[429] Friedrich Schlegel
Trutznachtigall

[430] [433]Vorrede

1. »Trutznachtigall wird dies Büchlein genannt, weil es trotz allen Nachtigallen süß und lieblich singet, und zwar aufrichtig poetisch; also daß es sich auch wohl bei sehr guten lateinischen und andern Poeten dürfte hören lassen.


2. Daß aber nicht allein in lateinischer Sprache, sondern auch sogar in der deutschen man recht gut poetisch reden und dichten könne, wird man gleich aus diesem Büchlein abnehmen mögen, und merken, daß es nicht an der Sprache, sondern vielmehr an den Personen, so es einmal auch in der deutschen Sprache wagen dürfen, gemangelt habe. Derohalben hab' ich solchem zu helfen unterstanden, und mich beflissen, zu einer recht lieblichen deutschen Poetik die Bahn zu zeigen und zur größern Ehre Gottes einen neuen geistlichen Parnassum oder Kunstberg allgemach anzutreten.


3. Sollte nun solches dem Leser, wie verhoffentlich, wohlgefallen, so sei Gott zu tausendmalen gelobt und gebenedeiet; denn ja nichts andres allhie gesucht noch begehrt wird, als daß Gott auch in deutscher Sprache seine Poeten hätte, die sein Lob und Namen eben so künstlich als andere in ihren Sprachen singen und verkünden könnten; und also derer Menschen Herz, so es lesen oder hören werden, in Gott und göttlichen Sachen ein Genügen und Frohlocken schöpfen.« –


So schrieb Friedrich Spee, aus der Gesellschaft Jesu, zur Einleitung seiner geistlichen Liedersammlung, welche im Jahr 1649 zum erstenmale gedruckt wurde. Dieser Dichter war geboren im Jahre 1595, aus dem edeln gräflichen Geschlechte derer von Spee, trat in die Gesellschaft Jesu im Jahre 1615, lebte und lehrte die Theologie zu Köln, und starb im Jahre 1635 zu Trier an den Wunden, welche ein Meuchelmörder ihm beigebracht hatte. Der Mut, mit dem er seine Zwecke verfolgte, konnte ihm Feinde gemacht haben. Ein Beispiel desselben gab er, als Trier von Spaniern und Kaiserlichen erstürmt ward, und er sich mitten unter die Streitenden stürzte, um Plünderung zu verhüten [433] und der Verwundeten zu pflegen. Auch darf es als ein Beweis dieses Mutes angesehen werden, daß er sich durch eine kühne Schrift zuerst, und lange vor Thomasius, der Barbarei der Hexenprozesse wirksam widersetzt hat.


Er dichtete fast zur selben Zeit mit Opitz, Flemming, Weckhrlin und den andern jener Schule; Kenner der Sprache werden auch leicht die Spuren der Übereinstimmung und Gleichzeitigkeit in manchen Eigenheiten der seinigen finden, ungeachtet er weder von der Schlesischen Schule noch von andern gewußt zu haben scheint, und der erste zu sein glaubte, der den Versuch einer deutschen Dichtkunst wage. Denn auch schon damals war das bessere Alte größtenteils vergessen, die einzelnen Länder des deutschen Reiches trennten sich immer mehr und mehr, und meistens nur in den nördlichen und protestantischen Ländern erhielt sich die Literatur in einem einigermaßen fortgehenden Zusammenhange. Daher ist es auch wohl gekommen, daß Spee in der Geschichte der deutschen Poesie fast unbekannt blieb, ungeachtet er den vorzüglichsten Dichtern jener Zeit verglichen werden darf.


Ich muß bekennen, daß ich mir einige Änderungen mit diesen Gedichten erlaubt habe; doch hoffe ich nicht, daß der Absicht des Ganzen dadurch geschadet worden sei. Sie bestehen meistens nur in Abkürzungen und in Milderungen einzelner Sprachhärten, deren einige ohnehin als Provinzialismen der Verständlichkeit geschadet haben würden. Bei Gedichten aus jener blühendsten Zeit der deutschen Sprache und Dichtkunst, welche man gewöhnlich die schwäbische nennt, würde ich auch die geringste Änderung nicht gern gestatten; da an dieser längst verlornen Anmut und Vollendung des Ausdrucks nichts zu verschönern ist, leicht aber alles zu verderben. Anders jedoch scheint es mir mit den Dichtern aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges zu sein. Selbst in Flemming und Weckhrlin findet man neben einzelnen Stellen und Strophen, die auch im Ausdrucke nicht schöner sein könnten, andere Wendungen, die uns hart dünken und an das Gemeine grenzen. Fast scheint es, als hätte schon damals die Verwilderung der alten Sitten und Rechte sich auch auf die Sprache erstreckt.


Diese Ungleichheit ist im Spee vielleicht noch merklicher und entschiedener als in jenen. Mehr noch aber zeichnet ihn das tiefere Gefühl [434] der Frömmigkeit vor allen aus, und die eigne Freude an den Lieblichkeiten der Natur. Auch sind seine Gedichte mehr zum Gesange geeignet, mehr Lieder, als die besten andern jener Zeit. –


Daß es sein ausdrücklicher Zweck war, Volkslieder zu dichten, besagt die Vorrede deutlich, da er die deutsche Sprache vorzüglich nur darum gewählt hat, um so auch für diejenigen zu sorgen, welche an der Andacht lateinischer Cancionen aus Unbekanntschaft mit der Sprache weniger Anteil nehmen konnten.


Viele seiner Gedichte sind wahre Volkslieder geworden, werden seit mehr als anderthalb Jahrhunderten in den Kirchen und bei Prozessionen gesungen, und sind in die allgemeinen Gesangbücher aufgenommen. Mehrere der späteren Ausgaben der Trutznachtigall sind mit Musiken begleitet, von denen hier einige zur Probe mitgeteilt werden. Leicht sind die meisten seiner Lieder und auch gesangmäßig, nur in einigen stimmt die poetische Anlage nicht mit dem Charakter des Volksliedes überein.


Es wird der Absicht des Ganzen nicht schaden können, daß in dieser Auswahl auch einige andere, zum Teil noch ältere, zum Teil vielleicht jüngere Gedichte gleicher Art und gleichen Inhalts aufgenommen worden sind. Es sind wahrhafte geistliche Volkslieder, die auch als solche im Munde und Gesange des Volkes leben. In einigen ist ein ganz ähnliches poetisches Streben sichtbar, wie in denen unsers Dichters. Das 9te, 10te, 12te, 13te, 14te, 15te und 19te Lied ausgenommen, sind alle übrigen von Friedrich Spee, dem man künftig eine ehrenvolle Stelle neben Flemming, Weckhrlin und Opitz auf dem Kunstberge deutscher Poesie nicht versagen wird.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Gedichte. Trutznachtigall. Vorrede. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D6D7-3