ich ein'ges noch für ihn besorgen
Und meine Kleider packen. – Wo er weilt,
Da will ich bei ihm sein, und wie sein Schatten
Ihn nicht verlassen. – Nur ein Stündchen noch,
So schallt der Wache Nachtruf durchs Gefängniß,
Dann küss' ich den, den ihr zu hüten glaubt.
Leb' wohl, mein Vater! Wenn du solcher Töchter
Und solcher Staatsgefangnen viele hättest,
Du würdest bald allein sein. Jetzt zu ihm!

(Ab.)

(Der Vorhang fällt.)
[47]

Dritter Act

Erste Scene
(Ein Wald nahe bei Athen.)

Arcites tritt auf.

ARCITES.
Der Herzog sucht Hippolyta. Sie ritt
Nach andrer Richtung. – Heute feiert man
Das Fest des Blumenmonds im grünen Walde
Hier bei Athen. – Emilia, Königin,
Du, frischer als der Mai, viel schöner du
Als seine goldnen Knösplein an den Zweigen,
Als all der Gärten und der Wiesen Zier,
Was ist die Nymphe, die des Baches Ufer
Mit Blumen schmückt, was ist sie gegen dich?
Du bist des Waldes, bist der Welt Juwel,
Und heiligst jeden Ort, an dem du weilst.
O, daß du manchmal meiner doch gedächtest,
Und unsere Gedanken so sich träfen!
Dreimal gesegnet nenn' ich mein Geschick,
Das solche edle Herrin mir beschieden.
Sag' mir, Fortuna, – du, die nächst Emilia
Gebietest über mich, was darf ich hoffen?
Gewogen scheint sie mir, hält mich um sich
Und hat mir heut an diesem schönen Morgen,
Dem lieblichsten des Jahrs, zwei prächt'ge Pferde,
Die selbst gekrönte Könige zu tragen
Zu schlecht nicht wären, zum Geschenk gemacht. –
Palämon, armer Vetter, dich Gefangnen
Bedaur' ich! Ach! So wenig ahnest du,
Wie glücklich ich jetzt bin, daß du dich selbst
Für den Beglückten hältst, weil du Emilien
Dich näher glaubst; doch wenn dir jemand sagte,
Daß der Geliebten Athem mich umweht,
Mein Ohr sie hört, in ihrem Blick ich lebe,
O, Vetter, dich verzehrte Eifersucht!

[48] (Palämon tritt aus einem Gebüsch heraus, noch mit den Fesseln beladen; er hebt gegen Arcites die Faust auf.)
PALÄMON.
Verrätherischer Vetter! Hinderten
Nicht diese Zeichen der Gefangenschaft
Den Arm mir, hätt' ein Schwert ich in der Hand,
So wollt' ich meinen Zorn dich fühlen lassen,
Bekennen solltest du dich als Verräther
Vor mir und meiner Liebe Richterstuhl!
Treuloser mit des Edelmanns Mienen,
Ehrloser, der der Ehre Zeichen trägt,
Heimtück'scher Vetter, der sein Blut verleugnet –
Du nennst sie dein? Beweisen will ich dir's,
Gefesselt wie ich bin, mit diesen Händen,
Wie ich da steh', daß du ein Lügner bist,
Ein Liebesdieb, ein unverschämter Prahler,
Der selbst den Namen Schurke nicht verdient!
Hätt' ich ein Schwert und wär' der Fesseln ledig –
ARCITES.
Palämon, lieber Vetter! –
PALÄMON.
Gib mir Antwort,
Wie's einem Mann geziemt! –
ARCITES.
Ich finde nichts
In meiner Brust, dein Drohen zu erwidern!
Hör' mich mit Ruhe an: Die Leidenschaft
Führt irre dich, sie ist dein eigner Feind
Und darum auch der meine. Ehr' und Treue
Sind heilig mir, wie sehr du mir sie auch
Absprechen willst! Mit ihnen, guter Vetter,
Bring' ich in Einklang alles, was ich that;
Ein Ebenbürt'ger steht dir gegenüber!
Fügt' ich dir Unrecht zu, so sag' es mir
In würd'ger Weise, – und mit Wort und Schwert
Werd' ich als Edelmann dir Rede stehn!
PALÄMON.
Das wagtest du, Arcit?
ARCITES.
Ei, ei, Palämon!
Ich denke doch, du wüßtest, was ich wage,
Mein Schwert kennt keine Furcht! Wahrhaftig, niemand
Bezweifelt meine Tapferkeit als du,
Der vor dem Altar für sie zeugen sollte.
PALÄMON.
's ist wahr, im Kampf der Männer sah ich dich
Als Held; man nennt dich einen guten Ritter
Und tapfer. Aber regnet's einen Tag,
[49]
So ist die ganze Woche gleich verdorben.
Verräthern geht die Tapferkeit verloren,
Sie kämpfen wie gefangne Bären, die
Viel lieber flöhen, wenn sie frei nur wären.
ARCITES.
Sprich immer, stell' dir's so im Spiegel vor,
Nicht mir, der dich verachtet!
PALÄMON.
Komm heran,
Nimm mir die Fesseln ab, gib mir ein Schwert,
Das schlechteste, und – aus Barmherzigkeit
Etwas zu essen. Dann tritt vor mich hin
Mit einem guten Schwerte in der Hand
Und sage, daß Emilia dir gehöre!
Vergeben will ich alles, was du that'st,
Ja, meinen Tod selbst, wenn du Sieger bleibst;
Und wenn mich im Elysium tapfre Seelen,
Die männlich starben, um der Erde Dinge
Befragen, will ich ihnen nichts verkünden,
Als daß du brav und tapfer bist.
ARCITES.
Sei ruhig
Und geh' zurück jetzt in dein grünes Haus.
In stiller Nacht komm' ich mit Speise her,
Die Fesseln feil' ich ab und bring' dir Kleider,
Auch duftend Oel, des Kerkers Dunst zu scheuchen.
Sobald du dann gestärkt dich fühlst und sprichst:
»Arcit, jetzt ist mir wohl!« soll's auch an Schwert
Und Rüstung dir nicht fehlen!
PALÄMON.
O, ihr Götter,
Ward Missethat so edel je vollbracht?
Das kann fürwahr Arcit nur, – er allein
Ist das zu thun im Stande.
ARCITES.
Lieber Vetter, –
PALÄMON.
Dein Anerbieten nehm' ich an und danke;
Willkommen ist's – dein Anerbieten mein' ich.
Dich selber aber, offen sprech' ich's aus,
Wünsch' ich mir vor die Schneide meines Schwertes.

(Hörnerklang.)
ARCITES.
Hörst du die Hörner dort! In das Gebüsch
Zieh' dich zurück und laß den Zug vorüber.
Gib mir die Hand jetzt, lebe wohl! Ich bringe
Dir alles, was du brauchst, und bitte dich:
Sei stark und fasse Muth!
[50] PALÄMON.
Halt dein Versprechen,
Wie schwer es dir auch wird. Du liebst mich nicht,
Das weiß ich, darum sprich nur rauh mit mir
Und laß der Rede glatte Form beiseite;
Ich möcht' statt jedes Worts dir Schläge geben,
Mit Gründen schafft man einmal nichts bei mir.
ARCITES.
Das wenigstens ist ehrlich. Jeder macht's
Nach seiner Art. Ich schelte nicht mein Pferd,
Wenn ich es sporne; Aerger wie Gefallen,
Sie tragen einerlei Gesicht bei mir.

(Hörnerklang.)

Jetzt ruft man die Zerstreuten zum Banket,
Mein Dienst verlangt dorthin mich!
PALÄMON.
Solch ein Dienst
Gefällt dem Himmel nicht, denn unbefugt
Versiehst du ihn.
ARCITES.
Man übertrug ihn mir,
So ist's mein Recht; doch diese heikle Frage,
Sie bleibt als Krankheit zwischen uns, die erst
Durch einen Aderlaß geheilt muß werden.
So überlaß sie also deinem Schwert
Und sprich nicht mehr davon.
PALÄMON.
Nur noch ein Wort:
Du gehst und wirst jetzt meine Herrin sehn,
Denn mir gehört sie –
ARCITES.
Mir!
PALÄMON.
Nein, sie ist mein! –
Durch Speise willst du neue Kraft mir geben,
Indeß du einer Sonn' ins Antlitz schaust,
Die allem Kraft verleiht, auf das sie blickt.
So bist du doch im Vortheil gegen mich.
Gleichviel – bis ich es bess're, sei's! Leb' wohl!

(Beide ab.)
Zweite Scene
(Ein anderer Theil des Waldes.)

Die Tochter des Gefängnißwärters.

TOCHTER.
Den Ort, den ich ihm angab, fand er nicht,
Er irrt umher, und schon beginnt's zu tagen.
[51]
Was fang' ich an? Ich wollt', 's wär' ewig Nacht
Und Finsterniß wär' Herrscherin der Welt.
Horch, horch! Das ist ein Wolf! Ach, mir hat Leid
Die Furcht getödtet. Um Palämon nur
Bin ich in Sorge; hätt' er nur die Feilen,
So möchte mich der Wolf verschlingen. Ha,
Wie wär' es, wenn ich ein Hallo erhübe?
Zu schwach ist meine Stimme! Oder ahm' ich
Den Ruf der Eule nach? Er hört es nicht,
Ich locke damit nur den Wolf heran.
Was das für ein Geheul die ganz Nacht
Im Wald hier war! Wenn er nur nicht die Beute
Der wilden Thiere ward, denn ohne Waffen
Ist er, und dabei doch am Lauf behindert.
Das Klirren seiner Ketten lockt die Bestien
Auf seine Spur, die aus Instinct schon wissen,
Ob einer wehrlos oder gut gewaffnet
Zum Widerstande ist. – Gesetzt den Fall,
Sie hätten, ach, in Stücke ihn zerrissen,
Denn viele heulten miteinander hier,
Und können ihn gar leicht verschlungen haben,
Was dann? Mach' es dir klar, was dann, was dann?
Ach, wenn er todt ist, so ist alles aus!
Doch nicht! Du irrst, dann hängt man deinen Vater,
Weil jener floh, und schickt dich Arme betteln,
Wenn du am Leben hängst und alles leugnest,
Was du gethan. Doch nein, das werd' ich nicht,
Und müßt' ich tropfenweis den Tod verschlucken.
Mir schwindelt! Seit zwei Tagen aß ich nichts,
Trank etwas Wasser nur und schloß kein Auge.
Erlöse mich von meinen Leiden, Tod,
Daß ich verrückt nicht werde, mich ersäufe,
Erdolche oder hänge! Brich, Natur,
Zusammen, da die besten Stützen wanken.
Wo geh' ich hin? Wohin, als in das Grab,
Auf jedem andern Wege find' ich Qualen.
Die Heimchen zirpen schon, der Mond geht unter,
Der Eule Schrei verscheucht die Dämmerung.
Die Nacht hat ihr Geschäft vollbracht, nur meines
Blieb ungethan; doch alles muß zuletzt
Ein Ende nehmen, das ist noch das Beste!

(Ab.)
[52]
Dritte Scene
(Derselbe Theil des Waldes wie in der ersten Scene.)

Arcites tritt auf; er bringt Essen, Wein, Feilen u.s.w. getragen.

ARCITES.
Hier bin ich nah' dem Ort. Palämon – ho –

(Palämon kommt.)
PALÄMON.
Arcites?
ARCITES.
Ja! Ich bring' dir Speis' und Feilen,
Komm, fürchte nichts, kein Theseus lauert hier.
PALÄMON.
Nein, keiner, der so edel.
ARCITES.
Laß das jetzt,
Davon nachher! Nun fasse frischen Muth,
Du sollst nicht sterben wie ein Vieh. Da, trink'!
Du kannst ja kaum mehr stehn; – das Weitre später.
PALÄMON.
Du könntest mich vergiften, Vetter.
ARCITES.
Freilich,
Das könnt' ich, aber dann müßt' ich dich fürchten.
Sitz' ruhig hin und laß nun das Gewäsch,
Wir kennen uns und wissen, was wir werth sind,
So reden Narr'n und Feige miteinander.
Hier trink' ich auf dein Wohl!
PALÄMON.
Wie dir's gefällt.
ARCITES.
Und sprich jetzt von Emilia nicht mehr,
Bei Ehr' und Ehrlichkeit beschwör' ich dich,
Das bringt uns nur zusammen, – davon später!
PALÄMON.
Nun wohl, ich thu' Bescheid dir.
ARCITES.
Trinke tüchtig,
Das macht frisch Blut; he, merkst du, daß es wirkt?
PALÄMON.
Erst ein paar Züge noch, dann sag' ich's dir.
ARCITES.
Nur nicht geschont, der Herzog hat noch mehr.
Jetzt aber iß!
PALÄMON.
Gewiß!
ARCITES.
Ich freu' mich nur,
Daß du so einen guten Magen hast.
PALÄMON.
Und ich noch mehr, daß ich für diesen Magen
So gute Speise habe.
ARCITES.
Sage, Vetter,
Es läßt sich wohl recht schlecht im Wald hier hausen?
PALÄMON.
Für jeden, der ein schlecht Gewissen hat.
[53] ARCITES.
Wie schmeckt das Essen dir? Mir scheint, dein Hunger
Bedarf der Saucen nicht?
PALÄMON.
Da hast du recht!
Und so ist's gut; die deine, Vetter, wäre
Mir doch zu beißend. Was für Fleisch ist das?
ARCITES.
Ich glaube Wildpret.
PALÄMON.
Delicat, fürwahr.
Schenk' ein! Hier, auf das Wohl der hübschen Mädchen,
Die wir zu uns'rer Zeit gekannt. Erinnerst
Du dich des Mundschenks schöner Tochter noch?
ARCITES.
Und du?
PALÄMON.
Sie liebte einen jungen Mann
Mit dunkelbraunem Haar –
ARCITES.
Nun wohl, was weiter?
PALÄMON.
Der, wie die Rede ging, Arcites hieß –
ARCITES.
Nur frisch heraus!
PALÄMON.
In einer Laube trafen
Sie oft zusammen, Vetter; wozu das?
Spielt' er ihr etwas vor auf dem Spinett?
Worüber sie dann einen ganzen Mond,
Ja zwei und drei und zehn hat seufzen müssen!
ARCITES.
Nicht besser ging's, wenn ich mich recht entsinne
Des Marschalls Schwester, nicht? Denn wenigstens
Sprach man so etwas. Stoße an auf sie!
PALÄMON.
Ich bin bereit!
ARCITES.
Ein allerliebstes Mädchen.
Einmal geschah's, da gingen junge Leute
Zum Jagen in den Wald, – dort stand 'ne Birke,
Und an die Birke hing sich ein Geschichtchen.
Ei, ei!
PALÄMON
(aufspringend).
Bei Gott, Emilia allein!
Hinweg mit alle dieser Narretei.
Ich sag's noch einmal, dieser Seufzer galt
Emilien, und du, verdammter Vetter,
Fängst jetzt schon wieder an!
ARCITES.
Da irrest du!
PALÄMON.
Bei Erd' und Himmel, nichts an dir ist ehrlich.
ARCITES.
Ich gehe, denn du gleichst jetzt einer Bestie!
PALÄMON.
Ja, dazu hast du mich gemacht, Verräther!
ARCITES.
Du hast jetzt alles, was du brauchst, hast Feilen,
[54]
Hast Oel und Salben und ein frisch Gewand.
Nach zween Stunden bin ich wieder hier,
Dann bring' ich was uns weiter Ruh' soll schaffen.
PALÄMON.
Ja, Schwert und Rüstung.
ARCITES.
Fürchte nichts von mir.
Jetzt bist du noch zu schwach mir. Lebe wohl,
Trag' deine Sachen fort; nichts soll dir mangeln!
PALÄMON.
Ha, Vetter!
ARCITES.
Geh', ich will nichts weiter hören!

(Ab.)
PALÄMON.
Hält er sein Wort, dann muß er dafür sterben.

(Ab.)
Vierte Scene
(Ein anderer Theil des Waldes.)

Die Tochter des Kerkermeisters tritt auf.

TOCHTER.
Mich friert! Die Sterne droben sind erloschen,
So groß wie klein, des Himmels Flitterschmuck;
Das Licht der Sonne schaut auf meine Thorheit.
Palämon, ach, er ist im Himmel nun,
Und wo bin ich? – Dort ist die See und dort
Ein schwankend Schiff, das auf den Wellen tanzt.
Dort unterm Wasser liegt ein Fels und lauert, –
Jetzt, jetzt, – da stößt es auf – die Planken splittern, –
Dreht's nach dem Wind, sonst seid ihr alle hin, –
Schnell an die Segel, fest gehalten, Leute –
Gut Nacht – sie sanken schon! –
Mich hungert sehr!
Ich wollt', ich könnte mir ein Fröschlein finden,
Das sollt' mir sagen, was da draußen Neues
In weiter Welt geschieht. Dann baut' ich mir
Ein schönes Schiff aus einer Muschelschale
Und führ' gen Ost zum König der Pygmä'n,
Der kann die Zukunft deuten, wie kein andrer!
Ich wett', um meines Vaters Nacken dreht
Sich morgen eine Schlinge. Stille – still!

Einen Fuß überm Knie meinen grünen Rock,
Einen Zoll unterm Aug meine gelbe Lock',
Hei di hei, will ich scheren.
[55]
Will kaufen mir eine weiße Mähr',
Ihn suchen und reiten hin und her,
Hei di hei, soll's niemand mir wehren.
O, einen Dorn mir, wie die Nachtigall,
Die Brust mir zu durchbohren! Schlafen, schlafen!

(Ab.)
Fünfte Scene
(Ein anderer Theil des Waldes.)

Gerrold, vier Bauern als Morristänzer, ein fünfter als Pavian, vier Landmädchen mit einem Tambourinschläger treten auf.

GERROLD.
Pfui, wie ihr ungeschickt und täppisch seid!
Hab' ich so lang' euch mit der Muttermilch
Der Weisheit aufgepäppelt, so zu sagen
Mit meiner Lehre Mark und Pflaumentunk'
Herangefüttert, daß ihr nun nichts wißt,
Als immer nur wie? wo? weshalb? zu fragen?
Ihr Esel, sagt' ich nicht: »So soll es sein«,
Und »Hier soll's sein« und »Dann soll's sein«? Doch keiner
Von euch begriff's. Proh Deum, medius fidius,
Schafsköpfe seid ihr alle. – Hier steh' ich.
Weswegen, he? Weil hier der Herzog kommt!
In dem Gebüsch hier nebenan steht ihr;
Sobald er kommt, geh' ich entgegen ihm
Und sprech' ihm allerlei gelehrte Dinge
In kräft'gen Bildern vor. Er horcht und nickt,
Ruft dann: »Vortrefflich!« Und ich fahre fort.
Dann werf' ich meine Mütze in die Luft,
Das ist das Zeichen, – dann brecht ihr hervor
Wie Meleager und der wilde Eber,
Doch zierlich, wie es Treuverliebten ziemt,
Stellt euch in Positur und tanzt ihm, Jungens,
Mit zartem Anstand euren Reigen vor.
ERSTER BAUER.
Ja, ja, mit zartem Anstand, Meister Gerrold.
ZWEITER BAUER.
Nu kommt! Wo ist der mit dem Tamburin?
DRITTER BAUER.
Herr Timothe, wo bist du?
TIMOTHE.
Hier Kam'raden!
[56] GERROLD.
Und wo sind eure Mädchens?
VIERTER BAUER.
Hier ist Fritze
Und Lorchen hier –
ZWEITER BAUER.
Und da das kleine Lieschen
Mit ihren weißen Beinen – und Karline –
ERSTER BAUER.
Und Nelly mit den Sommersprossen.
GERROLD.
Habt
Ihr auch die Bänder nicht zu Haus vergessen?
Nun, nur recht frei und lose in den Hüften,
Und hin und wieder einen kleinen Hops!
NELLY.
Das werden wir schon machen!
GERROLD.
Aber wo
Ist die Musik?
DRITTER BAUER.
Vertheilt, wie Ihr's befahlt.
GERROLD.
So tretet jetzt zu Paaren an und seht,
Ob auch nichts fehlt. Wo ist der Pavian?
Gib Acht, mein Freund, daß du mit deinem Schwanz
Die Damen nicht beleidigst und recht männlich-
Verwegen deine Purzelbäume schlägst!
Und wenn du brüllst, so brülle ja recht fein!
PAVIAN.
Verlaßt Euch nur auf mich!
GERROLD.
Quousque tandem?
Hier fehlt ja noch ein Mädchen!
VIERTER BAUER.
Sapperment,
Nu pfeif' dir was! Im Feuer liegt der Speck.
GERROLD.
Wir haben einen Ziegelstein gewaschen,
Wie wir Gelehrte sagen, waren fatui
Und plagten uns umsonst!
ZWEITER BAUER.
Ei, diese Vettel!
Cäcilia, der Näht'rin Tochter, die!
So fest versprach sie, pünktlich hier zu sein.
Nu, warte nur, – aus Hundeleder sollen
Die nächsten Handschuh sein, die du von mir
Bekommen wirst. Ihr könnt's dem Arcas sagen,
Zu kommen schwur sie mir bei Brot und Wein!
GERROLD.
Ein Frauenzimmer und ein Al, so sagt
Der Dichter, wollen bei dem Schwanz
Und mit den Zähnen fest gefaßt sein, wenn
Sie nicht entschlüpfen sollen. Pfui doch, pfui!
ERSTER BAUER.
Das Fieber über sie, da sitzen wir!
DRITTER BAUER.
Was fangen wir nun an?
[57] GERROLD.
Jetzt ist es aus,
All unsre Müh' ist eine Nullität,
'ne traurig jammervolle Nullität!
VIERTER BAUER.
Wo's um die Ehre unsres Dorfs sich handelt,
So pflichtvergessen sein, 's ist unverzeihlich!
Sie soll mir kommen, das gedenk' ich ihr!
(Die Tochter des Kerkermeisters tritt auf und singt.)
TOCHTER.
Ho ho, von Süden Jung Jürge kam,
Von der Küste der Barbarei,
Brave Gesellen er zu sich nahm,
Einen und zwei und drei.

Willkommen, willkommen ihr Bursche fein,
Wo geht eure Reise hin?
Nun lasset mich euer Gefährte sein,
Bis ich zur Stelle bin.

Drei Narren erhuben ein groß' Geheul:
Der eine sagte, er wär' 'ne Eul',
Der zweite thät sich's verbitten,
Der dritte sagte, er wär' ein Falk,
Sie hätten ihm aber, meinte der Schalk,
Die Glocken abgeschnitten.
DRITTER BAUER.
Seht, Meister, seht, da kommt uns eine prächt'ge
Verrückte in den Wurf, die ist so toll
Wie ein Märzhase. Kriegen wir sie rum,
Daß sie mittanzt, so sind wir aus der Noth.
Die macht gewiß ganz wundervolle Sprünge!
GERROLD.
Sag', Liebchen, bist du toll?
TOCHTER.
's wär' traurig sonst!
Reich' mir die Hand.
GERROLD.
Wozu?
TOCHTER.
Will dir wahrsagen.
Du bist ein Narr. Zähl' zehn! Da siehst du. Bums!
Iß nur kein Weißrot, denn sonst werden dir
Die Zähnebluten. Wollen wir eins tanzen?
Ich weiß, du bist ein Kesselflicker. Flicke
Nur nicht mehr Löcher, als du sollst!
[58] GERROLD.
O, dii,
Ein Kesselflicker, ich!
TOCHTER.
Oder ein Zaubrer.
Beschwör' mir einen Teufel, der qui passa
Auf Glocken und auf Todtenknochen spielt.
GERROLD.
Schafft sie beiseit' und bringt zur Ruh' sie. Atque
Opus exegi, quod nec Jovis ira
Nec ignis – aber fort, nur fort!
ZWEITER BAUER.
Kommt, Mädchens!
TOCHTER.
Ich will euch führen.
GERROLD.
Seid nur ja recht freundlich
Mit ihr und macht's geschickt.

(Hörnerklänge.)

Verschwindet, schnell!

(Alle ab außer Gerrold.)

Ich höre Hörner. Laßt mir etwas Zeit
Zum Ueberlegen und versäumt nur nicht
Das Stichwort. – Jetzt, Minerva, steh' mir bei!

(Theseus, Pirithous, Hippolyta, Emilia, Arcites und Gefolge treten auf.)
THESEUS.
Nach dieser Richtung floh der Hirsch!
GERROLD.
Hier Halt!
Und lasse dich erbau'n!
THESEUS.
Was gibt es hier?
PIRITHOUS.
Ein ländlich Spiel, so wahr ich lebe, Herr!
THESEUS.
Nun wohl, so woll'n wir uns erbauen lassen.
Ihr Damen setzt euch. Hier gilt's auszuhalten.
Fangt an!
GERROLD.
Heil unserm tapfern Herzog, Heil
Und Heil den holden Frau'n.
THESEUS.
Ein schwacher Anfang.
GERROLD.
Auf Eure Nachsicht rechnet unser Spiel.
Vom Dorfe sind wir, ungeschlachte Leute,
Die sich in diesem Wald versammelt heute;
Ein lustig Völkchen, eine bunte Schar
(Ich lüge nicht, ein jedes Wort ist wahr),
Figürlicher zu reden noch, ein Chor,
Der deiner Hoheit gern was tanzte vor.
Das Spiel von A bis Z hab' ich erdacht
Und es mit großer Müh' gebracht
Zu richt'gem Schluß,
Ich unsres Dorfs Pädagogus,
[59]
Der unsern Jungen zieht die Hosen stramm
Und auch die Alten kämmt mit seinem Kamm.
Heut aber leg' ich ab mein Birkenreis
Und bitt' dich, Herr, dess' Heldenruhm und -Preis
Von Dis bis Dädalus, von Pfahl zu Säule
Die ganze Welt durchblitzt mit Blitzes Eile,
Hilf deinem wohlgeneigten Knecht
Und blinzle gnädig, schlecht und recht
Den Tänzern Beifall zu und ihren Sprüngen,
Womit wir unsre Huldigung dir bringen,
Wir haben viele Müh' darauf verwandt.
Zuerst komm' ich, so schlecht, wie ich nun bin,
Als Prologus dahergerannt
Und zeige an des Spiels Beginn.
Dann kommt Herr Mai mit seiner schönen Frau'n
Und Zof' und Diener, die im Morgengrau'n
Ein stilles Plätzchen suchen; dann mein Wirth
Mit seinem fetten Weib; – wer sich verirrt
In diesen Wald, den bittet er zu bleiben
Und läßt vom Zapfer dann die Rechnung schreiben;
Darauf der Rüpel, der das Rindfleisch frißt,
Dann der Hansnarre, der sein Schatten ist,
Und hinter diesen beiden endlich dann
Mit seinem großen Schwanz der Pavian,
Cum multis aliis. Jetzt sind sie fertig
Zum Tanz und deines Augenwinks gewärtig!
THESEUS.
Mein lieber Domine, nur zu!
PIRITHOUS.
Fangt an!
GERROLD
(wirft seine Mütze in die Luft.
)
Intrate filii, ihr könnt beginnen.

(Musik, ein maurischer Tanz.)
GERROLD
(nachdem der Tanz beendigt).
Wenn's lustig war und euch das Spiel,
Verehrte Damen, wohlgefiel,
Und ihr's gesehen mit Behagen,
So könnt ihr immerhin nun sagen,
Daß der Schulmeister, der's erfand,
Kein gar zu großer Ignorant.
Gefiel's Euch, Herzog, aber auch
Und hieltet Ihr dabei den Bauch
Euch, während unsre Jungen
[60]
Herumgehüpft sind und gesprungen,
So gebt zu einer lust'gen Maie
Uns ein Stück Geld, zwei oder dreie,
Damit wir Euch und Eure Schar
Im nächsten Jahr
Wieder zu lachen
Machen!
THESEUS.
Nimm zwanzig, Domine.

(Zu Hippolyta.)

Mein trautes Herz,
Hat dir's gefallen?
HIPPOLYTA.
Ueber alle maßen!
EMILIA.
Der Tanz war prächtig, und was den Prolog
Erst anbetrifft, so hört' ich nie was Bess'res.
THESEUS.
Ich danke dir, Schulmeister. Seht, daß jeder
Von ihnen reich beschenkt wird!
PIRITHOUS.
Auch von mir
Ist hier etwas, die Maie aufzuputzen.
THESEUS.
Und nun an unser Weidwerk wieder, Freunde!

(Hörnerblasen. Theseus, Pirithous, Hippolyta, Emilia, Arcites und Gefolge ab.)
GERROLD.
Daß sich der Hirsch zum Schusse Euch stell',
Daß die Hunde ihm folgen stark und schnell,
Ihn nicht zerfleischen, wenn er verreckt,
Und den Damen der Braten schmeckt!
Nun laßt uns gehn, dii deaeque omnes,
Ihr Wettermädels habt famos getanzt!

(Alle ab.)
Sechste Scene
(Wald, wie in der dritten Scene.)

Palämon tritt aus dem Busch.

PALÄMON.
Um diese Stunde wollt' er wiederkommen
Mit Schwert und Rüstung. Hält er nicht sein Wort,
So ist er auch kein Ehrenmann und Krieger.
Als er hinweg ging, glaubt' ich, eine Woche
Sei nicht genug, zu Kräften mich zu bringen,
So hatte mich das Fasten abgeschwächt.
Arcit, ich danke dir, du bist ein Feind,
Wie man ihn besser sich nicht wünschen kann.
[61]
Jetzt fühl' ich mich von neuem frisch und stark
Für jegliche Gefahr. Wollt' ich noch warten,
So könnt' man meinen, daß ich wie ein Schwein
Mich mästen wollte. Drum soll dieser Morgen
Der letzte sein, und will er nicht sein Schwert
Mit meinem messen, wohl, so tödt' ich ihn.
Steh' Lieb' und Glück mir bei! – Ha, Guten Morgen!

(Arcit mit Schwertern und Rüstungen tritt auf.)
ARCITES.
Dasselbe wünsch' ich dir, mein lieber Vetter!
PALÄMON.
Ich mache wahrlich zu viel Mühe dir!
ARCITES.
Nicht mehr, als meine Ehr' und Pflicht dir schulden.
PALÄMON.
Ich wollt', Arcit, du wärst in allem so,
Daß ich in dir den theuren Blutsverwandten
Könnt' sehen, nicht den edelmüth'gen Feind,
Und mit Umarmung danken, statt mit Schlägen.
ARCITES.
Mach's nach Belieben, beides dünkt mir gut.
PALÄMON.
Dir zahlen werd' ich schon.
ARCITES.
Begegnest du
So ruhig mir, hör' ich dir willig zu.
Um unsrer Ehre willen, laß das Schmäh'n,
Zum Zank mit Worten sind wir nicht erzogen.
Stehn wir gerüstet, mit dem nackten Schwert
Einander gegenüber, wohl, dann mag
Sich gegenseitig unsre Wuth entladen,
Wie wenn zwei Fluten miteinander kämpfen.
Dann wird auch ohne Hohn und Stachelreden,
Ohn' Lästern der Person und Schmäh'n und Schimpfen,
Wie es Schulknaben nur und Mädchen ziemt,
Sich zeigen, wem dies Wunderwerk der Schönheit
Gehören soll, ob dir, ob mir. Deshalb,
Ist dir's genehm, so waffne dich, doch fühlst du
Dich noch zu schwach, und ist die alte Kraft
Dir noch nicht wieder ganz zurückgekehrt,
So wart' ich, Vetter, und will jeden Tag,
Wenn ich abkommen kann, dich hier besuchen
Und mit dir plaudern, bis du stark dich fühlst.
Denn trotz dem allen bin ich doch dein Freund
Und wünschte fast, ich hätte nicht gesagt,
Wie ich's gethan, daß ich Emilien liebe.
[62]
Doch da ich's einmal that, so muß ich auch
Einstehn für meine Liebe und mein Recht.
PALÄMON.
Arcit, du bist ein Feind so gut und brav,
Daß nur dein Vetter werth ist, dich zu tödten.
Und da ich wieder stark bin, wähle jetzt
Dir deine Waffen.
ARCITES.
Wähle du zuerst!
PALÄMON.
Willst du mich denn in allem überbieten?
Wie? Oder rechnest du vielleicht auf Schonung?
ARCITES.
Da irrst du, Vetter, denn ich bin Soldat,
So denke nicht, daß ich dich schonen werde!
PALÄMON.
Nicht schlecht gesagt!
ARCITES.
So sollst du es erfinden.
PALÄMON.
Als Mann von Ehre und von Rechtsgefühl,
Zahl' ich dir heim, was ich dir schuldig bin –
Ich wähle diese hier!
ARCITES.
Dann mir die andern!
Laß mich zuerst dich waffnen.
PALÄMON.
Sage, Vetter,
Wo kriegtest du die schönen Waffen her?
ARCITES.
Vom Herzog! Um die Wahrheit zu gestehn,
Ich stahl sie ihm. – That ich dir weh?
PALÄMON.
O nein!
ARCITES.
Ist dir die Rüstung nicht zu schwer?
PALÄMON.
Ich trug
Wohl eine leicht're schon, doch geht auch diese.
ARCITES.
Soll ich sie fester schnallen?
PALÄMON.
Ja, ein wenig.
ARCITES.
Willst du vielleicht ein Halshemd?
PALÄMON.
Nein, wir kämpfen
Ja nicht zu Pferde. Wie mir scheint, so freust du
Dich auf den Kampf?
ARCITES.
Ach, mir ist alles gleich.
PALÄMON.
Ganz so wie mir. Ich bitte, Vetter, schiebe
Den Schild ein wenig höher.
ARCITES.
Wie du willst.
PALÄMON.
Nun nur den Helm noch.
ARCITES.
Aber sollen wir
Mit unbedecktem Arm den Kampf bestehn?
[63] PALÄMON.
So sind wir freier.
ARCITES.
Dann nimm wenigstens
Die Handschuh dort, – noch besser, nimm die meinen.
PALÄMON.
Ich danke dir, Arcit, wie seh' ich aus?
Ein bischen abgemagert, nicht?
ARCITES.
Nur wenig,
Die Liebe hat dich mild genug behandelt.
PALÄMON.
Verlaß dich drauf, zu schlagen werd' ich schon!
ARCITES.
Thu's, Vetter, was zu schlagen sollst du kriegen!
PALÄMON.
Jetzt du! Die Rüstung da gleicht jener sehr,
Die du am Tag, wo die drei Kön'ge fielen,
Bei Theben trugst; sie war nur etwas leichter.
ARCITES.
's war eine gute Rüstung. Stets gedenken
Werd' ich des Tags! Da übertrafst du mich;
So was von Tapferkeit sah ich noch nie.
Du warfst dich auf des Feindes linken Flügel,
Und trotz des guten Pferdes, das ich ritt,
Wollt' es mir nicht gelingen, dir zu folgen.
PALÄMON.
Ja, ich erinn're mich, ein prächtig Thier,
Ein heller Brauner.
ARCITES.
Alles war umsonst!
Du flogest wie ein Sturmwind vor mir her,
Kaum konnt' ich dich mit meinem Wunsch erreichen.
Ein wenig nur sucht' ich dir's nachzuthun.
PALÄMON.
Mir nachzuthun? Du folgtest eignem Drang;
Gar zu bescheiden bist du, guter Vetter!
ARCITES.
Als ihr zusammenpralltet, war es mir
Als hört' ich einen furchtbar'n Donnerschlag
Herschallen von dem Feind.
PALÄMON.
Dem erst der Blitz
Von deiner Tapferkeit vorangegangen.
Wart'! Ist der Panzer nicht zu fest geschnallt?
ARCITES.
Nein, es ist gut so.
PALÄMON.
Außer meinem Schwert
Soll nichts dir weh thun; eine Schande wär's,
Erlitt'st du nur die kleinste Quetschung.
ARCITES.
So,
Nun bin ich fertig!
PALÄMON.
Also tritt zurück!
ARCITES.
Erst nimm mein Schwert, ich glaube, es ist besser.
PALÄMON.
Ich danke dir, behalt' es nur, dein Leben
[64]
Hängt davon ab. Wenn dieses nicht zerbricht,
Brauch' ich nichts weiter. – Die gerechte Sache
Und meine Ehre schützen mich.
ARCITES.
Und mich
Schützt meine Liebe.

(Sie wenden sich nach verschiedenen Seiten, gehen dann wieder aufeinander los und machen Halt.)

Blieb' noch was zu sagen?
PALÄMON.
Nur dies noch: Deine Mutter und die meine
Sie waren Schwestern! Jetzt sind wir dabei,
Das Bruderblut einander abzuzapfen,
Du mir, ich dir. In dieser meiner Hand
Halt' ich mein Schwert, und solltest du mich tödten,
Vergeben's dir die Götter, so wie ich.
Gibt's einen Ort, wo todte Ehrenmänner
Im Tode ruhn, so mög' die müde Seele
Dess', der da fällt, an diesen Ort gelangen.
Nun kämpfe tapfer! Reich' die Hand mir, Vetter!
ARCITES.
Nimm sie, Palämon! Niemals wird sie nun
Sich freundlich wieder in die deine legen.
PALÄMON.
Nein, niemals! Fall' ich, fluche mir und sage,
Ich war ein Feigling, denn ein solcher nur
Erliegt in so gerechtem Gotteskampf.
Noch einmal Vetter, lebe wohl!
ARCITES.
Leb' wohl.

(Sie fechten.)

(Man hört Hörnerklang hinter der Scene. Sie halten inne.)
ARCITES.
Horch, Vetter, unsre Thorheit rächt sich schon.
PALÄMON.
Wie so?
ARCITES.
Ich sagte dir, der Herzog jage
Im Walde heut, und sollt' er uns entdecken,
Sind wir verloren! Ich beschwöre dich
Bei deiner Ehr' und Sicherheit, zieh' eilig
Dich ins Gebüsch zurück; wir finden schon
Noch eine andre Zeit, um uns zu tödten.
Erblickt er uns, ist uns der Tod gewiß,
Dir, weil du aus dem Kerker ihm entwichest,
Mir, weil ich nicht entwich und seine Gnade
Misachtete. Dann wird man spottend sagen,
Es wär' zwar zwischen uns ein Unterschied,
Nur leider schlecht vertheilt.
[65] PALÄMON.
Nein, Vetter, nein,
Ich lasse mich nicht noch einmal verstecken
Und schiebe den begonn'nen Kampf nicht auf.
Ich kenne deine List, weiß, was du sinnst!
Schmach dem, der jetzt noch zögert! Leg' dich aus
Und sei auf deiner Hut!
ARCITES.
Sag', bist du toll?
PALÄMON.
Hier, diese Stunde nutz' ich, was dann später
Mit mir geschieht, das fürcht' ich weniger
Als meiner Liebe Schicksal. Du, Verzagter,
Sollst eingestehn, daß ich Emilien liebe
Und dich und jedes Hinderniß besiege!
ARCITES.
Komm' denn heran, und du sollst eingestehn,
Daß reden, schlafen, sterben Eins nur ist.
Ich fürchte nur den Tod durch Henkers Hand.
Dein Leben schütze!
PALÄMON.
Schütze du das deine!

(Sie fechten wieder. Hörnerklang. Theseus, Hippolyta, Emilia, Pirithous nebst Gefolge treten auf.)
THESEUS.
Verrätherische Buben, wer seid ihr,
Daß ihr, misachtend mein Gesetz, ohn' Zeugen
Und ohne, daß ich euch Erlaubniß gab,
Hier miteinander kämpft? Dafür, bei Castor,
Erleidet ihr den Tod!
PALÄMON.
Seid ruhig, Herzog!
Gewiß, Verräther sind wir und Verächter
Von dem, was dir und deiner Hoheit ziemt.
Ich bin Palämon, der aus deinem Kerker
Entfloh und keinen Grund hat dich zu lieben.
Erwäge das! Doch dieser ist Arcites,
Und nie gab's einen schmählichern Verräther,
Nie einen falschern Freund! Dies ist der Mann,
Dem du die Freiheit gabst und ihn verbanntest,
Der dich verlacht und dein Gebot misachtet,
Der in Verkleidung deiner Schwester folgt,
Emilien, dem hellen Stern der Schönheit,
Zu deren Dienste ich allein berechtigt,
Da ich zuerst sie sah und meine Seele
In Lieb' zu ihr entbrannte, – ja, noch mehr,
Der wagt zu wähnen, daß sie ihm gehöre!
Als Treuverliebter hab' ich Rechenschaft
[66]
Für diesen Hochverrath von ihm gefordert.
Bist du so groß und edel, wie man sagt,
Der Richter aller Ungerechtigkeit,
So gib uns freies Feld, daß ich mein Recht
Mir selber schaffen kann, sodaß du, Theseus,
Mich d'rob beneiden sollst. Ist das geschehn,
So nimm mein Leben hin, – ich geb' es dir!
PIRITHOUS.
O Himmel, welch ein Mann ist dies!
THESEUS.
Ich schwur!
ARCITES.
Wir bitten, Theseus, nicht um deine Gnade:
Zu sterben fällt mir schwerer nicht, als dir
Zu sagen: »Stirb!« Doch da mich dieser Mann
Verräther nennt, so steh' ein Wort mir frei.
Ist Lieb' Verrath im Dienste solcher Schönheit,
Als die ich lieb' und immer lieben werde,
Für die mein Leben ich zum Opfer bring',
An der ich fest in Treu und Ehren hange
Und tödten will den Vetter, der mich's wehrt,
So nenne immerhin Verräther mich!
Daß aber dein Gebot ich nicht befolgte,
Deswegen, Herzog, frage diese Dame,
Warum sie denn so schön und ihre Augen
Mich hießen, daß ich bliebe und sie liebe.
Sagt sie »Verräther«, nun so bin ich schuldig
Und keines ehrenvollen Grabes werth!
PALÄMON.
Als Gnade, Theseus, werden wir's betrachten,
Wenn du sie jedem von uns zwein verweigerst.
Gerecht, wie du ja bist, verstopf' dein Ohr!
Bei deinem Heldenthum, beim Angedenken
Des edlen Vetters, der die zwölf Arbeiten
Vollführte, laß uns alle beide sterben,
Ihn nur ein wenig früher, daß ich sagen
Kann meiner Seele: »Er bekam sie nicht!«
THESEUS.
Dein Wunsch soll in Erfüllung gehn. In Wahrheit
Hat mich dein Vetter zehnmal mehr beleidigt
Als du, obgleich er Aergres nicht verbrach,
Doch größ're Gnade hab' ich ihm erwiesen.
Kein Wort jetzt mehr für sie! Noch eh' die Sonne
Zur Rüste geht, umfängt sie ew'ger Schlaf.
HIPPOLYTA.
Barmherzigkeit! Jetzt, Schwester, oder nie,
[67]
Jetzt rede du, er kann dir's nicht verweigern,
Sonst bleibt an deinem Antlitz stets der Fluch
Des Todes dieser beiden Vettern haften!
EMILIA.
Nein, liebe Schwester, nicht mein Antlitz war's,
Das sie entzweite und das Unheil schuf,
Sie tödtet ihrer eig'nen Augen Schuld.
Jedoch als Weib folg' ich des Mitleids Drange
Und will auf meinen Knien um Gnade flehn.
Hilf, Schwester, mir bei diesem guten Werk,
Und aller Frauen Bitte sei mit uns.

(Sie knien vor Theseus.)
EMILIA.
Mein Bruder –
HIPPOLYTA.
Herr, bei unsrer Ehe Bund!
EMILIA.
Bei deiner eignen makellosen Ehre!
HIPPOLYTA.
Bei deiner Treue, deiner schönen Hand,
Bei deinem edlen, liebevollen Herzen,
Womit du mich beglückst –
EMILIA.
Bei dem Erbarmen,
Das du um deiner eignen Tugend willen
An andern üben sollst –
HIPPOLYTA.
Bei all den Freuden
Der keuschen Nächte, die ich dir gewährt –
THESEUS.
Fürwahr, gewaltige Beschwörungen!
PIRITHOUS.
Zu denen ich die meinen noch geselle:
Bei uns'rer Bruderschaft, bei den Gefahren,
Die wir vereint bestanden, wie bei dem,
Was Ihr am meisten liebt, bei Kampf und Krieg
Und dieser holden Frau –
EMILIA.
Bei deiner Scheu,
Der Mädchenbitte etwas abzuschlagen –
HIPPOLYTA.
Bei deiner Augen Licht, bei dem du hoch
Mir schwurst und theuer, daß ich alle Frau'n,
Ja Männer selbst als Sieg'rin überträfe
– Obgleich ich deiner Macht doch unterlag –
PIRITHOUS.
Und endlich noch, bei deiner edlen Seele,
Der Gnad' Bedürfniß ist, beschwör' ich dich –
HIPPOLYTA.
Erhöre meine Bitte –
EMILIA.
Und die meine –
PIRITHOUS.
Gewähre Gnade –
HIPPOLYTA.
Gnade –
EMILIA.
Diesen Fürsten!
[68] THESEUS.
Ihr macht mich ganz verwirrt; fühlt' ich auch Mitleid,
Wie meint ihr, daß ich es bethät'gen soll?
EMILIA.
Laß sie am Leben und verbanne sie!
THESEUS.
Da sprichst du, liebe Schwester, wie ein Weib;
Ja Mitleid hast du, doch an Urtheil fehlt's!
Willst du ihr Leben, so erfinde etwas,
Das sich'rer als Verbannung ist. Wie können
Denn diese beiden in der Todespein
Der Liebe leben, ohne sich zu tödten?
Sie werden, glaub' mir, täglich um dich kämpfen
Und täglich deine Ehre bei den Leuten
Zum Gegenstand der Unterhaltung machen.
Darum vergiß sie, denk' nicht mehr an sie.
Es handelt sich um deinen Ruf und meinen.
Ich hab's einmal gesagt, »sie sollen sterben«,
Und besser ist's, sie sterben durchs Gesetz,
Als daß sie sich einander selber tödten.
Bedenke meine Ehre!
EMILIA.
Edler Bruder,
Der Eidschwur, den du that'st, war übereilt;
Im Zorn ward er gethan, Vernunft verwirft ihn!
Wenn solchen Schwüren auch der Wille noch
Zur That verhülfe, müßt' die Welt vergehn.
Und dann: ich stelle diesem einen andern
Entgegen von viel größerem Gewicht,
Der wohl erwogen ward, der Liebe athmet
Und den nicht Leidenschaft dir eingab.
THESEUS.
Welchen?
PIRITHOUS.
Nur zu, Prinzessin, laßt ihn ja nicht los!
EMILIA.
Daß du mir nie etwas versagen wolltest,
Was billig ich könnt wünschen – du gewähren!
An diesem Worte halt' ich jetzt dich fest.
Misachtest du's, so kränk'st du deine Ehre.
Ich, Knieende, fleh' nur um dein Erbarmen,
Ob dann ihr Leben meinem Rufe schade,
Das gilt mir gleich. Soll jemand, der mich liebt,
Um meinetwillen, ach! den Tod erleiden?
Das wäre eine unbarmherz'ge Vorsicht.
Pflückt man vom jungen Zweig die Blüten ab,
Weil sie der Fliegen Schmeiß verderben könnte?
[69]
O, Herzog Theseus, alle edlen Mütter,
Die schmerzensreich gebaren, alle Jungfrau'n,
Die zärtlich lieben, werden – bleibst du fest –
Von nun an mir und meiner Schönheit fluchen,
Und wegen dieser hier in Klageliedern
Verdammen meine Grausamkeit, und Wehe
Ausrufen über mich, bis ich nur noch
Ein Spott der Frauen bin. Ums Himmels willen,
Verschon' ihr Leben und verbanne sie!
THESEUS.
Wie meinst du, daß ich's thu'?
EMILIA.
Laß sie beschwören
Mit heil'gen Eiden, fortan niemals mehr
Um mich zu hadern, mich nicht mehr zu kennen,
Dein Land mit ihrem Fuß nicht zu betreten
Und fremd zu sein einander, wo sie sich
Zufällig treffen.
PALÄMON.
Eh' ich das beschwöre
Laß mich in Stücke hau'n! Vergessen soll ich,
Daß ich sie liebe? Dann verachte mich!
Verbannt zu sein, das ginge wohl noch an,
Wenn wir nur unser Schwert und unsre Sache
Mitnehmen dürfen; – sonst nimm unser Leben,
Denn lieben muß ich, lieben werd' ich sie,
Und werde meinen Vetter darum tödten,
Damit ich Friede hier auf Erden hab'!
THESEUS.
Arcit, gehst du auf die Bedingung ein?
PALÄMON.
Ein Schurke müßt' er sein!
PIRITHOUS.
Ha, das sind Männer!
ARCITES.
Nein, Herzog, niemals! Lieber würd' ich betteln,
Als mir um diesen Preis mein Leben kaufen.
Wenn ich auch niemals sie besitzen sollte,
Bewahren will ich mir der Liebe Ruhm
Und für sie sterben. Hol' den Tod der Teufel!
THESEUS.
Was soll ich thun? Denn Mitleid fühl' ich jetzt!
PIRITHOUS.
So folgt ihm unbedingt.
THESEUS.
Emilia, sage,
Wär' einer von den beiden todt – und sicher
Muß einer sterben – wärest du bereit,
Den andern dann zum Eh'gemahl zu nehmen?
Sie beide können dich doch nicht besitzen.
Wie du sind sie von fürstlichem Geblüt
[70]
Und hochgepriesen von der Fama Munde.
Schau sie dir an, und wenn du Liebe fühlst,
So ende diesen Zwiespalt. Meine Stimme
Hast du. Seid ihr damit zufrieden, Prinzen?
BEIDE.
Von ganzer Seele.
THESEUS.
Der, den nicht sie wählt,
Er sterbe!
BEIDE.
Welchen Tod du immer willst!
PALÄMON.
Sterb' ich durch ihren Mund, so sterb' ich selig,
Und segnen werden kommende Geschlechter
Von Treuverliebten meine Asche noch!
ARCITES.
Verwirft sie mich, vermählt sie mich dem Grab,
Und Krieger werden mir das Grablied singen!
THESEUS.
So triff nun deine Wahl!
EMILIA.
Unmöglich, Bruder!
Zu edel sind sie beide, nicht ein Haar
Von ihrem Haupte falle.
HIPPOLYTA.
Was wird nun
Aus ihnen?
THESEUS.
Hört! Und was ich jetzt befehle,
Geschehen soll's, sonst müßt ihr beide sterben.
Entlassen will ich euch in euer Land;
Nach einem Monat kehrt von dort zurück,
Ein jeder in Begleitung dreier Ritter,
An diesen Ort, wo eine Säule dann
Soll aufgerichtet stehn. Wer von euch beiden
Vor uns, die wir dann gegenwärtig sind,
In ritterlichem Kampf den Vetter zwingt
Die Säule zu berühren, dem gehört sie;
Der andre aber, so wie seine Freunde,
Verlieren ihren Kopf und sollen dann
Sich nicht beklagen, es geschäh' um sie!
Seid ihr's zufrieden?
PALÄMON.
Ja! Bis dahin, Vetter
Arcit, bin ich dein Freund, so wie vorher.
ARCITES.
Laß dich umarmen!
THESEUS.
Schwester, bist auch du
Damit zufrieden?
EMILIA.
Muß ich es doch sein!
THESEUS.
So reicht die Hände euch und gebt nun Acht,
[71]
So wahr ihr Ritter seid, daß euer Streit
Bis dahin schlafe und ihr Friede haltet.
PALÄMON.
Verlasset Euch auf uns!
THESEUS.
Von nun an will ich
Als Fürsten und als Freunde euch behandeln.
Kehrt ihr zurück, dann bleibt der Sieger hier,
Den Unterliegenden beweinen wir.

(Alle ab.)

(Der Vorhang fällt.)

Vierter Act

Erste Scene
(Athen; ein Zimmer im Gefängniß.)

Kerkermeister mit einem Freunde tritt auf.

KERKERMEISTER.
Was hörtet Ihr? War keine Rede sonst
Von mir und von Palämon's Flucht? Denkt nach!
FREUND.
Ich hörte nichts, doch mußt' ich bald nach Haus,
Eh' alles noch zu Ende war; so viel
Nur schien mir sicher, daß den beiden Kämpfern
Verziehen werden würde. Denn es flehten
Hippolyta und Theseus' schöne Schwester
Auf ihren Knien so leiblich um ihr Leben,
Daß, wie man sah, der Herzog wankend ward,
Wem er sollt' folgen, seinem raschen Schwur
Oder dem Drängen dieser beiden Frau'n.
Da nun zuletzt auch noch der edle Prinz
Pirithous, des Herzogs andre Hälfte,
Mit ihnen sich verband, so zweifl' ich nicht,
Daß alles gut wird enden. Euer Name
Ward nicht genannt, noch auch der Flucht erwähnt.
KERKERMEISTER.
Der Himmel gebe, daß Ihr recht gesehn!

(Ein zweiter Freund tritt auf.)
ZWEITER FREUND.
Seid guten Muths, ich bringe Nachricht Euch,
Und zwar vortreffliche.
[72] KERKERMEISTER.
Sie sei willkommen!
ZWEITER FREUND.
Palämon spricht von jeder Schuld Euch frei,
Sodaß Euch keine Strafe droht. Die Flucht
Hat Eure Tochter ganz allein vermittelt,
Doch ward auch ihr vom Herzog schon verziehn.
Und daß sich der Befreite dankbar zeige,
Hat er als Mitgift eine Summe Geldes
Ihr ausgesetzt, die sehr ansehnlich ist!
KERKERMEISTER.
Ihr seid doch wirklich eine treue Seele,
Die stets nur Gutes bringt!
ERSTER FREUND.
Wie kam's zuletzt?
ZWEITER FREUND.
Wie's kommen mußte. Sie, die nie umsonst
Zu bitten pflegen, kriegten, was sie baten,
Und den Gefangnen schenkte er das Leben.
ERSTER FREUND.
Ich wußte gleich, daß es so enden würde!
ZWEITER FREUND.
Doch stellt' er ihnen noch Bedingungen,
Von denen ich nachher Euch sprechen werde.
KERKERMEISTER.
Sind sie annehmbar?
ZWEITER FREUND.
Wenigstens vertragen
Sie sich mit ihrer Ehre. Daß sie milde,
Kann ich nicht sagen!
ERSTER FREUND.
Nun, das wird sich zeigen.

(Der Freier tritt auf.)
FREIER.
Sagt, wo ist Eure Tochter?
KERKERMEISTER.
Weshalb fragt Ihr?
FREIER.
Wann saht Ihr sie zuletzt?
ZWEITER FREUND.
Wie er verstört!
KERKERMEISTER.
Heut Morgen!
FREIER.
War sie wohl, sagt, war sie wohl?
Wann schlief sie?
ERSTER FREUND.
Was für sonderbare Fragen!
KERKERMEISTER.
So recht gesund schien sie mir nicht zu sein!
Jetzt denk' ich dran, – ich fragte sie etwas,
Und sie gab solche quere Antwort mir,
Betrug sich überhaupt so ungewöhnlich,
So kindisch und so albern, daß man wirklich
Hätt' glauben können, sie sei halb gestört.
Ich ward ganz ärgerlich. Was ist mit ihr?
FREIER.
Ach nichts, als daß ich herzlich Euch bedaure;
[73]
Doch besser ist es, daß von mir Ihr's hört,
Als einem andern, der sie nicht so liebt!
KERKERMEISTER.
Was meint Ihr?
ERSTER FREUND.
Ist sie krank?
ZWEITER FREUND.
Was fehlt ihr?
FREIER.
Ach,
Die Wahrheit zu gestehn, sie ist verrückt!
ERSTER FREUND.
Unmöglich!
FREIER.
Glaubt mir!
KERKERMEISTER.
Was Ihr mir da sagt,
Hab' ich gefürchtet. Helf' der Himmel ihr!
Entweder ihre Liebe zu Palämon,
Oder die Furcht, daß seine Flucht mir schade,
Vielleicht auch beides, trägt die Schuld daran.
FREIER.
Sehr möglich!
KERKERMEISTER.
Doch was seid Ihr so in Hast?
FREIER.
Vernehmt! Ganz unlängst saß ich an dem Teich,
Dort hinter dem Palaste, dessen Ufer
Mit Schilf und Binsen dicht bewachsen sind,
Und angelte. Vertieft in mein Geschäft,
Hört' ich auf einmal eine schrille Stimme,
Dem Klange nach mußt' sie (so schien es mir)
Die eines Knaben oder Mädchens sein.
Ich steckte meine Angel in den Grund
Und näherte der Stelle mich, von wo
Die Stimme kam, doch konnte nichts erspähn,
Da Schilf und Rohr am Sehn mich hinderten.
Ich legt' mich also auf den Boden hin,
Die Worte des Gesanges zu erlauschen,
Und sah dabei durch eine kleine Oeffnung,
Daß jene Säng'rin Eure Tochter war!
KERKERMEISTER.
Ich bitte, fahret fort!
FREIER.
Sie sang und sang,
Doch alles ohne Sinn, nur hört' ich oft
Sie wiederholen: »Mein Palämon ging
Früh in den Wald, um Beeren sich zu pflücken,
Erst morgen kehrt er wieder!«
ERSTER FREUND.
Arme Seele! –
FREIER.
»Verrathen werden seine Fesseln ihn,
Man wird ihn fangen. Was beginn' ich dann?
Will eine Schar schwarzäug'ger Mädchen sammeln,
[74]
Verliebte so wie ich, mit Purpurlippen
Und Rosenwangen, die von Daffodillen
Auf ihrem Haupte schöne Kränze tragen.
Dann tanzen wir dem Herzog etwas vor
Und betteln um sein Leben.« – Darauf sprach sie
Von Euch und daß Ihr morgen Euren Kopf
Verlieren würdet, und daß zum Begräbniß
Sie Blumen sammeln müßt' und danach sehn,
Daß alles hübsch in Ordnung sei zu Hause.
Dann sang sie Weide, Weide, immer Weide,
Dazwischen nur Palämon, mein Palämon
Und: »Ja Palämon war ein schöner Jüngling!«
Auf tiefer Stelle saß sie, halb im Wasser,
Um ihre Locken einen Binsenkranz
Gewunden und mit tausend Wasserblumen
In allen Farben ihr Gewand geschmückt,
Sodaß man meint', des Seees schöne Nymphe
Zu sehen oder Iris, Juno's Botin,
Wie sie vom Himmel hoch herabgestiegen.
Aus Binsen, die sie abriß, dreht' sie Ringe
Und sprach mit ihnen, zierlich, anmuthsvoll:
»Nun ist für unsre Treulieb' rechte Zeit,
Den hier darfst du verlieren, nur nicht mich!«
Und mehr der Art. Dann wieder weinte sie
Und sang und seufzte laut und lächelte
Zum andernmal und küßte ihre Hand.
ZWEITER FREUND.
O, welch ein Jammer!
FREIER.
Als ich zu ihr eilte
Und sie mich kommen sah, sprang sie ins Wasser,
Ich sprang ihr nach und brachte sie ans Land.
Doch dort entfloh sie mir mit lautem Schrei
Und lief den Weg zur Stadt mit solcher Eile,
Daß ihr zu folgen mir unmöglich war.
Von weitem sah ich nur, daß mehre Leute,
Darunter Euer Bruder, zu ihr rannten;
Und da sie hinfiel und nicht wieder aufstand,
Ließ ich mit jenen sie und kam hierher,
Den Umstand Euch zu melden. Doch da sind sie!

(Bruder und Tochter des Kerkermeisters nebst
andern treten auf.)
TOCHTER
(singt).
»Soll nie kein Licht dir leuchten mehr! la, la.«
Ein schönes Lied, nicht wahr?
[75] BRUDER.
Ein trefflich Lied!
TOCHTER.
Ich kann noch zwanzig andre.
BRUDER.
Kannst du wirklich?
TOCHTER.
Vom zierlichen Rothkehlchen und vom Ginster.
Sag' bist du nicht ein Schneider?
BRUDER.
Freilich, freilich!
TOCHTER.
Wo ist mein Hochzeitskleid?
BRUDER.
Ich bring' dir's morgen!
TOCHTER.
Doch halte Wort, sonst bin ich nicht zu Haus.
Die Schwestern muß ich laden und die Sänger
Bestellen, denn beim ersten Hahnenschrei
Ist es um meine Jungfernschaft geschehn!

(Singt.)

»O, Lieb, mein Lieb.«
BRUDER.
Ertrag's geduldig, Bruder!
TOCHTER.
Gott grüß' euch, gute Leute. Habt ihr jemals
Von einem, der Palämon heißt, gehört?
KERKERMEISTER.
Gewiß, wir kennen alle ihn!
TOCHTER.
Nicht wahr,
Das ist ein feiner Herr?
KERKERMEISTER.
Das ist er, Liebe!
BRUDER.
Gebt ihr nur immer recht, sonst wird sie wild
Und ist dann schwer zu bändigen!
ERSTER FREUND.
Ei ja,
Ein feiner Herr!
TOCHTER.
Nicht wahr? Hast du 'ne Schwester?
ERSTER FREUND.
Ja wohl!
TOCHTER.
Die wird ihn aber nicht bekommen,
Das sag' ihr nur, – ich hab' ein Zaubermittel.
Am besten ist's, wenn sie ihn gar nicht sieht;
Denn sieht sie ihn, so ist sie gleich verloren
Im selben Augenblick. Die jungen Mädchen
Hier in der Stadt sind all in ihn verliebt.
Doch lach' ich nur darüber, – laß sie lieben!
Ist das nicht klug von mir?
ERSTER FREUND.
Das Allerbeste!
TOCHTER.
Zweihundert wenigstens sind von ihm schwanger
Und viere ganz gewiß. Doch ich bin stumm
Wie eine Muschel. Alles werden Knaben,
Das weiß er so zu machen. Sind sie dann
Zehn Jahre alt, so werden's Musikanten
Und singen Theseus' Kriege.
[76] ZWEITER FREUND.
Wunderbar!
TOCHTER.
So was ist nicht erhört, doch sag' nur nichts.
Von allen Seiten strömen sie ihm zu.
In letzter Nacht hatt' er nicht weniger
Als ihrer zwanzig, aber in zwei Stunden
Ist er damit zu Ende, wenn er anfängt.
KERKERMEISTER.
Sie ist von Sinnen, keine Hoffnung mehr!
BRUDER.
Verhüten es die Götter!
TOCHTER.
Du, komm her!
Du bist ein kluger Mann!
ERSTER FREUND.
Erkennt sie ihn?
ZWEITER FREUND.
Daß es so wäre!
TOCHTER.
Bist ein Schiffer? Nicht?
Wo hast du deinen Kompaß?
KERKERMEISTER.
Hier!
TOCHTER.
So dreh' ihn
Nach Norden jetzt und nimm den Curs zum Wald,
Wo mein Palämon nach mir seufzt. Das andre
Ist meine Sache. Hebt die Anker auf!
ALLE.
Hio, hio, hio! Der Wind ist günstig,
Die Raaen loppt – die Segel aufgespannt,
Die Pfeife, Meister!
BRUDER.
Lasset schneller uns
Hinein sie bringen!
KERKERMEISTER.
Auf die Masten, Jungens!
BRUDER.
Ruft den Pilot!
ERSTER FREUND.
Hier, hier!
TOCHTER.
Kennst du die Gegend?
ZWEITER FREUND.
Ihr meint den großen Wald?
TOCHTER.
Da steure hin!
Nun frisch!

(Singt.)

»Als Cynthia mit erborgtem Licht.«

(Man führt sie fort. Alle ab.)
Zweite Scene
(Athen; ein Zimmer im Palast.)

Emilia, zwei Gemälde in der Hand tragend, tritt auf.

EMILIA.
Wie ich auch diese Wunden möcht' verbinden,
Aufspringen würden sie und sich verbluten,
Um meinetwillen! Darum muß ich wählen
[77]
Und enden diesen Streit, denn nimmer sollen
Zwei schöne, edle Jünglinge wie sie
Für mich ihr Leben lassen. Ihre Mütter,
Der Todtenasche ihrer Söhne folgend,
Sie würden meine Grausamkeit verfluchen! –
O, welch ein lieblich Antlitz hat Arcites!
Ja, wahrlich, wär' Natur, die weise selbst,
Begabt mit allen Reizen, aller Schönheit,
Womit sie edle Menschenleiber schmückt,
Ein sterblich Weib und fühlte sie dabei
Der jungen Mädchen scheues Widerstreben,
In diesen Mann verliebte sie sich sicher!
Wie feurig blitzt, wie zärtlich strahlt sein Auge,
Die Liebe selbst nahm ihren Sitz darin!
Mit solchem Auge setzte Ganymed
In Flammen Zeus und zwang den hehren Gott,
Daß er den schönen Knaben neben sich
Als glänzend Sternbild an den Himmel setzte.
Wie groß ist seine Stirn, wie majestätisch
Gewölbt, gleich Juno's, nur um vieles milder,
Und sanft wie Pelop's Schulter. Ja, von ihr,
So will mir dünken, müssen Ruhm und Ehre
Wie von der Höhe eines Vorgebirgs
Die Schwingen regen und der niedern Welt
Der Götter und Heroen Liebesthaten
Und Kämpfe singen. – Eine Folie nur
Ist ihm Palämon, mehr nicht als sein Schatten.
Schwarzbraun und mager, mit so düstrem Blick,
Als wäre seine Mutter ihm gestorben;
Ein Träumer, keine Heiterkeit in ihm,
Und nichts, was ihn erregt und recht belebte,
Von Witz und Geistesschärfe keine Spur.
Was Mangel nur zu nennen ist, besitzt er.
Doch auch Narcissus war ein ernster Jüngling,
Und dennoch himmlisch schön. Wer kann bestimmen,
Wohin des Weibes Phantasie sich lenkt?
Ja, eine Närrin bin ich, – unverständig,
Und habe keine Wahl; so schmählich log' ich,
Daß alle Frauen mich verachten müßten.
Palämon, ach, verzeih' mir, du allein
Bist reizend! Deine Augen sind die Leuchter
[78]
Der Schönheit, welche Liebe von uns fordern.
Wo ist die Maid, die ihnen widersteht?
Wie ernst, wie kühn und doch wie liebeheischend
Ist nicht dein männlich braunes Angesicht!
Von nun an, Liebe! ist das meine Farbe.
Mit seiner herrlichen Gestalt verglichen,
Bist du, Arcit, doch nur ein Wechselbalg.
Ich bin verwirrt, – der Jungfrau Selbstgefühl
Hat mich verlassen. Wenn mein Bruder jetzt
Gefragt mich hätte, wen ich liebt' von beiden?
Arcit hätt' ich gesagt; und fragte dann
Mich meine Schwester, sagte ich: Palämon.
Jetzt tretet beide her! Nun frage, Bruder.
»Ich weiß es nicht!« Jetzt Schwester, frage du:
»Ich muß sie mir noch einmal recht besehn!«
O, welch ein Kind ist doch die Phantasie,
Die unter zweien Dingen – beide herrlich –
Nicht wählen kann und so nach beiden schreit.

(Ein Hofherr tritt auf.)

Was bringt Ihr mir?
HOFHERR.
Vom Herzog, Eurem Bruder,
Die Meldung, daß die Prinzen angekommen.
EMILIA.
Den Streit zu enden?
HOFHERR.
Ja!
EMILIA.
O, wär' ich todt!
Keusche Diana, was hab' ich verbrochen,
Daß Fürstenblut die Reinheit meiner Jugend
Beflecken muß, daß meine Jungfrauschaft
Der Altar sein soll, wo zwei Liebende,
So schön und edel, wie noch keine Mutter
Sie je beglückt, als Opfer fallen müssen!

(Theseus, Hippolyta, Pirithous nebst Gefolge treten auf.)
THESEUS.
Führt schneller sie hierher und zögert nicht!
Begierig bin ich, sie zu sehen. Schwester,
Die beiden Freier sind jetzt wieder da
Zum Kampf um dich, mit seinen Rittern jeder.
Nun mußt du einen lieben!
EMILIA.
Besser wär's,
Wenn ihrer keiner um mich sterben müßte!
[79] THESEUS.
Hat jemand sie gesehn?
PIRITHOUS.
Ich, Herr!
HOFHERR.
Und ich.

(Ein Bote tritt auf.)
THESEUS.
Wo kommst du her?
BOTE.
Ich komme von den Rittern.
THESEUS.
So sprich! Du sahst sie, was für Leute sind's?
BOTE.
Die Wahrheit sag' ich Euch: sechs bess're Männer
Dem Aussehn nach, als diese Prinzen brachten,
Sah ich noch nie, und las von solchen nie.
Der Vornehmste von dem Gefolg' Arcit's
Ist stark gebaut, sein Antlitz eines Fürsten,
Die Farbe des Gesichts mehr braun als schwarz;
Voll Ernst und Würde schaut er um sich her,
Furchtlos und kühn, verachtend die Gefahr.
Aus seinen Augen sprüht der Seele Feuer,
So gleichet einem zorn'gen Löwen er.
Sein langes Haar hängt dunkelschwarz und glänzend
Auf breite Schultern ihm wie Rabenfitt'che.
Vom Scheitel bis zum Fuß ist er gewaffnet,
Und auf der Hüft', an seltsam reichem Gurt,
Trägt er ein Schwert, um seinem Willen Nachdruck
Zu leihen, wenn er zürnt. So wahr ich lebe,
Bessern Gefährten kann kein Krieger haben!
THESEUS.
Du hast ihn gut geschildert.
PIRITHOUS.
Doch mich dünkt
Palämon's Erster übertrifft ihn noch!
THESEUS.
Ich bitte, Freund, berichte.
PIRITHOUS.
Er nicht minder
Scheint mir ein Fürst zu sein, vielleicht ein größ'rer,
Denn er trägt an sich aller Ehren Schmuck.
Ein wenig dicker ist er als der andre,
Doch sein Gesicht, das eine Farbe hat
Wie reife Trauben, scheint mir angenehmer.
Man sieht's ihm an, er liebt, wofür er ficht,
Des Freundes Sache gilt ihm als die seine.
In seinen Mienen spiegelt sich Vertrau'n
Auf glücklichen Erfolg. Ist er erzürnt,
Durchströmt ihn eine ruh'ge Tapferkeit,
Von Uebertreibung fern, indeß sein Arm
Zu kräft'ger That sich spannt. Furcht kennt er nicht,
[80]
So schwache Regung ist ihm gänzlich fremd.
Sein Haar ist blond und hart und krausgelockt,
Wie dichtverschlungner Epheu, den kein Sturm
So leicht verwirrt. Auf seinen Wangen trägt
Er blendend Roth und Weiß, der Schlachtenjungfrau'n
Livrey, denn noch fehlt ihm des Mannes Bart.
In seinen roll'nden Augen thront der Sieg,
Als wollt' er seinen Liebling nie verlassen.
Der Schwung der Nase zeigt den Mann von Ehre,
Und seiner Lippen Roth ist wohl geschickt,
Nach Kampf und Schlacht um Frauengunst zu buhlen.
EMILIA.
Und diese wären auch dem Tod geweiht!
PIRITHOUS.
Hörst du ihn sprechen, schallt's aus seiner Brust
Wie Kriegsdrommete; jedes seiner Glieder
Ist stark und kräftig, wie es nur ein Mann
Sich wünschen kann. In seinen Händen schwingt er
Ein gutgestähltes Beil mit gold'nem Stiel.
Sein Alter, – etwa fünfundzwanzig Jahr.
BOTE.
Da ist ein andrer noch, ein kleiner Mann,
Doch voller Muth und Kraft, wie irgendeiner,
Der größer ist. Gewiß, er leistet mehr,
Als man's von solchem Knirps erwarten sollte.
PIRITHOUS.
Du meinst den mit den Sommersprossen?
BOTE.
Ja!
's sind alles tücht'ge Leute.
PIRITHOUS.
Meine Ansicht!
BOTE.
So wenige sie sind, da ist nicht einer,
Dess' Art und Haltung nicht zu loben wäre.
Der, den ich nannte, hat hellblondes Haar,
Nicht milchweiß etwa, männlichere Farbe,
Ins Braune spielend, ist gelenk und mager,
Was schließen läßt aufrege Thätigkeit;
Hat Arme, muskelreich mit starken Sehnen,
Anschwellend mehr nach oben, was bezeugt,
Daß er vor keiner Anstrengung sich scheut
Und dem Gewicht der Waffen nicht erliegt.
Sonst ruhig, springt er wie ein Tiger auf,
Wenn man ihn reizt. Nach seinen grauen Augen
Zu schließen, hat er Mitleid mit Besiegten,
Versteht es, seinen Vortheil zu erspähn,
Und ist allzeit bereit ihn auszunutzen.
[81]
Er thut kein Unrecht und erduldet keins.
Sein glatt Gesicht läßt, lächelnd, den Verliebten,
Wenn er's in Falten zieht, den Krieger sehn.
Auf seinem Helm trägt er ein Siegeszeichen,
Zunebst den Farben seiner Herzensdame.
Von Alter mag er fünfunddreißig sein,
Und in den Händen hält er eine Lanze
Mit Silber eingelegt.
THESEUS.
Sind all' ihm ähnlich?
PIRITHOUS.
Sie alle sind der Ehre wahre Söhne.
THESEUS.
O, kaum erwarten kann ich ihren Anblick!
Nun Liebste, sollst du sehn, wie Männer fechten.
HIPPOLYTA.
Gern säh' ich es, wär' es um andres nur,
Zum Beispiel um zwei mächt'ge Königreiche.
O, daß doch Liebe so tyrannisch ist!
Was meinst du, liebe Schwester, zarte Seele?
Nein, weine nicht, eh' sie noch Blut geweint.
Es muß ja sein!
THESEUS.
Mit deiner Schönheit stählest
Du sie! Pirithous, dir überlass' ich
Das Kampffeld, ordne alles so dort an,
Wie es sich ziemt für die, die kämpfen werden.
PIRITHOUS.
Seid überzeugt –
THESEUS.
Und nun, schnell auf den Weg,
Mich duldet's länger nicht, bis ich sie sehe.
Mach's fürstlich, Freund!
PIRITHOUS.
Es soll gewiß nichts fehlen.
EMILIA.
Du aber weine! Denn wer auch gewinnt,
Den Vetter tödtet er! – Ich armes Kind!
Dritte Scene
(Athen; ein Zimmer im Gefängniß).

(Kerkermeister, Doctor und Freier treten auf.)

DOCTOR.
Nicht wahr, wenn der Mond scheint, so pflegt es immer schlimmer mit ihr zu gehen?
KERKERMEISTER.

Sie ist immerfort nicht bei Sinnen; aber auf eine harmlose Weise, schläft wenig, ißt fast gar nichts, trinkt viel und spricht nur immer von einer andern, bessern Welt. Was ihr auch durch den Kopf geht, in alles mischt sie [82] den Namen Palämon ein. Seht, da kommt sie. Beobachtet sie genau.


(Die Tochter tritt auf.)
TOCHTER.

Ich hab' es ganz vergessen. Der Refrain war »Ducke dich, ducke dich«, und kein Schlechterer hat es gemacht, als Gerrold, Emiliens Schulmeister. Er ist ein solcher Phantast, wie es keinen zweiten mehr auf Erden gibt; in der andern Welt aber wird Dido den Palämon zu sehen bekommen, und dann ist es mit der Liebe zu Aeneas aus.

DOCTOR.
Was sie für Unsinn redet. Armes Mädchen!
KERKERMEISTER.
So geht es den ganzen Tag.
TOCHTER.

Was den Zauber anbetrifft, von dem ich Euch sagte, so müßt Ihr Euch ein Silberstück auf die Zungenspitze legen, sonst geht es nicht. Wenn wir dann zu den seligen Geistern kommen – und warum sollte das nicht geschehen? – so werden wir Mädchen, die ihre Herzen verloren haben, weil die Liebe sie in Stücke brach, den ganzen Tag über nichts weiter thun, als mit Proserpina Blumen pflücken, dann werd' ich einen Strauß binden für Palämon und werde dann – merkt auf – werde –

DOCTOR.
Wie lieblich sie in ihrem Wahnsinn ist! Laßt sie mich noch etwas länger beobachten.
TOCHTER.

Ihr könnt mir's glauben, manchmal gehen wir auch zum Erntetanz, das heißt, wir Seligen. Ach, die an dem andern Ort da führen ein trauriges Leben; nichts als Brennen, Braten, Sieden, Heulen, Zähnklappern und Fluchen. Hu, hu! Sie leiden schreckliche Qualen. Nehmt euch in Acht! Ist einer toll oder erhängt oder ersäuft sich, so kommt er dahin. Zeus bewahre uns davor. Da steckt man uns in große bleierne Kessel mit Wuchererschmalz, zusammen mit tausend Beutelschneidern und kocht uns darin wie Schinken, ewig, ewig!

DOCTOR.
Was das für Phantasien sind!
TOCHTER.

Vornehme Herren und Hofleute, die Mädchen geschwängert haben, sind auch da drin: dort müssen sie bis zum Nabel im Feuer und bis zum Herzen in Eis stehen. Womit sie gesündigt haben, das brennt, und womit sie betrogen haben, das friert. Doch eine harte Strafe für solch eine Kleinigkeit. Mancher würde lieber eine aussätzige Hexe heirathen, um nur davon loszukommen, das könnt ihr mir glauben.

DOCTOR.

Sie hält immer ein und dasselbe fest. Ausgesprochene Tollheit ist das nicht, aber eine schwere Melancholie.

[83] TOCHTER.

Horch! Da heulen eine vornehme Dame und ein stolzes Kaufmannsweib miteinander. Ein Vieh wär' ich, wenn ich daran Vergnügen fände. – Die eine schreit: »O, dieser Rauch«; die andre: »O, dieses Feuer«. Die eine jammert: »Ach, daß ich es hinter dem Vorhang that«, und heult dann; die andere verflucht den drängenden Bewerber und das Gartenhaus. (Singt.) »Mein Glück, mein Stern, dir bleib' ich treu!« (Ab.)

DOCTOR.
Ich meine, ihr Geist ist zerrüttet, und da kann ich wohl nicht helfen.
KERKERMEISTER.
Ach, was soll dann werden?!
DOCTOR.
Habt Ihr einen Begriff davon, ob sie je einem gut war, bevor sie Palämon erblickte?
KERKERMEISTER.
Vordem hoffte ich stark, daß sie ihre Neigung diesem meinem jungen Freunde hier geschenkt hätte.
FREIER.

Ich glaubte das auch, und würde gern mein halbes Vermögen darum geben, daß wir miteinander noch auf demselben Fuße stehen sollten.

DOCTOR.

Die Unmäßigkeit ihrer Augen hat das Gleichgewicht ihrer übrigen Sinne gestört. Diese können sich ermannen und ihre regelmäßigen Functionen wieder aufnehmen, doch vor der Hand sind sie in der größten Verwirrung. Was Ihr zu thun habt, ist Folgendes: Haltet sie in einem Zimmer, in welches nur wenig Tageslicht hineinscheint. Ihr, junger Freund, nehmt den Namen Palämon an und sagt, Ihr kämet zu ihr, um mit ihr zu essen und in Liebe zu verkehren. Das wird ihre Aufmerksamkeit erregen und ihren Geist auf einen bestimmten Punkt festhalten, während sonst alle andern Gegenstände, die zwischen ihr Auge und ihr Begriffsvermögen treten, zum Spielball ihrer Tollheit werden. Singt ihr solche Lenz- und Liebeslieder vor, wie sie von Palämon im Gefängniß gehört hat, steckt Euch schöne Blumen ins Knopfloch, wie die Jahreszeit gerade bietet, und benetzt dieselben außerdem noch mit wohlriechenden Essenzen, die den Sinnen schmeicheln. Alles das wird sie an Palämon erinnern, denn Palämon versteht zu singen, ist immer sanft und freundlich und stets guter Dinge. Besteht darauf, mit ihr zu essen, schneidet ihr vor, trinkt ihr zu und thut überhaupt Euer Bestes, ihre Liebe und Zuneigung zu gewinnen. Erkundigt Euch, wer von den jungen Mädchen ihre Spielgenossinnen gewesen sind, und sorgt dafür, daß dieselben den Namen Palämon immer im Munde führen und häufige Anspielungen auf ihn machen. [84] Der Zustand, in welchem sie sich befindet, ist ein unwahrer und deshalb muß er auch mit Unwahrheiten bekämpft werden. – Auf diese Weise, hoffe ich, wird sie dahin gebracht werden, wieder zu essen und zu schlafen, wodurch alles, was bei ihr jetzt in Unordnung gerathen ist, wieder in die frühere Ordnung zurückkehrt. Das habe ich schon oft bewährt gefunden, öfter, als ich es Euch sagen kann, und daß dies auch hier der Fall sein wird, davon bin ich fest überzeugt. Im weitern Verlaufe der Cur steht Euch meine ärztliche Hülfe natürlich immer zu Diensten. Beginnt nur nun damit und beschleunigt auf diese Weise den Erfolg, der Euch Trost und Erleichterung bringen möge.


(Alle ab.)

(Der Vorhang fällt.)

Fünfter Act

Erste Scene
(Athen. Man sieht drei Altäre mit den Inschriften: Mars, Venus und Diana.)

Theseus, Hippolyta und Pirithous nebst Gefolge treten auf. Trompetenstöße.

THESEUS.
Sie mögen nun sich nah'n und zu den Göttern
In frommer Andacht flehen. Laßt die Tempel
Von heil'gen Feuern flammen und empor
Von den Altären reichen Weihrauch steigen
Zu jenen über uns. Versäumet nichts,
Denn edel ist das Werk, zu dem sie schreiten,
Und ehren soll's die gnadenreichen Götter!
PIRITHOUS.
Sie nahen, Herr!

(Arcites und Palämon, ein jeder mit seinen drei Rittern, treten auf).
THESEUS.
Ihr blutsverwandten Fürsten,
Unausgesöhnte Feinde, die ihr kamt,
Den Hader zwischen euch heut auszutragen,
Vergeßt in dieser Stunde euren Zorn
Und beugt in Demuth eure trotz'gen Leiber
Vor eurer Helfer heiligen Altären,
Der Götter, die ihr fürchtet. Euer Groll
[85]
Ist mehr als menschlich, so sei euer Beistand!
Die Götter schaun auf euch; drum kämpfet ehrlich!
Ich wünsche Glück dem einen wie dem andern.
PIRITHOUS.
Dem Würdigsten von euch der Ehre Kranz!

(Theseus, Hippolyta, Pirithous und Gefolge ab.)
PALÄMON.
Eh' jetzt der Sand im Stundenglas verronnen,
Ist einer von uns todt. Bedenk' nur dies:
Wär' etwas in mir, das in dieser Sache
Mich hindern wollt', etwa ein Aug' das andre,
Ein Arm den andern, von mir würf' ich es,
Ob's schon ein Theil von mir, – das thät' ich, Vetter!
Daran erkenn', ob ich dich schonen kann.
ARCITES.
Mir kostet's Müh' und Arbeit, deinen Namen,
Unsre Verwandtschaft, deine alte Liebe
Aus meinem Angedenken zu verbannen
Und etwas andres dafür hinzustellen,
Das ich vernichten möcht'. Doch laß uns nun
Die Segel hissen, welche unsre Schiffe
Zu jenen Häfen tragen, die die Götter
Bestimmt uns haben.
PALÄMON.
Das war wohlgesprochen!
Bevor ich geh', laß dich umarmen, Vetter,
Noch einmal – nie dann wider!

(Sie umarmen sich.)
ARCITES.
Lebe wohl!
PALÄMON.
Das Schicksal will es, lebe wohl!
ARCITES.
Leb' wohl!

(Palämon mit seinen drei Rittern ab.)
ARCITES.
Ihr, edle, Ritter, Freunde, Anverwandte,
Die ihr bereit seid, euch für mich zu opfern,
Mars' tapf're Söhne, dessen Geist in euch
Jedwede Furcht und Bangigkeit verscheucht,
Laßt jetzt uns vor den Gott, den wir bekennen,
Gemeinsam treten, und des Löwen Herz,
Des Tigers Wuth, Furchtlosigkeit und Schnelle,
Der Schlange List und Klugheit uns erflehn.
Ihr wißt, der Preis, um den ich werbe, muß
Mit Blut errungen werden; großer Thaten
Bedarf's, den Kranz mir auf das Haupt zu setzen,
In welchem sie als schönste Blume prangt.
Drum lasset uns an jenen Gott uns wenden,
Der auf der Wahlstatt, roth vom Blut der Kämpfer,
[86]
Gebietend waltet. Steht mir dazu bei
Und beugt im Geiste auch vor seiner Macht!

(Sie treten vor den Altar des Mars, fallen auf das Angesicht und knien dann.)

Gewaltiger, der du der Meere Grün
In Purpurroth verwandelst; dessen Nah'n
Kometen uns verkünden, dessen Fuß
Auf weitem Blachfeld Spuren der Verwüstung
Und bleichende Gebeine hinterläßt;
Dess' Athem Ceres' Kinder niedermäht
Und dessen starke Hand aus luft'ger Höhe,
Der Thürme Zinnen stürzt, volkreicher Städte
Steingürtel baut und gleich der Erde macht:
Verleihe deinem Zögling, mir, dem Jüngsten,
Der deinem Schlachtruf folgte, Kraft und Weisheit,
Daß er zu deiner Ehr' sein Fähnlein schwinge,
Und du als Held des Tags ihn krönen kannst.
Gib, großer Mars, ein Zeichen deiner Gunst!

(Hier fallen alle wie vorher auf das Angesicht. Man vernimmt Waffengeklirr und kurzes Donnerrollen, worauf alle sich gegen den Altar verbeugen.)
Du, der die Zeit, die aus den Fugen ging,
Von neuem wieder fügst, – entnervte Reiche
Zertrümmerst, – über Staub und alte Rechte
Gericht hältst, – wenn die Erde krank, mit Blut
Sie heilest und vor Uebervölk'rung
Die Welt bewahrst: ich nehme dies, dein Zeichen,
Als glückverheißend an und gehe kühn
In deinem Namen an mein Werk. Kommt alle!

(Arcites und die Ritter ab.)

(Palämon und seine Ritter treten wieder auf.)
PALÄMON.
In neuem Glanze müssen unsre Sterne
Aufgehen heute oder ganz verlöschen.
Um Liebe kämpfen wir, und wem die Göttin
Die Braut bestimmt, dem gibt sie auch den Sieg.
So eint euch jetzt, die ihr aus Edelmuth
Um meinetwillen kämpfen, wagen wollt',
Im Geist mit mir. Laßt das, was wir beginnen,
Der Göttin Venus Gnade uns empfehlen
Und ihre starke Hülfe uns erflehn!

(Sie treten vor den Altar der Venus, fallen auf das Angesicht und knien dann.)

Heil dir, geheimnißvolle Herrscherin,
Die du die Macht hast, des Tyrannen Wuth
[87]
Zu bänd' gen, daß er wie ein Mädchen weint, –
Mit einem einz'gen Winke deines Auges
Mars' Trommel läßt verstummen und den Lärm
Der Schlacht zu leisem Flüstern sich verlieren.
Den Krüppel läßt du seine Krücke schwingen
Und heilest trotz Apollo ihn. Den König
Machst du zum Unterthanen seines eignen
Vasallen, – lässest steife Gravität
Im Tanz sich drehen, – läßt den Hagelstolz,
Dess' Jugend deine Flamme übersprang
(Wie wilde Buben über Freudenfeuer),
Mit siebzig Jahren spät noch Feuer fangen
Und, wie zum Spotte seiner heisern Kehle,
Verliebte Lieder singen. Welche Macht,
Wie groß auch, könnte deiner sich vergleichen?!
Die Flammen Phöbus' mehrst du mit den deinen,
Die heißer noch als seine Flammen glühn.
Das Himmelsfeuer sengte ihm den Sohn,
Den sterblichen, doch du versengst ihn selbst.
Diana, doch bekannt als streng und kalt,
Warf hin den Bogen und begann zu seufzen.
– In Gnaden nimm mich an als deinen Jünger!
Geduldig hab' ich stets dein Joch getragen,
Wie einen Kranz von Rosen, ob es schwerer
Als Blei auch war und mehr als Nesseln sticht.
Nie hab' ich wider dein Gesetz gegrollt,
Geheimes nie verrathen, denn mir war
Ja nichts bekannt, doch hätt's auch nicht gethan,
Wenn alles offenbar mir wär' gewesen.
Nie hab' ich eines andern Weib verführt,
Vielmehr bin ich erröthet, wenn ich sah,
Wie andre es versuchten. Heftig frug ich
Und zürnend dann: Habt ihr denn keine Mutter?
Ich hatte eine und sie war ein Weib,
Wie also könnet ihr ein Weib beleid'gen?
Dabei erzählt' ich, daß ich einen Mann
Von achtzig Jahren hätt' gekannt, der sich
Mit einer Jungfrau hätt' vermählt von Vierzehn,
Denn so verjünget deine Macht den Staub!
Des Alters Krämpfe hatten seine Füße
Verborgen, Gicht die Finger ihm gekrümmt;
[88]
Die stieren Augen hatten heft'ge Schmerzen
Aus ihren Höhlen ihm herausgetrieben,
Was in ihm Leben war, war eitel Qual.
Und doch erzielte diese halbe Leiche
Mit ihrer Gattin einen kräft'gen Buben!
Daß er der Vater war, bezweifl' ich nicht,
Denn sie beschwor's, und wer mußt' ihr nicht glauben
Genug – zu denen, die's gethan und plaudern,
Gehör' ich nicht, – noch weniger zu denen,
Die 's nicht gethan und doch sich dessen rühmen,
Wie ich dagegen über die kann lachen
Die's hätten gern gethan, und nur nicht konnten.
Doch jene hass' ich, die gewährte Huld
Mit Namensnennung unverschämt verkünden.
So bin ich, – und beschwören kann ich es,
Nie seufzte ein Verliebter wahrer, treuer.
Und darum, holde Göttin, laß mich siegen
In diesem Kampf, der treuer Liebe soll
Den Lohn verleihn, und segne gnädig mich
Mit einem Zeichen deines Wohlgefallens.

(Musik läßt sich vernehmen, Tauben flattern über die Bühne. Die Ritter fallen auf ihr Angesicht und knien dann.)

O du, die in der Brust der Sterblichen
Von elf bis neunzig herrschest – deren Plan
Die ganze Welt und wir ihr Wild! Ich danke
Für dieses Zeichen, das mir Zuversicht
Ins Herze gießt und meinen Gliedern Kraft
Zu diesem Werk verleiht. – Steht auf und laßt
In Ehrfurcht von der Himmlischen uns scheiden,
Denn es ist Zeit!

(Sie verbeugen sich und gehen ab. Die Flötenmusik dauert fort. Emilia, weiß gekleidet mit herabwallendem Haar, einen weißen Kranz auf dem Haupte, tritt auf. Eine ebenfalls weißgekleidete Jungfrau trägt ihr die Schleppe, eine andere, die ihr vorangeht, eine Hirschkuh von Silber, welche mit Weihrauch und Spezereien angefüllt ist, und stellt dieselbe auf Diana's Altar nieder. Während die
übrigen Jungfrauen sich um den Altar stellen, zündet Emilia den Weihrauch an.)
EMILIA.
Du heil'ge, keusche Königin der Nacht,
Verächt'rin wilder Lust, stummwandelnde,
In einsamer Betrachtung, hehre, reine,
Du, reiner als der frischgefall'ne Schnee,
Die ihren Dienerinnen mehr des Bluts
Nicht zuertheilt, als zum Erröthen nöthig,
[89]
Dem Ordenskleid, das deine Jünger tragen:
Vor deinem Altar knie' ich, deine Priest'rin,
In Demuth hier! O blicke gnadenreich
Mit deinem Auge, das Unreines flieht,
Auf mich, die Jungfrau! Leihe, Silberreine,
Dein Ohr, das nie unkeuschem Wort gelauscht
Und sich unzücht'ger Rede stets verschloß,
Dem, was ich hier mit heil'ger Bitt' erflehe,
Der Jungfrau letzter Opferdienst ist dies.
Als Braut geschmückt, bin ich doch Mädchen noch;
Bestimmt ist mir ein Gatte, aber welcher
Von zweien weiß ich nicht. Ich soll den einen
Von ihnen wählen und für ihn den Sieg
Erbitten von den Göttern. Doch ich kann
Mich dieser Wahl nicht schuldig machen; lieber
Gäb' ich ein Auge hin, als daß ich einen
Von ihnen schickte in den sichern Tod.
Darum laß du, sittsame Königin,
Von beiden Freiern den, der mir am meisten
In Liebe und in Treue zugethan,
Den weißen Kranz von meinem Haupte nehmen.
Sonst aber, Himmlische, gestatte mir,
Daß ich der Jungfrau Stell' und Eigenschaft,
Die ich in deiner Schar besaß, behalte.

(Hier versinkt die Hirschkuh in den Altar; dafür steigt aus demselben ein Rosenstock mit Einer Blüte empor.)

Seht, was der Ebb' und Flut Gebieterin
Aus ihres heil'gen Altars Eingeweiden
Erstehen läßt in feierlichem Act,
Nur eine einz'ge Rose! Deut' ich recht,
So rafft der Kampf die beiden Tapfern hin,
Und einsam soll ich jungfräuliche Blume
Und ungepflückt verblühn.

(Hier erschallt eine lebhafte Musik. Die Rose fällt von dem Stocke ab, der zugleich im Altar verschwindet.)

Die Blume fiel, der Stock verschwand! O, Herrin,
Entlassen hast du mich! So scheint es demnach
Daß ich gepflückt soll werden? Doch dein Wille
Ward mir nicht klar. Enthülle das Geheimniß
Und zürne nicht! Verheißend war das Zeichen!
(Sie verbeugen sich alle und gehen ab.)
[90]
Zweite Scene
(Athen; ein Zimmer im Gefängniß.)

Der Doctor, Kerkermeister und Freier (wie Palämon gekleidet) treten auf.

DOCTOR.
Hat ihr der Rath geholfen, den ich gab?
FREIER.
Bedeutend, denn sie glaubt es den Mädchen,
Die um sie sind, daß ich Palämon sei.
Vor einer halben Stunde fragte sie
Mich lächelnd, was ich heute essen wollte,
Und ob ich sie nicht küssen würde? Ich
War gleich bereit und küßte zweimal sie.
DOCTOR.
Ei, zwanzigmal wär' besser noch gewesen.
Das ist die beste Cur!
FREIER.
Dann sagte sie,
Sie wolle mit mir wachen heute Nacht,
Sie wüßte schon, wann's mich zu packen pflege.
DOCTOR.
I seht einmal! Nun, wenn es Euch dann packt,
So packt sie ordentlich nur, daß sie es merkt.
FREIER.
Dann sollt' ich ihr was singen.
DOCTOR.
Thatet Ihr's?
FREIER.
Ach nein!
DOCTOR.
Das war nicht recht von Euch! Ihr müßt
Thun, was sie will.
FREIER.
Ich habe keine Stimme.
DOCTOR.
Das schadet nichts, so viel kann jeder singen.
In allem müßt Ihr zu Willen sein,
Und wenn sie sich mit Euch zu Bett wollt' legen.
KERKERMEISTER.
Oho, Herr Doctor!
DOCTOR.
Ja, so will's die Cur.
KERKERMEISTER.
Wohl möglich, aber nicht die Ehrbarkeit!
DOCTOR.
Ach, Possen! Opfert nicht der Ehrbarkeit!
Das eigne Kind. Erst heilt sie, will sie dann
Noch ehrbar sein, so hat sie Zeit genug.
KERKERMEISTER.
Ich danke schön!
DOCTOR.
Jetzt geht und holt sie her,
Damit ich sie mir anseh'.
KERKERMEISTER.
Gut, ich gehe
Und sag' ihr, daß Palämon sie erwartet.
Herr Doctor, aber darin habt Ihr unrecht.

(Ab.)
[91] DOCTOR.
Ja geht nur. Wie die Väter närrisch sind!
Was Ehrbarkeit! Der müßt' man eh'r was geben,
Damit sie –
FREIER.
Haltet Ihr sie nicht für ehrbar?
DOCTOR.
Wie alt ist sie?
FREIER.
Kaum achtzehn.
DOCTOR.
Dann ist's möglich,
Daß sie's noch ist, doch darauf kommt's nicht an.
Ihr Vater mag nun sagen, was er will,
Wenn Ihr bemerkt, daß sie danach verlangt,
Wovon ich sprach, videlicet nach Fleisch,
So gebt es Ihr –
FREIER.
Ganz wohl –
DOCTOR.
Und macht sie satt;
Das heilt sie, und vergehen werden ihr
Alsbald die melancholischen Humore.

(Der Kerkermeister kehrt mit seiner Tochter und ihrem Mädchen zurück.)
KERKERMEISTER.
Komm, liebes Kind! Palämon stehet dort,
Schon eine Stunde wartet er auf dich.
TOCHTER.
Schön Dank für so viel gütige Geduld,
Er ist ein lieber Herr, ich schuld' ihm viel.
Sahst du den Zelter, den er mir geschenkt?
KERKERMEISTER.
Ja wohl!
TOCHTER.
Gefiel er dir?
KERKERMEISTER.
Ein prächtig Thier!
TOCHTER.
Sahst du ihn tanzen?
KERKERMEISTER.
Nein!
TOCHTER.
Das sollt'st du sehen!
Er tanzt die Gigue unvergleichlich schön,
Mit langem und mit kurzgestutztem Schwanz,
Und dreht sich wie ein Kreisel.
KERKERMEISTER.
Unbegreiflich!
TOCHTER.
Auf Maurisch tanzt er zwanzig Meil' die Stunde,
Was ihm das beste Steckenpferd im Kirchspiel,
Soviel ich mich darauf versteh' nicht nachmacht;
Und galoppirt zum Liede »Lieb' mein Lieb'«. –
Was meinst du zu dem Pferd?
KERKERMEISTER.
Wenn's so geschickt ist,
So könnte man ja Federball ihm lehren.
TOCHTER.
O, das wär nichts!
[92] KERKERMEISTER.
Versteht er auch zu lesen,
Vielleicht sogar zu schreiben?
TOCHTER.
Ganz vortrefflich.
Die Rechnung über seinen Proviant
Führt er allein. Den Stallknecht wollt' ich sehn,
Der ihn beschuppen kann. Die braune Stute
Des Herzogs kennst du doch?
KERKERMEISTER.
O ja, sehr gut!
TOCHTER.
Das arme Vieh ist ganz verliebt in ihn,
Doch er ist kalt und spröde wie sein Herr.
KERKERMEISTER.
Was hat sie denn als Mitgift?
TOCHTER.
Ei, sie hat
Zweihundert Bündel Heu und zwanzig Maß
Vom besten Hafer, doch er will sie nicht.
Ach, wenn er wiehert, wie er dabei lispelt –
Das könnte einen Müllergaul bezaubern,
Es wird ihr Tod noch sein!
DOCTOR.
Was sie für Unsinn
Zu Tage bringt!
KERKERMEISTER.
Da kommt dein Liebster, grüß' ihn!
FREIER.
Wie geht es dir, mein Herz? Wie schön du bist,
Und welch ein Knicks!
TOCHTER.
Ganz Euch zu Diensten, Herr,
In aller Ehrbarkeit! Sagt, liebe Freunde,
Wie weit noch ist es, bis ans End' der Welt?
DOCTOR.
Das kann wohl eine Tagereise sein.
TOCHTER.
Was meint Ihr, wollt' Ihr mit mir gehn?
FREIER.
Was sollen
Wir denn dort machen?
TOCHTER.
Fußballspielen, ei,
Was sonst?
FREIER.
Mir ist es recht, ich gehe mit,
Vorausgesetzt, daß wir dort Hochzeit halten.
TOCHTER.
Ja, das ist wahr! Dort finden wir gewiß
'nen blinden Priester, der uns trauen wird.
Denn hier zu Lande sind sie gar zu mäklig,
Und außerdem wird auch mein Vater morgen
Gehängt, – das paßte doch nicht gut zusammen.
Du bist Palämon?
FREIER.
Kennst du mich denn nicht?
TOCHTER.
O ja, doch kümmerst du dich nicht um mich.
[93]
Ich hab' auch nichts als dieses Eine Kleid
Und nur zwei Hemden noch.
FREIER.
Das macht nichts aus,
Ich will dich einmal haben.
TOCHTER.
Willst du wirklich?
So lass' zu Bett' uns gehn!
FREIER.
Wann dir's gefällt!

(Er küßt sie.)
TOCHTER.
Du naschest gar zu gern!
FREIER.
Was wischest du
Dir meine Küsse ab?
TOCHTER.
Sie sind so heiß
Und räuchern vor der Hochzeit schon mich ein.
Ist das Arcites nicht, Eu'r Vetter?
DOCTOR.
Ja!
Der überaus zufrieden, daß Palämon
Solch eine gute Wahl getroffen hat.
TOCHTER.
So meint Ihr auch, er wird zur Frau mich nehmen?
DOCTOR.
Gewiß!
TOCHTER.
Ist das auch Eure Meinung?
KERKERMEISTER.
Ja!
TOCHTER.
Wir werden wohl recht viele Kinder haben.
Mein Gott, wie feist Ihr wurdet! Hoffentlich
Macht's Euch Palämon nach; nun ist er frei,
Die schlechte Wohnung und die schmale Kost,
Sie haben ganz vom Fleische ihn gebracht,
Ich werd' ihn aber schon zurecht mir küssen!

(Ein Bote tritt auf.)
BOTE.
Was hockt ihr hier und geht des schönsten Anblicks
Verlustig, der euch je geboten ward?!
KERKERMEISTER.
So sind sie schon dabei?
BOTE.
I, freilich, freilich!
Und Ihr habt dort ein Amt.
KERKERMEISTER.
Gleich will ich ihn,
Darum lebt wohl!
DOCTOR.
Wir werden Euch begleiten,
So was muß ich mir ansehn.
KERKERMEISTER.
Nun, was meint Ihr
Zu ihrer Krankheit?
DOCTOR.
Habt nur guten Muth,
[94]
In ein paar Tagen ist sie ganz gesund.
Fahrt nur so fort und laßt sie nicht allein.
FREIER.
Gewiß nicht.
DOCTOR.
Führt sie fort!
FREIER.
Jetzt komm zum Essen,
Mein liebes Herz, nach Tische spielen wir
Mit Karten.
TOCHTER.
Aber küssen wir uns auch?
FREIER.
Ei freilich, hundertmal.
TOCHTER.
Und zwanzigmal.
FREIER.
Und zwanzigmal.
TOCHTER.
Und gehn zusammen schlafen.
DOCTOR.
Nehmt es nur an.
FREIER.
Und gehn zusammen schlafen.
TOCHTER.
Ihr dürft mir aber nichts zu Leide thun.
FREIER.
Nein, Herzchen, nein.
TOCHTER.
Sonst fang' ich an zu schrein.

(Alle ab.)
Dritte Scene
(Ein Theil des Waldes bei Athen, nahe dem für den Kampf bestimmten Platz.)

Trompetenstöße. Theseus, Hippolyta, Emilia, Pirithous nebst Gefolge treten auf.

EMILIA.
Ich bleibe hier.
PIRITHOUS.
Wollt Ihr es nicht mit ansehn?
EMILIA.
Nein, lieber wollt' ich sehn, wie ein Rothkehlchen
Die Mücke spießt, als diesem Kampf beiwohnen;
Denn jeder Schlag bedroht ein edles Leben,
Seufzt, wenn er niederfallen muß und klingt
Wie Leichenglocke mehr als Schwerterschlag.
Ich bleibe hier, genug schon, daß mein Ohr
Mit dem, was dort geschieht, bestraft soll werden,
Daß ich's nicht stopfen kann, – mein Auge aber
Kann ich verschließen vor dem Schreckensanblick.
PIRITHOUS.
Herr, Eure Schwester will nicht weiter gehn.
THESEUS.
Sie muß, dort wird sie Heldenthaten sehn,
Verherrlicht wohl von Pinsel und von Meißel,
[95]
Doch hier vollbracht in ihrer Gegenwart,
Daß Ohr und Auge davon zeugen können.
Du darfst nicht fehlen, denn des Siegers Lohn
Und Preis und Krone bist du, wie du ja
Des Kampfes Anlaß warst.
EMILIA.
Verzeih' mir, Bruder,
Wär' ich dabei, ich schlösse doch die Augen.
THESEUS.
Du mußt dabei sein. Dieser Zweikampf ist
Wie eine Nacht und du der einz'ge Stern,
Der sie erhellt.
EMILIA.
Laß mich erloschen sein!
Unselig ist dies Licht, es zeigt den einen
Dem andern nur, so daß sich beide finden.
O Finsterniß, des Schreckens Mutter du,
Die Millionen Sterbliche verwünschen,
Wirf deinen schwarzen Mantel über sie,
Daß keiner seinen Gegner sehen möge.
So bess're deinen Namen und thu' Buße
Für manche Greuelthat, die du begingst.
HIPPOLYTA.
Komm mit uns, Schwester!
EMILIA.
Nein, ich bleibe hier.
THESEUS.
Dein Auge soll der Ritter Muth entflammen.
Du bist des Kampfes Kleinod, darfst nicht fehlen,
Du mußt den Preis ertheilen!
EMILIA.
Laß mich, Bruder!
Wer König ist, der schöpft aus sich sein Recht.
THESEUS.
Nun, wie du willst. Doch die gezwungen sind
Mit dir zu bleiben, werden ihren Dienst
Gewiß verwünschen.
HIPPOLYTA.
Schwester, lebe wohl!
Mich freut es nur, daß ich auf diese Weise
Doch etwas früher deinen Gatten soll
Erfahren als du selber. Mögen nun
Die Götter von den beiden dir den besten
Bescheren, darum bitt' ich sie inbrünstig.

(Alle ab, außer Emilia und einige ihres Gefolges.)
EMILIA.
Ein würdevolles Antlitz hat Arcites!
Doch ist sein Auge wie ein schwer Geschütz,
Das nicht gerichtet ward und niemand droht,
Wie eine scharfe Waffe in der Scheide.
Auf seinem Angesicht sind Mannesmuth
[96]
Und Milde Bettgenossen. Krieg'rischer
Sieht wohl Palämon aus. Ihm ist die Stirn
Gefurcht, und wenn er sie zusammenzieht,
Begräbt er eine ganze Welt darin.
Doch ist's nicht immer so, es ändert sich
Nach den Gedanken, die ihn grad' beherrschen.
Lang' weilt sein Aug' auf einem Gegenstand;
Ihm stehet Schwermuth gut, Arciten Frohsinn,
Doch ist Palämon's Traurigkeit nichts weiter
Als eine Art von Frohsinn, so gemischt,
Als mach' ihn Frohsinn traurig, Schwermuth fröhlich.
Der finstre Ernst, der andern häßlich steht,
Zeigt sich bei ihm in einer schönen Form.

(Hörnerklang. Dann Trompetenstöße, wie zum Angriff.)

Horch, wie es jetzt zum Kampf die Fürsten ruft.
Wird mich Arcit gewinnen? Wird Palämon
Arciten so verwunden, daß er ihm
Des Leibes Schönheit raubt? O, nur zu sehr
Ist dies zu fürchten! Wäre ich dabei,
Nur Schaden brächt' es. Ihre Augen würden
Auf mich gerichtet sein; so könnt' es kommen,
Daß sie versäumten sich zu rechter Zeit
Zu schützen oder vorzugehn zum Angriff.
Nein, besser ist es, daß ich ferne bin.
O, lieber nicht geboren sein, als solchem
Unsel'gen Spiel als Zeuge beizuwohnen.

(Hörnerklang und Rufe hinter der Scene. Man hört »Hoch Palämon!« schreien.)

Was für ein Lärm!
DIENERIN.
Sie rufen: »Hoch Palämon!«
EMILIA.
So siegte er? Ich hab' es gleich gedacht.
Auf seinem schönen Antlitz lag der Sieg;
Der Männer erster ist er zweifellos.
Ich bitte dich, lauf' hin und bring' mir Nachricht,
Wie es dort steht!

(Lärm. Hörnerklang. Erneuerte Rufe: »Hoch Palämon!«)
DIENERIN.
Noch immer: »Hoch Palämon!«
EMILIA.
Lauf hin und frage.

(Dienerin ab.)

Ach, mein armer Ritter,
Du unterlagst! Auf meiner rechten Brust
Trag' ich dein Bild, Palämon's auf der linken.
Warum? Ich weiß es nicht, der Zufall that's,
[97]
Es war nicht Absicht. Auf der linken Seite
Da liegt das Herz, die beste Stelle hatte
Palämon.

(Wiederholtes Geschrei, Hörnerschall und Rufen.)

Dieser Stimmen lautes Toben
Bedeutet, daß der Kampf zu Ende ist.

(Die Dienerin kehrt zurück.)
DIENERIN.
Man sagte mir, Palämon hätt' Arciten
Schon fingerbreit der Säule nah gedrängt,
Sodaß man »Hoch Palämon« hätt' gerufen;
Da hätten seine Kampfgefährten ihn
Durch ihren Beistand schnell befreit und nun
Sei'n beide Kämpfer handgemein geworden.
EMILIA.
O, daß in Einen sie verwandelt würden!
Was sag' ich? Gäb' es auf der Welt ein Weib,
Das solchen Doppelmannes würdig wäre?
Was jedem den besonderen Werth verleiht,
Und einen von dem andern unterscheidet,
Ist schon viel mehr, als eine Frau verdient.

(Hörnerschall. Rufe hinter der Scene: »Arcit, Arcit!«)

Noch immer, wie? Palämon?
DIENERIN.
Nein, sie rufen
»Arcit« jetzt.
EMILIA.
Horch mit beiden Ohren hin,
Ich bitte dich, daß du auch recht verstehst.

(Hörnerschall. Lärm. Geschrei: »Sieg, Sieg, Arcit!«)
DIENERIN.
Sie rufen: »Sieg, Arcit!« Horcht: »Sieg, Arcit!«
Der Hörner Schall zeigt an des Kampfes Ende.
EMILIA.
Mit halbem Blicke konnt' es jeder sehn,
Kein Schwächling sei Arcit. Aus seinem Auge
Brach mächtig seines Geistes Kraft hervor,
Wie man im Flachs nicht Feuer kann verstecken,
Und niedres Ufer nicht der Wasser Schwall,
Wenn er von wildem Sturm getrieben wird,
Abwehren kann. Vermuthet hab' ich's gleich,
Palämon würde unterliegen müssen,
Nur weiß ich nicht, warum ich es vermuthet!?
Vernünft'ge Gründe pflegen nicht Propheten
Zu sein, viel öfter Einbildungen. Sieh,
Da kommen sie.

(Hörnerschall.)

Palämon thut mir leid.

[98] (Theseus, Hippolyta, Pirithous, Arcit als Sieger
nebst Gefolge treten auf.)
THESEUS.
In Furcht und Zagen harret unsre Schwester
Des Ausgangs hier. Vernimm, Emilia,
Kraft himmlischer Entscheidung gaben dir
Die Götter diesen Ritter zum Gemahl,
Ein besserer schlug nie den Feind aufs Haupt.
Reicht Euch die Hände, nimm sie hin – du ihn,
Und solche Lieb' vereine segnend euch,
Die immer wächst, je mehr ihr selbst vergeht.
ARCITES.
Emilia, – dich zu gewinnen gab ich
Das Köstlichste dahin (dich ausgenommen),
Was ich besaß, doch dünket mich der Preis,
Um den ich solchen Schatz erwarb, gering.
THESEUS.
Er redet von dem besten Ritter, Schwester,
Der je ein edles Roß bestiegen hat;
Ihn lassen unvermählt die Götter sterben,
Daß sein Geschlecht nicht ihnen vor der Welt
Zu ähnlich werde. Denn mit ihm verglichen
Scheint der Alcide nur ein Klumpen Blei,
So hat er mich entzückt. Doch wie ich immer
Sein Lob auch singen mag, darum verliert
Arcit nicht das Geringste, – denn der Große
Fand seinen Größern noch. –
Das Ohr der Nacht
Hört' ich wetteifernd einst zwei Nachtigallen
Mit wechselseitigem Gesang bestürmen;
Bald lauter diese, jene bald, dann wieder
Die erste ihre Schwester überbietend,
Sodaß das Ohr zu keinem Urtheil kam.
Nichts anders war es lang' bei diesen Vettern,
Bis einer siegte durch des Himmels Schluß.
Mit Stolz und Freude trage deinen Kranz,
Doch den Besiegten sei Gerechtigkeit
Nun schnell von uns gewährt. Ich weiß, ihr Leben
Ist ihnen nur zur Qual. Hier laßt es sein,
Für uns ist das kein Anblick, gehn wir also,
Im Herzen fröhlich, doch nicht ohne Trauer.
Umarme deinen Preis; ich weiß, um nichts
In aller Welt gäbst du ihn wieder her.
Hippolyta, in deinem schönen Auge
Blinkt eine Thräne?!
[99] EMILIA.
Ach, heißt das gewinnen?
O Himmelsmächte, ist das eure Gnade?
Sprächt ihr gebietend nicht: »So soll es sein,
Nun tröste du den armen, freundeslosen,
Den unglückhaften Fürsten, der ein Leben
Geopfert hat, mehr werth als alle Frau'n« –
Ich würde lieber sterben!
HIPPOLYTA.
Ach, wie traurig,
Daß sich vier Augen wandten auf die eine
Und zwei nun brechen müssen!
THESEUS.
Ja, so ist's!

(Alle ab.)
Vierte Scene
(Ebendaselbst.)

Palämon mit seinen Rittern gefesselt. Kerkermeister, Henkersleute und andere treten auf. Wache.

PALÄMON.
So mancher lebt, der seines Volkes Liebe
Längst überlebt hat, und dasselbe gilt
Von manchen Vätern und von manchen Kindern.
In dem Gedanken liegt ein kleiner Trost,
Wir sterben doch, von andern noch beklagt,
Man wünscht uns, daß wir länger leben möchten.
Des Alters böse Zeit bleibt uns erspart.
Der Gicht und Gliederschmerzen schweren Pein,
Die an des Lebens Ende auf uns lauert,
Entgehen wir. Wir kommen zu den Göttern
Noch jung und frisch, von Lastern und Verbrechen
Noch nicht befleckt. So werden sie uns auch
Willkommenheißen und vor jenen andern
Mit Nektar tränken, da wir reine Geister.
Doch immer gebt ihr, liebe Anverwandte,
Zu wohlfeil euer junges Leben noch
Für diesen kümmerlichen Trost dahin.
ERSTER RITTER.
Wir sind mit solchem guten Tod zufrieden.
Die Sieger hatten nur für sich das Glück,
Dem der Erfolg gewiß, wie uns der Tod.
An keines Körnchens Ehre überwiegen
Sie uns!
[100] ZWEITER RITTER.
Laßt Lebewohl uns sagen, Brüder,
Und setzen wir das wankelmüth'ge Glück
Durch unsere Geduld in helle Wuth!
DRITTER RITTER.
Wer macht den Anfang?
PALÄMON.
Wem als mir, der euch
Zu dem Bankete führte, käm' es zu,
Davon zuerst zu kosten? –

(Zum Kerkermeister.)

Ha, mein Freund,
Dein holdes Kind gab mir einmal die Freiheit,
Du sollst sie nun für alle Zeit mir geben.
Wie geht es ihr? Man sagte, sie sei krank?
Daß sie so leiden muß, betrübt mich sehr!
KERKERMEISTER.
Sie ist genesen, Herr, und hält bald Hochzeit.
PALÄMON.
Bei meinem Restchen Leben, das ist schön,
Das freut mich, sag' ihr das, grüß' sie von mir
Und gib ihr dies!

(Er gibt ihm seine Börse.)
ERSTER RITTER.
Wir steuern alle bei!
ZWEITER RITTER.
Ist sie noch Jungfrau?
PALÄMON.
Ja gewiß, das denk' ich,
Ein gutes, liebes Wesen, dem ich mehr
Verdanke, als ich sagen kann und lohnen!

(Sie geben dem Kerkermeister alle ihre Börsen.)
KERKERMEISTER.
Nehmt ihren Dank, die Götter lohnen's euch!
PALÄMON.
Und nun lebt wohl! Mach's kurz mit meinem Leben,
Wie ich mit meinem Abschied!
ERSTER RITTER.
Führ' uns an,
Wir folgen willig dir, geliebter Bruder!

(Palämon legt sein Haupt auf den Block. Man hört hinter der Bühne Geräusch und die Rufe: »Lauft, rettet, halt!« Ein Bote tritt eilig auf.)
BOTE.
Halt, halt, ums Himmels willen, haltet ein!

(Pirithous tritt eilig auf.)
PIRITHOUS.
Halt ein, halt ein! Verwünscht sei Eure Hast,
Wie leicht wär's nicht geschehn! – Edler Palämon,
Die Götter wollen dir zu ihrem Ruhm
Das Leben noch verlängern!
PALÄMON.
Ist es möglich,
Obschon ich sagte, daß mir Venus log?
Wie ging das zu?
PIRITHOUS.
Erheb' dich, edler Herr,
[101]
Und leih' dein Ohr der Nachricht, die ich bringe,
Die freudevoll zugleich schmerzlich ist!
PALÄMON.
Was weckt uns so aus unserm Traum?
PIRITHOUS.
Vernimm!
Das Roß, das ihm Emilia jüngst geschenkt,
Bestieg Arcites. Schwarz ist's wie die Nacht,
Kein weißes Haar an ihm, was seinen Werth,
Wie manche meinen, eben nicht vermehrt,
Da es vorweg auf Tücke schließen läßt;
Wer abergläubisch ist, wird ihm nicht trau'n.
Auf diesem Pferd durchritt Arcit die Straßen
Athens, – langsamen Schritts, als ob die Steine
Er zählen wolle, während ja das Thier,
Hätt' seine Kunst der Reiter zeigen wollen,
Ihn wie ein Pfeil dahingetragen hätte.
So aber ließ er's zur Musik der Hufen
Nur zierlich tanzen. (Sagt man doch, Musik
Sei aus des Eisens Klang zuerst entstanden.)
Da plötzlich zuckt aus einem neid'schen Kiesel,
Kalt wie Saturn und g'rade so wie er
Bösart'gen Feuers voll, ein Funke her!
Das Pferd, so hitzig wie das Feuer selbst,
Erschrickt, macht einen Satz, stemmt sich zurück,
Kennt keine Zucht und Ordnung mehr, – dem Sporn
Gehorcht es nicht, schreit wie ein junges Schwein,
Geräth in Wuth und sucht auf alle Weise
Durch Bocken sich des Reiters zu entled'gen.
Der aber sitzt in seinem Sattel fest;
Der Zaum ist stark, der Sattelgurt platzt nicht,
Ausschlagen ist umsonst, der Reiter drückt
Es mächtig auf die Hinterbeine nieder –
Da bäumt es sich empor, sodaß die Füße
Arcit's hoch über seinem Kopfe stehn,
Als hing er in der Luft; der Siegeskranz
Fällt ihm vom Haupt und hintenüber stürzt
Das wilde Thier und deckt mit seiner Last
Des edlen Reiters Leib! –
Noch lebt er zwar,
Doch ist ein Schiff nur, das die nächste Welle
Verschlingen muß. Noch einmal wünscht er Euch
Vor seinem Tod zu sprechen. Seht, er naht!

[102] (Theseus, Hippolyta, Emilia. Arcites wird in einem Lehnsessel hereingetragen.)
PALÄMON.
O, unglücksel'ges Ende unsrer Freundschaft!
Allmächtig sind die Götter! – Wenn dein Herz,
Dein würdig, männlich Herz noch schlägt, Arcites,
So sprich ein letztes Wort zu mir. Ich bin
Palämon, der dich Sterbenden noch liebt.
ARCITES.
Nimm du Emilien und nimm mit ihr
Die ganze Lust der Welt. Gib mir die Hand,
Leb' wohl! Mein Stundenglas ist abgelaufen.
Geirrt hab' ich, doch treulos war ich nie!
Vergib mir, Vetter. – Einen einz'gen Kuß
Emilia nur –

(Er küßt sie.)

so, so – nun nimm sie hin.
Ich sterbe!

(Stirbt.)
PALÄMON.
Seine Heldenseele zog
Jetzt in Elysium ein!
EMILIA.
Laß mich die Augen
Dir schließen, Fürst! Nun bei den Sel'gen wohne!
Solang' ich lebe will ich diesen Tag
Den Thränen weihn!
PALÄMON.
Und ich dem Ruhm des Helden!
THESEUS.
An dieser Stelle fochtet ihr zuerst,
Hier trennt' ich euch. Den Göttern bringe Dank,
Daß du noch lebst und athmest. Seine Rolle
Hat er nun ausgespielt, und war sie kurz,
So hat er doch als Meister sich bewährt.
Dein Tag ist länger und des Himmels Segen
Troff auf dich nieder. Venus, die Gewalt'ge,
Bewährte ihres Altars Kraft an dir
Und gab dir, was du liebst, wogegen Mars,
Der Krieger Herr, Arcit den Sieg verlieh,
Wie sein Orakel diesem es verheißen.
So zeigten sich die Götter euch gerecht. –
Tragt jetzt den Todten fort!
PALÄMON.
O Vetter, Vetter!
Daß wir, was wir begehrten, selber uns
Dann wieder rauben und den Schatz der Liebe
Mit dem Verlust der Lieb' erkaufen mußten!
THESEUS.
Nie hat das Glück ein schlau'res Spiel gespielt,
Denn der Besiegte triumphirt, der Sieger
Erlag, und dabei haben sich die Götter
Der Einmischung enthalten. Dir, Palämon,
[103]
Gestand dein Vetter selbst das Vorrecht zu
Auf die Geliebte, da du sie zuerst
Erblickt und deine Liebe gleich erklärtest.
Er gab sie dir zurück, wie ein Juwel,
Das er dir stahl, und bat dich um Verzeihung,
Damit er ruhig und in Frieden sterbe.
Die Götter nehmen die Gerechtigkeit
Aus meiner Hand und üben selber sie.
Jetzt führe, die du liebst, hinweg von hier
Und ruf' vom Henkerblocke die Gefährten,
Sie sollen fortan meine Freunde sein.
Zwei Tage oder drei weihn wir der Trauer,
Bis wir Arcit zur Erd' bestattet haben.
Dann aber ziehn wir Hochzeitskleider an
Und jubeln mit Palämon, den ich noch
Betrauerte vor einer Stunde, während
Ich froh war mit Arcit. Jetzt thut Arcit
Mir leid und mit Palämon freu' ich mich!
– Ihr Zauberer dort droben, sagt, was macht ihr
Aus uns für Wesen? Laßt bei dem uns jubeln,
Was wir verlieren, und bei dem uns trauern,
Was wir erlangen. Wahre Kinder sind wir!
Doch laßt uns dankbar sein für das, was ist,
Und haben nicht mit Euch, den über uns
Allmächtig Waltenden. Kommt jetzt mit mir,
Und was die Zeit verlangt, das laßt uns thun!

(Alle ab.)

(Der Vorhang fällt.)

Ende

[104]

Epilog

Wie Euch das Stück gefiel, seid nun befragt.

Ich bin zwar wie ein Schulbub' nicht verzagt,

Doch bitt' ich Euch, bleibt noch ein bischen stehn,

Daß ich mir Eure Mienen kann besehn.

Wie? Keiner lacht? Das ist nun freilich schier

Ein schlimmes Zeichen! Ist nicht Einer hier,

Der einmal recht geliebt? Er tret' heraus

Und zisch' uns wider sein Gewissen aus.

Wär' keiner hier, das wär' doch sonderbar!

Wir möchten Euer Urtheil, kurz und klar.

Versteht mich recht: ich bin ja meiner Sache

Nicht so gewiß; indeß, wenn auch die Mache

Euch nicht gefiel, so war die Fabel doch

Des Stückes gut, sodaß wir immer noch

Vielleicht damit erzielt, was wir gewollt.

Und wenn Ihr uns ein bischen Beifall zollt,

So werden wir bald Bess'res Euch bescheren,

Die alte Liebe zwischen uns zu nähren.

Denn alles, was nur steht in unsrer Macht,

Ist Euch, Ihr Herrn, zu Dienst. – Jetzt Gute Nacht![105]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Shakespeare, William. Komödien. Die beiden edlen Vettern. Die beiden edlen Vettern. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0C17-E