[124] 10.
Der Oberst besann sich einen Augenblick und fuhr dann fort:
Pferdegetrampel weckte mich am folgenden Morgen. Es war Bob, der angekommen soeben abstieg. Aber welches Absteigen! Die Glieder schienen ihm den Dienst zu versagen, auseinanderstreben, reißen zu wollen, so verrenkt, schwankend, taumelnd waren seine Bewegungen. Anfangs glaubte ich, er sei betrunken, aber er war es nicht. Es war die Todesmüdigkeit des unter der Seelenqual erliegenden Körpers, er gerade zu schauen, als ob er von der Folter käme. Die vierundzwanzig Stunden mußten ihm gräßlich mitgespielt haben.
Schaudernd warf ich mich in die Kleider, sprang die Treppe hinab und öffnete die Haustür.
Den Kopf auf dem Nacken seines Mustangs ruhend, die Hände darüber gekreuzt, stand er, wechselweise zusammenschaudernd und wieder aus tiefster Brust herauf stöhnend.
»Bob, seid Ihr es?«
Keine Antwort.
»Bob, wollt Ihr nicht ins Haus?« sprach ich, bemüht, eine seiner Hände zu erfassen.
Er schaute auf, stierte mich an, schien mich aber nicht zu erkennen.
Ich zog ihn vom Mustang weg, band diesen an einen der Pfosten und führte ihn dann ins Haus. Er ließ mit sich geschehen, folgte willen-, beinahe kraftlos. Wie ich ihm einen Sessel stellte, fiel er in diesen hinein, daß der Sessel zusammenkrachte, das ganze Haus erschütterte. Aber kein Wort war aus ihm herauszubringen. Eben wollte ich mich in meine Schlafkammer zurückziehen, um meine Toilette so viel als möglich zu ordnen, als sich aber- und abermals Pferdegetrampel hören ließ. Es waren zwei Reiter, denen in einiger [125] Entfernung mehrere folgten, alle in Jagdblusen, hirschledernen Beinkleidern und Wämsern, mit Rifles und Bowie Knives 1 bewaffnet, feste, trotzige Gesellen, offenbar aus den südwestlichen Staaten, mit dem echten Kentucky-, halb-Roß- halb-Alligator-Profile, auch der gehörigen Beigabe von Donner, Blitz und Erdbeben. Ein dreitausend solcher Männer konnten es freilich mit einer Armee Mexikaner, wenn alle den Spindelbeinen gleichen, die ich gesehen, aufnehmen, denn jede Hand dieser Kolosse wog füglich einen ganzen Mexikaner auf. Übrigens eine sehr behagliche Empfindung, als ich sie mit echt kentuckischer care-the-devil-Miene absteigen, ihrer Pferde Zügel dem Neger in die Hände werfen und dann in das Haus eintreten sah, ganz wie Leute, die überall zu Hause, sich auch in Texas als die Herren zeigten, mehr so zeigten als die Mexikaner selbst. Das waren allerdings die Männer, die Texas zur Unabhängigkeit erheben konnten! Beim Eintritte in das Parlour nickten sie mir zwar einen guten, aber etwas kalten Morgen zu, ihre Falkenaugen hatten mit mir zugleich Bob erschaut, ein Zusammentreffen, das ihnen aufzufallen schien, obwohl sie dies unter der Maske gleichgültigen Nichtbeachtens verbargen; doch warfen sie mehrere Male, ohne sich übrigens in ihrer Unterhaltung stören zu lassen, sehr scharfe Blicke auf mich. Diese Unterhaltung bezog sich auf Rinder und Cottonpreise, auf die Verhandlungen des Cohahuila- und Texas-und wieder Generalkongresses, auf die Demonstrationen, die von Metamoras aus gegen Texas, wie es hieß, im Anzuge waren und die auch, wie Sie wissen, kurz darauf wirklich stattfanden, die sie aber bis jetzt nicht im mindesten zu beunruhigen schienen. Man hätte schwören sollen, daß die drohenden Demonstrationen sie ganz und gar nichts angingen. Nach und nach kamen ihrer mehrere, so daß ihre Anzahl auf vierzehn stieg, alle fest entschieden auftretende Gesellen bis auf zwei, die mir weniger gefielen. Auch den übrigen schienen sie nicht sehr zu gefallen, denn keiner reichte ihnen die Hand, kaum daß sie ihrem ›good morning‹ ein stummes Nicken entgegengaben. Sie allein traten auf Bob zu, es versuchend, ihn zum Reden zu bringen, allein vergebens.
Der Richter war mittlerweile, nach dem Geräusche im anstoßenden Kabinette zu schließen, aufgestanden und mit seiner Toilette beschäftigt, die ihm aber nur wenig Zeit nehmen mochte, denn kaum waren [126] drei Minuten seit dem Krachen des Bettes verflossen, als auch bereits die Tür aufging und er eintrat.
Zwölf von den Männern traten ihm freundlich, ja herzlich entgegen, die zwei blieben im Hintergrunde, auch schüttelte er nur den ersteren die Hand.
Als er den zwölfen die Hand geschüttelt, den zweien kalt zugenickt, trat er zu mir, nahm mich bei der Hand und stellte mich seinen Gästen vor. Erst jetzt erfuhr ich, daß ich vor keinen geringeren Personagen als dem Ayuntamiento 2 von San Felipe-de-Austin stand, daß zwei meiner derben Landsleute Corregidoren, einer Procurator, die übrigen aber buenos hombres, das heißt soviel als Freisassen, Mannen, waren, Ehrenbenennungen, die sie übrigens nicht sehr hoch anzuschlagen schienen, denn sie begrüßten und nannten sich bloß bei ihren Familiennamen.
Jetzt brachte der Neger ein Licht, rückte die Zigarrenkistchen, die Armsessel zurecht, der Richter deutete auf den Schenktisch, die Zigarren, und dann ließ er sich nieder.
Einige nahmen einen Dram, andere Zigarren. Über dem Einschenken, Trinken, dem Anbrennen, In-Rauch-versetzen verging eine geraume Weile.
Bob krümmte sich währenddem wie ein Wurm.
Jetzt endlich, dachte ich, würde er ans Geschäft gehen, aber ich schloß fehl.
»Mister Morse!« redete er mich an, »seid so gut, helft Euch.«
Ich schenkte ein; er winkte mir anzustoßen. Ich trat zu ihm, stieß mit ihm, allen übrigen bis auf die zwei an.
Noch mußte ich eine Zigarre nehmen, sie anbrennen, und erst als dies in Ordnung, nickte er zufrieden, die Arme auf die beiden Lehnen des Sessels stützend.
Es war etwas pedantisch Langweiliges, aber auch patriarchalisch Würdevolles und wieder Berechnetes in dieser langsamen Prozedur, die wirklich charakteristisch amerikanisch genannt werden kann. Aller äußeren Formen wie wir entbehrend, hat unser ernster Nationalcharakter in dieser würde- und bedachtvoll einleitenden Langsamkeit sehr glücklich, wie mir scheint, die Formalitäten, den Pomp und die [127] Repräsentation anderer Völker bei ihren Gerichts- und öffentlichen Verhandlungen ersetzt.
Nachdem denn endlich alle getrunken, alle ihre Zigarren angeraucht, sprach der Richter, die Zigarre absetzend und sein Glas ergreifend:
»Männer!«
»Squire!« sprachen die Männer.
»Haben ein Geschäft vor uns, ein Geschäft, das, kalkuliere ich, besser der expliziert, den es betrifft.«
Die Männer schauten den Squire, dann Bob, dann mich an.
»Bob Rock oder was sonst Euer Name, so Ihr etwas zu sagen habt, so sagt es«, sprach der Alkalde.
»Hab's Euch ja schon gestern gesagt«, brummte Bob, den Kopf noch immer zwischen den Händen, die Ellbogen auf den Knien.
»Ja, aber müßt es heute wieder sagen. War gestern Sonntag, und ist der Sonntag, wißt Ihr, der Tag der Ruhe, der Feier und nicht der Geschäfte. Sehe das, was Ihr an einem Sonntage sagt, als nicht gesagt an. Will Euch nicht nach Eurem gestrigen Sagen richten oder richten lassen. Habt es dann auch bloß unter vier Augen gesagt, denn Mister Morse rechne ich nicht, betrachte ihn noch als Fremdling.«
»Aber wozu denn das ewige Palaver 3, wenn die Sache klar«, knurrte Bob, den Kopf mürrisch erhebend.
Wie jetzt die Männer auf- und ihn anschauten, legte sich ein düsterer, finsterer Ernst um ihre eisernen Gesichter. Er war wirklich schauderhaft zu schauen, das Gesicht schwarzblau, die Wangen hohl, der gräßliche Bart, die blutunterlaufenen Augen tief in den Höhlen rollend! Es war nichts Menschliches mehr in diesen Zügen.
»Wie Mississippiwasser«, versetzte bedächtig der Richter. »Klar wie Mississippiwasser, wenn es vierundzwanzig Stunden gestanden. Sag' Euch, will weder Euch noch irgend jemanden auf sein Wort verdammen, um so weniger Euch, als Ihr in meinem Hause – zwar nicht in meinem Hause, aber doch in meinem Dienste gestanden, von meinem Brot gegessen. Will Euch nicht verdammen, Mann!«
Bob holte tiefen Atem.
»Habt Euch gestern selbst angeklagt; hat aber Eure Selbstanklage einen Haken, habt das Fieber.«
[128] »Hilft alles nichts«, stöhnte wie gerührt Bob. »Hilft alles nichts! Sehe, meint es gut. Aber, obwohl Ihr mich retten könnt von Menschenhänden, könnt Ihr mich doch nicht retten vor mir selbst. Hilft nichts, muß gehängt sein, an demselben Patriarchen gehängt sein, unter dem er liegt, den ich kaltgemacht.«
Abermals schauten die Männer auf, sprachen aber kein Wort.
»Hilft alles nichts«, fuhr Bob fort. »Ja, wenn er mir gedroht, wenn er Streit angefangen, mir nur verweigert hätte, tat das aber nicht. Sagte, gellt mir noch in den Ohren, höre ihn noch, wie er sagt: ›Tut das nicht, zwingt mich nicht, etwas zu tun, was Ihr, was ich bereuen könnte. Tut das nicht, Mann! Habe Weib und Kind, und bringt keinen Segen, was Ihr vorhabt.‹ Hörte aber nicht« – stöhnte er aus tiefster Brust herauf – »hörte nichts als die Stimme des Teufels, warf die Rifle vor – schlug an – drückte ab.«
Sein entsetzliches Stöhnen, das wie das unterdrückte Gebrüll eines Rindes tönte, schien selbst die eisernen Zwölf zu erschüttern. Sie betrachteten ihn mit scharfen, aber wie verstohlenen Blicken.
»So habt Ihr einen Mann totgemacht?« fragte endlich eine tiefe Baßstimme.
»Ei, so hab' ich!« schnappte Bob heraus.
Und wie ihm die Worte entschnappten, schaute er den Fragenden stier an, der Mund blieb ihm weit offen.
»Und wie kam das?« fragte der Mann weiter.
»Wie es kam? Wie es kam? Müßt den Teufel fragen oder auch Johnny. Nein, nicht Johnny, kann es Euch doch nicht sagen, der Johnny. War nicht dabei, der Johnny. Kann nur ich es sagen, und doch, kann es kaum sagen, weiß selbst nicht, wie es kam. Traf den Mann bei Johnny, weckte Johnny den Bösen in mir, zeigte mir seine Geldkatze.«
»Johnny?« fragten mehrere.
»Ei, Johnny! Kalkulierte auf seine Geldkatze, war aber zu pfiffig, zu gescheit für ihn, und als er mir meine Federn, meine zwanzig fünfzig, ausgerupft –«
»Zwanzig Dollar fünfzig Cents«, erläuterte der Richter, »die er von mir für erlegtes Wild und eingefangene Mustangs erhalten.«
Die Männer nickten.
»Und machtet den Mann, weil er nicht spielen wollte, kalt?« fragte wieder die Baßstimme.
[129] »Nein, erst einige Stunden darauf am Jacinto, unweit dem Patriarchen. Begegnete ihm unterhalb und machte ihn kalt da.«
»Dachte mir wohl, daß da etwas Apartes sein müsse«, nahm ein anderer das Wort, »denn war Euch doch eine ganze Nation von Aasvögeln und Geiern und Turkeybuzzards und derlei Gezüchte auf und ab, als wir vorüberritten. Nicht wahr, Mister Heart?«
Mister Heart nickte.
»Traf ihn nicht weit vom Patriarchen und forderte halbpart von seinem Gelde«, hob wieder instinktartig Bob an. »Wollte mir etwas geben«, fuhr er fort, »einen Quid zu kaufen und mehr als das, aber nicht halbpart. Sagte, habe Weib und Kind.«
»Und Ihr?« fragte wieder der mit der Baßstimme, die aber jetzt hohl klang.
»Schoß ihn nieder«, versetzte mit einem heisern, entsetzlichen Lachen Bob.
Eine Weile saßen alle mit zu Boden gerichteten Blicken. Dann fuhr der mit der Baßstimme in dem Verhör weiter.
»Und wer war der Mann?«
»Ei, wer war er? Fragte ihn nicht, wer er war, stand ihm auch nicht auf der Stirn geschrieben. War ein Bürger, ob aber ein Hoshier, oder Buckeye, oder Mudhead, ist mehr, als ich sagen kann.«
»Die Sache muß denn doch untersucht werden, Alkalde«, nahm nach einer langen Pause ein anderer das Wort.
»Das muß sie«, versetzte der Alkalde.
»Wozu da erst lange untersuchen?« brummte unwillig Bob.
»Wozu?« entgegnete der Richter. »Weil wir das uns, dem Kaltgemachten und Euch schuldig sind, Euch nicht verurteilen können, ohne das Korpus delikti gesehen zu haben.
Ist auch ein anderes Item«, fuhr er zu den Männern gewandt fort, »auf das ich euch aufmerksam machen muß. Ist der Mann halb und halb außer sich, nichtcompos mentis, wie wir sagen. Hat das Fieber – hatte es, als er die Tat beging, war ferner da von Johnny aufgereizt – in desperater Stimmung über seinen Verlust; aber trotz dieser gereizten Stimmung hat er diesem Gentleman da, Mister Edward Nathanael Morse – das Leben gerettet.«
»Hat er das?« fragte der mit der tiefen Baßstimme.
»In jeder Beziehung«, versetzte ich, »nicht nur dadurch, daß er mich aus dem tiefen Flusse zog, in dem ich, sterbend von meinem Mustang [130] geworfen, sicher ertrunken wäre, sondern auch durch die sorgfältigste Pflege, die er dem sogenannten Johnny und seiner Mulattin zu meinen Gunsten abdrang. Ohne ihn wäre ich nicht mehr am Leben, das kann ich beschwören.«
Bob warf mir jetzt einen Blick zu, der mir durch die Nerven drang. Es war so erschütternd, Tränen in diesen Augen zu treffen!
Die Männer hörten in tiefem Schweigen.
»Es scheint, daß Ihr durch Johnny aufgereizt worden, Bob?« nahm wieder der mit der Baßstimme das Wort.
»Sagte das nicht. Sagte nur, daß er auf die Geldkatze hinblinzelte, mir sagte: –«
»Was sagte er?«
»Was geht Euch aber das, was Johnny gesagt, an?« knurrte wieder verdrießlich Bob. »Geht Euch nichts an, kalkuliere ich.«
»Geht uns aber an«, versetzte einer der Männer, »geht uns an.«
»Wohl, wenn es Euch angeht, mögt Ihr es ebensowohl wissen«, brummte wieder Bob. »Sagte, wie ich so wild aus dem Hause stürze, – sagt er: Seid Ihr denn gar so Hühnerherz geworden, Bob, sagt er, daß Ihr da Fersengeld gebt, wenn nicht zehn Schritte von Euch eine so voll gespickte Katze für wenig mehr denn ein Lot Blei zu haben?«
»Hat er das gesagt?« fragte wieder die Baßstimme.
»Fragt ihn selbst!«
»Wir fragen aber Euch.«
»Je nun, er hat es gesagt.«
»Hat er es gewiß gesagt?«
»Sag' Euch schon, wozu das ewige Palavern? Hat's gesagt, aber müßt ihn fragen. Will weder seinem noch irgendeines andern Gewissen auf die Hühneraugen treten, sind mir die meinigen dick genug, bürg' Euch dafür. Will nur die meinigen ausgeschnitten haben, und müssen ausgeschnitten sein. Wollt Ihr sie ihm ausschneiden, müßt Ihr Euch an ihn wenden. Kalkuliere, will bloß für mich reden, für mich gehängt sein.«
»Alles recht, alles recht, Bob!« nahm wieder der Alkalde das Wort. »Aber wir können Euch doch nicht hängen, ohne uns zuvor zu überzeugen, daß Ihr es auch verdient. Was sagt Ihr dazu, Mister Wythe? Seid Procurator, und Ihr, Mister Heart und Stone? Helft Euch zu Rum oder Brandy, und Mister Bright und Irwin, [131] eine frische Zigarre! Sind considerabel tolerabel, die Zigarren. Sind sie's nicht? Wohl, Mister Wythe, das in der Diamantflasche ist Brandy, – was sagt Ihr dazu?«
Mein aristokratischer Demokrat war so ganz Demokrat geworden, als mir unter andern Umständen wohl ein Lächeln abgenötigt hätte, hier aber verging es mir. Mister Wythe, der Procurator, hatte sich erhoben, wie ich glaubte, sein Urteil abzugeben, aber an dem war es noch nicht. Er trat zum Schenktische, stellte sich gemächlich vor diesen hin, und die Diamantflasche mit der einen Hand ergreifend, mit der andern das Glas, sprach er:
»Je nun, Squire oder vielmehr Alkalde!«
Nach dem Alkalde schenkte er das Glas halb mit Rum voll.
»Wenn's so ist«, meinte er weiter, einen Viertelzoll Wasser hinzugießend.
»Und«, fuhr er fort, einige Brocken Zucker nachsendend, »– Bob den Mann kaltgemacht hat –
Meuchlings kaltgemacht hat«, setzte er hinzu, den Zucker mit dem hölzernen Stempel zerstoßend und umrührend –
»So kalkuliere ich« – argumentierte er, das Glas hebend:
»Daß Bob, wenn's ihm so recht ist, gehängt werden sollte«, – schloß er, das Glas zum Munde bringend und leerend.
Bob schien eine schwere Last von der Brust genommen. Er holte tief und erleichtert Atem. Die übrigen nickten stumm.
»Wohl!« sprach, aber nicht ohne Kopfschütteln, der Richter. »Wenn Ihr so meint und Bob einverstanden ist, so kalkuliere ich, müssen wir ihm schon seinen Willen tun. Freilich sollte eigentlich das Ganze noch vor die District Court nach San Antonio hinüber; aber da er einer der Unsrigen ist, müssen wir schon ein Auge zudrücken, ihm Gnade für Recht widerfahren lassen, den Gefallen tun. Sag' Euch aber, tue es nicht gerne. Tue es zwar, aber muß auf alle Fälle der kaltgemachte Mann noch zuvor untersucht, auch Johnny verhört werden. Sind das uns, sind es Bob als unserm Mitbürger schuldig.«
»Auf alle Fälle!« bekräftigten die sämtlichen zwölf.
»Was hat aber der Johnny dazu zu tun?« fiel mürrisch Bob ein. »Hab' Euch schon ein dutzendmal gesagt, war nicht dabei und geht ihn nichts an.«
»Geht ihn aber doch an«, entgegnete der Richter. »Geht ihn an, Mann. War zwar nicht dabei, aber sandte Euch dafür, zwar nicht [132] mit ausdrücklichen Worten, aber mit einem geheimen Sporne. Wäre Johnny nicht gewesen, hättet Ihr weder Mann noch Geldkatze gesehen pro primo, pro secundo hättet Ihr Eure zwanzig fünfzig nicht verspielt und pro tertio wäre Euch nicht die Notion ins Gehirn gekommen, Euch durch seine gespickte Katze entgegen einem Lot Blei zu entschädigen.«
»Ist ein Fact das!« bekräftigten alle.
»Seid ein greulicher Mörder, Bob! Und ein considerabler dazu«, nahm wieder der Richter das Wort, »aber sage Euch doch, und gilt mir gleich, wer's hört, sag' es Euch ins Gesicht, will Euch nicht schmeicheln, aber seid mir doch lieber in Eurer Nagelspitze als der Johnny mit Haut und Haaren. Und tut mir leid um Euch, denn weiß, seid im Grunde kein Bösewicht, seid aber durch böses Beispiel, böse Gesellschaft verführt worden. Könntet aber, kalkuliere ich, noch zurechtgebracht, noch zu manchem gebraucht werden, vielleicht besser gebraucht werden, als Ihr meint. Ist Eure Rifle eine kapitale Rifle.«
Die letztern Worte machten alle aufschauen. Bob scharf und fragend fixierend, hielten sie in gespannter Erwartung.
»Könntet«, fuhr der Richter ermutigend fort, »vielleicht der Welt, Euren beleidigten Mitbürgern, dem verletzten Gesetze noch bessere Dienste leisten als durch Euer Gehängtwerden da. Seid immer noch ein Dutzend Mexikaner wert.«
Bob war während der Rede des Richters der Kopf auf die Brust gefallen. Jetzt hob er ihn, zugleich tiefen Atem holend.
»Verstehe, Squire! Weiß, worauf Ihr zielt. Kann aber nicht, darf nicht; kann nicht so lange warten, mag nicht. Ist mir das Leben zur Last, quält mich, foltert mich gar grausam. Läßt mir keine Ruhe, bei Tag und Nacht, wo ich gehe, stehe.«
»Wohl, so legt Euch!« meinte der Richter.
»Steht auch da vor mir, treibt mich zurück unter den Patriarchen.«
Hier schauten mehrere den Sprecher an, dann fielen ihre Blicke wieder zu Boden. Eine Weile saßen sie so in tiefer Stille, endlich hoben sie die Köpfe, schauten einander forschend an, und der Richter nahm abermals das Wort:
»Es bleibt also dabei, Bob. Wollen heute zum Patriarchen, und morgen kommt Ihr. Seid Ihr's so zufrieden?«
»Um welche Zeit?«
[133] »Und die zehn Uhr herum.«
»Könnte es nicht früher sein?« murmelte ungeduldig den Kopf schüttelnd Bob.
»Warum früher? Seid Ihr denn gar so lüstern nach der Hanfbraut?« meinte Mister Heart.
»Was hilft das Schwätzen und Palavern?« brummte mürrisch Bob. »Sag' es Euch ja, läßt mich nicht ruhen. Muß aus der Welt, treibt mich daraus; darum, je eher, desto besser! Bin satt des Lebens, und wenn ich erst um zehn Uhr komme und Ihr da noch ein paar Stunden oder mehr Euer Palaver habt und wir dann wieder eine Stunde oder zwei zum Patriarchen reiten, kommt das Fieber.«
»Aber wir können doch wegen Eurem Fieber da nicht wie die wilden Gänse zusammen- und auseinander schießen«, rief ungeduldig der Procurator. »Habt doch nur ein Einsehen, Mann!«
»Freilich, freilich!« meinte wieder beinahe demütig Bob.
»Ist aber ein schlimmer Gast, das Fieber, Mister Wythe!« bemerkte Mister Trace, ein frisches Glas nehmend. »Und kalkuliere«, fuhr er fort, es leerend, »sollten ihm den Gefallen tun.«
»Wohl, Squire, was meint Ihr dazu?« fragte der Procurator. »Meint Ihr, daß wir ihm zu Willen sein sollen?«
»Kalkuliere, ist wirklich ein wenig gar zu importun, unbescheiden da in seinen Forderungen, der Bob«, meinte, sehr verdrießlich den Kopf schüttelnd, der Richter.
Alle schwiegen.
»Aber wenn Ihr dafürhaltet und es zufrieden seid«, fuhr er zu dem Ayuntamiento gewendet fort, »und weil es Bob ist, weil Ihr es seid, Bob!« – wandte er sich an diesen – »so kalkuliere ich, müssen wir Euch wohl schon zu Willen sein.«
»Dank' Euch!« sprach sichtlich erleichtert Bob.
»Nichts zu danken!« brummte, während Bob der Tür zuging, mürrisch der Richter. »Nichts zu danken! Aber jetzt geht in die Küche, versteht Ihr, und laßt Euch da ein tüchtiges Stück Roastbeef mit Zubehör geben, versteht Ihr?«
Auf den Tisch klopfend, hielt er inne.
»Ein tüchtiges Roastbeef und Zubehör dem Bob«, befahl er der eintretenden Diana, »und das sogleich, und Ihr seht darauf, daß er es verzehrt. Und zieht Euch anders an, Bob, versteht Ihr? Wie ein Bürger, nicht wie eine wilde Rothaut, versteht Ihr?«
[134] Er winkte der Negerin abzutreten und fuhr dann zu Bob gewendet fort:
»Keine Einrede, Bob! Den Rum wollen wir Euch senden, sollt essen und trinken, Mann, wie ein vernünftiges Geschöpf, Eurem Geschick als Mann und nicht als ein hirnverbrannter Narr entgegentreten. Brauchen da keine Sprünge, keine Hungerkuren, die Euch noch verrückter machen. Sage Euch, tun keinen Schritt, so Ihr nicht vernünftig eßt und trinkt von den Gaben Eures Gottes, die er für Hohe und Niedrige, für Böse und Gute wachsen läßt, Euch wie ein vernunftbegabtes Wesen betragt und kleidet.«
»Dank' Euch!« sprach demütig Bob.
»Nichts zu danken, sagt' Euch's schon!« grollte der Richter.
Bob ging. Die Männer blieben sitzen, so ruhig wie immer. Einer oder der andere stand wohl auf, sein Glas zu füllen oder eine Zigarre zu nehmen, aber ein Eintretender würde schwerlich erraten haben, daß hier ein Ayuntamiento auf Leben und Tod saß. Zuweilen ließ sich ein Gebrumme hören, aus dem zu entnehmen war, daß sie mit der eilfertigen Zudringlichkeit noch immer nicht einverstanden waren, besonders der Alkalde; allmählich jedoch schien auch er nachzugeben. Es dauerte jedoch noch eine geraume Weile, wohl eine Stunde, ehe sie alle ihre Notionen vorgebracht, entwickelt und wieder entwickelt hatten, alles in dem allerruhigsten, phlegmatischsten Tone. Kein Wort, keine Silbe war zu hören, lauter als der gewöhnliche Konversationston. Man hätte schwören sollen, irgendeine Kirchstuhl- oder Predigers-Mietung werde verhandelt; selbst Johnny, der nach aller einstimmigem Urteile ein sehr gefährliches Subjekt sein mußte, war nicht imstande, sie aus der Fassung zu bringen. Sie wurden so ruhig einig, ihn zu lynchen, wie die Hinterwäldler Phrase lautet, als ob die Rede vom Einfangen eines Mustangs gewesen wäre. Als sie diesen Beschluß endlich gefaßt, erhoben sie sich, traten alle nochmals zum Schenktisch, tranken auf des Richters, meine Gesundheit, schüttelten uns die Hände und verließen Parlour und Haus.
»Mir war während dieser grenzenlos zähen Verhandlung so unwohl geworden, daß ich mich nur mit Mühe auf den Füßen zu erhalten vermochte. Das hausbacken Derbe, Gefühllose und wieder Gefühlvolle dieser Menschen widerstand meinen Nerven. Mir schmeckte [135] weder Frühstück, Mittag-, noch Abendessen. Aber auch der Richter war sehr übel gelaunt, obwohl der Grund seiner üblen Laune wieder, wie Sie leicht ermessen können, ganz anders lautete. Sein Verdruß war wieder, daß das Ayuntamiento auf seine Notion, Bob dem Gemeinbesten, wie er es nannte, zu erhalten, nicht eingegangen, daß ihm das Gehängtwerden gar so leicht gemacht worden, der doch seinem Lande, der bürgerlichen Gesellschaft noch recht gute Dienste hätte leisten mögen. Daß Johnny, der elende, niederträchtige, feig verräterische Johnny, aus der Welt geschafft würde, war vollkommen recht, aber daß Bob es gleichfalls würde, erschien ihm stupid, stolid, absurd. Es war vergeblich, ihn an die Versündigung an der bürgerlichen Gesellschaft, dem Gesetze Gottes, der Menschen – den Finger Gottes, das rächende Gewissen zu erinnern. Bob hatte sich an der bürgerlichen Gesellschaft, an seinem Schöpfer versündigt – diesen stand es zu, Genugtuung zu fordern, sie zu bestimmen, nicht aber ihm; sich da feige aus der Welt, an der er sich versündigt, herauszuschleichen, damit sei weder Gott noch den Menschen gedient. Unter den vierzehn Männern seien auch zwei gewesen, die wegen Mordes aus den Staaten geflüchtet, aber sie trügen ihre Schuld und Last als Männer, willens, sie als Männer zu büßen, an den Mexikanern gut zu machen.
Wir gerieten beinahe hart aneinander, sprachen auch den ganzen Tag nur wenig mehr und trennten uns am Abend frühzeitig.«