I. Berge.

§. 1. Das Fichtelgebirge.

Von dem alten Lande der Rauraken bey Basel am Rhein zieht sich ein mächtiges Waldgebirge im langen Zuge nordöstlich hin zum Harz und zum Böhmerwalde, den Alten unter dem Namen herkynischer Wald bekannt. Ein Zweig davon, ein Ausläufer, ist das Fichtelgebirge, zugleich das Glied, welches hier den Uebergang in den Böhmerwald vermittelt, das eigentliche nordgauische Gebirge, jetzt die Gränzscheide zwischen den Stämmen der Oberpfälzer und den äussersten Ostfranken, nicht minder reich an Mythe und Sage als der Harz, aber weniger besucht und erforscht, weßhalb noch bis vor Kurzem der alte Spruch gelten konnte, das Fichtelgebirge sey den Wälschen besser bekannt, als den Deutschen.

[235] Es ist die Burg, in welche sich die Ureinwohner vor den siegreichen Germanen zurückgezogen haben; noch gelten sie als Zwerge gleich den Venetianern, den Walen, welche im Mittelalter hieherkamen, um nach edeln Metallen zu graben, ein Fingerzeig, daß Zwerge und Walen als Einem Stamme angehörend, von den eindringenden Germanen auseinander gerissen wurden. Sie besitzen von Alters her die Kenntniß des Reichtumes an edeln Metallen, der hier zu finden, sie wissen die Stellen, wo diese Schätze zu gewinnen sind. Ein friedfertiges Volk zogen sie vor den neuen Eroberern in die Halden des hohen Bergrückens zurück und weilen nun, weil auch da friedlos, in dessen Innerm. Es sind Kelten.

Neben den Zwergen hausen aber auch die Sieger, die Germanen, in den unterirdischen Gemächern dieses Gebirges. Kaiser Karl der Grosse lebt darin mit seinen Kriegern; wenn sein Bart siebenmal um den Tisch gewachsen ist, wird die Welt ein Ende nehmen. Ehe dieses aber geschieht, entsteht Krieg zwischen Christen und Antichristen; die erstern unterliegen und sind so zusammengeschmolzen, daß ihrer Alle, Sieben an der Zahl, unter Einem Baume essen. Diesen hilft endlich der Kaiser zum Siege. Nachdem die andere Menschheit im Kampfe gefallen, sterben auch sie. Gleich den Zwergen harren also auch die Deutschen Helden des Tages, wo sie aufwachen, um den Ihrigen beyzustehen, zum Siege zu verhelfen. Und diese Gefahr stand ihnen nahe genug durch die nachrückenden Slaven. Nördlich wie südlich dem Bergrücken haben diese ihre zerstreuten [236] Sitze aufgeschlagen, heut zu Tage noch kenntlich an den fremden Klängen, womit ihre Namen das deutsche Ohr treffen. Es war ein Kampf auf Leben und Tod, den die Deutschen mit den Slaven zu bestehen hatten und nicht ohne Grausamkeit soweit zu Ende führten, daß ihnen der Name der Slaven zum Sklavennamen ward. Zum zweytenmale mußten die Germanen sich den Boden erobern, welchen ihr nach dem Süden gerichteter Blick allmälig weniger zu schätzen angefangen hatte. Nun ist hier der Slave zum Deutschen geworden, auf deutschem Boden, aber in vielen kleinen Zügen jetzt noch kenntlich, und es ist wohl nicht Zufall, daß diese slavischen Ueberreste einen hochgebogenen Gürtel um die ganze Oberpfalz, von der Donau im Osten aufsteigend, im Westen wieder niederfallend ziehen.

Hier war auch einst das Paradies; Zeuge dessen sind die vier Flüsse, welche am Gebirge ihren Ursprung nehmen, Mayn, Eger, Naab und Saale. Bärnau.

Im Fichtelgebirge liegt auch eine Vala, eine Sibylla Weis, begraben. Sie wohnte an der Saale, bey Münchberg, im Walde, und als sie starb, verordnete sie, daß man ihre Leiche auf einen mit Kühen bespannten Wagen legen und die Kühe ohne Führer gehen lassen sollte, wohin sie wollten: da, wo sie stehen blieben, solle man sie begraben. Und es geschah so.

Sie sagte voraus: wenn alle Wege und Stege zu Wies und Feld gemacht sind, kommt die böse Zeit.

Einmal ging sie über einen Abgrund auf einem Stege von Wachholderholz gemacht: der brach und sie [237] fiel hinunter. Da fluchte sie dem Wachholderbaume, und seitdem kriecht er nur mehr als niederer Strauch am Boden dahin.

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TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Zweyter Theil. Eilftes Buch. Erde. 1. Berge. 1. Das Fichtelgebirge. 1. Das Fichtelgebirge. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-DFF1-E