Johann Gottfried Seume
Gedichte

[3] Vorrede zur ersten Ausgabe

Die meisten Stücke, die ich hier gebe, sind schon hier und da erschienen. Es geschieht ihnen vielleicht zu viel Ehre, wenn man sie Gedichte nennt; aber ich konnte kein schicklicheres Wort für ihre Bezeichnung finden, und unter dieser allgemeinen Rubrik mögen sie also mit hingehen. Größten Theils sind es nur Ausdrücke des Herzens oder Äußerungen von Gedanken, die vielleicht nur in der Individualität und den Verhältnissen ihres Urhebers gegründet sind, ob ich gleich sehr vieles für allgemeine Wahrheit halte. Einige competente Männer haben über manche dieser Verse in ästhetischer und philosophischer Hinsicht gar nicht ungünstig gesprochen: und andere, deren Competenz auch anerkannt wird, haben über die nähmlichen Stücke sehr strenge abgeurtheilt. Das geht nun so wie überall, so lange jeder nach seiner individuellen Ansicht spricht, wie das nicht anders möglich ist. Ich habe für mich daraus das Recht desto fester gesetzt, mich auch an meine eigene Überzeugung zu halten. Es ist mir in der Arbeit manches gelobt worden, was ich selbst höchst mittelmäßig fand, und manches getadelt oder gar verdammt worden, was mir, die Sonde ganz kaltblütig in der Hand, ohne Vorliebe für die Ausgeburt, doch ziemlich gut vorkam. In [4] vielen Fällen fühlte ich allerdings die Richtigkeit der Kritik und habe zu bessern gesucht: in andern, wo ich das nicht gethan habe, wird man mir erlauben, meinen eignen Gründe zu folgen. Ich will sie niemanden als Maßstab für andere zumuthen, und erwarte also eben dasselbe von andern. Ich zweifle, daß meine Sprache je so glatt und geschmeidig werden wird, als man zu wünschen scheint: ich habe es manchmahl versucht, aber immer im Polieren meinen Charakter weggefeilt, und sodann die ganze Arbeit aus Ärger weggeworfen. Es ist nicht zu erwarten, daß wir je durchaus einig werden; und es wäre vielleicht auch nicht gut.

Ich würde nicht an diese Sammlung gedacht haben, wenn ich nicht Willens wäre, einen Gang nach Sicilien zu machen, das mir, seitdem ich in der Welt mich etwas umzusehen anfing, vor allen Ländern der Erde freundlich [4] zulacht. Der Tod Eines Freundes machte meine Gegenwart einem andern noch etwas nöthig, sonst würde ich jetzt schon die Pilgerschaft antreten. Freylich habe ich in Italien nichts zu thun; als vielleicht nur der Mediceerin ein wenig auf und in die Händchen und dem Vater Ätna in den Mund zu sehen, und eine Idylle Theokrits auf der Landspitze von Syrakus zu lesen: aber ich sehe nicht, warum mir diese Grille nicht eben so lieb seyn soll, als einem anderen die seinige. Wenn diese Reise, denn wer kann für menschliche Zufälle bürgen? mich nicht wieder in mein Vaterland und zu meinen Freunden bringen sollte, so ist es wohl verzeihlich, oder vielleicht sogar löblich, beyden hier ein kleines Andenken zu hinterlassen. Ich kann es nicht läugnen, daß die Stimmung, in welcher ich mehrere dieser kleinen Stücke schrieb, mir in irgend einer Rücksicht sehr werth ist; und vielleicht ist sie für Viele nicht ganz ohne Interesse.

Es schien mir nöthig, so ungern ich Noten mache, zur bessern Verständigung bey einigen Stellen Anmerkungen hinzuzufügen, die meistens bloß lokal sind, die Veranlassung der Arbeit angeben, und sonst wohl durch keine Gelehrsamkeit und Divinationsgabe herbey geführt [5] werden könnten. Wo die nähere Bestimmung das Interesse nicht, oder doch nicht, oder doch nicht merklich vermehren würde, und wo gewöhnliche Kenntnisse hinreichen, den Zusammenhang zu sehen oder leicht zu errathen, habe ich alles dem Leser überlassen. Meine Ansichten und Gesinnungen und Urtheile zu rechtfertigen ist hier nicht der Ort, eben so wenig als mich über Menschlichkeiten zu entschuldigen, mit denen die Schicksale aller unserer Brüder und Schwestern so häufig durchwebt, oder aus denen sie größten Theils zusammen gesetzt sind. Ich hoffe theilnehmende nachsichtige Humanität in der Beurtheilung von meinen Lesern, so wie sie jeder von mir hat.


Grimme. 1800.


Seume.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Seume, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Vorrede zur ersten Ausgabe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0A87-2