Serafina an ihren Schutzgeist

Mein Engel, den ich
Vom Himmel erbat
Zu leiten mich hier
Auf dornigem Pfad,
Zu führen mich einst
Ins wonnige Land,
O lächle mir, Bote,
Vom Himmel gesandt.
Oft hab' ich geweint,
Oft hab' ich geklagt,
Daß hier so der Wurm
Das Röslein zernagt,
Daß Unschuld, so rein,
Wie Himmelskrystall,
Oft plötzlich sich neigt
Zum tödlichen Fall.
O Engel, sei mir
Vor Tausenden hold
Und hülle mich ein
In Flügel von Gold.
Noch bin ich so jung
Und kenne noch nicht
Der Lüste Betrug
Im schlauen Gesicht.
Wenn Eitelkeit oft
Mit Blümlein mich neckt,
Und unter dem Strauß
Die Schlange versteckt;
[423]
Wenn Thorheit mich sucht
So eile geschwind
Und warne mich selbst,
Du himmlisches Kind.
Wenn Amor mir winkt
Mit frechem Gesicht,
Und höhnisch verlacht
Die heilige Pflicht;
Mein Engel, so schlag
Die Flügel so laut,
Bis Amor entflieht
Und bis er mir graut.
Doch sitz' ich allein
Am goldnen Klavier
Und sing' ich ein Lied,
Mein Engel, von dir;
So säus'le in mich
Dein Himmelsgefühl
Und rüste mit Kraft
Mein goldenes Spiel.
Wenn Andacht mein Herz
Zum Himmel erhebt,
Daß unter der Faust
Der Flügel erbebt,
So öffne du mir
Die künftige Welt,
Bis glühend vom Aug'
Die Zähre mir fällt.
Einst drückest du mir
Zur ewigen Ruh'
Mit Fingern von Duft
Die Aeugelein zu.
Dann stürz' ich dir, ach!
Von Seligkeit warm
Als deine Vertraute,
Mein Engel, in Arm.
[424]
Dann lächelst du mir,
Dann nennst du mich Braut,
Und küssest mich sanft
Und himmlisch vertraut,
Und führest mich selbst
An rosiger Hand,
Du Bote des Herrn,
Ins wonnige Land.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schubart, Christian Friedrich Daniel. Gedichte. Gedichte. Sonstige weltliche Lieder verschiedenen Inhalts. Serafina an ihren Schutzgeist. Serafina an ihren Schutzgeist. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0233-9