Theophorus

Legende.


Der Vogt im römischen Reich, Trajan,
Hatt' sich den Osten unterthan,
Sein Schwert erwarb ihm stolzes Lob;
Da ward er übermütig drob,
Meinte, zu seines Sieges Lauf
Noch fehle der gottsel'ge Hauf
[221]
Der Christen: wäre der bezwungen,
Würd' ihm erst ein Triumph gesungen!
Durch Syrien er dräuend zog,
Unter der Teufel Dienst sie bog;
Für seine Götter ging er werben,
Wer nicht wollt' opfern, mußte sterben.
Zuletzt in Antiochia
Vor seinen Richterstuhl man sah
Geschleppt Ignaz, den Gottesträger,
Im Silberhaar des Häufleins Pfleger.
Als er nun vor dem Kaiser stand,
Zornig der reckt' empor die Hand,
Und sprach: »Wer bist du, böser Geist,
Der sündiget und sünd'gen heißt
Wider mein Wort, das Not und Tod
Den Feinden unsrer Tempel droht?«
Der Greis schaut' auf, er zagte nicht,
Er zeigt ein Engelsangesicht,
Und lächelnd sprach er: »Seit wann heißt
Ein Gottesträger ein böser Geist?«
»Ein Gottesträger,« frug Trajan,
»Was mag ein solcher sein, sag' an!«
Der aber sprach: »Ein solcher ist,
Wer trägt im Herzen Jesum Christ!«
Und zorniger Trajanus rief:
»Meinst du, wir Römer trügen tief
Nicht auch die Götter im Gemüte,
Wir, denen Sieg leiht ihre Güte?
Drum leuchtet uns auch holden Blicks
Zeus an, der Herr des Weltgeschicks.
Doch dein Gott ist ein Bild der Strafe,
Ist ein an's Kreuz geschlagner Sklave!
Sieh Jenen stehn hoch auf Altären,
Hör' auf, den Schächer zu verehren!«
Ignaz sprach: »Deines Götzen Blick
Lenkt nimmer, glaub' mir, das Geschick;
Doch einen Blick ganz andrer Art
Hab' ich von meinem Gott bewahrt;
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Hätt' er dich angeblickt, wie mich,
Du dientest jetzt ihm sicherlich!«
Der Kaiser höhnte: »Thor, wann bist
Zusammentroffen du mit Christ?
Wie freche Knecht' hat er geblickt,
Und ward, wie sie, zum Tod geschickt!
Der Frevler starb vor achtzig Jahren,
Wie hättst du seinen Blick erfahren?«
»Und doch hat er mich angeschaut,«
Sprach drauf der Greis getrost und laut.
»Wohl ist es mehr denn achtzig Jahr,
Doch steht er vor mir wunderklar.
Von so viel tausend Lebensbildern
Wüßt' keines ich so hell zu schildern,
Voll Gegenwart, so stralenhell!«
Verdrossen schrie Trajan: »sprich schnell!«
Er drauf: »Mit einem Zug des Heers
Lag als ein Kriegshauptmann Tibers
Mein Vater in der Juden Stadt,
Und mich, ein Knäblein, bei sich hatt'.
Ich war ein fröhlich Kinderblut,
Mit andern Knaben wohlgemut
Sprang ich die Straßen ein und aus
Um Salomonis hohes Haus.
Da hörten vor der Marmorhalle
Wir sprechen einst mit lautem Schalle.
Es stand viel Volks im Kreise dort
Und lauscht' auf eines Mannes Wort,
Der predigte so allgewaltig,
Daß alles Volk, gar mannichfaltig,
Aufhorchte, schlug an seine Brust,
Und Buße that in Angst und Lust.
Wir Kinder standen alle still,
Wir wußten keines, was er will.
Ich Heidenkind am mindesten,
Doch freut' ich mich am kindesten
[223]
Ob der erhabenen Gestalt
Und wie sein Wort so tönend hallt'.
Zwölf bärt'ge Männer um ihn waren,
Da faßt' ich mir, so jung an Jahren,
Dennoch ein Herz, stieß einen an,
Sprach: »Laß mich zu dem frommen Mann!«
Der aber brummt' uns finster zu:
Laß, Kindervolk, den Herrn in Ruh'!
Da hat der Meister es gehört,
Doch er blieb freundlich, unverstört,
Zween Schritte that er mildiglich,
Beugt sich zum Boden, fasset mich,
Wiegt mich auf seinen sanften Armen
Mit einem göttlichen Erbarmen,
Er schwingt sich aufrecht in die Runde,
Mein Lockenkopf an seinem Munde,
Mein Aug' an seines Auges Stral,
So neigt' er mich dem Volk zu Thal,
(Sein schlanker Wuchs ragt' über alle)
Und sprach mit flötensüßem Schalle:
»Lasset die Kindlein zu mir kommen,
Sie sind vom Vater aufgenommen;
Und solcher ist das Himmelreich.
Drum werdet diesen Kindlein gleich.
Ja wollet ihr nicht Kinder sein,
Wahrlich, ihr kommet nicht hinein!«
Drauf küßte mich sein holder Mund,
Sein Blick drang in der Seele Grund,
Durch meine Locken fuhr sein Finger,
Dann gab er mich dem bärt'gen Jünger,
Der ward ganz Güt' und Freundlichkeit
Und stellte sorglich mich beiseit.
Der Blick, der glänzt' in meinem Herzen.
Ein Jahr ging um, da trat mit Schmerzen
Mein Vater, tief entsetzt, voll Graus,
Von seiner Wacht am Kreuz in's Haus,
[224]
Und rief: »Ein Frommer, auserlesen,
Ist er, ist Gottes Sohn gewesen!«
Da sag' ich, wie mir's gangen ist;
Bald beide dienten wir dem Christ,
Ich bis zu diesen alten Tagen,
Ein Gottesträger, gottgetragen,
So wie er wollte stets gesinnt,
Ein für sein Reich bewahrtes Kind.
Wie weiht' ich ihm nicht mein Geschick,
Der auf mich senkte Gottes Blick?
Sollt' ich nicht Ihn im Herzen tragen,
Der um mich Gottes Arm geschlagen?«
Der Kaiser hatte zugehört; –
Dem Schatten gleich, den man beschwört,
Stieg vor ihm auf des Meisters Bild,
Ein Kind auf hohem Arme mild.
Doch schloß zu fest des Panzers Erz
Sich an sein kaltes Römerherz.
Da schrie sein Heer: »Fort mit dem Christen!
Zur Thierhatz mit dem Atheisten!«
Trajanus winkt'; auf sein Geheiß
Mit Stricken band man fest den Greis;
Zehn Knechte wild, wie Leoparden,
Mit vorgestreckten Hellebarden,
Die führten ihn zu Schiff gen Rom,
Landeten dort am Tiberstrom.
Die Rennbahn sah er schon sich füllen,
Hungrige Löwen hört' er brüllen.
Geduldig schritt er durch den Schwarm:
»Christ, nimm dein Kindlein auf den Arm!«

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TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Gedichte. Gedichte. 4. Romanzen, Balladen, Legenden. 2. Geschichtliche und halbgeschichtliche Sagen. Theophorus. Theophorus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-06BA-C