[435] Der längste Tag
Tag der Sommersonnenwende,
Schönster in der Brüder Schar,
Seines Segens reichste Spende
Häuft durch dich auf uns das Jahr.
Alle deine goldnen Stunden
Zu genießen voll und ganz,
Früh dem Schlummer schon entwunden
Hab' ich mich beim Sternenglanz.
Sah die Dämmernebel brechen,
Als sein Thor der Ost erschloß,
Und dein Licht in Flammenbächen
Auf die Erde niederfloß;
Sah, wie sie in durst'gen Zügen
Schlürfte von dem reinen Trank,
Bis in seligem Genügen
Sie in Mittagsträume sank.
Hoch mit dir am Himmelsbogen
Ist auf deiner lichten Bahn
Meine Seele hingezogen
Ueber Berg und Ocean.
Und in sich, bis tief, tiefinnen
Sie gesättigt war von Glut,
Ließ in vollem Strom sie rinnen
Deiner Strahlen heil'ge Flut.
Noch im Sinken lange, lange
Leuchtetest du, goldner Tag;
Lang noch nach dem Untergange
Glühe mir im Herzen nach!