6.

Der Ritter Hans von Lichtenstein zeichnete sich durch seine große Stärke und Gewandtheit vor vielen anderen Rittern aus, so daß er allen Bewohnern der Gegend große Furcht einflößte. Seine große Kraft wandte er aber nur zu schlechten Dingen an und von Glauben und Gottesfurcht wollte er nichts wissen. Als er gestorben und begraben war, erschien er eines Mittags zwischen elf und zwölf Uhr seinem getreuen Hofmeister auf einer großen Breite Landes, auf einem »rothen Schimmel« sitzend und mit feuriger Kleidung angethan. »Sage meiner Frau,« sprach der Geist, »sie möge dem Nachbar dieser Breite Landes das unterste Stück zurückgeben; ich habe dasselbe durch einen falschen Eid an mich gebracht, und kann deshalb nicht zur ewigen Ruhe gelangen, sondern muß ewig in der Hölle bleiben.« Der Hofmeister versprach alles getreulich zu bestellen und ging mit den Worten fort: »morgen Mittag bringe ich Nachricht.« Nachdem er nun der Frau von Lichtenstein die seltsame Erscheinung erzählt und den Auftrag seines verstorbenen Herrn ausgerichtet hatte, erwiederte diese: »hat er im Leben Unrecht gethan, so mag er dafür büßen; ich gebe kein Land heraus.« Am nächsten Mittage begab sich der Hofmeister erwartungsvoll an dieselbe Stelle. Um die elfte Stunde erschien ihm sein Herr in demselben Anzuge und hörte mit Schrecken die Botschaft von seiner Frau. »Wenn denn,« sprach er, »meine Frau kein Erbarmen mit mir hat, so nimm du morgen Mittag eine Hacke und eine Mulde, und bringe mir diese hierher. Du kannst jedoch einmal mit mir gehn und sehen, wie es mir in meiner jetzigen Lage geht.« Darauf führte er den Hofmeister zu dem Eingange einer Höhle in dem Lichtensteiner Holze und bat ihn ihm zu folgen. Als der Lichtensteiner an seinem Aufenthaltsorte angelangt war, setzte er sich auf ein rothes Ruhebett nieder. Der Ort war mit rothen Stühlen und anderen rothen Geräthen ausgeschmückt. Alsbald erschienen auch rothe Diener, brachten rothe Pantoffeln, schenkten rothen Wein ein und [228] trugen rothe Speisen auf den Tisch. Nachdem der Hofmeister das alles gesehen hatte, entfernte er sich, um seinen Auftrag auszurichten. Am folgenden Mittage ging er mit den beiden gewünschten Werkzeugen zu der bekannten Stelle, um sie dem Herrn zu geben. Dieser erschien auch bald und sagte: »setze Dich so lange nieder, bis ich fertig bin.« Der Hofmeister that das. Nun fing der Herr gewaltig an zu arbeiten, um die Erde, die er sich einst zugeschworen hatte, wieder an das andere Stück zu schaffen. Als die Glocke zwölf schlug, kam der Edelmann mit den Werkzeugen wieder, gab sie zurück, bedankte sich und sprach: »es ist nur gut gewesen, daß die Hacke ein langes Eisen hatte, sonst wäre ich nicht fertig geworden und hätte dann ewige Qualen erdulden müssen.« Der getreue Diener sprach erschrocken: »saget mir doch, Herr, warum Ihr Euch unglücklich nennt, da Ihr doch alles so bequem habt und auf einem rothen Pferdchen reiten könnt«. »Ach,« antwortete der Edelmann, »das ist eben, was mich quält. Alles, was ich trinke, ist Feuer; was ich esse, ist Feuer; worauf ich reite, ist Feuer, und was ich athme, ist Feuer. Es ist gar schrecklich, das Leben in der Hölle. Nun ich das Land zurückgegeben habe, erhalte ich Vergebung und kann in den Himmel kommen. Lebe wohl!« – Mit diesen Worten verschwand er.

Noch jetzt ist das Land zu sehen, welches der Edelmann an das andere Stück gebracht hat. Die Stelle aber, wohin er den Hofmeister führte, um seine Qualen zu schauen, wird noch jetzt die Hölle genannt.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. Märchen und Sagen. Niedersächsische Sagen und Märchen. A. Sagen. 239. Erlöste Geister. 6. [Der Ritter Hans von Lichtenstein zeichnete sich durch seine große]. 6. [Der Ritter Hans von Lichtenstein zeichnete sich durch seine große]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BE54-7