Adventslied

1807.


Komm nieder aus der Jungfrau Schooß,
O Kind, aus Himmelsauen!
Es sehnt sich alles, klein und groß,
Ins Antlitz dir zu schauen;
[218]
Es schmachtet deinem Segen
Die Erde, Herr, entgegen.
Wie damals in der Römerzeit
Die Menschheit lag gebunden,
Des Paradieses Herrlichkeit
Von hinnen war geschwunden,
Als du, sie zu entsühnen,
Auf Erden warst erschienen;
So liegt sie nun gebeugt, gedrückt,
In namenlosen Wehen;
Dein Licht, o Herr, ist ihr entrückt,
Ihr Licht scheint auszugehen.
Wollst wieder sie erlösen
Von der Gewalt des Bösen!
Dich rufen Leid und Klageton,
Dir winkt ein Meer von Thränen,
Und leise Seufzer, kaum entflohn
Bescheidnem bangem Sehnen,
Zum Retten, zum Befreien,
Das Alte zu erneuen.
O Menschensohn voll Lieb' und Macht,
O höchstes ew'ges Leben,
Hast oft schon Funken angefacht,
Und Sterbekraft gegeben!
O Himmelsgast, steig wieder
Zum Thränenthale nieder!
Wir haben oft auf unsrer Bahn
Wie Simeon gebetet;
Wir blicken alle himmelan,
Ob sich der Osten röthet;
Komm denn im alten Liede:
Auf Erden Freud' und Friede!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schenkendorf, Max von. Gedichte. Gedichte. Dritte Abtheilung. Glauben. Adventslied. Adventslied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C517-B